Kitabı oku: «Einfach alles teilen?», sayfa 3
Warum überhaupt gemeinsam leben und arbeiten? Na, ist doch ganz klar!
Ein Gemeinschaftsaspekt, der für uns noch dazukommt: Obwohl wir irgendwo im Hinterland an einen Ort gebunden sind, von dem aus Gleichgesinnte weit weg oder weit verstreut erscheinen und wo das lokale kulturelle Angebot selten unseren Bedürfnissen entspricht, sind wir trotzdem immer in bester Gesellschaft. Weil wir uns haben.
Zunächst ist da die Gesellschaft der Hofbewohner*innen. Da gibt es immer irgendein Thema, über das mensch sich austauschen kann, ein Projekt oder Vorhaben, das mensch gemeinsam planen kann. Da sind die Kinder, die durch ihre Spontaneität und Unberechenbarkeit immer für Bewegung sorgen. Besucher*innen, eigene Freund*innen sowie die Freund*innen der anderen bringen zusätzliche Abwechslung in unseren Alltag. Und wenn wir Lust haben, veranstalten wir ein Fest, ein Treffen oder ein Sommerkino, um das kulturelle Angebot zu schaffen, das wir selbst gerne hätten. Wir leben also definitiv keine eintönigen, isolierten oder einsamen Leben in der Pampa. Ganz im Gegenteil, gemeinsam schaffen wir Vielfalt und Abwechslung!
› Gemeinsam meistern wir viele Herausforderungen. Wenn der Traktor umkippt, stellen wir ihn gemeinsam wieder auf. Der Spaß kommt dabei nicht zu kurz (und verletzt wurde natürlich niemand!).
Einen riesigen Vorteil hat der gemeinsame Weg auch im Hinblick auf finanzielle Aspekte. Wir haben zwar persönlich kein Eigentum angehäuft in den Jahren. Gemeinsam haben wir aber doch so einiges an Besitz: Autos, Maschinen, Infrastruktur, Produktionsmittel, Direktkredite (Seite 178) für Projekte von Freund*innen.
All das würde jede*r Einzelne von uns, mit demselben Lebensstil und Einkommen, nie besitzen. Gemeinsam tun wir das aber! Wir haben Zugang zu einer Fülle von Ressourcen, ohne sie persönlich erworben zu haben. Und auch auf immaterieller Ebene profitiert jede*r von uns von einer Vielzahl an Aktivitäten, auch wenn er*sie nicht direkt etwas damit zu tun hat.
Was ein Leben im Kollektiv wirklich bedeutet
Was auf der einen Seite das Schöne an der Gemeinschaft ist – nämlich die Menschen –, hat natürlich auch eine Kehrseite. So viel steht fest: Bei einer größeren Ansammlung von Menschen, die gemeinsam leben und entscheiden, kommt es immer wieder zu konfliktreichen Situationen.
Dabei kann es um gemeinsame Vorstellungen gehen, um persönliche Befindlichkeiten oder einfach um den tagtäglichen Alltagstrott, in dem mensch sich in die Quere kommt. Es kann beunruhigend sein, wenn der gemeinsame Weg nicht so eindeutig ist. Oder wenn mensch sich einsam fühlt inmitten einem Kreis von nahestehenden Menschen. Wenn mensch sich nicht gehört oder verstanden fühlt, wenn das Gefühl entsteht, dass die anderen nicht so agieren, wie mensch es sich nach seinen*ihren persönlichen Bildern und Idealen vorstellt. Dann verliert die Gruppe an Stärke. Dann stehen manchmal vereinzelte Individuen nebeneinander.
Wir sind stark, wenn jede*r in sich stark ist und wenn wir in guter Beziehung mit uns selbst und jedem*jeder einzelnen Bewohner*in stehen. Und alle zusammen als Gruppe funktionieren. Das bedeutet viel Beziehungsarbeit mit uns selbst und allen anderen.
In den ersten Jahren war sehr viel unserer Energie nach außen gerichtet: auf Aktionen, Veranstaltungen, es waren ständig viele und andere Menschen da, die uns besuchen kamen. Gruppendynamiken und -prozesse und innere Befindlichkeiten waren Begleiterscheinungen, die irgendwie mitliefen.
