Kitabı oku: «Echo eines Freundes», sayfa 2

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Die Sockelwohnung

Der Weg war mir erklärt worden. Ein Irrtum war angeblich unmöglich, und zum Glück stimmte das dann auch. Ich folgte den Schieferplatten zur Hausecke, wo eine gelbe Außenlampe angebracht war. Vermutlich von Sigurd, dachte ich dankbar, und sicher hatte er bei der Planung an jemanden wie mich gedacht. Eine Außenlampe hinten an der Ecke, damit ein eventueller Mieter der Sockeletage sich nicht im Stockfinsteren seinen Weg suchen müsste. Das hier – also, dass er an mich gedacht hatte, ohne auch nur eine Ahnung von meiner Existenz auf Erden zu haben, fand ich rührend. Vor allem im Hinblick darauf, dass er jetzt tot und verschwunden war. Dass wir niemals eine Gelegenheit gehabt hatten, uns zu begegnen, damit ich mich bedanken könnte. Da und dort, als ich gerade um die Ecke bog und die Treppe betrat, auf die mich Annelore Frimann-Clausen vorbereitet hatte, beschloss ich, dass die »Mängelliste«, wie sie das vorhin so scherzhaft genannt hatte, stattdessen eine Liste über alles sein sollte, was ich an meinem neuen Aufenthaltsort zu schätzen wusste. Wenn ich in meinem bisherigen Leben etwas gelernt habe, dann, dass es sich zeitweise lohnen kann, das Suchlicht auf das Positive zu richten. Auf alles, was funktioniert und das Leben leichter macht. Und da Sigurd also in weiser Voraussicht an der Hausecke diese Außenlampe angebracht hatte, fiel das Licht eben auf diese Seite, so dass die Treppe zu meiner Wohnungstür nun strahlend erleuchtet war, sogar an einem dunklen Herbstabend.

Gut gedacht, dachte ich, während ich meinen Koffer auf die Schieferplatten stellte und den Schlüssel aus der Jackentasche zog.

Ich beschloss, mir diese Ankunft einzuprägen. Dafür zu sorgen, dass sie mir in Erinnerung blieb. Nicht, weil ich damit rechnete, dass ich jemals gebeten werden würde, über dieses für mich historische Ereignis zu sprechen, sondern einfach für mich selbst. Wie oft war ich umgezogen, seit ich seinerzeit, in einem Alter von einunddreißig, aus meinem Elternhaus vertrieben worden war? Es kam darauf an, wie ich das zählte. Und was man als neues Heim betrachtet. Ob man beschließt, alle Orte mitzunehmen, an denen man sich über einen gewissen Zeitraum aufhalten musste. Auf jeden Fall, dachte ich, um jetzt nicht stehenzubleiben und über solche Dinge nachzudenken, ist das hier, diese Sockelwohnung, die du im nächsten Augenblick betreten wirst, aller Wahrscheinlichkeit nach dein letzter Aufenthaltsort auf Erden. Diese Erkenntnis stimmte mich feierlich und ehrfürchtig, ich blieb für einen Augenblick stehen und fuhr mit der Hand über die weiß gestrichene Tür. Berührte vorsichtig die Türklinke. Wie oft würde ich durch diese Tür aus- und eingehen, ehe mich der Tod in sein Reich rief? Aus und ein, bei Regen und bei Sonne, bei Schnee und Wind. Sommer, Winter, Herbst und Frühling. In Freude und Trauer. Ich sah mich so deutlich vor mir. Wie ich in Shorts und Sandalen die Treppe heruntertänzelte, und dann wieder mit Mantel und Wollmütze. Auf dem Weg nach und von, wie das Leben nun eben ist. Hier und jetzt: Ein Fremder, der zum ersten Mal diese Tür aufmachen würde. Aber schon in einem oder in drei Tagen: Alltag. Routine. Der Schlüssel, der unbewusst aus der rechten Hosentasche gezogen und automatisch ins Schloss gesteckt wurde. Das vertraute Klicken, das verriet, dass die Tür offen war. Dass ich einfach eintreten könnte. Der sichere Winkel im Dasein, wo die vertrauten Geräusche und Gerüche herrschten. Dort, wo die Stunden vorhersagbar waren.

