Kitabı oku: «DSA: Die Löwin von Neetha Sammelband», sayfa 4

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3. Kapitel

Klein-Thalionmel weinte laut und zornig. Sie schätzte es gar nicht, gewindelt und gewickelt zu werden. Viel lieber wollte sie mit ihren rundlichen kleinen Beinen im Sonnenlicht strampeln, das als heller schräger Balken durch das Fenster in die Kinderstube und auf das Wickeltischchen fiel. Aber die Kinderfrau hatte kein Erbarmen; mit einem energischen Griff packte sie die kleinen rosigen Füße und hatte trotz heftiger Gegenwehr des Säuglings die Beine bald in die Stellung gebracht, die sie benötigte, um die weichen Wickeltücher ordnungsgemäß darumzuwinden. »Bist ein kräftiges kleines Persönchen«, sagte sie lachend, »aber es hilft dir nichts, noch bin ich stärker als du. Und nun hör auf zu weinen – was soll denn die Herrin von uns beiden denken, wenn sie die nassen Wangen und das triefende Näschen sieht?« Vorsichtig tupfte Witwe Westfahr das Gesicht des Kindes trocken. Bei den der Reinlichkeit und Pflege dienenden Verrichtungen hatte sich ihr Haarknoten allmählich gelöst, und nun fiel eine dicke Strähne in Reichweite der winzigen Säuglingshände. »Au!« entfuhr es der Kinderfrau, als die Fingerchen sich in ihrem Haar verkrallten und energisch zogen. »Hast wirklich Bärenkräfte, mein Liebling, aber nun laß los!« Doch das Kind hörte nicht auf sie und zog immer fester, wobei allmählich die Tränen versiegten und das kleine Gesicht vor Freude erstrahlte.

Die Tür wurde aufgerissen, und Kusmine, erhitzt und ein wenig außer Atem, stürmte ins Zimmer. Sie hatte soeben ihre Fechtstunde absolviert, zu der regelmäßig seit ihrer Eheschließung einmal im Mond ein Fechtlehrer aus Neetha anreiste und dann für einige Tage als Gast, Lehrmeister und Übungspartner der Herrin im Gutshause weilte. Auch Durenald hatte in den ersten Jahren fleißig am Unterricht teilgenommen, später, als die Zeit und die gute Verpflegung durch Küchenmeisterin Titina ihm ein wenig von seiner Beweglichkeit genommen hatten, beschränkte sich die Teilnahme mehr und mehr aufs Zuschauen, wobei er es sich niemals versagen konnte, Kusmine nach der Lektion zuzuflüstern, daß es eigentlich an dem Fechtlehrer sei, sie, Kusmine, zu bezahlen, anstatt umgekehrt. An diesem Morgen jedoch war er schon früh ausgeritten, da er seinem Weib für den nächsten Praiostag einen saftigen Wildschweinbraten versprochen hatte.

»Thalionmel, kleine Kriegerin, laß dich anschauen!« rief Kusmine und streckte die Arme nach ihrer Tochter aus. Die Kinderfrau reichte ihr den Säugling, der beim Anblick der Mutter sogleich aufjauchzte. »Was ist das, Susa?« fragte Kusmine und wies auf die kleine Faust des Kindes.

»Oh, Euer Edelgeboren, das Kindchen hat beim Wickeln nach meinem Haar gegriffen und mir tatsächlich ein Strähnchen ausgerauft.«

»So kräftig ist sie schon«, murmelte Kusmine nicht ohne Stolz. »Ich hoffe, sie hat dir nicht zu weh getan.«

Kusmine hielt ihre Tochter mit ausgestreckten Armen in die Höhe. Das Kind lachte, ruderte mit den Ärmchen, und auch die Beinchen regten sich und stießen, soweit es die Fessel der Wickelbänder eben zuließ. Unvermittelt warf Kusmine den Säugling in die Luft. »Was tut Ihr, Herrin!« rief die Kinderfrau erschrocken. »Bei allen Zwölfen, nein!« Doch die Frau von Brelak hatte ihre Tochter sicher wieder gefangen, und das Jauchzen des Kindes ließ keinen Zweifel daran, daß ihm der Flug gefallen hatte.