Je länger wir aber im Kollektiv zusammenwohnten, desto mehr richtete sich unser Blick nach innen. Das Wohlbefinden und der psychische Zustand eines*einer jeden wurden wichtiger. Gruppenprozesse wurden bewusster wahrgenommen und behandelt. Es stand immer mehr im Mittelpunkt, wie es dabei allen geht. Denn das Kollektiv ist das, was jedes Mitglied ist und einbringt. Wenn es dem*der Einzelnen gut geht und es ihnen miteinander gut geht, dann geht es auch dem Kollektiv gut. Diese Momente sind wunderbar, wenn alle ausgeglichen und happy sind und wir uns alle gut miteinander verstehen.
In vielen Momenten zwickt es jedoch bei irgendwem irgendwo. Das muss gar nicht mit dem Leben im Kollektiv selbst zu tun haben. Manchmal fühlt mensch sich nicht ganz rund, hat ungeklärte Lebensfragen in sich oder findet einfach alle blöd. In solchen Momenten probieren wir, uns gegenseitig, soweit es uns möglich ist, zu unterstützen, und versuchen, uns geduldig und verständnisvoll beim Durchmachen solcher Situationen zu begleiten. Zum Glück sind es alles Phasen, die einander abwechseln, kommen und wieder gehen. Die permanente, achtsame und bewusste Auseinandersetzung mit den Beziehungen untereinander und mit sich selbst gehört dabei zu den essenziellen Voraussetzungen.
Ein harmonisches Ganzes? Das Kollektiv von außen betrachtet
Das Kollektiv selbst ist mehr als nur die Summe seiner Einzelteile. Es wächst zu einem eigenen Wesen, das Zuwendung, Administration und Leitung braucht. Wenn die Bewohner*innen (also die Einzelteile) das Gefühl bekommen, dass das Kollektiv-Wesen seine eigene Richtung eingeschlagen hat oder der Gruppe über den Kopf wächst, muss es wieder in seine Einzelteile zerlegt werden. Denn Entwicklungen, die sich unbeabsichtigt ergeben, hinter denen aber niemand wirklich steht, oder die im Grunde alle überfordern, können und sollen bewusst in die gewünschte Richtung angepasst werden. Dann heißt es, einzelne Aspekte zu überdenken, Altes, nicht mehr Dienliches abzulegen und sich für Bewährtes wieder bewusst zu entscheiden. Es gilt, eine offene Haltung und Motivation zu kultivieren und voranzutreiben, aus der Neues entstehen kann, das unserem Weg förderlich ist.
Ich glaube, das, was vom Hofkollektiv Wieserhoisl von außen oft wahrgenommen wird, ist dieses Kollektiv-Wesen. Es ist etwas Harmonisches, Einträchtiges, Ausgeglichenes, etwas, das stark zusammenhält. Ein Ort und Menschen, mit denen mensch sich wohl fühlt. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass wir als Gruppe auch dann als angenehm und wohlwollend wahrgenommen werden, wenn es gleichzeitig intern ganz schöne Spannungen und Konflikte gibt. Das mag an unserem Grundsatz des respektvollen Umgangs miteinander liegen. Oder an der Existenz des angenehmen, wohlwollenden Wesens, das wir miteinander geschaffen haben.
Ja, wir haben uns für einen gemeinsamen Weg entschieden. Dabei durchlaufen wir auch immer wieder tiefe Stimmungstäler. Es gab schon Situationen, da hat uns der Mut verlassen. Aber: Wenn es gut läuft oder wir zusammen eine schwierige Situation überstanden haben, dann ist das Hochgefühl umso intensiver, umso bestätigender. Dann wissen wir, warum wir uns für diesen gemeinsamen Weg entschieden haben. Weil es ein unglaublich starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit und Verbundenheit ist, das uns erfüllt.
Komm und begleite uns (ein Stück)
Mit diesem Buch möchten wir einen Einblick in unsere Geschichte und unseren Werdegang geben. Wir möchten davon erzählen, welche Handlungsmöglichkeiten wir für uns gefunden haben, um das konsumorientierte, neoliberale und individualistische „Business as usual“ zu durchbrechen – und stattdessen einen anderen, gemeinsamen Weg einzuschlagen.
Ganz nach dem Motto, das auf einem Plakat in unserer Küche hängt: „Resistance of the heart against business as usual“. Wir sind also mit ganzem Herzen bei der Sache. Unser Widerstand entspringt aus unserem tiefsten Inneren.
