Kitabı oku: «Simone de Beauvoir und der Feminismus», sayfa 2
Schriftstellerin
In der Rangordnung der Rollen, die Beauvoir einnahm, befindet sich jene der Schriftstellerin an letzter Stelle, vielleicht zu Unrecht. Das Konzept der engagierten Literatur, in dem das Signifikat auf Kosten des Signifikanten privilegiert wird, hat wahrscheinlich dazu geführt, die Betrachtung der Form zu vernachlässigen. Während eine Avantgarde-Autorin wie Hélène Cixous Beauvoir mit absoluter Verachtung straft, hat Roland Barthes, den man nicht unbedingt zur Arrière-Garde zählen kann, noch kurz vor seinem Tode in einem seiner letzten Interviews darauf hingewiesen, wie verführerisch neu der Stil in Beauvoirs (und Sartres) Essays war. Literatur, Philosophie und Politik, die zuvor getrennten Registern angehörten, gingen bei ihnen – zweifellos aufgrund der Phänomenologie – eine Allianz ein. Die Beschreibung des Körpers mit philosophischen Begriffen war im Deuxième Sexe derartig ungewohnt, dass man Beauvoir 1949 in Paris trotz der unterstellten Obszönität ihres Textes einer unpassenden und preziösen Oberlehrerhaftigkeit bezichtigte. Man kann sich fragen, ob die Gender-Theorie einer Judith Butler schon da wäre, wo sie heute steht, wenn Beauvoir 1949 nicht damit begonnen hätte, die Geschlechterfrage philosophisch anzugehen.
Als narrative Gattung erscheint – trotz des Intellektuellenromans Les Mandarins, für den sie 1954 den Prix Goncourt erhielt – die Autobiografie am eindrucksvollsten, insbesondere der erste Band Mémoires d’une jeune fille rangée, nicht nur wegen der gelungenen Verbindung von individuellem Lebenslauf und kollektiver Geschichte. Große Literatur entsteht unter Zwang, so auch dieser Band, in dem Beauvoir sich von einer Schuld freischreibt, Schuld gegenüber ihrer Freundin Zaza, der sie so viel verdankte und die sie sterbend allein ließ, weil ihre neue Liebesbeziehung zu Sartre sie völlig in Anspruch nahm. Starke Prosa weist auch die Verarbeitung des Todes ihrer Mutter auf, die sie nicht schätzte, weil sie sich in die konventionelle Frauenrolle ihrer Gesellschaftsschicht gefügt hatte: Sartre hat den kurzen, ungemein dichten Text, der den ironischen Titel Une mort très douce trägt, als das Beste bezeichnet, was sie überhaupt geschrieben habe. Im Augenblick des Todes ist es ihr endlich möglich, Empathie mit ihrer Mutter zu üben. Die letzten Sätze weisen über das individuelle Schicksal hinaus: »Es gibt keinen natürlichen Tod: Nichts, was dem Menschen widerfährt, ist jemals natürlich, denn seine Anwesenheit stellt die Welt in Frage. Alle Menschen sind sterblich: Aber für jeden Menschen ist sein Tod ein Unglücksfall und, auch wenn er um ihn weiß und sich fügt, ein unverdienter Gewaltakt.«
Erschienen in der Neuen Zürcher Zeitung vom 5./6. Januar 2008 anlässlich des 100. Geburtstags von Simone de Beauvoir
II. Das andere Geschlecht
1. Das andere Geschlecht, Fundament des egalitären Feminismus
Nicht nur zum Ende des Jahrtausends, das gerade vorbei ist, sondern auch zum Ende des Jahrhunderts ist, wie wir alle wissen, häufig Bilanz gezogen worden. Man versuchte, das zu benennen, was das 20. Jahrhundert am stärksten charakterisiert habe. Dabei fiel häufig der Begriff des Totalitarismus. Man kann aber auch anderer Meinung sein und mit der französischen Philosophin Élisabeth Badinter annehmen, dass das 20. Jahrhundert ein großer Schritt vorwärts gewesen ist in der Befreiung der Hälfte der Menschheit – der Frauen –, jedenfalls in den westlichen Gesellschaften.8 In diesem Zusammenhang wird immer wieder die 1949 erschienene grundlegende Studie zur »Lage der Frau« Das andere Geschlecht genannt, obwohl im Einzelnen die Weise, wie das Buch gewirkt hat, längst nicht untersucht ist.9 Es wurde sehr schnell nach seinem Erscheinen in zahlreiche Sprachen übersetzt: heute sind es 33. Auch ohne detaillierte empirische Rezeptionsstudien kann man stark vermuten, dass ohne Das andere Geschlecht die Feminismusdebatte mit ihren konkreten Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben nicht da wäre, wo sie heute ist. Dasselbe gilt für die Frauen- und Geschlechterforschung. Ich möchte Ihnen heute sagen, wer die Frau war, die dieses Buch geschrieben hat; wie sie dazu kam, es zu schreiben; welches die wichtigsten Thesen und ihre philosophischen Prämissen sind und wie die Aufnahme dieses Buches vor fünfzig Jahren aussah und heute aussieht.
