Kitabı oku: «Otto mit dem Pfeil im Kopf», sayfa 6

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Wahrheit und Dichtung

Wahr an dieser Geschichte – und in jedem Geschichtsbuch nachzulesen – sind die Entscheidungsschlacht um die Brandenburg und der Sieg von Albrecht dem Bär im Jahre 1157, der als Geburtsstunde der Mark Brandenburg betrachtet wird.

Historisches Personal

Personen

Pribislaw-Heinrich (um 1122–1150), Hevellerfürst

Petrissa, seine Frau

Albrecht I., auch Albrecht der Bär (um 1100–1170), Askanierfürst und Markgraf von Brandenburg

Otto I. (um 1130–1184), Albrechts Sohn und Nachfolger

Siegfried, Adalbert, Dietrich, Bernhard, Hedwig und Gertrud, weitere Söhne und Töchter Albrechts

Otto der Reiche (1125–1190), Markgraf von Meißen, Schwiegersohn Albrechts

Jaxa von Cöpenick, Sprewanenfürst

Heinrich der Löwe (1129/​30–1195), Welfenfürst

Wichmann (1116–1192), Erzbischof von Magdeburg

Friedrich I., auch Barbarossa (1122–1190), deutscher Kaiser

Bolesław III. Schiefmund und Bolesław IV. der Kraushaarige, polnische Fürsten

Niklot, Fürst der Obotriten

Wertislaw, sein Sohn

Herrscherhäuser und Stämme

Askanier, ostsächsisches Fürstengeschlecht, dessen Name sich von dem latinisierten Namen Ascharia ihres Sitzes in Aschersleben ableitet

Sprewanen, slawischer Stamm im Gebiet der Spree

Heveller, slawischer Stamm an der mittleren Havel Obotriten, elbslawischer Stamm

Zamzizi, slawischer Stamm nördlich Berlins

Welfen, ein ursprünglich fränkisches Fürstengeschlecht Piasten, polnische Herrscherdynastie

Wettiner, Fürstengeschlecht auf dem Gebiet des heutigen Freistaates Sachsen

Liutizen, Wilzen, slawische Stämme

Fiktives Personal

Im Umfeld von Albrecht dem Bär

Ulric von Huysburg, Ritter

Lynhardt von Schleibnitz, Ritter

Adelhayt, seine Gemahlin

Mertin von Freckleben, Ritter Hayntz von Helsungen, Ritter

Wiprecht von Wandsleben, Ritter

Hancz von Crüchern, Ritter

Eberlin von Mölz, Ritter

Ottin von Strenznau, Ritter

Cuntz, Knappe bei Ulric von Huysburg

Bogdan-Otto, Knappe bei Ulric von Huysburg

Zlata, Beiköchin auf Burg Brandenburg

Im Umfeld von Jaxa

Radogost, Ritter

Ciril, Ritter

Česćimér, Gefolgsmann Jaxas

Bohuměr, Wachposten

Nebojša, Sprewane und Kaufmann

Miluša, seine Tochter

Vuk, Knecht

Sonstige

Mickel, Jäger im Bereich der Brandenburg

Ahmad at-Tawil, arabischer Historiker

Berbelin und Linus, Urberliner

Milegost, Cealadrag und Liub, Wilzen

Anno 1190
Mord im Kloster Lehnin

Im Jahre 1190 betritt der liebestolle venezianische Händler Ricario Accorsi die Szenerie und schafft sich mit seiner Fähigkeit, allein durch seine Blicke Frauen zu verführen, beileibe nicht nur Freunde. Aus Magdeburg, wohin seine Geschäfte ihn führten, muss er Hals über Kopf fliehen. Verkleidet als Mönch, findet er Unterschlupf im Zisterzienserkloster Lehnin. Dort bekommt er es mit slawischen Verschwörern zu tun, die den Deutschen in der Region um Potsdam den Garaus zu machen versuchen. Fast noch bedrohlicher jedoch ist sein sündhaftes Liebesleben, das eine Katastrophe auszulösen droht, mit der die Politik des Markgrafen Otto II. nachhaltig gefährdet wird.