Aber jetzt. Da steht er. Der Fremde. Eine dunkle Gestalt im Durchgang zwischen dem hohen Bretterzaun zum Nachbargrundstück und der weiß gestrichenen Hauswand. Der groben Grundmauer. Die Füße fest auf die Steinplatte vor der Tür gesetzt. Den Schlüssel in der Hand. Und der unvermeidliche Gedanke: Was, wenn der nicht passt? Was, wenn du den Schlüssel ins Schloss schiebst und dann kannst du ihn weder nach rechts noch nach links drehen? Du steckst fest. Du kannst den Schlüssel auch nicht herausziehen. Wenn du Gewalt anwendest, bricht er ab. Als ob er aus Glas wäre. Andere Menschen haben diese Tür tausendmal geöffnet, aber wenn die Reihe an dich kommt, ja, dann geht es schief. Mit einer solchen Nachricht zu Annelore Frimann-Clausen zurückzukehren, ist ausgeschlossen. Es ist ganz einfach unmöglich. Du auf der Flucht hinunter nach Sandaker und weiter. In freiem Fall in ein Dasein als drogensüchtiger Obdachloser. Der Weg ist kurz. Darüber lesen wir in der Zeitung. Sehen es im Fernsehen. Jede menschliche Zerstörung beginnt mit etwas, das im Ausgangspunkt wie eine alltägliche Bagatelle wirken kann. Dann kommt eins zum anderen. Und dann bricht alles zusammen.

Es ist ein Schlüssel Marke Yale. Es ist ein Schloss Marke Yale. Ich bugsiere den Yale-Schlüssel vorsichtig ins Yale-Schloss. Steht jetzt jemand im Dunkeln bereit und beobachtet mich? So kommt es mir vor. Ich ziehe den Schlüssel vorsichtig wieder heraus. Schleiche mich zur Ecke. Dort liegt der kleine Garten in seiner ganzen steilen Pracht. Dort liegt die Sigurdsbude, halb verschlungen von der Kiefernhecke. Dann gehe ich mit entschiedenen Schritten zurück und schließe ohne weiteres Federlesen die Tür zum Gang auf. Ziehe die Tür hinter mir ins Schloss. Bin endlich zu Hause.

Wohnzimmer mit Küchenecke, eine sogenannte »offene Lösung«. Das gefällt mir. Vor dem einen Fenster zum Garten: ein blau gestrichener Tisch. Zwei Stühle. Das gefällt mir auch. Man kann nie wissen, was die Zukunft im Schilde führt, auch wenn die Zeit langsam zu Ende geht. Vielleicht eines Tages. Zwei. Eine Frau und ein Mann, die hatten einander so lieb. Küche? Ein Spülbecken und eine Kochplatte. Was will man noch mehr? Zwei Platten, ein Backofen mit Platz für ein mittelgroßes Hähnchen. Das ist mehr als genug. Übersichtlich und praktisch. Die Schränke voller Gläser und Teller. Ich scherze mit mir selbst. Sage mit lauter Juxstimme, dass ich erst irgendwann im Frühling spülen muss. Jage mich in die Sofaecke, dann weiter ins Schlafzimmer. Wo ich zuerst einen kleinen Zusammenbruch erleide, ehe ich das Lächeln wieder hervorzwinge. Die Tapete ist aus Kunststoff und stammt aus den achtziger Jahren. Gelb und Braun in Kreisen und Quadraten. Schwarzer Pilzangriff oben unter der Deckenleiste. Fenster? Nein. Doch. Zwei Stück im Format fünf mal fünfzehn Zentimeter. Aussicht auf die Rückseite der Mülltonne. Ich lasse mich auf das Bett fallen, das nach Schimmel riecht, vielleicht nach etwas noch Gefährlicherem. Im Badezimmer mit der Toilette hat der schwarze Pilz seinen Feldzug zum vollen Sieg fortgesetzt, und im Abfluss der Dusche hat jemand seine DNA in Form von Kopf- oder Schamhaaren hinterlassen. Unwiderlegbare Beweise, aber der Täter ist über alle Berge.

Ich weigere mich zu weinen. Ich versichere mir selbst, dass ich hiermit umgehen kann. Ich weiß nur zu gut, was die Alternative ist.

Laufe auf der Stelle. Beruhige mich. Das hier wird ein schönes Zuhause werden. Ein wunderschöner Aufenthaltsort. Meine Höhle. Schlafzimmer ohne Fenster ist Gewöhnungssache. Es wird sich ein Rat finden. Es wird sich für alles ein Rat finden.

