Kitabı oku: «Otto mit dem Pfeil im Kopf», sayfa 8
Drei
Braunschweig verdankte seine Existenz einer Furt durch die Oker. Auf beiden Seiten des Flusses, so erzählte man sich, seien schon im 9. Jahrhundert die Siedlungen Brunswik und Dankwarderode entstanden. Die erste Urkunde über die Existenz Braunschweigs ist allerdings erst 1031 ausgefertigt worden. Als Gründer der Stadt galt der Graf Brun oder auch Bruno. Von den Brunonen ging die Stadt Braunschweig wie das gesamte Herzogtum Sachsen 1142 an Heinrich den Löwen über, der die Stadt zu seiner Residenz ausbaute.
Als Jacopp von Colno und einige andere Magdeburger auf Braunschweig zuritten, waren sie nicht unbedingt von guten Gefühlen erfüllt. Erzbischof Wichmann hatte zwar nie richtig Krieg gegen die Welfen geführt, sich aber zu oft mit den Askaniern zusammengetan – etwa bei der Rückeroberung der Brandenburg im Jahre 1157. Sie konnten also nicht erwarten, dass Heinrich sie mit offenen Armen empfangen würde.
Doch Jacopp von Colno kannte einige seiner Lehnsmänner ganz gut, so dass sie doch auf Hilfe hofften, wenn sich der Mörder Peter Drackstedts, verkleidet als Zisterzienser, in Braunschweig aufhalten sollte.
»Heinrich hat sich schon immer als etwas Besseres empfunden«, urteilte Jacopp von Colno, »so als würde er weit über anderen Reichsfürsten stehen. Am liebsten hätte er es wohl gehabt, wenn er denselben Status erhalten hätte wie der König von Böhmen.«
Lennhart Drackstedt lachte. »Wie muss er den Kaiser geärgert haben, dass der ihn sogar in die Verbannung geschickt hat!«
»Ja, nachdem er den Kaiser nicht unterstützen wollte, als der gegen die Lombardei in den Krieg gezogen ist.«
1182 war Heinrich der Löwe ins Exil gegangen, unter anderem nach England. Seine Frau war in Braunschweig geblieben, und nach deren Tod war er vorzeitig zurückgekehrt, um seinen Frieden mit dem Kaiser zu schließen.
So erreichten sie Braunschweig und wurden auch zum Fürsten vorgelassen. Als sie ihre Bitte vorgetragen hatten, gab sich Heinrich der Löwe aber ziemlich abschätzig.
»Zisterzienser also … Reitet doch selber nach Ritdageshusen, da steht das Kloster auf dem Land, das ich ihnen geschenkt habe. Wann war das?« Sein Blick ging in die Richtung seines Gefolges.
»Im Jahre 1146!«, rief ihm einer der Seinen zu.
Heinrich nickte. »Hat jemand von euch eine Schar Zisterzienser in Braunschweig gesehen?«
»Nein.«
»Dann schaut also selber in Ritdageshusen nach«, sagte er zu seinen Gästen. »Oder noch besser, ihr fragt die Askanier und Otto II., die haben doch die Zisterzienser vor ihren Karren gespannt.«
Damit waren die Magdeburger entlassen. Aber immerhin war Heinrich so gnädig, ihnen hinterherzurufen, sie mögen den Erzbischof doch bitte von ihm grüßen lassen.
Was blieb ihnen, als nach Ritdageshusen zu reiten? Man verriet ihnen, dass es nur einen Steinwurf östlich von Braunschweig zu finden war, und zwar an einem Flüsschen namens Wabe.
Dort angekommen, wandten sie sich an den Abt. »Wir suchen acht Zisterzienser, die in Magdeburg losgezogen sind und nach Braunschweig wollten.«
»Warum sucht ihr die?«, wollte der Abt wissen.
