Kitabı oku: «Das Feuer», sayfa 2
Unsere Berufe? Auch so ziemlich alles durcheinander. In früheren Zeiten, als man sich noch einer sozialen Stellung erfreute und man seine Zukunft in diese verregneten und beschossenen Maulwurfslöcher, die man immer wieder neu aufscharren muss, noch nicht vergraben hatte, damals waren wohl die meisten von uns Ackersleute und Arbeiter. Lamuse war Knecht, Paradis Fuhrmann; Cadilhac, dem der Kinderhelm auf seinem spitzen Schädel wackelt gleich einer Kuppel auf einem Kirchturm, wie sich Tirette ausdrückt, Cadilhac ist Grundbesitzer; Papa Blaire war Pächter in der Brie; Barque dagegen war Laufbursche und vollbrachte auf seinem Dreirad akrobatische Kunststücke, sich zwischen Pariser Trambahnen und Taxametern durchschlängelnd, wobei er, nach seiner eigenen Aussage, auf den Strassen und Plätzen den bestürzten Hühnerstall der Fussgänger in ganz hervorragender Art anbrüllte; Korporal Bertrand, der sich stets schweigsam und korrekt ein wenig abseits hält, mit seinem regelmässigen und exakt zugeschnittenen Gesicht, mit seinem schönen, wagerechten und mannhaften Blick, war Werkmeister in einer Röhrenfabrik. Tirloir bepinselte Kutschen, ohne zu murren, wie versichert wird. Tulacque hatte eine Weinpinte an der »barrière du Trône« und Eudore, der bleiche und sanfte Eudore führte an einer Landstrasse unweit von der jetzigen Front eine Wirtschaft; sie hat unter den Geschossen sehr gelitten – natürlich, denn, wie bekannt, hat Eudore kein Glück. Mesnil André, der noch die letzten Spuren von Zivilisation aufzuweisen hat und seine Haare pflegt, verkaufte Natron und garantiert unfehlbare Mittel (an einem grossen Platz); sein Bruder Joseph verkaufte Zeitungen und illustrierte Romane in einem Bahnhof der Staatseisenbahn, während Cocon, der Ziffermensch, fern von hier, in Lyon, hinter dem Ladentisch einer Eisenhandlung mit einer schwarzen Bluse und bleifarbenen, polierten Händen sich zu schaffen machte. Becuwe, Adolphe und Poterloo dagegen stiegen, wenn der Morgen graute, hinter dem armseligen Sternchen ihrer Laterne in die Kohlengruben des Nordens.
Und andere hat es noch, deren Berufe man immer wieder vergisst und die man miteinander verwechselt; und dann die Landstromer, die zehn Berufe zugleich in ihrem Ranzen führen, Pépin nicht zu vergessen, der zweifelhafte Pépin, der wohl nie einen Beruf gehabt hat (alles was man weiss, ist, dass er vor drei Monaten, nach seiner Wiederherstellung im Depot geheiratet hat, um … die staatliche Unterstützung der Wehrmannsfrauen zu beziehen).
Freie Berufe gibt es keine in meiner Umgebung. Lehrer sind Unteroffiziere bei der Kompagnie oder bei der Sanität. Im Regiment befindet sich ein Marist als Sergeant, dem Sanitätsdienst zugeteilt; ein Tenor ist Radfahrer beim Bataillons-Arzt; ein Advokat Sekretär des Obersten; ein Rentier Küchenkorporal bei der Verwaltungs-Kompagnie. Bei uns dagegen nichts von alledem; denn wir sind kämpfende Soldaten, wir; und während dieses Krieges werden die wenigsten unter den Intellektuellen, den Künstlern oder den Reichen ihr Gesicht an eine Schiesscharte vorgewagt haben, allerhöchstens im Vorbeigehen oder mit ein paar Streifen am Käppi.
Gewiss, man ist grundverschieden von einander.
Und doch sieht man einander so ähnlich.
Trotz Altersunterschiede, trotz verschiedener Herkunft, Bildung und Stellung, trotz alledem, was früher war und trotz der Abgründe, die uns einst von einander trennten, sind wir im grossen und ganzen einer wie der andere. Hinter einer rauhen Silhouette verbergen sich und zeigen sich die gleichen Sitten, die gleichen Gewohnheiten, der gleiche vereinfachte Mensch, der auf den Urzustand zurückgekommen ist.
Die gemeinsame Ausdrucksweise, jenes mit einigen Neubildungen aus der Werkstatt-, Kasernensprache und Dialekt gewürzte Gemisch verbindet uns wie eine Sauce jener gedrängten Ansammlung von Männern, die seit Monden Frankreich entleert, um sich im Nord-Osten anzustauen.
