Kitabı oku: «Das Holly Summer Lesebuch», sayfa 15
Die frische Luft schlägt mir hart ins Gesicht, und ich spüre die Übelkeit. Oh mein Gott, was habe ich mir bloß dabei gedacht? Ich weiß doch, dass ich keinen Alkohol vertrage.
»Nein, lass mich los, bitte«, rufe ich meinem Begleiter David zu, der mich energisch in Richtung des wartenden Taxis drängt. Ich fürchte, mich noch direkt in seinen Armen zu übergeben. Also versuche ich, mich aus seinem festen Griff zu befreien, was mir allerdings kläglich misslingt. Ich gebe David einen gezielten Stoß in die Rippen, sodass er mit dem großen, dunkel gekleideten Mann zusammenstößt, der gerade auf dem Bürgersteig vorbeigeht. Schnell entschuldigt David sich bei dem Unbekannten, bevor er sich wieder mir zuwendet.
»Was ist denn los, Vivien?«, beschwert sich David lachend, ohne mich loszulassen. »In der Bar warst du nicht so abweisend?«
Der große Unbekannte hinter David scheint die Szene für einige Sekunden entsetzt zu beobachten, bevor er besitzergreifend nach meinem Arm greift und mich aus den Fängen meines Begleiters befreit. Ich spüre den festen Griff um meinem Oberarm und ein kurzes Stöhnen entfährt meinen Lippen, während ich mir schon vorstelle, wie die Finger meines Peinigers blaue Flecken auf meiner Haut hinterlassen. Was fällt diesem Idioten nur ein? Aber das ist sicher nicht das Schlimmste heute Abend, geht es mir noch durch den Kopf, als ich den vertrauten Duft wahrnehme.
»Ich glaube, die Dame hat Nein gesagt«, knurrt der Fremde David an.
Ich drehe mich um und schaue direkt in das Gesicht des Mannes, der für mein chaotisches Seelenleben verantwortlich ist, und jetzt wird mir wirklich schlecht. Matthew? Hier? Wo kommt er so plötzlich her? Seine Hand liegt immer noch fest um meinen Oberarm. Meine Gedanken überschlagen sich. Ich stehe zwischen Matthew und David, die sich beide mit düsteren Blicken belauern, und kann nur ein unterdrücktes Stöhnen von mir geben. Jo hat sich mit ihrem Begleiter in den Hintergrund zurückgezogen und beobachtet die Szene fassungslos. Auch ihr ist alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. Ich höre noch, wie sie entsetzt seinen Namen ausspricht: »Matthew?«
»Hey, was fällt Ihnen ein? Nehmen Sie Ihre Finger von dem Mädchen! Die Süße gehört zu mir, klar?«, kontert David und will nach mir greifen. Aber Matthew zieht mich energisch ein kleines Stück zurück. Bevor Matthew ihm die passende Antwort geben kann, ist es um meine Selbstbeherrschung geschehen und ich übergebe mich direkt vor den Füßen der beiden Männer.
David springt angewidert zurück. »Vivien, pass doch auf! Scheiße.«
Ich kann nicht auf David achten, würge und spucke, bis alles aus meinem Magen heraus ist, was mich quält.
Matthew zieht mich fest an seine Brust. »Alles okay?«, fragt er besorgt.
Ich schaue zu ihm hoch und nicke, froh, den quälenden Brechreiz los zu sein. Nachdem Matthew sich davon überzeugt hat, dass es mir gut geht, drückt seine freie Hand vorsichtig meinen Kopf an seinen Oberkörper und es scheint ihm egal zu sein, dass seine Hose mit meinem Erbrochenen beschmutzt ist. Sein Hemd dürfte jetzt ebenfalls Flecken aufweisen, aber auch darum kümmert Matthew sich nicht. Stattdessen drückt er mich weiter fest an sich, wie sein Lieblingsspielzeug, das er mit niemandem teilen möchte.
Ich hebe den Kopf und fange Jos Blick auf, der sanft und freundlich auf Matthew ruht, bevor sie mich anschaut und besorgt den Kopf schüttelt. Ich empfinde in diesem Moment ein Gefühl von innerlicher Ruhe. Als würde eine schwere Last von mir fallen. Er ist wieder da.
»Jo, steig in das verdammte Taxi ein«, zischt Matthew Jo leise zu. »Ich werde euch nach Hause bringen!«
»Wer ist der Typ, Jo, kennt ihr den etwa? Was bildet der sich ein?«, schaltet sich David wieder in das Geschehen ein.
