Nach dem Blick auf die Marsleute, wie sie aus dem Zylinder, in dem sie von ihrem Planeten auf die Erde gekommen waren, hervorkrochen, lähmte eine Art Zauber meine Fähigkeit zu handeln. Ich verharrte knietief im Heidekraut stehend, und starrte auf die Sandhügel, die sie verbargen. Meine Seele war eine Wahlstatt von Angst und Neugierde.
Ich wagte nicht, zur Grube zurückzugehen; aber ich hatte ein leidenschaftliches Verlangen, einen Blick hineinzuwerfen. Ich begann daher, in einem weiten Bogen herumzugehen, um einen geeigneten Aussichtspunkt zu finden; dabei aber behielt ich fortwährend die Sandhaufen im Auge, die jene merkwürdigen Ankömmlinge meinen Blicken entzogen. Auf einmal blitzte ein Gewirre dünner schwarzer Peitschen, wie Arme eines Polypen, gegen Sonnenuntergang auf, um sofort wieder zu verschwinden. Dann erhob sich Glied um Glied ein dünner Stab, der an seiner Spitze eine kreisrunde Scheibe trug, die sich in schwerfälliger Bewegung drehte. Was konnte dort vorgehen?
Die meisten Zuseher hatten sich in zwei Gruppen gesammelt — die eine, ein kleiner Menschenhaufen auf Woking zu, die andere, ein Knäuel von Leuten in Richtung nach Chobham. Offenbar machten die Leute denselben seelischen Zwiespalt durch wie ich. Einige waren ganz in meiner Nähe. In einem Mann erkannte ich einen meiner Nachbarn, obwohl ich seinen Namen nicht wusste. Ich trat auf ihn zu und redete ihn an. Es war aber kaum ein günstiger Augenblick für eine vernünftige Unterhaltung.
»Was für scheußliche Tiere!«,sagte er. »Herr Gott! Was für scheußliche Tiere!« Er wiederholte das immer wieder.
»Haben Sie einen Menschen in der Grube gesehen?«, fragte ich ihn; aber er gab mir keine Antwort. Wir schwiegen und standen eine Zeit lang beobachtend neben einander und empfingen, glaube ich, einen gewissen Trost aus unserer gegenseitigen Gesellschaft. Dann verlegte ich meinen Aussichtspunkt auf einen kleinen Erdhügel, der nur den Vorteil einiger Fuß Erhöhung gewährte. Als ich mich nach meinem Nachbar umwandte, sah ich ihn schon nach Woking zurückkehren.
Der Sonnenuntergang verblich allmählich zum Zwielicht, und es ereignete sich nichts weiter. Die Menge in der Ferne links gegen Woking schien zu wachsen und ich vernahm ein schwaches Gemurmel. Der kleine Menschenknäuel gegen Chobham zu zerstreute sich. Bei der Grube war kaum ein Anzeichen einer Bewegung wahrzunehmen.
Mehr als alles andere, gab das den Leuten ihren Mut zurück. Und ich denke, dass auch die Neuankömmlinge aus Woking dazu beitrugen, wieder eine zuversichtlichere Stimmung zu wecken. Jedenfalls machte sich, als die Dunkelheit hereinbrach, eine langsame, bisweilen unterbrochene Bewegung gegen den Sandhaufen zu bemerkbar, die umso mehr an Kraft zu gewinnen schien, als die Stille des Abends rings um den Zylinder ungebrochen blieb. Aufrechte schwarze Gestalten in Gruppen zu zweien und dreien wagten sich vor, machten Halt, spähten vorsichtig aus, und schoben sich wieder vor. In einem sehr gelichteten, unregelmäßigen Halbkreis suchten die Leute, die Grube zu umzingeln. Auch ich begann, gegen die Grube zu langsam vorzuschreiten.
Dann sah ich, wie einige Fuhrleute und andere keck in die Sandgruben hinabstiegen. Ich hörte das Klappern der Hufe und das Knirschen der Räder. Ich sah, wie ein junger Bursche den Karren mit Äpfeln fortzog. Und dann bemerkte ich etwa dreißig Yard von der Grube aus der Richtung von Horsell kommend, eine kleine schwarze Gruppe von Männern, deren vorderster eine weiße Fahne schwang.
