Kitabı oku: «Mutter Job», sayfa 3
»Es ist also nicht wahr,« fuhr Frau Styns bitter auf, »daß im Geheimen bereits von einer Heirath zwischen diesem Walter und Rosina gesprochen worden ist? Solltet Ihr das zu leugnen wagen?«
»Es ist niemals auch nur der geringste Schein davon vorhanden gewesen. Aber sagt mir doch, um Gottes Willen, wer hat Euch solche Gedanken in den Kopf gesetzt?«
In diesem Augenblick schrie das kranke Kind wieder nach einem Trunk; – als Mutter Job es gelabt hatte und zu Frau Styns zurückkehrte, hielt diese ein Papier in der Hand und vergoß reichliche Thränen.
Von Mitleid ergriffen, ergriff Mutter Job die Hand ihrer alten Freundin und flüsterte einige Trostworte; aber diese zog ihre Hand heftig zurück, wischte eifrig die Thränen aus ihren Augen und sagte:
»Das Schlimmste hab’ ich verschwiegen; ich schämte mich, es auszusprechen, denn wahrlich, es ist zu schändlich. Hört und antwortet dann, wenn Ihr könnt und dürft. Vielleicht wird es Euch unglücklich machen, denn Ihr seid auch Mutter. Ach, daß ich Euch den Schlag nicht ersparen kann!«
»Was enthält denn dies Papier?« sagte Mutter Job etwas ängstlich. »Es muß wohl schrecklich sein?«
»Es ist der Brief meines armen Gabriels,« war die Antwort, »sein trauriges Lebewohl; ich fand ihn auf dem Tisch bei seinem Bett . . .Was darin steht, werdet Ihr sicher nicht bestreiten, und Eure Tochter noch viel weniger!«
Rosina hatte das Haupt etwas emporgehoben und zitterte von ängstlicher Neugier; sie sollte die Stimme ihres theuren Gabriel selbst hören!«
Frau Sinns las mit bewegten oft unterbrochener Stimme wie folgt:
»Lieber Vater, liebe Mutter!
»Ich bitte Euch knieend und mit gefalteten Händen, vergeht mir, was ich zu thun im Begriff bin. Dies Papier habe ich die ganze Nacht mit meinen Thränen benetzt; wenn Ihr es finden werdet, werde ich fern von Wispelbeck sein. Ach, klagt mich nicht an; bewahrt mir Eure Liebe, bis ich zurückkehren kann. Meine Sinne sind irr, ich bin unglückselig. Ihr wißt es, Mutter, wie ich Rosina geliebt habe. Sie sie hat mich verrathen; ihre Liebe war Schein und Falschheit. Der häßliche Herr Wetter besitzt ihr Herz; ich diene ihr zum Spott. Es wird bereits heimlich unterhandelt über eine Heirath zwischen ihr und dem Betrüger, der mir mein Leben stiehlt. Ich kann nicht hier bleiben, ich muß fern von hier fliehen, sie aus meinem Geist verjagen, sie vergessen . . . oder sterben. – Fürchtet doch nicht für mich; ich werde mir kein Leids anthun, – und zurückkehren, wenn mein Herz von der gräßlichen Qual wird erlöst sein. Behaltet mich lieb, theure Eltern, und helft mir durch Eure Gebete, daß Gott mir erlaube, über ihr Andenken zu siegen; ohne Hilfe von Oben kann ich es nicht überwinden dies grenzenlose Liebesgefühl für sie, das mit meinem Herzen und meinem Leben verwachsen ist . . . Ach, ich wollte etwas Schreckliches verschweigen. Zwanzigmal fiel mir die Feder aus her Hand; aber ich muß es, wie würdet Ihr sonst meine verzweiflungsvolle That begreifen. Mutter, Vater, den Sonntag spät Abends stand ich traurig in der Schloßallee . . . Ich höre Stimmen, eine vorzüglich, die mich vor Entsetzen zittern läßt . . . zwei Schatten nähern sich . . . Wer wandelt da so allein in der Dunkelheit. – O Wehe, Wehe, ein Dolchstich durchbohrt mir das Herz! Walter, der Verführer Walter . . . und, und Rosina! . . . Möchten meine Augen sich . . . «
Ein dumpfer Todesschrei entfuhr Rosina’s Mund. Das war zu viel für das unglückliche Mädchen, das ihre Kräfte überspannt hatte, um Gabriels Worte bis zu Ende zu hören. Ohnmächtig sank sie über die Lehne ihres Stuhles.
Nun konnte Mutter Job ihre Thränen nicht länger zurückhalten, sie sprang jammernd zu ihrer Tochter, nahm ihren Kopf in den Arm und suchte durch liebreiche Worte ihr Kind ins Leben zurückzurufen.