Eine untypische Biografie
Zunächst also: Wer war Simone de Beauvoir?
Simone de Beauvoir wurde 1908 in Paris geboren in einer Familie des höheren Bürgertums, ja sogar niederen Adels – de Beauvoir –, dessen Lebensvollzug genauen Codes und sozialen Riten unterlag, die die Klassenzugehörigkeit signalisierten. Zu diesen Kennzeichen und Distinktionsmerkmalen gehörte es, dass die Frauen nicht arbeiteten, genauer gesagt: keiner Erwerbsarbeit nachgingen. Simone de Beauvoirs Lebensmuster war quasi vorgezeichnet – hätte eine Wirtschaftskrise der Familie nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie verarmte. Man konnte der Tochter keine Mitgift geben. Damit wurde eine standesgemäße Heirat unmöglich. Beauvoir musste wider die Regeln ihrer Klasse einen Beruf ergreifen, um sich selbst zu ernähren. Nichts Besseres hätte ihr, wie sie später erkannte, passieren können.10
Sie studiert Philosophie und legt 1929 im Alter von 21 Jahren ihre Staatsprüfung, die Agrégation, ab. Abgesehen davon, dass es damals kaum Frauen gab, die bis zu dieser Prüfung vordrangen – sie durften sie überhaupt erst seit 1920 ablegen –, war sie auch zu ihrer Zeit die Jüngste, die sie bestand. Sie wurde die Zweite ihres Jahrgangs; an erster Stelle stand jemand, dem sie lebenslang verbunden bleiben sollte und den sie kurz zuvor kennengelernt hatte, Jean-Paul Sartre. Die bestandene Prüfung ist zugleich Garantie für die finanzielle Absicherung: Sie und Sartre sind in den dreißiger und vierziger Jahren Gymnasiallehrer, zunächst in der Provinz, dann in Paris. Lehrersein ist für sie jedoch nur ein Brotberuf: Beide wollten schon als Kinder Schriftsteller werden.
Jede freie Minute, die ihr der Unterricht lässt, wird also ins Schreiben investiert. Wenn in Briefen oder Tagebuchnotizen aus dieser Zeit der Begriff »Arbeit« auftaucht, dann ist nicht etwa die Schule gemeint, sondern der Roman, den sie gerade schreibt. Die dreißiger Jahre ziehen sich endlos lang in Etüden hin, die sie entweder selbst verwirft oder die von den Verlagen abgelehnt werden. Einige Feministinnen behaupten heute, Beauvoir habe besondere Schwierigkeiten gehabt, sich auf dem literarischen Markt durchzusetzen, weil sie eine Frau war.11 Dabei entgeht ihnen, dass auch Sartre in den dreißiger Jahren lange auf der Stelle trat, bis ein Freund dem Verlag Gallimard seinen ersten Roman ans Herz legte, mit dem er in der Pariser Literaturszene eine Art Geheimtipp wurde. Beauvoir musste länger warten, bis ihr erster Roman erschien. Inzwischen war der Krieg ausgebrochen und Frankreich von den Deutschen besetzt. Im August 1943 publizierte Gallimard L’Invitée (deutsch Sie kam und blieb). Beauvoir hatte gerade ihre Stelle als Lehrerin verloren. Der Anlass für die Suspendierung war das Leben, das sie führte, und der Unterricht, den sie erteilte. Die mit den Deutschen kollaborierende Regierung von Vichy, der das Erziehungswesen unterstellt war, verteidigte andere Werte als vorher die Republik.12 Die von der Französischen Revolution proklamierten Menschenrechte – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit (oder besser: Solidarität) – waren diskreditiert. Der antirepublikanische Vichy-Staat, der vorrevolutionäre Verhältnisse wiederherstellen wollte, hatte sie durch Arbeit, Familie, Vaterland ersetzt. Beauvoir erregte als Lehrerin Anstoß, weil sie weder in ihrer Lebensführung noch in ihrem Unterricht diese Werte mittrug: Sie war kein Vorbild. Denn sie lebte in »ungeordneten Verhältnissen«: Sie besaß kein »Heim«, wohnte im Hotel, korrigierte Klassenarbeiten im Café und hatte einen Geliebten. Überdies empfahl sie ihren Schülerinnen die Lektüre von Proust und Gide, Autoren, die als dekadent galten. Weiterhin informierte sie sie über die Psychoanalyse und forderte sie auf, sich eine psychiatrische Anstalt von innen anzusehen. All das war für damalige Verhältnisse nicht tragbar, denn Beauvoir unterrichtete zuletzt zukünftige Lehrerinnen, die die Vichy-Ideologie an ihre Schülerinnen weitergeben sollten. Beauvoirs Erziehung trug sicher nicht dazu bei, ihre Schülerinnen von der Bedeutung der Familie und der Mutterschaft zu überzeugen.