Und dann kettet uns hier das gleiche unwiderrufliche Schicksal aneinander, wo uns eine höhere Macht und das gewaltige Abenteuer auf die gleiche Stufe stellt. So muss man wohl nach Wochen und Monaten einer allgemeinen Aehnlichkeit unterliegen. Die schreckliche Enge des gemeinsamen Daseins, das uns aneinanderdrängt, passt uns gegenseitig an, verwischt alle Unterschiede, und jeder wird unwiderruflich davon angesteckt; so dass wir einander schliesslich ähnlich sehen, ohne dass man erst aus der Ferne zum Eindruck jener Gleichheit gelangte, aus einer Ferne, für die wir nur Staubkörnchen sind, die in der Ebene umhergetrieben werden.
*
Man hockt da und wartet; dann wird man müde vom hocken und steht auf. Beim Aufstehen aber quetschen einem die Gelenke wie gleitendes Holz oder alte Türangeln; in der Feuchtigkeit rostet der Mensch ein wie 's Gewehr, langsamer zwar, aber gründlicher. Und dann fängt das Warten wieder von vorne an, und man versucht es auf andere Weise.
Ein Warten ohne Ende ist der Kriegszustand. Man wird zur Wartemaschine. Augenblicklich wartet man gerade auf die Suppe. Dann kommen die Briefe an die Reihe. Doch jedes Ding zu seiner Zeit: erst wenn man mit der Suppe fertig ist, wird man an die Briefe denken. Und dann wird es irgend was anderes zum abwarten geben.
Hunger und Durst sind brennende Instinkte, die auf den Geisteszustand meiner Kameraden mächtigen Einfluss haben. Und da die Suppe auf sich warten lässt, werden sie ungehalten und murren. Das Bedürfnis nach Nahrung und Trank knurrt ihnen zum Mund heraus.
– Acht Uhr schon. Wo bleibt diese gottverdammte Brühe?
– Und mir brummt schon seit gestern zwölf Uhr der Magen, knurrt Lamuse, mit sehnsuchtsfeuchten Augen und weinroten Backen.
Von Minute zu Minute wächst der Missmut zu Erbitterung an.
– Plumet hat sich wohl meinen Lakritzensaft hinter die Binde gegossen, anstatt ihn herzubringen und liegt besoffen, weiss der Teufel wo.
– Das ist sicher und gewiss, meint Marthereau.
– Halunken, Ungezieferbagage! brüllt Tirloir, gemeine Bande alle mit einander, diese Ober-Faulpelze! Auf dem Ranzen liegen den ganzen Tag, hinter der Front und sich nicht einmal zur Zeit herschleppen können. Wenn ich Prinzipal wäre, ich wollte sie schön an unserer Stelle in die Schützengräben stopfen, und dran glauben müssten die bequemen Herrn! Erstens müsste jeder mal schmutzig werden und die Brühe kochen dürfen; d. h. wer dazu Lust hätte, versteht sich. Und dann …
– Pépère, der Schweinehund, schreit Coco, wird natürlich an der Bremserei schuld sein. Erstens tut er's mit Fleiss und zweitens kriegt man morgens den Satan nicht aus den Federn, das arme Kerlchen. Sechs Stunden Lauskapsel braucht er zum ausschnarchen, wie ein Milchsüppchen, und tags über liegt er auf der faulen Haut.
– Ich möcht ihm schon Feuer unter die Hosen zünden! schimpft Lamuse. Den wollt ich prompt aus den Federn jagen, wenn ich dabei wäre. Den Hirnkasten würd' ich ihm eintrommeln, an seinen Stelzen rausangeln sollte man ihn.
– Letzthin, sagt Cocon, hab ich's ausgerechnet: sieben Stunden siebenundvierzig Minuten hat er gebraucht vom Unterstand Nr. 31. Fünf gut gestampfte Stunden brauchst du, nicht mehr.
Cocon ist ein Zahlenmensch.
Er ist mit Gier ins Genaue-Dokumentiertsein vernarrt; überall steckt er wie ein Wiesel seine Nase hinein, ob es nicht nach Statistiken rieche, die er dann mit Ameisenfleiss anhäuft und jedem geduldigen Ohr als Schmaus anbietet. Augenblicklich fuchtelt er mit Zahlen herum wie mit einer Waffe und Wut verzerrt sein dünnes Gesicht, das aus lauter Dreiecken und Winkeln besteht, auf denen die zwei Kreise seiner Brillen ruhn.