»Siehst du, Susa, sie hat keine Angst«, stellte Kusmine mit Genugtuung fest, »eine Enkelin des Irineius von Malur fürchtet sich nicht vor dem Fliegen.« Noch dreimal gönnte sie dem Kind das Vergnügen, das jedesmal ›Mehr, mehr!‹ zu rufen schien, dann preßte sie es ungestüm an ihren leichten Lederharnisch und küßte das zarte Blondhaar wild und innig. »Und nun wollen wir einmal schauen, wo dein Vater mit dem Braten bleibt«, sagte sie, öffnete das Fenster und gab einem Stallburschen im Hof Anweisung, ihr Pferd zu satteln. Dann wandte sie sich an die Kinderfrau: »Susa, gib mir eine Decke und das Häubchen.«

Witwe Westfahr sah sie überrascht an. »Wozu?« fragte sie.

»Damit sie sich nicht verkühlt, natürlich – Mitte Peraine kann man ein so junges Kind doch nicht ungeschützt der Waldluft aussetzen.« Kusmine drohte der Frau scherzend mit dem Finger. »Das solltest du als Kinderfrau eigentlich wissen.«

»Ihr wollt sie doch nicht etwa mitnehmen, Herrin! Um Praios’ willen, nein!« Erschrocken streckte Susa die Hände nach ihrem Pflegling aus, um ihn Kusmine abzunehmen, doch diese hielt ihr Töchterlein fest und drehte sich mit ihm im Kreise.

»Wir reiten in den dunklen Tann, wo Wolf und Nachtwind hausen …«, begann sie eine alte Weise zu singen.

»Reiten?« unterbrach Susa den Gesang. »Ach, Euer Edelgeboren, tut mir das nicht an! Wie soll das angehen? Wollt Ihr sie Euch auf den Rücken binden? Ach, mein armer kleiner Liebling!«

»Auf den Rücken binden, das ist keine schlechte Idee«, lachte Kusmine, Susas kummervoller Miene nicht achtend. »Ich habe gehört, daß die Waldmenschenfrauen ihre Kinder auf dem Rücken tragen, und die Nivesinnen und sogar manche der hiesigen Bäuerinnen tun es wohl auch. Aber da wir hier weder im kalten Nivesenland sind noch im hitzigen Dschungel und ich auch keine Bäuerin bin, habe ich mir etwas anderes ausgedacht. Paß auf …« Und nun erläuterte sie der Kinderfrau ausführlich die Bauweise des Sattelkörbchens, das der alte Hilgert nach ihren Anweisungen geflochten und dergestalt mit ledernen Bändern versehen hatte, daß einerseits ein Herausfallen des Kindes verhindert wurde, andererseits ein sicherer Halt sowohl am Sattel als auch am Pferd gewährleistet war. »Ich finde, mit fast drei Monden sollte sie sich allmählich ans Reiten gewöhnen«, beendete sie ihre Ausführungen, »oder was meinst du, kleine Kriegerin?« Und wie zur Bestätigung begann Thalionmel zu lachen.

Als Kusmine mit ihrem Kind davonritt, blickte Susa den beiden kopfschüttelnd nach. Wann wird unsere wilde Herrin endlich vernünftig werden? schien ihr Blick zu sagen.

Die neunte Stunde war schon halb vorüber, als Kusmine das Dorf hinter sich ließ. Sie hatte ihre Lederrüstung gegen ein Reitkleid aus leichtem grünen Tuch getauscht, mit knapp geschnittenem Jäckchen und engen Beinkleidern, in denen Durenald sie besonders gern sah. Zwar hoffte sie, ihn noch vor der Mittagsstunde zu treffen, doch hatte sie vorsichtshalber ein wenig Proviant und einen Schlauch mit verdünntem Wein mitgenommen. Und die Atzung für mein Kleinod trage ich in meinem Körper, dachte sie befriedigt. Sie schaute sich nach dem Kind um, aber Thalionmel erwiderte ihren Blick nicht; mit großen Augen bestaunte sie den Ausschnitt der Welt, den zu sehen ihr von ihrer gutgepolsterten Lagerstatt aus möglich war: den Himmel, die zarten weißen Wölkchen, die von Westen her aufzogen, die Bäume und die Vögel, die emsig ihr Nistgeschäft betrieben.