Genese
Die Dokumente, die ich hier resümiert habe, sind erst seit Anfang der neunziger Jahre bekannt.13 Ich denke, die unehrenhafte Entlassung aus dem Schuldienst im Namen von Werten, die nicht die ihren waren, gehört zu den Ursachen, die sie einige Jahre später dazu treiben, gegen ebenjene Werte in ihrem Buch über die Lage der Frauen anzuschreiben. Nach der Befreiung Frankreichs ist die Vichy-Ideologie nämlich ihrerseits in Ungnade gefallen. Nun triumphiert wieder die republikanische Trias, von der Beauvoirs Thesen getragen sind: Freiheit – Gleichheit – Solidarität.
Beauvoir selbst hat den Zusammenhang, den ich hier etabliert habe, nicht hergestellt, als sie sich in ihrer Autobiografie zur Genese des Anderen Geschlechts äußerte. Da sie nicht mehr unterrichtete, war sie seit 1943 als Schriftstellerin ungeheuer produktiv. Dass ihre Schriften – anders als in den dreißiger Jahren – sofort Interessenten, d. h. Verlage fanden, hat mit der existenzialistischen Mode zu tun, die nach der Befreiung Frankreichs massiv einsetzte. Was eigentlich diese Mode auslöste, dafür gibt es verschiedene Erklärungen.14 Die Forschung ist sich in jedem Fall einig darüber, dass man von ca. Mitte der vierziger bis Mitte der fünfziger Jahre im literarischen und intellektuellen Feld Frankreichs von einer existenzialistischen Hegemonie sprechen kann.15 Beauvoir schrieb und publizierte in kürzester Zeit zwei weitere Romane, philosophische Essays sowie ein Theaterstück und wirkte an der Gründung und Herausgabe einer Zeitschrift mit, Les Temps modernes, die den Intellektuellen neue Wege weisen wollte. Frankreich lag nach dem Krieg wirtschaftlich darnieder, das einzige wirklich bedeutende Exportgut waren die Produkte der Schriftsteller. So befand Beauvoir sich häufig im Ausland, um Vorträge zu halten, mehrfach auch monatelang in den USA. Inmitten dieses Trubels entstand Das andere Geschlecht – in Stücken, die nachher zu einem Ganzen zusammengefügt wurden. Die im Februar 1997 bei Gallimard erschienenen Briefe an den amerikanischen Schriftsteller Nelson Algren sind dafür höchst aufschlussreich.16
In ihrer Autobiografie hört sich die Genese ihres Buches äußerst logisch an.17 Eines Tages, so notiert sie, hatte sie wieder einmal einen Text fertig und wusste nicht, was sie als nächstes Thema angreifen sollte. Sie habe Lust gehabt, über sich selbst zu schreiben. Als Philosophin ging sie die Frage systematisch an: Was hatte es für sie bedeutet, eine Frau zu sein? Im Grunde gar nichts – zu dem Schluss kam sie zunächst, denn nie habe ihr jemand ein Gefühl der Unterlegenheit vermittelt: Unter ihren Kommilitonen und Kollegen war sie anerkannt wie ein Mann. Die republikanischen Institutionen, vor allem die anonymen Concours, die effektiver als in Deutschland für Chancengleichheit im Erziehungswesen sorgen, hatten dies möglich gemacht. Sartre, mit dem sie alle Projekte besprach (wie er seine Projekte mit ihr besprach), habe ihr jedoch zu bedenken gegeben, dass sie als Mädchen anders erzogen worden sei als ein Junge. Verlässt man sich auf Beauvoirs Erinnerung, so gab diese Bemerkung den Ausschlag. Sie ging ihr nach und war selbst am meisten erstaunt über das, was sie entdeckte: Die Welt, in der sie seit nunmehr fast vierzig Jahren lebte, war eine männliche Welt, ihre Kindheit war von Mythen geprägt, Mythen, die von Männern gemacht worden waren und auf die sie anders reagiert hätte, wenn sie ein Junge gewesen wäre. Beauvoir gab ihr autobiografisches Projekt zunächst auf und befasste sich mit der Lage der Frau im Allgemeinen. Mit der ihr eigenen Arbeitswut und Gründlichkeit las sie sich in kürzester Zeit durch alles hindurch, was die Pariser Bibliotheken für ihr Thema zu bieten hatten. Ich gehe nicht weiter auf die Genese ein und stelle Ihnen das Ergebnis vor.