Was wir dir noch mitgeben möchten: Wir möchten damit keinesfalls eine Schablone bieten. Unsere Geschichte, unser Lebensentwurf erhebt keinen Anspruch darauf, die Lösung für alle und alles zu sein. Dinge, die für uns super funktioniert haben oder an denen wir gescheitert sind, können sich für dich, deine (zukünftigen) Mitbewohner*innen und überhaupt für andere Menschen und andere Konstellationen ganz anders gestalten. Wir möchten dir einfach zeigen, wie wir es machen, und dir dabei die Augen für diese Art von Lebensentwurf öffnen, dir den ein oder anderen Aha-Moment bescheren oder dir einfach eine dicke Portion Inspiration mitliefern. Mit der du dann anfangen kannst, was du möchtest.
Was mensch auch nicht vergessen darf: Wir haben damit nichts Neues erfunden. Vielmehr entdecken wir bereits von anderen Gelebtes für uns neu und passen es an unsere Bedürfnisse an. Probieren aus. Schreiten fragend voran. Begleite uns ein Stück durch die Geschichte des Hofkollektivs Wieserhoisl. Lache, schmunzle, staune. Lass dich inspirieren!
Das Ende unserer Träume war der Beginn unseres neuen Lebens – unsere Entstehungsgeschichte
Die Idee, in einer Gemeinschaft, selbstbestimmt und eingebunden in die Kreisläufe der Natur zu leben, schwirrte schon lange in unseren Köpfen herum. Letztendlich war die Gründung des Hofkollektivs Wieserhoisl für uns irgendwie eine logische Sache. Eins führte zum anderen. Wir hatten Landwirtschaft studiert, wir lieben die Natur, interessieren uns für unsere Umwelt und lernten auch immer mehr darüber, wie sehr sich unser Klima verändert.
› Unser Zuhause: ein gemütliches, traditionelles weststeirisches Bauernhaus.
Wir beobachteten, dass die sozialen Ungerechtigkeiten in der Welt immer größer werden und dass ein individualisierter, konsumorientierter Lebensstil nicht mit einer nachhaltigen Entwicklung einhergeht. Wir waren jung und lebten in Wohngemeinschaften in der Stadt. Und was wir wollten, war, gemeinsam am Land zu leben und Landwirtschaft zu betreiben.
Wir hatten uns schon während unserer Studienzeit für das Thema „Leben in Gemeinschaft“ interessiert und über mehrere Jahre hinweg Veranstaltungen zu diesem Thema organisiert. Wir tauschten uns regelmäßig über unsere Ideen und Träume aus. Und es rückte immer näher: Eine Gruppe von Freund*innen hatte sich bereits zusammengetan und suchte aktiv nach Bauernhöfen, die sie gemeinsam beziehen könnte.
Ein Aussteiger*innendasein zu führen, abgekapselt von der Außenwelt, nichts mehr mit ihr zu tun haben zu wollen, war nie unser Bestreben. Im Gegenteil: Wir wollten damit etwas bewegen. Wir wollten unsere eigenen Ideen umsetzen, um den vielfältigen Missständen dieser Welt entgegenzuwirken. Wir wollten aktiv mitgestalten, Lösungen finden: für eine nachhaltige Gesellschaft, ein friedliches Miteinander, eine Welt ohne Ausbeutung. Mit Respekt vor der Natur die natürlichen begrenzten Ressourcen schonen. Wir wollten ein Leben, in dem unser Tun nachvollziehbar ist. Sinnerfüllt. Uns befreien aus der Ohnmacht gegenüber den vielen Problemen der Welt.
Wo alles anfing: Studienzeit und erste Erfahrungen mit der Selbstorganisation
Als Ursprungsort unserer Gemeinschaft können wir die Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU) festlegen. Dort haben wir uns kennengelernt, Freundschaften geschlossen, saßen nebeneinander im Hörsaal. Es war eine unbeschwerte Zeit, vor uns breitete sich die Zukunft aus, mit einer Fülle an Möglichkeiten.
Und dort hatten wir uns zum ersten Mal ernsthaft über die Möglichkeit des Zusammenlebens unterhalten. Auf Veranstaltungen, bei lebhaften nächtlichen Diskussionen am Küchentisch in unseren WGs haben wir schnell herausgefunden, dass wir ähnliche Meinungen, Gesinnungen, Perspektiven haben. Wir wollten mit unseren Händen arbeiten, uns am liebsten gar nichts vorschreiben lassen, und wir wollten einen Beitrag für eine fairere, zukunftsfähige Welt leisten.