Kusmine ritt auf der Straße, die in nordwestlicher Richtung zur Reichsstraße führte. Es war kaum mehr als ein vielbenutzter und gut ausgefahrener Karrenweg, und als sie nach einer knappen Stunde den Wald erreicht hatte, konnte man kaum noch von Straße sprechen. Man sollte endlich den Ausbau des Weges in Angriff nehmen, ging es ihr durch den Kopf, als der Zweig eines dicht am Wege stehenden Baumes ihre Schulter streifte, das wäre sicherer und würde es dem Gesindel schwerer machen. Aber solange die anderen Gutsherren und -damen auf diesem Ohr taub sind und auch der Graf kein Interesse zeigt, wird es damit wohl nichts werden. Sie folgte weiter der schmalen Straße, genoß die kühle Luft, den Gesang der Vögel und das anmutige Spiel von Licht und Schatten, das Sonne und Blätter auf den Weg zauberten. Durenald wird mich schelten, daß ich niemanden mitgenommen habe, dachte sie und mußte lachen. Wenn es um ihre Sicherheit ging, vergaß der Gute allzuleicht, daß sie eine erfahrene Kämpin war und kein Vinsalter Zierpüppchen. Und seit sie vor knapp zehn Jahren damit begonnen hatte, eine Bürgerwehr zu errichten, zu rüsten und zu schulen, war es hier im ›Wilden Süden‹ viel ruhiger geworden – rings um Brelak zumindest. Ja, die Übergriffe durch Wegelagerer und Strauchdiebe hatten in den letzten Jahren merklich abgenommen.

Gutgelaunt und voller Rondravertrauen setzte Kusmine ihren Weg fort. Wie überrascht würde Durenald sein und wie sehr würde er sich freuen, nicht nur sie, sondern auch sein süßes Töchterlein zu sehen. Just in diesem Augenblick begann das Kind zu greinen. »Was gibt’s, kleine Kriegerin, schon wieder hungrig?«

Sie wandte sich lachend zu dem Säugling um, dessen Weinen nun lauter und fordernder wurde. »Aber ein klein wenig gedulden mußt du dich noch – erst müssen wir ein passendes Plätzchen zum Rasten finden. Und sieh einmal, auch ich muß mich gedulden«, fuhr sie fort, »oder denkst du, ich wollte die Milch nicht bald loswerden, die mir in die Brüste schießt, daß es zieht und spannt.« Wieder war es, als habe das Kind sie verstanden, denn nach ein paar letzten heftigen Schluchzern verebbte der Tränenstrom. »So ist es tapfer, kleine Kriegerin«, lobte Kusmine, »den Hunger überwinden und den Kummer niederkämpfen. Und nun sollst du auch bald belohnt werden – Frau Peraine, die Nährerin, ist dir hold. Siehst du die kleine Lichtung dort drüben? Da wollen wir rasten.«

In wenigen Augenblicken war die Lichtung erreicht. Kusmine saß ab, breitete eine Decke auf dem Boden aus und befreite das Kind vorsichtig aus dem Körbchen. Obwohl die Praiosscheibe noch nicht den höchsten Stand erreicht hatte, verspürte auch sie ein wenig Hunger, und so nahm sie, nachdem sie die Zügel des Pferdes um einen Ast geschlungen hatte, Brot und Wein aus der Satteltasche, um sich nach dem Stillen selbst zu laben. »Vielleicht sollten wir hier auf deinen Vater warten, was meinst du?« wandte sie sich an den Säugling, während sie ihr Mieder öffnete, aber Thalionmel ruderte nur ungeduldig mit den Ärmchen, und ihr Interesse galt ganz offensichtlich allein der weichen mütterlichen Brust. Als sie die feste Knospe am Gaumen spürte, begann sie gierig zu saugen.

Kusmine genoß das Stillen; sie liebte es jedesmal, aber heute, hier im Wald, umhüllt von den Düften der Erde und der Pflanzen, der lebendigen Ruhe rings umher und dem kühlwarmen Halbschatten, war es ihr eine ganz besondere Freude. Halb schloß sie die Augen, lehnte sich an den Baumstamm, bei dem sie das Lager aufgeschlagen hatte, und ließ ihre Gedanken ziellos treiben. Während Bilder der letzten Liebesnacht, der mit jedem Tag schöner und kräftiger werdenden Tochter, der Fechtstunde am Morgen, der gepanzerten Handschuhe, die sie jüngst beim Harnischmacher in Neetha in Auftrag gegeben hatte, bunt und ungeordnet in ihrem Geist vorüberzogen, reichte sie dem Säugling die rechte Brust, nachdem er sich an der linken halb gesättigt hatte.

