Kitabı oku: «Unabwendbare Zufälligkeiten», sayfa 5
In Windeseile ging Susanne all dies durch den Kopf, während sie über das Grundstück zum Steg lief, um den beiden Anglern vom zusätzlichen Besuch zu berichten. In Kurzfassung erklärte sie: „Wir bekommen Besuch. Tante Brigitta kommt, Michael.“
„Wie, die gibt es auch noch?“
„Ja, und ich hole sie am Bahnhof ab. Ihr könnt noch was mehr fangen, aber bitte Micha, auch bratfertig ausnehmen. Du weißt, ich kann das nicht.“
Frank sah Susanne nach und schmunzelte: „Es finden sich immer mehr Übereinstimmungen bei deiner Mutter und mir!“
„Was?“ Michael starrte Frank entsetzt an. „Ich fasse es nicht. Meinst du damit, du fängst die Fische – und dann?“
„Na ja, sie kommen in den Eimer, ins Wasser. Und entweder ist jemand da, der den Rest für mich besorgt, wie du zum Beispiel, oder …“
„Du lässt sie wieder frei? Ich werde verrückt! Dann bin ich der, der den Rest besorgt oder wie?“
Frank nickte und brüllte Susanne nach, und das war ihm gerade viel, viel wichtiger: „Ist das denn mein letzter Abend? Schläft Tante Brigitta dann hier?“
Susanne lief zurück und hockte sich vor ihn hin. „Natürlich nicht. Brigitta geht immer ins Haus Agnes.“
Franks Augen weiteten sich. „Bist du sicher?“ Er verzog sein Gesicht und Susanne stupste kurz seine Nase an und nickte „ja“, dann ließ sie sich nicht mehr zurückhalten.
Michael ahnte natürlich, was Frank durch den Kopf ging bei seiner skeptischen Frage und klärte ihn auf: „Gäste, die nicht unbedingt angeln wollen, werden in dem Hotel ganz normal behandelt!“ Dazu nickte er gewichtig mehrmals mit dem Kopf und machte bei dieser Gelegenheit Frank auch noch auf etwas aufmerksam, was ihn schon eine ganze Weile beschäftigte: „Überhaupt Frank“, sagte er „von wegen Zufall oder kein Zufall, und was du gesagt hast: ‚Man muss erkennen, wenn es mehr ist und für einen selbst bestimmt‘. Du kannst endlich mal einen Blumenstrauß zu Frau Hackler bringen und danke sagen. Ohne den Schilderklau hätten wir uns doch nie getroffen – oder?“
„Wahrscheinlich nicht“, überlegte Frank und fragte zurück: „Aber das Schild verschwinden lassen, das war doch nicht Frau, das war doch Herr Hackler. Soll ich dem denn jetzt auch noch danken? Soll ich ihm tatsächlich dafür danken, dass er ein Gesetz übertreten hat? – Obwohl er ja unwissend diesmal …“
„Auf gar keinen Fall“, unterbrach ihn Michael erschreckt. „Der ist ein solcher Kotzbrocken, der darf das gar nicht wissen!“ Und dann warf er einen Blick in den Eimer. „Mal was andres, bis jetzt hat nur eine Forelle angebissen, das heißt, wir brauchen noch drei!“
Leider waren die Fische aber nicht der gleichen Meinung. Vielleicht war es ihnen auch heute ein wenig zu lebhaft am Steg. Susanne würde einen Ersatz finden und ihn servieren müssen.