Ich drehe meinen Kopf in seine Richtung, will etwas sagen, aber Matthew legt beschützend die Hand an meine Wange und schüttelt den Kopf. Da David von mir keine Antwort erhält, dreht er sich genervt zu Jo um.
»Das ist Viviens Freund«, erklärt sie.
»Was? Der Typ? Das ist doch jetzt nicht dein Ernst? Hast du nicht gesagt, sie sei Single, genau wie du? Was geht hier ab, Mann?« David reißt frustriert die Hände hoch und lässt sie gleich darauf erzürnt wieder fallen. »Also, verarschen kann ich mich selbst«, schimpft David und das ist eindeutig an mich gerichtet.
»Ist das immer noch nicht klar? Soll ich es dir noch mal verständlich machen? Du hast doch gehört, was Jo gesagt hat. Ich bin Viviens Freund, also verpisst euch endlich«, mischt sich Matthew ein. Er spricht mit einer Härte in seiner Stimme, die mich kurz zusammenzucken lässt.
»Ach ja, Arschloch? Und ich lasse mir nicht gern die Tour vermasseln. In der Bar sah das noch ganz anders aus. Da war deine angebliche Freundin ganz und gar nicht abgeneigt, mit mir zu kommen«, knurrt David mit einem falschen Lächeln im Gesicht, die Hand bereits zur Faust geballt, während er sich zu Matthew umdreht.
Ich spüre, wie sich Matthews Muskeln anspannen, seine Atmung und sein Herzschlag sich ruckartig beschleunigen und sein Griff um meine Taille sich verstärkt. So abfällig würde er im Beisein anderer nicht über mich reden. Warum muss David, dieser Idiot, ihn provozieren und mich als Flittchen hinstellen, das mit dem Erstbesten ins Bett springt? Das hätte ich nicht von ihm gedacht. Und in diesem Moment läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken, bei dem Déjà-vu, das ich gerade erlebe.
»Verdammte Scheiße, lass uns gehen, David. Das ist die Schnecke nicht wert«, meldet sich jetzt Davids Begleiter zu Wort, der gespürt haben muss, dass die Situation zu eskalieren droht, während er seinen hitzköpfigen Freund am Ärmel wegzuziehen versucht.
Langsam schiebt Matthew mich hinter sich. Diese beschützende Geste rührt mich. Warum hat er das nicht in dieser schrecklichen Nacht getan? Matthew steht einfach nur da, er ist ein kleines Stück größer als David und wirkt, als würde er ihm am liebsten einen Kinnhaken verpassen, aber er hält sich zurück. Doch seine Geduld scheint die Schmerzgrenze erreicht zu haben. Matthews vernichtender Blick ruht weiter auf dem anderen, so als warte er nur darauf, dass David angreift. Ich vermute, dass David wohl keine Chance gegen ihn hätte, und spüre, wie er sich anspannt. Matthew muss verdammt sauer sein. Er könnte David mit nur einem gekonnten Schlag zu Boden befördern.
»David«, versucht der Freund ihn noch einmal zum Gehen zu bewegen, aber David starrt mich weiter an.
»Es tut mir leid«, sage ich leise zu ihm. Jetzt fühle ich mich erst richtig mies. Was muss David für einen Eindruck von mir haben? Aber vielleicht sollte ich Matthew dankbar sein, dass er mich vor einem One-Night-Stand abhält. Ich glaube, spätestens morgen früh hätte ich das bitter bereut.
Einen kurzen Augenblick scheint David noch mit sich zu kämpfen, dann tritt er zurück und funkelt mich dabei wütend an.
»Fuck«, flucht David.
Die beiden werfen mir und Jo einen wütenden Blick zu, drehen sich um und verschwinden die Straße hinunter. Ich sehe noch, wie Davids Freund ihn am Ärmel packt und beschwichtigend auf ihn einredet, während David verärgert den Arm wegzieht. Ihre aufgebrachten Stimmen dringen noch kurz wie durch einen Nebel an mein Ohr, dann atme ich erleichtert aus. Der Taxifahrer, der die Szene verfolgt hat, kurbelt die Fensterscheibe herunter.
»Sir, haben Sie das Taxi bestellt? Wollen Sie nun mitfahren oder nicht? Ich kann hier nicht ewig warten«, blafft er uns an.
Matthew schiebt erst Jo und dann mich zum Wagen. Bevor ich einsteige, treffen sich unsere Blicke und ich weiß, was er fühlt. Dieser dumpfe Schmerz, der auch mich in den letzten Wochen begleitet hat, springt mir direkt aus seinen Augen entgegen, sodass ich nicht anders kann, als ins Taxi zu steigen. Dann greift er in seine Brieftasche, holt einige Hundertdollarscheine heraus und reicht sie dem Taxifahrer durch das geöffnete Fenster. »Hier, ich denke, das dürfte genug sein.«
Sofort bessert sich die Laune des Fahrers. Der Mann bedankt sich überschwänglich.
