Kitabı oku: «Das Feuer», sayfa 6
– Sag mal, Kleiner, komm mal bisschen her, sagt Cocon und nimmt den Kleinen zwischen die Knie. Horch mal zu: Nicht wahr, dein Vater sagt: »Wenn nur der Krieg noch lange dauert,« nicht?
– Freilich, antwortet das Kind und nickt mit dem Kopf, weil man dann reich wird. Er hat gesagt, dass wir Ende Mai fünfzigtausend Franken verdient haben werden.
– Fünfzigtausend! Das ist nicht wahr!
– Doch, doch! stampft der Kleine, Er hat's zur Mutter gesagt; dem Vater wär's recht, wenn's immer so weiter ging. Der Mutter ist es manchmal nicht recht, weil mein Bruder Adolf an der Front ist. Aber wir werden ihn zurückstellen lassen und dann kann der Krieg schon noch dauern.
Kreischendes Gezanke von der Wohnung unseres Wirtes her macht diesem Geständnis ein Ende. Der bewegliche Biquet geht, Erkundigungen über das Gekreische einzuziehn.
– 's ist nichts, sagt er zurückkehrend. Nur der Alte, der schnauzt die Alte an, weil sie kein Geschick hat, sagt er, weil sie den Senf in ein Weinglas giesst, so was sei nicht zum glauben, sagt er.
Dann steht man vom Tisch auf und verlässt das Erdloch, in dem die drückende Luft nach Pfeifenqualm, Wein und abgestandenem Kaffee riecht. Beim Ueberschreiten der Schwelle fährt uns eine drückende Hitze entgegen, die noch ein Schmalzgeruch beschwert, wenn die Küchentüre aufgeht.
Unzählige Fliegen summen in der Luft, kleben in schwarzen Schichten an den Mauern und fliegen, wenn man vorbeigeht, in brummenden Schwärmen auf.
– Es ist wieder wie letztes Jahr! … Draussen die Fliegen, drinnen die Läuse …
– Und im Innern die Bazillen.
In diesem schmutzigen, kleinen Haus mit dem angehäuften alten Krimskrams und den staubigen Ueberresten aus der vergangnen Jahreszeit, mit der Asche erloschner Sonnen, kriecht durch die Möbel und die Gerätschaft ein Etwas umher: ein altes Männchen mit langem, abgeschältem Hals, rauh und hellrot, der an eine kranke, gerupfte Hühnerkehle mahnt. Der Alte hat auch das Profil einer Henne, eine lange Nase, unter der das Kinn fehlt. Der graue Filzfleck seines Bartes sitzt in der Höhlung seiner eingefallnen Wange, und ein Paar dicke, runde und hornige Augenlider öffnen und schliessen sich wie zwei Deckel über der blinden Glasur seiner Augen.
Barque hat ihn schon beobachtet.
– Guck her, er sucht: einen Schatz. Er behauptet, es sei einer versteckt in dieser Spelunke, in der er den Schwiegeralten spielt. Mit einem Mal siehst du ihn auf allen Vieren kriechen und mit seinem alten Käsestummel in allen vier Ecken herumschnüffeln. Da! Guck hin!
Der Alte nahm mit seinem Stock eine systematische Untersuchung vor. Er klopfte den Wandsockel und die Bodenkacheln ab, wurde dabei durch die vorbeigehenden Hausbewohner angerempelt und auch durch den Besen Palmyrens, die ihn gewähren Hess in der offensichtlichen Ueberzeugung, dass die Ausbeutung des armen Publikums ein besserer Schatz sei als märchenhafte Schatullen.
Zwei Klatschbasen standen in einer Fensternische und erzählten sich Geheimnisse neben einer alten Karte Russlands, auf der die Fliegen scharenweise klebten.
– Ja, ja, schnatterte die eine, aber mit dem Picon muss man aufpassen. Wenn Ihnen beim Einschenken die Hand zu schwer wird, kriegen Sie die sechzehn Gläser pro Flasche nicht raus und dann kommen Sie mit dem Verdienst zu kurz. Ich meine nicht, dass man noch aus dem Geldsack drauflegen müsste, aber immerhin mit dem Verdienst kommt man doch zu kurz. Man müsste sich eben unter Verkäufern verständigen, aber das ist so schwer, sogar wenn's im allgemeinen Interesse ist!