Plötzlich wurde die Brust kräftig zurückgestoßen; blitzschnell war Kusmine aus ihrem halben Schlummer erwacht und in die Wirklichkeit zurückgekehrt. »Was ist dir, Kind?« Überrascht sah sie den Säugling an. Thalionmel hatte die zarten Brauen gehoben und wandte wie lauschend das Köpfchen in Richtung der Straße. Kusmine folgte ihrem Blick, doch bevor sie etwas sah, hörte sie es schon: ein kurzes Wiehern und dann das Geräusch von galoppierenden Hufen auf weichem Boden. »Ob das dein Vater ist?« sagte sie mehr zu sich selbst, aber der Ausdruck der kindlichen Züge zeigte Überraschung, fast Bestürzung, und kein freudiges Strahlen erhellte sie wie sonst stets bei der Erwähnung des Vaters. Angestrengt spähte Kusmine durch die Zweige, und dann sah sie das Pferd, einen reiterlosen Apfelschimmel – kein Tier aus dem gutsherrlichen Stall und keines, das sie je in Brelak gesehen hatte. »Es muß ein Unglück geschehen sein«, murmelte sie, und schon war sie auf den Beinen, hatte das Kind auf die Decke gelegt, ihr Mieder geschlossen und in wenigen Wimpernschlägen die Zügel vom Ast gewunden und sich selbst in den Sattel geschwungen. »Rondra, Herrin, hab acht auf meine Kleine!« stieß sie hervor, während sie zur Straße sprengte. Und wenn du zuläßt, daß auch diese mir genommen wird, dann sollst du in deinen Hallen vergeblich auf mich warten, fügte sie in Gedanken grimmig hinzu.

Sobald Kusmine die Straße erreicht hatte, sah sie, was geschehen war: In etwa fünfzig Schritt Entfernung wälzten sich drei Gestalten kämpfend am Boden. Augenblicklich wußte Kusmine, wie sich der Überfall abgespielt haben mußte. Die beiden Wegelagerer – daß es sich um solche handelte, daran gab es keinen Zweifel – hatten ihrem Opfer aufgelauert, das sie sich vermutlich schon auf der Reichsstraße als solches erkürt und seitdem verfolgt hatten (sie mußten also über Pferde verfügen), es vom Pferd gerissen und versuchten nun, den Mann zu überwältigen und auszurauben, denn um einen Mann handelte es sich bei dem Opfer, wohingegen die Strauchdiebe ein Pärchen mittleren Alters und nordländischen Aussehens waren (Albernier vermutlich). Bei Rondra! Am hellen Tag! dachte Kusmine. Der Kampf war eine üble und ungleiche Rauferei, denn das Opfer, ein schlanker, gutgekleideter junger Mann, wie Kusmine im Näherkommen erkannte, war so unglücklich gefallen, daß er sein Rapier nicht erreichen konnte, und die Räuber waren entweder unzureichend oder gar nicht bewaffnet. Aber sie waren ihrem Opfer an Kräften weit überlegen. Das Weib, halb auf dem Jüngling kauernd, teilte mit ihren großen knochigen Fäusten gewaltige Hiebe aus, unter denen er sich wimmernd krümmte, während ihr Gefährte ihn immer wieder mit seinen schweren Stiefeln trat.

Als Kusmine das Messer aufblitzen sah, war sie fast heran, das Schwert in der Rechten. Aber die Wegelagerer hatten sie inzwischen bemerkt, hielten inne, und nach einem kurzen Blickwechsel verschwand die Frau im Wald rechts neben der Straße. Ihr Kumpan jedoch, sich seiner Gewandtheit und günstigen Position bewußt – zwischen ihm selbst und den gefährlichen Pferdehufen lag der junge Mann halb besinnungslos am Boden –, zeigte mit einem häßlichen Grinsen Kusmine sein von Kämpfen oder Folterungen grauenhaft entstelltes Antlitz, dann schnitt er blitzschnell einen Beutel vom Gürtel des Opfers und war mit zwei Sätzen im Gesträuch links des Weges verschwunden.

»Gesindel, wagt es noch einmal …!« rief Kusmine ihm nach, dann sprang sie aus dem Sattel und eilte dem Verletzten zu Hilfe.

Der junge Mann war offenbar nicht lebensgefährlich verletzt. Leise stöhnend wand er sich im Straßenstaub, die Rechte in die Magengrube, die Linke zwischen die Beine gepreßt. Kusmine beugte sich über ihn und berührte vorsichtig seine Schulter. »Mein Herr«, begann sie, »wie geht es Euch? Könnt Ihr sprechen? Euch erheben?«

Der Mann hob beim Klang der Stimme mühsam den Kopf und blickte sie aus einem dick verschwollenen Auge an.