»Alles, was Gabriel sagt, ist Irrthum, Mißverständniß, Unsinn!« rief sie. »Ach, meine Rosina, die so unschuldig leiden mußt Frau Styns, Gott vergebe Euch diese ungerechte Grausamkeit!«
Gabriels Mutter schien plötzlich ihren Zorn abgelegt zu haben; sie lief mit kummervoller Hast nach dem Tische, brachte Wasser und begann die bleiche Stirn Rosina’s zu waschen.
Unterdessen sagte Mutter Joh:
»Aber, Frau Styns, urtheilt selbst über Gabriels Beschuldigung. In der Schloßallee auf den Sonntag Abend waren wir Alle: mein Mann und ich und Hugo und Walter und Rosina, und wir sprachen alle zusammen über das Preisschießen, als Gabriel mit einem Schrei zwischen den Bäumen wegeilte.«
»Ihr wart alle zusammen!« wiederholte Frau Styns. »Ist Gabriel denn wirklich von Sinnen?«
»Ach, nein er träumt . . . «
»Arme Rosina,« klagte Gabriels Mutter, indem sie ihren Arm mitleidig um den Hals der Ohnmächtigen legte, »komm, Kind, tröste Dich nur. Wir sind Beide unglücklich und Gabriel auch . . . «
Als ob der freundliche Ton dieser Stimme ihr ins Herz geklungen wäre, Rosina öffnete die Augen mit einem langen Athemholen und schaute verwundert umher. Gleich darauf jedoch erinnerte sie sich des Geschehenen, schlug die Hände vor die Augen und seufzte schwer:
»Es ist gräßlich! Gabriels Hand hat es geschrieben!«
»Vergib ihm, vergib ihm,« bat Frau Styns. »Seine Er allzugroße Liebe hat ihn irre gemacht.«
»Gott bitten, mich vergessen zu können!« wiederholte das Mädchen.
»Er wird es nicht können, Rosina.«
»Und ach! wo ist nun der arme Gabriel?« schrie das Mädchen. »Er irrt sich, aber ich fühle seine Verzweiflung wohl! Wenn ihm nun etwas Schreckliches widerführe! Gott, Gott, was bin ich unglücklich!«
Rosina stand langsam auf, ging zu ihrer Mutter, die mit dem leidenden Kinde beschäftigt war, und sagte ihr:
»Mutter, mein Kopf ist so verwirrt: laß mich in die Luft gehn; die Einsamkeit und die Abendkühle werden mich vielleicht stärken.«
»So allein, Kind? Das geht nicht.«
»Ich werde es Line’n sagen, daß sie mich führe.«
»Dann ist’s gut. Rosina, traure nicht mehr, es wird schon besser werden. Vielleicht ist Gabriel morgen schon zurück . . . «
Das Mädchen flüsterte einen leisen Gruß zu Gabriels weinender Mutter und verließ das Zimmer.
Mutter Job setzte sich neben Frau Styns, ergriff ihre Hand und sprach mitleidig:
»Rosina’s letzte Worte haben Euer Herz mit Trauer erfüllt, nicht wahr? Denkt doch, daß Rosina ein furchtsames Kind ist und daß die Liebe sie sowohl als Gabriel träumen läßt.«
»O, wenn Gabriel aus Verzweiflung ein Unglück anrichtete!« seufzte Frau Styns. »Bin ich nicht seine Mutter und muß ein solcher Gedanke mich nicht vor Schreck tödten?«
»Wenn Eure Furcht einigen Schein von Grund hätte, so würde ich Eure Angst begreifen; aber der Brief des armen Gabriel sagt ja doch, daß er sich kein Leid anthun wird? Er bittet Euch bereits um Vergebung für den Fall seiner Rückkehr. Gabriel ist ein tugendhafter und gottesfürchtiger Jüngling: wenn seine erste Aufregung vorüber ist, wird er an Euren Schmerz denken und zurückkehren. Wer weiß, ob er in diesem Augenblick nicht bereits wieder auf dem Weg ist nach Wispelbeck?«
»Wie gut könnt Ihr trösten! Habt Dank für Eure süßen Worte,« flüsterte Frau Styns, während sie die Hand von Mutter Job erkenntlich drückte.