Er steigt aufs Schiessbrett, das noch aus der Zeit stammt, als hier die vorderste Linie durchlief; dann streckt er seinen Kopf wütend über die Böschung; dabei sieht man im dünnen, kalten Lichtstreifchen, das über die Erde kriecht, die Brillengläser glänzen und auch einen Tropfen, der ihm wie ein Diamant an der Nase hängt.
– Und überhaupt mit dem Pépère, kein Wunder, so ein Spundloch; unglaublich, was er sich kiloweise Saft an einem Tag hinter die Binde giesst.
Der alte Blaire mistet seine Ecke. Man sieht, wie dabei sein dichter, weisslicher Schnurrbart zittert, der ihm wie ein weisser Kamm aus der Nase steht.
– Soll ich dir was sagen? Die Suppenmannschaft, das ist überhaupt der Typus eines Schweinetypus. Bei ihnen heisst's immer: scheiss drauf, leck mich am Arsch, Scheiss-Arsch und Compagnie.
– Auf dem Mist sind sie gewachsen, seufzt in tiefster Ueberzeugung Eudore, der der Länge nach mit halbgeöffnetem Mund wie ein Märtyrer auf dem Boden liegt und Pépin unentwegt betrachtet, der wie eine Hyäne hin- und herrennt.
Die hassgeschwängerte Erbitterung gegen die Verspäteten wächst von Minute zu Minute,
Tirloir, das Reklamierkaliber, kommt überhaupt nicht mehr zur Ruhe. Er ist in seinem Element und stupft die Wut der Kameraden mit kleinen, spitzen Gesten an:
– Wenn man wenigstens den Trost hätte, dass einem die Sache schmecken wird, aber die Schlampe, die du dir in den Schlauch stopfen sollst.
– Und gestern, ha! meint Tirette, den Braten, den sie gebracht haben; Schleifstein ist nichts dagegen! Rindsbeefsteak nennen sie das; hat sich was mit dem Veloschlauch. Den andern hab ich gesagt, sie sollten beim kauen aufpassen: beisst euch die Dominos nicht dran kaput, hab ich gesagt, wenn der Schumacher im Falle einen Nagel dran vergessen hätt.
Tirette, heisst es, sei Exregisseur einer Kinotruppe; sein ausgeschriener Witz hätte zu einer andern Zeit die Lachmuskeln gereizt; jetzt aber ist die Stimmung getrübt und auf den Witz antwortet nur ein allgemeines Knurren.
– Und dann pappen sie einem als Fleisch zur Abwechslung was Weiches in den Magen; sowas wie ungesalzner Schwamm, oder fades Senfpflaster; beim Essen hast du's Gefühl, es rutscht dir ein Viertel Liter Wasser den Schlauch runter.
– All das Zeug ist ohne Bestand, meint Lamuse, und hält nicht an im Magen. Und wenn du meinst, du bist voll, dann hast du doch 'ne leere Kiste; und dann kippst du allmählich um von wegen zu wenig Nahrung.
– Das nächste Mal, schreit Biquet, geh ich zum Alten und sag ihm: »Herr Hauptmann …«
– Ich, sagt Barque, meld mich bleich und sag zum Arzt: »Herr Major …«
– Und wenn du Wände einrennst, hast du nichts davon. Die sind sich doch alle einig, den Soldaten auszunützen.
– Unsre Haut wollen sie, alle, sag ich dir!
– Genau wie mit dem Schnaps. Das Recht drauf haben wir; irgendwo, wo weiss ich nicht, aber irgendwo, weiss ich bestimmt, ist drüber abgestimmt worden; nun sind wir schon drei Tage lang hier, und Schnaps! Hat sich was, mit Heugabeln schenken sie ihn uns ein?
– Hol's der Teufel.
*
– Endlich kommen die Fressalien! meldet einer der an der Biegung Auslug hielt.
– Höchste Eisenbahn!
Nun legt sich plötzlich wie verhext das fluchende Gewitter, und die Wut wandelt sich in Zufriedenheit.
Drei Leute Suppenmannschaft stellen, ausser Atem und schweisstriefenden Gesichtes, zwei grosse Kannen, eine Petrolkanne, zwei Tucheimer und an einer Stange aufgespiesste Kugeln auf die Erde. An die Grabenwand gelehnt, wischen sie sich mit ihren Taschentüchern oder ihren Aermeln den Schweiss von der Stirn. Dabei seh ich Cocon sich an Pépin lächelnd heranmachen; schon hat er die Beleidigungen, mit denen er ihn vorhin bedacht hatte, vergessen, und deutet auf eine jener Feldflaschen, die dem Pépère wie ein Rettungsgürtel um den Bauch hängen.
