Kitabı oku: «Tante Lisbeth», sayfa 2

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Der alte Parfümerienhändler wischte sich die tränenfeuchten Augen. Die Ehrlichkeit seines Schmerzes machte Eindruck auf die Baronin. Sie riß sich aus den Grübeleien, in die sie versunken war.

»Sagen Sie, gnädige Frau«, fuhr Crevel fort, »kann man mit zweiundfünfzig Jahren einen solchen Schatz wiederfinden? In einem Alter, wo die Liebe jährlich dreißigtausend Francs kostet! Ich sehe das an Ihrem Herrn Gemahl. Aber ich liebe meine Tochter zu zärtlich, um sie zu ruinieren ... Als ich Sie kennenlernte, bei jenem ersten Diner, zu dem Sie mich eingeladen hatten, da begriff ich nicht, warum Ihr Mann, der Schurke, eine Jenny Cadine aushielt. Sie sahen wie eine Kaiserin aus. Sie waren noch nicht dreißig Jahre. Sie waren jung und schön! Auf Ehre, an dem Tage war ich tief erschüttert. Ich sagte mir: Hätte ich nicht meine Josepha, so wäre diese von ihrem Gatten verlassene Frau meine richtige Handschuhnummer ... Verzeihung! Das ist so eine Redensart von früher her! Der Parfümerienfritze kommt ab und zu wieder zum Vorschein! Es ist Zeit, daß ich Abgeordneter werde! – Also, nachdem mich der Baron so niederträchtig betrogen hatte – unter alten Kameraden, die wir waren, muß einem die Geliebte des Freundes heilig sein! –, da hab ich mir geschworen, ihm seine Frau zu rauben. Das wäre Vergeltung! Der Baron könnte gar nichts dagegen tun. Wir würden sicher straflos ausgehen. Und doch jagen Sie mich von Ihrer Schwelle wie einen räudigen Hund – bei dem ersten Wort, mit dem ich Ihnen den Zustand meines Herzens andeute. Damit haben Sie meine Liebe, meine Beharrlichkeit – wie Sie sagen – verdoppelt. Sie sind mir verfallen!«

»Wieso?«

»Das weiß ich nicht, aber es ist so. Sehen Sie, gnädige Frau, ein dummer Kerl wie ich, ein Kaufmann, der kein Geschäft mehr hat, wenn der sich einmal einen Gedanken in den Kopf gesetzt hat, so ist er tausendmal halsstarriger als ein Gelehrter, der tausend Ideen im Gehirn hat. Ich bin in Sie vernarrt. Sie verkörpern meine Rache. Das ist gleichsam eine doppelte Leidenschaft! Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube. Ich weiß, was ich will. Und wenn Sie mir auch sagen, Sie würden nie die Meine, so rede ich doch kaltlächelnd mit Ihnen weiter. Wie das Sprichwort sagt: Ich spiele mit offenen Karten. Und ich sage Ihnen: Eines Tages gehören Sie mir! Und sollte ich warten, bis Sie fünfzig Jahre alt sind: meine Geliebte werden Sie doch! Es muß so kommen! Dafür wird Ihr Gatte sorgen!«

Die Baronin warf dem Vorausrechner einen Blick zu, dessen grenzenlose Angst ihm halb verrückt vorkam. Crevel lenkte ein.

»Sie haben es so gewollt! Sie haben mich mit Ihrer Geringschätzigkeit überschüttet. Sie haben mich verachtet. Ich mußte reden.«

Damit wollte er notgedrungen seine letzten zügellosen Worte mildern.

»Meine arme Tochter, meine arme Tochter!« lispelte die Baronin vor sich hin. Es war ihr, als ob sie sterben sollte.

»Was geht mich das an!« erwiderte Crevel. »Damals, als mir Josepha untreu wurde, war ich wie eine Löwin, der man ihre Jungen weggenommen hat ... Kurz und gut, mir war zumute wie Ihnen in dieser Stunde. Ihre Tochter! Gerade sie ist mir das Mittel zum Zweck, um Sie zu erringen! Ich bin daran schuld, ich und kein anderer, daß die Heirat Ihrer Tochter nicht zustande gekommen ist, und ohne meine Beihilfe wird sie nie und nimmer zustande kommen! Mag Fräulein Hortense noch so schön sein, eine Mitgift braucht sie!«

»Leider!« Die Baronin wischte sich die Augen.