Als es auch noch einen mysteriösen Mord aufzuklären gilt, fragen wir uns bang, auf was sich Ricario Accorsi da eingelassen hat.

Eins

Ricario Accorsi schlenderte durch Magdeburg und war auf der Suche nach einem weiblichen Wesen, dem er sich nähern konnte, ohne sogleich verprügelt oder gar totgeschlagen zu werden. Jeder Frau zwischen fünfzehn und fünfzig, der er beim Gang über den Markt begegnete, blickte er tief in die Augen, um das Feuer zu entzünden, das sie vielleicht irgendwann in seine Arme trieb. An seiner Kleidung konnten sie unschwer erkennen, dass er Italiener war, und alle wussten, dass die Männer aus dem Süden phantastische Liebhaber sein konnten. Er war groß gewachsen und ein ungewöhnlich schöner Mann – das Erste mochte von seinem lombardischen Vater herrühren, das Zweite hatte er seiner römischen Mutter zu verdanken.

»Das ist der Ricario«, wurde hinter ihm geflüstert.

»Mein Gott!«

Er glaubte, ein unstillbares Begehren aus den Stimmen der beiden Mägde herauszuhören, die ihm da begegnet waren. Offensichtlich hatte sich schon herumgesprochen, welch einzigartiger Liebhaber er war. Das hing nicht nur damit zusammen, dass er seinen Ovid auswendig kannte und jede Frau allein mit seinen heißen Worten in einen Liebesrausch versetzen konnte, sondern auch mit seiner Veranlagung, problemlos einer Frau mehrmals hintereinander zur Erfüllung zu verhelfen. Das war Folge einer leichten und keineswegs schmerzhaften Form des Priapismus. Profaner ausgedrückt: Die Schwellkörper seines Penis blieben um einiges länger mit Blut gefüllt, als das bei anderen Männern der Fall war. Manche sprachen von einer Satyriasis und meinten das, was im Lichte der heutigen Medizin wohl als Sexsucht oder Hypersexualität bezeichnet werden würde. Wie auch immer man es nennen will – Ricario Accorsi erlebte seinen extrem gesteigerten Drang nach sexueller Befriedigung keinesfalls als Krankheit, sondern fand es wunderbar, dass die Sexualität seine Gedanken und sein Verhalten im Alltag weitgehend bestimmte. Was ihm an Zeit und Kraft verblieb, reichte allemal, um ein erfolgreicher Händler zu sein.

Die beginnende Frühjahrsmesse hatte ihn in den Norden geführt. Seit 1035 war Magdeburg Messestadt und besaß das Recht, Handelsausstellungen und Konventionen abzuhalten. Zu den kundgetanen Terminen reisten Händler aus vielen Ländern in die Domstadt an der Elbe, um Geschäfte zu machen.

Nun, wer aus dem stolzen Venedig kam, der damals größten Stadt des Abendlandes, dem musste Magdeburg als besseres Dorf erscheinen, obwohl sich vor allem seine Kirchenbauten durchaus sehen lassen konnten. Ricario Accorsi saß gern unten am Fluss und sah den Schiffern wie den Fischern zu, obwohl die Elbe ganz etwas anderes war als bei ihm zu Hause der Canal Grande. Aber lange konnte er sich diesem Vergnügen nicht hingeben, denn eigentlich war er an seinem Marktstand unabkömmlich, weil seine Leute weder das Deutsche noch eine der slawischen Sprachen beherrschten. Das konnte nur er. Also machte er sich wieder auf. Was er verkaufte, waren Gewürze, die er in Alexandrien erstanden und auf dem eigenen Schiff nach Venedig gebracht hatte. Es handelte sich vor allem um Gewürznelken, Muskatnüsse, Pfeffer und Ingwer aus Indien und Indonesien. Auf chinesischen und malaiischen Booten waren die Köstlichkeiten nach Ceylon transportiert worden, und von dort hatten sie persische und ägyptische Kaufleute durch das Rote Meer nach Alexandrien bringen lassen. Was Ricario Accorsi in Magdeburg ankaufte, waren Bernstein, Wolle, Holz und Pelze.