11
Helene Weber fuhr, nach der Aufregung über das Nachbarkind, in den Ort zum Supermarkt, um ihren wöchentlichen Einkauf zu tätigen. Außerdem war das nach dem Schrecken von vorhin eine gute Ablenkung. Eventuell sogar wie eine Therapie, dachte sie bei sich und änderte ganz spontan unterwegs ihren Kurs. Die Idee, mal eben in Bergers-Markt durchs Gartenparadies zu schlendern, kam ihr plötzlich. Nur hindurch schreiten und schauen, einfach nur, um auf andere Gedanken zu kommen. Bei der Gelegenheit konnte sie auch endlich Noppen für die Stuhlbeine kaufen, die bei ihrem letzten Einkauf in Vergessenheit geraten waren. Nun gab es ja in Bergers-Markt, ziemlich nahe am Eingang, dieses breite Brett, die Vorrichtung für Aushänge aller Art. Ständig hielten sich irgendwelche Leute davor auf und schienen sämtliche Karten und Zettel genauestens zu studieren. Helenes Interesse dafür hielt sich in Grenzen, was hätte sie dort auch suchen oder finden sollen? Immer lief sie achtlos daran vorbei. Doch heute war sie nicht so ganz bei der Sache, es war auch ziemlich viel Betrieb, schon mehr ein Menschengedränge. Dieses niedliche Kind und solch eine Rabenmutter, beschäftigte sie gerade wiederholt gedanklich, dann mussten sie wohl irgendwie einige Leute von dem direkten Weg in den Markt abgedrängt haben. Sie bemerkte es gar nicht richtig, jedenfalls stand sie nun doch vor dieser Aushangtafel. Natürlich ohne wirklich etwas zu lesen, oder? So was Dummes, tadelte sie sich selbst, wollte sich abwenden und weiter gehen, da stutzte sie, was war das? Bruchstücke eines Textes verdrängten kurzfristig die Sorgen um die kleine Nachbarin, was hatte sie soeben gelesen? … für Vater – gut kochen – Bergstraße 10? Augenblicklich war sie hellwach. Sekunden später entdeckte sie den Aushang wieder. Da ging es doch um Herrn Scholz! Unverkennbar! Also wollten seine Kinder ihn nicht ins Heim stecken, sondern? Helene wusste was zu tun war. Wenn ich das doch nur geahnt hätte. In rasanter Geschwindigkeit verließ sie den Baumarkt. Keine Noppen, schon wieder nicht, und auch kein Paradies! Sie lenkte ihr Auto zum Supermarkt und kaufte strickt nach ihren Einkaufnotizen ein, auf keinen Fall noch hier und da schauen, nur so viel Aufenthalt wie nötig. Sie beeilte sich so schnell es eben ging, verstaute schließlich den Einkauf im Kofferraum ihres Wagens und fuhr zurück. Nur schnell, schnell zum Nachbar Scholz! Sie lud auch nicht erst die Waren zuhause aus, sie fuhr vorbei an ihrem Haus direkt zu Otto Scholz.
Hans-Peter öffnete die Haustür. Woher kannte er bloß diese Frau? Wo konnte er die schon gesehen haben? Wollte sie etwa auch bei Vater …?
„Hallo, Herr Scholz, ist Ihr Vater da? Ich habe in Bergers-Markt den Aushang gelesen und bin direkt her gefahren. Wenn Sie noch niemand zugesagt haben, dann würde ich gerne die Haushalt-Betreuung bei Ihrem Vater übernehmen. Wir kennen uns, ich bin Helene Weber von schräg gegenüber aus Nummer 5“, dabei nickte sie mehrmals Herrn Scholz‘ Sohn freundlich zu.
„Ach so, ja, jetzt erkenne ich Sie, kommen Sie doch rein.“ Seinem Vater, der hinterm Haus den Kleistereimer reinigte, rief er zu: „Hier ist Frau Weber. Sie bietet sich für den Posten an.“
Otto Scholz unterbrach seine Beschäftigung und kam näher. Das ist ja ein merkwürdiger Zufall, dachte er staunend, da hätte ich auch selbst drauf kommen können. „Bin schmutzig, kann Ihnen die Hand nicht reichen. Danke Frau Weber, das finde ich nett von Ihnen. Dann kann mein Sohn die Zettel entfernen. Möchten Sie einen Kaffee?“
„Ja gerne. Heißt das, ich habe die Stelle?“
Otto Scholz nickte. „Haben Sie, und von mir aus können Sie morgen schon anfangen. Gehe mir eben die Hände waschen, bin gleich wieder da.“
Hans-Peter goss Cappuccino auf, servierte ihn, aus Rücksicht auf die Renovierungsgerüche und auch Unordnung, in großen Tassen draußen am Gartentisch. Als sein Vater hinzukam, die Tassen sah und deren Inhalt erkannte, begann er augenblicklich zu meckern: „Mensch, Junge, das moderne Zeug, vielleicht würde Frau Weber doch lieber einen normalen Kaffee trinken?“
„Nein, nein das ist schon in Ordnung, ich trinke das moderne Zeug gerne“, lachte Helene. „Ich fange wirklich morgen an, um welche Zeit ist es Ihnen denn recht?“
„Schön wäre es um neun, allerdings nur, wenn Ihnen die Zeit auch zusagt?“
Helene Weber nickte und Hans-Peter freute sich. „Das ist gut, dann frühstücken wir gemeinsam und besprechen dabei alles Weitere. Wenn dann hier alles wieder ordentlich auf seinem Platz steht, kann ich den Rest der Woche noch ein wenig Urlaub mit meiner Familie genießen. Die werden sich freuen, dass es so schnell geklappt hat und noch so günstig dazu!“ Sogleich bemerkte er aber Frau Webers plötzliches Stirnrunzeln und erkannte, sie verstand es anders als von ihm gemeint und hängte eilends eine Ergänzung an: „Mit günstig meine ich, dass Sie nur über die Straße einige Schritte gehen brauchen, Frau Weber. Wird Ihnen das nicht komisch vorkommen, eine Arbeit anzunehmen?“
Die Gefragte stellte ihre Tasse ab und bekannte: „Ich habe keine Ahnung, aber es war blitzartig in meinem Kopf, als ich die Anfrage gelesen habe, darum denke ich, es soll so sein!“
In Hochstimmung packte Helene später zuhause ihren Einkauf aus. Sie war inzwischen völlig abgelenkt von der kleinen Rosi und bemerkte es nicht einmal. Neues Denken kreiste in ihrem Kopf und sie lief anschließend sofort hinüber zu Susanne. Die Neuigkeit musste sie unbedingt der Freundin mitteilen. Und kaum war die Klingel gedrückt, da öffnete sich auch schon die Haustür.