Draussen brennt eine höllische Sonne mit unheimlich viel Fliegen. Die Viecher waren vor einigen Tagen noch selten, aber seither hört man überall das Gesumme ihrer winzigen und unzähligen Motore. Ich gehe mit Lamuse ein wenig spazieren; wir schlendern durch die Strassen. Heute wird man Frieden haben; denn heute ist vollständiger Ruhetag wegen des nächtlichen Marsches. Man könnte auch schlafen, aber es ist vorteilhafter, die Zeit zum ungebundenen Spazierengehn auszunützen; morgen wird man wieder ins Exerzieren und in den Quartierdienst eingespannt werden …
Wir sind allerdings nicht die Unglücklichsten, denn andere sind heute schon ins Räderwerk des Quartierdienstes eingeschraubt worden.
Lamuse fragt den Corvisart, ob er mit bummeln geht aber Corvisart antwortet, und beklopft dabei die Fläche seiner kleinen, runden Nase, die ihm wie ein Pfropfen wagrecht im Gesicht sitzt:
– Ich kann nicht, hab Besengarde!
Er zeigt dabei Schaufel und Besen, mit denen er an den Mauern entlang, über eine Giftluft gebückt, den Beruf eines Strassenkehrers und Kehrichtsammlers ausübt.
Wir gehen lässigen Schrittes weiter. Der Nachmittag liegt schwer auf der schlummernden Landschaft und drückt den vollen und reichlich mit Nahrung ausgestopften Magen. Man wechselt hie und da ein Wort.
Nicht weit von uns werden Schreie laut: Barque reisst sich mit einer Menagerie von Hausfrauen herum … und ein bleiches Mädchen mit Haaren, die wie Pinselfasern auf dem Hinterkopf gebunden sind, und mit einem Fieberausschlag. um den Mund, hört der Zankerei zu. Sonst sind noch andere Frauen zugegen, die im schmalen Schatten vor ihren Türen sitzen und irgend eine fade Näharbeit verrichten.
Sechs Leute marschieren mit einem Unteroffizier vorüber. Sie sind mit neuen Mänteln und mit neuem Schuhwerk hoch beladen.
Lamuse betrachtet seine geschwollnen und zerschundenen Schuhe:
– Unbedingt! Ich muss ein Paar neue Ruderboote haben, bald siehst du meine Klauen durch … Ich kann doch nicht auf nackten Flossen rumlaufen, oder?
Ein Flugzeug schnurrt. Man sieht ihm nach, das Gesicht nach oben, mit verrenktem Hals und wässrigen Tränen, die einem die knallhelle Sonne aus den Augen beisst. Als unsre Blicke aber wieder auf der Erde waren, erklärte Lamuse:
– Da kommt niemals was praktisches raus bei diesen Maschinen, nie.
– Wie kannst du so was behaupten! Man hat doch derartige Fortschritte gemacht, in so kurzer Zeit …
– Schon wahr, aber weiter geht's nicht. Besser als jetzt kann man's doch nicht machen.
Ich kämpfte diesmal gegen den vernagelten Widerstand, den die Unwissenheit jedesmal dem vielversprechenden Fortschritt entgegenstellt, nicht weiter an, sondern lasse meinen dicken Kameraden in seiner Meinung beharren, mag er glauben, dass die ausserordentliche Anstrengung der Wissenschaft und der Industrie plötzlich in seinem Hirn ihre Grenze findet.
Nachdem er mir aber seine innersten Gedankengeheimnisse anvertraut hat, fährt er fort und sagt gesenkten Hauptes, ganz nahe an mich herantretend:
– Weisst du, dass Eudoxie hier ist?
– So! machte ich.
– Jawohl. Du siehst auch gar nichts, du. Ich hab sie gesehn (und dabei lächelt er gnädig), verstehst du jetzt: wenn sie hier ist, so ist's, weil sie sich für einen interessiert, nicht? Sie ist uns nachgegangen wegen einem von uns, zweifellos.
Dann fährt er fort:
– Soll ich dir was sagen? Wegen mir ist sie gekommen.
– Bist du sicher, Alterchen?
Ja, klang es dumpf aus dem Munde des Stierkerls. Erstens will ich sie haben. Und zweitens hab ich sie zweimal ertappt, wie sie gerade dort durchging, wo ich, ich alleine, auch durchging, verstehst du? Und wenn du mir auch sagst, sie sei dann weggelaufen, schon, aber sie ist eben elend schüchtern, und wie! …
Er pflanzte sich mitten auf die Strasse und schaute mich scharf an. Sein derbes Gesicht mit dem fetttriefenden Backenpaar und der dicken Nase schaute ernst drein. Dann glättete er seinen sorgsam gedrehten, dunkelgelben Schnurrbart mit der wulstigen Faust und fuhr in seinen Herzensergiessungen fort:
– Ich will sie haben, und zwar würd ich sie schon heiraten. Sie heisst Eudoxie Dumail. Früher dachte ich nicht dran, sie zu heiraten. Seit ich aber ihren Familiennamen weiss, ist das eine ganz andre Sache, jetzt ging's schon. Verdammt schön ist das Weib; und nicht einmal deswegen … Ha! …
Dem dicken Kerl floss das Herz über und es schüttelte ihn ein Gefühl, das er mir in Worten auszudrücken versuchte.