»Na – und bitten Sie Ihren Mann bloß einmal um zehntausend Francs! Versuchen Sie es nur!« meinte Crevel, indem er sich in Positur setzte. Dann schwieg er eine Weile wie ein Schauspieler, der auf sein Stichwort wartet. »Und wenn er die zehntausend hätte, würde er sie der Nachfolgerin von Josepha geben.« Crevel brüllte beinahe. »Er ist unverbesserlich. Er kann die Weiber nicht lassen. Sie sind sein Element sozusagen. Und die liebe Eitelkeit kommt auch noch dazu. Ein netter Familienvater! Wenn er nur sein Vergnügen hat! Ihr könnt alle zusammen auf Stroh liegen. Viel fehlt übrigens nicht, und der Ruin ist da. Solange ich in diesem Hause verkehre, hat sich die Einrichtung Ihres Salons nicht verändert. Die Armut guckt aus allen Ecken und Enden hervor. Den Schwiegersohn können Sie sich malen, der angesichts dieses Elends nicht kehrtmacht. Und das Elend der vornehmen Leute ist das allerschlimmste. Ich bin Kaufmann gewesen. Mir macht keiner was vor. Ein Pariser Kaufmann hat gute Augen. Unsereiner erkennt den Unterschied zwischen echtem und falschem Prunk sofort. Sie haben keinen roten Heller!« Er begann leise zu sprechen. »Das sieht man an allem. Sogar an der Livree Ihres Dieners. Soll ich Ihnen einmal ein paar häßliche Geheimnisse offenbaren?«

»Herr Crevel!« Frau von Hulot weinte in ihr Taschentuch hinein. »Es ist genug!«

»Ach was! Mein Schwiegersohn schiebt seinem Vater Geld zu. Das wollte ich Ihnen zunächst von dem Benehmen Ihres Sohnes berichten. Aber ich werde die Interessen meiner Tochter zu wahren wissen. Darauf können Sie sich verlassen!«

»Ach, ich möchte meine Tochter verheiratet sehen und dann sterben!« rief die Baronin. Sie war todunglücklich.

»Das liegt ja ganz in Ihrer Hand«, meinte der ehemalige Parfümerienhändler.

Frau von Hulot sah Crevel mit einem Ausdrucke voll Hoffnung an. Das veränderte ihr Gesicht so plötzlich, daß allein dieser Wandel den Mann da vor ihr hätte rühren und von seinem lächerlichen Vorhaben abbringen müssen.

»Noch in zehn Jahren werden Sie schön sein!« beteuerte er, indem er sich in seine Attitüde rückte. »Seien Sie lieb zu mir, und Fräulein Hortense ist verheiratet! Ihr Mann hat mich bevollmächtigt, kann ich Ihnen sagen, die Sache ohne Zimperlichkeit ins Lot zu bringen. Er wird sich nicht weiter betrüben. Seit drei Jahren verbrauche ich nicht einmal meine Zinsen mehr. Ich mache keine großen Dummheiten. Abgesehen von meinem eigentlichen Vermögen habe ich dreihunderttausend Francs Ersparnisse ...«

»Gehen Sie fort, Herr Crevel!« unterbrach ihn die Baronin. »Gehen Sie und lassen Sie sich nie wieder vor mir blicken! Wenn es nicht hätte sein müssen, wenn ich nicht hätte wissen müssen, warum Sie sich in der Angelegenheit von Hortenses Heiratsplan so niederträchtig benommen haben .... Jawohl, niederträchtig!« wiederholte sie auf eine abwehrende Gebärde Crevels. »Wie könnten Sie sonst einen derartigen Haß auf ein armes Mädchen häufen, auf ein schönes unschuldiges Geschöpf! Wenn es nicht hätte sein müssen, aus mütterlicher Herzensnot, hätte ich nie wieder ein Wort mit Ihnen gesprochen, hätte ich Sie nie wieder zu mir vorgelassen! Zweiunddreißig Jahre bin ich eine anständige und treue Frau geblieben. Meine Frauenehre soll auch vor dem Ansturm eines Herrn Crevel nicht zuschanden werden ...«

»... ehemaligen Parfümerienhändlers, Nachfolgers in Firma Cäsar Birotteau ›Zur Rosenkönigin‹, Rue Saint-Honore«, ergänzte Crevel spöttisch, »Stadtrats, Hauptmanns der Bürgerwehr, Ritters der Ehrenlegion ...«

»Herr Crevel«, unterbrach ihn die Baronin, »wenn mein Mann nach zwanzigjähriger Treue seine Frau satt bekommen hat, so geht das niemanden etwas an außer mir! Wie sehr er seine Untreue zu verheimlichen verstanden hat, das sehen Sie daraus, daß ich nicht gewußt habe, daß er das Herz von Fräulein Josepha nach Ihnen besessen hat ...«

»Jawohl, und mit Gold erkauft, gnädige Frau!« fuhr Crevel auf. »Der Racker hat ihm in diesen zwei Jahren bare einhunderttausend Francs gekostet. Sie werden noch so manches erleben ...«