»Zordan! Um Praios’ willen!« schrie Kusmine auf. »Was tust du hier? Was haben sie dir angetan?« Und dann begann sie, ohne eine Antwort abzuwarten, mit kundigen Fingern und geübtem Blick die Blessuren ihres Halbbruders zu untersuchen. »Es scheint nichts gebrochen zu sein, Rondra sei Dank«, murmelte sie. »Versuch dich zu erheben«, fuhr sie fort, »ich werde dich stützen.« Statt einer Antwort stöhnte Fuxfell laut auf, als Kusmine ihn unter den Achseln packte und auf die Füße zu stellen versuchte. »Beiß die Zähne zusammen, kleiner Bruder«, sagte sie zärtlich, aber bestimmt, »es muß gelingen! Du kannst hier nicht liegenbleiben.«

Zordan Fuxfell bot ein Bild des Jammers, als er schließlich auf zitternden Beinen stand, den Kopf eingezogen, den Rücken gekrümmt und die Hände nach wie vor an den schmerzenden Leib gepreßt. Mit Kusmines Hilfe gelangen ihm ein paar mühsame Schritte. »Kannst du reiten?« fragte sie teilnahmsvoll.

Fuxfell schüttelte den Kopf. »Nicht reiten«, stöhnte er.

»Nun«, meinte sie nachdenklich, »wenn du nicht reiten kannst, dann mußt du gehen – das wird hart, aber wir schaffen es schon.«

Doch Zordan Fuxfell schüttelte wiederum den Kopf. »Nicht gehen«, wimmerte er, »hol einen Wagen.«

»Sei vernünftig, Zordan«, erwiderte die Schwester, »ich kann dich nicht allein hier zurücklassen – sie könnten wiederkommen…«

Sie könnten wiederkommen! Es war wie ein Hieb, ein Schwertstreich, ein Blitzschlag. Eine eiskalte Hand griff nach Kusmines Herzen, das für einen Moment zu schlagen aufhörte. »Meine Tochter!« schrie sie. »Mein Kind!« Mit einem Satz hatte sie sich aufs Pferd geschwungen und sprengte zur Lichtung zurück. Wenn die Banditen ihr Kind geraubt hätten – sie wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu führen, sie wußte nur eins: Falls ihrer Tochter ein Haar gekrümmt worden wäre, dann würde sie die Schuldigen verfolgen bis ans Ende der Welt, wenn es sein müßte, und sie würde sie mit allen Martern der Dämonenhöllen strafen: sie bei lebendigem Leibe häuten und rösten und pfählen und vierteilen und …

Kusmine hatte die Lichtung erreicht, und da lag Klein-Thalionmel, friedlich und satt, blinzelte in die Sonne und haschte mit den winzigen Fingern nach einem Schmetterling.

Vom Pferd zu springen, das Kind samt Decke zu ergreifen und wieder aufzusitzen, war eine Sache von Wimpernschlägen.

Als Kusmine, das Kind an die Brust gepreßt, zu ihrem Halbbruder, der stöhnend an einem Baum lehnte, zurückgekehrt war, vernahm sie fernen Hufschlag. Sichernd schaute sie sich um, dann reichte sie Zordan den Säugling, doch dieser machte keine Anstalten, das Kind entgegenzunehmen. »Was ist?« fragte sie schärfer als beabsichtigt, »willst du dich nicht deiner Nichte annehmen, wenn ich in wenigen Augenblicken deinen Bedrängern entgegentrete?«

Aber Fuxfell schien sie nicht zu hören oder zu verstehen. »Hol einen Wagen, hol einen Medicus, laß mich nicht allein«, wimmerte er nur und war sich der Unvereinbarkeit seiner Wünsche offenbar nicht bewußt.

»Bei Rondra, ich fasse es nicht«, zischte Kusmine, und wilder Zorn loderte in ihren Augen auf. »Nun reiß dich zusammen, Memme, dir fehlt doch nichts!«

»Mememem«, wiederholte Thalionmel, und kleine Speicheltröpfchen flogen ihr vom Mund. Der scharfe Ritt im Arm der Mutter hatte ihr gut gefallen und ihr immer wieder kleine jauchzende Wonnelaute entlockt. Nun blickte sie Zordan mit ihren wachen blauen Augen aufmerksam an. »Mememem«, sagte sie.

Wie vom Donner gerührt hielt Kusmine inne. »Du kannst sprechen?!« entfuhr es ihr.

»Mememem, rörörö«, antwortete der Säugling lachend und griff nach dem Haar der Mutter.

Da besann Kusmine sich ihrer Pflichten und legte das widerstrebende Bündel ins Sattelkörbchen. Mit wenigen hastigen Griffen hatte sie die Bänder festgezurrt. »Nun gut, wollen wir schauen, wer uns die Ehre gibt«, flüsterte sie ihrer Tochter zu. Dann zog sie ihr Schwert und erwartete, aufrecht und reglos im Sattel sitzend, die Ankunft der Banditen.