»Weil …«, Jacopp von Colno zögerte ein wenig mit der Antwort, »… weil sich unter sie ein Mann gemischt hat, der ein Mordbube ist.«
»Tut mir leid, hier ist niemand angekommen. Da müsst ihr wohl woanders suchen.«
Für einen Lebemann wie Ricario Accorsi war der Alltag in Lehnin sehr gewöhnungsbedürftig. Nun hatte er zwar als venezianischer Kaufmann auch arbeiten müssen, aber nicht gerade hart, und den größten Teil des Tages und der Nacht war er auf Genüsse aller Art fixiert gewesen – nicht zuletzt erotische Genüsse. Im Kloster aber … O Gott! Schnell hatte Ricario begriffen, dass sich im Kloster alles um das opus dei drehte, das Gotteslob. Die Zisterzienser waren dem ora et labora des heiligen Benedikt von Nursia verpflichtet und sollten mit dem Psalm 119, Vers 164, zu Gott sprechen: Ich lobe dich des Tages siebenmal … Auch mitten in der Nacht hatte man aufzustehen, um ihm zu danken. Das entsprach dem Vers 62 des 119. Psalms: Zur Mitternacht stehe ich auf, dir zu danken … 150 Psalmen hatten innerhalb einer Woche gebetet zu werden.
Der heilige Benedikt hatte die täglichen Stundengebete in Horen eingeteilt. Die erste Hore trug den Namen vigil oder matutin und fand zwischen Mitternacht und frühem Morgen statt. Sie wurde mit einem Psalm eröffnet, danach folgten ein Hymnus und eine oder zwei nocturni. Die nocturni bestanden aus Psalmen und einer Lesung.
»Te deum laudamus«, sang Ricario Accorsi am Ende – mit voller Inbrunst, um ja nicht aufzufallen.
Bei Tagesanbruch ging es weiter mit dem Morgengebet, laudes genannt. Dann kamen prim, terz, sext, non und schließlich vesper. Die vesper, das zentrale Abendgebet, bestand aus Psalmen, Hymnen, dem Vaterunser, einer Schriftlesung, Fürbitten und dem Magnifikat. Nun glaubte Ricario Accorsi, genug gelitten zu haben, doch es folgte noch die komplet, die letzte Hore, als Nachtgebet. Sie enthielt ein Bußgebet, einen Hymnus, Psalmen, eine Lesung, einen Antwortgesang, einen Lobgesang, ein Oratorium und den Segen. Dann begann die nächtliche Ruhe.
»Gott sei Dank!«, murmelte Ricario Accorsi.
Neben den gemeinsamen Stundengebeten und der gemeinsamen Messe standen die individuellen Gebete der Mönche, denn die Bibel sagte im ersten Brief des Paulus an die Thessalonicher (5, 17): Betet ohne Unterlaß! Die individuellen Gebete beinhalteten neben der lectio, dem Lesen biblischer Texte, auch die meditadio, das Nachdenken über das Gelesene, und die oratio, die Hinwendung zu Gott im Gebet. Diese Gebete konnten die Mönche entweder in der eigenen Klosterzelle oder im Kreuzgang abhalten. Hier hatte Ricario Accorsi Gelegenheit, nur so zu tun, als ob.
Zwischen den Horen wurde studiert und gearbeitet, denn Müßiggang galt als Feind der Seele. Das Studium der Heiligen Schrift war für Ricario Accorsi nicht gerade ein Genuss, aber längst nicht so schrecklich wie die körperliche Arbeit auf den Feldern und in den Sümpfen. Die Klöster sollten, so der Wille der Markgrafen, Vorbilder für die weithin slawische Bauernschaft ringsum in den Dörfern sein. Mit dem Gott der Christen, so die Botschaft, kommt für euch das bessere Leben. Die Zisterzienser legten Sümpfe trocken und ließen sie zu fruchtbaren Äckern werden. Sie bauten Mühlen, sie versuchten sich im Anbau von Wein, und sie züchteten Schweine, Rinder, Ziegen und Pferde. Zudem fingen sie Fische und stellten Bienenkörbe auf. Das diente nicht nur der Selbstversorgung, langfristig wollte man auch Handel treiben mit Getreide, Fisch, Molkereiprodukten, Honig, Bienenwachs und Leder und die Städte beliefern, die sich im Raum zwischen Elbe und Oder entwickeln würden.