Das war die Deputation. Es hatte eine heftige Beratung stattgefunden, und da die Marsleute trotz ihrer abstoßenden Gestalt intelligente Geschöpfe zu sein schienen, war beschlossen worden, durch Zeichen, mit denen man sich ihnen näherte, ihnen zu zeigen, dass auch wir intelligent seien.
Ich sah die Fahne hin- und herflattern, erst rechts dann links. Ich stand zu weit entfernt, um einen zu erkennen. Doch später erfuhr ich, dass Ogilvy, Stent und Henderson unter anderen es waren, die diesen Verständigungsversuch unternehmen wollten. Diese kleine Gruppe hatte bei ihrem Herannahen den nun fast vollständigen Kreis von Leuten in eine sozusagen schleifenartige Linie verwandelt. Eine Anzahl dünner schwarzer Gestalten folgte ihr in angemessener Entfernung.
Plötzlich flammte ein Lichtstrahl ans, und eine Menge leuchtenden grünlichen Rauches schoss in drei deutlich sichtbaren Stößen aus der Grube; eine Rauchsäule nach der anderen fuhr kerzengerade in die windstille Luft empor.
Dieser Rauch — Flamme wäre vielleicht die zutreffendere Bezeichnung — war so strahlend hell, dass der tiefblaue Himmel und die undeutlichen Strecken braunen Heidelandes Richtung Chertsey, die mit schwarzen Fichten bepflanzt waren, sich plötzlich zu verdüstern schienen, als die Stöße sich erhoben, und nach der Verteilung des Rauches nur noch düsterer wurden. Gleichzeitig hörte man einen schwachen zischenden Laut.
Jenseits der Grube stand der kleine Menschenhaufen, mit der weißen Fahne an der Spitze, von diesen Erscheinungen aufgehalten, ein kleiner Knäuel winziger schwarzer Gestalten auf dem schwarzen Boden. Als der grüne Rauch aufstieg, flammten ihre Gesichter in einem fahlen Grün, das erblasste, sobald jener verschwand.
Da ging das Zischen allmählich in ein Summen über, in ein langes, lautes, surrendes Geräusch. Langsam erhob sich eine unförmige Gestalt aus der Grube, und ein winziger Lichtstrahl schien aus ihr hervorzuflackern.
Plötzlich fuhren Blitze wirklicher Flammen aus der zersprengten Menschengruppe hervor. In glänzenden Schwaden sprang es von einem zum anderen. Es war, wie wenn ein unsichtbarer Feuerstrahl in sie gefahren sei und nun in einer weißen Flamme ausbräche. Es war, als ob jeder Einzelne unvermutet und plötzlich in Feuer verwandelt worden wäre.
Dann sah ich beim Lichte ihrer eigenen Vernichtung, wie sie taumelten und fielen, und wie die, welche sie stützten, sich zur Flucht wandten.
Ich stand da und starrte und fasste es noch nicht, dass das der Tod war, der in jener fernen kleinen Menschenmenge von Mann zu Mann raste. Nur dass dort etwas Seltsames vorging, war alles, was ich empfand. Ein fast lautloser und blendender Blitz — und ein Mann stürzte der Länge nach hin und blieb regungslos liegen. Wie das unsichtbare Hitzegeschoss über sie fuhr, gingen Fichten in Flammen auf, und jeder dürre Ginsterbusch verwandelte sich mit dumpfen Krachen in einen Feuerherd. In weiter Ferne gegen Knaphill zu sah ich Bäume und Hecken in Flammen, und bemerkte wie die Holzbauten plötzlich lichterloh brannten.
