Kitabı oku: «DSA: Die Löwin von Neetha Sammelband», sayfa 2
Zu Durenalds Überraschung ließ die Gardistin ihn nicht unbeachtet stehen, sondern hielt inne, maß ihn von Kopf bis Fuß und erwiderte mit einem mühsam unterdrückten Lächeln: »Wenn ich einmal Eures Schutzes und Eurer Begleitung bedarf, werde ich es Euch wissen lassen, werter Herr.«
Am folgenden Tag schickte der Herr von Brelak ein Entschuldigungsschreiben zum Garnisonsgebäude zusammen mit einer beim besten Zuckerbäcker der Stadt eilig in Auftrag gegebenen Torte, die, aus Zuckerguß und Marzipan gestaltet, mit dem Bild einer brüllenden, krallenbewehrten Löwin geschmückt war (soweit das mit Zuckerguß und Marzipan eben möglich ist). So begann die Liebesgeschichte von Kusmine und Durenald.
»Es war die Torte, mit der ich dein Herz erobert habe«, pflegte Durenald zu sagen, wenn die Gatten sich den Beginn ihrer Liebe ins Gedächtnis riefen.
»Nein, die Locken«, erwiderte Kusmine dann wohl, »braune Locken machen mich nun einmal schwach. Aber ich habe sogleich gesehen, daß du einen halben Spann kleiner bist als ich.«
»Vier Finger, liebes Herz, vier Finger«, bekam sie stets zur Antwort.
Geradlinig, wie sie war, bat Kusmine um ihren Abschied, als ihr klar wurde, daß sie den Rest ihres Lebens an Durenalds Seite verbringen wollte. Es fiel ihr nicht leicht, sich vom soldatischen Leben zu trennen, doch die Aussicht, in Brelak eine Bürgerwehr zu errichten, erleichterte ihr den Abschied von Neetha, der Garnison und ihrer Tante. Zudem hoffte sie, Durenald eine Schar von Kindern zu schenken, die sie selbst in den rondrianischen Künsten unterweisen wollte, bevor sie nach Neetha auf die Schule geschickt würden. Schon sah sie im Geiste die lockenköpfigen kleinen Krieger und Kriegerinnen vor sich, wie sie mit ihren Holzschwertern fochten und auf ihren Ponys wilde Tjosten ritten. Doch Tsa hatte es anders entschieden. Fünf Jahre lang lebten die Gatten zusammen, bevor der kleine Tsafried Praios’ Licht erblickte. Und er sollte die vier Jahre, die ihm vergönnt waren, geschwisterlos bleiben.
Klein-Tsafried war seiner Eltern Glück und Sonnenschein. Braungelockt wie der Vater und mit den strahlendblauen Augen der Mutter, hatte es nie ein schöneres Kind gegeben, weder in Brelak noch in der gesamten Markgrafschaft, wie alle, die ihn sahen, Kusmine und Durenald gern bestätigten. Von seinem Vater hatte er die Liebe zu allem Lebendigen geerbt, und gleichermaßen andächtig bestaunte er die sprießende Saat und die neugeborenen Kätzchen. Doch war er nicht weichlich, wie Kusmine mit Genugtuung bemerkte. Schon früh maß er seine Kräfte mit den Dorfkindern, und wenn er bei den kindlichen Raufereien auch manche Schramme davontrug, so sah man ihn doch nur selten weinen. Und auch das Reiten machte ihm große Freude: Schon mit drei Jahren saß er sicher im Sattel seines Ponys, und wenn Kusmine ihn beobachtete, wie er mit wilden Rufen und heftigen Hieben der kleinen Schenkel sein winziges Pferd zu mehr Tempo zu zwingen trachtete, so mischte sich in ihrem Herzen Stolz auf die rondragefällige Kühnheit ihres Sohnes mit mütterlicher Sorge.
Beim Reiten geschah es dann auch. Niemand wußte, warum das Pferdchen gescheut und seinen kleinen Reiter abgeworfen hatte – Dörfler fanden den leblosen Knaben und das friedlich grasende Tier auf einer Wiese am Wald und brachten beide mit kummervoller Miene zum elterlichen Gutshaus. Drei Tage währte es, bis Boron Klein-Tsafrieds Leiden ein Ende setzte und ihn zu sich rief, und weder der Medicus noch der Eltern verzweifelte Gebete vermochten ihn zu retten.