Es waren zwei Reiter und drei Unberittene, wie Kusmine erkannte, als die fünf Gestalten an der fernen Biegung der Straße auftauchten. Aber irgend etwas stimmte nicht mit ihnen: Weder schienen sie es eilig zu haben, noch waren sie im mindesten darauf bedacht, unentdeckt zu bleiben. Ja, es hatte gar den Anschein, als sprächen oder scherzten sie miteinander.

»Durenald!« rief Kusmine. »Durenald!« Sie winkte heftig mit der Linken, dann steckte sie das Schwert in die Scheide zurück und sprengte ihrem Gemahl entgegen.

Auch Durenald hatte sie inzwischen erkannt und beschleunigte seinen Ritt. »Kusmine, liebes Herz, welche Freude, dich zu sehen«, sagte er, als er sie erreicht hatte. »Doch was ist dir?« fügte er besorgt hinzu, als er den merkwürdig fremden Ausdruck ihrer Augen bemerkte, in dem sich Bestürzung, Grimm und Erleichterung mischten. »Und was verbirgt sich in dem seltsamen Körbchen hinter deinem Sattel?«

»Unsere Tochter«, erwiderte Kusmine knapp und atemlos, »das Reiten macht ihr Freude.«

Durenald schob die Decke zur Seite und lächelte warm, als er das zierliche Gesichtchen seines Kindes erblickte, das beim Anblick des Vaters heftig strampelte und mit den Ärmchen fuchtelte. »Meinst du nicht, sie ist noch ein wenig zu jung zum Reiten?« wandte er sich an seine Frau. »Nun, du wirst es am besten beurteilen können«, fügt er nach einer kurzen Pause hinzu. »Doch nun sag mir, was dich bedrückt.« Bevor Kusmine antworten konnte, hatte Durenald den verletzten Fuxfell entdeckt, der noch immer zitternd und stöhnend an dem Baum lehnte, wo die Schwester ihn zurückgelassen hatte. »Um der gütigen Frau Peraine willen, wer ist das? Was ist geschehen?«

Leise und eisern bemüht, das Beben ihrer Stimme zu unterdrücken, berichtete Kusmine, was sich zugetragen hatte. Statt einer Antwort und statt des halb erwarteten Vorwurfs ergriff Durenald ihre Hand und drückte sie heftig. »Mein armes Herz«, flüsterte er, dann wandte er sich an seine Begleiter, einen Jäger und drei Bauern aus dem Dorf. »Der Bruder eurer Herrin ist auf dem Ritt hierher von Wegelagerern überfallen und übel zugerichtet worden. Wie es scheint, ist er zu schwach zum Reiten. Schlagt also ein paar junge Bäume und baut eine Pferdetrage, damit wir ihn sicher und schonend zum Gutshaus bringen können.« Er stieg vom Pferd, eilte zu Fuxfell hinüber und wechselte ein paar leise Worte mit ihm. »Kusmine«, sagte er, »mach dir keine Sorgen. Reite getrost voraus – ich kümmere mich um deinen Bruder. Die Schurken werden nicht zurückkehren, und falls doch …« Er klopfte lächelnd auf das Kurzschwert an seiner Seite und wies auf seine Begleiter, die mit Bögen, Speeren und Dolchen bewaffnet waren und bei den Worten ihres Herrn ernst und beflissen nickten.

»Ich werde einen Wagen schicken, sobald ich Brelak erreicht habe«, sagte Kusmine so laut, daß ihr Bruder sie hören mußte, denn inzwischen überwog das Mitleid ihren Groll, und es tat ihr leid, daß sie so grob mit ihm gesprochen hatte. »Und die Mägde sollen eine Krankenstube herrichten, und ich werde Danja rufen lassen – sie versteht sich auf Wunden und Heilkräuter und dergleichen. Lebt also wohl!« Sie schenkte Durenald ein ernstes, inniges Lächeln und nickte seinen Begleitern zu. »Wir sehen uns später.«


Danja, die Hebamme, Kräuterfrau und Heilerin, verließ soeben die Krankenstube. Auf leisen Sohlen, den Zeigefinger auf die Lippen gelegt, näherte sie sich dem Freiherrn von Brelak, der sie mit sorgenvoller Miene erwartete. »Er schläft«, flüsterte sie, »und das ist jetzt auch das beste für ihn.«

»Aber wie geht es ihm?« wollte Durenald wissen. »Wie schwer sind seine Verletzungen?«

»Oh, Euer Edelgeboren« – Danja strahlte, wie sie es immer tat, wenn die Götter und ihre Kunst ein Unglück verhindert hatten –, »wir müssen der guten Frau Peraine danken. Sie hat wohl Ihre Hand über Euren Herrn Schwager gehalten, damit ihm kein ernster Schaden widerfuhr. Nein, kein Knochen ist gebrochen, und innere Wunden hat er auch nicht davongetragen, und da er ein junger und gesunder Mann ist und ich seine Schrammen und Kratzer gut versorgt und verbunden habe, kann er morgen schon wieder« – sie hielt inne und wiegte nachdenklich den Kopf –, »nein, übermorgen – tanzen, fechten, reiten … lieben.« Sie zwinkerte Durenald verschwörerisch zu. »Kurz und gut: Der Herr von Fuxfell …«

»Nur Fuxfell«, unterbrach sie Durenald.