Er fuhr pfeilschnell und stetig rings herum, jener flammende Tod, jenes unsichtbare und unerbittliche Feuerschwert. An den glühenden Büschen sah ich ihn auch an mich herankommen; aber ich war zu verwirrt und zu betäubt, um mich von der Stelle zu rühren. Ich hörte das Knistern des Feuers in den Sandgruben und den plötzlichen Schrei eines Pferdes, der aber ebenso plötzlich verstummte. Dann war es mir, als ob eine unsichtbare aber glühend heiße Hand auf der Heide zwischen mir und den Marsleuten eine Linie zöge; überall in gekrümmter Linie um die Sandgruben herum dampfte und knisterte der tiefschwarze Boden. In weiter Ferne, dort wo die Straße von der Station Woking links ins Heideland führt, stürzte etwas mit lautem Schall zusammen. Sofort verstummte das Zischen und Summen, und der schwarze, kesselförmige Gegenstand fiel, den Blicken entschwindend, langsam in die Grube.
Alles das war mit einer solchen Schnelligkeit vor sich gegangen, dass ich regungslos stehen blieb, erstarrt und geblendet von den Flammenblitzen. Hätte der Tod in vollem Umkreis die Runde gemacht, ich wäre rettungslos mitten in meiner Betäubung getötet worden. Aber er ging vorüber und schonte mich und ließ mich plötzlich in der dunklen und unheimlichen Nacht zurück.
Die wellenförmige Weide schien nun düster in fast unkenntlicher Schwärze, außer dort, wo ihre Straßen grau und bleich unter dem tiefblauen Himmel der frühen Nacht sich hinzogen. Es war dunkel und auf einmal völlig menschenleer. Über mir tauchten nach und nach die Sterne auf, und am westlichen Himmel stand noch ein blasser, schimmernder, fast grünlich blauer Streifen. Die Wipfel der Fichten und die Dächer von Horsell kamen scharf und schwarz im westlichen Widerschein heraus. Die Marsleute und ihre Gerätschaften waren vollkommen unsichtbar. Nur die dünne Stange, an deren Spitze die rastlose Spiegelscheibe sich drehte, blieb stehen. Einiges Buschwerk und einzeln stehende Bäume glühten und rauchten noch immer. Und von den Häusern gegen die Station von Woking stiegen noch Feuersäulen in die Stille der Abendluft auf.
Sonst hatte sich nichts geändert. Nur diese furchtbare Erschütterung! Die kleine Gruppe schwarzer Punkte mit der weißen Flagge war wie vom Erdboden weggefegt, und die Stille des Abends, so schien es mir, war kaum gebrochen worden.
Da überkam es mich, dass ich auf dieser düsteren Heide hilflos, unbeschützt und allein dastand. Und plötzlich, wie ein Wesen, das von außen her mich überfiel, kam — die Angst.
Mit Anstrengung wandte ich mich um und begann, stolpernd durch das Heidekraut zu laufen.
Die Angst, die mich beschlich, war keine vernünftige Angst, sondern ein panischer Schrecken, nicht nur vor den Marsleuten, sondern vor dem Dunkel und der Stille rings um mich. Das übte eine so ungewöhnlich entmannende Wirkung auf mich aus, dass ich leise weinend wie ein Kind daherlief. Und jetzt, nachdem ich mich umgekehrt hatte, wagte ich nicht mehr zurückzublicken.
Ich erinnere mich, dass ich die seltsame Überzeugung hatte, dass man mit mir spiele, dass jeden Augenblick, schon als ich im Bereiche der Sicherheit war, dieser geheimnisvolle Tod — schnell wie der Weg des Lichts — aus der Höhle, aus dem Zylinder heraus mir nachrasen und mich niederschlagen werde.