Einige von uns wurden in Gemeinschaftsgärten tätig. Einige engagierten sich in der Österreichischen Hochschüler*innenschaft (ÖH). Zudem waren wir im Tüwi aktiv, einem Kulturverein, der im Türkenwirt-Gebäude der BOKU angesiedelt war und in dem wir uns am selbstverwalteten studentischen „Beisl“ (einem kleinem Lokal) beteiligten und immer wieder Veranstaltungen mitorganisierten. So hatten wir gelernt, wie mensch als Kollektiv tolle Projekte umsetzen kann.
Seither sind schon so viele Jahre vergangen, und es hat sich so ziemlich alles verändert, dass in meiner Erinnerung damals alles so einfach schien. Wenn ich auch weiß, dass wir mit großen Herausforderungen konfrontiert waren: Die Freude darüber, dass wir die Möglichkeit hatten, einen Bauernhof als Gruppe zu beziehen, und die Motivation dafür, ein Leben abseits der Trampelpfade ausprobieren zu können, hatten eine unglaubliche Kraft.
Endlich: Das Kollektiv nimmt Formen an
Und auch ganz konkret begannen wir, uns mit den Möglichkeiten des Zusammenlebens auseinanderzusetzen.
Wir waren seit 2004 mit der österreichischen Gemeinschaft von Longo maï (für nähere Infos dazu schau auf Seite 45) befreundet, mit der wir in regem Austausch standen. Von den Kollektivmitgliedern sowie auf anderen Höfen und bei Praktika hatten wir wichtige Methoden für und Herangehensweisen an die Landwirtschaft gelernt. In der Folge lehnten wir uns in unserem Kollektiv teilweise an ihr organisatorisches System an und adaptierten beispielsweise ihre Idee der gemeinsamen Ökonomie oder der aufgeteilten Hausarbeit. Und auch sonst beschäftigten wir uns mit dem Konzept des kollektiven Lebens und hatten so weitere inspirierende Ideen von anderen Gemeinschaften außerhalb von Österreich im Kopf.
Ein Handbuch dazu, wie mensch ein Kollektiv startet und wie das dann funktionieren sollte, gab es nicht. Und die vorhandene Literatur zum Leben in Gemeinschaften half nur teilweise. Zu diesem Zeitpunkt gab es auch keine anderen Gruppen, die im Begriff waren, ein Kollektiv am Land zu gründen, so wie wir. Es war an der Zeit, dass wir es selbst in die Hand nahmen und unser eigenes Kollektiv so gestalteten, wie wir es wollten. Nach unseren Bedürfnissen und unseren eigenen Vorstellungen.
In unserer Zeit im Tüwi hatten wir bereits Erfahrung mit dem organisatorischen Tool des basisdemokratischen Plenums gesammelt. Die Idee dahinter: Besprechungspunkte und Anliegen, die die Gemeinschaft betreffen, werden so lange besprochen, bis sie einstimmig, im Konsens, entschieden werden können (wie genau das Plenum bei uns abläuft und wie wir die Kommunikation für unser Kollektiv adaptiert haben, erfährst du ab Seite 159). Und: Wir hatten eine vage Idee davon, dass das System einer gemeinsamen Ökonomie sinnvoll wäre. Vor allem mit dem Hintergedanken, dass alle Tätigkeiten, die eine Gemeinschaft braucht, als gleich wertvoll gesehen werden sollen.
Außer unseren Überzeugungen und unserer bisher gesammelten Erfahrung brachten wir damals nichts mit ins gemeinschaftliche Leben. Wir hatten kein Geld. Wir hatten keine fixen Jobs. Wir hatten keine landwirtschaftlichen Geräte, nicht einmal richtiges Gartenwerkzeug. Aber all das konnte uns nicht aufhalten. Wir improvisierten. Borgten uns Geräte aus, versuchten, alte zu reparieren.