Als Ricario auf dem Marktplatz angekommen war, sah er seine Leute mit einem einheimischen Kaufmann verhandeln, der ihm als Peter Drackstedt vorgestellt wurde. Er bot den Venezianern wertvolle Pelze an, die er aus Russland, Polen und dem Baltikum bezogen hatte.

Beredt pries er seine Ware an. »Für einen Zobelpelz mag es in Italien zu warm sein, aber welch hoher Herr würde nicht gern ein Stück Zobel auf seinem Kragen tragen!«

Ricario Accorsi prüfte die guten Stücke und murmelte dabei: »Der Begriff Zobel, martes zibellina im Lateinischen, kommt aus dem Russischen: Соболь, Sobol …«

Drackstedt war beeindruckt. Einen solch gebildeten Menschen, noch dazu aus einer der Metropolen der Welt, hätte er gern zu Gast an seiner Tafel gesehen. Vielleicht würde das sogar den Erzbischof, wenigstens aber Männer aus dessen Umfeld anlocken. Er zögerte noch ein wenig. Als sie dann aber handelseinig geworden waren, wagte er es, den Signore Ricario Accorsi zu einem sonntäglichen Festmahl zu laden.

»Aber mit Freuden!«, rief Ricario, denn im Hause des Kaufmanns speiste man allemal feudaler als in seiner kargen Herberge.

So fand er sich denn zu festgesetzter Stunde pünktlich im Hause des Kaufmanns ein. Drackstedt begrüßte ihn mit respektvollen Worten, führte ihn durch sein Anwesen und hielt ihm einen kleinen Vortrag über die Geschichte Magdeburgs.

»Wir werden 805 erstmals im Diedenhofer Kapitular Karls des Großen als Magadoburg erwähnt und waren danach Kaiserpfalz. 968, auf der Synode von Ravenna, wurde Magdeburg zum Erzbistum erhoben. Dazu gehörten die Bistümer Brandenburg, Havelberg und Meißen …«

Aber da hörte Ricario schon nicht mehr richtig zu, denn in einer der vielen Türen war Katharina Drackstedt erschienen, die Gemahlin des Kaufmanns, und ihr Anblick verschlug ihm fast die Sprache. Die oder keine! Die muss ich heute noch haben! Für die gehe ich über Leichen! In deren Schoß muss ich eindringen – und koste es mein Leben!

Er hatte Mühe, sich auf die Frage zu konzentrieren, um deren Beantwortung der Kaufmann ihn gebeten hatte. »Ein Doge, ja … Das Wort kommt aus dem Lateinischen: dux ist der Führer, Anführer, Fürst. Früher war ein Doge bei uns unumschränkter Alleinherrscher, seit rund fünfzig Jahren hat man ihm aber den Großen Rat zur Seite gestellt. Im Augenblick ist der vierzigste Doge an der Macht: Orio Mastropiero, ein alter Freund von mir.«

Dabei aber vermochte er nicht, sich auf sein wunderbares Venedig zu konzentrieren, denn zu sehr hingen seine Blicke an Katharina, und alle seine Gedanken kreisten um die Frage, wie er sie in diesem engen und offenbar sehr sittenstrengen Magdeburg wohl erobern konnte. Das ging eigentlich nur, wenn die Initiative von ihr ausging, denn allein sie kannte die Örtlichkeiten, an denen man sich vereinigen konnte, ohne erschlagen oder vor ein Gericht gezerrt zu werden. Also musste er sie mit seinen Blicken bannen und in ihr eine mächtige Glut entfachen.

Am Tisch nahmen nun noch andere Männer Platz, Magdeburger Honoratioren, aber auch der askanische Ritter Jacopp von Colno, ein Freund des Hauses, und als Letzter betrat der Bruder des Kaufmanns den Raum, Lennhart Drackstedt. Während sie speisten, bemerkte Ricario Accorsi, dass dieser Lennhart an der Gunst Katharinas zumindest ebenso stark interessiert war wie er selbst und sie ebenfalls mit seinen Blicken verschlang. Dem Ehemann stand die Eifersucht ins Gesicht geschrieben.