– Was gibt's zu futtern?
– Da steht's, antwortete ausweichend der zweite Träger.
Die Erfahrung nämlich hatte ihn gelehrt, dass die Ankündigung des Speisezettels stets eine bittere Enttäuschung hervorruft.
Er schimpft auch deshalb, ohne noch seinen vollen Atem gefunden zu haben, über den langen und schlechten Weg, den er soeben zurückgelegt hatte: »Ueberall liegen sie herum wie die Beduinen, man kommt kaum durch. Dünn wie Zigarettenpapier müsste man sein, manchmal, um sich durchzuquetschen …« »Und dabei hat's noch welche, die meinen, bei der Küchenmannschaft seien sie alle Drückeberger.« Dagegen behaupte er, tausendmal lieber im Schützengraben zu arbeiten oder auf dem Wachtposten zu stehn, als dies elende Handwerk zweimal in der Nacht und zweimal am Tag ausüben zu müssen.
Paradis hat die Deckel der Kannen gelüftet und den Inhalt untersucht:
– Oelbohnen, gekochtes Leder und Schlamm; das ist alles.
– Gottverdammich! Und wo bleibt der Wein? brüllt Tulacque und trommelt die Kameraden zusammen.
– Da schaut her! So was geht über's Bohnenlied! Nicht mal Wein haben sie gebracht.
Sie laufen alle zusammen und schneiden lange Gesichter; denn ihre Gaumen sind ausgetrocknet.
– Scheissbande! rufen die Leute, tief bis in die Eingeweide hinein enttäuscht.
– Und da drinnen, was hat's da drinn? meint einer der Träger, noch immer krebsrot und nass vom Schweiss, und deutet mit dem Fuss auf eine Kanne.
– Ja so, sagt Paradis, ich habe mich getäuscht, also doch Wein.
Drauf zuckt der Träger mit den Achseln und wirft ihm einen Blick grenzenloser Verachtung zu und sagt: Setz dir Kuhbrillen vor die Augen, wenn du blind bist.
Dann fügt er hinzu:
– Ein Viertelliter pro Mann … kann sein, dass es nicht ganz reicht, 's ist mir nämlich im Wald so'n Rindvieh dran gestossen, dabei ist ein Tropfen rausgespritzt … Dann fügt er aber schnell hinzu: wenn ich nicht beide Hände voll gehabt hätte, hätt ich dem Kerl den Absatz in den Bauch gesteckt, sag ich, ja wohl! Aber die vierte Geschwindigkeit hat er eingeschaltet, das Kamel!
Trotz dieser energischen Versicherung, macht er sich schleunigst auf die Socken, verfolgt von den beleidigenden Anspielungen, die die andern seiner Ehrlichkeit und seiner Temperenzlerseele nachwerfen und auch von den Verwünschungen, die die eingestandene unvollständige Ration auslöst.
Nichtsdestoweniger stürzt man sich auf die Nahrung, und sie essen stehend, kauernd, knieend, auf einer Kanne hockend oder auf einem Tornister, der aus dem Schlafloch gezogen wird; andre liegen auf dem nackten Boden, den Rücken in der Erde vergraben; die Vorübergehenden aber stören sie und man flucht sich gegenseitig an. Ausser diesen fluchenden Bemerkungen spricht keiner etwas, denn das Essen nimmt sie völlig in Anspruch; dabei trieft der Mund von Fett wie der Verschluss der Gewehre.
Nun ist alles zufrieden.
Nach einer Weile aber ruhn die Kiefer aus; dann werden Zoten aufgetischt. Alles fuchtelt mit den Armen durcheinander und jeder überschreit den Nachbar und hastet nach der günstigen Gelegenheit, seinen Witz anzubringen. Und Farfadet lächelt, Farfadet, der zerbrechliche Mairie-Beamte, der zu anfang den Anstand wahrte und sich putzte, dass man ihn für einen Fremden oder einen Rekonvaleszenten hielt. Lamuse aber zieht sein flixendes Maul bis hinter die Ohren und seine Augen blinzeln freudetriefend; wogegen das rote Gesicht von Poterloo strahlt und glänzt wie eine Pfingstrose; die Runzeln des alten Blaire zittern vor Ausgelassenheit; er ist aufgestanden, streckt die Nase vor und schüttelt seinen dünnen Leib, der wie ein Stiel für seinen mächtigen, hängenden Schnurrbart aussieht; ja selbst der arme Cocon hat ein Fünkchen Heiterkeit auf seinem kleinen Runzelgesicht.