Draußen im Gang stehen die Kartons mit meinen Habseligkeiten. Wie versprochen. Und der mit einem Tuch bedeckte Fernseher. Ich trage ihn vorsichtig ins Wohnzimmer und bugsiere den Stecker in die Dose. Minuten später sitze ich in meiner eigenen Wohnküche und sehe irgendeine Fernsehdiskussion. Ohne Laut. Nur sicherheitshalber. Es ist nicht lange nach neun, aber dennoch. Kein Grund, die gute Stimmung aufs Spiel zu setzen, die wir meinem Gefühl nach während der gerade hinter uns liegenden kurzen Begegnung etabliert haben. Sie sitzt doch immerhin jetzt da oben und lauscht. Etwas anderes kann ich mir einfach nicht vorstellen. Ich würde genau dasselbe tun, wenn ich in ihrer Lage wäre. Die Fernsehdiskussion scheint an Tempo zu gewinnen. Der Moderator versucht, die Gemüter zu beruhigen, das aber ohne besonders viel Glück. Schwenk zu einem Marktplatz. Blut. Eine Menge Blut. Zerfetzte Leiber, halb mit Plastikplane bedeckt. Zurück ins Studio. Ton ist absolut unnötig. Leicht, von den Lippen zu lesen. Das hat nichts mit dem Islam zu tun, sagt der mit der Hornbrille. Rein gar nichts. Worauf der, der ein bisschen aussieht wie ein Forscher, oder vielleicht eher wie ein Archäologe, einen zornbebenden Zeigefinger auf eine Person richtet, die nicht mit im Bild ist. Kamera in Bewegung. Vermutlich zu Lars Gule. Aber nein. Eine junge Frau in hellblauem Hidschab. Die sicher etwas über Mackerherrschaft und Brand im Haus des Islam sagt. Der gelöscht werden muss und wird. Der Archäologe nutzt die Gelegenheit, um eine skeptische Miene aufzusetzen.

Doch, wenn ich Annelore wäre, würde ich jetzt unbedingt mit gespitzten Ohren dasitzen, an diesem allerersten Abend mit einem Fremden im Haus. Obwohl der erste Eindruck so absolut ermutigend war. Es ist immerhin ihr Haus. Ich würde denken: Wir werden in den kommenden Jahren schließlich zusammenleben. Es ist sehr wohl möglich, dass er mich nach dem Gehirnschlag finden wird. Wenn ich hilflos im Badezimmer liege. Oder schlimmer: Auf dem Klo. Gebadet in eigenen Sekreten. Es wird nicht länger als zwei Tage dauern, dann kennt er meine Gewohnheiten, und ebenso schnell wird er auf Abweichungen reagieren. Ich werde in meinem dunklen Wohnzimmer sitzen und auf seine Aktivitäten horchen. Um sie besser kennenzulernen.

Schwenk zu einer wütenden Menschenmenge. Bart. Jede Menge Bart. Grüne Flaggen mit seltsamer Schrift. Flammen. Ich schalte um auf Kanal 7. Travel. Indien. Der Ganges, vermutlich. Muntere Frauen, die im grauen Flusswasser bunte Kleidungsstücke waschen. Vermutlich zu den Klängen einer gutgestimmten Sitar. Ich achte nicht auf die Untertitel. Gebe mich den Bildern hin. Eine Leiche treibt vorbei. Jemand wäscht einen Elefanten. Kinder, die spielen und auf den Kameramann zeigen. Das Leben geht seinen endlosen Gang, und vielleicht werden wir im nächsten Leben als Dromedare und Bienen geboren. Habe ich im Küchenschrank nachgesehen? Im Kühlschrank? Nein. Der Kühlschrank, ein praktisches kleines Teil mit eingebautem Tiefkühlfach, ist ganz einfach leer. Dazu gründlich gesäubert. Leuchtend rein. Kalt. Das Tiefkühlfach eisfrei. Gut. Ich versuche mir vorzustellen, wie es wäre, in eine Wohnung mit einem schmutzigen Kühlschrank zu ziehen. Fischblut unten, dazu ein vergessener Brokkolistrunk in voller Schimmelblüte. Ich habe Glück gehabt. Mit dem Schimmelpilz in Schlafzimmer und Bad kann ich viel leichter umgehen. Der ist längst nicht so dreckig. Im Küchenschrank: eine Schachtel Liptons Tee mit acht Beuteln. Und eine Packung Salz. Nicht schlecht, denke ich nun, um dann meinen nächsten Gedanken auf den Proviant im Koffer draußen auf dem Gang zu richten. Bald darauf sitze ich zum allerersten Mal an dem blauen Tisch, mit einer schlichten, aber wohlschmeckenden Brotzeit und einem dampfenden Becher Tee. Aber Moment! Das mittlere Fenster ist ja wohl eine Tür? Wahrlich, wahrlich! Und der Schlüssel steckt von innen und überhaupt. Ich stehe auf der Türschwelle und trinke den heißen Tee. Gleichzeitig nehme ich den frischen Herbstabend in mich auf. Flüstere in die Dunkelheit hinein: Hier wirst du es gut haben. Du hast sogar direkten Zugang zum Garten.