Nach dem Verlust ihres Kindes war Kusmine nicht mehr dieselbe wie zuvor. Sie zerraufte sich nicht das Haar und zerkratzte sich nicht den Busen, sie schrie nicht und zerfloß nicht in Tränen, noch haderte sie mit den Göttern – jedenfalls nicht so, daß man es hätte sehen oder hören können. Nein, ihr Herz schien erstorben, und obwohl auch Durenald um seinen Sohn trauerte und manche Träne um ihn weinte, so war ihm das Ausmaß ihres Kummers fremd und fast unheimlich. Fünfzehn trostlose Monde vergingen, in denen Kusmine ihrem Gemahl kein Lächeln oder Scherzwort schenkte und ohne Lust und Freude sein Lager teilte, so daß der Freiherr allmählich an ihrer Liebe zweifelte, da segnete Tsa von neuem ihren Leib.
Und mit dem neuen Leben, das in ihr wuchs, kehrten auch Mut, Tatkraft und Zuversicht zu ihr zurück.
Ja, die vergangenen neun Monde waren eine schöne Zeit, dachte Durenald. Und nur die letzten Wochen, seit der Sturm so unablässig und unbarmherzig wütete, waren von einem zarten Nebel der Sorge verdunkelt worden. Warum nur gönnten der unberechenbare Herr Efferd und die stolze Frau Rondra seinem armen Weib keine ruhige Niederkunft? Zornig ballte der Freiherr die Faust und hieb auf das Schreibpult beim Fenster. Dabei fiel sein Blick auf einen Brief, der seit dem Morgen, als der Bote ihn gebracht hatte, ungeöffnet dort lag. Er kam von Zordan Fuxfell, dem Halbbruder Kusmines. Was mochte der Bursche wollen? Durenald war ihm erst zweimal begegnet und schätzte ihn nicht sonderlich, aber das hatte nichts zu bedeuten – er liebte nun einmal keine stutzerhaft gekleideten Männer mit aufgezwirbeltem Schnurrbart. Die Lektüre wird mich ablenken, dachte er, während er das Siegel erbrach. Fuxfell weiß ebenso geschmeidig zu schreiben, wie er zu reden versteht, und es wird eine knifflige Aufgabe werden, aus dem Geklingel der vielen schönen Worte Sinn und Absicht des Schreibens herauszufiltern. Doch er hatte sich geirrt. Der Brief war kurz, und nach den üblichen Begrüßungsfloskeln stand dort: ›… wird es mir eine Freude sein, sobald das Wetter das Reisen wieder erlaubt, Euch, lieber Schwager, und Dir, schöne Schwester, und auch dem neuen Prinzchen oder Prinzeßchen meine Aufwartung zu machen.‹ Nun, das ist freundlich, dachte Durenald, und es wird auch Kusmine freuen.
Die Tür wurde aufgerissen, und Danja stürmte ins Zimmer – rot, verschwitzt und strahlend. »Euer Edelgeboren, Tsa sei Dank, es ist vorüber! Und meine allerherzlichsten Glückwünsche zu der schönen Tochter!«
Durenald brauchte einen Augenblick, um die Worte der Hebamme zu begreifen. Dann spürte er plötzlich, wie ihm das Wasser in die Augen schoß, und blinzelnd schloß er die kräftige Frau in die Arme und drückte ihr einen Kuß auf die Wange. »Wie geht es meiner Frau?« flüsterte er.
»Ausgezeichnet, Herr, nur ein wenig matt ist sie noch. Aber kommt doch nur – Ihr dürft die Wöchnerin besuchen, und sie freut sich schon darauf, Euch das Kindchen zu zeigen.«
Halb benommen stapfte Durenald hinter Danja zur Wochenstube. Dort, in dem großen, mit weißem Linnen frisch bezogenen Bett saß halb aufgerichtet seine Frau und lächelte ihn glücklich und müde an. Im Schein der Kerzen und des Feuers wirkte sie nicht so blaß, wie er erwartet hatte, und nur das feucht am Kopfe klebende Haar kündete von der überstandenen Anstrengung. Ein kleines, gut verschnürtes Bündel ruhte in ihrem Arm. Beim Anblick seiner Kusmine erfaßte ihn eine Woge von Liebe, und rasch eilte er zu ihr und barg den Kopf an ihrer Schulter, damit sie seine Tränen nicht bemerkte. »Ich danke dir, mein liebes Herz«, stammelte er flüsternd, »ich danke dir für diese schöne Tochter.«
»Dann schau sie dir doch einmal an, ob sie auch wirklich schön ist.« Kusmine reichte Durenald lächelnd das Bündel. Unsicher betrachtete er das rote, von der Geburt ein wenig verschwollene Gesichtchen, das sich eben zum Greinen verzog. Nein, schön ist sie nicht, dachte er, aber sie wird es, so die Götter wollen, noch werden. Und er fühlte, daß er das Kind schon jetzt liebte. Gerührt lauschte er dem dünnen Schrei, der dem zahnlosen Mündchen entwich. Doch was war das? Etwas war anders als zuvor, doch wußte er zunächst nicht zu sagen, was es war. Das Greinen war deutlich zu hören und auch das Knistern des Feuers, aber sonst – nichts. Es war still, der Sturm hatte sich gelegt!