»Selbstverständlich, Sir. Wo darf ich Sie hinbringen?«, fragt er eifrig und steckt dabei die Scheine schnell in seine Brusttasche.
»Die Adresse, Jo«, verlangt Matthew kurz angebunden von meiner Freundin.
»Die Studentenwohnungen auf der anderen Seite der Stadt«, sagt sie dem Taxifahrer.
»Sie haben es gehört«, wendet Matthew sich nun wieder dem Taxifahrer zu und steigt zu mir in den Fond des Wagens.
Sobald Matthew sich auf den Sitz geschoben hat, wird mir seine Nähe erst so richtig bewusst. Die harten Muskeln seines Oberschenkels, die sich an mein Bein drücken, die Hitze, die von seinem Körper ausgeht, und was noch viel schlimmer ist, ist der Duft, der wie ein Aphrodisiakum auf mich wirkt. Sein Aftershave gepaart mit seinem Körpergeruch macht mich so an, dass ich mich am liebsten sofort auf ihn stürzen und mich in ihm verlieren möchte. Aber ich tue nichts davon. Ich sitze neben ihm auf dem Rücksitz des Wagens und könnte nur noch heulen. Die plötzliche Nähe zu ihm bringt mich fast um. Meine Gefühle für ihn sind in tausend Teile zerfetzt und schwirren irgendwo im Universum herum. Ich weiß nicht, ob ich erleichtert sein soll, dass Matthew da war und mich vielleicht vor einer Dummheit bewahrt hat, oder ob ich ihm in den Hintern treten soll für das, was er mir angetan hat. Jo hat sich in ihre Ecke gelümmelt und schweigt. Sie schaut kurz mi t fragendem Blick zu mir und ich zucke nur mit den Schultern, dann dreht sie sich zum Fenster und starrt hinaus, während Matthew seinen Arm um mich legt und meinen Kopf, der bereits zu schmerzen anfängt, an seine Brust zieht. Ich schließe die Augen, atme tief ein und aus, um die wieder aufsteigende Übelkeit so einigermaßen unter Kontrolle zu halten; dabei versuche ich, meine Gedanken zu ordnen. Was macht Matthew hier? Wieso taucht er gerade dann auf, wenn es mal wieder peinlich für mich wird? Er, mein Ritter in schwarzer Rüstung. Matthew sagt kein Wort, noch nicht. Ich wage einen verstohlenen Blick in sein regloses Gesicht. Er starrt einfach nach vorn. Nur das leichte Zucken seiner Kiefermuskeln lässt mich ahnen, in welcher Stimmung er sich gerade befindet. Oh mein Gott, wie sehr habe ich ihn vermisst, und jetzt sitzt er ganz nah neben mir. Und da sind auch wieder die Schmetterlinge, die sich gerade aus ihrem Winterschlaf erheben und in meinem Bauch eine wild e Verfolgungsjagd veranstalten. Mit seiner rechten Hand streicht Matthew über meinen Oberarm, so als wollte er mir zu verstehen geben, dass alles in Ordnung ist. Oder auch, dass nichts in Ordnung ist und ich wieder einige seiner Belehrungen über mich ergehen lassen muss. Dafür hat David mit seinen unnötigen Andeutungen gesorgt. Aber verdammt, ich bin es doch, die sauer sein sollte, nicht er. Was ist nur mit diesen verdammten Männern los? Gibt es denn keinen auf der Welt, der einfach nur nett und ehrlich ist? Bei dem die Gedankengänge nicht von dem Wort Sex beherrscht werden? Nach einer kurzen Fahrt, die mir wie eine Ewigkeit vorkommt, halten wir bei den Studentenwohnungen am Stanley Park. Ich schrecke hoch, weil ich an Matthews Brust gekuschelt eingedöst war. Müde hebe ich den Kopf und befreie mich aus Matthews Umarmung. Er steigt aus dem Taxi. Mit einem vielsagenden Blick fordert er mich auf, im Wagen zurückzubleiben, aber mir ist in diesem Moment ohnehin viel zu übel, um mich zu bewegen. Er bückt sich zu dem halb geöffneten Fahrerfenster und sagt irgendetwas zu dem Taxifahrer; ich schnappe die Worte »… Ihre Verantwortung, dass sie im Wagen bleibt« auf, bevor er Jo die Wagentür öffnet und sie resolut am Arm packt.