Aufbau
Ganz einfach ist es allerdings nicht, auf gedrängtem Raum die Quintessenz der gut 900 Seiten zu präsentieren, die das Werk in der deutschen Neuübersetzung aus dem Jahre 1992 umfasst. Ich werde mich auf die Erkenntnisgrundlagen und die Kernaussagen konzentrieren.
Auch wenn es, wie ich sagte, eine Zusammenfügung von Stücken ist, die erst im Nachhinein zu einer Einheit verschmolzen wurden, weist das Buch einen systematischen Aufbau auf. Es wird fast akademischen Ansprüchen gerecht, obwohl es von vornherein für eine breitere Öffentlichkeit geschrieben wurde. Ich sage »fast«, weil es sehr wenig Nachweise enthält, d. h. Fußnoten. In Sartres theoretischen Schriften ist es übrigens genauso. Von Zettelkästen haben beide nicht viel gehalten; sie hatten alles im Kopf.
Einer Einleitung, in der Beauvoir ihre Erkenntnisprämissen offenlegt,18 folgt eine Art Forschungsbericht, in der sie die Wissenschaften und Theorien kritisch Revue passieren lässt, die sich mit Körper, Psyche und Geschichte der Frau befassen. Dann widmet sie das restliche erste Buch zum einen der konkreten Geschichte der Frauen, um mit Hilfe ihres eigenen philosophischen Ansatzes die Ursachen ihrer Unterdrückung genauer zu begreifen, und zwar von der Vorgeschichte bis zu ihrer unmittelbaren Gegenwart. Zum anderen geht sie auf die Mythen oder Bilder ein, die Männer von Frauen konstruiert haben, um sie, wie Beauvoir meint, ihren Zwecken dienstbar zu machen. Den Fakten und den Mythen des ersten Bandes folgt im zweiten Band die gelebte Erfahrung der Frauen. Die Perspektive des ersten Bandes wird umgekehrt. Nunmehr wird aus der Sicht der Frauen die Situation geschildert, in der sie sich in ihren verschiedenen Lebensphasen – von der Wiege bis zur Bahre – vorfinden, eine Situation, der sie sich stellen, die sie sich aber auch verschleiern können. Am Ende ihrer Untersuchung zeigt Beauvoir Perspektiven der Befreiung auf.
Erkenntnisprämissen
Das also ist der Aufbau von Beauvoirs Werk. Beginnen wir nun mit den Erkenntnisprämissen. Beauvoir nennt ausdrücklich als Grundlage ihres Denkens eine »existenzialistische Ethik«. Was ist darunter zu verstehen? Der Existenzialismus ist eine dezidiert atheistische Philosophie. Der Mensch, das Bewusstsein ist weder von Gott noch von einer anderen Instanz oder Größe, die ihm vorgeordnet wäre, abgeleitet. Er hat keine feststehende Natur, ist durch nichts determiniert. Er findet sich vielmehr als reine Faktizität vor in einer Situation, die er zu überschreiten bestrebt ist. Dieses ständige Sichselbstüberschreitenwollen, das Sichlosreißen vom Gegebenen, ist für jedes Bewusstsein konstitutiv. Ich überschreite meine Situation, das mir Vorgegebene, indem ich mich im Handeln frei entwerfe. Diese Bewegung nennt Beauvoir Transzendenz. Sie macht es nun zur moralischen Verpflichtung, sich diesem Selbstentwurf in Freiheit zu stellen, der Tatsache des Nichtdeterminiertseins nicht auszuweichen. Die bewusst erlebte und realisierte Freiheit macht für sie die Würde des Menschen aus. Wer sich mit seiner Situation abfindet, ohne sich selbst frei und verantwortlich in ihr zu wählen, zu definieren, verhält sich in Beauvoirs Sinne schuldhaft. Anders als Sartre noch 1943 in Das Sein und das Nichts sieht sie allerdings auch den Fall vor, dass man an der Selbstüberschreitung gehindert, zur Immanenz gezwungen werden kann. Dies charakterisiert die besondere Situation der Frau. Wie jedes Subjekt will die Frau sich im freien Entwurf selbst begründen, aber sie muss feststellen, dass andere schon ihre Rolle festgelegt und sie zum Objekt degradiert haben. Intersubjektivität hat in Beauvoirs