Auch die anderen hatten es bemerkt, doch ergriff Kusmine als erste das Wort. »Es hat aufgehört zu stürmen, endlich, Rondra sei Dank«, sagte sie mit einem Seufzer der Erleichterung. »Ich will es als gutes Omen nehmen. Damilla, bitte öffne das Fenster und laß ein wenig frische Luft herein, das wird mir guttun.«
Die Magd gehorchte, öffnete Fenster und Läden, dann stieß sie einen Schrei aus. »Weiß! Alles ist weiß!« rief sie aufgeregt. »Schaut nur, alles ist weiß!«
Danja, die ihr am nächsten stand und die den Wunsch der Herrin mit leiser Mißbilligung aufgenommen hatte – als erfahrene Hebamme hielt sie gar nichts von winterlicher Frischluft in der Wochenstube –, trat ans Fenster und blickte hinaus. »Bei Firun, welche Pracht«, murmelte sie bewegt, »soviel Schnee hab ich mein Lebtag nicht gesehen.«
Das ganze Land war wie verzaubert: Alle Wolken hatten sich verzogen, und im silbrigen Schein des fast vollen Madamales glitzerten allüberall die zarten Kristalle, aus denen die weiße Decke bestand, die sich über Wiesen und Äcker, Häuser und Katen, Büsche und Bäume gebreitet und alle Formen gerundet hatte. Und eine unwirkliche Ruhe lag über dem Land – fast glaubte man die Stille zu hören.
»Was ist das?« fragte Danja plötzlich. »Dort steht ein Tier, aber ich erkenne nicht genau, was es ist – ein Hirsch vielleicht …?«
»Wo?« fragte Damilla, und die Hebamme wies ihr mit der Hand die Richtung. »Das ist ja ein Löwe!« rief das Mädchen erschrocken. »Nein, eine Löwin, sie hat ja keine Mähne!« Mit angstgeweiteten Augen wich sie vom Fenster zurück.
Durenald, der, seit er von dem Schnee gehört hatte, eine unbändige Begierde verspürte, das seltene Naturwunder zu betrachten, und sich zugleich nicht lösen mochte von Frau und Tochter, warf Kusmine einen fragenden Blick zu. »Nun, geh schon, lieber Mann, und sieh dir den Schnee an«, sagte sie lächelnd. »Doch gib mir zuvor unsere Tochter wieder – die kalte Luft mag ihr schaden. Und sag mir, welch seltenes Tier dort draußen wandelt.« Durenald trat ans Fenster und blickte hinaus.
Lange schwieg er, ganz ergriffen von der Schönheit des Anblicks. Ein Tier jedoch war nicht zu sehen. »Dort ist nichts«, sagte er, »außer Firuns ganzer Pracht. Es gibt auch keine Löwen in Brelak«, wandte er sich belehrend an Damilla, »du wirst einen Schakal gesehen haben, der sich aus den Bergen hierher verirrt hat. Morgen werden wir seine Fährte aufnehmen und ihn, so Firun will, zur Strecke bringen, auf daß er uns nicht die Ziegen reißt. Und nun möchte ich für ein Weilchen mit meiner Frau und meiner Tochter allein sein.«
Als alle den Raum verlassen hatten, ließ Durenald sich auf einem Schemel neben dem Wochenbett nieder und ergriff die Hand seiner Gemahlin. »Mein liebes Herz, ich bin so stolz auf dich, meine tapfere, kleine, große Kriegerin.« Zärtlich betrachtete er ihr schönes Antlitz. »Hast du schon einen Namen für sie gewählt? Tsaiane vielleicht …?«
»Tsaiane ist ein schöner Name«, erwiderte Kusmine, »und seit ich weiß, daß du dir all die Monde lang eine Tochter gewünscht hast, habe ich recht oft über ihren Namen nachgedacht. Ich finde, wir sollten sie nach meiner Tante Melsine und nach deinem Vater Thalion nennen. Melsine und Thalion – Thalionmel.«
2. Kapitel
Die Tribüne der Rennbahn vor den Toren von Methumis war mit Wimpeln, Girlanden und Buketten aus Firunsglöckchen und dem ersten Ilmengrün aufs prächtigste geschmückt, denn zum diesjährigen großen Phex-Rennen erwartete man nicht nur den Herzog – auch der Erzherrscher von Arivor hatte seinen Besuch angekündigt. Und auch die Götter schienen dem Rennen gewogen: Seit Tagen ließ Herr Praios Sein Antlitz hell erstrahlen, die gütige Frau Peraine hatte die Auen in ein Gewand aus frischem Grün mit winzigen bunten Farbtupfern darin gehüllt, Herr Efferd hatte den Fischern einen reichen Fang beschert, und die Luft war erfüllt vom Duft der gebratenen Meerbarsche, Perlbeißer und Silberaale, die an kleinen Ständen rings um die Rennbahn feilgeboten wurden. Herr Phex, dem zu Ehren das Rennen veranstaltet wurde, ließ Kaufleute, Diebe und Bettler zufrieden schmunzeln über die bereits getätigten oder noch zu erwartenden günstigen Geschäfte, und der sinnenfrohen Frau Rahja Gebot hieß heute ganz besonders viele verliebte Paare und Pärchen zum Liebesspiel ins nahe Wäldchen schlendern …