»Lassen wir das, Herr Crevel! Ich werde Ihnen zuliebe nicht auf das Glücksgefühl verzichten, das eine Mutter empfindet, wenn sie ihre Kinder reinen Herzens an sich drückt, verehrt und geliebt von den Ihren! Mein letztes Stündlein soll mir als einer Schuldlosen schlagen!«

»Amen!« höhnte Crevel in jener verteufelten Bitterkeit, die eingebildete Menschen ergreift, wenn sie in ein und derselben Sache wiederholt keinen Erfolg haben. »Was wissen Sie von der letzten Neige des Elends, von Schmach und Schande! Ich habe den Versuch gemacht, Ihnen die Augen zu öffnen. Ich wollte Sie retten, Sie und Ihre Tochter. Sie werden den Becher des Unglücks bis auf den letzten Tropfen auskosten ... Ihre Tränen und Ihr Stolz rühren mich. Eine geliebte Frau weinen zu sehen, ist schrecklich!«

Indem er das sagte, setzte er sich. Dann fuhr er fort:

»Ich kann Ihnen weiter nichts versprechen, meine liebe Adeline, als daß ich nichts gegen Sie unternehmen will und nichts gegen Ihren Mann. Aber berufen Sie sich nie auf mich! Mehr vermag ich nicht zu tun.«

»Wie soll das enden?« rief Frau von Hulot aus.

Bis jetzt hatte die Baronin tapfer die dreifache Qual erduldet, die diese Unterredung ihrem Herzen bereitete. Sie litt als Weib, als Mutter, als Gattin. Solange ihr der Schwiegervater ihres Sohnes in so roher Weise zugesetzt hatte, war sie stark genug gewesen, dieser Brutalität Widerstand zu bieten. Gegenüber der Gutmütigkeit jedoch, die der verschmähte Verliebte, dieser gedemütigte Nationalgardist zu guter Letzt bei aller Wut verriet, versagten ihre überreizten Nerven. Sie rang die Hände und brach in Tränen aus. So überkam sie eine derartige Niedergeschlagenheit, daß sie sich von Crevel, der vor ihr niedergesunken war, ohne Abwehr die Hände küssen ließ.

»Mein Gott, wie wird das enden?« wiederholte sie, indem sie sich die Augen trocknete. »Soll eine Mutter kaltblütig zusehen, wie ihre Tochter vor ihren Augen hinsiecht? Was wird aus einem so prächtigen Geschöpf, einem von der Natur so bevorzugten Wesen, selbst wenn es stark und rein ist, wie ihre Mutter? An manchen Tagen wandelt sie trübsinnig im Garten einher, ohne daß sie recht weiß, warum. Oft finde ich sie mit verweinten Augen ....«

»Sie ist einundzwanzig«, meinte Crevel.

»Soll ich sie ins Kloster stecken?« fragte die Baronin. »In solchen Krisen unterliegt selbst die Frömmigkeit oft der Natur. Die ehrbarst erzogenen Mädchen verlieren ihren Verstand .... Aber stehen Sie doch auf, Herr Crevel! Fühlen Sie denn nicht, daß zwischen uns nun alles aus ist? Daß ich Angst vor Ihnen habe? Sie haben die letzte Hoffnung einer Mutter vernichtet.« »Wenn ich sie wieder aufleben ließe?« sagte Crevel.

Die Baronin blickte ihn mit einer Miene der Hoffnungslosigkeit an, die ihn rührte. Aber die Worte: »Ich habe Angst vor Ihnen!« bewogen ihn, das Mitleid seines Herzens wieder zu unterdrücken. Die Ehrbarkeit ist allzu steifnackig; sie vermag sich nicht durch Hintertüren zu ducken, um auf Schleichwegen zum Ziele zu gelangen.

»Ohne Mitgift verheiratet man heutzutage keine Tochter, auch wenn sie so schön wie Hortense ist«, bemerkte Crevel, wobei er wieder geziert wurde. »Ihre Tochter ist eine Beauté, die niemand Lust hat zu heiraten, gewissermaßen ein Luxuspferd, das allzuviel kostspielige Pflege verlangt, um leicht Käufer zu finden. Wenn man mit einer solchen Frau am Arm spazierengeht, schaut einen alle Welt an und läuft einem nach. Jeden gelüstet nach dieser Frau. Solche Erfolge sind aber nicht jedermanns Geschmack. Mancher schießt sich nicht gern. Mehr als einen kann man auch nicht auf einmal niederknallen. Kurz und gut, wie die Verhältnisse liegen, können Sie Ihre Tochter nur auf drei Arten an den Mann bringen. Erstens: mit meiner Beihilfe. Das wollen Sie ja nicht. Zweitens: Sie verschachern Sie an einen Sechzigjährigen, etwa an einen reichen Witwer, ohne Kinder, der sie haben möchte. Das ist zwar auch nicht so einfach, aber es läßt sich machen. Finden sich doch alte Kerle genug, die junge Weiber wie die Josepha oder die Jenny Cadine aushalten. Warum sollte man nicht mal einen finden, der dieselbe Dummheit in legitimer Weise begeht? Wenn ich meine Cölestine nicht hätte und meine beiden Enkelchen, heiratete ich Hortense. Na und drittens: das ist die allerleichteste Art und Weise...«

Frau von Hulot sah angsterfüllt auf Crevel.