und Sartres Philosophie weitgehend konfliktiven Charakter. Jedes Subjekt nimmt das andere Bewusstsein immer als Objekt wahr, nur schwingt sich dieses Objekt seinerseits zum Subjekt auf, so dass zwischenmenschliche Wahrnehmung grundsätzlich ein permanentes Oszillieren zwischen Freiheit und Entfremdung ist. Anders aber im Geschlechterverhältnis: Beauvoir zufolge haben sich die Männer den Frauen gegenüber dauerhaft die Rolle des Subjekts angemaßt. Der Objektstatus ist das Besondere der Lage der Frau oder condition féminine. Wie kam es dazu und wie kann man aus der Abhängigkeit in die Unabhängigkeit kommen? Diese Fragen will sie in ihrer Schrift beantworten.
Abgrenzung von Biologie, Psychoanalyse und historischem Materialismus
Wenn Beauvoir von einer condition féminine spricht, so meint sie damit keineswegs ein unausweichliches Schicksal. Wäre dem so, hätte es keinen Sinn, über Möglichkeiten der Befreiung nachzudenken. Daher ist die Überschrift »Schicksal«, die sie dem Teil ihrer Arbeit gibt, den ich vorhin »Forschungsbericht« nannte, ironisch zu verstehen. Unter dieser Überschrift befasst sie sich mit der Biologie, der Psychoanalyse und dem historischen Materialismus, um sich anzuhören, was diese Wissenschaften und Theorien über die Physiologie, die Psyche und die ökonomischen Bedingungen der Frauen zu sagen haben. In der Biologie arbeitet sie sich von den Einzellern bis zum Menschen hoch. Ab den höheren Tierarten gilt: In Zeugung und Fortpflanzung verwirklicht sich der männliche Teil, während das Weibchen Schauplatz eines Geschehens ist, das sich in ihm abspielt, es aber nicht persönlich betrifft. Bereits hier ist erkennbar, dass Reproduktion und Mutterschaft eine wichtige Rolle spielen werden bei der Entfremdung, deren Gründe sie sucht. Aber zur Entfremdung müssen sie nicht zwangsläufig führen, denn Anatomie ist kein Schicksal. Sie können keine Hierarchie der Geschlechter begründen. Denn die Daten der Biologie haben für Beauvoir als solche keine Aussagekraft, sie bedürfen der Interpretation. Ob eine Frau weniger Muskeln hat als ein Mann, ist an sich noch nicht bedeutsam; die Tatsache erhält erst Sinn aufgrund ihrer Funktion innerhalb eines bestimmten Kontextes. Dasselbe gilt für Schwangerschaft und Mutterschaft. Wie sie erlebt werden, hängt Beauvoir zufolge von dem Wert ab, den man ihnen innerhalb einer gegebenen Gesellschaft beimisst.19
Nach der Biologie nimmt sie sich die Psychoanalyse vor, ebenfalls, um die Unzulänglichkeit dieser Theorie zu zeigen, die vorgibt, erschöpfend über die Psyche der Frau Auskunft zu geben. Sie beruft sich vor allem auf Freud und antizipiert eine Kritik, die erst später breiter einsetzte. Sie zeigt nämlich, dass Freuds Theorie eindeutig die Spuren seiner männlichen Perspektive trägt. Vor allem führt Beauvoir den Penisneid an, den das weibliche Kind Freud zufolge empfindet. Es ist die moderne Version von der Frau als Mängelwesen, der Frau also, die immer nur in Relation zum Mann gedacht wird. Und selbst wenn das Mädchen neidisch auf den Penis des Jungen wäre, dann könne, so erklärt sie, das Motiv höchstens der Wert sein, der dem kleinen Unterschied als Zeichen der Männlichkeit von der Gesellschaft zuerkannt werde. Beauvoir muss aufgrund ihrer Denkposition notwendigerweise die Psychoanalyse ablehnen. Die Annahme, dass es ein Unbewusstes gibt, das mich steuert, stellt einen Determinismus dar, der mit Beauvoirs Freiheitsphilosophie unvereinbar ist.20 Der Anstoß zum Handeln geschieht nicht kausal, sondern final: Der Mensch, auch die Frau, definiert sich durch seine Ziele. Auf der Suche nach Werten in einer Welt von Werten.