»Ein Mensch darf sich durch den Verdruß nicht niederdrücken lassen,« versetzte Mutter Job. »Man kann sich sowohl im Bösen als im Guten verblendete und Alles zu weiß oder zu schwarz ansehn. Was ist’s doch, was Euch und Gabriel und Rosina so tödtliche Qualen bereitet? Es beruht nur auf einem Schein; – und wenn Gabriel überzeugt sein wird, daß er sich getäuscht hat, was wird davon übrig bleiben? Eine erprobte und festere Liebe zwischen ihm und Rosina.«
»Aber sein Vater, Mutter Job? Ach, der wird ihm sein Entlaufen aus dem elterlichen Hause nie vergeben. Er ist so erbittert, so erbittert! Er sagt, er dürfe ihm nie wieder unter die Augen kommen . . . Er will ihn enterben!«
»Das sind nur Aeußerungen des Zorns, Frau Styns; laßt nur Euren Mann den Gabriel einmal tüchtig ausschelten; der Junge verdient wohl eine Ermahnung. Aber der Notar ist auch Vater; während er dies sagt, betet er in seinem Herzen, daß Gott ihm seinen Sohn wiedergebe. Meint Ihr nicht, daß dies wahr ist?«
»Ja, das ist wahr!«
»Nun, Ihr seht also doch auch, daß es so schlimm nicht ist? Wer weiß, ob wir nicht binnen vier oder fünf Monaten auf der Hochzeit unsrer Kinder über unsre Traurigkeit lachen werden?«
»Hochzeit, Hochzeit?« murmelte Frau Styns. »Ich glaube nicht, daß der Notar davon noch wird hören wollen.«
»Und wenn ihm nun Alles erklärt wird? Er ist ein gutmüthiger und verständiger Mann.«
»Ja, aber er sagt, daß Ihr auf alle Fälle – auch wenn die Vermuthung Gabriels ungegründet wäre – aus Mitleid sein Zartgefühl hättet schonen müssen. Der Notar ist schrecklich böse auf Euch und auf Rosina.«
»Es wird schon besser werden, Frau Styns. Kommt und geht zu ihm und beweist ihm, daß Gabriel mit Unrecht alle diese schwarzen Träume im Kopfe herumtrug. Ich werde die Magd rufen, daß sie eine Weile bei unserm Engelchen bleibe; – denn ich muß auch meiner Rosina etwas sagen, um ihren Schmerz zu lindern.«
»Eure Engelbertchen hat das Scharlachfieber?« fragte Frau Styns mit theilnehmenden Tone. »Das arme Lamm! Was müßt Ihr doch Kummer haben, Mutter Job! Und Ihr findet noch Kraft, um jedermann zu trösten!«
»Was hilft das Klagen und das Knarren, Frau Styns? Gott da oben ist der Herr; denen, die auf seine Güte trauen, gibt er Stärke gegen das Leiden. Kommt, kommt, haltet Euch aufrecht und trauert nicht mehr: es wird schon besser werden!«
Und ihre getröstete Freundin beim Arm nehmend, führte sie dieselbe zum Zimmer hinaus, während sie zu einer Magd sagte:
»Käthe, geh an Engelberts Bett; und wenn er nach Trinken verlangt, gib ihm einen Löffel aus dem Fläschchen; ich werde ein Weilchen mit Rosina im Hof bleiben. Wenn Du mich rufst werd’ ich Dich hören können.«
III
In dem Zimmer-, wo Mutter Job, am Bette ihres leidenden Engelberts, seitdem vorigen Tag gewacht hatte, brannte eine kleine Nachtlampe, deren zweifelhafter Schimmer an der Wand auf und nieder stieg. Schon begann es jedoch in Osten zu tagen und von dieser Seite her mischte sich eine graue Dämmerung mit dem trüben Schein der Lampe.
Es wäre so einsam und schweigend wie in einem Grabe gewesen, hätte nicht das Geräusch eines ermatteten Athemholens die Anwesenheit eines lebenden Wesens verrathen. Käthe, das Hausmädchen, war mit dem Kopf auf dem Tisch in Schlaf gesunken, ihr schweres Athmen unterbrach allein die traurige Stille.
Am Bett von Engelbertchen saß Mutter Job, den Kopf auf dem Schooße. Ermattet durch das Wachen und durch die abwechselnden Gemüthsbewegungen der Hoffnung, des Schmerzes und des Schrecks war sie wie eingeschlummert. Aber hatten sich ihre Augen auch geschlossen, ihr Herz und ihr Geist wachten dennoch. Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschte sie auf das geringste Geräusch; und bei dem leisesten Seufzer des Kinds würde die zärtliche Mutter besorgt aufgesprungen sein, um nach ihm zu sehn.
Die verflossene Nacht war für das Herz dieser Frau sehr qualvoll gewesen; den Blick unabwendlich auf das Kind gerichtet, hatte sie das hitzige Fieber Schritt für Schritt in seiner drohenden Entwicklung verfolgt und all das Gekreisch und die ersticktem aber herzzerreißenden Schreie des Kleinen in ihr Herz aufgenommen. Allmälig hatte das Feuer der Entzündung auch das Gehirn des Knäbchens ergriffen: er begann zu zucken und mit gräßlichem Röcheln in schmerzlichen Krämpfen sich zu winden; er heulte und lachte; er rief nach seiner Mutter, die er nicht mehr erkannte, nach seinem Vater, der fern von ihm war, ohne von seinen Leiden etwas zu wissen und vielleicht bei seiner Rückkehr, anstatt des geliebten Sohnes, eine Leiche finden sollte.