Die Gespräche kreisten um Themen wie den Dritten Kreuzzug, die Gründung des Deutschen Ordens durch Kaufleute aus Lübeck und Bremen, den Burggrafen von Regensburg, der sich als Minnesänger einen Namen gemacht hatte, und die Wirkung des Magdeburger Stadtrechts, das Erzbischof Wichmann geschaffen hatte.

An alledem war Ricario Accorsi nicht übermäßig interessiert, und gefragt, was ihn bewegen würde, erzählte er, wie seine Landsleute 828 in Alexandria die Gebeine des Evangelisten Markus gestohlen und nach Venedig gebracht hatten. »Zu seinen Ehren ist dann bei uns der Markusdom erbaut worden.«

Peter Drackstedt lachte. »Dann werden wir bald einmal nach Fulda ziehen, um aus der Sturmi-Basilika die Gebeine des Heiligen Bonifatius zu stehlen – für unseren neuen Dom.«

Ricario fand Katharinas Ehemann gar nicht einmal so unsympathisch, und er tat ihm auch irgendwie leid, aber sein Trieb war nun einmal stärker als sein christliches Gewissen.

Als die Tafel aufgehoben wurde und sich die Gäste vom Hausherrn und seiner Gattin verabschiedeten, trat Katharina ganz dicht an Ricario heran und flüsterte ihm, unhörbar für die anderen, ins Ohr: »Morgen früh um acht im Beichtstuhl …«

Und da saß sie dann auf seinem Schoß. Während seine Hände sie zu streicheln begannen, zitierte er aus Ovids Liebe mich:

Du hast mein Herz entzündet,

Nun Flamme, liebe mich!

Die Örtlichkeit ließ nichts anderes zu, als dass sie auf ihm saß. Da sie in dieser Stellung ihrem Manne noch nie beigewohnt hatte, war ihre Erregung umso größer. Mit geöffneten Schenkeln saß sie auf seinen Knien. Gesicht an Gesicht, seine Zunge in ihrem Mund, schaukelten sie sich mit rhythmischen Bewegungen immer weiter auf, bis sich dann in einem ekstatischen Schrei alles entlud.

Otto der Große hatte das Erzbistum Magdeburg großzügig mit Landzuweisungen, königlichen Einkünften und nutzbaren Rechten ausgestattet und dafür gesorgt, dass die Stadt eine herausragende Stellung im Reich zugewiesen bekam. Die Leute sollten ihn als würdigen Nachfolger der römischen Kaiser wahrnehmen, und so ließ er prächtige Kirchenbauten errichten. Der erste Magdeburger Dom war eine dreischiffige, kreuzförmige Basilika mit Ostquerhaus, Ostkrypta und großem Atrium im Westen. Nördlich davon erhob sich bald ein zweiter, nahezu gleich großer und äußerst reich ausgestatteter Sakralbau, der mit der Domkirche eine Doppelkirchenanlage bildete. Der Slawenaufstand von 983 hatte zwar die Expansion über die Elbe hinaus nach Osten gebremst. Nun aber war man unter dem klugen und tatkräftigen Erzbischof Wichmann wieder auf dem Vormarsch und versuchte, Richtung Oder neue Klöster zu gründen und deutsche Bauern anzusiedeln.

Heute hatte Wichmann Pater Vigilius, einen Visitator des Papstes, und den venezianischen Kaufmann Ricario Accorsi zu einem italienischen Abend in seine Privatgemächer geladen.

Ricario war dieser Einladung gern gefolgt und konnte, als er Wichmann zum ersten Mal von nahem sah, seine Verwunderung nicht ganz verbergen, denn dem Würdenträger fehlte ein Ohr.