Da Phex der neunte Monat ist, waren, wie jedes Jahr, neun Rennen angesetzt, sechs Bürger- und drei Adelsrennen. Die Bürgerrennen begannen üblicherweise um die zehnte Stunde und endeten, wenn alles gutging und nicht zu viele Unfälle geschahen, um die zweite Stunde nach Mittag. Es waren derbe Volksbelustigungen, und die wenigsten Gäule, die man auf der Rennbahn sah, waren wirkliche Reittiere – von Rennpferden ganz zu schweigen. Da gab es struppige Ponys, magere Karrengäule, Kaltblüter, deren wahre Bestimmung es war, einen Pflug zu ziehen, aber alle waren, genau wie ihre Reiter, aufs schönste geschmückt und herausgeputzt. Teilnehmen durfte ein jeder, sofern er ein Reittier besaß, das nur entfernt an ein Pferd erinnerte, und falls er es schaffte, sich rechtzeitig einen Platz unter den Startenden zu sichern, denn deren Anzahl war auf zehn für jedes Rennen beschränkt.
Für die meisten war die Teilnahme nicht mehr als ein Spaß, und nur die Besitzer der besseren Pferde – wie Fuhrleute, Botenreiter und Pferdehändler – mochten hoffen, die Siegesprämie zu gewinnen: wahlweise ein Faß Bier, gestiftet von der Geweihtenschaft des Phextempels, oder ein Fäßlein Wein, das die Rahjapriesterinnen für den heutigen Tag gespendet hatten. Doch mußte niemand darben, Verlierer nicht und auch nicht die große Schar der Schaulustigen, denn das herzogliche Freibier floß beim großen Phex-Rennen stets in Strömen.
Natürlich blieben die Adelslogen leer bei diesem groben Treiben, und auch die vornehmen Handelsherren und -damen zogen es vor, erst später zu erscheinen. Doch um die dritte Stunde nach Mittag, wenn der Rennplatz längst geräumt war von trunkenen Schustergesellen und zottigen Mähren, füllte die Tribüne sich allmählich. Das war nun für das Volk ein fast noch größeres Ereignis als die vorausgegangene Belustigung – so hohe Herrschaften von Angesicht zu sehen und so prächtige Gewänder zu bestaunen, das war ihm wahrlich nicht alle Tage vergönnt.
Am begierigsten erwarteten die Leute das Erscheinen des Erzherrschers und seiner Gemahlin. Er hatte sich auf seine alten Tage – die Sechzig mochte er bald erreicht haben – noch einmal vermählt, und zwar, wie es hieß, mit einer blutjungen ehemaligen Rahjageweihten aus Belhanka. Und so drängte sich jedermann so dicht zur Tribüne, wie Büttel und Gardisten es eben zuließen.
Unterdessen wurde die Rennbahn für die letzten drei Rennen, die Adelsrennen und das wahre Ereignis des Tages hergerichtet: Nachdem der Platz vom Kot gereinigt war, schleppten livrierte Helfer und Helferinnen buntbemalte hölzerne Gerüste herbei, die zu unterschiedlich hohen Hürden zusammengesetzt wurden. An anderer Stelle wurden schwere Eichenbohlen aus dem Boden der Rennbahn entfernt, und nun sah man, daß sich darunter wassergefüllte Gräben befanden. Die schönsten Hindernisse jedoch waren die Hecken. Dazu wurden immergrüne Sträucher und Äste der Goldpinie so zusammengesteckt und mit Schleifen aus roter Seide geschmückt, daß sie tatsächlich blühenden Rosenhecken glichen. Insgesamt galt es neun Hindernisse zu überwinden: drei Hürden, drei Gräben, zwei Hecken und als letztes und schwierigstes Hindernis eine Hecke, hinter der sich, unsichtbar für das Pferd, ein weiterer Wassergraben befand. Dieser war allerdings so flach, daß ein Pferd auch hineinspringen und hindurchwaten konnte – schließlich sollte nach Möglichkeit keines der kostbaren Tiere verletzt werden.
