Kitabı oku: «Echo eines Freundes», sayfa 3

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Ich schlendere zwischen Regalen und Kühltresen, und ich bade in einem guten, Geborgenheit schenkenden Gefühl: Es sind die Segnungen der Ketten, die sich jetzt geltend machen. Alles neu, neue Winkel, neue Raumlösungen, und dennoch so wunderbar vertraut für einen wie mich, der schon länger einen Überblick über die Angebote bei Spar hat, über deren Vorzüge und Schwächen; man kann sich einfach klarmachen, dass alles stimmt. Das Angebot an Frischfleisch und -fisch ist zwar etwas bescheiden, aber die Auswahl in Gefriertruhe und -fächern ist mehr als gut genug für jemanden, der normalerweise nicht rund um die Uhr jammert und klagt. Ich registriere zudem ein nicht unwichtiges Detail: Hier herrscht eine ruhige und höfliche Stimmung. Es ist zwar erst halb zehn, aber dennoch. So etwas merkt man. Hier oben auf dem Hügel hat man keine hektischen U-Bahnpendler bei der Kundschaft, hier herrscht aller Wahrscheinlichkeit nach auch während der Arbeitszeit Ruhe. Eine Annahme, die mehr oder weniger bestätigt wird, als ich sehe, mit wem zusammen ich einkaufe. Hausfrauen in verschiedenen Altersstufen. Mit und ohne Kinder. Solche, die das Essen auf den Tisch stellen, wenn der Mann von der Arbeit kommt, so, wie es in meiner Kindheit Sitte und Brauch war, auch wenn wir bei uns zu Hause am Tisch keinen Gatten und Vater vorweisen konnten. In Grefsen ist es noch immer so. Denke ich. Und amüsiere mich bei der Vorstellung, was passieren würde, wenn ich das laut ausspräche, es in die rosa Gehörgänge flüsterte, von denen ich hier umgeben bin.

Ich lege Grundnahrungsmittel in den Wagen. Milch. Margarine. Ein dickes Stück Gouda. Eine Packung Pfeffersalami. Und so weiter.

Auf einen Impuls hin bleibe ich bei einem vertrauenswürdig aussehenden Mann stehen, der auf Knien liegt und Seifenpulverpackungen ins unterste Fach stellt. Er schaut ein wenig verängstigt zu mir hoch, als ich einfach anhalte und keine Anstalten mache, weiterzugehen.

Um die Lage nicht schwierig zu machen, frage ich freundlich, ob er sich vielleicht mit Schimmelpilzen und solchen Dingen auskennt.

»Schimmelpilzen?« Er erhebt sich zögernd.

Ich erkläre, dass ich in eine etwas unangenehme Situation geraten bin. Habe eben gleich hier um die Ecke ein Haus gekauft. Und jetzt stellt es sich heraus, dass die Mieterin in der Sockelwohnung im Badezimmer Pilzbefall entdeckt hat. Ich werde das natürlich dem Makler und dem ehemaligen Besitzer gegenüber zur Sprache bringen müssen. Aber was tun? Die Mieterin ist eine alte Dame. Ich will sie ja nur ungern warten lassen, und man kann doch nicht jedesmal, wenn etwas schiefgeht, Polen anrufen …

Wir wiehern jetzt beide. Das hier ist ein guter Supermarkt.

»Die Frage ist ja, ob Sie zu einem Fachgeschäft müssen«, sagt er zögernd. »Wie sieht das denn aus?« Er zieht sein Smartphone hervor.

Ich beschreibe den Pilz. Schwarze Punkte, die an einzelnen Stellen zu einer kompakten Masse zusammengewachsen sind. Ein bisschen wie Gelee. Glitschig.

»Ach, du meine Güte. Scheint ja echt Mist zu sein. – Und wir haben hier wie gesagt kein Spezialmittel gegen sowas … Mal sehen … Schimmelpilz … Ja. Sieht wirklich aus, als hätten Sie Schimmelpilz erwischt, ja.«

Ich erkläre, dass ich den Schimmelpilz nicht erwischt habe, sondern dass selbiger die ganze Zeit schon da war. Und dass der ehemalige Hausbesitzer ihn mir unterschlagen hat. Verschwiegen. Getarnt.