Der Erzbischof kannte die Reaktion seiner Gäste und erklärte lächelnd die Zusammenhänge. »Vor fast zweieinhalb Jahrzehnten, genau gesagt im Jahre 1164, habe ich eine Wallfahrt nach Palästina unternommen, bin dort für einige Zeit in sarazenische Gefangenschaft geraten und habe im Kampf mit meinen Wächtern ein Ohr verloren. Aber …«, er machte eine Geste, als wollte er seiner Gemeinde den Segen spenden, »… zum Glück hat der Herr mir zwei Ohren geschenkt, und die Ohrläppchen sind ja doch nur mehr oder minder eine Zierde unseres Kopfes. Der Verlust eines Auges wäre viel tragischer.«

Pater Vigilius hatte dem noch das hinzuzufügen, was der Erzbischof in seiner Bescheidenheit verschwiegen hatte: »Und zurückgekehrt nach Deutschland, schenkte er dem Kloster Gottesgnade in Calbe Reliquien der beiden Heiligen Viktor und Pontianus.«

»Da bitte ich um Erklärungen«, sagte Ricario Accorsi mit einiger Ironie, »denn als Kaufmann kenne ich nur Hermes, den Schutzgott des Verkehrs, der Reisenden und der Kaufleute …«

»… sowie der Diebe und der Magie!«, fiel ihm Pater Vigilius donnernd ins Wort. »Und als Christ verbitte ich mir das, denn wie lautet das erste Gebot: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!«

Ricario zuckte regelrecht zusammen. So sympathisch ihm der Erzbischof war, so sehr rangierte der römische Visitator bei ihm in der Kategorie Kotzbrocken.

Wichmann suchte, dem Gespräch die Schärfe zu nehmen, indem er Ricario Accorsi mit sanfter Stimme die gewünschte Auskunft gab. »Der heilige Viktor I. kam wohl aus Nordafrika und war Bischof von Rom von 189 bis zu seinem Tod im Jahre 199. Er hat die Kirche, die damals noch stark vom Griechentum geprägt war, latinisiert. Und Pontianus war von 230 bis 235 Bischof von Rom. Während seines Pontifikats kam das Schisma des Hippolytus zu seinem Ende. Kaiser Maximinus Thrax schickte Pontianus und noch weitere Kirchenführer, so auch den Gegenpapst Hippolytus, ins Exil nach Sardinien und sperrte sie dort in ein Bergwerk ein, was Pontianus zum Märtyrerpapst werden ließ.«

Die Erwähnung des Namen Hippolytus entzündete in Pater Vigilius ein weiteres Feuer, und er begann noch heftiger zu eifern. »Hippolyt! Ich denke da an seine Schrift Refutatio omnium haeresiumWiderlegung aller Häresien, in der er mit seinem Feind Kalixt I. abrechnet. Dieser Kalixt soll in der Hölle schmoren!«

»Warum denn das?«, fragte Ricario in aller Unschuld.

»Unzucht, Mord und Abfall vom Glauben galten bis dato als unverzeihliche Todsünden. Kalixt jedoch erlaubt eine zweite Buße für Sünden der Fleischeslust. Für mich aber gehören alle geköpft und verbrannt, die Unzucht treiben.«

Ricario schluckte vernehmlich …

Peter Drackstedt war schon auf die vierzig zugegangen, als er 1173 die 16-jährige Katharina, die Tochter eines Glockengießers, zum Traualtar geführt hatte. Jetzt war er 54 Jahre alt, aber noch immer von beachtlicher Potenz. Doch seit einiger Zeit weigerte sich seine Frau, ihm zu Willen zu sein. Mal litt sie unter unerträglichem Kopfschmerz, wenn er sie bedrängte, mal hatte sie am Bett eines erkrankten Kindes zu wachen, mal war sie unpässlich. Als er mit seinem Freund Jacopp von Colno, dem askanischen Ritter, darüber redete, lachte der nur bitter.

»Ich bin nicht unter ihren Verehrern. Leider.« Das bezog sich darauf, dass ihm bei einem kleinen Gefecht ein Lanzenstich die Manneskraft geraubt hatte.