Es ist noch immer ein ungelöstes Rätsel, wie die Marsleute imstande sind, Menschen so rasch und lautlos zu töten. Viele meinen, dass sie fähig sind, eine ungeheure Hitze in einem Behälter anzusammeln, bei dem jede Leitungsmöglichkeit vollkommen ausgeschlossen ist. Diese ungeheure Hitze übertragen sie in parallelen Strahlen auf jedes beliebige Objekt vermittels eines geglätteten parabolischen Spiegels von unbekannter Zusammensetzung — ähnlich dem Lichtstrahl, den der parabolische Spiegel eines Leuchtturms versendet. Aber niemand vermochte, noch die Einzelheiten dieser Annahmen zu beweisen. Wie immer es sich verhalten mag, das ist gewiss, dass an dem Vorgang ein starker Wärmestrahl am wesentlichsten beteiligt ist. Hitze und unsichtbares statt sichtbaren Lichtes. Alles irgendwie Brennbare geht bei der Berührung dieses Strahles in Flammen auf; Blei zerfließt wie Wasser; er erweicht Eisen, bricht und schmelzt Glas; wenn er auf Wasser fällt, entzündet es sich unverzüglich zu Dampf.
In jener Nacht lagen wohl vierzig Menschen unter dem Sternenlicht um die Grube herum, verkohlt und bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die ganze Nacht war das Weideland von Horsell bis Maybury verödet. Nur allmählich brannten die Feuer nieder.
Die Nachricht von dem Gemetzel erreichte Chobham, Woking und Ottershaw wahrscheinlich zur selben Zeit. In Woking waren die Läden schon geschlossen, als das Unglück sich ereignete, und eine Anzahl von Menschen, Geschäftsleute usw., von den Geschichten, die sie gehört hatten, erregt, gingen über die Horsell Bridge die Straße entlang zwischen den Hecken, die zur Weide führten. Man kann es sich vorstellen, wie das junge Volk nach der Arbeit des Tages zusammenströmte, wie es jene Nachricht, so wie jede andere, zum Vorwand für gemeinsame Spaziergänge und für landläufiges Liebesgeplänkel benützte. Ich höre es fast noch heute, jenes fröhliche Summen von Stimmen die Straße entlang an jenem Abend.
Bis jetzt wussten es freilich nur wenig Leute in Woking, dass der Zylinder bereits geöffnet war, obwohl der arme Henderson einen Boten auf dem Fahrrad nach dem Postamt geschickt hatte, um einen besonderen Bericht an ein Abendblatt zu senden.
Als jene Leute in Gruppen zu zweien und dreien aufs offene Feld kamen, fanden sie kleine Menschenansammlungen, in erregter Unterhaltung begriffen. Alles blickte nach dem wirbelnden Spiegel über den Sandgruben. Und bald hatte sich der Neuangekommenen dieselbe Erregung bemächtigt.
Um halb neun Uhr, als die Deputation vernichtet wurde, mag sich etwa eine Menge von dreihundert Leuten an jener Stelle befunden haben, außer jenen, welche die Straße verlassen hatten, um sich näher an die Marsleute heranzuschleichen. Auch drei Schutzleute, darunter ein Berittener, waren zugegen, die, Mr. Stents Weisungen folgend, ihr Möglichstes taten, die Leute zurückzudrängen und sie abzuhalten, sich dem Zylinder zu nähern. Pfiffe und Hohngelächter wurden gehört. Sie kamen von jenen gedankenlosen und übermäßig aufgeregten Elementen, denen ein Gedränge stets Anlass zu Lärm und rohen Scherzen bildet.
Stent und Ogilvy, welche die Möglichkeit eines Zusammenstoßes ins Auge fassten, hatten von Horsell nach der Kaserne telegrafiert, als die Marsleute auftauchten. Sie hatten um die Unterstützung einer Kompanie Soldaten gebeten, welche jene fremdartigen Geschöpfe vor Gewalttätigkeiten schützen sollten. Dann waren sie sofort wieder zurückgekehrt, um jenen unglückseligen Annäherungsversuch ins Werk zu setzen. Die Beschreibung ihrer Ermordung, wie sie von der Menge beobachtet wurde, deckte sich genau mit meinen eigenen Eindrücken: die drei Stöße grünen Rauches, das tiefe summende Geräusch und die aufflammenden Blitze.