»Paris ist eine Stadt, in die alle tatkräftigen Menschen zusammenströmen. Und die schießen in Frankreich wie die Pilze aus der Erde. In Paris wimmelt es von Talenten, die nicht Haus und Herd haben, aber mutig und zu allem fähig sind, selbst dazu, ihr Glück zu machen. Ich meine, Menschen wie... na, ich selber war mal so einer, und ich kenne ihrer eine ganze Menge. Was besaß Tillet, was Popinot vor zwanzig Jahren? Sie ramschten beide in Papa Birotteaus Laden mit keinem andern Kapital als dem Drange, emporkommen zu wollen. Ich versichere Ihnen, das ist soviel wert wie das beste Kapital! Kapital kann zum Teufel gehen, Mannesmut nicht... Was besaß ich? Den Drang nach vorwärts und meinen Mut! Tillet ist heute einer der gewichtigsten Leute. Und der kleine Popinot, der reichste Drogist in der Rue des Lombards, ist Abgeordneter geworden, jetzt Minister... Kurz und gut, so ein Kondottiere der Elle, der Feder oder des Pinsels, aber nur ein solcher, kann in Paris ein schönes Mädel ohne einen roten Heller heiraten. Die Sorte hat auch dazu Mut. Popinot hat Fräulein Birotteau ohne Aussicht auf die geringste Aussteuer genommen. Solche Kerle sind Narren! Sie glauben an die Liebe, wie sie an ihr Glück und ihr Können glauben. Suchen Sie einen Mann von Energie! Wenn er sich in Ihre Tochter verliebt, heiratet er sie ohne Bedenken. Sie werden mir zugeben, daß ich – als Feind – immerhin großmütig bin, denn mit diesem guten Rate arbeite ich gegen mich selber.«

»Ach, Herr Crevel, wenn Sie nur mein Freund sein und Ihre lächerlichen Hirngespinste lassen wollten!«

»Lächerliche Hirngespinste? Gnädige Frau, schädigen Sie sich doch nicht selber! Sehen Sie: ich liebe Sie, und Sie müssen zu mir halten! Eines schönes Tages will ich zu Hulot sagen: ›Du hast mir Josepha genommen, ich dir deine Frau!‹ Die alte Geschichte von der Vergeltung! Ich werde mein Ziel weiter verfolgen, es sei denn – Sie würden grundhäßlich! Und ich komme zum Ziele, und zwar aus dem Grunde« – er blickte die Baronin selbstbewußt an –, »aus dem Grunde«, fuhr er nach einer Pause fort, »weil Sie weder einen alten Mummelgreis noch einen verliebten Draufgänger erwischen werden. Weil Sie Ihre Tochter viel zu sehr lieben, als daß Sie sie einem alten Roué in die Hände geben. Und weil Sie viel zu stolz sind, Sie, die Baronin Hulot, Sie, die Schwägerin eines napoleonischen Generals, der die Alte Garde geführt hat, viel zu stolz, sage ich, als daß Sie einen jener Draufgänger nähmen, wo Sie ihn finden. Zum Beispiel, einen einfachen Arbeiter? So mancher Millionär war vor zehn Jahren simpler Maschinist, Vorarbeiter oder Werkführer. Und dann: wenn Sie glauben, Ihre Tochter könne Ihnen in einer schwachen Stunde Schande bereiten, müssen Sie sich da nicht sagen: ›Nein, nein! Lieber ich als sie! Crevel wird mein Geheimnis wahren, und ich erringe die Mitgift meiner Tochter. Zweihunderttausend Francs gegen zehn Jahre Freundschaft mit diesem ehemaligen Handschuhmacher, dem alten Crevel!‹ Ich belästige Sie, und was ich da sage, ist höchst unmoralisch, nicht? Wenn Sie von wilder Leidenschaft zu mir ergriffen wären, dann fänden Sie wie alle liebenden Frauen tausend Gründe zur Rechtfertigung Ihrer Sünden! Ich sage Ihnen: Hortenses Glück wird Ihr Gewissen zur Kapitulation zwingen!«

»Hortense hat noch einen Onkel.«

»Wen? Wohl den Vater Fischer? Na, der ist mit seinem Gelde fertig, und zwar dank dem Herrn Baron, der alle Kassen ausräumt, die in seinem Bereiche liegen.«