„Hallo Helene, du bist das, komm rein es gibt was Neues. Leider habe ich nicht lange Zeit, jeden Augenblick kann mein Telefon läuten. Stell dir vor, Brigitta kommt. Die, die den Spanier, den Matador geheiratet hat. Davon habe ich dir mal erzählt, weißt du noch?“
„Natürlich weiß ich das noch und sie darf dich auf einmal besuchen?“, tat Helene überrascht. „Oder kommt ihr Torero sie wieder einsammeln?“
„Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.“ Immerhin verbot der besagte Torero seiner Frau damals sogar zur Beerdigung ihres Bruders nach Deutschland zu reisen. Als sie einige Wochen später trotzdem heimlich hier erschienen war, holte er sie umgehend zurück. Damals war Brigitta so weit gewesen, nicht nach Spanien zurückzukehren, sie hätte die Scheidung eingereicht, doch dieser stolze Mann ließ es nicht zu!
„Brigitta machte nicht die geringste Andeutung“, bekannte Susanne. „Bin ja so gespannt auf sie. Wir haben uns immer sehr gut verstanden und ich freue mich auf meine Schwägerin.“
„Ich freue mich mit dir, aber auch für mich selbst. Ich habe nämlich ebenfalls eine große Neuigkeit, wenn wir schon dabei sind, du wirst staunen! Stell dir vor, ich habe eine Arbeitsstelle angenommen! Was sagst du dazu?“ Helene schaute neugierig zur Freundin.
Susanne war zuerst nur sprachlos, verstand sie das richtig? Zur Sicherheit hakte sie lieber mal nach: „Sagtest du gerade, du hast jetzt eine Arbeitsstelle?“
„Genau das sagte ich – willst du denn nicht wissen, wo?“
„Nun spann mich nicht so auf die Folter, also wo?“
Helene kam nicht mehr dazu zu antworten, das Telefon unterbrach sie und Susanne sagte nur noch schnell: „Helene warte“, dann hob sie den Hörer ab. „Brigitta? Wann? Eine viertel Stunde? Ich fahre sofort los, bis gleich.“ Sie legte den Hörer auf und wendete sich wieder Helene zu. „Sag’s mir rasch!“
„Morgen, 9 Uhr kannst du mich Richtung Bergstraße 10 gehen sehen. Ab sofort bin ich die Haushälterin von Herrn Scholz!“
Susanne nahm Helene in die Arme. „Du bist wahnsinnig, weißt du das?“
Helene nickte nur, hoffentlich habe ich da nicht zu übereilt gehandelt, meldete sich ein winziger Zweifel bei ihr. Gleich darauf verließen beide das Haus. Susanne, um in die Stadt zum Bahnhof zu fahren und Helene, um erst einmal in ihrem Schaukelstuhl alles gründlich zu überdenken. Sie tat tatsächlich heute einen Schritt, mit dem sie nicht nur Susanne, sondern am meisten wohl sich selbst überraschte.