Aber die Gefahr, in der jene Volksmenge schwebte, war noch größer als die meine. Nur der Umstand, dass ein Hügel Heidesandes den unteren Teil des Hitzestrahls aufhielt, rettete sie. Wäre die Stange mit dem parabolischen Spiegel nur einige Yard höher gewesen, es wäre niemand übrig geblieben, um den Vorgang zu berichten. Sie sahen die Blitze, beobachteten, wie die Männer hinstürzten, wie gleichsam eine unsichtbare Hand das Gebüsch in Brand steckte, wie die Flamme im Zwielicht auf sie zuraste. Dann sauste, mit einem pfeifenden Laut, der das Surren in der Grube übertönte, der Strahl dicht über ihre Köpfe hinweg, entzündete die Wipfel der Buchen, welche die Straße säumten, zersplitterte die Ziegel, zerschmetterte die Fenster, verbrannte die Fensterrahmen, und zertrümmerte einen Teil des Giebels eines Eckhauses.
Bei diesem plötzlichen Aufschlag, dem Zischen und dem blendenden Lichtschein der brennenden Bäume schien die Menge einige Augenblicke zögernd hin- und herzuschwanken.
Funken und brennende Zweige und einzelne Blätter fielen wie flammende Geschosse auf die Straße. Hüte und Kleider fingen Feuer. Von der Weide her hörte man erschreckte Rufe.
Kreischende Schreie gellten von allen Seiten. Plötzlich kam ein berittener Schutzmann gegen die Menge herangesprengt. Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen und schrie aus Leibeskräften.
»Sie kommen!«, kreischte ein Weib, und sofort kehrten sich alle um und drängten die Rückwärtsstehenden vorwärts, um den Rückgang nach Woking frei zu machen. Wie eine Herde erschreckter Schafe stob die Menge blindlings auseinander. Da, wo die Straße eng und dunkel wurde, zwischen den hohen Ufern, staute sich die Masse, und ein verzweifelter Kampf begann. Nicht alle konnten sich retten; drei Personen, zwei Frauen und ein kleiner Knabe, wurden erdrückt und niedergetreten. Sie wurden liegengelassen, um in dem Schrecken der Finsternis zu sterben.
Was mich betraf, so entsinne ich mich nicht mehr der Einzelheiten meiner Flucht außer der Wucht, mit der ich an Baumstämme stieß und wie ich im Heidekraut strauchelte. Alles um mich herum nahm die unsichtbaren Schrecken der Marsleute an; jenes erbarmungslose Feuerschwert schien auf und nieder zu sausen, immer über mir zu funkeln, bevor es niederfuhr, mir das Leben zu nehmen. Ich erreichte die Straße zwischen Horsell und den Kreuzwegen, und ich lief durch den Ort wieder zu den Kreuzwegen zurück.
Endlich konnte ich nicht weiter; ich war von der Heftigkeit meiner Erregung und meiner Flucht erschöpft. Ich taumelte und stürzte nieder. Das war nahe der Brücke, welche bei den Gaswerken den Kanal übersetzt. Ich fiel und blieb still liegen.
Ich muss eine ganze Weile dort gelegen sein.
In einer seltsamen Verwirrung befangen richtete ich mich endlich auf. Einen Augenblick vielleicht konnte ich es nicht klar fassen, wie ich hierhergekommen war. Wie ein Kleidungsstück war mein Schrecken von mir gefallen. Mein Hut war verschwunden, und mein Kragen war vom Hemdknopf gerissen. Einige Minuten vorher standen nur drei Dinge greifbar vor mir — die Unermesslichkeit der Nacht, des Raumes und der Natur, meine eigene Schwäche und Angst, und das Nahen des Todes. Nun aber war es mir, als hätte sich alles gewendet, und sofort verschob sich mein Gesichtspunkt. Ich konnte keinen merklichen Übergang von einem Gemütszustand in den anderen wahrnehmen. Ganz unvermittelt war ich wieder mein eigenes alltägliches Selbst, ein gewöhnlicher ehrbarer Bürger. Die schweigende Heide, mein Trieb zur Flucht, die aufschießenden Flammen, alles erschien mir jetzt wie ein Traum. Ich fragte mich, ob sich alle diese Dinge wirklich zugetragen hätten. Ich konnte es nicht glauben.