»Was ist mit Vivien?«, höre ich Jo verärgert fragen. »Du glaubst doch wohl nicht, dass ich sie mit dir …«
Ich höre Matthew stöhnen, bevor er ihren Redefluss unterbricht. »Vivien kommt mit mir.«
»Das soll sie mir selbst sagen«, beantwortet Jo sein Drängen. Jo beugt sich zu mir herunter. »Vivien, willst du wirklich mit Matthew mitfahren?«
Ich nicke, obwohl ich weiß, dass es das Beste wäre, jetzt direkt hier auszusteigen und Matthew wieder aus meinem Leben zu verbannen. Diese Szene einfach zu vergessen, als wäre er nie hier gewesen. Aber ich kann nicht. Ich fühle mich so sehr zu ihm hingezogen. Sein Geruch, seine Mimik, seine Stärke, seine tiefe Stimme, die auch unsagbar sanft sein kann, und die Vertrautheit, die sofort wieder allgegenwärtig ist, ziehen mich wie eine Spirale in die Tiefe.
»Okay.« Jo nickt und richtet sich wieder auf, bevor sie sich schwankend zu Matthew umdreht, der sie Arm packt, die Wagentür zuschmeißt und meine Freundin in Richtung Eingang leitet.
Nur kurze Augenblicke später steigt Matthew wieder zu mir in das Taxi und nennt dem Fahrer sein nächstes Ziel. Ich kenne das Hotel, da ich bereits vor wenigen Wochen zwei Nächte mit Matthew dort verbracht habe.
Er beugt sich zu mir und ich fühle seinen Schmerz so deutlich, als wäre es meiner. »Was sollte das, Vivien?«, fragt er mich leise, sodass der Fahrer seine Worte nicht verstehen kann.
Ich spüre seine Anspannung, als er seine Lippen fest zusammengepresst. Oh Mann, ist der sauer. Zum Glück kann ich langsam wieder einigermaßen klar denken.
Ich weiß nicht, was er meint. Den Alkohol? David? Okay, wir haben definitiv zu viel getrunken, und ich weiß, wie Matthew darüber denkt. Aber verdammt, es geht ihn nichts mehr an. Und wenn ich mit David die Nacht verbracht hätte, könnte ihm das auch egal sein. Ich frage ihn schließlich auch nicht, was er die letzten zwei Wochen getan hat. Wir haben uns getrennt. Er hat die Grenzen überschritten, nicht ich. Ich habe nur die Konsequenzen gezogen und getan, was unausweichlich war. Wieso muss Matthew gerade jetzt wieder auftauchen? Ich bin noch nicht über ihn hinweg, im Gegenteil. Seine Nähe macht mich völlig konfus. Außerdem bin ich ihm keine Erklärung schuldig. Mein Kopf scheint wie in Watte gepackt.
»Wie konntest du dich so schnell an einen anderen Mann heranmachen? Hat dir das mit uns denn so wenig bedeutet?«
Er blickt mich nicht an, doch ich kann an seiner Stimme hören, wie verletzt er ist. Nach einer Weile spricht er weiter.
»Die beiden waren doch nur auf einen schnellen Fick aus«, spuckt er vor Verachtung regelrecht aus. »Du und Jo, in eurem betrunkenen Zustand wart ihr die perfekte Beute für die beiden. Himmel, warum musstest du dich so volllaufen lassen?«, knurrt er mich vorwurfsvoll an.
Das Denken fällt mir schwer, trotzdem will ich mich rechtfertigen. Ich antworte etwas zu laut und aufgebracht: »Wer sagt denn, dass ich ihn angebaggert habe? Jetzt bist du es, der auf das dumme Geschwätz von anderen hört. Außerdem geht es dich verdammt noch mal nichts mehr an, von wem ich mich ficken lasse.
Das letzte Mal, als ich deiner Meinung nach einen Fehler begangen habe, hast du mir den Hintern versohlt und mich danach gevögelt. Was hast du denn jetzt mit mir vor?«
Der Blick des Taxifahrers schnellt zum Rückspiegel und schaut uns entsetzt an. Ich ziehe kurz die Luft ein und halte mir die Hand vor den Mund. Oh Scheiße, das wollte ich nicht sagen, es ist mir einfach so rausgerutscht. Der Alkohol ist schuld daran. Warum werde ich im betrunkenen Zustand nur so impulsiv? Dieser verdammte Drang, immer die Wahrheit sagen zu müssen. Aber warum rede ich überhaupt mit Matthew, noch dazu über diesen Abend? Das geht ihn doch gar nichts mehr an!