Als das Fieber endlich den Höhepunkt erreicht zu haben schien, nahm die gefolterte Mutter etwas wahr, das ihr wie ein Dolchstich in den Busen fuhr und ihr zum ersten Mal einen lauten Angstschrei entlockte. Das Kind hatte unter verworrenen Worten und Lauten, noch einmal nach Trinken gerufen. Als der Löffel an seinen Mund gehalten wurde, streckte es die Hand in die Höhe und fuhr tastend umher, als bemühte es sich seine Mutter zu suchen . . . Es war blind! Blind? Gräßliches Wort! Wohl war seit einer Stunde Engelbertchen’s Gesicht zu einer ungestalteten Dicke angeschwollen, wohl war seine Haut roth, als hätte man ihn in Blut getaucht; wohl konnte die Mutter ihr Kind nicht mehr wiedererkennen in diesem ungeheuern Gesicht, das sie erschreckte . . . Gleichwohl war dies Alles nichts! . . . Aber blind!
Da brach die Kraft der muthigen Frau zusammen: ihre Thränen flossen und in ihren Stuhl sinkend, hob sie die Hände flehend zu Gott empor. Ein Gebet, so feurig, als wäre es ein aufwallender Theil ihrer Seele gewesen, entströmte ihren Lippen; in der tiefen Innigkeit ihres Seufzens hörte sie das Schreien ihres Kindes nicht mehr und blieb eine lange Zeit wie bewußtlos mit gen Himmel gerichtetem Blick.
Als sie endlich Trost und Linderung gefunden, wandte sie sich wieder zu dem Kinde. Es schien zu schlafen. Und wirklich hatte sich die Gluth seiner Stirn vermindert, das Rasseln in seiner Kehle hatte aufgehört, sein Athmen war frei und es lag ruhig da, als hätte ein wohlthätiger Schlummer sein Leiden unterbrochen.
Da war es, wo Frau Job den Kopf auf den Schooß gelegt hatte.
In dieser Haltung saß die betrübte Mutter noch, und auch die Magd schlief noch aus dem Tisch, als das Morgenroth das nahe Sonnenlicht verkündigte.
Bald hörte man im andern Theil des Hauses das Geräusch der Dienstboten, die herunterkamen, um die erste Hausarbeit zu verrichten und die Kühe zu besorgen.
Ein leises und furchtsames Klopfen an der Thür bewirkte, daß Mutter Job sich aufrichtete und nach der andern Seite des Zimmers ging. – Lina, die Kuhmagd, steckte ihren Kopf durch die Thür und fragte:
»Baasin, nehmt’s nicht übel, wie gehts denn mit unserm armen Engelbertchen?«
»Gut, gut,« antwortete Mutter Job, »das Kind schläft; sei nur ruhig, Line es wird schon besser werden.«
»Ach, Gott sei Dank!« sagte die Kuhmagd. »Ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können; aber das schadet doch nichts, wenn nur Engelbertchen besser ist.« Und mit diesen Worten machte sie die Thür wieder zu.
»Käthe,« sagte Mutter Job zu dem Hausmädchen, das durch Linens Stimme aufgewacht war und sich dehnend die Augen rieb, »geh zum Doctor und sag, ihm, ich ersuche ihn, so bald als möglich zu kommen.«
Kaum hatte Käthe das Zimmer verlassen, so kehrte sie zurück und sagte:
»Baasin, Hugo’s Knecht ist aus der Stadt gekommen mit einer eiligen Botschaft für Euch.«
»Für mich? Von Hugo? Um diese Zeit?« murmelte Mutter Job überrascht.
»Ja, und er muß Euch ganz allein sprechen, sagt er; Hugo hat ihm das bestimmt befohlen.«
»Nun, er komme!« seufzte Mutter Job. »Was mag das bedeuten?«
Der Knecht trat herein und holte einen versiegelten Brief aus der Tasche; ihn überreichend sprach er:
»Dies soll ich, wie Herr Hugo mir aufgetragen, seiner – Mutter geben, so daß es niemand sieht. Ich weiß nicht, was vorgeht; aber mein Herr ist wie von Sinnen; und als er mir diese Nacht die Botschaft gab, sprangen ihm die Thränen aus den Augen.«
Mutter Job ging an das hellste Fenster, riß den Brief auf und versuchte zu lesen, was ihr Sohn so geheimnißvoll ihr meldete.