Das »Leider« ließ Peter Drackstedt rot anlaufen. »Musst du mir auch noch unter die Nase reiben, dass von drei Männern in Magdeburg zwei Katharina den Hof machen?«

»Sie ist nun einmal äußerst begehrenswert«, gab Jacopp von Colno zu bedenken.

Peter Drackstedt schlug so kräftig mit der Faust auf den Tisch, dass der Rotwein aus seinem Becher schwappte. »Aber sie gehört keinem anderen als mir!«

Jacopp von Colno suchte ihn zu beruhigen. »Sie weiß, dass Wollust und Unkeuschheit zu den sieben Todsünden gehören, und wird ihr Seelenheil nicht gefährden wollen.«

»Aber so abweisend, wie sie sich mir gegenüber verhält, da muss ich doch annehmen, dass sie heimlich mit einem anderen das Lager teilt.«

»Und wer könnte das sein?«

Peter Drackstedt stöhnte auf. »Manchmal denke ich, dass es Lennhart ist, mein eigener Bruder. Seit er Witwer ist, da …« Er verstummte, denn draußen auf der Diele war eine männliche Stimme zu hören – und das helle Lachen seiner Frau. »Da kommt er, und ich sehe direkt vor mir, wie Katharina ihn umarmt.«

Lennhart kam kurz danach ins Zimmer und begrüßte seinen Bruder so herzlich, dass man glauben konnte, sie seien ein Herz und eine Seele. Doch Jacopp von Colno zweifelte schon lange an der Echtheit dieser Gefühle. Lennhart war an die zehn Jahre jünger als Peter und das genaue Gegenteil seines Bruders: War der übergewichtig und träge und konnte sich nie zu einer Entscheidung durchringen, so war er schlank und rank, dynamisch und immer schnell bei der Sache.

Kaum hatte Lennhart Platz genommen, da stritten sie auch schon heftig über die Frage, ob sie eine Handelsniederlassung in Spandow, das wuchs und gedieh, errichten sollten oder nicht.

»Ja!«, rief Lennhart Drackstedt. »Der frühe Vogel fängt den Wurm.«

»Nein!«, kam es von Peter Drackstedt. »Bevor Markgraf Otto das Land nicht richtig vorangebracht hat, lohnt es sich nicht.«

Jacopp von Colno war die ewigen Streitereien leid und begab sich erst einmal auf den Abtritt. Der lag auf dem Hof des Anwesens, und auf dem Weg dorthin traf er Katharina.

»Du siehst gut aus heute«, sagte er und hatte auch eine Vermutung, woran das wohl liegen mochte, verschwieg sie aber wohlweislich.

Katharina konnte nicht verhindern, ein wenig rot zu werden. »Das wird am Sommer liegen, den wir nun langsam bekommen.«

»Oder daran, dass Peter auf der Messe so gute Geschäfte gemacht hat? Mit diesem Kaufmann aus Venedig … Wie heißt er noch einmal?«

»Ich weiß nicht, von wem du redest.«

»Ricario Accorsi, jetzt hab ich’s wieder.«

Katharina zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«

Jacopp von Colno glaubte ihr nicht. Er war Menschenkenner genug, um zu wissen, dass sie ihren Mann nicht mehr liebte – wenn sie das überhaupt jemals getan hatte –, sondern nur noch hasste. Gott, da braute sich etwas zusammen! Ihn schauderte.

Ricario Accorsi streifte durch die Stadt, um irgendwo einen Blick auf Katharina zu erhaschen. Inzwischen war er süchtig nach ihrem Körper. »Du bist ja krank!«, tönte es in ihm. Ja, sicher, aber er genoss diese Krankheit mehr, als dass er unter ihr litt.

»Hallo, Signor Accorsi!«

Ricario fuhr herum und erkannte Veytt von Gonna, einen Zisterzienser, den er in Morimond kennengelernt hatte. Der war jetzt, wie er Ricario Accorsi erzählte, als Pater Immediat des Klosters Lehnin nach Deutschland gekommen.