– Ich sag dir, manchmal musste man mich mit Zangen zurückhalten, sagte er, indem er ein ernstes Gesicht machte, die Worte mit der Faust herausklopfte und ihm das Blut in den Nacken und in's Gesicht schoss. So schön ist sie, sie ist … Und ich bin … Sie ist so ganz anders – hast du's gemerkt, du merkst doch alles, du –. Es ist allerdings mir ein Bauernmädchen, aber sie hat was, was noch verdammter ist als 'ne Pariserin, sogar eine feine Pariserin am Sonntag, nicht? Sie … Ich, ich …
Er zog seine rötlichen Brauen zusammen und hätte mir die Pracht dessen, was er fühlte, mitteilen wollen. Aber er kannte die Kunst des Ausdruckes nicht, und schwieg; so stand er einsam da mit seinem Erlebnis, das nicht in Worte zu fassen war, ewig einsam, trotz seiner Bemühungen, sich auszusprechen.
… Wir schritten weiter nebeneinander her, an den Häusern vorbei. Kleine Rollwagen mit Fässern fuhren vor die Haustüren. In den Fenstern glänzten bunte Stösse von Konservenbüchsen, Zündschnurbündeln und von all den Sachen, die der Soldat kaufen muss. Fast alle Bauern treiben Spezereihandel. Lang hat es zwar gebraucht, bis sich der Handel im Dorf einbürgerte; jetzt aber ist er im Schwung und jedermann hat sich ihm ergeben, angesteckt vom Zahlenfieber, geblendet von den gewinnberechnenden Multiplikationen.
Die Glocken läuteten. Ein Leichenzug kam die Strasse herauf, es war ein Soldatenbegräbnis. Auf einem Militärheuwagen, den ein Trainsoldat führte, lag ein Sarg in eine Trikolore gewickelt. Dann folgte ein Zug Soldaten, ein Adjutant, ein Geistlicher und ein Zivilist.
– Armes Trauerzügelchen, hat den Schwanz verloren, sagte Lamuse.
– Das Lazarett ist nicht weit von hier, murmelte er, und das entleert sich halt. Ach, die Toten sind doch die Glücklichen. Manchmal nur, nicht immer … so ist es!
Die letzten Häuser des Dorfes liegen hinter uns. Draussen vor dem Dorf steht der Regimentstrain und der Artillerietrain: die Feldküchen und die rasselnden Karren, die mit ihrem Krimskrams hinten nachfahren, die Lazarettwagen, die Gepäck- und Futterwagen und das Wägelchen des Wagenmeisters.
Um den Wagenpark herum sitzen die Zelte der Fahrer und der Wachen. Hier und dort stehn Pferde auf der nackten Erde und gucken mit ihren Glasaugen ins Himmelsloch. Vier Soldaten hauen Tischbeine in den Boden, und die Feldschmiede raucht in die freie Luft hinein. Um diese wimmelnde und bunte Stadt aber, die sich auf zerschundnem Felde, wo die parallelen und kehrenden Räderspuren in der Sonnenhitze erstarren, liegt bereits ein breiter Kehricht- und Scherbenkranz.
Am Rand des Feldes steht ein grosser, weisser Wagen, der durch seine blanke Sauberkeit von den andern absticht, wie in einem Jahrmarkt ein besserer Artistenwagen, der mehr Eintritt verlangt als die andern.
Es ist der vielbesprochene zahnärztliche Wagen, nach welchem sich Blaire sehnte.
Blaire steht gerade davor und betrachtet ihn. Wahrscheinlich schleicht er schon lange mit interessierten Blicken drum herum. Sambremeuse, ein Krankenwärter der Division, kehrt gerade zurück; er besteigt die fliegende Holztreppe, die zur Wagentüre führt. Er hält in seinen Armen eine grosse Zwiebackbüchse, ein Phantasiebrot und eine Champagnerflasche. Blaire ruft ihn an:
– Du, du Fessier, die Hütte da, ist das die Zahnschmiede?