Ich höre, wie er scharf Luft einzieht. »Sei still. Würdest du bitte etwas leiser sprechen?«, zischt Matthew mich nun ärgerlich an. Er fixiert kurz den Taxifahrer, bevor er mich anstarrt. Die Wut in seinen Augen ist fast verflogen und Schuldgefühle spiegeln sich jetzt darin. Es ist das erste Mal, dass wir uns wieder so nah sind seit jenem schrecklichen Streit, nach welchem ich meine Koffer packte und zu meiner Familie heimkehrte. Und obwohl ich mir so sicher war, dass die Trennung das Beste für mich war und Matthew vergessen wollte, spüre ich sofort wieder dieses besondere Gefühl, das nur er in mir auslöst.
»Verdammt, Vivien, wir hatten über die Sache ausführlich gesprochen. Und falls ich dich daran erinnern darf, du hattest genauso deinen Spaß wie ich. Ich werde dich nicht anfassen, und wenn ich dich ficke, dann nur, wenn du nicht betrunken bist«, antwortet er mir jetzt beruhigter. Er fährt sich mit der Hand durch die Haare. Eine Geste, die mir sehr gut bekannt ist. Er signalisiert mir unbewusst seine Unsicherheit. Schnell scheint er sich wieder unter Kontrolle zu haben, als er sich zu mir umdreht. »Lass uns bitte morgen darüber reden, okay?«, meint er, nachdem er meinen Zustand eingeschätzt hat. »Bitte bleib heute Nacht bei mir im Hotel. Du hast zu viel getrunken, und ich lasse dich so ungern allein. Diesen Fehler habe ich einmal gemacht. Noch einmal passiert mir das nicht«, höre ich ihn noch leise sagen.
Endlich hält das Taxi vor dem Eingang des Fairmont Gold Harborview Hotel und Matthew steigt aus. Ich bleibe im Wagen sitzen. Was soll ich tun? Mit ihm gehen und die Nacht mit ihm verbringen? Wo soll das hinführen? Als ich keine Anstalten mache, den Wagen zu verlassen, höre ich Matthews Räuspern und wende den Kopf zu ihm. Er hält mir versöhnlich die Hand entgegen, und ich kann in dieser Geste die Bitte lesen, ihm zu folgen.
»Bitte, Vivien, bleib heute Nacht bei mir. Nicht, weil ich es will, sondern weil du es willst.«
Ich muss nur zustimmen. Warum tut er mir das an? Ich sollte gehen, mich von ihm fernhalten. Er ist nicht gut für mich. Morgen wird er wieder nach Boston zurückfliegen und mich mit meinem Gefühlschaos allein zurücklassen. Er wird mich nur verletzen. Trotzdem möchte ich mich an seine Brust schmeißen und ihn ganz fest an mich drücken. Meinen ungeweinten Tränen freien Lauf lassen und von ihm getröstet werden. Das Gefühl noch einmal heraufbeschwören, dass er nur mir gehört, und mich in seiner Zärtlichkeit verlieren. Ich atme tief durch und greife nach seiner Hand, die zart zudrückt, um mir zu zeigen, dass ich zu ihm gehöre. Oder will er mir nur beweisen, dass er wieder mal seinen Willen durchsetzen konnte, wie er es immer tut? Ich bin froh, dem beengten Raum des Wagens und vor allem der Nähe zu Matthew entfliehen zu können, die mein Inneres wieder in diese verwirrenden Gefühle versetzt. Aber kaum haben wir das Taxi verlassen, legt Mat thew schon seinen Arm um meine Taille, zieht mich zu sich heran und geht mit mir durch den Eingang Richtung Aufzüge. Mein Kopf fällt erneut an seine Brust, was mir jetzt auch schon egal ist, und ich atme wieder diesen vertrauten, herben, männlichen Duft ein, den ich viel zu lange vermisst habe. Ich habe kapituliert, zumindest für den Augenblick, und dann wird es schwarz vor meinen Augen. Ich spüre noch Matthews Hände, die unter meine Knie fassen, um mich entschlossen an seinen Körper zu drücken.