Nun zieht Annelore Frimann-Clausen oben im ersten Stock an der Schnur. Ein sanftes Gurgeln in den Rohren hängt für einige Sekunden gewissermaßen in der Luft, während das Unaussprechliche weggetragen wird, vermutlich unter den Rasen, wo sich der große Tank befindet. Nun gut. Die Herrscherin des Hauses hat ihr Geschäft verrichtet, ob nun Bimmelim oder Bommelom (wie meine Großmutter immer sagte), und macht sich jetzt bereit für die Nacht. Gott segne sie und unser teures Vaterland, denke ich.

Und verwende den Teebeutel ein weiteres Mal.

Ich hasse Verschwendung.

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Ein gesegnet normaler Supermarkt

Ich träume, ich wäre eingesperrt. Bekäme keine Luft. Im Traum befinde ich mich in einer winzigen Wohnung unter der Erde. Ungeheuer kleine, klaustrophobische Kammern, noch dazu mit Möbeln vollgestopft. Tische, Sofas und Stühle, ich stolpere mit Staub und Schimmel im Mund umher. Ich kann nicht schlucken, ich will um Hilfe rufen, aber das Einzige, was aus mir herauskommt, ist ein fremdes, boshaftes Lachen. Zwischen den kleinen Kammern gibt es ein Netzwerk aus langen engen Gängen, die Wände sind niedrig, ich muss mit einer Art Heroinknick in den Knien gehen, ab und zu muss ich sogar niederknien, jemand ist hinter mir her, ein nach Schweiß stinkender Schatten; etwas haucht mir in den Nacken, ich flehe auf Knien um mein Leben, und darum, nicht ganz und gar den Verstand zu verlieren, oder ist es schon zu spät? Hat die Vernunft mich bereits verlassen? Woher kommt dieses fremde Lachen, das die ganze Zeit durch mich hindurchströmt wie ein Abwässerfluss? Josef Fritzl maskiert als Annelore Frimann-Clausen. Nackt. Verzerrt, mit runzliger Elefantenhaut. Ich selbst gefangen in einem Käfig. Annelore Frimann-Clausen, die aufschließt und die acht Türen zu der Wohnung aufschiebt, in der sie mich gefangen hält, zusammen mit der Tochter Elisabeth, Kellersklavin in vierundzwanzig grauenhaften Jahren, ich ahne die Zeit wie einen kalten Windstoß Revue passieren. Vergewaltigungen. Einsame Geburten. Jetzt hält sie meinen Schwanz in der Hand, und ich merke, dass ich überaus widerwillig wachse und hart werde. Und sie lächelt ohne Zähne, habe ich daran gedacht? Wie gut es ohne Zähne wäre? Nun wecke ich mich selbst, ich vertreibe mich aus diesem Kellerkerker, beschämt und wütend, schweißnass und gehetzt. Und befinde mich auch jetzt in einem fremden Raum unter der Erde, mit einer kräftigen Pilzoffensive oben an der Decke. Ich glaube, den Geruch dieses schwarzen Schleimes wahrzunehmen …

Ich stehe auf und gehe ins Wohnzimmer. Dort wird es besser. Als ich mich umdrehe, sehe ich die beiden winzigen Fenster oben unter der Decke dessen, was mein Schlafzimmer sein soll, was sich aber schon jetzt, in der ersten Nacht, als Fritzl-Zimmer etabliert hat, als Inzestabteilung, denn war dort drinnen nicht auch etwas mit Mutter …

Es ist so ekelhaft. Ich hole mir die Bettdecke und lege mich aufs Sofa. Denke, damit darf ich nicht anfangen, das muss ich in Zukunft einfach vermeiden, denn sonst verliere ich die Hälfte des Platzes in meinem neuen Dasein, ohne dass die Miete deshalb auch nur um eine Krone reduziert wird, aber dann schwebe ich wieder in eine Mischung aus Gedanken und Träumen, jetzt geht es besser, ich laufe über eine Blumenwiese. Auf ein Haus in einem Garten zu, es ist Fiolvei 5, ich weiß das, auch wenn das Haus ganz anders aussieht, jetzt ist Fiolvei 5 eine Art Schloss mit Sälen und Hallen, und in großen Spiegeln an den Wänden sehe ich mich selbst in Gestalt von Annelore Frimann-Clausen, ich bin Annelore, ich besteige einen Thron aus Eis und Kristall, ich fordere die römischen Soldaten auf, umgehend den Gefangenen hereinzuführen, und der bin ich. Elling.