Die schwersten Arbeiten wurden in der Regel nicht von den Chormönchen verrichtet, sondern von den Laienbrüdern mit verringerten Gebetspflichten, den conversi. Ricario Accorsi war jedoch in die Sümpfe geschickt worden, um Buße zu tun für seine sündigen Gedanken. Denn Bruder Honorius, der den Strohsack neben ihm belegt hatte, war zum Abt geeilt, um vom Samengeruch im Schlafsaal und Accorsis Selbstbefleckung zu berichten.
Zwei Tage hielt Ricario die Arbeit auf den Feldern aus, dann eilte er zum Abt, damit der ihm eine andere Aufgabe zuteilte.
»Mit meinem Bein, das durch den Schlangenbiss stark in Mitleidenschaft gezogen worden ist, und einem Rücken, der schon schmerzt, wenn ich Schwereres hebe als einen Becher mit verdünntem Wein, kann ich nicht länger mit dem Spaten meine Arbeit verrichten«, begann er. »Und außerdem glaube ich, ohne dass mich jemand der Eitelkeit bezichtigen kann, in einer anderen Funktion unserem Orden besser dienen zu können. Darum …« Er machte eine kleine Pause und senkte das Haupt, um seine Demut anzuzeigen. »Wenn ich mir ein offenes Wort erlauben darf …«
»Ja, Lando, sprich!«
»Danke! Unser Mutterkloster wie auch der Markgraf wünschen, dass wir die Heiden missionieren. Aber diese Missionsarbeit liegt, das habe ich schon in Erfahrung bringen können, in Lehnin ziemlich im Argen.«
Sibold seufzte. »Ja, zugegeben, mein Sohn, aber ich …« Er verlor irgendwie den Faden, denn alles an Ricario Accorsi reizte ihn: seine schöne Gestalt, sein edles Gesicht, die wohlklingende Sprache, seine erlesenen Gedanken. Er war auch ins Kloster gegangen, weil er Männer liebte, und er spürte genau, dass dieser Italiener, dieser Lando ihm gefährlich werden konnte. Herr, gib mir die Kraft, dass ich dieser Versuchung widerstehen kann! Es fiel ihm auch auf, dass Lando und er etwa gleichen Alters waren und äußerlich einander ähnelten, fast wie Zwillingsbrüder. Das verwirrte ihn zusätzlich.
»Ist etwas mit Euch?«, fragte Ricario, dem nicht entgangen war, dass der Abt bleich geworden war und dass seine Hände zitterten.
»Nein, nein, nur die Hitze heute …« Sibold wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Du bist die Hitze gewohnt, du als Italiener …«
»Allerdings, aber auch die Kühle …« Ricario Accorsi lächelte. »Denn der Name unseres Ortes, Santa Maria di Acquafredda, weist auf eine kalte Quelle hin, mit deren Hilfe wir uns stets erfrischen konnten.«
»Erzähle mir etwas von deinem Kloster, liebster Lando«, säuselte Sibold.
Für Ricario war es eine gänzlich neue Erfahrung, von einem Mann begehrt zu werden, und er wusste, dass er fortan auf der Hut sein musste.
»Ja, was soll ich groß zum Kloster Acquafredda sagen? Gestiftet hat es im Juli 1142 Azzo Peregrino, der Herr der Isola Comacina, der einzigen Insel im Comer See. Neun Jahre später ist mit dem Bau einer Kirche begonnen worden.«
»Nun, auch Lehnin ist eine Insel«, merkte Sibold an. »Eine Insel der Zivilisation, eine Insel des Christentums …«
Ricario nickte. »Ja, und von dieser Insel aus müssen wir das Land erobern – für unseren Herrn Jesus Christus und die Kultur des Abendlandes. Das geht nur, wenn wir zu den Menschen gehen, zu den slawischen Fischern und Bauern, und vor Ort liebevoll mit ihnen reden.«
Der Abt war begeistert. »Das ist es, was ich immer sage: Man kann die Menschen nur mit Liebe gewinnen!«
»In den Dingen der Liebe kenne ich mich aus«, entfuhr es Ricario Accorsi, doch zum Glück war Sibold zu einfältig, um den Doppelsinn seiner Worte zu bemerken. »Und vor allem muss man mit den Slawen in ihrer Sprache reden – und nicht auf Deutsch oder gar Latein. Und da stelle ich mich gern in den Dienst der guten Sache, denn ich kenne die Dialekte der Heveller, der Sprewanen und der Lutizen.«
»So?« Sibold sah ihn skeptisch an. »Wenn ich dich um ein Beispiel bitten dürfte, liebster Lando: Was heißt denn ›Vater unser im Himmel‹?«
Ricario überlegte kurz und sagte dann: »Ojciec nasz na niebie.«
»Sehr gut, mein liebster Lando. So ziehe denn dahin und versuche, die Heiden zu bekehren!«
Das ließ sich Ricario Accorsi nicht zweimal sagen, schon am nächsten Morgen zog er los. Als Erstes lief er zum nächstgelegenen See, um ein wenig zu schwimmen und sich dabei gründlich zu reinigen, denn mochten die Frauen ringsum auch keine wohlriechenden Männer gewohnt sein, einem Kerl, der in seinen Kleidern schlafen musste und daher einen unangenehmen Geruch verbreitete, gingen auch sie mit Sicherheit aus dem Wege.