Die Sonnenstrahlen, die durch die halb geschlossenen Fenster fallen, sind wie Nadelstiche in meinem Gehirn. Ich will die Augen nicht öffnen, weil ich weiß, dass dann der Schmerz in meinem Kopf noch weiter zunehmen wird. Aber ich habe Durst, schrecklichen Durst. Meine Zunge klebt pelzig am Gaumen. Ich blinzle und bin mit einem Ruck hellwach, als ich das fremde Zimmer wahrnehme, in dem ich mich befinde. Mein Blick fällt auf den Sessel am Fenster. Dort liegen Herrenjeans und ein Herrenhemd lässig über die Sessellehne drapiert. Meine eigenen Kleider kann ich nirgends entdecken. Ich hebe die Bettdecke an und stelle erleichtert fest, dass ich zumindest nicht nackt bin. Aber was ist das für eine Boxershorts, die ich trage? Habe ich mich gestern hier ausgezogen? Verflixt, ich kann mich nicht mal mehr erinnern, diesen Raum überhaupt betreten zu haben, geschweige denn, wie ich in dieses Bett gekommen bin. Das Letzte, an das ich mich erinnern kann, ist die Fahrt in einem Ta xi und an ihn. Matthew. Der Raum, in dem ich mich befinde, ist das Schlafzimmer einer der großen Suiten im Fairmont Gold Harborview Hotel in Vancouver. Das Zimmer wird beherrscht von dem großen King-Size-Bett, in dem ich liege und wohl auch die Nacht allein verbracht habe, denn die andere Seite des Bettes ist unbenutzt. David schießt mir durch den Kopf. Nein, mit David bin ich nicht hierher gekommen. Langsam mischen sich die gestrigen Ereignisse schemenhaft in mein Bewusstsein. Natürlich, ich befinde mich in Matthews Suite. Ich habe die Nacht hier mit ihm verbracht. Warum hat er mich gestern Nacht mit hierhergenommen? Seine Stimme dringt leise aus dem angrenzenden Wohnbereich zu mir.
Ich versuche aufzustehen und schwinge meine Beine nicht so dynamisch wie sonst aus dem Bett. Auf die plötzliche Bewegung reagiert mein Körper sofort mit Unwohlsein, eine Folge meines entgleisten Alkoholgenusses von gestern Abend. Das flaue Gefühl im Magen lässt mich kurz aufstöhnen. Langsam schleppe ich mich ins angrenzende Badezimmer, in der Hoffnung, dort ein Aspirin zu finden. Suchend schaue ich mich im Badezimmer um. Auf dem Sims hinter dem Waschbecken liegt tatsächlich eine Schachtel mit Schmerzmitteln. Ich nehme eine Tablette heraus, halte meinen Mund unter den Wasserhahn und spüle sie herunter. Die kühle Flüssigkeit beruhigt meinen trockenen Hals, sodass ich erlöst durchatme. Ich stütze mich auf das Waschtischbecken und schaue in den Spiegel. Das Gesicht, das mich mustert, kann unmöglich zu mir gehören. Unschlüssig stehe ich vor dem Spiegel und schaue mich an. Ich fühle mich gerade mitten in einem Déjà-vu. Meine Haut wirkt fah l und aufgedunsen und die Wimperntusche umrandet verschmiert meine Augen. Oh mein Gott, wie sehe ich nur aus? Schnell nehme ich eines der Pads aus dem Spender und wische mir über die Augen, sodass ich wieder einigermaßen normal und nicht mehr wie ein Vampir aussehe, der die Nacht durchgezecht hat. Der schale Geschmack in meinem Mund erinnert mich daran, dass ich keine Zahnbürste dabei habe. Warum auch? Ich wollte lediglich mit meiner Freundin ausgehen und ein wenig Spaß haben. Dass ich danach hier in einem Hotel und dann auch noch mit Matthew landen würde, war wirklich das Letzte, was ich erwartet hätte. Unschlüssig betrachte ich Matthews Zahnbürste. Ach, was soll´s. Ich nehme sie aus dem Glas und gebe Zahnpasta darauf. Er hat sie heute Morgen bereits benutzt, die Borsten sind noch immer nass. Schnell putze ich mir die Zähne und stelle alles wieder zurück an seinen Platz. Fertig. Mein nächstes Problem sind allerdings meine Kleider, die ich auch hi er nicht finden kann. Verdammt, was ist gestern Nacht nur passiert? Leise betrete ich das Schlafzimmer. Die Tür zum Wohnraum der Suite ist jetzt geöffnet, sodass ich Matthew sehen kann. Er lehnt mit dem Rücken zur Schlafzimmertür an dem Esstisch, der mitten im Raum steht, und hält sein iPhone in der Hand.
»Ja, das ist doch kein Problem. Nein, nein, ihr geht es gut. Ich bringe sie später nach Hause.«
Ich höre nur diese Gesprächsfetzen und ahne, dass er mit meinen Eltern telefoniert.