*
– Ja und … der Schlamm, wird der nicht gewärmt? fragt Becuve.
– Womit nur? Blas drauf, vielleicht kriegt er Hitze davon.
– Lasst mich nur machen. Ich weiss schon, wie das zu drechseln ist; wahrlich, keine Hexerei; macht ihr mir nur einen kleinen Herd mit den Käsmesserscheiden zurecht; ich geh derweil Späne holen mit meinem Messer; werdet schon sehn … Mit diesen Worten macht er sich auf die Holzsuche.
Die andern rollen sich Zigaretten oder stopfen ihre Pfeife, solang der Kaffee kocht.
Hierzu zieht ein jeder seinen Tabakbeutel heraus, seinen Leder- oder Kautschukbeutel, den er beim Krämer gekauft hat; das leisten sich nur die wenigsten; Biquet holt seinen Tabak aus einem Strumpf hervor, dem er dann mit einer Schnur den Hals würgt. Die meisten gebrauchen als Tabaktasche die Wattesäckchen der Gasmasken. Sie sind aus wasserdichtem Stoff hergestellt und eignen sich vorzüglich zum Aufbewahren des Knasters. Andere aber bergen ihren Tabak einfach in den Tiefgründen ihrer Manteltasche.
Die Raucher spucken im Kreis herum gerade auf den Eingang des Unterstandes zu, in dem das Gros des halben Zuges haust und überschwemmen mit gelber Nikotinspucke gerade die Stelle, wo man auf Händen und Knieen ein- und auskriecht.
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Ein Brief, den Marthereau von seiner Frau erhalten hat, bringt das Gespräch auf die Lebensmittelfrage.
– Meine Alte hat mir geschrieben, sagt Marthereau. Wisst ihr, was ein leibhaftiges Mastschwein kostet, jetzt?
… Die volkswirtschaftliche Frage artet in einen heftigen Streit zwischen Pépin und Tulacque aus.
Die endgültigsten Worte sind ausgetauscht worden, und schliesslich meint einer:
– Mir doch Wurst, was du sagst und was du nicht sägst. Halt's Maul!
– Wenn's mir passt, Scheisskerl!
– Ein drei Liter-Krug möcht dir s'Maul zufrieden stellen!
– Ja, und wo hast du den?
– Komm nur her, komm her doch!
Sie sind schäumend vor Wut und rücken zähneknirschend aufeinander los. Tulacque fasst sein prähistorisches Beil und seine zweideutigen Augen werfen Blitze von sich. Der andere steht da, bleich, mit grünlichem Auge und dreckiger Fratze und denkt offensichtlich an sein Messer.
Lamuse aber, mit blutrotem Gesicht streckt seine friedliche Hand, dick wie ein Kinderkopf, zwischen beide Männer, die sich mit den Blicken auffressen und mit Worten zerfleischen.
– Langsam, langsam, Kinder; ihr werdet euch doch nicht in Fetzen hauen; 's wär, weiss Gott, schade drum.
Dann treten auch die anderen dazwischen und die beiden Gegner werden von einander getrennt. Beide aber werfen sich über die Kameraden hinweg wütende Blicke zu.
Pépin spuckt noch seine letzten Flüche aus mit giftigem und schnaubendem Tonfall:
– Der Apache, der Halunke, der Stromer! Nur abwarten, ich werd's ihm schon heimzahlen!
Seinerseits vertraut sich Tulacque dem Soldaten an, der neben ihm steht:
– Der Lumpenkerl! Hast du ihn gesehn? Weisst du, richtig ist das schon: man verkehrt hier mit allerlei Kerlen und weiss nicht, woher das Pack alles herkommt. Man kennt einander und kennt einander eben doch nicht. Aber wenn der die grosse Schnauze haben will, so ist er an die richtige Adresse geraten: ich werde sie ihm dieser Tage schon mal demolieren, nur Geduld.
Während dann die Unterhaltung allgemein wieder in Gang kommt und sie das aussterbende Doppelecho übertönt, sagt Paradis zu mir:
– Also alle Tage; gestern wollte Plaisance ums Verrecken dem Furnex auf die Schnauze geben, weiss der Teufel weshalb, wegen Opiumpillen oder so was. Und wenns der eine nicht ist, dann ist es der andere. Wird man hier wirklich zum Stück Vieh, weil man äusserlich danach aussieht?
– Gott, das sind doch alles keine seriösen Leute, meint Lamuse, Kinder sind sie alle.
– Na, ja, 's wären doch sonst keine Männer.