– Steht doch drauf, antwortet Sambremeuse, ein kleiner, feister, sauberer und rasierter Kerl, mit weissem, steifem Kinn. Wenn du's nicht siehst, dann geh doch lieber zum Viehdoktor und lass dir deine Gucklöcher wischen.
Blaire, der näher herangetreten ist, betrachtet das Institut. Er tritt noch ein paar Schritte näher hinzu, dann entfernt er sich, überlegt sich, ob er dem Karren seine Kiefer anvertrauen will und entschliesst sich endlich, setzt einen Fuss auf die Treppe und verschwindet im Wagen.
*
Und wir spazieren weiter … Der Weg führt uns auf einen krummen Pfad zwischen hohen Hecken, auf denen der Staub liegt. Es wird stiller hier. Das Sonnenlicht überschwemmt alles, brennt und kocht den Hohlpfad aus, breitet hie und da blendende und sengende Lichtflecken aus und zittert im ruhigen Blau des Himmels.
Bei der ersten Biegung vernehmen wir, kaum hörbar, das Knistern leichter Schritte und stehn gerade Eudoxie gegenüber.
Lamuse stösst einen dumpfen Ausruf aus. Vielleicht glaubt er, dass sie ihm auch diesmal auf der Spur sei, und sieht darin ein Geschenk des Schicksals … Dann geht er mit dem ganzen Gewicht seiner Masse auf sie zu.
Sie schaut ihn an, bleibt stehn, umkränzt von wilden Rosen. Ihr seltsam mageres und bleiches Gesicht wird unruhig, die Augenlider zittern über ihr prächtiges Augenpaar. Sie ist barhäuptig; ihr Mieder öffnet sich auf ihrem Hals an der Morgenröte ihres Busens. In solcher Nähe gesehn, ist sie in der Tat begehrenswert, dies goldbekränzte Weib im Lichte der Sonne. Die Mondblässe ihrer Haut lockt den Blick und lässt ihn stauen. Ihre Augen flackern und ihre Zähne glitzern in der heissen Wunde ihres halbgeöffneten Mundes, der sich wie Herzblut rötet.
– Ich … hören Sie … ich möchte … sagt Lamuse heiss atmend; Sie gefallen mir so sehr …
Und er streckt die Arme aus nach der kostbaren, unbeweglichen Erscheinung.
– Lassen Sie mich gehn, Sie ekeln mich an.
Seine Männerfaust stürzt sich auf die eine kleine, weisse Hand. Sie möchte sie zurückziehn und zerrt sie aus der Schlinge. Ihre goldblonden Haare lösen sich und wehen wie Flammen. Er zieht sie an sich. Er streckt den Hals nach ihr und auch seine Lippen drängen begehrend. Er will sie küssen; er will es mit ganzer Kraft, mit ganzer Seele und würde sterben, könnte er sie mit dem Munde berühren.
Sie aber wehrt sich und stösst einen erstickten Schrei aus; ihr Hals bebt und ihr hübsches Gesicht wird hässlich vor Hass.
Dann trete ich näher und lege meine Hand auf die Schulter meines Kameraden, aber vergebens: er tritt zurück und murrt im Bewusstsein seiner Niederlage.
– Ihnen fehlt doch sonst nichts! schrie ihn Eudoxie an.
– Nein, jammerte der Unglückliche, enttäuscht, wie vom Schlag getroffen.
– Dann lassen Sie die Finger weg ein andresmal, sagte sie.
Drauf ging sie keuchend davon; er aber schaute nicht einmal hin, als sie sich entfernte: er blieb stehn, liess die Arme hängen und glotzte den Fleck an, auf dem sie gestanden hatte; er war gepeinigt in seinem Körper, aus seinem Traum herausgeschleudert und fand keine Worte des Flehens mehr.
Ich schleppe ihn mit fort. Er folgt mir, stumm, in innerlichem Durcheinander; er schnüffelt und keucht, als ob er lange geflohen sei.
Er lässt den Klotz seines dicken Schädels hängen. In der unerbittlichen Klarheit des ewigen Frühlings sieht er aus wie ein armer Cyklop, der auf den alten Ufern Siziliens herumirrte, bemeistert und geschändet von der leuchtenden Kraft eines Kindes, gleich einem Riesenspielzeug aus alten Zeiten.
Der herumziehende Weinhändler stösst seinen Karren, auf dem sich ein Fass wölbt, und hat den Wachen einige Liter verkauft. Er verschwindet an der Strassenbiegung, mit seinem gelben Gesicht, platt wie ein Camembert, mit seinen spärlichen, flüchtigen Haaren, die wie Staubflocken zergehn, und so dünn in seiner flatternden Hose, dass es aussieht, als hingen die Füsse mit Schnüren an seinem Rumpf.