»Bei uns herrscht das Filiationsprinzip, das heißt, ich als Abt des Mutterklosters Morimond sehe in unseren Tochtergründungen in Deutschland nach dem Rechten, denn jede Abtei bleibt gegenüber ihrem Mutterkloster in der Verantwortung.«

Ricario nickte. »Gut – aber warum bist du nicht in Lehnin, sondern hier in Magdeburg?«

Veytt von Gonna grinste. »Weil Magdeburg zumindest ein wenig wie eine Stadt wirkt. Lehnin aber ist eine Hölle an Ödnis und Langeweile.«

Ricario kam ihm mit einem Wort aus dem Brief des Paulus an die Philipper: »Freuet euch in dem Herrn allewege … also auch in Nestern wie Lehnin.«

»Ich war lange genug in Lehnin. Jetzt gilt es, für das kommende Jahrhundert zu planen, das heißt weiter nach Osten vorzudringen und die Slawen zu missionieren. Wir müssen Klöster nördlich und nordöstlich von Lehnin bauen, zum Fürstentum Rügen und Herzogtum Pommern hin und an der Oder. Noch sind nicht alle Heveller, Zamzizi, Rezanen, Ploni, Sprewanen, Selpoli und Lusizi Christen geworden. Viel Arbeit liegt also noch vor uns, und der Herr gebe, dass der Markgraf endlich für klare Verhältnisse bei sich zu Hause sorgt. Ich treffe ihn Anfang nächster Woche in der Stadt Brandenburg.«

Die Brandenburg war am 11. Juni 1157 von Albrecht dem Bär erobert worden. Nun stand der Dom St. Peter und Paul auf dem Fundament der alten Burg, während die Markgrafen am Südrand der neu entstehenden Stadt Brandenburg eine Residenz errichtet hatten. Und hierher hatte Otto II. seine Vertrauten gerufen, um die politische Lage zu erörtern. Die konnte sich schnell verändern, nachdem sich in Deutschland die Kunde vom Tod des Kaisers Barbarossa verbreitet hatte. Er war während des Dritten Kreuzzuges bei der Überquerung des Flusses Saleph ertrunken. Die Frage stellte sich, wer wohl sein Nachfolger werden würde und was die Askanier von diesem erwarten könnten.

»Na, sicher setzt man seinem Sohn die Kaiserkrone auf, Heinrich VI.«, erklärte Jacopp von Colno. »Doch was haben wir Askanier von den Staufern schon zu erwarten? Nichts! Ich vermute aber, dass Heinrich eher nach Italien blickt und uns hier in Brandenburg in Ruhe lassen wird.«

Einer der Ritter lachte laut. »Wenn er nicht vorher in die Grube fährt!«

Das war eine Anspielung auf den sogenannten Erfurter Latrinensturz, der sich am 26. Juli 1184 ereignet hatte. An diesem Tage hatte Heinrich mit großem Gefolge im zweiten Stockwerk der Dompropstei des Marienstiftes zu Rate gesessen, als der morsche Boden des Geschosses plötzlich unter der außergewöhnlichen Last zusammengebrochen war. Die meisten Anwesenden stürzten in die Tiefe und schlugen auf dem Fußboden des ersten Geschosses auf. Der hielt dem Aufprall nicht stand, so dass viele der Herabstürzenden noch tiefer fielen – und zwar in die darunterliegende Abtrittsgrube. Dort ertranken oder erstickten einige von ihnen, andere wurden durch nachfallende Balken und Steine erschlagen oder verletzt. An die sechzig Tote gab es, Heinrich aber überlebte den Unfall.

»Eigentlich hätte er nun Heinrich der Stinkende heißen müssen«, sagte Jacopp von Colno, der den Staufern nicht gut gesonnen war, hatte doch Konrad III. im Jahre 1142 dem askanischen Fürsten Albrecht der Bär das Herzogtum Sachsen weggenommen und an Heinrich den Löwen gegeben.