Auf der Suche nach einem Wohnort für alle
Aber spulen wir noch einmal zurück: Wie haben wir zu unserer Bleibe gefunden? Den Hof, den wir heute bewohnen, kannte ich bereits aus Kindertagen, als noch die ursprünglichen Besitzer*innen dort lebten und eine Buschenschank betrieben. Noch heute erzählen viele vorbeikommende Wanderer*innen vom lustigen Beisammensein am Wieserhoisl. Ende der 1990er-Jahre wurde mein Vater durch eine Bürgschaft, die er für den Hofbesitzer gemeinsam mit einem Kollegen übernommen hatte, zum Eigentümer der Hälfte der Liegenschaft.
Während meines Landwirtschaft-Studiums stand die Frage immer wieder im Raum, ob ich nicht diesen Hof übernehmen könnte. Doch das lag damals noch in weiter Ferne für mich. Außerdem hatte sich eine neue Familie hier niedergelassen, die den Hof bewirtschaftete und Pläne für die Zukunft schmiedete. Ich selbst hatte nie wirklich an die Übernahme dieses Hofes gedacht. Das war immer nur so im Scherz gesagt.
› Auch bei den Renovierungsarbeiten legten wir natürlich selbst Hand an.
Wir packen unsere Koffer …
Dann kam der Tag, an dem ich meinen Vater nach langer Zeit wieder einmal fragte, was denn mit diesem Hof da oben überhaupt los sei. Das war im Jänner 2006. Da habe ich erfahren, dass die Familie, die den Hof bewohnte, ihn verlassen hatte. Und dann ging es plötzlich ums Ganze. Als sich immer stärker herauskristallisierte, dass unser Traum Wirklichkeit werden würde, stellte sich die alles entscheidende Frage: Wer ist bereit für dieses Abenteuer? Für wie viele Leute gibt es überhaupt Platz auf diesem Hof, der unser neues Zuhause werden soll? Wer ist entschlossen, bis Mitte des Jahres seine*ihre Sachen zu packen und in ein neues Leben zu starten?
Als wir dann an diesem ganz besonderen Tag den Schlüssel in die Hand gedrückt bekamen, zu diesem Zeitpunkt, in den unsere monatelange Planung und Vorbereitung gemündet sind, waren wir erfüllt von Freude und Aufregung. Es war ein ganz besonderer Moment, mit den Schlüsseln in der Hand hier anzukommen! Yes, das wird unser Schaffensort für die nächsten Jahre!
Die vorher noch vagen Ideen und die Träume konnten konkrete Formen annehmen, als wir wussten, dass wir einen Platz zum Ausprobieren hatten. Dass auch Hürden und Herausforderungen auf uns zukommen würden, kümmerte uns in diesem Augenblick noch nicht. Wir waren voller Tatendrang und großer Motivation, unsere über Jahre gereifte Vorstellung von einem Leben am Land im Kollektiv in die Praxis umsetzen zu können. Es war eine unglaublich aufregende und spannende Zeit!
Angekommen am Wieserhoisl: Los geht’s – mit Aufräumaktionen und Gruppenbildung
Und da war er nun: der Wieserhoisl-Hof. Komplett zugewachsen, versteckt hinter (gefühlt) meterhohem Gras, vollgestellt mit Gerümpel.
Brennnesseln wuchsen bis vor die Haustür. Und manche Plätze sahen so aus, als wären sie ganz unvermittelt verlassen worden – überall fanden sich Gegenstände, die offenbar einfach stehen und liegen gelassen worden waren. Es herrschte ein ganz schönes Chaos und Durcheinander.
Voller Motivation starteten wir in die ersten Aufräumarbeiten hier am Hof. Mit Sichel, Sense und Handschuhen machten wir Stück für Stück die Flächen um die Gebäude sowie die Innenräume frei. Wir sortierten Müll von Brauchbarem auseinander, entsorgten große Mengen von Abfall und eigneten uns so in kleinen Schritten den Hof Wieserhoisl für unsere Vorhaben an. Wir suchten nach brauchbaren Möbeln in den Scheunen und richteten die Küche so ein, dass sie nutzbar wurde. Wir malten die Zimmer im Wohnhaus neu aus und bezogen unsere ersten Schlafräume.
In den Wirtschaftsgebäuden gab es neben brauchbaren Gegenständen auch sehr viele, von deren Verwendungszweck wir keine Ahnung hatten. In dieser Anfangszeit wurde es zu einem lustigen Zeitvertreib, mit verschiedenen Menschen in diesem Sammelsurium herumzustöbern. Immer wieder konnte jemand gewisse Gegenstände ihrem Zweck zuordnen. Vieles blieb auch später ein Rätsel und wurde irgendwann endgültig entsorgt.