12
Susanne Schnells Angewohnheit, sobald sie alleine mit dem Auto unterwegs war das Radio einzuschalten, kam ihr nun zugute. Es war inzwischen kurz vor 17 Uhr. Sie hörte noch die letzten Takte eines Schlagers verklingen, schenkte der kurzen Werbung kein Gehör, achtete weder sonderlich auf die Nachrichten, auch der folgende Verkehrsbericht bekam erst nicht ihre Aufmerksamkeit. Doch plötzlich horchte sie auf, war das nicht hier? Ja, natürlich! „Die Autobahn ist wegen eines Unfalls gesperrt. Verflixt „Auch das noch!“ Susanne seufzte laut vor sich hin und schaltete genervt das Radio aus. Nun musste sie Landstraße fahren. Deshalb also dieses hohe Verkehrsaufkommen, Berufsverkehr, der wohl bereits umgeleitet worden war. Brigitta würde noch etwas länger warten müssen! Endlich, als Susanne ihre Schwägerin erspähte, die vor dem Haupteingang des Bahnhofs auf einem ihrer drei um sich herum verteilten Koffer saß, eine Reisetasche zwischen die Knie geklemmt, erschrak sie. Weniger darüber, dass Brigittas Haare grau, fast weiß geworden waren, wohl mehr darüber, dass sie schlank, ein bisschen zu schlank aussah! So kannte sie ihre Schwägerin gar nicht. Und das viele Gepäck, was bedeutete das? „Hallo Gitta, hoffentlich ist dir das Warten nicht allzu lange geworden. Die Autobahn ist wegen einem Unfall gesperrt. Zum Glück konnte ich es im Radio hören, ehe ich an die Auffahrt kam. Aber jetzt bin ich ja da, wie geht es dir? Sag mal, wie hast du das denn mit all den Koffern geschafft?“
„Puh, meine Güte Susanne, dein Redefluss!“ Brigitta lächelte: „Es gibt immer mal nette Leute die einem helfen und ja, es geht mir gut. Sehr gut sogar! Besonders seit ich hier bin, auch wenn ich noch länger auf dich hätte warten müssen, jetzt ist alles gut.“
Die beiden Frauen umarmten sich innig und jede sah die andere prüfend an. Dann packte Susanne zwei Koffer. „Komm Gitta, ich stehe direkt um die Ecke am Parkplatz.“
Sobald sie aus der Stadt heraus waren, fragte Susanne: „Sag, was ist geschehen? Du kommst mit großem Gepäck, also bleibst du diesmal etwas länger?“ Susanne warf ihrer Schwägerin einen prüfenden Seitenblick zu.
„Für immer! Musst mir helfen mit Wohnung suchen und so weiter!“ Gleichzeitig machte Brigitta eine Handbewegung zum Hals, die unmissverständlich sagte: Schluss, aus, vorbei, Ende! „Mein über alles geliebter Gatte ließ sich von einem Stierhorn aufspießen“, fuhr sie mit spöttisch klingendem Unterton fort, „und zwar gründlich, jedenfalls ist er im Krankenhaus nach gut zwei Stunden an der schlimmen Verletzung gestorben. Er wollte seinen Schülern etwas praktisch vorführen, am Tier, verstehst du? Sie nannten den Stier: Killer! Das wusste Melchior aber nicht, er hätte sich sonst sicherlich anders verhalten, wie auch immer, es ging voll daneben.“
„Wann?“ Mehr brachte Susanne im Moment nicht heraus, ein elendes Würgen im Hals hinderte sie daran.
„Vor knapp zwei Monaten, nächste Woche Mittwoch sind es zwei Monate seit seiner Beerdigung. Danach gab es nur noch Schwierigkeiten mit seiner Familie! Ein gutes Auskommen mit den Frauen der Familie gab es ja noch nie! Finanziell waren sie aber von Melchior abhängig, irgendwie! Und jetzt, das war das Allerletzte! Unmöglich, sag ich dir. Da habe ich alles getan, damit sie mich rausekeln. Ich bin zwar seine Haupterbin, aber nur in Spanien! Kannst du das verstehen? Das hat er so im Testament festgelegt. Das musst du dir mal vorstellen! Ich wusste gar nicht, dass er überhaupt eins verfasst hat. Du musst mir einen Anwalt besorgen, ich will das anfechten! Schließlich hat die Familie es drauf angelegt, mich zu vergraulen. Außerdem sind wir jetzt ein vereintes Europa, da wird doch was zu machen sein. Hoffentlich kannst du mir bis dahin unter die Arme greifen? Habe nicht viel Bares dabei.“ Brigitta ließ ihren Ärger heraus, all ihren Verdruss, der ihr gerade den Atem nahm und sie mehrmals heftig nach Luft schnappen ließ, um sie gleich wieder zischend auszustoßen.