Ich erhob mich und stieg unsicheren Schrittes die steil ansteigende Brücke hinauf. Mein Inneres war nichts als eine große Verblüffung. Meine Muskeln und meine Nerven schienen alle Kraft verloren zu haben. Ich kann sagen, dass ich wie ein Betrunkener taumelte. Über dem Brückenbogen tauchte ein Kopf auf und die Gestalt eines Arbeiters, der einen Korb trug, erschien. Ein kleiner Knabe lief neben ihm her. Er ging an mir vorüber und wünschte mir »Gute Nacht«. Es war meine Absicht, mit ihm zu sprechen, ich konnte es aber nicht. Ich erwiderte seinen Gruß mit einem unverständlichen Lallen und ging weiter.
Über den Maybury-Viadukt brauste südwärts ein Zug, ein wogendes Wallen weißen, feurigen Rauches, eine lange Raupe erleuchteter Fenster: ein Poltern und Rasseln und Klirren, und fort war er. Eine spärliche Gruppe von Leuten stand plaudernd im Flur eines der hübschen Giebelhäuser, deren Reihen die »Oriental Terrace« bildeten. Das alles schien mir so wirklich und so vertraut. Und alles, das hinter mir lag, war unsinnig und fantastisch! Solche Dinge, sagte ich mir, könne es ja gar nicht geben.
Ich bin vielleicht ein Mann von ganz besonderen Stimmungen. Ich weiß nicht, wie weit meine Erfahrungen allgemeiner Natur sind. Ich habe Zeiten, in denen ich von den seltsamsten Empfindungen heimgesucht werde, als sei ich gleichsam von mir selbst und meiner Umgebung losgelöst. Mir ist, als beobachtete ich alles von außen her, aus einer unfasslich großen Entfernung, außerhalb der Zeit, außerhalb des Raumes, jenseits von allem, was bedrückt und traurig macht. Diese Empfindung war in jener Nacht sehr stark. Das war ein anderer Teil meines Traumes.
Aber was mich verwirrte, war der schreiende Widerspruch zwischen der Heiterkeit, die meine Augen sahen und dem pfeilschnellen Tod, der dort drüben, nicht zwei Meilen entfernt, umherraste. Von den Gaswerken her scholl geschäftiger Lärm, und die elektrischen Lampen strahlten hell. Als ich zu der plaudernden Menschengruppe kam, machte ich Halt.
»Was gibts Neues auf der Weide?«, fragte ich.
Zwei Männer und eine Frau standen beim Tor.
»Was?«, rief einer der Männer, sich mir zuwendend.
»Was es Neues auf der Weide gibt?«, wiederholte ich.
»Ja, sind Sie denn nicht gerade dort gewesen?«, fragten die Männer.
»Die Leute scheinen ja ganz verrückt zu sein wegen der Weide«, ließ sich jetzt die Frau vom Flur her vernehmen. »Was ist denn eigentlich los?«
»Haben Sie denn nichts von den Marsleuten gehört?«, fragte ich. »Von den Geschöpfen vom Stern Mars?«
»Mehr als genug«, sagte die Frau. »Danke«, und alle drei lachten.
Ich fühlte mich beschämt und verärgert. Ich versuchte, ihnen mitzuteilen, was ich gesehen hatte und konnte es nicht. Sie lachten immer nur über meine gebrochenen Sätze.
»Ihr werdet noch mehr davon hören«, sagte ich und ging fort, meinem Haus zu.
Schon im Hausflur erschreckte ich meine Frau durch meine eingefallenen Züge. Ich ging in das Speisezimmer, setzte mich, trank etwas Wein, und so wie ich mich etwas gesammelt hatte, erzählte ich ihr von den Dingen, die ich gesehen hatte. Das Essen, das aus kalten Gerichten bestand, war schon aufgetragen, blieb aber unberührt auf dem Tische, während ich alles erzählte.