Die unbeschäftigten Wachtsoldaten stehn am Ende des Dorfes unter dem Flügel einer wackeligen und quitschenden Tafel, die dem Dorf als Anschlagebrett dient. Nun entspinnt sich unter ihnen ein Gespräch über jenen umherirrenden Hampelmann.
– Dreckige Kerze, sagt Bigornot. Und weisst du, ich will dir was sagen: man sollte die Zivilspatzen nicht so an der Front rumpicken lassen, vor allem solche Kiebitze, wo man nicht weiss, wo sie die Herkunft herhaben.
– Mensch, dir schwindelt, du Lausfliege, antwortet Cornet.
– Halt den Rand, du Bleichsohle, meint Bigornot, man ist nie genug auf der Hut. Und wenn ich was sage, dann weiss ich, was ich sage.
– Weisst du, sagt Canard, dass Pépère auf Urlaub kommt?
– Die Weiber hier, murmelt La Mollette, sind hässlich wie Gift.
Die andern schauen zum Himmel und betrachten zwei feindliche Flieger, die sich in grossen Bögen durch die Luft winden. Um die steifen Maschinenvögel, die je nach dem Licht bald schwarz wie Raben, bald weiss wie Möwen erscheinen, platzen zahllose Schrapnells, spicken den blauen Himmel und fliegen wie weisse Schneeflocken im Sonnenlicht.
*
Wir kehren zurück. Zwei Spaziergänger kommen uns entgegen. Es ist Carassus und Cheyssier.
Sie erzählen, dass Pépère, der Koch, nach hinten in ein Landsturmregiment versetzt werden soll, dank der loi Dalbiez.
– Das ist ein gefundener Drückposten für Blaire, sagt Carassus, der sich mitten im Gesicht eine komische, schlechtangepasste Nase leistet.
Im Dorf sieht man Soldaten in Gruppen vorübergehn oder paarweise miteinander durch das Kreuzband des Gespräches verbunden. Man sieht einzelne zusammentreten, voneinander gehn und dann, des Gespräches noch voll, sich wieder einander nähern, wie durch einen Magneten gegenseitig angezogen.
Dann ein wütendes Gedränge: mitten drin wogen weisse Papierfahnen. Es ist der Zeitungsverkäufer, der für zwei Sous seine Fünfcentimes-Zeitungen verkauft. Fouillade, mager wie eine Hasenpfote, wird mitten auf der Strasse aufgehalten, während Paradis an der Ecke eines Hauses sein schinkenrosiges Gesicht sonnt.
Wir begegnen Biquet in Arbeitsuniform: Bluse und Quartiermütze auf dem Kopf. Er schleckt noch seine Lippen ab und sagt:
– Ich bin welchen begegnet und dann haben wir gesoffen. Verstehst du; morgen geht 's Kratzen wieder los, Garderobeputzen und 's Gewehr. Schon alleine der Mantel, bis der wieder hell wird, 's ist schon kein Mantel mehr, mein Mantel, eher so 'ne Art Panzerfutter.
Dann ist plötzlich Montreuil da, der auf dem Bureau arbeitet, und ruft Biquet.
– He, du Scheisskerl! Ein Brief. Eine Stunde schon lauf ich dir nach! Nie bist du da, du Hühnergackel!
– Kann nicht überall sein, Dicksack du. Gib her.
Erst betrachtet er den Brief, wägt ihn auf der Hand, reisst ihn auf und sagt:
– Von meiner Alten ist er.
Dann schlagen wir einen langsameren Schritt ein, während er mit dem Finger den Zeilen nachgeht, dann überzeugt mit dem Kopfe nickt und die Lippen bewegt wie eine alte Betschwester.
Je näher man dem Zentrum des Dorfes kommt, umso grösser ist der Zulauf. Man grüsst den Kommandanten und den schwarzen Feldprediger, der ihn wie eine Spazierdame begleitet. Pigeon, Guenon, der junge Escutenaire und Clodore rufen uns an. Lamuse aber ist blind und taub und scheint bis auf's Gehn alles verlernt zu haben.
Bizouarne, Chanrion, Roquette kommen lärmend heran und verkünden eine grosse Neuigkeit.
– Weisst du, Pépère kommt hinter die Front.
– Merkwürdig, wie die Leute auf dem Holzweg sind! sagt Biquet, indem er seine Nase aus dem Brief steckt. Meine Alte sorgt sich um mich.