Susanne nickte, sie war geschockt. Wenn das Helene hört, Helene! Die Rettung! Was war da kürzlich alles passiert? Konnte das denn alles Vorsehung sein? Und Melchiors Tod, passte sogar das mit da hinein? Nein, sicherlich nicht! Das ist bestimmt diesmal nur ein Zufall!? Aber jetzt erst einmal eins nach dem andern. „Brigitta, das ist selbstverständlich, wir werden alles tun, dir zu helfen. Und mit einer Wohnung, da habe ich schon eine ganz tolle Idee, aber das muss ich erst mit meiner neuen Freundin Helene Weber besprechen.“
„Weber? Ist das die, die so gerne tratscht?“
„Ja, aber genau dadurch kamen wir uns näher, eigentlich nur deshalb! Und der Ruf Klatschtante, sobald man sie näher kennen gelernt hat weiß man auch, der hängt ihr zu Unrecht an. Unsere Freundschaft hat gerade erst begonnen und stell dir vor, es gibt einen neuen Mann in meinem Leben, Frank Hauff. Du wirst ihn gleich kennen lernen.“
„Na, du bist mir ja eine, lachst dir einen Kerl an. Aber recht hast du!“ Brigitta fand das also gut. Sie hätte ohnehin alles gut gefunden, was immer auch Susanne anstellen würde. Susanne genoss vom ersten Augenblick an, seitdem sie sich kannten, so etwas wie ‚Narrenfreiheit‘ bei ihr, jedenfalls betitelte es Mark einst so.
„Da sind wir.“ Susanne hielt in der Einfahrt, hinter Franks Mercedes und rief laut und übermütig: „Alles aussteigen!“ Die Haustür sprang auf, Michael kam auf seine Tante zu gelaufen, Frank folgte ihm. „Hallo, Tante Gitta, seit wann sind deine Haare denn grau? Da hab ich dich aber ganz anders in Erinnerung!“
„Vielen Dank, mein Kleiner, dass du mir das direkt aufs Brot schmierst. Aber du siehst auch völlig verändert aus, gewachsen bist du, Donnerwetter, sieh‘ sich das mal einer an, ein richtig kleiner Mann!“
Michael warf sich in die Brust und kichernd kam er seiner Mutter zuvor: „Das ist Frank, unser Zufall vom Steg!“
„Was? Muss ich das verstehen? Oh ich glaube, da habt ihr mir noch einiges zu erzählen.“ Brigitta war gespannt, eigentlich schon mehr hungrig, auf alles Neue und ihr noch Unbekannte aus ihrer Lieblingsfamilie.
Frank begrüßte Brigitta und erbarmte sich mit Michael um ihr Gepäck. Sobald sie sich alle im Haus befanden, beichteten die Männer vorsichtig: „Es gibt keine Forellen, weil einfach keine mehr angebissen hat.“
„Sah ich da nicht vorhin schon was im Eimer schwimmen?“, fragte Susanne ungläubig.
„Schon, aber jetzt schwimmt er wieder im Fluss, wir wären ja nicht von dem Einen satt geworden! Dafür gibt es saftige Steaks!“
„Und die haben angebissen?“, lachte Brigitta laut, sie schien langsam ihren Humor wieder zu finden. Gemeinsam belächelten sie die ‚angebissenen Steaks‘. Überhaupt wurde an diesem Abend nur noch über Angenehmes geredet, auch kurz der Zufall am Steg gestreift, aber auch nur, weil Brigitta neugierig danach fragte. Die neue Freundschaft im Nachbarhaus wurde ebenfalls am Rande erwähnt, immerhin musste Susanne da erst etwas klären.
Bereits nach Brigittas Anruf aus Köln hatte Susanne für sie ein Zimmer im Hotel Haus Agnes bestellt. Zufällig war Agnes Hackler selbst am Apparat gewesen und als sie den Namen Schnells hörte, begann sie sich umständlich für die gemeine Besetzung des Angelstegs zu entschuldigen: „Wenn hier nicht so viel zu tun wäre, hätte ich Sie längst aufgesucht, Frau Schnells, aber das kommt noch!“
Susanne lachte leise. „Eigentlich muss ich mich bei Ihnen entschuldigen, oder viel eher dafür bedanken, Frau Hackler. So komisch sich das auch für Sie anhören wird, Ihren Kunden Frank Hauff hätten mein Sohn und ich sonst nie kennen gelernt und das ist eine gute Begegnung gewesen. Herr Hauff verbringt übrigens seinen Resturlaub bei uns. Deshalb schlage ich vor, wir vergessen lieber die ganze Sache, Frau Hackler, und Sie versprechen mir, dass zukünftig unser Angelsteg für Sie tabu ist.“
„Um Gottes willen, Frau Schnells, behalten Sie das mit der guten Begegnung aber bitte für sich, meinem Mann darf das auf gar keinen Fall zu Ohren kommen. Vater und ich haben ihm gewaltig unsere Meinung gesagt. Das hat so gekracht, er ist direkt abgehauen. Wenn er das rauskriegen würde, er dürfte Verbotenes machen, na ich weiß nicht. Mein Versprechen haben Sie! Der Angelplatz ist für uns für alle Zeiten tabu!“
„Ich kann schweigen.“ Warum ist sie immer noch mit dem Ekelpaket verheiratet? „Mit dem Zimmer geht klar? Es kann etwas später werden, kommt sie dann noch rein?“
„Selbstverständlich, hier ist immer jemand. Das ist dann Frau Schwelm oder? Wie war noch der spanische Name?“
„Moreno.“
Brigitta fuhr gegen 23 Uhr, nur mit kleinem Gepäck und Susannes Polo, zum Hotel. Morgen, nach dem Frühstück, würde sie wieder in der Bergstraße eintreffen. Und irgendwie mussten sie dann gemeinsam überlegen, wie es weitergehen sollte. Denn dieses Thema umging Susanne ja bisher aus einem ganz bestimmten Grund.