Voll Verwunderung sah der Knecht die lesende Frau an: er sah die Hand, die den Brief hielt, zittern; er hörte das Papier von der Bewegung rauschen: er bemerkte wie Hugos’ Mutter mit der andern Hand eine Stütze auf dem Fensterbrett suchte, als drohte sie unter der heftigen Aufregung niederzustürzen.
Eine lange Weile blieb Mutter Job von ihrer Empfindung überwältigt; doch allmälig kam sie zum Bewußtsein ihres Zustandes und rang mit peinlicher Kraftanspannung gegen die Entmuthigung.
Sich stark genug glaubend, wandte sie sich mit stolzer Ruhe zum Knecht, der über diesen plötzlichen Wechsel ganz betroffen, sie mit offenem Munde ansah.
»Hat Herr Hugo Dir nicht aufgetragen, mir etwas Besonderes zu sagen?«
»Nein, kein Wort.«
Sie holte ein kleines Silberstück aus ihrer Tasche, legte es dem Knecht in die Hand und sprach:
»Das ist für Dich. Kehre schnell zurück zu Deinem Herrn, und wenn er fragt, was ich geantwortet habe, so sprich allein diese Worte: Eure Mutter hat gesagt: keinen Muth verloren, Hugo; es wird morgen schon besser gehen.«
Der Knecht begab sich kopfschüttelnd zum Zimmer hinaus.
Der Bote war kaum verschwunden, so änderte sich der Ausdruck von Mutter Jobs Gesicht gänzlich; ein Schrei entfuhr ihr und mit dem verhängnißvollen Brief in der krampfhaft geschlossenen Hand eilte sie auf Neue zum Fenster, wo sie zitternd wie vorhin den Blick auf Hugo’s Schreiben richtete. Kaum konnte sie einen klaren Begriff von dem Inhalt bekommen haben, so sank sie halbohnmächtig auf einen Stuhl und blieb eine Weile in stummer Verwirrung sitzen. Endlich seufzte sie unter Thränen:
»Gott! Ist’s möglich? Mein Hugo, mein Sohn? Er soll verfolgt werden; von den Gensdarmen ergriffen; ins Gefängniß geworfen? oder er muß flüchten . . . nach Amerika! Verurtheilt als Dieb, als Bankerottirer? O ich träume wohl! Es ist das Leiden von dieser Nacht; es hat mir das Gehirn aufgeregt! – Ach nein! ich wache! Es ist kein Traum! Um ihn zu retten, seinen Namen, seine Ehre vor ewiger Schande zu bewahren, sind dreißig tausend Franks nöthig. Dreißigtausend Franks? Ach, wo solch eine Summe herholen? Wenn mein Blut hinreichend sein könnte! Sein Vater, sein armer Vater! Mein Willkommen wird ihn zerschmettern wie ein Donnerschlag . . . Aber Hugo, ich muß, ich muß ihn retten . . . Ach, ach und keine Zögerung, kein Tag, keine Stunde! Und Job, der nicht hier ist! O, was thun!«
Sie knieete nieder, hob die Hände gen Himmel und rief in kläglichem Ton: »
Gütiger« barmherziger Gott, gib mir Rath! Erleuchte meinen Geist, oder ich erliege unter der Last meines Schmerzes. Herr, Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel; aber, Mitleiden, Mitleiden mit einer armen Mutter! Ach, lieber Vater, sieh nieder auf mein Kind, das vielleicht in den Armen des Todes schläft; – auf meine Tochter, deren Herz vor Jammer blutet: auf meinen guten Sohn, das unschuldige Opfer des Betrugs und der Falschheit; – auf meinen Gatten, dessen Leben unter all diesen gräßlichen Schlägen zusammenbrechen wird; —, auf mich, Deine demüthige Dienerin, die vor Deinem Angesichte liegt und den Arm segnet, dem es gefällt, sie zu prüfen . . . Herr, ich verlange nicht, daß ein Wunder das Leiden von mir abwende: aber ich bin Mutter: nächst Dir, o Gott, bin ich allein der Trost und die Zuversicht Aller, die um mich herum leiden . . . Ach, schenke mir Kraft, stütze meinen Muth, gib mir Vertrauen, laß mich hoffen . . . !«
Erschöpft neigte sie ihr Haupt auf die Brust und blieb sehr lange bewegungslos wie eine Bildsäule knieend liegen. Endlich hob sie wieder Augen und Hände gen Himmel und sprach mit heiterem Ton:
»Dank, Dank, o Herr, Muth und Vertrauen, sagt Deine göttliche Stimme? Wohlan, ich will meine Pflicht thun: meine Schmerzen mit Gewalt in mein Mutterherz verschließen . . . Ach, nicht wahr, es wird schon besser werden?«
Sie richtete sich auf, nahte dem Kind, besah es mit prüfendem Blick und lauschte auf sein Atemholen.