Und er zeigt mir eine Stelle aus dem mütterlichen Schreiben: »Wenn du diesen Brief erhalten wirst, buchstabiert er, wirst du wahrscheinlich im Kot stecken und frieren, ohne alles, und nichts als Entbehrungen, mein armer Eugene …«
Er lacht.
– Vor zehn Tagen hat sie mir das aufnotiert. Auf dem Holzweg ist sie! Man friert doch nicht, seit heute morgen ist doch schönes Wetter. Unglücklich ist man auch nicht mit dem Esszimmer. Elend hat's gegeben, aber jetzt geht's uns doch gut.
Wir kehren in unsern gemieteten Hundestall zurück und überdenken diesen Satz dabei. Seine rührende Einfalt macht auf mich einen starken Eindruck und zeigt uns eine Seele, eine zahllose Reihe von Seelen. Weil die Sonne also am Himmel steht, weil man einen Sonnenstrahl und einen Schein von Bequemlichkeit gespürt hat, ist die leidvolle Vergangenheit schon vergessen, und auch die schreckliche Zukunft ist vergessen … »Jetzt geht's uns doch gut …« Und alles ist vorüber.
Biquet setzt sich an den Tisch wie ein Herr, den Brief zu beantworten. Er entwickelt dabei grosse Sorgfalt, untersucht das Papier, die Tinte und die Feder und zieht, lächelnd, seine dicke, regelmässige Handschrift über die kleine Briefseite.
– Lachen müsstest du, sagt er zu mir, wenn du wüsstest, was ich der Alten schreib.
Dann überliest er seinen Brief noch einmal, fühlt sich glücklich, und lächelt.
*
VI. Gewohnheiten.
Wir sitzen behäbig im Hühnerhof.
Die dicke Henne, weiss wie ein Rahmkäse, sitzt brütend auf den Ueberresten eines Korbes, neben dem Schweinestall, dessen Inhaber in der Erde wühlt. Die schwarze Henne aber spaziert umher. Sie streckt und zieht den elastischen Hals ruckweise vor und zurück und macht dabei weite, gezierte Schritte; in ihrem Profil blinzelt ein rundes Plättchen und den Klang ihrer Stimme scheint sie mittelst einer Metallfeder hervorzubringen. Ihr Gefieder glänzt schwarzschillernd wie die glatten Haare einer Zigeunerin und beim Gehn bewegt sie um sich herum die Schleppe ihrer Nachkommenschaft.
Diese kleinen gelben Häufchen, die der Instinkt stupft und zurückjagt, eilen mit kurzen Stricknadel-Schrittchen der Alten nach und picken den Boden ab. Jetzt aber bleibt die Schleppe hängen: zwei Küchlein sind stecken geblieben, unbeweglich in Gedanken versunken, und achten nicht mehr auf das mütterliche Glucksen.
– Schlechtes Zeichen, meint Paradis. Wenn's Hühnchen nachdenkt, dann ist das Hühnchen krank. Und Paradis kreuzt, seine Beine und überkreuzt sie wieder.
Neben ihm auf der Bank streckt Volpatte die seinen von sich, reisst ein breites Gähnen auf, das er behaglich in die Länge zieht und schaut dann wieder zu; denn es ist ihm ein Hochgenuss, dem Federvieh zuzusehn, wie es sich während dieses kurzen Lebens beeilt, möglichst viel hinunterzuwürgen.
Und man betrachtet sie miteinander und auch den alten, schäbigen Hahn; er ist bis aufs Futter abgenützt; das Flaumkissen hat sich abgelöst, so dass sein Kautschukschenkel, schwarz wie ein geröstetes Rippchen, durchscheint. Er nähert sich der Bruthenne, die abwehrend mit dem Kopfe nickt, ein knappes »nein« spuckt, ein paar glucksende Klapperlaute ausstösst, oder ihn mit den kleinen, blauen Emailleplättchen ihres Auges beobachtet.
– Hier ist es schön, sagt Barque.
– Guck da, die kleinen Enten, antwortet Volpatte. Sie sind zum kugeln.
Eine Reihe ganz junger Enten watscheln vorbei – es sind fast noch Eier mit kleinen Füssen – und der grosse Kopf zieht dabei den ärmlichen und hinkenden Körper sehr schnell an der Halsschnur nach sich. In einer Ecke liegt der Hund und verfolgt die Henne mit seinen tiefschwarzen, ehrlichen Augen; die Sonne scheint auf ihn und lässt sein Fell wie einen roten Teppich leuchten.