*
Der Tag ist unterdessen vorgeschritten. Ein wenig mehr Licht sickert durch den Dunst auf die Erde; aber der Himmel bleibt bewölkt und jetzt schmilzt er zu Wasser. Der feuchte Dunst fällt in dünnen Fäden auf das Land. Es sickert Feuchtigkeit. Der Wind streicht über uns seine grosse nasse Leere mit verzweifelnder Trägheit. Unterm Nebel und den feuchten Tropfen weicht alles auf und wird grau: sogar der Möbelstoff, den sich Lamuse über die Backen zieht, und die gelbe Schale in der Tulacque steckt; und das Dunstwasser löscht in uns die helle Freude, die die Mahlzeit angefacht hatte. Der Himmel hat sich auf die Erde gedrückt, und so lehnt sich das Feld der Trübsal an den Acker des Todes.
Und man steht da wie angewachsen und ohne Beschäftigung. Heute wird das Ende des Tages wieder kaum zu erreichen und der Nachmittag schwer zu erwürgen sein. Man schlottert; alles ist ungemütlich und man drückt sich von Stelle zu Stelle, wie eingepferchtes Vieh.
Cocon erklärt seinem Nachbarn die Anlage und die Verquickung unserer Schützengräben. Er hat einen Hauptplan gesehen und sich darnach manches ausgerechnet. Der Sektor des Regimentes begreift fünfzehn Linien französischer Schützengräben; die einen stehen leer; das Gras ist wieder drüber gewachsen und sie sind fast wieder mit Erde ausgefüllt; die anderen werden andauernd offen gehalten und sind gespickt mit Menschen. Diese Parallelgräben sind verbunden durch unzählige Verbindungsschläuche, die sich durch die Erde winden wie alte Gassen. Das Grabennetz ist bedeutend dichter, als wir glauben, wir, die wir selbst drin leben. Auf die fünfundzwanzig Kilometer Breite, die die Front der Armee ausmachen, kommen tausend Kilometer Gräben; Schützengräben, Verbindungsgräben, Sappen. Und das französische Heer hat zehn Armeen. Es sind demnach auf französischer Seite rund zehntausend Kilometer Gräben zu rechnen und ebensoviel auf deutscher Seite … Und die französische Front ist ungefähr nur der achte Teil der ganzen Kriegsfront, die sich über die Erde erstreckt.
So spricht Cocon und schliesst seine Rede mit der Bemerkung:
– Kannst Dir nun ausrechnen, was unsereins in der ganzen Geschichte vorstellt …
Der arme Barque senkt das Haupt. Er hat das bleichsüchtige Gesicht eines Vorstadtkindes, und seine roten Schnauzhaare lassen es noch blasser erscheinen. An seinem Schädel aber sitzt ein Haarbüschel wie ein geschwungener Apostroph.
Bei Gott, wenn man's überlegt, dass ein oder sogar mehrere Soldaten in diesem Haufen rein nichts, weniger als nichts bedeuten, dann kommt man sich wie verloren und verwischt vor, wie ein paar Tropfen Bluts in diesem sündfluthaften Durcheinander von Menschen und Dingen.
Barque seufzt und verstummt – und dann hört man eine Geschichte, die einer in dieser Lautlosigkeit halbleise erzählt:
– Er war mit zwei Pferden gekommen. Pssiiii … eine Granate. Dann blieb ihm nur noch das eine Pferd …
– Man vergeht vor Langeweile, sagt Volpatte.
– Man muss durchhalten, murrt Barque.
– Wofür? fragt Marthereau, skeptisch.
– Es braucht keinen Grund, man muss einfach.
– Es hat auch keinen Grund, versichert Lamuse.
– Freilich hat's einen, sagt Cocon. Und zwar … es hat sogar mehrere …
– Klappe zu! Es ist besser, es hat keinen, da man nun doch mal aushalten muss.
– Und wenn ich's euch sage, knurrt Blaire, der keine Gelegenheit verpasst, seinen Vers aufzusagen: und wenn ich's euch sage, dass sie unsre Haut wollen!
– Anfangs, sagt Tirette, hab ich über allerlei nachgedacht, ich studierte, ich berechnete: jetzt denk ich überhaupt nicht mehr.
– Ich auch nicht.
– Ich auch nicht.
– Ich, ich hab's überhaupt nie versucht.
– Du bist doch nicht so dumm, wie du aussiehst, du Wanzenfratze, meint Mésnil André mit seiner spöttischen Fistelstimme.
Der andere, der nicht weiss, ob er sich geschmeichelt fühlen soll, führt weiter aus:
– Erstens, wissen kannst du überhaupt nichts.