»Nein, noch nicht. Sie schläft noch.«
Sein nachdenkliches Stirnrunzeln kommt mir vertraut vor, sodass ich kurz einen kleinen Stich in meinem Inneren verspüre wegen des Verlusts unserer Beziehung.
»Wir sehen uns später. Bis nachher.«
Dann legt er auf und beginnt gleich das nächste Gespräch; dieses Mal ist sein Anruf geschäftlich. Matthews Laune scheint sich seit gestern Nacht sichtlich gebessert zu haben. Ich höre ihn leise lachen. Das ist schön für ihn, aber von meiner Stimmung kann man das nicht behaupten. Ich bin nicht bereit, jetzt mit ihm zu sprechen. Vielleicht bin ich das nie! Ich will schnellstens nach Hause, und zwar ohne ihm zu begegnen. Unschlüssig gleitet mein Blick durch das Schlafzimmer. Die einzigen Kleidungsstücke, die ich auf die Schnelle sehe, sind die Jeans und das Hemd auf dem Sessel. Vorsichtig husche ich an der leicht geöffneten Tür vorbei, sodass er mich nicht hört, und greife entschlossen nach der Kleidung. Die Hose ist natürlich viel zu groß, ebenso das Hemd, aber darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Ich stolpere fast in die Hose, ziehe das Hemd über sein T-Shirt, das ich trage, stopfe es in die Hose und fixiere sie mit dem Gürtel um mein e Taille. Dann kremple ich mir noch die viel zu langen Hosenbeine hoch. Fertig. Schuhe! Ich brauche Schuhe. Suchend drehe ich mich im Raum um und entdecke seine Turnschuhe neben der Badezimmertür. Ich schnappe sie mir und setze mich aufs Bett, sodass ich ihn direkt in meinem Blickfeld habe. Als hätte er meinen Blick in seinem Rücken gespürt, dreht Matthew sich zu mir um, während er seinem Gesprächspartner weiter interessiert zuhört. Ich funkle ihn beleidigt an, was ihm einen überraschten Ausdruck in sein Gesicht zaubert. Jetzt muss ich nur noch an ihm vorbei und aus der Suite verschwinden. Über dieses Problem brauche ich nicht lange nachzudenken, denn jetzt beendet er sein Gespräch, kommt zur Tür und tritt ein. Ein verhaltenes Lächeln umspielt seine Lippen, während er den Raum betritt und vor dem Bett stehen bleibt, auf dem ich sitze und mich vergeblich abmühe, seine Turnschuhe anzuziehen. Er wirkt belustigt und verschränkt die Arme vor d er Brust. So kenne ich ihn, beherrscht und aufregend sexy. Ganz gegen meinen Willen beschleunigt sich mein Herzschlag bei seinem Anblick. Matthew trägt eine alte verwaschene Jeans, die sich körperbetont um seine muskulösen Beine schmiegt, sowie ein enges graues T-Shirt, das knapp über dem Hosenbund endet und somit seinen Waschbrettbauch, auf dem sich eine schmale Linie dunklen Haares in seiner Jeans verliert, noch mehr zur Geltung bringt. Schnell verjage ich die Bilder von seinem nackten Körper, die sich unaufhaltsam in mein Gedächtnis schleichen. Mein Blick ist auf seine nackten braunen Füße gerichtet, die unter der aufgekrempelten Jeans hervorschauen. Er hat so wahnsinnig schöne Füße. Matthew sieht einfach immer fantastisch aus. Selbst in Lumpen würde er noch eine gute Figur machen. Meine Laune sinkt in den Keller, als ich an mir herunterschaue. Ich muss aussehen wie eine Vogelscheuche, meine Haare sind zu einem undefinierbaren Knäul mutiert. Von meinem Gesicht will ich gar nicht erst reden. Ich stecke in seinen Klamotten und seiner Unterwäsche. Tja, die Zeiten sind vorbei, als ich Designer-Dessous getragen habe, die Matthew meistens ausgesucht hatte. Er liebte es, mich nackt auszuziehen, um mir dann die verführerischen Dessous überzustreifen, die ich aber selten lange am Körper getragen habe. Er konnte seine Hände einfach nie von mir lassen. Hat Matthew mich gestern Abend auch ausgezogen? Bei den Liebesspielen, die Matthew mit mir in der Vergangenheit praktiziert hat, sollte es mich nicht wundern. Zornesröte steigt mir ins Gesicht. Was ist gestern Nacht passiert?
»Guten Morgen«, bricht er das unangenehme Schweigen. Er wirkt jetzt unsicher.