Susanne sah ihre Freundin Helene am nächsten Morgen kurz vor 9 Uhr, als sie in Richtung ihrer neuen Arbeitsstelle ging. Sie klopfte ans Fenster und zeigte ihr zwei gedrückte Daumen.
Helene lächelte und formte „danke“ mit ihren Lippen.
Bald danach traf Brigitta ein und das Programm für diesen Tag konnte entworfen werden. „Gitta, fährst du mit mir einkaufen? Ich habe mir nämlich was ausgedacht für dich“, begann Susanne.
„Aha und was?“
„Du musst mir aber versprechen nicht böse zu sein, dann sag ich‘s dir“, entgegnete Susanne vorsichtig.
„Raus damit, ich fresse dich schon nicht“, tönte Brigitta.
Susanne lachte erleichtert, sie dachte sich aus, als erstes braucht Brigitta eine neue Haarfarbe, damit wird sie sich gleich wieder besser fühlen. Selbst Michael schien sich gestern bei der Begrüßung schon an dem hässlichen Grauweißton gestoßen zu haben. Diese Idee teilte sie ihrer Schwägerin nun mit.
Für einen Augenblick hielt Brigitta den Atem an, ihre Haare zu färben, soweit ging ihre Eitelkeit nicht. Aber Susannes Direktheit verblüffte sie etwas und sie ließ sich darauf ein: „Okay, bin einverstanden.“
„Also los, wir fahren zum Supermarkt einkaufen und nach dem Essen fangen wir mit deinen Haaren an.“
„Das willst du selbst machen?“ Brigitta schien erstaunt. „Sag bloß, deine Haare machst du dir auch selbst?“
„Und ob, nach dem Motto, selbst ist die Frau! Hast du etwa vergessen was ich alles kann?“ Susanne tat beleidigt, lachte aber im nächsten Moment hell auf, weil Frank völlig bestürzt ihre Frisur musterte.
„Lach du nur über mich, aber ich hätte schwören können es ist deine eigene Farbe“, murmelte er.
„Och du Armer.“ Susanne schlang die Arme um Franks Hals. „Es ist auch meine Farbe, helfe nur ein bisschen nach. Magst du mich trotzdem noch?“
Frank antwortete mit einem flüchtigen Küsschen.
Dann fragte sie ihn: „Fährst du mit uns?“
„Ehm, muss ich?“, das hörte sich gar nicht begeistert an.
„Nein, musst du nicht! Aber wie wäre es dann, wenn du mit Eimer und Angel tätig wirst? Wenn Michael nicht dabei ist, beißen die Fische vielleicht heute? Außerdem, du hast doch Angelurlaub, oder?“ Susanne zwinkerte ihm kichernd zu.
Frank nickte ergeben. „Macht schon, dass ihr verschwindet.“
Brigitta belud den Einkaufswagen, sie fand mit Begeisterung immer noch etwas und noch mehr. Susanne sagte irgendwann schmunzelnd: „Ich glaube, morgen gibt es hier auch noch was zu kaufen, wir müssen nicht hamstern, lass mal gut sein, der Wagen läuft bald über.“
„Zu dumm, wir hätten gleich zwei Wagen nehmen sollen!“, sagte Brigitta spontan. Worauf Susanne nur den Kopf schütteln konnte, denn jeder Kommentar wäre hier zwecklos gewesen. Aber es machte Spaß, Brigitta ein kleines bisschen von ihrem Dilemma ablenken zu können.