Das erste Rennen war für die vierte Stunde angesetzt, und die Tribüne hatte sich inzwischen gefüllt. Einzig die für den Herzog und den Erzherrscher reservierten Logen waren leer geblieben. Doch wurde das Volk aufs beste entschädigt durch den Anblick der in ihre kostbarsten Gewänder gehüllten Herrschaften, die je nach Stand, Vermögen und Temperament in prächtigen Kutschen, vergoldeten Sänften oder auf geschmückten Pferden zum Rennplatz gereist waren. Und als nun die Hochgeweihte des hiesigen Rahjatempels, eine zierliche Tulamidin, das Podest am Fuße der Tribüne bestieg, auf dem die Sieger der drei letzten Rennen geehrt werden sollten, da lief ein Raunen durch die Menge, und die Gemahlin des Erzherrschers war vergessen. Hochwürden Ludilla – wie schlecht sich doch der Titel zu Gebaren und Gewandung der Dame fügen wollte! – ist gewiß um vieles schöner als die Erzherrscherin, so dachten die meisten. Die schwarzhaarige Priesterin war dem Brauch des Kultes gemäß in ein kurzes Gewand aus durchscheinender roter Seide gekleidet. Das hüftlange Haar trug sie teils offen, teils zu dünnen Zöpfen geflochten, von denen jeder mit einer goldenen Schleife befestigt war. Goldene Sandaletten umschlossen die zarten Füße, und golden waren auch der Gürtel, dessen Schließe wie eine Weinrebe mit Blättern und Trauben geformt war, und die Armreifen und Fußkettchen, die sie trug. Lächelnd grüßte Ludilla die Gäste auf der Tribüne, die sieben Reiterinnen und Reiter, die soeben ihre Plätze hinter einer markierten Linie bezogen hatten, und schließlich die jubelnde Menge. Dann füllte sie einen von vier reichverzierten silbernen Bechern, die neben ihr auf einem Tischchen standen, mit rotem Wein. Es war ungeweihter Tharf aus dem Tempel, denn den geweihten Wein darf auch eine Priesterin nur innerhalb der Tempelmauern trinken.
»Herrn Phex, dem Listigen, zu Ehren und Frau Rahja, der Schönen, zur Freude soll das heutige Adelsrennen ausgetragen werden!« rief Ludilla mit dunkler, weittragender Stimme. »Mögen die Götter darüber wachen, daß weder Reiter noch Tiere zu Schaden kommen, und mögen die besten drei den Sieg erringen. Hiermit« – bei diesen Worten hob sie den Becher gen Himmel und leerte ihn anschließend in einem Zuge – »erkläre ich das Rennen für eröffnet. Reiter und Reiterinnen, macht Euch bereit!«
Die Menge hatte der kurzen Ansprache schweigend gelauscht, nun erklangen Hochrufe, Pfiffe und Schreie, Mützen und Tücher wurden geschwenkt, so daß die Pferde an der Markierungslinie nervös zu tänzeln begannen. Dem Jubel zum Trotze gab es kaum einen unter den Schaulustigen, der aufrichtig wünschte, die Rennen sollten völlig ereignislos verlaufen. Denn darin bestand ja gerade das Vergnügen: einmal so ein Herrensöhnchen im Wasser oder Schlamme landen zu sehen, zu erleben, wie es vom Platze humpelte, sich verstohlen den schmerzenden Steiß reibend, und ach, die feinen Kleider – vollständig ruiniert. Aber ein Phex-Rennen ohne Rempeleien, ohne scheuende Pferde und ohne aufsehenerregende Abwürfe hatte es kaum jemals gegeben, und so waren alle zuversichtlich, daß sie nicht um ihren Spaß betrogen werden würden.