Unsere Hauptmotivation: Neugierde und die Lust, das machen zu können, was wir uns vorstellten. Mit lieben Freund*innen ein tolles Projekt umsetzen zu können. Und wir hatten keine Angst. Wir starteten einfach mutig, ohne alles bis ins letzte Detail durchdacht oder geplant zu haben. Alles war noch offen, sogar der zeitliche Horizont. Die Vorstellung davon, über die nächsten Jahren dabei zu bleiben, war noch kein Thema. Wir hatten ja gerade die ersten Schritte getan. Wie lange wir bei diesem Vorhaben bleiben würden, stand noch in den Sternen.
Wir werden nicht die Letzten sein – von Hintergründen, Pionier*innen, Abenteurer*innen und unseren Vorbildern
Bevor wir uns hineinstürzen in all das, was am Wieserhoisl so vor sich geht, lass uns doch einen Blick auf die Ideengeschichte hinter dem Konzept des kollektiven Lebens und Arbeitens werfen. Woraus hat sich die Idee entwickelt, welche wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Entwicklungen und Standpunkte stecken dahinter? Hier findest du ganz viele Hintergrundinfos zum Kollektivgedanken, zur alternativen Ökonomie und darüber, wie wichtig es ist, sich untereinander zu vernetzen. Alles klar? Dann lass uns loslegen.
Alternative Formen des Lebens, Arbeitens, Wirtschaftens, fernab von traditionell-bürgerlichen Vorstellungen, entstanden insbesondere innerhalb der Gegenkulturen und Alternativbewegungen in Folge der 1968er-Proteste. Klar, alternative Vorstellungen in Bezug auf die Organisation von Gesellschaft und damit auch von Staat und Wirtschaft gibt es seit Urzeiten: von Platon, der an die Spitze seines utopischen Staates die Philosophen setzte, bis zu den Gesellschaftstheoretiker*innen des 19. Jahrhunderts, die sich Bilder eines gerechten Idealstaates ausmalten, in dem der Kollektivbesitz eine tragende Rolle spielt. In diesen Vorstellungen findet eine Umwälzung der gesamten Gesellschaft statt.
Der Kollektivgedanke, der aus der 68er-Bewegung (für nähere Infos schau auf Seite 36) entstanden ist, beginnt zunächst in der Gruppe, quasi eine andere Form der Familie, die unabhängig von Verwandtschaftsverhältnissen zusammenfindet. Er ist eng mit der Herausbildung der Graswurzelbewegungen verbunden; viele damals neu entstandenen Bürger*inneninitiativen agierten nach dem Motto: „Global denken, lokal handeln.“ Die Idee ist es, in diesem Mikrokosmos die Vorstellungen von Gleichheit, Fairness und Solidarität zu erproben. Und in der Folge die eigene Vision in die Welt zu tragen und anderen zu zeigen, dass es alternative Wege gibt. Heute ist der Kollektivgedanke vielerorts bereits in Unternehmen, Projekten und sogar Wirtschaftssystemen durchgedrungen (schau auf Seite 38).
› Ein Zusammenspiel: Welche Entwicklungen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft sorgten eigentlich für die Herausbildung des Kollektivwesens? Wir nähern uns dem Gedanken hier spielerisch.
Dabei stehen Kollektive in ständigem Konflikt mit realpolitischen Gegebenheiten und institutionellen Hürden, was unter anderem die Frage des Besitzes verdeutlicht (mehr dazu findest du auf Seite 172). Wir sind uns natürlich bewusst, dass wir im weltweiten Vergleich zu den privilegiertesten Menschen zählen; dass wir die Möglichkeit haben, unsere Freiheiten auszuleben – eine Möglichkeit, die viele nicht haben. Aber letztlich sind es ja auch genau solche Missstände und Unfreiheiten, die wir anprangern möchten. Wir stellen die Kehrseiten unseres spätkapitalistischen Zeitalters massiv infrage. Wir wollen daran rütteln, die Fesseln der modernen Gesellschaft aufbrechen und in Richtung eines solidarischen Miteinanders gehen (mehr zu unserer Vision erzählen wir dir ab Seite 54).