– Es genügt dies eine zu wissen, nämlich dass die Deutschen im Land sind, eingewurzelt, und dass ihnen die Passage versperrt bleiben muss und dass man sie das eine oder das andere Mal – und zwar so schnell als möglich vor die Türe setzen muss, sagt Korporal Bertrand.
– Freilich, freilich, was denn sonst? 'S hat gar keinen Wert, sich weiter den Gehirnschmalz anzustrengen. Nur dauert die Geschichte ein wenig lang.
– Ha! ruft Fouillade aus, schon ein bischen lang!
– Ich, sagt Barque, ich fluche nicht mehr. Anfangs hab ich über alles geflucht, über die hinter der Front, über die Zivilisten, über die Bürger, über die Drückeberger. Geschimpft hab ich, das stimmt, aber es war am Anfang, da war ich noch jung. Jetzt seh' ich die Geschichte von der besseren Seite an.
– Es gibt nur eine Seite, die Dinge zu nehmen: man nimmt's, wie's gerade kommt.
– Verdammt! Es wäre sonst zum verrückt werden. Man wird schon so blöd genug, meinst du nicht, Firmin?
Volpatte nickt zustimmend mit dem. Kopf, völlig überzeugt, spuckt und betrachtet seine Spucke starren und nachdenklichen Blickes
– Weiss der Teufel, bestätigt Barque.
– Nur nicht lange nachgrübeln hier; in den Tag hineinleben, von Stunde zu Stunde, wenn du's fertig bringst.
– Freilich, freilich, du Affe; machen, was man einem sagt, bis man uns sagt, dass wir gehn können.
– So ist es, gähnt Mesnil Joseph.
Die verbrannten, lohfarbnen und staubdurchsetzten Gesichter stimmen zu und verstummen. Das ist allerdings die Meinung jener Männer, die vor anderthalb Jahren, aus allen Ecken und Enden ihr Heim verlassen haben, um sich an der Grenze anzuhäufen: sie verzichten drauf, irgend etwas zu verstehn, sie verzichten auf sich selbst und hoffen, dem Tod zu entgehn und wehren sich um ein möglichst erträgliches Dasein.
– Machen was man einem sagt, schon recht, aber wehren muss man sich doch gegen den Scheissdreck, meint Barque, der mit dem Fuss den Kot zerreibt.
*
– Das musst du freilich, bestätigt Tulacque. Wehrst du dich nicht selber, so tut's keiner für dich, hab nur keine Bange.
– Den haben sie noch nicht erfunden, der sich um die andern kümmert.
– Jeder für sich, heisst es im Krieg!
– Freilich, freilich.
Dann wieder ein Schweigen. Dann malen sich jene Männer in ihrer Armseligkeit die glücklichen Zeiten aus.
– Es war doch was anderes, das schöne Leben damals in Soisson, meint Barque.
– Gottverdammich!
Und wie der Schimmer eines verlorenen Paradieses leuchtet es in ihren Augen auf und scheint auf den von der Kälte geröteten Gesichtern zu liegen.
– Jawohl, das Schlemmerleben, seufzt Tirloir, der sich kratzte und plötzlich in Gedanken versunken damit aufhört; dann schaut er ins Weite durch die Erde des Grabens hindurch.
– Herrgott! diese fast ausgestorbene Stadt, die, hol's der Teufel, unser war; die Häuser mit den Betten …
– Und die Schränke!
– Und die Keller!
Dem Lamuse kommen bei diesen Gedanken die Tränen in die Augen, sein Gesicht strahlt wie ein Blumenstrauss und es wird ihm schwer ums Herz.
– Seid ihr lange dort geblieben? fragt Cadilhac, der seither mit dem Zuschub der Auvergnaten hinzugekommen ist.
– Mehrere Monate …
Nun flammt in der Erinnerung an jene Zeit des Ueberflusses das Gespräch wieder auf.
– Man sah, erzählt Paradis wie im Traum, Soldaten sich hinter die Häuser drücken nach dem Quartier, zurückkommen mit Hühnern auf dem Bauch und unter jeder Flosse ein Kaninchen, das sie sich von einem Bürger oder einem Frauenzimmer gepumpt hatten, ohne den Bürger oder das Frauenzimmer jemals gesehn zu haben, oder wiederzusehn.
Und sie denken an den vergangenen Genuss, den ihnen früher ein Huhn oder ein Kaninchen bereitet hatte.
– Es gab auch Zeug, wofür man blechte. Die Moneten liess man nämlich auch tanzen, denn man war damals noch bei Kasse.
– Zu Hunderttausenden sind die Franken in die Läden gehüpft.