Um die ökonomische und soziale Struktur dieser Welt zu ergründen, setzt Beauvoir sich – ebenfalls kritisch – mit dem historischen Materialismus auseinander. Zwar ist auch für sie die Wirklichkeit identisch mit der Geschichte, nicht mit der Natur. Sie widerspricht aber der Vorstellung, dass es in der klassenlosen Gesellschaft, wäre sie erst realisiert, keinen Unterschied mehr gebe zwischen Männern und Frauen, weil alle nur noch Arbeiter – also gleich – seien. Wie Biologie und Psychoanalyse ist auch der historische Materialismus in den Augen Beauvoirs reduktionistisch, denn er definiert den Menschen nur über die Ökonomie. Auch in diesem Falle lässt sie die Daten, die er zutage fördert, nur gelten in dem Maße, wie der Mensch ihnen innerhalb der umfassenden Perspektive seiner Existenz Bedeutung verleiht.
Geschichte
Beauvoir hat also in den drei Einzelwissenschaften, die sie untersucht hat, keine Antwort auf ihre Frage gefunden, warum in der Geschichte der Mann dauerhaft zum Subjekt und die Frau zum Objekt wurde, aber sie hat jetzt das nötige Rüstzeug, um selbst diese Untersuchung durchzuführen.
In einem beeindruckenden Schnell-Parcours von 100 Seiten durchmisst sie die abendländische Geschichte von den Urhorden bis zu ihrer Gegenwart: Häufig wüsste man gerne, aufgrund welcher Quellen.21 Die Antwort auf ihre Frage findet sie gleich zu Beginn. Auch als die Menschen noch als Nomaden umherzogen, war die Frau wesentlich mit der Reproduktion der Gattung beschäftigt, dem Gebären, der Mann dagegen mit dem Erfinden: Er eignete sich die Welt an, um das Überleben der Gattung zu sichern. Das aber ist Beauvoir und Sartre zufolge genau die Aktivität des Entwerfens und sich selbst Überschreitens, die die genuine Möglichkeit des Subjekts ausmacht. Sie umfasst auch den Einsatz des eigenen Lebens – auf der Jagd und im Krieg. Die Frau spendet Leben, der Mann tötet. Beauvoir kommt zu der verblüffenden Einsicht, dass demjenigen, der tötet, mehr Bedeutung beigemessen wird als derjenigen, die Leben zur Welt bringt.22
Dies ist Beauvoirs existenzialistische Interpretation von Zeugnissen der Vorgeschichte, die sicherlich nicht alle überzeugt. Für die Philosophin ist Gebären lediglich Wiederholung desselben, auf der Stelle Treten, Vermehrung von Masse, wenn man so will, durch welche die Situation nicht überschritten, keine ontologische Begründung erreicht wird. Die Männer dagegen annektieren die Welt, sie modellieren die unbearbeitete Natur und erkennen sich selbst in dieser Modellierung wieder. Dies blieb den Frauen verwehrt. Sie mussten in einer Position verharren, die ihnen die Subjektwerdung unmöglich machte.
Auch als die Nomaden sesshaft werden, bleiben die Frauen Objekte. Zwar werden die Kinder aufgewertet, die Gemeinschaft erkennt sich in ihnen als Erben des Territoriums. Beziehungen auf Gegenseitigkeit gehen aber nur Männer miteinander ein. Die Frauen gehören zu den Gütern, die sie besitzen. Beauvoir stützt sich hier offenbar auf Friedrich Engels’ Schrift über den Ursprung der Familie, auch die ethnologischen Schriften von Claude Lévi-Strauss, beide durch das existenzialistische Filter gesehen. Aus Zeitgründen kann ich nicht im Einzelnen darstellen, wie die zunehmende technische Beherrschung der Natur Beauvoir zufolge das Geschlechterverhältnis immer neu modifiziert, ohne jedoch grundlegend etwas an der Subjekt-Objekt-Beziehung zu ändern. Beauvoir liest das an antiken Mythen ab, bald gibt es auch Zeugnisse wie das Zitat von Pythagoras, das sie ihrem Buch vorangestellt hat:
Es gibt ein gutes Prinzip, das die Ordnung, das Licht und den Mann geschaffen hat, und ein böses Prinzip, das das Chaos, die Finsternis und die Frau geschaffen hat.