Fuxfell tätschelte den Hals seiner Rappstute. »Ganz ruhig, Meriban, braves Mädchen«, sprach er begütigend auf sie ein, »wir werden es ihnen schon zeigen, nicht wahr, meine Schöne?«
In der Tat war Fuxfells Stute das schönste und edelste Tier auf dem Rennplatz – ein echtes Shadif aus der Zucht eines Hairans aus Achan. Fuxfell ärgerte sich, daß er für das erste Rennen ausgelost worden war, denn ein Sieg im letzten Rennen würde, seiner Erfahrung nach, mehr gefeiert und beachtet werden.
Zordan Fuxfell war ein zartgliedriger Mann Mitte der Zwanzig und von mittlerem Wuchs, dem man sein tulamidisches Erbteil deutlich ansah: Das rabenschwarze Haar trug er zum Zopf geflochten, schwarz waren die großen Augen mit den schweren Lidern, die ihnen einen stets etwas müden oder gelangweilten Ausdruck verliehen, schwarz waren die fein geschwungenen Brauen, und schwarz war der sorgfältig gezwirbelte Schnurrbart. Auch die gelbbräunliche Haut hatte er von seiner Mutter ererbt, und einzig die kurze, an der Spitze etwas rundliche Nase ging auf seinen Vater zurück. Zum heutigen Phex-Rennen hatte er sein bestes Reitkleid angelegt, rote, enganliegende Beinkleider und ein dunkelgrünes pelzverbrämtes Wams, das, wie er fand, seine schlanke und dennoch muskulöse Gestalt besonders gut zur Geltung brachte. Ein federgeschmücktes schwarzes Barett, schwarze Handschuhe und sorgfältig polierte schwarze Reitstiefel rundeten seine Erscheinung ab.
Statt zu hadern, sollte ich mich lieber auf das Rennen konzentrieren, dachte er, und froh sein, daß sie mir nach all dem Hin und Her die Teilnahme schließlich doch noch gestattet haben. Denn nur der Fürsprache und dem Einfluß seines Vaters, des alten Irineius, hatte er es zu verdanken, daß er, ein Bastard, zum Rennen zugelassen worden war. Lächerlich, dachte er, nachdem der Alte mich doch schon vor Jahren anerkannt hat. Aber er würde es ihnen zeigen, er und seine schöne Meriban!
Daß er siegen würde, daran hatte er bis zur Auslosung nicht einen Augenblick lang gezweifelt: Meriban war ein gut ausgebildetes Rennpferd, erprobt in mancher Fantasia und, wie der alte Hairan ihm glaubhaft versichert hatte, aus den zahlreichen tulamidischen Reiterspielen, an denen sie teilgenommen hatte, stets als Siegerin hervorgegangen. Und er selbst war ein vorzüglicher Reiter – das tulamidische Erbteil seiner Mutter. Uns Tulamiden liegt das Reiten eben im Blut, wir müssen es nicht erst lernen, dachte er mit grimmigem Stolz.
Diesen grimmigen Stolz hatte Fuxfell schon den ganzen Tag über empfunden – Stolz auf seine Reitkünste und auf die prächtige, empfindsame Meriban und Grimm über seine nichteheliche Herkunft. Sie ließen es ihn spüren, daß er nicht zu ihnen gehörte, diese blaßgesichtigen selbstsicheren Adelssprößlinge, und behandelten ihn mit spöttischer Herablassung. Aber Meriban hatte sie beeindruckt – kaum einem seiner Gegner war es gelungen, beim Anblick der schwarzen Schönheit einen gleichmütigen Ausdruck zu bewahren. In ihren Augen funkelten Neid und Begierde, dachte er befriedigt, während er die Gedanken an die äußerst verlockenden Kaufangebote verscheuchte, die ihm von einigen seiner Konkurrenten angetragen worden waren. Nein, er würde Meriban nicht verkaufen, nicht für alle Dukaten der Welt, und gewiß nicht im Moment, da sie sich auf dem Höhepunkt ihrer Kraft und Gewandtheit befand. »Wir beide sind ein unschlagbares Gespann, meine Schöne«, raunte er der Stute zu, und als hätte sie seine Worte verstanden, wandte das Tier in diesem Augenblick den Kopf und blickte ihn aus seinen wunderbaren, glänzenden schwarzen Augen an.