»Ja, ja. Egal wie. Das müssen Sie in Ordnung bringen. Kann für Atemwege und Augen gleichermaßen schädlich sein. Unnormale Müdigkeit. Kaum das Richtige für eine alte Dame.«

Ich spüre, wie sich meine Kehle zusammenschnürt.

»Aber Moment mal, hier steht, Sie können es mit Chlor versuchen.«

»Mit Chlor? Aber ist das denn nicht gefährlich?«

»Das ist nichts, was man sich so mal kurz hinter die Binde gießt, das nicht, nein. Gummihandschuhe. Führen wir auch. Und dann müssen Sie auf Ihre Augen aufpassen.«

Er wird jetzt dominierend und belehrend. Ich bin schon mein ganzes Leben lang von dieser Sorte von Männern umgeben. Solche, die wissen, wie alles Mögliche in Ordnung gebracht werden kann. Die wissen, wie es auf der Rückseite deines Kühlschrankes aussieht. Willst du dich hier etwa bei mir einschmeicheln, denke ich. Daraus wird aber nichts. Ich interessiere mich nämlich nicht für Pilzbefall, und für Fliesenlegen im Bad auch nicht. Aber das tut dieser Bursche. Das steht fest. Wenn ich diesen Mann frage, ob er Segen der Erde gelesen hat, wird er mich für schwul halten.

»Kaufen Sie immer hier ein?«

Ich: »Warum?«

»Ich kann mich mal für Sie erkundigen, wenn Sie wollen. Aber ich schlage auf jeden Fall vor, dass Sie es zuerst mit Chlor versuchen.«

Auf irgendeine Weise zaubert er eine grüne Plastikflasche hervor und legt sie vorsichtig in meinen Wagen. Als ob es sich um Sprengstoff handelte. Unaufgefordert wirft er eine Packung stählerner Topfschwämme und ein Paar Gummihandschuhe hinterher.

»Und wir passen auf die Augen auf, nicht wahr?«

Pass du lieber selbst auf, denke ich, und lächele gerade so falsch, wie mein Gewissen es mir erlaubt.

Ich darf nicht vergessen, dass ich ihn angesprochen habe. Nicht umgekehrt.

Die Stimme des Psychologen, irgendwo hinter dem Hügelkamm.

Das hier ist ein ziemlich kleiner Spar. So klein, dass zwei Kassen reichen. Bedient von zwei dazugehörenden Kassiererinnen. Mir kommt das wie gerufen. Und ich sehe es ja sofort. Dass hier die Rede ist von zwei erwachsenen, sympathischen Frauen. Nicht von unsicheren Teenagern, die Kaugummi kauen und bis über sämtliche Ohren tätowiert sind, sondern von Mädels von um die fünfzig, die wissen, was sie wollen, und das in jeder Beziehung. Wieder werde ich daran erinnert, wie wichtig es ist, sich an einen festen Supermarkt halten zu können, die vertrauten Waren in den Regalen, dasselbe Personal zwischen Regalen und Truhen, und die vertrauenerweckenden freundlichen Frauen an den Kassen. Wenn ich einkaufen gehe, wähle ich zugleich meine Frau, denke ich mit einem heimlichen Lächeln. Die an Kasse 1, oder die an Kasse 2. Nicht, weil die andere nicht ebenso reizend und nett sein kann wie die eine, sondern ganz einfach, weil die Situation das verlangt. Weil man seine Waren nicht an zwei Kassen zugleich bezahlen kann. Die üppige Rothaarige muss nun der ein wenig Geheimnisvollen mit den rabenschwarzen Haaren weichen, der mit der leicht übertriebenen Schminke. Ein bisschen nach Schlampe sieht sie aus, aber nur ein bisschen. Absolut innerhalb der Grenzen. Und – so tröste ich in Gedanken die Rothaarige – an einem anderen Tag wird die Wahl auf dich fallen. Solche Dinge hängen oft mit der Tagesform zusammen. Gerade jetzt reitet mich eine gewisse Tollkühnheit, nach dem Gespräch hinten bei den Reinigungsmitteln. Eine Prise Adrenalin, die mich zu der mit den schwarzen Haaren und dem grünen Lidschatten treibt. Beim nächsten Mal können Trost und Vertrauen angesagt sein, und dann wird es natürlich der Rotschopf. Die Rote mit der Sahnehaut und den niedlichen Sommersprossen am Hals. Ob die beiden wohl gute Freundinnen sind? Sicher. Wilde Zankereien in Pausenraum oder Umkleidezimmer kommen hier wohl kaum vor. Dennoch habe ich das Gefühl, dass sie in der Freizeit nicht viel miteinander zu tun haben. Vielleicht ab und zu mal ein Kinobesuch, aber mehr bestimmt nicht. Dazu sind sie zu verschieden. Die Schwarzhaarige strahlt etwas aus von »ein bisschen Spaß auf der Dänemarkfähre«, während die Rothaarige eher die Sorte ist, die zu Hause in Trainingshose und Garfield-T-Shirt herumpusselt. Ja, solche Gedanken macht man sich doch, wenn man in der Warteschlange steht. Würde die Rote irgendeine Form von Eifersucht entwickeln, wenn ich mich immer für die Schwarze entschiede (die ich im selben Moment Pikdame taufe)? Kaum. Dazu sind sie zu professionell. Es piept und blinkt rot, während sie mit großer Autorität die Strichcodes über den Scanner ziehen. Ohne dabei den Kontakt zum Kunden zu verlieren. Routiniert. Die ganze Zeit werden Lächeln und freundliche Worte gewechselt, und als Neuankömmling merke ich rasch, dass hier vor allem von Stammkundschaft die Rede ist. Bald werde ich auch dazugehören.