»Graf Hulot ....«

»So? Die Ersparnisse des alten Generalleutnants wird Ihr Mann wohl längst klein gekriegt haben. Mit dem, was er von ihm bekommen hat, ist das Haus seiner Sängerin eingerichtet. Genug! Wollen Sie mich wirklich ganz ohne Hoffnung von dannen gehen lassen?«

»Leben Sie wohl, Herr Crevel! Die Genesung von der Leidenschaft zu einer Frau in meinen Jahren ist leicht. Sie werden christlich denken. Gott schützt die Unglücklichen.«

Die Baronin erhob sich, um den Bürgerwehrhauptmann zum Gehen zu zwingen. Sie manövrierte ihn in den großen Salon hinüber.

»Soll die schöne Frau von Hulot inmitten des alten Gerümpels leben?« bemerkte er, sich umblickend, wobei er auf eine altmodische Lampe, auf einen ehedem vergoldeten Kronleuchter, auf einen fadenscheinigen Teppich deutete, die Reste vom Prunke dieses Salons in Weiß, Gold und Rot, die toten Überbleibsel kaiserlichen Glanzes.

»Herr Crevel, über alledem leuchtet die Ehrbarkeit! Ich verspüre kein Verlangen nach einer luxuriösen Einrichtung. Aus den schönen Dingen, die Sie mir borgen würden, könnte Speck für die Mäuse werden!«

Crevel biß sich auf die Lippen. Er erkannte seine eigenen Ausdrücke wieder, mit denen er vorhin Josephas Habgier gebrandmarkt hatte.

»Für wen die Treue?« warf er hin.

In dem Augenblick waren beide an der Salontür angelangt.

»Für einen Wüstling!« knirschte er mit der Grimasse des Moralisten und Millionärs.

»Wenn Sie recht hätten, Herr Crevel, wäre meine Treue um so verdienstvoller!«

Sie grüßte den Bürgergardisten, wie man grüßt, um sich einen lästigen Menschen vom Leibe zu halten. Dann wandte sie sich rasch ab, ohne ihn ein letztes Mal in seiner Attitüde zu sehen. Sie schloß die Tür wieder auf, die sie vor der Unterredung verschlossen hatte, und so entging ihr die drohende Gebärde, mit der Crevel schied. Stolz und edel schritt sie hin wie eine Märtyrerin in der Arena des Kolosseums. Immerhin waren ihre Kräfte erschöpft. Halbkrank sank sie auf den Diwan ihres blauen Zimmers. Ihre Blicke suchten die verfallene Laube draußen, in der ihre Tochter mit Tante Lisbeth plauderte.

Seit ihrem Hochzeitstage bis zu dieser Stunde hatte die Baronin ihren Gatten geliebt wie Josephine ihren Napoleon, in bewundernder Liebe, in mütterlich-sorglicher Liebe, in feiger Liebe. Wenn sie auch die Einzelheiten, die ihr Crevel eben hinterbracht, nicht gewußt hatte, so war sie trotzdem überzeugt gewesen, daß der Baron sie seit zwanzig Jahren hinterging. Aber ganz klar hatte sie gar nicht sehen wollen. Heimlich hatte sie oft geweint, aber nie war ihr ein Wort des Vorwurfs entschlüpft. Als Dank für diese engelhafte Zartheit hatte sie die Ehrfurcht ihres Mannes geerntet. Er behandelte sie wie ein höheres Wesen. Die Zuneigung, die eine Frau für ihren Mann äußert, die Achtung, mit der sie ihn ehrt, wirkt vorbildlich auf die ganze Familie. Hortense hielt ihren Vater für das Muster eines liebevollen Ehemannes, und der junge Baron Hulot, von Kindheit an ein Bewunderer seines Vaters, in dem er einen der Paladine des großen Kaisers sah, war überzeugt, daß er seine eigene Stellung dem Namen, dem Range und dem Ansehen des Vaters zu verdanken hatte. Überdies pflegen Jugendeindrücke lange nachzuwirken. Er hatte die Ehrfurcht vor seinem Vater noch nicht verloren, und selbst wenn er die von Crevel enthüllten Seitensprünge geahnt hätte, würde er sie ehrerbietig übersehen und vom herkömmlichen Standpunkte der Männer in derlei Dingen entschuldigt haben.

Die außergewöhnliche Anhänglichkeit der Baronin, dieser vornehmen schönen Frau, erklärt sich von selbst aus ihrer Lebensgeschichte.