Wache wieder auf. Unruhig. Ach, dieser ganze Unsinn. Warum muss es so sein? Aber im tiefsten Herzen weiß ich das ja. Es ist die Große Veränderung, die irgendwo in mir auf die dicke Trommel schlägt. Ob sie da oben wohl auch wach liegt? Ganz still in der Dunkelheit? Auch für sie war es ein Tag der Umwälzungen. Doch, ja. Alles ist gutgegangen. Der neue Mieter wirkt eigentlich wie ein ordentlicher, ruhiger Mann. Aber das ist es ja gerade. Dass er ein Mann ist. Wäre eine Lehramtsstudentin nicht doch besser gewesen? Was weiß sie eigentlich über Männer in meinem Alter? Ich gehe davon aus, dass sie genug Lebenserfahrung hat, um zu wissen, dass ein Mann von Mitte fünfzig nicht als tot betrachtet werden muss, wenn es um das Sexuelle geht. Gleichzeitig gehe ich davon aus, dass sie in dieser Hinsicht das Handtuch geworfen hat. Ich kann mich irren, aber so sehe ich das. Ich bin überzeugt davon, dass sie nicht dort oben liegt und mich als möglichen Kandidaten für unverbindliche Gemütlichkeit betrachtet. Jedenfalls nicht so. Wanderkamerad, vielleicht. Ein Mieter, den man eventuell mit ins Theater oder auf einen kleinen Ausflug nach Høvikodden locken kann. Aber nicht als Aktivist ins Bett. Andererseits. In unserer Zeit ist kein Ding unmöglich. Das habe ich mit eigenen Augen im Netz gesehen.

Weiß sie übrigens von dem Pilzangriff? Von den biologischen Kriegshandlungen, die sich im Schlafzimmer unter ihr abspielen? Und im Badezimmer? Ich werde kein Wort darüber sagen. Ich werde die Wohnung preisen, wie ich es beschlossen hatte. Vor allem das kleine warme Loch von Schlafzimmer. Was soll man überhaupt mit einem Fenster in einem Zimmer, in dem man nur schlafen wird? Bewusstlos sein? Fort von der Welt?

Ich springe vom Sofa auf, ich stürze ins Badezimmer und reinige den Abfluss in der Dusche mit den Fingern, entferne das widerliche kleine vertrocknete Haarbüschel, werfe es ins Klo, fast ohne es zu merken, es geht so schnell, so schrecklich schnell, ich drehe das heiße Wasser auf und seife mich ein, aber was ist los mit diesen Seifenstücken, die auf den Toiletten in diesem Land herumliegen, in Haus und Hütte, diesen kleinen harten Seifenstücken, die man einfach nicht richtig zum Schäumen bringen kann, jede Menge verfärbter Risse weisen sie außerdem auf, aber vor allem sind sie steinhart und ganz und gar geruchlos, kein Hauch von Duft, und dabei komme ich mir so durch und durch verdreckt vor, nachdem ich diesen elenden Haarstrang angefasst habe, der so voller Bakterien und Dreck war, und ich schrubbe und schrubbe mit dem dysfunktionalen Seifenstück, schleudere es voller Wut weg, sehe vor meinem inneren Auge die halbvolle Zaloflasche beim Spülbecken in der Wohnzimmer-Küchen-Kombination.

Aber am Ende findet sich dann irgendwie doch noch alles. Als ich jedoch die Toilette abziehe, schwimmt das Haarbüschel oben. Zundertrocken natürlich. Ich muss die Zeit arbeiten lassen. Erst richtig Wasser einziehen lassen, ehe ich den nächsten Versuch mache. Denn das ist klar: Jedesmal, wenn ich die Toilette abziehe, schicke ich gleichzeitig ein Signal zu ihr dort oben, dass etwas erledigt ist. Und zum Beispiel jetzt: Dass ich wach und für den Tag bereit bin. Was ich im Grunde nicht bin, da es ja erst halb sechs ist, und da ich gelinde gesagt schlecht geschlafen habe. Als ich abermals unter die Decke auf dem Sofa krieche, höre ich es klar und deutlich. Dass auch ein Stock weiter hoch an einer Schnur gezogen wird. Das gleiche Grummeln in den Rohren wie gestern Abend.

Sie antwortet, denke ich. Dann schlafe ich wieder ein.

Und erwache in einem Meer aus Licht, ja, in der Sonne, die durch frisch geputzte Fenster hereinflutet, sie legt sich über den Boden wie ein goldener Teppich, und das grüne Leuchten des Gartens … Wohin ist die entsetzliche Nacht verschwunden? Die kranken Träume? Die unruhigen Morgenstunden? Der widerliche Strang fremder Schamhaare?