Ja, was wissen die Kassiererinnen wohl alles über den Kunden und das Leben, das er führt? Jahraus jahrein sitzen sie da und geben die gleichen Waren ein. Sie wissen, was jeder Einzelne sich einverleibt, um das Blut durch die Adern kreisen zu lassen. Mit welcher Seife sich die Kundschaft bevorzugt wäscht. Ach ja, da kommt die mit dem extraweichen Toilettenpapier. Ja, ja. Hoffentlich gibt sich das demnächst mal. Schon wieder eine neue Zahnbürste? Will er das nicht mal bald reparieren lassen? Bier an einem normalen Montag? Die Frage ist ja doch, ob du nicht mal mit den Kartoffelchips aufhören solltest, du Tonne.

Aber kein böses Wort. Nur freundliches Lächeln und Smalltalk im Vorübergehen.

Für Zurechtweisungen und solche Dinge sind andere zuständig.

Pikdames eigentlicher Name ist T. Karlsen.

Schlicht und einfach, ohne Übertreibungen.

5
Schimmelpilz

Ich kann nicht schlafen. Ich wälze mich im Halbdunkel von einer Seite auf die andere, mit einem fremden Geschmack nach Pilzsporen auf der Zunge. Es fängt schon auf dem Rückweg vom Spar an. Ein Gefühl, von winzigen lebenden Organismen besetzt zu sein. Und noch dazu in die Falle gelockt. Ich höre immer wieder die Stimme des Ladenangestellten in meinem Hinterkopf widerhallen: Schimmelpilz im Zimmer. Atemwegsirritation. Gereizte Augen. Unnormale Müdigkeit.

Ich fühle mich unnormal müde. Und furchtbar irritiert in Atemwegen und allem möglichen anderen. Ich würde am liebsten die Einkaufstüten loslassen und umsinken. Aufgeben. Kann plötzlich den Gedanken an die unschuldige Adresse dort hinten nicht ertragen. Fiolvei 5. Die dunkle, feuchtkalte Wohnung, in der mich dieses Unaussprechliche erwartet. Der schwarze Pilz mit der geleehaften Konsistenz. Pilze haben etwas Geheimnisvolles an sich. Etwas Außerirdisches und Böses. Ich versuche, mich mit einem Choral aufzumuntern, aber das hilft nichts. Ab und zu helfen einige Runden »Ein’ feste Burg ist unser Gott«, aber heute nicht. Ich lächele die an, die mir entgegenkommen, aber ich habe nicht den Eindruck, dass sie das Lächeln erwidern. Ich weiß, dass ich mir und anderen gegenüber ungerecht bin, aber es hilft nichts. Der Schimmelpilz hat mich gefangen und in einen tiefen finsteren Keller eingesperrt. In einen Abgrund.