Im äußersten Lothringen, zu Füßen der Vogesen, waren zur Zeit der Aushebungen der jungen französischen Republik (1792) drei Brüder namens Fischer, alle drei einfache Landleute, zur sogenannten Rhein-Armee ausgehoben worden. Im Jahre 1799 vertraute der zweitälteste, Andreas, der verwitwete Vater der nachmaligen Baronin Hulot, sein Kind der Fürsorge seines ältesten Bruders Peter an, der im Jahre 1797 infolge einer Verwundung invalid geworden war. Andreas zeichnete sich bei einem besonders wichtigen Nachschubunternehmen aus und erwarb sich die Gunst des Armee-Intendanten Hulot von Ervy. Wie das ganz natürlich ist, lernte dieser bei einem Aufenthalt in Straßburg die Familie Fischer kennen. Adelines Vater und sein jüngster Bruder waren zu der Zeit Inspektoren am Verpflegungsamt im Elsaß.

Adeline war damals sechzehn Jahre alt. Man konnte sie mit der berühmten Madame Dubarry vergleichen, die ja auch Lothringerin war. Sie war wirklich eine blendende Schönheit vom Schlage der Frau Tallien, ein Sonntagskind der Schöpfung. Vornehmes Wesen, edler Sinn, Anmut, Verstand, Eleganz, alles das war ihr in der geheimnisvollen Werkstatt der Natur in einem wundervollen Körper zuteil geworden. Gewisse Frauen gleichen sich wie Schwestern. Man denke an Bianca Capella, deren Bildnis eins der Meisterwerke Bronzinos ist, oder an die Venus des Jean Goujon, deren Urbild die berühmte Diana von Poitiers war, an Signora Olympia, deren Porträt in der Galerie Doria hängt, oder an Ninon de Lenclos, Madame Dubarry, Madame Tallien, Mademoiselle Georges, Madame Récamier, kurz an alle die Frauen, die trotz ihrer Jahre, ihrer Leidenschaften und ihrer Abenteuer schön geblieben sind. Sie haben in ihrer Gestalt, ihrem Bau, dem Typus ihrer Schönheit überraschende Ähnlichkeiten. Man möchte glauben, es flösse im Ozean der Generationen ein venusinischer Strom, aus dem die Aphroditen der Weltgeschichte geboren werden, Töchter ein und derselben Salzflut. Adeline Fischer war eine der Zierden dieses Göttergeschlechts.

Der Armee-Intendant verliebte sich auf der Stelle in diese blonde Eva und machte sie, sobald sie so alt war, wie es das Gesetz vorschreibt, zu seiner Frau, zur größten Überraschung der Familie Fischer, die in ihren Vorgesetzten höhere Wesen zu sehen gewohnt war. Der älteste Fischer, Peter, der beim Sturm auf die Stellung bei Weißenburg schwer verwundet worden war, vergötterte den Kaiser und alles, was mit der Großen Armee zusammenhing. Andreas und Hans sprachen nur voller Ehrfurcht vom Armee-Intendanten Hulot, dem Günstling Napoleons. Überdies war er der Schöpfer ihres Glücks; denn Hulot, der ihre Klugheit und Rechtschaffenheit erkannte, hatte sie in die Verwaltung gebracht. Während des Feldzugs von 1804 hatten sie, wie bereits gesagt, gute Dienste geleistet. In der folgenden Friedenszeit hatte ihnen Hulot jenen Posten im Elsaß verschafft, ohne zu ahnen, daß er später selber nach Straßburg befehligt werden würde, um dort den Feldzug von 1806 vorzubereiten.

Der jungen Landtochter kam ihre Heirat wie ein Einzug ins Paradies vor. Ohne Übergänge wurde sie aus der Enge ihrer bäuerlichen Heimat in den Glanz des Kaiserhofes versetzt. Gerade um die Zeit wurde der Intendant, einer der tüchtigsten und eifrigsten Arbeiter in seinem Fache, zum Baron erhoben und durch Zuteilung zur Kaiserlichen Garde in die unmittelbare Nähe des Kaisers gezogen. Die junge Dorfschöne, die in ihren Gatten toll verliebt war, unterwarf sich aus Liebe zu ihm mutig einer neuen Erziehung.

Hektor von Hulot war übrigens als Mann das wahre Seitenstück zu der Frau, die Adeline war. Er war wirklich ein schöner Mann. Groß und wohlgebaut, die dunklen Augen voller Leben und unwiderstehlichem Feuer, eine elegante Erscheinung, ragte er selbst unter den Dandys der Umgebung des Kaisers hervor. Obwohl wie alle rechten Männer ein Eroberer und den Frauen gegenüber ganz ein Kind seiner Zeit, ward sein galantes Leben durch seine junge Ehe auf recht lange Zeit unterbrochen.