Eigentlich gab es nur einen ernstzunehmenden Gegner, und der Namenlose – oder wer auch immer – hatte es so gefügt, daß sie beide für das erste Rennen ausgelost worden waren. Sindar war ein muskulöser, feuriger Nebelschimmel (womöglich gar ein wenig sprungstärker als meine Meriban, ging es Fuxfell durch den Kopf, aber bei weitem nicht so fügsam und klug), und seine Reiterin, die junge Brinna von Efferdas, war eine kühne und kämpferische Frau. Verstohlen schaute er zu der Baroneß hinüber, aber sie blickte starr geradeaus, fast als schliefe oder träumte sie. Vielleicht sollte auch ich mich mehr auf das Rennen einstimmen, dachte Fuxfell. Meriban ist immer etwas langsam beim Start, da werden wir wohl ein paar Schritt zurückfallen, aber nach dem zweiten Hindernis sollten wir die Gegner hinter uns gelassen haben – bis auf Sindar, vermutlich. Ich hätte mir den Hengst genauer ansehen sollen, um ihn besser einschätzen zu können, aber wer konnte auch damit rechnen, daß wir für ein und dasselbe Rennen ausgelost werden? Nun, die Hürden und Wassergräben werden Meriban keine Schwierigkeiten bereiten, heikler wird es bei den Hecken – Hindernisse, die sie nicht überblicken kann, machen sie stets nervös. Da kommt es darauf an, daß ich ihr die Furcht nehme. Sie muß gehorchen und mir vertrauen … Weiter kam er nicht mit seinen Überlegungen, denn soeben hatte der oberste Phexenspriester, der traditionsgemäß das Starten übernahm, seinen Platz neben der Strecke bezogen. Er hielt einen aus feinstem Papier gefertigten Beutel in der Rechten, den er nun an die Lippen setzte und aufzublasen begann. Als der Beutel prall gefüllt war, holte er mit der Linken weit aus. »Und…«, erklang es in der atemlosen Stille, die sich über dem Rennplatz ausgebreitet hatte. Das nachfolgende »Los!« wurde übertönt von dem lauten Knall, mit dem der Beutel zerplatzte, als der Geweihte die Hände zusammenschlug.
Sechs Pferde stoben davon, allen voran Praiosblume, ein Falber aus dem Gestüt derer von Onjaro. Meriban, die bei dem Knall ein wenig gestiegen war und ein leises Wiehern ausgestoßen hatte, brauchte einen Moment, bis sie sich so weit gesammelt hatte, daß sie sich der Führung ihres Reiters überlassen konnte. Nun lief sie dreißig Schritt hinter dem Feld, und Fuxfell hieb ihr zornig die Fersen in die Flanken. »Schneller, Mädchen, mach mir keine Schande!« schrie er, und wieder war es, als hätte die Stute die Worte ihres Herrn verstanden: Mit geblähten Nüstern, den schönen Kopf stolz erhoben, begann sie zu laufen, schneller und immer schneller, bis ihre kleinen Füße den Boden kaum noch zu berühren schienen. »So ist es brav, meine Schöne«, rief Fuxfell begeistert, »zeig ihnen, was du kannst!« Sein Ärger über den mißlungenen Start war verflogen, als er spürte, wie das Tier seine Bewegungen aufnahm und Roß und Reiter zu der gewohnten Einheit verschmolzen, die ihn stets mit einem Gefühl von Glück und Macht erfüllte.
Das Feld rückte näher, bald unterschied er die einzelnen Tiere und ihre Reiter, und noch vor dem ersten Hindernis hatte er Aldara überholt, die schwächste seiner Konkurrenten. Sindar, Nachtvogel und Praiosblume bildeten die Spitze und erreichten fast gleichzeitig die erste Hürde. Sindar und Praiosblume nahmen das Hindernis ohne Mühe, aber Nachtvogel verweigerte, und Fuxfell sah, wie sein Reiter das Tier unwirsch herumriß, um einen zweiten Anlauf zu nehmen. Zwei weniger, dachte er mit Genugtuung, denn einen solchen Zeitverlust könnte auch das schnelle Halb-Shadif nicht wieder aufholen.
Meriban hatte nun ihren Rhythmus gefunden. Sie flog dahin, nahm die Hürde ohne Mühe und setzte ihren Lauf fort, als wäre er nie durch einen Sprung unterbrochen worden. »Weiter, Meriban, so ist’s gut, meine Schöne, lauf, lauf!« trieb er sein Pferdchen nun fast zärtlich an, denn das Tier hatte durch den weiten, eleganten Sprung so viel Raum gewonnen, daß es sich nun auf fast gleicher Höhe mit Beleman befand, einem etwas gedrungenen Fuchs-Wallach. Aber Beleman ist nicht schnell und auch nicht ausdauernd genug, um den Vorteil seines guten Starts zu halten oder gar auszubauen, dachte Fuxfell. Und richtig, just in dem Augenblick, als Beleman zum Sprung über den Graben ansetzte, hatte auch Meriban diesen erreicht, und wieder flog sie, fast ohne der sanften Anweisungen ihres Reiters zu bedürfen, in weitem Bogen über das Hindernis. Als sie, leicht wie eine Feder, ihren Lauf wieder aufnahm, hörte Fuxfell hinter sich das platschende Geräusch von Wasser. Er blickte sich um und sah, wie Freifrau Firisia von Marudret völlig durchnäßt aus dem Graben stieg, während Beleman verzweifelt versuchte, das Ufer zu erklimmen. Nun gut, nur noch zwei, und das Rennen ist noch lange nicht vorüber, dachte Fuxfell und fühlte, wie seine Lippen sich zu einem Lächeln verzogen.