Ricarios Verführungskünste verfingen nicht bei jeder Frau – leider –, aber doch bei vielen. Es war immer wieder ungeheuer prickelnd zu erleben, wie leicht ihr Liebesfeuer zu entfachen war.
So streifte er durch das Dorf Nahmitz und suchte nach einer passenden Gelegenheit. Sie bot sich schneller, als er zu hoffen gewagt hatte, denn im Garten eines etwas abgelegenen Gehöftes stand eine junge Frau, blond und drall, und bückte sich, um Brombeeren zu pflücken. Dabei streckte sie ihm ihr Gesäß derart aufreizend entgegen, dass er an sich halten musste, um sich nicht sofort auf sie zu stürzen.
»Jesteś piękna!«, rief er aus.
Die junge Slawin fuhr herum. Dass ihr jemand Komplimente machte und sie wunderschön fand, war sie gewohnt, aber dies aus dem Mund eines keuschen Mönches zu hören, war mehr als erstaunlich. Sie starrte ihn an.
Und genau dieser Blickkontakt war es, den er brauchte, um sie in seinen Bann zu schlagen. Wie in Trance kam sie zu ihm an den Zaun.
»Ich gäbe alles auf der Welt dafür, deinen Namen zu kennen«, flüsterte er.
»Duša …«
»Der Himmel hat mich auf die Erde geschickt, um die Menschen glücklich zu machen«, begann Ricario Accorsi, »und ganz besonders dich, Duša …«
Es dauerte keine Viertelstunde, dann lag er mit ihr im Heu.
Die Deutschen müssen weg, die Askanier müssen weg, die Zisterzienser müssen weg! Zum Teufel mit allen! Darko konnte an nichts anderes mehr denken, seit ihm bei jedem Bissen der gebrochene Kiefer schmerzte. Er war inzwischen abgeheilt, aber ein wenig schief geblieben, was ihn recht dämonisch aussehen ließ. Aber das konnte ihm nur recht sein.
Tod diesem Lando! Dass der Zisterzienser, der nicht bereit gewesen war, sich ermorden zu lassen, diesen Namen trug, hatte er schnell herausgebracht.
Jarosław trat in seine Hütte, und sie berieten kurz, was sie als Nächstes unternehmen konnten, um ihrem großen Ziel näher zu kommen.
»Allein sind wir nicht schlagkräftig genug«, sagte der Bäcker aus Nahmitz. »Wir sollten uns nach Verbündeten umsehen.«
Darko nickte. »Da hast du recht, aber woher nehmen und nicht stehlen?« Von den Sprewanen nebenan und den Stämmen der Milzener und Lusizi in der Lausitz war nichts Gescheites zu erwarten, und die Polen schienen nach Jaxas Ende jegliches Interesse an der Mark Brandenburg verloren zu haben und verbrauchten ihre Kräfte in internen Machtkämpfen.
»Was sollen wir dann tun?«, fragte Jarosław.