Jenseits dieses Bauernhofes scheint, durch das Loch der niederen Mauer, der Obstgarten, dessen feuchte, dichte und grüne Filzdecke sich über die fette Erde breitet; daneben ein grüner Flecken, verziert mit Blumen, weiss wie kleine Statuetten, oder glänzend wie Atlas und bunt wie gebundene Schlipse. Weiterhin streckt sich die Wiese, auf welche die Schatten der Pappelbäume dunkelgrüne und goldgrüne Streifen werfen. Noch weiter sieht man ein erregtes Hopfenfeld neben einem Kohlbeet, wo die Kohlköpfe in Reih und Glied auf der Erde sitzen. Man hört in der sonnigen Luft und auf der sonnigen Erde die Bienen unter Musik arbeiten, wie es die Poesie verlangt, und die Grille, die alleine, allen Fabelversen zum Trotz, ohne Mass und ohne Bescheidenheit, den ganzen Raum mit ihrem Gesang erfüllt.
Dort flattert vom Gipfel einer Pappel eine Meise im Wirbel herunter, halb schwarz, halb weiss wie ein halbverbrannter Zeitungswisch.
Die Soldaten auf der Steinbank strecken sich glückselig, halten die Augen halb geschlossen und liegen an der Sonne, die im eingeschlossenen, weiten Hofe die Luft wie ein Bad heizt.
– Siebzehn Tage sind wir schon hier! Und es hiess, wir kämen von einem Tag auf den andern wieder weg.
– Man kann's nie wissen! nickt Paradis mit dem Kopf und schnalzt dabei mit der Zunge.
Durch das offene Hoftor sieht man eine Reihe Soldaten, die Nase in der Luft, nach Sonne lechzen und spazieren gehn; dann kommt Tellure ganz alleine: mitten auf der Strasse wiegt er den blühenden Bauch, dessen Eigentümer er ist; dabei schwankt er auf seinen zwei Beinen, die henkelartig gebogen sind, einher und spuckt sehr viel und reichlich um sich.
– Man hat gemeint, es sei hier so schlecht wie in den andern Quartieren. Diesmal ist es aber das richtige Ausruhn, das anständig lange dauert, und dann an und für sich ein gutes Quartier.
– Du hast nicht übermässig zu exerzieren und sonst nicht viel Dienst.
– Und die übrige Zeit bist du hier und ruhst aus.
Der alte Mann, der am Bankende zusammengekauert hockte, und der kein andrer war als der Grossvater mit dem Schatz, den wir am ersten Tage entdeckt hatten, rutschte her und hob den Finger.
– Als ich jung war, war ich gut angesehn bei den Frauen, beteuerte er und nickte mit dem Kopf. Manches Fräulein hab ich damals gepflückt.
– So! machten wir zerstreut; denn unsre Aufmerksamkeit wurde von diesem senilen Geschwatze durch den willkommnen Lärm eines Karrens abgelenkt; der Karren fuhr beladen mit schwerer Anstrengung vorüber.
– Jetzt, sagte der Alte wieder, denk ich nur noch ans Geld.
– Ach so, den Schatz, den Ihr sucht, Väterchen.
– Freilich, antwortete der Bauer.
Aber er fühlte dabei die Ungläubigkeit, die um ihn war. Er stiess auf seinen Schädelkasten mit dem Zeigefinger, den er dann gegen das Haus streckte.
– Seht dieses Tier, machte er, indem er auf ein schwarzes Biest deutete, das über den Kalk lief; wissen Sie, was es sagt? Es sagt: Ich bin die Spinne, die den Faden der Jungfrau spinnt.
Und das altertümliche Männchen fügte hinzu:
– Nie soll man über das urteilen, was man tut, weil man nie wissen kann, was kommt.
– Stimmt, antwortete Paradis aus Höflichkeit.
– Er ist komisch, machte Mesnil André zwischen den Zähnen, suchte dabei nach seinem Taschenspiegel und bewunderte seine Gesichtszüge, die sich in der Sonne vorteilhaft ausnahmen.
– Er hat 'nen Sparren, bemerkte Barque glückselig.
– Ich lasse die Herren alleine, sagte der Alte, der sich nicht mehr wohl fühlte.
Er stand auf und begab sich wiederum auf die Suche nach dem Schatz. Er trat ins Haus, an das unsre Rücken lehnten; dabei Hess er die Türe offen und man sah im Zimmer am Riesenkamin ein kleines Mädchen so ernsthaft mit der Puppe spielen, dass Volpatte darüber nachdenklich wurde und sagte:
– Sie hat recht.