»Wie meinen, Euer Edelgeboren?«

»Er heißt Fuxfell, ohne von.«

»Nun gut. Also der Herr Fuxfell wird übermorgen wieder ganz der alte sein. Bis auf ein paar blaue Flecken natürlich – aber die vergehen.«

»Danke, Danja.« Durenald klopfte der Frau anerkennend auf die Schulter und drückte ihr einen kleinen Beutel in die Hand.

»Dankt nicht mir, Herr, dankt der Frau Peraine, die die guten Kräuter wachsen läßt«, erwiderte sie, nahm den Beutel aber gern und begann sogleich, mit kundigen Fingern den Inhalt zu ertasten (fünf Silberstücke), während sie ihn in ihrer Tasche verschwinden ließ.

Kurz nach Danja verließ auch Kusmine die Krankenstube, die als gutausgebildete Kriegerin fast ebensoviel von Blessuren und deren Behandlung verstand wie die Kräuterfrau. Sie lächelte ihren Gatten an. »Nun ist doch alles zu einem guten Ende gekommen, was so schlimm begann«, sagte sie und ergriff Durenalds Hände. »Wir haben ihm einen Schlaftrunk eingeflößt, denn der Schlaf ist in seinem Fall die beste Medizin – er läßt ihn auch Angst, Zorn und Schrecken vergessen.«

»Ach Kusmine, liebes Herz«, lachte Durenald, »was bist du doch für eine fürsorgliche Schwester! Aber dein kleiner Bruder scheint mir, mit Verlaub, ein rechter Zimperalrik zu sein.« Er suchte den Blick seiner Frau, um sich zu vergewissern, daß seine Worte sie nicht verletzt hätten, doch Kusmine lächelte verständnisinnig. »Und überhaupt«, fuhr er fort, »wieso hat er sich von zwei halbverhungerten und unbewaffneten … Du sagtest doch, daß sie unbewaffnet waren?«

Kusmine nickte. »Einer hatte ein Messer«, sagte sie dann.

»Wie dem auch sei«, fuhr Durenald fort, »wieso hat er sich von zwei nahezu unbewaffneten Banditen verprügeln lassen? Er hat doch ein schönes Rapier. Trägt er es nur zur Zierde?«

Kusmine hob Achseln und Hände in einer Geste der Ratlosigkeit. »Ich weiß es nicht, lieber Mann«, sagte sie, »aber sei nicht gar so streng mit ihm. Zordan ist kein Krieger – er hat das Fechten nie geliebt und auch nicht gut gelernt. Vielleicht trägt er seine Waffe wirklich mehr zur Zierde oder um das Gesindel abzuschrecken.«

»Abzuschrecken? Nun, das ist ihm ja über alle Maßen gut gelungen! Da haben sie ihm dann vor lauter Schreck nicht das Leben, sondern nur seine Dukaten genommen! Mein Kompliment dem Waffenschmied.«

»Durenald, so kenne ich dich gar nicht«, lachte Kusmine, »so bissig und ironisch. Aber ich kann nicht sagen, daß es mir mißfällt. Wie sich alles zugetragen hat, werden wir morgen erfahren. Doch um Zordans Dukaten müssen wir uns schwerlich sorgen – er wird seine Barschaft nicht offen am Gürtel getragen haben. Niemand ist so leichtsinnig, auch Zordan nicht. Wahrscheinlich waren in dem Beutel nur ein paar Kupfer- oder Silbermünzen … oder Pfeifenkraut …« Wieder hob sie Schultern und Hände in der ihr eigentümlichen Geste. »Obwohl …« Sie wurde nachdenklich. »In seinen Stiefeln habe ich kein Geld gefunden, und innen im Gürtel war auch nichts eingenäht. Dann verwahrt er es vermutlich in den Satteltaschen – also doch ein wenig leichtsinnig, der Gute …« Plötzlich hielt sie inne. »Satteltaschen? Hat man sein Pferd gefunden?«