»Wir müssen ein Zeichen setzen, wir müssen den Unseren zeigen, dass der Kampf weitergeht. Und darum schleichen wir uns diese Nacht ins Kloster Lehnin und stecken den Altar in Brand. Christus am Kreuz … Das ist alles aus trockenem Holz und wird wunderbar brennen.«
Jarosław hatte leichte Bedenken. »Meine Frau wird schimpfen …«
»Hör mir auf mit Duša!«, rief Darko. »Ich glaube, die haben sie auch schon zum Christentum bekehrt …«
Und er sprach zu ihnen: Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur. Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.
Abt Sibold las noch um Mitternacht mit Hingabe in der Heiligen Schrift und hatte am 16. Kapitel des Markus-Evangeliums seine ganz besondere Freude. Da erhob sich draußen im Hof des Klosters ein Riesengeschrei.
»Feurio! Auf zum Löschen, schnell!«
Sibold stürzte nach draußen und sah Rauch und Flammen aus der Klosterkirche schlagen. Alles, was aus Holz war, das Gestühl wie der Altar, war in Brand geraten. Und obwohl Mönche und Laienbrüder im Nu eine Kette gebildet hatten und die Eimer, die im Klostersee gefüllt wurden, von Hand zu Hand gingen, war nichts mehr zu retten – ihre Kirche brannte völlig aus. Da blieb ihnen nichts, als sich ihre Tränen zu trocknen und sich mit Hiob 1, Vers 21 zu trösten: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; der Name des Herrn sei gelobt!
Am Morgen begann der Abt, die Sache zu untersuchen, denn man glaubte, dass einer der Mönche oder Konversen nach dem Abendgottesdienst vergessen hatte, eine Kerze zu löschen. Doch alle wiesen diesen Verdacht weit von sich. Bis zum Mittag war dann alles aufgeklärt, denn Bruder Hilarius fand in einem Balken des Kornspeichers ein Bekenntnis eingeritzt: Svarazic war hier!
Ricario Accorsi wusste, wer das war. »Svarazic ist ein slawischer Feuergott. Das Wort bedeutet eigentlich: heiß, sengend. Dargestellt wird er mit Helm, Schwert und einem schwarzen Büffelkopf auf der Brust. Ihm wurden auch Menschenopfer dargebracht.«
Sibold war besorgt. »Ist denn jemand von uns ums Leben gekommen?«
Man sah sich um und zählte durch. »Nein, Gott sei Dank nicht.«
Pater Hilarius seufzte. »Svarazic wird ja kaum persönlich hier gewesen sein …«
Ricario Accorsi widersprach ihm: »Möglicherweise doch, denn er bedient sich manchmal auch eines Blitzes.«
Da aber niemand ein Gewitter wahrgenommen hatte, schied diese Möglichkeit aus, und man einigte sich darauf, dass das Feuer von Menschenhand gelegt worden war.
»Und zwar von einem Slawen.« Pater Hilarius war mächtig verärgert. »Der Markgraf schickt uns ins Slawenland, damit wir für ihn die Drecksarbeit erledigen sollen – und hockt derweilen auf seinen Burgen und macht sich ein schönes Leben. Soll er doch endlich Verwalter in den Dörfern installieren, die sich um die Leute dort kümmern und für Ruhe und Ordnung sorgen!«
»Nicht so heftig, Bruder!«, mahnte ihn der Abt. »Wir sind zuvörderst hier, um den Menschen das Christentum zu bringen. Und wir machen uns den Markgrafen zunutze, nicht er sich uns.«
»Trotzdem kann er uns mehr Unterstützung zuteilwerden lassen«, beharrte der Pater.
Der Abt nickte, und um seinen Frieden zu haben, schickte er Ricario Accorsi, den er für einen sehr gewandten Diplomaten hielt, zu Otto II., um mit ihm Verhandlungen aufzunehmen.
Niemand wusste genau, wo sich der Markgraf im Augenblick aufhielt, man vermutete ihn aber auf der Brandenburg. Ricario Accorsi machte sich gleich am nächsten Morgen nach der Vigil auf den Weg.