»Es schläft, es schläft,« murmelte sie erfreut. »Bei seinem Erwachen wird Engelbertchen besser sein . . . ! Ach, jetzt für meinen armen Hugo gesorgt. Muth, Mut!«
Sie tauchte ein Tuch in das Wasser eines Waschbeckens und befeuchtete damit ihr Gesicht, um die Spuren ihrer Thränen so viel als möglich zu vertilgen.
In diesem Augenblick kehrte Käthe, das Hausmädchen, von ihrer Botschaft zurück und sagte:
»Baasin, der Doctor ist nicht zu Hause: man hat ihn in aller Eile rufen lassen zur Frau des Pächters Daems, die einen Zufall gekriegt hat. Es ist wohl eine halbe Stunde von hier; aber sobald der Doktor zurückkehrt wird er herkommen.«
»Gut, Käthe. Geh’ nun zu Rosina’s Kammer. Sag ihr, ich ersuche sie, aufzustehn; aber erschrick sie nicht, Engelbertchen ist viel besser. Ueber etwas Anderes will ich mit ihr sprechen.«
Mutter Job warf nun noch einen Blick auf den verhängnißvollen Brief, und verbarg ihn dann in ihren Busen. Sie ging hin und her, blieb stehn, rieb sich die Stirn und murmelte etwas vor sich hin. Ohne Zweifel berathschlagte sie mit sich selbst über die Mittel, um ihren Sohn vor Schande zu retten. Schon war Rosina vor ihr vorbeigegangen, und erst ihr liebreicher Morgengruß weckte sie aus ihrem tiefen Nachdenken.
Rosina war gleich zu Engelbertchens Bett geeilt. Der Anblick seines aufgeschwollenen und entstellten Gesichts entlockte ihr einen Angstschrei; aber Mutter Job nahte ihr und sagte:
»Du glaubst, daß es mit Engelbertchen nicht gut geht.« Rosina? So ist das Scharlachfieber immer; dies Aufschwellen des Gesichts ist nichts Besonderes. Engelbertchen schläft ruhig, Du siehst es wohl. Sein Köpfchen wird schon wieder einsinken. Das Fieber ist vorüber; nun wird das Kind anfangen zu genesen. Alles geht aufs beste . . . aber, Rosina, ich muß mit Dir von schlimmeren Sachen reden.«
»Von schlimmern Sachen?« seufzte das Mädchen, das durch den feierlichen und gezwungenen Ton dieser letzten Worte von Beklemmung ergriffen wurde.
»Ja, von schlimmern Dingen, Rosina; aber mag es auch großes Unglück sein, wir müssen uns getrost darein ergeben, und denken, daß Gott uns doch nicht verlassen wird.«
»O, der Vater, der Vater? – Ist ihm etwas widerfahren?« fragte Rosina zitternd.
»Nein, nein,« sprach die Mutter mit festerem Ton, »von Vater habe ich keine Nachricht. Du erschrickst mit Unrecht, Rosina. Komm, setze Dich. Ich werde Dir sagen, welcher Schlag uns getroffen hat: aber behalte Deinen Muth; ich habe Deinen Rath nöthig,Kind.«
Rosina vergoß zum Voraus Thränen, in der Ueberzeugung, daß eine Sache, die ihre Mutter so unglücklich zu machen schien, ein großes Unheil sein müßte. Mutter Job zog das Papier hervor und sagte mit etwas hastigem Ton:
»Rosina, es ist so eben ein Bote aus der Stadt gekommen mit einem Brief von Deinem Bruder Hugo. Habe den Muth, ihn bis zu Ende vorlesen zu hören. Traure über das Unglück Deines Bruders, aber höre aufmerksam zu, unterbrich mich nicht, und sei mir nachher mit Herz und und Kopf behilflich. Vater ist leider in diesem entscheidenden Augenblick nicht gegenwärtig; jede Stunde, die verfließt, ist ein unersetzlicher Verlust; mit Niemand, als mit Dir, mein Kind, kann ich über diesen unseligen Vorfall sprechen.«
Mit einer zuerst helleren, nachher dumpferen Stimme, die manchmal ganz unter der inneren Bewegung erstickte, las Mutter Job wie folgt, Hugo’s Brief:
»Gute, liebe Mutter!