Beinahe gleichzeitig mit Frank, in dessen Eimer sich heute fünf Forellen tummelten, trafen auch Susanne und Brigitta zuhause ein. „Wann kommt heute Michael aus der Schule?“, war das erste, was Frank wissen wollte, ehe er sprachlos vor den vielen vollen Beuteln und Tragetaschen stand.
„Vielleicht in zehn oder fünfzehn Minuten“, meinte Susanne, nach einem flüchtigen Blick auf ihre Armbanduhr.
„Warum?“ Brigitta zeigte auf den umfangreich ausgefallenen Einkauf. „Soll Micha uns helfen, oder bist du so gut und …“
Susannes Lachen ließ sie verstummen. „Michael muss die Fische schlachten. Frank kann sie zwar fangen und fast zärtlich vom Haken befreien, aber ehe er sie tötet gibt er sie lieber dem Fluss wieder zurück.“
„So was habe ich überhaupt noch nie gehört. Du bist mir der richtige Angler! Und dann machst du Angel-Urlaub?“ Brigitta ergriff den halbvoll mit Wasser gefüllten Eimer, samt den darin beengt schwimmenden Fischen und eilte zum Terrassentisch. Als Michael wenig später nach Hause kam, lagen bereits die Forellen in Reih und Glied ausgebreitet auf der Tageszeitung – bratfertig!
„Na fabelhaft“, ärgerte sich jetzt Frank, der bisher Brigittas Fischarbeit nicht sonderlich interessant fand. „Die habe ich noch nicht gelesen“, maulte er und trauerte der fischdurchtränkten Zeitung nach.
Nachdem Frank fünf Forellen angelte, aus welchem Grund auch immer, dies sogar genau in Susannes Konzept passte, konnte Helene Weber eingeladen werden. Schließlich wollte sie noch diese besondere Idee oder Nachfrage zwecks Wohnung, für ihren spanischen Besuch, loswerden!
Aber nun gab es erst mal eine verspätete Obst-Zeit zu Mittag, nachdem alles Eingekaufte verstaut war. Gleich danach begann Susanne mit der Verschönerung von Brigittas Haaren. Als diese nach der Prozedur in den Spiegel sah, erkannte sie ihren fast identischen Naturfarbton dunkelblond, mit einer Superfrisur. Brigitta umarmte Susanne. „Ich danke dir, es ist zwar nur eine Nebensächlichkeit, aber vorläufig das Beste was dir eingefallen ist, ich fühle mich zwanzig Jahre jünger.“
„Na, dann warte mal ab was der Tag noch so mit sich bringt, vielleicht gibt es noch was viel Besseres? Aber erst will ich rasch mal rüber zu Helene, zu essen haben wir nun reichlich für heute Abend, da kann ich sie gleich dazu einladen“, sprach Susanne und lief zum Nachbarhaus. Sie klingelte und sofort erschien Helene an der Haustüre, beinahe so, als hätte sie bereits auf ihre Freundin gewartet.
„Wie schön, dass du kommst, dann kann ich dir sogleich von heute berichten“, rief Helene überschwänglich.
„Nein, warte mal, ich weiß was viel Schöneres. Komm um 18:30 Uhr zum Essen zu uns, es gibt Forellen mit Bratkartoffeln und Gurkensalat“, versprach Susanne.
„Du lädst mich dazu ein? Lieb von dir“, freute sich Helene.
„Ja Helene, aber ich muss dir im Vorfeld etwas beichten“, bekannte Susanne nun. „Vielleicht ist das unverschämt von mir und ich weiß nicht, wie du das aufnimmst? Es ist auch bis jetzt nur in meinem Kopf, niemand sonst weiß davon, wenn du also nein sagst, ist das in Ordnung.“
„Ist was passiert?“ Helene gab sich beunruhigt.