Als Kommentar dazu kann man das angefügte Motto des französischen Frühaufklärers Poullain de la Barre lesen:
Alles, was von Männern über Frauen geschrieben wurde, muss verdächtig sein, da sie zugleich Richter und Partei sind.
Beauvoir widmet sich in der Folge dem griechischen und römischen Altertum sowie dem Mittelalter und kann eine Fülle von Fakten berichten. Sie hatte als Lehrerin nicht nur Philosophie, sondern auch klassische Philologie und französische Literatur unterrichtet und zweifellos auch daher einen guten Fundus an Wissen. Man müsste untersuchen, ob das, was sie schreibt, nicht heute zum Teil überholt ist. Leider bringt unter den Beauvoir-Forscherinnen für diese Fragen kaum jemand Interesse auf.23 Die Griechen waren Beauvoir zufolge große Frauenhasser: Denken Sie an die sprichwörtliche Xanthippe. Bei den Römern ging es der Frau noch schlechter: Sie hat den juristischen Status eines Haustiers, jedenfalls zunächst; dann erhält sie zunehmend mehr Rechte. Die Emanzipation, die sie erreicht, wird jedoch durch Einschränkungen anderer Art wieder zurückgefahren: Indem man das weibliche Geschlecht en bloc als minderwertig erklärt, versucht man die drohende Gleichstellung zu unterbinden.
Beauvoir berichtet danach über die Lage der Frauen im frühen Christentum, die auch nicht besonders günstig war, sobald die Sünde mit der Sünde des Fleisches identifiziert und die Frau als Versuchung des Teufels betrachtet wurde. Der mittelalterliche Frauenhass ist sprichwörtlich. In den Jahrhunderten danach erhalten die Frauen in den privilegierten Klassen mehr Bildung, Kultur, Freiheit und Selbständigkeit, aber die Blaustrümpfe werden mit Hohn bedacht. Das 18. Jahrhundert brachte immerhin schon männliche Feministen hervor, aber auch Autoren wie Rousseau, die die Frau ausschließlich für Ehe und Mutterschaft reservieren wollen.
Dass die Französische Revolution die Frauen nicht favorisierte, ist bekannt. Die Menschenrechte waren tatsächlich Männerrechte. Im 19. Jahrhundert werden die Frauen in Küche und Haushalt versklavt. Als Beleg bringt Beauvoir ein Zitat von Honoré de Balzac aus der Physiologie du mariage:
Die Bestimmung der Frau und ihr einziger Ruhm liegen darin, das Herz der Männer höher schlagen zu lassen … die Frau ist ein Eigentum, das man durch Vertrag erwirbt. Die Frau ist genau genommen nur ein Annex, ein Anhängsel des Mannes.
Aber im 19. Jahrhundert gab es auch die utopischen Sozialisten, die die Abschaffung jeglicher Sklaverei verlangten. Damit wird zumindest in der Theorie auch die Frau befreit. Beauvoir bedauert, dass nicht immer die vernünftigen Thesen die meisten Anhänger finden. Von einigen Sozialisten werde die Frau nämlich auch im Namen ihrer Weiblichkeit verherrlicht, was das sicherste Mittel sei, sie zu schädigen. Die Frau muss – so Beauvoir – nicht als Frau, sondern als Mensch anerkannt werden, damit ihr Gerechtigkeit widerfährt. Gerechtigkeit kann sie nur durch Gleichheit erfahren.
Es sind schließlich zwei entscheidende Neuerungen, in denen Beauvoir Voraussetzungen für die Befreiung der Frauen sieht: 1. die Einführung der Maschine im 19. Jahrhundert und damit die Teilnahme der Frauen an der Erwerbsarbeit; 2. die Möglichkeit der Geburtenkontrolle, die dem Zwang der Reproduktion ein Ende setzt, den Beauvoir vor allem als Ursache für die Randstellung der Frau ausgemacht hat. 1949 sieht Beauvoir die zunehmende Assimilation der Frauen an die Männerwelt am Horizont aufleuchten. Freilich gibt es noch Hindernisse wie die Doppelbelastung der Frauen durch Familie und Beruf und die geringeren Chancen, die Frauen – so Beauvoir – bei Konkurrenz um dieselbe Stelle als Männer haben. Beides ist auch heute noch gültig, wie man mühelos beobachten kann. Auch wenn Ansätze bestehen, ist die Befreiung nicht erreicht. 1949 war sie es weniger als heute. Viele Frauen, so Beauvoir, trauen sich daher nicht, selbständig aufzutreten, und bleiben lieber bewusst in der Abhängigkeit der Männer. Sie versuchen, dem Bild zu entsprechen, das die Männer von ihnen haben, um für sie akzeptabel zu sein.