Die Strecke war bequem bis zum frühen Abend zu schaffen, Ricario konnte sich sogar noch zwischendurch im Rietzer See erfrischen. Auf der Burg begrüßte man ihn mit allem nötigen Respekt, doch der Markgraf war zu erschöpft von der Jagd und dem sich anschließenden Gelage und konnte ihn erst am nächsten Morgen empfangen. Eine Magd bekam die Weisung, Ricario Accorsi eine angemessene Schlafstätte zuzuweisen, und der ließ sich die Chance nicht entgehen, Fronicka, so lautete ihr Name, tief in die Augen zu sehen. Und da sein Blick besser wirkte als jedes bekannte Aphrodisiakum, teilte sie alsbald sein Lager.
Die Wonnen, die er ihr bereitete, sollten ihm womöglich das Leben retten, denn als er sich am nächsten Morgen erhob und aus dem Fenster seiner Kammer schaute, sah er Lennhart Drackstedt und Jacopp von Colno in den Burghof reiten. Ohne Zweifel waren sie gekommen, seinen Kopf zu fordern. Ricario sah sie vor den Markgrafen treten.
»Hält sich hier auf der Brandenburg ein venezianischer Händler namens Ricario Accorsi verborgen?«
»Wieso?«
»Er hat meinen Bruder Peter ermordet und als Zisterzienser verkleidet die Flucht ergriffen.«
»Hier hat gestern Abend in der Tat ein Mönch namens Lando vorgesprochen. Ich werde ihn suchen lassen.«
Ehe es so weit war, musste Ricario handeln. Und da Fronicka heiß in ihn verliebt war, ließ sie sich bereitwillig auf das ein, was er von ihr verlangte.
»Ich fessele und knebele dich jetzt, so dass später kein Verdacht auf dich fallen wird, und verlasse dann in deinen Kleidern die Burg.«
»Aber du hast keine langen Haare und keine Brüste«, wandte sie ein.
»Meine Tonsur werde ich mit deiner Haube bedecken, und für das andere reicht dieses Kissen hier.«
Nun, Verkleidung und Mummenschanz war er vom Carnevale di Venezia gewohnt, und so hielten ihn, als er nach zehn Minuten seine Kammer verließ, alle für echt. Aber gerade das schien ihm zum Verhängnis zu werden, denn als er auf das Burgtor zuhielt, lief er einem Küchenmeister in die Arme, und der schnauzte ihn kräftig an und holte schon zu einer Ohrfeige aus.
»Fronicka, jetzt reicht es mir! Anstatt unserem Markgrafen die Speisen aufzutragen, willst du dich wieder aus dem Staube machen! Los, ab mit dir in die Küche!«
Was blieb Ricario Accorsi anderes übrig, als dem Folge zu leisten? Hätte er sich quergestellt und zu fliehen versucht, hätten ihn die Wachen am Burgtor gepackt und zum Verhör geschleift.
Also fügte er sich in sein Schicksal und servierte Otto II. und seinen Gästen das Mahl. Lennhart Drackstedt streifte er beim Servieren der Suppe den rechten Oberarm, und in seiner Aufregung verschüttete er einen Teil. Doch der Magdeburger merkte nichts davon.
Ricario schwitzte so stark, wie er noch nie in seinem Leben geschwitzt hatte. Den Markgrafen hatte er nicht zu fürchten, sehr wohl aber Jacopp von Colno. Denn der musterte ihn – das heißt die Magd, als die er verkleidet war – mit solch unverhohlener Geilheit, dass ihm angst und bange wurde. Und als das vermeintliche Weib neben dem Ritter stand, um ihm vorzulegen, fuhr ihm dessen Hand unter die Röcke. Doch was sie dort entdeckte, fühlte sich ganz und gar nicht weiblich an …
»Das ist das Aus!«, fuhr es Ricario Accorsi durch den Kopf.
Katharina Drackstedt saß am Fenster und starrte in den grauen Himmel, aus dem seit Stunden feiner Nieselregen fiel. Wer an ihrem Haus vorbeikam und zu ihr hinaufschaute, hatte den Eindruck, dass die Trauer um ihren ermordeten Ehemann ihr Leben furchtbar überschattete. Doch dieser Eindruck täuschte gewaltig. Sie hatte ihn nie geliebt und hätte dem Herrn gern gedankt, dass er sie von ihm erlöst hatte, wenn das nicht zutiefst unchristlich gewesen wäre.