»Einen Apfelschimmel? Eine schöne, aber etwas furchtsame Stute? Ja, die ist gefunden worden und wird in unserem Stall von Hilgert gut umsorgt«, beruhigte Durenald seine Gemahlin, »und auch das Gepäck deines Bruders ist in Sicherheit. Wenn du willst, lasse ich es gleich in seine Kammer bringen.«

»Ach nein, ich denke, das hat Zeit bis morgen. Heute wollen wir seinen Schlummer nicht mehr stören. Weißt du«, sagte Kusmine nach kurzem Sinnen, »ich bin sehr froh, daß Zordan endlich den Weg zu uns gefunden hat. Es zeigt doch, daß er uns zugetan ist – dir und mir und dem Kind wohl auch … Wer sollte unser Kleinod nicht lieben …« Sie nahm ihren Gatten beim Arm und führte ihn zur Kinderstube. »Früher hatte ich bisweilen den Eindruck, daß er einen Groll gegen mich hegt«, nahm sie ihren Gedanken wieder auf, »obwohl ich nie unfreundlich zu ihm war oder ihn mit Hochmut oder Herablassung behandelt hätte … Es wird der Neid des Bastards gewesen sein, denke ich, der Neid auf meine Geburt, auf meinen Stand, meine gute Ausbildung …«

»Deine Schönheit«, unterbrach sie Durenald und faßte sie um die Hüfte.

»Meine gute Partie«, fuhr Kusmine lächelnd fort und legte nun ihrerseits dem Gatten den Arm um die Schulter und zog ihn fest an sich. »Mein Glück …«

»Du hast nicht immer Glück gehabt im Leben und bist auch nicht immer glücklich gewesen«, widersprach Durenald. Doch sogleich bereute er seine Worte, als er spürte, wie Kusmine kaum merklich erstarrte.

»Nein, nicht immer«, sagte sie leise, »aber dennoch halte ich mich für einen von den Göttern verwöhnten und begünstigten Menschen.« Sie hielt inne und blickte ihren Gatten ernst und voller Liebe an. »Soll ich dir sagen, was ich glaube? Ich glaube, Boron hat uns den kleinen Tsafried genommen, um uns daran zu gemahnen, daß wir unser Glück nicht uns selbst verdanken, sondern jenen, die alle unsere Geschicke lenken. Und jeden Tag und jede Stunde müssen wir sie preisen für die Gaben, mit denen sie uns segnen … War es nicht Frau Rahja, die es so gefügt hat, daß wir uns in Neetha begegnet sind? Ist es nicht Frau Peraine, die deine Äcker und Gärten segnet Jahr für Jahr? Ist es nicht Frau Travia, die täglich über unserem Heime wacht? Ist es nicht Frau Rondra, die mir Mut und einen starken Körper verliehen hat? Und müssen wir Frau Tsa nicht innig danken für die schöne Tochter, die sie uns geschenkt hat?«

»Du hast recht, liebes Herz, so wie du immer recht hast«, sagte Durenald zärtlich, »und da du sie erwähnst, unsere schöne Tochter, so möchte ich sie gern sehen.«

»Ja, komm nur, Liebster, und schau sie dir an – sie wird mit jedem Tag schöner und kräftiger. Ich wollte ohnehin gerade zu ihr eilen, um sie zu nähren für die Nacht.«

In nachdenkliches Schweigen gehüllt, setzte das Paar den Weg zur Kinderstube fort. Plötzlich lachte Kusmine. »Und ist es nicht Herr Firun, der uns den schönen Braten geschenkt hat?« fragte sie. »Oder war Er dir etwa nicht gewogen? Du weißt, daß du mir für den Praiostag eine junge Bache versprochen hast, nicht wahr?«

»Und was ich verspreche, das halte ich auch, mein liebes Herz.« Durenald zog Kusmine an sich und küßte sie. »Am Praiostag wirst du dich am zartesten und saftigsten Wildbret laben können, das je deinen Gaumen verwöhnte.«

Lange standen die Gatten am Bettchen ihrer Tochter, lachten und scherzten mit dem Kind und konnten nicht genug davon bekommen, die Vollkommenheit der Gliedmaßen, das strahlende Blau der Augen und die Schönheit des blonden Lockenhaares zu bewundern, das in Anbetracht des zarten Alters schon recht üppig auf dem Köpfchen sproß.

»Und nun bitte ich dich, uns zu verlassen«, sagte Kusmine schließlich, »du weißt, daß wir zwei beim Stillen am liebsten ungestört unter uns sind.«

Mit gespieltem Schmollen wandte Durenald sich zum Gehen. »Darf ich heut nacht auf deinen Besuch hoffen?« fragte er.

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