»In einem kann ich Dich beruhigen«, sagte ich, um die Furcht, die ich geweckt hatte, wieder abzuschwächen. »Es sind die plumpsten Geschöpfe, die ich je kriechen sah. Sie mögen die Grube besetzt halten und alle Leute, die ihnen nahe kommen, umbringen; aber sie können nicht aus ihr heraus … Aber scheußlich sind sie!«
»Bitte, nicht!«,sagte meine Frau. Sie zog ihre Brauen zusammen und legte ihre Hand auf die meine.
»Der arme Ogilvy!«,sagte ich. »Zu denken, dass er da draußen tot liegt!«
Meine Frau wenigstens fand meine Erlebnisse nicht unglaubwürdig. Als ich sah, wie Totenblässe ihr Gesicht bedeckte, brach ich plötzlich ab.
»Sie mögen auch hierher kommen«, sagte sie ein ums andere Mal.
Ich bat sie Wein zu trinken, und bemühte mich, sie zu beruhigen.
»Sie können sich ja kaum bewegen«, sagte ich.
Ich begann nun, sie und mich selbst dadurch zu trösten, dass ich alles das wiederholte, was Ogilvy mir über die Unmöglichkeit eines dauernden Aufenthaltes der Marsbewohner auf der Erde gesagt hatte. Besonderes Gewicht legte ich auf die Schwierigkeiten der Gravitation. Auf der Oberfläche der Erde ist die Kraft der Schwere dreimal so groß, wie auf der des Mars. Ein Marsbewohner würde daher hier dreimal so viel wiegen wie auf dem Mars, seine Muskelkraft aber würde gleich bleiben. Sein eigener Körper würde ihn daher drücken wie ein Bleigewicht. Wirklich war das die allgemeine Ansicht. Sowohl die »Times« wie der »Daily Telegraph« unter anderen Blättern wiesen am nächsten Morgen nachdrücklich darauf hin. Beide aber übersahen, genau so wie ich, zwei diese Tatsachen offenbar umstoßende Erscheinungen.
Wie wir jetzt wissen, enthält die Atmosphäre der Erde weit mehr Sauerstoff oder, anders ausgedrückt, weit weniger Argon als die des Mars. Die kräftigenden Einflüsse dieses Übermaßes von Sauerstoff auf die Marsbewohner trugen unstreitbar viel dazu bei, der erhöhten Schwere ihrer Körper das Gleichgewicht zu halten. Und in zweiter Linie übersahen wir die Tatsache, dass so beträchtliche Intelligenzen, wie die Marsleute sie besaßen, vollkommen befähigt waren, im Notfall sich ohne jeden Muskelaufwand zu behelfen.
Zu jener Zeit aber erwog ich diese Punkte nicht; und scheiterten meine Berechnungen völlig an den Fähigkeiten jener Eindringlinge. Durch die Tröstungen meiner eigenen Tafel, durch Wein und Speise, durch die Notwendigkeit, meine Frau zu beruhigen, wurde ich selbst nach und nach beherzter und sorgloser.
»Sie haben eine große Dummheit begangen« sagte ich, mein Weinglas ergreifend, »sie sind gefährlich, weil sie selbst aus Furcht ganz toll geworden sind. Vielleicht erwarteten sie nicht, hier lebende Wesen zu finden, gewiss aber nicht intelligente Lebewesen. Im schlimmsten Fall wirft man eine Bombe in die Grube. Die wird sie alle töten.«
Die ungeheuere Aufregung über die letzten Ereignisse hatte meine Auffassungskraft ohne Zweifel in einen Zustand großer Reizbarkeit versetzt. Ich erinnere mich jener Mahlzeit noch jetzt mit großer Deutlichkeit. Das liebliche und ängstliche Gesicht meiner Frau, wie es unter dem rosafarbenen Lampenschirm nach mir blickte, das weiße Tischtuch mit den silbernen und gläsernen Gerätschaften — denn in jenen Tagen erlaubten sich selbst philosophische Schriftsteller manch kleinen Luxus — der purpurrote Wein in meinem Glas, das alles lebt in fotografischer Treue in mir. Am Ende des Tisches saß ich selbst, spielte mit meiner Zigarette, beklagte Ogilvys Übereifer, und verwünschte die kurzsichtige Furchtsamkeit der Marsleute.