Was sie in Wahrheit bedrückte, war die Frage nach dem Schicksal ihres Liebhabers. Sie war sich sicher, dass Ricario verkleidet als Zisterzienser aus Magdeburg geflohen war. Aber wie konnte so ein feiner und an die Genüsse des Lebens gewöhnter Mensch wie er mit dem kargen Dasein eines Mönches klarkommen? Vermutlich litt er sehr.
Und etwas anderes beschäftigte sie fortwährend: Wer hatte ihren Mann erschlagen? Ricario war es nicht gewesen, dafür hätte sie ihre Hand ins Feuer gelegt. War es ein Unbekannter gewesen? Oder aber ihr Schwager?
Kaum hatte sie an ihn gedacht, stand Lennhart Drackstedt auch schon hinter ihr und legte ihr seinen Arm um die Schulter.
»Es versetzt mir jedes Mal einen Stich ins Herz, wenn ich dich so leiden sehe«, beteuerte er.
»Danke«, flüsterte sie.
Er streichelte ihre Schultern, und sie nahm die Wärme seiner Hände dankend an. Doch allmählich glitten seine Finger immer weiter in Richtung ihrer Brüste, und aus dem Trost wurde Gier.
Sie sprang auf und schlug seine Hände zur Seite. »Lennhart, lass das! Mir ist mein Trauerjahr heilig!«
Damit schlüpfte sie an ihm vorbei und sprang aus dem Zimmer. Aber so richtig sicher vor ihm konnte sie nur sein, wenn sie auf die Straße lief. Also schnappte sie sich einen Korb und rief ihrer Magd zu, dass sie schnell einmal auf den Markt ginge.
Auf dem Weg dorthin fiel ihr ein, dass Veytt von Gonna als einer der oberen Zisterzienser möglicherweise wusste, wo Ricario steckte. Sie kannte seinen Aufenthaltsort in Magdeburg und stand nach zehn Minuten vor dem Haus, in dem er sich eingemietet hatte.
Veytt von Gonna begrüßte sie höflich, doch als er von ihrem Begehr erfuhr, verfinsterte sich sein Gesicht. »Schickt Euch Euer Schwager?«
»Nein, ich komme von mir aus, weil ich …« Sie seufzte und schlug die Augen nieder. »Ich weiß: Das sechste Gebot.«
»Du sollst nicht Unkeuschheit treiben. Du sollst nicht die Ehe brechen«, murmelte Veytt von Gonna unwillkürlich.
»Ich bereue es auch, aber ich bin nur eine schwache Frau, und der Herr hat mir nicht die Kraft gegeben, Ricario zu widerstehen.«
Veytt von Gonna winkte ab. »Ich bin nicht Euer Beichtvater. Macht das mit Eurem Gewissen ab und tut Buße.«
Katharina Drackstedt setzte sich, ohne dass er sie aufgefordert hatte, auf die Bank, die an der Hauswand stand. »Was mich vor allem bedrückt, ist dieses: Ob ich nicht mit meinem Tun den Mord an meinem Manne heraufbeschworen habe?«
Veytt von Gonna ließ sich neben ihr nieder. »Das setzt voraus, dass Ricario Euren Mann erschlagen hat – doch das stelle ich mit allem Nachdruck in Abrede! Er hat ihn gefunden, als er schon längst tot war. Ein anderer muss es gewesen sein. Aber wer?«
Katharina Drackstedt schaute dem Zisterzienser prüfend ins Gesicht, bevor sie sagte: »Ist es eine neue Sünde, wenn ich jetzt einen Verdacht äußere?«
»Das müsst Ihr nicht, denn ich weiß auch so, wen Ihr meint: Euren Schwager Lennhart. Der würde, so scheint es mir, liebend gern an die Stelle seines Bruders treten.«
Als Ricario Accorsi eine Stunde vor Lehnin auf einen abseits vom Dorfe gelegenen Bauernhof stieß, konnte er endlich seine Frauenkleider ablegen und unbemerkt in Hemd und Hose schlüpfen, die zum Trocknen auf der Leine hingen.