Mythen
Das ist das Scharnier, mit dem Beauvoir zum nächsten Teil ihrer Arbeit überleitet, dem Teil, den sie mit »Mythen« überschreibt und der mehr Raum einnimmt als die vorangegangene Darstellung der Geschichte. Dieser Teil war der Ausgangspunkt ihrer ganzen Arbeit gewesen; er erschien auch zuerst (von Mai – Juli 1948) im Vorabdruck in den Temps modernes. Während der geschichtliche Teil sich immer stärker auf die Ökonomie als Rahmen hin bewegte – was vielleicht auch von den Quellen abhing, die sie benutzte –, geht es hier wieder wesentlich philosophisch zu. Beauvoir zeigt, dass die Frau für den Mann eine Doppelnatur besitzen muss, die er in Mythen, Legenden, im religiösen Kult, aber auch in der Literatur von ihr entwirft. Wenn ich zu Beginn sagte, dass die Bewegung der Selbstüberschreitung im Entwurf auf die Zukunft hin der ontologischen Begründung, der Selbstsetzung, dienen soll, dann wird diese Begründung wesentlich häufiger auf andere Weise gesucht, nämlich im Blick des anderen, meines Gegenübers, das mich so widerspiegeln soll, wie ich mich sehe, in meiner Freiheit, aber mir zugleich die Festigkeit eines Dings geben soll. Wer dem Mann diese Selbstbegründung verschaffen soll, ist – Sie haben es erraten – die Frau. Sie soll, wie ich sagte, eine Doppelnatur besitzen, denn zum einen soll sie fügsames Objekt sein. Die gewünschte Begründung kann ihm jedoch nur ein freies Subjekt verschaffen. Dieser Widerspruch führt dazu, dass der Mann die Frau auf immer neue Weise phantasiert, weil der Begründungsversuch, die Suche nach Anerkennung in den Augen der Frau als Freiheit, zum Scheitern verurteilt ist. Ich zitiere: »[Die Frau] ist alles, wonach der Mann verlangt, und alles, was er nicht erreicht.«24 Die Frau ist zwar so konditioniert worden, dass sie den Mann anerkennt, wie er sich selbst sieht, aber sie entzieht sich auch immer wieder diesem Zweck, ist nicht absolut beherrschbar. Beauvoir untersucht ausführlich am Werk von fünf Autoren, wie sie die Frau konstruieren, und führt die Konstruktion auf das jeweilige Weltbild des Schriftstellers zurück. Damit liefert sie ein Modell für die vielen Studien, die sich seit den siebziger Jahren mit dem Frauenbild in der Literatur beschäftigen, und zwar aus kritischer feministischer Sicht.25 Sie führt zugleich eine Praxis vor, die in der westdeutschen Literaturwissenschaft der siebziger Jahre zu Popularität gelangen sollte: das Entmythologisieren. Dazu äußert sie sich auch theoretisch. Der Mythos, so schreibt sie, ersetzt die empirische, lebendige Erfahrung durch eine Idee, die überzeitliche Geltung beansprucht. Anders gesagt: Die real existierende Heterogenität wird in Homogenität überführt, den Mythos des ewig Weiblichen. In Umkehrung der tatsächlichen Verhältnisse wird die Wirklichkeit am Mythos gemessen: Wer ihm nicht entspricht, fällt durch das Raster, das je nach Epoche unterschiedlich ausgeprägt ist. Es gilt, so schreibt sie, den Mythos auf das Interesse jener abzuklopfen, die ihn errichtet haben. Aber taucht hinter dem zerstörten Mythos etwas auf, was die Frau »eigentlich« wäre? Sie kennen die Antwort: Es gibt nach existenzialistischer Auffassung keine Identität, die etwas anderes wäre als das Sediment des eigenen Handelns. Das Handeln vollzieht sich jedoch innerhalb bestimmter Bedingungen, innerhalb einer Situation. Der besonderen Situation, die die Frau antrifft – d. h. der condition féminine –, ist der zweite Band des Anderen Geschlechts gewidmet, bevor am Ende – ich sagte es – Perspektiven der Befreiung aufgezeigt werden.