Die Rennstrecke war so angelegt, daß drei Hindernisse auf einer abgeflachten Kreisbahn aufgebaut waren: Hürde, Graben, Hecke. Diese Bahn mußte zweieinhalbmal umrundet werden, so daß der Reiter acht Hindernisse überwunden hatte, wenn er sein Pferd auf den geraden Abzweig lenkte, der zum dreihundert Schritt entfernten Ziel führte und auf dessen halber Strecke sich das letzte und schwierigste Hindernis befand, die Hecke mit dem Wasserbassin dahinter.
Das nächste Hindernis, die Hecke, rückte näher, und Sindar hatte nun endgültig die Führung übernommen – er war Praiosblume um fast eine Länge voraus. Aber der Abstand zwischen Meriban und Sindar hatte sich nicht vergrößert, nein, er schrumpfte, er schrumpfte ganz eindeutig. »Oh, Meriban, meine Kluge, meine Schöne, ich liebe dich!« rief Fuxfell begeistert; für einen kurzen Moment spürte er ein Auflodern hitziger Leidenschaft. Und wieder war es, als hätte das Tier seine Worte verstanden: Ein winziger Schauder durchzuckte die Stute, und sie schüttelte den Kopf, als wollte sie sagen: ›Ich liebe dich auch, mein süßer Herr, und dies ist nur ein Spiel, ein schönes, wildes Spiel, und wir werden es gewinnen.‹
Als zuerst Sindar und kurz darauf Praiosblume über die Hecke setzten, sah Fuxfell, daß beide Tiere die obersten Zweige gestreift hatten. Das durfte Meriban nicht passieren! Der plötzliche peitschende Schmerz an ihren empfindlichen Fesseln würde das empfindsame Tier so sehr verwirren, daß es womöglich aus dem Takt käme. »Keine Angst, meine Schöne, du schaffst es«, flüsterte er ihr zu, als er mit einem kurzen Ruck am Zügel die Stute zum Sprung ermunterte. Doch die kluge Meriban hatte das Kommando ihres Reiters schon im voraus erahnt und setzte ihren Sprung so hoch an, daß – als sie auf dem Scheitelpunkt ihrer Flugbahn elegant die Hinterläufe anzog – mehr als ein Spann Raum zwischen diesen und der Hecke blieb.
Als die zweite Runde begann, war Fuxfell sicher, das Rennen zu gewinnen. Der Abstand zu Praiosblume hatte sich so weit verringert, daß Meriban ihn noch vor dem Graben einholen würde. Zwar ging ihr Atem inzwischen stoßweise, und das Fell ihres Halses war naß von Schweiß, aber Fuxfell kannte ihre Zähigkeit und Ausdauer. Nein, vor dem Ziel würde sie nicht aufgeben! Zunächst aber galt es, wiederum die Hürde zu überwinden. Sindar nahm sie ohne Mühe, kurz nach ihm setzte Praiosblume zum Sprung an, doch was war das? Entweder Pferd oder Reiter hatten den Sprung falsch berechnet und zu früh angesetzt. Wie dem auch sein mochte – Praiosblume streifte den oberen Holm der Hürde so heftig, daß er beim Aufsetzen strauchelte, stürzte – und der Baronet von Onjet flog in hohem Bogen auf die Rennbahn, wo er reglos liegenblieb.
Bei Phex, was soll ich tun? Bürschchen, roll dich zur Seite! dachte Fuxfell verzweifelt, als ihm klar wurde, daß der Kopf des Baronets just an der Stelle lag, wo in wenigen Wimpernschlägen Meribans zierliche Hufe aufsetzen würden. Es war zu spät, denn schon spannte sie sich zum Sprung, wie er es ihr halb unbewußt befohlen hatte. Zu spät, zu spät, dachte er, denn nun stieg sie, flog – Fuxfell schloß die Augen – und gab im letzten Augenblick durch eine angestrengte Bewegung ihres Körpers und ihrer Füße dem Sprung eine andere Richtung, so daß sie wenige Spann neben dem Baronet landete.