Zu Hause angekommen, räume ich meine Lebensmittel in Schränke und Schubladen ein, die Chlorflasche aber bleibt auf dem Küchentisch stehen. Ich kann den Gedanken, das unterirdische Fritzl-Schlafzimmer zu betreten, nicht ertragen. Vom Badezimmer ganz zu schweigen. Am Ende rettet mich dann aber doch nichts mehr; so lange es hell ist, wage ich es nicht, in den Garten zu pissen. Ich bleibe auf dem kühlen Kunststoffring sitzen und kneife meine irritierten Augen zu. Wieder werde ich von der unnormalen Müdigkeit überwältigt, und irgendwann schlafe ich auf dem Sofa im Wohnzimmer ein.

Als ich aufwache, ist es ein bisschen besser. Ein bisschen. Nach einer Weile gehe ich hinaus in den Garten und drehe dort eine Runde. Und spüre es sofort. Dass dieser Gartenfleck mein Freund werden wird. Die kühle Herbstluft tut mir gut. Ich streiche mit den Händen über die Rinde der alten Apfelbäume und glaube, freundliche Energie zu spüren. Ich gehe zur Tür der Sigurdsbude. Abgeschlossen. So ist es gut. So ist es besser. Die verschlossene Tür schenkt mir Ruhe und Frieden. Durch die Kiefernhecke hindurch kann ich sehen, dass hinter dem Küchenfenster der Meijern Licht brennt. Ich denke jetzt so an sie. Die Meijern. Die Gegenseite. Wenn ich mich umdrehe, sehe ich oben im Wohnzimmerfenster bei Frau Frimann-Clausen Fernsehflimmern. Ich bringe es irgendwie noch nicht ganz über mich, sie Annelore zu nennen. Ich gehe um die Hausecke, bleibe in dem engen Durchgang zwischen der Hauswand und dem hohen Zaun stehen und hyperventiliere. Das hilft. Darüber, was sich hinter diesem Zaun verbirgt, ist mir bisher noch keinerlei Information geliefert worden. Gut so. Man soll auch nicht alles auf einmal bekommen oder ertragen müssen.

Zum Essen mache ich mir zwei Spiegeleier und brate einige Würstchen. Nach dem Essen springe ich auf und ziehe die rosa Gummihandschuhe über. Reiße die Plastikflasche mit dem Chlor an mich und gehe wütend und entschlossen ins Schlafzimmer. Hier muss ich den Anfang machen. Weil der Befall im Schlafzimmer im Vergleich zu den Zuständen im Badezimmer relativ belanglos ist, und weil das hier trotz allem der Raum ist, in dem ich in Zukunft schlafen werde. In Zukunft? In der Zeit, die mir noch zum Leben bleibt.

Mir kommen die Tränen. Ich bin noch nicht daran gewöhnt, auf diese Weise zu denken. Dass ich jetzt in das Absolute eingetreten bin. Das Endgültige. Dass dieses Schlafzimmer meine letzten Träume auf dieser Erde beherbergen wird. Und da stehe ich nun und bin durch und durch hilflos.

Doch da und dort erbarmt Gott sich meiner. Es ist nicht so, dass er vorhat, mir auf irgendeine Weise behilflich zu sein, aber jetzt darf ich wenigstens über mich lachen. Mich selbst von außen sehen. Denn was hatte ich eigentlich mit dieser Chlorflasche vor? Den lebensgefährlichen Inhalt die Wände hochspritzen? Versuchen, den Pilz zu erreichen, der sich hoch oben an die Deckenleisten klammert? Tatsache ist, dass ich Hilfe brauche. Obwohl ich statt einer Mängelliste eine Lobesliste abliefern wollte, werde ich das hier Annelore Frimann-Clausen gegenüber zur Sprache bringen müssen. Daran führt kein Weg vorbei. Das flüstert mir Gott ins Ohr, als ich hier stehe. Das ist meine Lektion für diesen Abend.

Ich stelle die Chlorflasche in den Küchenschrank und mache mir eine Kanne Tee. Sehe mir im Fernsehen eine Diskussionssendung an. Über unerlaubtes Fehlen in der Schule.