Ich laufe hinüber und ziehe an der Schnur.

Später besteige ich den Thron zum ersten Mal. Hervorragend. Es ist eng hier, man muss sich wegen des Waschbeckens ein wenig zur Seite beugen, aber das macht nichts. Es gibt Schlimmeres auf der Welt, als sich ein wenig zur Seite zu beugen. Das kann ich unterschreiben. Auch diese kleine Eigenheit wird nicht auf irgendeiner Mängelliste zu finden sein, wenn ich in einigen Tagen eine vermutlich ziemlich gute Mahlzeit mit meiner lieben Vermieterin verzehre. Auch die Dusche funktioniert hervorragend, aber es ist klar: Man steht ja dort draußen und fragt sich, wie man sich dem Pilzangriff gegenüber verhalten soll. Ich werde mir etwas einfallen lassen müssen.

Ich trinke zuerst eine Tasse Tee, während ich die handgezeichnete Karte studiere, die ich bekommen habe. Ich habe offenbar die Wahl zwischen zwei Supermärkten. Der eine, eine Spar-Filiale, liegt gleich die Straße hinunter. Und dann haben wir unten im Sandaker-Center einen Coop. Letzterer wird die erste Wahl sein, wenn der Herr sich zusätzlich zum eigentlichen Einkauf auch einen soliden Spaziergang wünscht.

Aber das wäre heute kaum das Richtige, da leere Schränke und Regalfächer darauf warten, mit Grundnahrungsmitteln gefüllt zu werden. Heute ist der Nah-Spar angesagt, danach ein schneller Rückzug, ein spätes Frühstück und dann trautes Heim.

So sieht der Plan aus.

Aber zuerst einen guten Becher Tee, abermals anonym spendiert, vermutlich von meinem Vormieter oder meiner Vormieterin, vielleicht war diese Person ja auch mit Annelore verwandt, was weiß denn ich. Hier gilt es jedenfalls, die Fenster und die Tür zum Garten geschlossen zu halten, wenn man selbst nicht anwesend ist. Ein Heim auf Bodenniveau ist trotz allem mehr gefährdet als ein etwas weiter oben gelegenes. Andererseits würde schon einiges dazugehören, wenn ein Außenstehender mich hier unten in meinem Eckchen entdeckte. Die Wohnung ist von Straße und Bürgersteig her nicht zu sehen, und sie ist durch den Garten sehr schwer zugänglich, wegen des großen Steinbeetes, das die Witwe am Hang angelegt hat. Der einzig logische Weg in meine Wohnung hier in der Sockeletage ist die Treppe, die ich selbst gestern Abend hinuntergestiegen bin. Dann aber muss man an Annelores Küchenfenster vorbei. Und da der Bereich zwischen Gartentor und Haus von Kies bedeckt ist, würde sie sicher sofort gewarnt sein, selbst, wenn sie sich hingelegt hätte oder vor dem Fernseher säße.

Denke ich.

Streife die Pantoffeln über und öffne die Tür zum Garten.

Schon gefällt mir diese Abkürzung. Direkt in den Garten, aus dem eigenen Heim. Ich verstehe sehr bald, dass das Sonnenfunkeln, zu dem ich erwacht bin, das einzige dieses Tages ist. Hier draußen herrscht eine schöne Dunkelheit. Die massive Kiefernhecke, die den Meijern gehört, steht da wie ein zerzauster Riese. Gut. Dann brauche ich diese Leute nicht zu sehen. Es wäre nicht besonders lustig, ohne diese Hecke hier draußen zu wohnen. Dann hätten sie zu mir hereinschauen können. Und ich zu ihnen. Ich weiß nicht, was schlimmer gewesen wäre. Dass die nämliche Hecke die Sigurdsbude mehr oder weniger verschlungen hat, ist nicht meine Sache.

Ich drehe eine Runde durch das feuchte Gras. Johannisbeersträucher, wie versprochen. Hier und dort hängt noch eine Beere im gelben Blattwerk. An einem Apfelbaum: ein einzelner grüner Apfel. Die anderen Bäume sind nackt.

War da eine Bewegung hinter dem Wohnzimmervorhang oben?

Möglicherweise.

Sicherheitshalber schlendere ich wieder ins Haus. Es steht nicht fest, ob es ihr gefällt, wenn ich Tassen und Teller in den Garten hinausschleppe.