Für Adeline war der Baron somit von Anfang an gewissermaßen ein höheres unfehlbares Wesen. Sie verdankte ihm alles: Vermögen, einen vornehmen Haushalt, ein Palais, den ganzen Luxus jener Tage. Dabei hatte sie das Glück, allgemein beliebt zu sein. Sie war Baronin; sie war berühmt: man nannte sie »die schöne Madame Hulot«. Selbst der Kaiser huldigte ihr und verehrte ihr ein Diadem mit Brillanten. Er zeichnete sie allenthalben aus, und von Zeit zu Zeit stellte er die Frage: »Was macht die schöne Frau Hulot? Immer noch unnahbar?« Er war der Mann danach, jeden seine Rache fühlen zu lassen, der dort triumphiert hätte, wo er selbst nichts erreicht hatte.

Nach alledem ist es sehr leicht verständlich, daß sich die Liebe dieser Frau bei ihrer schlichten und geraden Natur bis zur Überschwenglichkeit steigern mußte. Überzeugt, daß ihr Mann ihr gegenüber niemals im Unrecht sein könne, ward sie in ihrer Häuslichkeit die demütige, blind ergebene Dienerin ihres Herrn und Meisters. Ihre tüchtige Erziehung stützte ihr reichlicher gesunder Menschenverstand, der Mutterwitz des Kindes aus dem Volke. In großer Gesellschaft pflegte sie wenig zu sprechen; sie klatschte nicht, und nie suchte sie zu glänzen. Aber über alles machte sie sich ihre Gedanken. Sie verstand zu hören und zu beobachten, und so übernahm sie die Kultur der vornehmsten und ehrbarsten Damen.

Im Jahre 1815 ahmte Hulot in seinem politischen Verhalten das Beispiel des Fürsten von Weißenburg nach, eines seiner vertrautesten Freunde. So wurde er einer der Schöpfer jener aus der Erde gestampften Armee, deren Niederlage bei Waterloo der Ära Napoleons ein Ende setzte. 1816 war er ein gefürchteter Gegner des Ministeriums Feltre. Erst im Jahre 1823, als man ihn im Spanischen Krieg brauchte, ließ er sich von neuem im Kriegsministerium anstellen. Im Jahre 1830, als Louis-Philippe unter den Bonapartisten Umschau hielt, gelangte er abermals zu einem der höchsten Posten der Heeresverwaltung. Als dann die jüngere Linie des Hauses Bourbon auf den Thron kam, ward er die erste Stütze des Kriegsministers. Den Marschallstab konnte er nicht erringen, aber noch Minister oder Pair werden.

In seiner berufslosen Zeit, in den Jahren 1818 bis 1823, begann sich Hektor von Hulot von neuem eifrig dem Minnedienste zu widmen. Adeline nahm die erste Untreue ihres Mannes wie zum großen Finale der Kaiserzeit gehörig hin. Zwölf Jahre lang war sie Alleinherrscherin gewesen. Fortan erfreute sie sich jener gewohnheitsmäßigen Zuneigung, die Ehemänner für ihre Frauen hegen, wenn sie sich mit der Rolle der gütigen, ehrsamen Kameradin begnügen. Sie wußte, daß sie nur ein einziges Wort zu sagen brauchte, und keine ihrer Rivalinnen hätte sich auch nur noch zwei Stunden halten können; aber sie schloß Augen und Ohren. Sie wollte die Lebensweise ihres Mannes außerhalb des Hauses nicht kennen. Schließlich behandelte sie ihn wie eine Mutter ihr Lieblingssöhnchen. Drei Jahre vor der eben stattgehabten Unterredung hatte Hortense einmal im Varieté den Vater in der Gesellschaft von Jenny Cadine in einer der Orchesterlogen zu erkennen vermeint.

»Da sitzt Papa!« hatte sie gerufen. »Du irrst dich, Herzchen!« hatte die Mutter abgewehrt. »Papa ist beim Onkel Marschall.«

Gleichwohl war Jenny Cadine von der Baronin erkannt worden; aber anstatt daß Adeline angesichts dieser schönen Dirne einen Stich durchs Herz empfunden hätte, sagte sie sich: Was hat Hektor, dieser Schlingel, für ein Glück! Und doch litt sie. Heimlich unterlag sie den gräßlichsten Wutanfällen; aber sobald sie ihren Hektor wiedersah, traten ihr immer zugleich die zwölf Jahre ihres ungetrübten Glückes vor Augen, und sie fand nicht die Kraft, sich auch nur ein einziges Mal zu beklagen. Am liebsten hätte sie es gehabt, wenn ihr Mann sie zur Vertrauten gemacht hätte; aber sie besaß aus Achtung vor ihm nicht den Mut, ihm je zu verstehen zu geben, daß sie seine Abenteuer kannte. Diese übermäßige Rücksicht findet sich nur bei Frauen aus dem Volke, die Schläge hinnehmen, ohne sie zu erwidern. Es steckt noch ein Rest von Leibeigenschaft in ihrem Blute. Hochgeborene Frauen hingegen, die sich ihrem Manne gleichgestellt fühlen, sind instinktive Tyranninnen, und wo sie etwas nachsehen, markieren sie das doch, wie man beim Billardspiel die Pointe markiert. Etwas Teuflisches zwingt sie dazu, sich eine gewisse Überlegenheit, das Recht auf Rache, zu wahren.