– Die Kinderspiele sind sehr wichtige Beschäftigungen. Nur die Erwachsenen vertreiben sich die Zeit mit Spielen.
Nachdem man die Tiere und die Menschen vorübergehn sah, sieht man der Zeit zu, wie sie verstreicht, man schaut überhaupt alles an.
Man schaut das Leben der Dinge, man wohnt dem Ausleben der Natur bei und sieht, wie das Klima und der Himmel auf sie wirkt und wie sie die Farbe der Jahreszeiten trägt.
Wir haben dieses Stück Land lieb gewonnen; denn der Zufall hat uns mitten in unseren ewigen Irrfahrten länger und in grösserem Frieden an diesem Orte verweilen lassen. Dies aber lässt uns mit allen seinen Fähigkeiten vertraut werden. Schon streut September, der Nachtag des Augustmonates und der Vorabend des Oktobers und somit der ergreifendste Monat, leise, zarte Ahnungen in die sonnigen Tage. Schon versteht man diese dürren Blätter, die wie Spatzen auf den flachen Steinen umherhüpfen.
… Ja, man hat sich aneinander gewöhnt, die Landschaft und wir. So oft entwurzelt, fassen wir dennoch hier wiederum Boden und glauben nicht mehr an den Aufbruch, selbst wenn davon die Rede ist.
– Hat die elfte Division nicht anderthalb Monat Ruhe gehabt? sagt Volpatte.
– Und das 375. erst, neun Wochen! fährt Barque beweiskräftig fort.
– Man könnte schon das Kriegsende hier abwarten …
Barque geht das Herz auf und er glaubt es halb:
– Schliesslich wird's doch einmal ein Ende haben, nicht?
– Schliesslich schon! … wiederholen die andern.
– Schon wahr, man kann's nie wissen, macht Paradis.
Er spricht es zaghaft aus und ohne grosse Ueberzeugung. Und doch kann man nichts dagegen sagen.
Man wiederholt es leise, und wiegt sich hinein wie in eine alte Weise.
*
Farfadet hat sich schon eine Weile zu uns gesetzt. Zwar hat er etwas Abstand eingehalten und sitzt, die Faust unterm Kinn, auf einem umgestülpten Bottich.
Farfadet geniesst ein zuverlässigeres Glück als wir. Man weiss es wohl; auch er weiss es: als der Alte aufgestanden war und nach seinem Schatze ging, hatte Farfadet den Kopf gehoben und den Alten angeschaut und dann uns, die wir davon sprachen, hier zu bleiben! Ueber unserm zärtlichen und sentimentalen Kameraden liegt etwas wie ein egoistischer Glanz, der aus ihm ein Sonderwesen macht, ihn vergoldet und ihn wider seinen Willen von uns trennt, wie goldne Tressen, die ihm der Himmel geschenkt hätte.
Seine Idylle mit Eudoxie hat sich hier weitergesponnen. Wir haben Beweise dafür, und er selbst hat einmal davon gesprochen. Sie ist nicht weit von hier, und beide sind einander so nahe … Sah ich sie letzten Abend nicht vorüberhuschen, am Pfarrhaus vorbei, ihr brennendes Blond nur halb von einer Mantille gedämpft? Man sah es ihr an, dass sie zum Stelldichein lief; hab ich sie nicht gesehn, wie sie hineilte, vorwärtsgebeugt und ein Lächeln schon auf den Lippen? … Und wenn es zwischen ihnen erst bis zu Versprechungen und Versicherungen gekommen ist, so gehört sie ihm immerhin, und er ist der Mann, der sie in seinen Armen halten wird.
Und dann wird er uns zu alldem noch verlassen; er kommt nämlich hinter die Front zum Brigadestab, der ein zärtliches Herrchen zum Maschinenschreiben braucht. Es ist schon offiziell und steht schwarz auf weiss. Er ist gerettet; für ihn ist die dunkle Zukunft, an die die andern nicht zu denken wagen, für ihn ist sie klar und sonnig.
Er sieht nach einem Fenster, das wie ein schwarzes Loch an einem Zimmer offen steht; der Schatten dieses Zimmers aber blendet ihn: er hofft, er lebt zweifach. Er ist glücklich; denn das nahende Glück, das noch keine Wirklichkeit ist, ist das einzig wirkliche Glück auf Erden.
Ein armseliger Neid erwacht um ihn.
– Man kann's nie wissen! murmelt wiederum Paradis, auch diesmal mit der schwachen Ueberzeugung, mit der er vorhin, in der dürftigen Heimlichkeit, die uns heute beengt, diese grenzenlosen Worte aussprach.
*
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.