Aber was ist mit der Zeit bis zum letzten Sonntag im Monat, denke ich jetzt, während ich mich im Bett von einer Seite auf die andere wälze. Der Gedanke an das unbesetzte Sofa im Wohnzimmer wirkt ungeheuer verlockend, aber ich mache mich hart. Wenn ich erst einmal so anfange, werde ich bald mit dem Rücken zur Wand stehen, und das aus eigener Schuld. Wenn ich anfange, auf dem Sofa im Wohnzimmer zu schlafen, wird das Schlafzimmer bald verlorenes Terrain sein. Mit solchen Dingen habe ich Erfahrung. Ich möchte im Bett lesen, aber die Glühbirne in der Nachttischlampe ist durchgebrannt; ich darf nicht vergessen, eine neue zu kaufen, ich muss schon morgen Pikdame aufsuchen, und es hilft, an sie zu denken. Aber der Geschmack ist noch da. Der widerliche Geschmack von Pilzsporen, die in meiner Mundhöhle keimen und gären, und als ich endlich einschlafe, will sie mich in einem Traum voller Scham küssen; ich halte mir die Hand vor den Mund und laufe über eine Wiese, mit ihrem Hohngelächter in den Ohren, aber dann kommt endlich die schwere, segensreiche Dunkelheit, der tiefe Abgrund von gesundem nährenden Schlaf.

Und als ich aufwache, sind alle Akkus aufgeladen. Ich liege ganz still im Bett und finde, dass alles wunderbar läuft. Das hier habe ich übrigens aus einem Buch gelernt, das ich einmal aus der Bibliothek ausgeliehen hatte. Titel und Autor sind längst über alle Berge, aber Bruchstücke des Inhalts habe ich in die Gedächtniszentrale heruntergeladen. Fangen Sie in dem Augenblick an, in dem Sie erwachen. Kommen Sie sofort zur Sache. Nicht der morgige Tag soll schön werden, sondern der heutige. Wenn man die Augen aufschlägt, ist es wichtig, an der schlichten Tatsache festzuhalten, dass der Tag schon seit mehreren Stunden gut und sinnvoll ist. Während man dort liegt und schläft, streicht ein frischer Wind durch die Kiefernhecke und die Zweige der alten Apfelbäume im Garten. Man liegt da und tut keiner Fliege etwas zuleide. Hat noch nicht eine einzige abschätzige Bemerkung gemacht. Und auch keine düsteren Prophezeiungen oder sinnlosen Beschuldigungen. Und wenn ich dann richtig aufwache: die Gewissheit, dass etwas Wunderbares bevorsteht. Man wartet nicht, sondern weiß es einfach. Es steht bevor. Ich habe einige Male in meinem Leben neu angefangen, aber diesmal ist es etwas Besonderes. Etwas ganz eigenes. Es ist natürlich eine Frage des Alters. Der Lebenserfahrung. Und des Gewichts, das in der Tatsache ruht, dass das Leben bald zu Ende sein wird. Das gibt Perspektive und Motivation. Man kann sich wirklich dazu entschließen, mit dem Leben, so, wie es ist, zufrieden zu sein. Wer diese Wahl trifft, wird unverzüglich eine tiefe Erleichterung registrieren können. Oder zumindest eine gewisse Linderung.

Ich schlage die Augen auf und ziehe mich an. Genieße das Gefühl der Kleidungsstücke, die meinen Leib umschließen. Und das wohlige Empfinden, physisch und sinnlich auf der Welt anwesend zu sein. Das da, oben unter der Decke? Nichts. Rein gar nichts. In der Wohnküche strömt die Herbstsonne durch die Fenster, und draußen im Garten tropft es von Bäumen und Gewächsen; ein nächtlicher Regenguss war bei mir zu Gast, er kam und ging, während ich schlief. Frühstück. Ich schlage das Ei auf, es zischt in der heißen Pfanne, ich sehe das Huhn vor mir. Es hatte das Glück, in eine freilaufende Population hineingeboren zu werden, der Bauer Henrik Smestad hat die KZ-ähnlichen Verhältnisse satt, die bei den Eierproduzenten dieses Landes herrschen, jetzt wollen er und seine Frau Vibeke sich umstellen, von nun an sollen die Eier auf ihrem Hof von glücklichen Hühnern stammen, die fast nach Belieben durch die Gegend spazieren. Eine himmelsstürmende Veränderung im Leben der Tiere, die jetzt kein armseliges Dasein in stinkender Dunkelheit und keinen frühen Tod mehr fürchten müssen, sondern die im Sonnenschein umherstolzieren und unter Büschen und Bäumen kleine Liebeseier legen können. Eier, die dann behutsam weitergetragen werden, zuerst von der fünf Jahre alten Tochter Trine des Ehepaars Smestad, die sie unter der milden Aufsicht der Mutter ordentlich in den gefütterten Korb legt, dann vorsichtig auf weichen Gummireifen in Richtung Stadt gefahren, wo eingeweihte Männer und Frauen warten, da kommen die Landeier, die Dankbarkeitseier der freilaufenden Hühner, und die Frauen tragen sie ins Haus, fahren sie in den Laden hinüber, und nun komme doch tatsächlich ich anspaziert, ich schnappe mir im Vorübergehen mit großer Selbstverständlichkeit eine Sechserpackung, ehe ich die Dame an Kasse 1 ansteuere, T. Karlsen, die ich in Gedanken Pikdame getauft habe. Die so geheimnisvoll und verführerisch lächelt, wie sie dort auf ihrem runden, weichen Hintern sitzt.