Einen leidenschaftlichen Verehrer hatte die Baronin in ihrem Schwager, dem Generalleutnant Grafen Hulot, dem berühmten Kommandeur der Kaiserlichen Gardegrenadiere zu Fuß, der in seinen alten Tagen Marschall geworden war. Nachdem er von 1830 bis 1834 Divisionär der bretonischen Regimenter – also auf dem Schauplatze seiner Heldentaten von 1799 bis 1800 – gewesen, hatte er sich in Paris zur Ruhe gesetzt und führte nur noch ein leichtes Amt im Landesverteidigungsrat. Sein altes Soldatenherz schlug mit dem seiner Schwägerin, die er als Ausbund ihres Geschlechts bewunderte. Er war unverheiratet geblieben, weil er eine zweite Adeline hatte finden wollen, aber während seiner Fahrten und Feldzüge in aller Herren Länder vergebens danach gesucht hatte. Napoleon hatte von ihm gesagt: »Der tapfere Hulot ist durch und durch Republikaner, aber verraten wird er mich niemals!« Um der Achtung dieses Ritters ohne Furcht und ohne Tadel nicht verlustig zu gehen, hätte Adeline noch viel grausamere Leiden ertragen als die, die soeben auf sie eingestürmt waren. Aber der Zweiundsiebzigjährige, der in dreißig Feldzügen ergraut und bei Waterloo zum siebenundzwanzigsten Male verwundet worden war, war ihr ein Abgott, jedoch kein Beschützer. Neben anderen Gebrechen mußte er sich übrigens eines Hörrohres bedienen.

Solange der Baron Hulot von Ervy ein schöner Mann war, kosteten ihn seine Liebschaften nichts; aber mit fünfzig Jahren verlassen einen die Grazien, und bei alternden Männern wird Lieben ein Laster. Sie werden dabei sinnlos eitel. Auch Adeline beobachtete an ihrem Manne, daß er in seiner Toilette unglaublich umständlich wurde. Er färbte sich Haare und Bart, trug Gürtel und Korsett; kurzum, er wollte um jeden Preis »der schöne Mann« bleiben. Diese Pflege seines Äußern, die er ehedem an andern verhöhnt hätte, trieb er, bis ins Kleinlichste. Dazu machte die Baronin die Wahrnehmung, daß der Geldstrom, der seinen Kurtisanen zufloß, seine Quelle schließlich gar bei ihr suchte. Seit acht Jahren war ein beträchtliches Vermögen verschwendet worden, und zwar so gründlich, daß ihr der Baron vor nunmehr zwei Jahren gelegentlich der Niederlassung seines Sohnes als Rechtsanwalt notgedrungen das Geständnis gemacht hatte, seine Mittel beständen nur noch aus seinem Gehalt.

»Wohin soll das führen?« hatte Adeline gefragt. »Mache dir keine Sorgen«, war seine Antwort gewesen. »Ich lasse euch die Einkünfte meiner hohen Stellung. Hortenses Ausstattung und unsere Zukunft werde ich durch Spekulationen sichern.«

Der feste Glaube dieser Frau an die Macht und die starke Kraft, an die Fähigkeiten und den Charakter ihres Gatten hatte ihre flüchtige Unruhe wieder verscheucht. Seit zwei Jahren sah sich die arme Frau vor einem tiefen Abgrunde, doch glaubte sie, nur sie allein sähe ihn. Sie wußte nicht, wie die Heirat ihres Sohnes zustande gekommen war; sie ahnte nichts von dem Verhältnisse Hektors mit der habsüchtigen Josepha. Kurzum, sie hoffte, daß kein Mensch auf Erden ihr Leid kenne. Wenn nun Crevel allerorts so rücksichtslos vom Leichtsinn ihres Mannes redete, so mußte Hektor ja sein öffentliches Ansehen verlieren. Aus den häßlichen Reden dieses aufgebrachten ehemaligen Parfümerienhändlers trat ihr die abscheuliche Kumpanei entgegen, der die Heirat des jungen Advokaten zu verdanken war. Zwei Dirnen waren die Schutzgöttinnen dieser Ehe gewesen, die bei irgendeinem Bacchanal zwischen würdelosen Intimitäten von zwei angetrunkenen alten Lebemännern abgekartet worden war!

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