Nun wurde ernsthaft darüber diskutiert, wie die Herrschaft der Askanier über die alte Nordmark zu festigen war. Im Nordosten hatten sie die Welfen mit Heinrich dem Löwen, im Norden den dänischen König Knud VI. und im Süden die Wettiner zu fürchten, und inmitten ihres eigenen Territoriums gab es viele Einsprengsel, in denen andere deutsche oder slawische Fürsten das Sagen hatten. So zum Beispiel der Magdeburger Erzbischof, dem Albrecht der Bär für seine Waffenhilfe gegen den Slawenfürsten Jaxa von Cöpenick Potsdam und Spandow mitsamt dem jeweiligen Umland geschenkt hatte.

»Mein Land ist ein einziger Flickenteppich!«, klagte denn auch Otto II. »Und die Frage ist, wie wir alle Ländereien unter einen Hut bringen können.«

»Durch unsere Waffen!«, rief einer.

Otto II. winkte ab. »Dafür sind wir zu schwach. Und was die Lehnsüberlagerungen betrifft, da spielt der Kaiser nicht mit.«

»Setzen wir auf die Zeit und die Zisterzienser!«, sagte Jacopp von Colno.

Als Ricario Accorsi einige Zeit später des Abends am Ufer der Elbe spazieren ging, um sich von einer weiteren intimen und sehr heftigen Begegnung mit Katharina Drackstedt zu erholen, kam urplötzlich von Westen her ein gewaltiges Gewitter herangezogen und überraschte ihn. Wohin sollte er fliehen, wo sich verstecken? In der Nähe von Bäumen war es zu gefährlich, und blieb er stehen, wo er war – im Sand zwischen Wasser und Wiesen –, überragte er alles und zog die Blitze nur so auf sich. Also warf er sich zu Boden. Das Inferno brach los: Erst gab es einen sintflutartigen Regen, dann prasselten Hagelkörner so groß wie Taubeneier auf ihn nieder. Und überall schlugen Blitze krachend in die umstehenden Weiden und Erlen ein.

Der 11. Psalm schoss ihm durch den Kopf: Der Herr prüft den Gerechten; seine Seele haßt den Gottlosen und die gerne freveln. Es wird regnen lassen über die Gottlosen Blitze, Feuer und Schwefel … Und der Beischlaf mit Katharina war ganz sicher eine frevelhafte Tat. Um verschont zu bleiben von der Strafe Gottes, gelobte er, am nächsten Morgen in die Kirche zu gehen und alle seine Sünden zu büßen.

Und das tat er dann auch. Zu früher Stunde betrat er den Dom. Vielleicht wartete in einem der Beichtstühle schon ein Priester auf ihn. Sonst wollte er nur vor das Kreuz treten, niederknien und den Herrn um Vergebung seiner Sünden bitten. Nur wenig Sonnenlicht drang durch die schmalen Fenster. Ein unangenehmer Geruch von modrigem Schimmelpilz und billigem Weihrauch stieg ihm in die Nase, als er durch den Mittelgang schritt, und er musste heftig niesen. Mit Blick auf den Gekreuzigten murmelte er eine Entschuldigung. Dabei stieß er auf etwas Weiches. Er hielt es im ersten Moment für den Körper einer schlafenden Katze, die sich in den Dom geschlichen hatte, dann aber, als die vermeintliche Katze nicht aufsprang und die Flucht ergriff, schrie er auf, denn nun hatte er gemerkt, dass er auf den Fuß eines Menschen getreten war. Zwischen den Kirchenbänken lag er. Auf dem Rücken.

»Das ist doch Peter Drackstedt!«

Um dessen Kopf herum hatte sich eine große Blutlache gebildet. Offenbar war er mit einem harten Gegenstand, einem Knüppel oder einer Keule, niedergestreckt worden. Ricario schien es, als würde er noch ein wenig atmen, und er beugte sich nieder, um dem Manne zu helfen. Von Ärzten aus dem Morgenland, die er in Italien getroffen hatte, wusste er, dass es manchmal half, das Herz zu massieren, um einen Menschen ins Leben zurückzuholen. Also begann er damit.

Plötzlich wurde er am Gewand nach hinten gerissen. Er fuhr herum und erkannte Jacopp von Colno.

»Mörder!«, schrie der askanische Ritter. »Wache! Fasst ihn!«