»Guten Morgen«, antworte ich und halte seinem Blick stand, während ich immer noch mit den Schnürsenkeln seiner Turnschuhe beschäftigt bin. Ich hoffe, er sieht mir an, dass ich, nur weil er mich letzte Nacht vor David bewahrt hat, nicht vergesse, was vor zwei Wochen geschehen war. Jetzt, wo er vor mir steht, bin ich wütend, und irgendwie mischt sich diese Empfindung doch mit den zärtlichen Gefühlen, die ich für ihn immer noch habe.
»Wie fühlst du dich?«, fragt er.
»Matthew, was willst du eigentlich?«, frage ich genervt. Ganz tief in mir drin ist da noch immer ein warmes Gefühl für Matthew und die Hoffnung, dass er mich zurückgewinnen will. Ich möchte am liebsten heulen, ihn anschreien und mich gleichzeitig in seine Arme werfen, aber ich tue nichts davon. Sitze einfach nur weiter da und schaue zu ihm hoch.
Er zuckt mit den Schultern und wirkt tatsächlich unbeholfen. Er, Mr. Alphawolf und Kontrollfreak, weiß nicht, was er tun soll. Sucht er etwa nach Worten, wie er mir sagen kann, schön, dich wieder mal gesehen zu haben, kann ich dich noch nach Hause bringen? Oh Gott, ich möchte einfach nur weg von ihm. Meine Gefühle für ihn scheinen noch intensiver als vorher.
»Du hast abgenommen«, stellt er mit Sorge in seiner Stimme fest. »Du bist ohnehin schon zu dünn«, sagt er beunruhigt zu mir, während er seinen Blick über meinen Körper wandern lässt.
Toll, dass dir das auffällt, Mr. Ich-habe-alles-unter-Kontrolle. Ich habe abgenommen. Aber daran bist du schuld, würde ich ihm am liebsten entgegenschmeißen. Will er mir das jetzt vorwerfen? Es ist das erste Mal nach diesem schrecklichen Abend vor zwei Wochen, dass wir uns gegenüberstehen, zumindest in nüchternem Zustand. Gestern zählt nicht.
»Wir müssen reden«, ändert er die Richtung des Gesprächs und ich spüre, dass er sich nicht wohl fühlt in seiner Haut. Sein Körper ist angespannt und die coole, selbstsichere Haltung, die er grundsätzlich an den Tag legt, scheint sich spurlos in Nichts aufgelöst zu haben. Immerhin haben wir das gemeinsam. Seine beherrschte Art, die Dinge beim Namen zu nennen, so wie er es gestern im Taxi getan hat, ist gänzlich verschwunden und Unsicherheit macht sich in seiner Stimme breit. Jetzt kommen wir der Sache schon näher. Aber ich bin nicht bereit, jetzt mit ihm darüber zu reden. Ich bin sauer und das werde ich ihn spüren lassen. Wenn er glaubt, mich um den Finger wickeln zu können, werde ich es ihm nicht leicht machen.
»Ach, du willst reden und ich soll dir jetzt zuhören. Hast du mir zugehört?«
»Kleines, ich weiß …«, setzt er an.
»Nein, Matthew, nicht so«, fahre ich ihn an.
Ich blicke wieder zu Boden und schnüre den zweiten Turnschuh zu, ohne noch etwas zu sagen. Dabei ziehe ich in meinem Frust zu fest an den Schnürsenkeln, sodass ich ein Ende plötzlich in der Hand halte. Scheiße. Ich schleudere den Stofffaden auf den Boden und stehe auf, bleibe direkt vor Matthew stehen und funkle ihn, hoffentlich, grimmig an.
»Schatz, bitte gib mir doch die Möglichkeit, dir alles zu erklären«, bittet er.
Meine Miene bleibt hart und ich schüttle verneinend den Kopf. Da er nicht zur Seite gehen will, lege ich meine Hand auf seine Hüfte und schiebe ihn weg, sodass er sofort den Weg frei macht. Ohne ein Wort zu sagen, gehe ich an ihm vorbei, lasse ihn einfach stehen und verlasse fluchtartig das Schlafzimmer durch den Wohnbereich. Kaum habe ich die Tür zur Suite erreicht, um in den Hotelflur zu entkommen, höre ich ihn hinter mir leise fluchen. Ich drehe mich nicht um, greife nach der Türklinke und werfe die Tür hinter mir geräuschvoll zu. Geschafft! Ich lehne mich kurz an die Wand und versuche, meinen rasenden Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Als ich höre, wie die Tür sich neben mir öffnet, laufe ich schnell den Gang hinunter zum Aufzug.