„Nein, nein, oder doch, es ist wegen Brigitta! Sie bleibt hier, in Deutschland“, beruhigte Susanne sie. „Jetzt ist sie auch Witwe und zurzeit knapp bei Kasse oder vielmehr, sie braucht als erstes eine Bleibe und da habe ich sofort an dich gedacht. Ob du ihr vorübergehend ein Zimmer überlassen kannst? Ich zahle das.“
Zuerst fand Helene keine Worte, sie sah Susanne nur fragend an. Im nächsten Moment war ihr Interesse aber voll geweckt und sie antwortete: „Ich komme zum Essen, dann können wir reden. Gar nicht so schlecht – Platz genug habe ich doch, bis nachher.“
Schon eigenartig, fünfzehn Jahre gab es zwischen ihnen außer ‚Guten Tag‘, vielleicht noch ‚schönes Wetter heute‘ oder ähnlich Belanglosem, nichts zu sagen, mal von den mehr oder weniger kurzen Gesprächen nach dem Tod von Mark abgesehen. Und nun, kaum, dass sie eine gute Woche Freundinnen waren … Susanne sah erneut die Zusammenhänge der Zufälle, diese Kette, bei der ohne das vorherige Glied nicht das heutige entstehen konnte! Aber inzwischen sah sie auch das schon viel eher beginnende dramatische, schicksalhafte Geschehen, eben genau in dieser jetzigen neuen Sache, das bereits in Spanien begann. Zufall? Nein, heute sah sie, das war mehr! Diese Lösung war wohl schon längst überfällig gewesen. Brigitta wollte nicht mehr in Spanien bleiben, nicht bei der chaotischen Familie, nicht bei ihrem Mann, der sich trotz seines Alters immer noch gerne mit jungen Frauen umgab. Dies offensichtlich, wie er es vor langer Zeit erklärt hatte, glaubte seinem Ruf schuldig zu sein. Dieser Gockel. Offenbar war sein Vater genauso ein eingebildeter Frauenheld gewesen. Brigitta ahnte dies eigentlich schon immer, vielleicht war es auch mehr Wissen, welches sie innerlich missbilligte. Der Mann, der ihr Befehle erteilte vom Anfang ihrer Ehe an, der sie nicht los lassen wollte seines Rufes wegen, immer nur seines Rufes wegen, ohne Rücksicht auf Frau und Familie, die ohnehin dumm und stillschweigend darüber hinwegsah. Diesen Menschen ereilte nun am Ende ein grausames Schicksal, und er gab auf diese Weise Brigitta doch noch frei. Endlich, ein jahrelanger Wunsch erfüllte sich. Aber wozu gerade jetzt? Was erwartete Brigitta hier, zurück in Deutschland? Bestand die Rückkehr in ihr Heimatland nur aus der Erfüllung ihrer lang gehegten Sehnsucht? Oder wartete hier gar eine Aufgabe auf sie?
Der Tisch war nett gedeckt. Die knusprig gebratenen Kartoffeln dampften aus der Schüssel und die Türschelle schlug an. Helene folgte Susannes Einladung und brachte eine große Glasschüssel rote Grütze und Vanillesoße als Nachtisch mit. Helene war immer für schnelle Entschlüsse gut, sie dachte sich gerne etwas Nettes als Überraschung aus für ihre Freunde. Lange genug musste sie auch darauf verzichten.
Während des Essens berichtete Helene immer wieder zwischen durch von ihrem ersten Arbeitstag. Neugierig schweigend hörten sie ihrer Schilderung zu: „Als ich ankam war der Frühstückstisch schon gedeckt, sehr üppig und richtig nett mit Tomaten und Weintrauben verziert, der Kaffee genau nach meinem Geschmack und ich fragte mich insgeheim, ob ich zum Arbeiten oder als Gast geladen war.“ Nach einigen Bissen von ihrem Teller, die sie mit „hm-hm“ begleitete, fuhr sie kauend mit ihrer Geschichte fort: „Die Scholz-Männer dachten sich bereits genauestens aus, wie meine haushälterische Beschäftigung aussehen soll! Nämlich, jeden Morgen, pünktlich 9 Uhr, fange ich an mit gemeinsamem Frühstück. Dann räume ich auf wo es nötig ist, kaufe einmal die Woche ein, an einem anderen Tag putze ich, den nächsten Tag wasche ich und so weiter. Tägliches Kochen für Herrn Scholz und auch für mich! Oh ja! Und ich kann mir selbst die Arbeit so einteilen, wie ich denke und mein Dienstschluss ist um 14 Uhr. Samstag und Sonntag habe ich natürlich frei und jetzt ratet mal, wie hoch mein Gehalt ist!“ Helene kaute genüsslich weiter und wartete.
„Hm, 300 Euro“, fragte Susanne „bei zwei Mahlzeiten?“
„Oh nein, 450 Euro und 100 Euro als Fahrgeld extra, weil ich mit meinem eigenen Auto alle Fahrten machen muss. Otto Scholz hat doch keins mehr, dabei kann ich gleich immer auch für mich selbst Besorgungen machen. Ihr seht, das ist eine Supersache. Natürlich fahre ich ihn auch zum Friseur oder was sonst so anfällt.“ Helene war in ihrem Element.
„Das kann man wohl sagen, das ist mehr als gut“, fand Frank. „Hast also sozusagen einen sogenannten 450-Euro-Job.“