Ab und zu überkommt sie mich. Eine Mutlosigkeit. Im Laufe der Jahre hat sich vieles verändert, aber gerade diese Mutlosigkeit scheint ein Schatten zu sein, der mir bis ans Ende des Weges folgen wird. Da stehe ich so froh und zufrieden und schließe die Tür hinter mir zu, ich genieße das leise Klicken des Schlosses, versuche es einmal, zweimal, dreimal, die Tür ist abgeschlossen, das ist gut, ich nehme die Treppe in Angriff, aber als ich die Hausecke erreiche, ist Schluss.

Ich habe keine Lust, an Annelore Frimann-Clausens Küchenfenster vorbeizugehen.

Ich habe ganz einfach keine Lust.

Warum? Es hat etwas mit … Ich weiß nicht. Doch. Natürlich weiß ich es. Es liegt daran, dass ich weiß, dass sie von der Sorte ist, die im Halbdunkel steht und wartet. Wie gestern Abend. Die Tür ging ungefähr in dem Moment auf, in dem meine Fingerspitze den Klingelknopf berührte. Sie hatte gehört, wie ich das schmiedeeiserne Tor öffnete. Gleich darauf meine Schritte im Kies. Sie war bereit. Sie stand mäuschenstill da und wartete.

Gibt es denn einen Grund, warum sie nicht gehört haben sollte, wie ich die Wohnung unten im Haus verlassen habe? Nein, natürlich nicht. Diese Wohnung hat eine ganze Weile leer gestanden, das weiß ich. Der ehemalige Mieter, wer immer es gewesen sein mag, hat sie in totaler Einsamkeit zurückgelassen. Er (ich gehe davon aus, dass es ein Mann war, denn so wie ich das sehe, würde sich eine Frau preisgegeben fühlen, unsicher in einer Wohnung, wo sich fremde Männer in der Nacht verstecken und einfach hereinschauen können) hatte seine häuslichen Geräusche mitgenommen und sich zu einem anderen Aufenthaltsort weiterbegeben. Und da sitzt sie nun, geblendet von der plötzlichen Leere des Hauses. Nicht der Stille, denn alle Häuser haben ihre Geräusche, da ist der Wind, der die Zweige der Bäume über die Wände streichen lässt, es gibt plötzliches Sickern und Seufzen, es gibt Gurgeln in der Dachrinne. Nein, keine Stille, sondern Leere. Das Fehlen der Geräusche, die von einem anderen Menschen aus Fleisch und Blut stammen. Aber dann vergehen die Tage und die Wochen und die Monate, und sie gewöhnt sich daran. Das ist doch der große Segen des Menschen, jedenfalls ein großer Segen. Dass wir, egal was passiert, uns daran gewöhnen.

Und dann plötzlich, gerade, als sie dieses Fehlen akzeptiert hat, ja, da kommt ein anderer Bursche des Weges. Es ist doch klar, dass es ihr auffällt, wenn er zum allerersten Mal die Tür hinter sich abschließt und sich bereit macht zu einer Einkaufsrunde.

Na und, sagt jetzt vielleicht der Einfühlungslose. Wenn sie am Küchentisch sitzt oder von mir aus auch mitten im Zimmer steht. Kannst du denn nicht einfach am Fenster vorbei und zum Tor hinausgehen? Es ist doch sogar möglich, ihr frisch und fröhlich zuzuwinken?

Tja. Wenn mich das Leben etwas gelehrt hat, dann, solche Fragen lieber nicht zu beantworten. Nicht einmal dann, wenn ich selbst sie gestellt habe.

Es geht ja vorüber. Im einen Augenblick ist man total erschlagen, dann aber zählt man zweimal bis tausend und sagt seinen Namen rückwärts. Und schwupp. Man setzt sich in Bewegung und wirft nicht einen einzigen Blick ins Küchenfenster. Zieht das schmiedeeiserne Tor ordentlich hinter sich zu. Mit der Karte in der Hand, mit der Hand in der Manteltasche. Ein herrlicher Tag. Hier oben auf Straßenniveau scheint die Sonne. Ich beschleunige auf dem Weg in den neuen Tag. Häuser und Gärten flimmern vorbei, Grefsen hat etwas Solides und zugleich Zurückhaltendes. Der Geruch von altem Geld liegt in der Luft, es ist fast ein bisschen seltsam, dass ich zu einer Spar-Filiale unterwegs bin und nicht zu einem Feinkostladen, aber andererseits und zum Glück: Spar passt um einiges besser zu mir.