– Jawohl, millionenweise. Den ganzen Tag, sag ich dir, das ging nur so, machst dir gar keinen Begriff; wie 'n überirdisches Fest war das.
– Glaub's oder glaub's nicht, sagt Blaire zu Cadilhac, aber was bei der ganzen Schlemmerei, wie überall, wo du hinkommst, am meisten fehlte, das war das Feuer. Nachlaufen musste man ihm, nachschnüffeln, kurz, man hat sich's verdienen müssen. Herrgott, was man bloss dem Feuer nachgelaufen ist! …
– Wir, wir waren im Quartier der Verwaltungstruppen; Küchenchef war der lange Martin César. Der hatte eine Nase, sag ich dir, für's Holz ausfindig machen.
– Teufel, ja! Das war ein feines Luder. Da kann man nicht dran tippen, der hatte das Zeug los!
– Immer hatte der Feuer in der Küche, wenn ich dir sage. Ueberall liefen Küchenchefs rum in der ganzen Stadt und plärrten, weil sie weder Holz noch Kohle fanden; er – immer hatte er welches. Und wenn nichts mehr da war, da sagte er einfach: »Nur Geduld, ich werde die Sache schon deichseln.« Und lange hat er nie gesucht.
– Manchmal allerdings war's schon toll. Das erste Mal, wo ich ihn gesehn habe in der Küche, weisst du womit er den Braten gekocht hat? Mit einer Geige, die er im Haus aufgestöbert hatte.
– Gemein ist das schon, meint Mésnil André. Gewiss, eine Geige, was die Nützlichkeit betrifft, ist ja schon wenig bedeutend, aber ich meine doch …
– Anderemale hat er Billardstöcke gebrannt. Zizi hat sich gerade noch einen mausen können, um einen Stock draus zu machen. Das übrige flog ins Feuer. Dann kamen so allmählich die Sessel dran aus der guten Stube, die waren aus Mahagoni. Sie haben sie nachts abgemurkst und zerhackt, weil ein Offizier hätte schnauzen können.
– Starkes Stück ist das schon, sagt Pépin … Wir haben an einem alten Möbel zwei Wochen zu feuern gehabt.
– Warum kriegt man auch rein nichts? Da soll man Suppe kochen, aber Holz kriegst du keines und Kohlen kriegst du keine. Und nach der Verteilung stehst du da mit deinen leeren Flossen vor dem Fleischhaufen, und die andern stehen rum und feixen dich aus, bis sie dich schliesslich anschnauzen. Und dann? …
– Da können wir nichts dafür.
– Schnauzten die Offiziere nicht, wenn man Radau machte?
– Die, die hielten sich den Bauch vor lachen, und wie! Weisst du noch, Desmaisons, der Leutnant Viroin, wie der mit dem Beil die Kellertüre einhaute? Und wie der Soldat ihn gesehn hat, wie ihm da der Leutnant die Tür zum kleinhauen gegeben hat, dass er nichts weiter erzählen sollte.
– Und der arme Saladin, der Verwaltungsoffizier: sie haben ihn abends aus einem Kellerloch kriechen sehn mit zwei Pullen Weissem unter jedem Arm, wie so 'ne Amme mit vier Säuglingen. Aber wie sie ihn gesehn haben, da musste er wieder runter in die Pullenmine und den andern welche verteilen. Und wie Korporal Bertrand, der sich Prinzipien leistet, keinen davon hat trinken wollen. Ah! das weisst du noch, du Schweinswürstchen, du!
– Und wo ist jetzt der Koch, der immer Holz zum feuern hatte? fragte Cadilhac.
– Tot ist er. Eine Granate ist ihm in den Kochtopf geflogen. Gemacht hat's ihm nichts, aber gestorben ist er doch; vor Schreck nämlich, wie er gesehn hat, dass die Makkaroni die Beine in die Luft streckten. Herzkrampf hat der Arzt gesagt. Er hatte nämlich ein schwaches Herz; nur das Holz ausfindig machen, das war seine Stärke. Man hat ihn auch anständig begraben. Mit den Parkettbrettchen aus einem Zimmer hat man ihm den Sarg gezimmert. Die Nägel haben sie genommen aus den Gemälden, die im Haus hingen, und haben sie mit Backsteinen eingeschlagen. Und wie sie ihn fortgetragen haben, da hab ich mir gesagt: »Sein Glück, dass er tot ist, wenn er das wüsste mit den Parkettbrettchen, dass er nicht an die gedacht hatte für's feuern, darüber hätte er sich nicht mehr trösten können.« Eine Nummer war's doch, der verdammte Kerl!