»Das Herz bricht mir bei dem Gedanken der Pein, die meinen theuren Vater ergreifen wird, wenn Ihr den Brief lesen werdet; aber ich muß die traurige Pflicht erfüllen, bevor das öffentliche Gerücht Euch mein Unglück meldet. Ach, Mutter, dieser Walter, den wir als Muster der Tugend und Rechtschaffenheit ansahen, hat mich feige betrogen und verrathen. Am Montag, als ich wohlgemuth von Wispelbeck auf unser Bureau kam, war die Nachricht da, daß das Haus von Olisse und Comp. im Hennegau seine Zahlungen eingestellt habe. Wir haben bei diesem Hause zehn tausend Franks stehn. Auf Walters Rath begab ich mich mich auf die Reise, um zu vernehmen, was von unserer Schuldforderung zu retten wäre. Ich kehrte zwei Tage nachher unverrichteter Sache zurück. Walter war verschwunden und aus einem Brief, den er auf dem Comptoir auf meinen gewöhnlichen Platz hingelegt hatte, vernahm ich seinen schnöden Verrath. Er ist nach Amerika abgereist, sagt er; aber bevor er diesen Schritt beschlossen, hat er die Wechsel, die wir besaßen, zu Geld gemacht; er hat unsre Kasse geleert, und läßt mich, ohne irgend welche Mittel bloßgestellt der zermalmenden Verantwortlichkeit eines betrügerischen Bankerotts; – denn Mutter, – Du wirst es nicht glauben können – Walter hat seit Monaten den schändlichen Schlag vorbereiten unsre Bücher verfälscht und ohne mein Wissen Wechselbriefe auf unsern gemeinschaftlichen Namen ausgegeben. – Seit diesem Morgen liege ich, das Herz voll Thränen und mit glühendem Gehirn über unsern Handelsbüchern. Ich kann Dir keine weiteren Erklärungen geben, liebe Mutter; es wäre zu weitläufig und für Dich doch unverständlich. Urtheile über meine Lage: bevor vier Tage vergangen sind, muß ich vierzigtausend Franks haben, oder ich werde als Bankerottier verklagt, von Gensdarmen arretiert und ins Gefängniß geworfen! Ich bin unschuldig: mein allzu großes Vertrauen ist die einzige Ursache meines Sturzes; aber ich habe, aus Uebereilung und unwissend, Papiere unterzeichnet, die mich, zum Scheine wenigstens, zum Mitschuldigen machen. Wird das Gesetz meine Rechtfertigung zureichend finden? Du aber, liebe Mutter; wirst doch überzeugt bleiben von meiner Unschuld, nicht wahr, und Du wirst Vater über diesen schrecklichen Verlust trösten? Ich weiß wohl, daß Dein liebevolles Mutterherz Mittel suchen wird, um mich zu retten; ja, daß Du nicht zögern würdest, und müßtest Du dazu die Armuth selbst annehmen, – aber es darf nicht sein, Gott sei mein Zeuge, daß ich es weder wünsche, noch verlange! Schon hast Du und Vater das Erbtheil Eurer Eltern mit Schulden belastet, um mir ein Handelskapital zu bilden: meine Schwester und mein armes Brüderchen verlieren, unschuldiger noch als ich, einen Theil des ihnen zukommenden Vermögens. Behalten behaltet das Uebrige; ich beschwöre Euch, bei meiner Ehrfurcht, bei meiner Liebe gegen Euch, macht sie nicht arm um meinetwillen! Der Gedanke, nach Amerika zu flüchten, fährt mir auch durch den Kopf; aber dann klebte die Schande für immer an mir und an dem Namen meines Vaters. Ich werde bleiben, noch Mittel zu finden suchen, um meinen endlichen Fall zu verzögern, – und kommt dann der gräßliche Augenblick, wohlan, in meiner Unschuld werde ich Herz und Auge zu Gott erheben und ergeben in mein bitteres Schicksal, auch ferner auf seine Gerechtigkeit hoffen.
Liebe Mutter, ich wagte nicht geradezu an meinen Vater zu schreiben; Du, die Du so gut trösten kannst, sei Du der Unglücksbote; der unerschöpfliche Schatz Deiner milden Seele wird Dir das Mittel eingeben, sein Herz gegen den zermalmenden Schlag zu wappnen.
»Ich selbst kann nicht kommen; Du wirst es begreifen, daß ich das Comptoir nicht verlassen darf; und außerdem muß ich rechnen, rechnen, laufende von Zahlen überschauen und vergleichen . . . Ach, könnt ich Dich umhalsen, Dich in die Arme drücken, Mutter! und Deine Stimme hören, ach, ich glaube, diese Wohlthat würde mich stark machen gegen den Schlag, der mich zerschmettern soll!