Und abermals: Wie oft werde ich diesen Laden aufsuchen, ehe meine Zeit auf Erden vorüber ist? Man tritt zum allerersten Mal ein. Es ist natürlich ein Ereignis. Der Einfühlsame kennt sich mit solchen Dingen aus. Dort, wo der oberflächliche Grobklotz nur einen ganz gewöhnlichen Supermarkt sieht, erblickt der Einfühlsame eine heilige Handelsstätte, einen Ort, an dem Geld gegen lebensnotwendige Waren eingetauscht wird. Hier findet sich die eigentliche Grundlage für die alltägliche Nahrungsaufnahme, von der wir allesamt, unabhängig von Geschlecht und Zivilstand, abhängig sind. Hier, hinter den funkelnden, frisch geputzten Glastüren, ist die eigentliche Quelle zu finden, und das noch dazu in der fast unvorstellbaren Vielfalt der modernen Gesellschaft. Denn wir finden hier drinnen nicht nur unsere Kost, und das in allen erdenklichen Varianten, sondern auch Mittel zur Sauberhaltung von Böden, Wänden und Decken, Zähnen und Mundhöhle, Klosett, Fenstern und Kochplatten, Besteck, Geschirr und Gehörgängen. Nach kurzem Überlegen wird das sogar der Oberflächlichste begreifen: dass im Grunde nicht Kirche oder Moschee das Allerheiligste in unserem Alltag repräsentieren, sondern der Supermarkt, in dem wir jeden Tag alles einkaufen, was nötig ist, um das Leben, das Gott oder physische und chemische Zufälle uns zugeteilt haben, zu erhalten und zu pflegen. Ja, eigentlich müsste vor dem Eingang zum Supermarkt ein Gebetsteppich liegen, wo man jeden Tag niederknien und seine vielen Sünden und Verfehlungen bekennen könnte, um dann, geläutert und von Schuld befreit, eintreten und seine Geschäfte tätigen könnte. Nicht mit Priestern und Kardinälen oder Imamen und heiligen Männern, die in Indien Hasch rauchen, sondern mit Männern und Frauen, die nach dem Abitur nicht studiert, ja, die nicht einmal Abitur gemacht haben, sondern die sich Nylonkittel überzogen und geradewegs ins Arbeitsleben eintraten, nicht, um die Karriereleiter hochzusteigen und anderen auf Finger und wehe Zehen zu treten, sondern schlicht und ergreifend, um Regale einzuräumen, um Paletten oder Kartons ins Lager oder aus dem Lager zu tragen, und nicht zuletzt, um die Waren in die Kasse einzugeben, um Geld und Plastikkarten entgegenzunehmen und dafür zu sorgen, dass die Kundschaft, wir anderen, ihr Wechselgeld erhält, oft mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. Ich kann mich noch an die Kassiererinnen im Zentrum in der Satellitenstadt erinnern, wo ich aufgewachsen bin. Sie erschienen mir als die Tanten, um die die Wirklichkeit mich betrogen hatte. In allen Jahren begleitete ich meine Mutter auf ihrem festen Samstagseinkauf, als kleiner Junge, der noch kaum gehen konnte, und als erwachsener Mann, der seiner Mutter auf ihren allerletzten Runden beistand; inzwischen hatte ich die Einkaufskarre übernommen und Mutter trottete hinter mir her. In meinen Gedanken und Phantasien waren die Kassiererinnen und die Männer, die die Regale aufräumten, Mitglieder eines verschworenen Clans, einer Sekte, die Supermarkt oder Einkaufszentrum niemals verließen, sondern eine Art geheimnisvolles Campingdasein draußen in den großen Hallen fristeten, die man ab und zu hinter den schweren Plastikportieren für einen Moment sehen konnte, die Räume, in denen nach geheimen Systemen mit Gas betriebene Wagen Butter und Milch und Käse palettenweise hin und her frachteten, und wenn die Nacht sich über sie senkte, zündeten sie Feuer an, während die Tanten und die Aufräumjungen und die Männer, die oft ein wenig seltsam waren, mit langen Hälsen und Ohren, um das Lagerfeuer Ringelreihen tanzten, während andere Gitarre spielten und noch andere ihre Kastagnetten klappern ließen. Bis sich die Sonne über den Horizont erhob und es abermals Zeit wurde, Büchsen mit Makrele in Tomate und Kartoffeleintopf in die Regale zu stapeln. Ja, so vergingen die Tage und so vergingen die Jahre, und hier kauften alle Menschen aus unserem Block ein, und auch alle Menschen aus den anderen Blocks, wir aßen das Gleiche und wuschen mit Zalo ab, und niemand fand das auf irgendeine Weise seltsam, und es ist ja durchaus möglich, dass es auch nicht seltsam war, es kommt darauf an, wie philosophisch man veranlagt ist.

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