Immer wenn er an sein Abenteuer auf der Brandenburg dachte, musste er schmunzeln. Allein die Kleider dieser wunderbaren Fronicka auf seiner Haut zu spüren hatte ihn erregt, und so hatte Jacopp von Colno etwas recht Hartes zu fassen bekommen. Er war zwar zusammengezuckt, hatte sich aber gerade noch beherrschen und einen Schrei des Erstaunens unterdrücken können. Andernfalls hätte er sich auch als Schürzenjäger bloßgestellt. Ricario Accorsi hatte die Verwirrung des askanischen Ritters genutzt und sofort die Burg verlassen, bevor irgendwelche Untersuchungen angestellt werden konnten. Die Wachen am Tor hatten ihn passieren lassen, da die Mägde öfter in die Siedlung liefen.
Nun stand er vor dem Abt und musste ihm Rechenschaft ablegen.
»Zum Markgrafen Otto konnte ich leider nicht vordringen, weil man mich vorher überfallen und meiner Ordenstracht beraubt hat.«
Er schmückte dies so geschickt aus, dass der Abt ihm Glauben schenkte und ihn anwies, erst etwas beim Dreschen des Korns zu helfen und dann nach Nahmitz zu gehen, um mit dem Dorfältesten, das sei ein gewisser Miloš, über die Fischereirechte zu verhandeln.
»Er bestreitet, dass wir sie vom Markgrafen erhalten haben, und beansprucht sie weiterhin für seine Slawen.«
Ricario Accorsi bedankte sich für das Vertrauen, das ihm entgegengebracht wurde, eilte zur Tenne und griff zum Dreschflegel. Nachdem er eine Viertelstunde lang seine Pflicht getan hatte, trollte er sich und schlenderte in Richtung Nahmitz. Dabei hatte er aber mehr Duša im Kopf als den Dorfältesten. Der Druck seiner Lenden war wieder einmal so stark, dass alles in ihm nach einem sexuellen Erlebnis schrie. Doch Duša war nicht zu Hause. Ricario fluchte in allen Sprachen, die ihm zur Verfügung standen. Was blieb ihm weiter übrig, als nach dem Haus des Dorfältesten zu suchen und mit ihm über die strittigen Fischereirechte zu reden? Unterwegs traf er eine junge Slawin, die er fragte, wo denn Miloš zu finden sei.
»Wartet, ich führe Euch zu ihm.«
»Wie heißt du?«
»Božena.«
Nun war diese Božena nicht mit der Duša zu vergleichen, was die weiblichen Attribute anging, doch sie war Weib genug, seine Begierde von neuem anzufachen. Er sah ihr tief in die Augen und suchte, sie auf diese Weise willfährig zu machen, wie es ihm auf der Burg bei Fronicka gelungen war.
Eine halbe Stunde später lagen sie im Heu, und er kam auf seine Kosten. Sie aber noch viel mehr, denn von der alten römischen Liebeskunst verstanden die Nahmitzer Burschen nicht das Geringste, ihnen ging es nur um den eigenen Lustgewinn und nicht um den ihrer Geliebten. So erstaunte es Ricario nicht sonderlich, als Božena ihm verriet, dass ihre Freundin Duša ihr schon von seinen Fertigkeiten berichtet hatte.
Völlig entspannt konnte Ricario dann mit Miloš über die Fischereirechte verhandeln und einen Kompromiss schließen, mit dem die Zisterzienser mehr als zufrieden sein durften.
So kehrte er frohgemut ins Kloster zurück. Doch seine Stimmung schlug augenblicklich um, als er Pater Vigilius erblickte, der gekommen war, den Abt und seine Mönche und Laienbrüder mit seiner Visitation zu beglücken. Schnell schlüpfte er hinter eine Eiche. Dieser Vigilius war in seinen Augen nicht nur widerlich, sondern er konnte auch seiner Rolle als Mönch schnell ein Ende bereiten, und so hörte er ihn schon rufen: »Dieser Mann ist falsch! Das ist kein Zisterzienser, sondern ein Kaufmann aus Venedig – und er hat in Magdeburg den Händler Peter Drackstedt ermordet!«
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