»Euer unglücklicher Sohn
Hugo.«
Die erschütterte Frau ließ den Kopf auf die Schulter ihrer Tochter fallen, legte den Arm um ihren Hals und weinte in der Stille mit ihr. Bald jedoch drängte Mutter Job ihre Thränen zurück und ergriff die Hand ihrer Tochter und fragte:
»Liebe Rosina, was sollen wir thun?«
»Kannst Du fragen?« rief Rosina. »Ach, der arme, der unglückliche Hugo, Du mußt ihn retten! Ihn retten!«
»Dreißigtausend Franks!« seufzte die Mutter. »Vielleicht ist die Brauerei und Alles, was wir noch besitzen, so viel nicht werth . . . Und Du, Rosina, und Engelbertchen und Dein Vater, Ihr würdet alle zusammen arm sein!«
»Gott, Gott, was schadet das!« rief das weinende Mädchen. »Nimm das diamantene Herz das ich von meiner Großmutter geerbt habe, nimm mein Gold, Alles, Alles; aber rette Hugo. Ach, ich bitte dich, Mutter, erlöse ihn von der gräßlichen Furcht!«
Die gerührte Mutter umarmte zärtlich ihre Tochter und sagte:
»Hab’ Dank, Rosina; das wird Dir Gott im Himmel lohnen. Deine edle Aufopferung macht mich stark. Ich werde ihn retten; es versuchen wenigstens; thun was ich kann. Käme nur Dein Vater bald. Ach könnte es ihm sein Schutzengel eingehen, daß seine Anwesenheit hier nöthig ist, um sein Kind von Schande zu erlösen! Aber ich darf nicht warten! Höre, Rosina, was ich thun will; ich werde zu Herrn Styns gehen, und ihn bitten, uns die dreißig tausend Franks auf unser Gut zu leihen. Hat er sie selbst nicht, so weiß er als Notar ohne Zweifel verfügbare Gelder auf Hypothek zu finden. Ohne Deinen Vater kann diese – Sache nicht endgültig abgeschlossen werden; aber Alles wird bei seiner Rückkehr bereit sein und mit einem Federstrich, mit einem Handzeichen von ihm, wird Hugo gerettet sein! O könnt es so geschehn, nicht wahr Rosina? Du siehst, wie fest und ruhig Engelbertchen schläft; er wird genesen; die Krankheit hat ihre Kraft verloren. Könnten wir das Geld finden, um Hugo vor dem drohenden Unheil zu bewahren, Alles würde noch gut gehn können. Wir würden sparen, arbeiten, uns Alles abdarben; und doch, mit Gottes Hilfe, stille durch die Welt gelangen . . . Sei nur getrost . . . Gabriel« nicht wahr? Acht das wird sich ganz leicht fügen, glaub’ mir . . . Bleib nur hier und wache bei unserm Engelchen, Rosina; laß nichts merken von der traurigen Nachricht. Ich geh zum Notar; hab; nur Muth, ich werde mit guter Botschaft zurückkehren.«
Sie ordnete in aller Eile etwas ihren Anzug, hing sich ein Tuch um die Schultern und verließ das Zimmer.
Die Sonne war schon längst aufgegangen; das machte der Mutter Job Hoffnung, daß sie den Notar schon in seinem Bureau antreffen würde. Mit leichtem Schritt und einer gewissen Freude im Herzen, lief sie über den Fußsteig, der sie zur Wohnung von Gabriels Vater führte. Manchmal jedoch schien ein plötzlicher Gedanke sie zurückzuhalten, und dann umdüsterte sich ihr Gesicht. Der Notarius war böse auf sie; er glaubte, daß Rosina Schuld hätte an Gabriels Verzweiflung und an seinem Verschwinden. Der Junge war wahrscheinlich noch nicht zurückgekehrt: Sollte Herr Styns in seinem Kummer, in seinem Aerger, ihre Bitte nicht abschlagen? Aber dann waffnete sich die muthige Frau mit Entschlossenheit und suchte sich selbst von der herzlichen Güte des Notars zu überzeugen. Er würde sich ihrer frühern Freundschaft erinnern, Mitleiden haben mit ihrem Schmerz und ihr selbst unter einigen Aufopferungen behilflich sein. Auf diese Weise in ihrem eigenen Herzen Stärke suchend, klopfte Mutter Job an die Thür der Wohnung von Herrn Styns und wurde wirklich sogleich vorgelassen.
Als der Notar sie hereintreten sah, stand er überrascht von seinem Schreibpult auf und sah sie mit ärgerlicher Ungeduld an.
»Seht, Mutter Job,« sprach er, »ich muß nun selbst meine Akten abschreiben und habe nicht viel Zeit. Leicht kann ich errathen, warum Ihr mich besucht. Es ist möglich, daß Gabriel sich geirrt hat; gleichwohl will ich von seiner Heirath mit Rosina nichts mehr hören. Mein Beschluß ist gefaßt, spart Euch daher vergebene Mühe.«