Das Spiegelei wird nun auf einer frisch abgeschnittenen Scheibe Kneippbrot angerichtet, auf dem ich schon vorher zwei Scheiben Käse vom Typ Gouda ausgelegt habe. Das heiße Ei schmilzt in die Oberfläche des Käses ein, wird damit eins, gewissermaßen, ich salze und hebe Messer und Gabel.

Gleichzeitig draußen im Garten: Ein Grauspatz tschilpt in der Kiefernhecke.

Das ist Glück.

Später laufe ich im Zimmer hin und her und spiele ein wenig mit einem Gedanken. Im erwähnten Selbsthilfebuch wird dem Leser geraten, den Tag mit einem Projekt zu füllen, einer konkreten Handlung, die zunächst wenig verlockend wirkt. Es kann etwas so Alltägliches sein wie in einem Zimmer aufzuräumen, das man einige Wochen oder Monate lang seinem eigenen Schicksal überlassen hat. Oder den Anruf beim Finanzamt zu tätigen, den man auf- und auf- und aufgeschoben hat. Wenn man etliche Bücher dieser Art gelesen hat, weiß man so nach und nach, worum es geht. Im Kleinen anfangen. Sich winzige Siege erkämpfen, um dann zu expandieren. Sich in ein neues Selbstgefühl hineinarbeiten. Na gut. Es ist leicht und verlockend, sich über solche Literatur lustig zu machen, aber meine Erfahrung besagt, dass viele dieser Autoren doch allerlei zu bieten haben. Deshalb überlege ich mir nun ein Projekt. Irgendetwas, vielleicht eine kleine Übung, mit der ich den Tag füllen kann. Der Schimmelpilz ist zu umfassend. Ich werde fachkundige Hilfe brauchen, das steht fest, auch jetzt bei Tageslicht. Außerdem werde ich dem Protokoll folgen, wenn es darum geht, die Angelegenheit der Hausbesitzerin gegenüber zur Sprache zu bringen. Es wird am letzten Sonntag im Monat geschehen, es liegt also noch ein Stück in der Zukunft. Bis dahin muss ich mich mit der Lage abfinden, selbst wenn damit ein gewisses Risiko für Gesundheit und Wohlbefinden verbunden ist. Ein wichtiges Projekt von nun an wird sein, der Versuchung zu widerstehen, mich aufs Sofa zu legen, wenn die Nacht hereinkriecht. Aber zuerst der heutige Tag. Das ist ja eigentlich ziemlich einleuchtend. Gestern Vormittag musste ich mich gewaltig zusammennehmen und etliche alberne Rituale durchführen, um mich am Küchenfenster der Vermieterin vorbeizutrauen. Jetzt sage ich mir halblaut, dass es so wirklich nicht weitergehen kann. Sich nach Belieben zwischen Wohnung und Außenwelt hin- und herbewegen zu können, gehört zur eigentlichen Grundlage für ein selbstständiges Dasein an einer privaten Adresse. Nein, mein Guter, so kann das nicht weitergehen. Das musst du in den Griff bekommen, und zwar sofort. Ein Beispiel wie aus dem Selbsthilfebuch entsprungen. Ich sehe die Kapitelüberschrift vor mir: »Der schwierige Weg zum Briefkasten«. Und muss gleichzeitig ein bisschen lachen. Es ist wichtig, das hier mit einem gewissen Humor auszuführen.

Den Briefkasten mit einem Menschen zu teilen, der für den Moment noch wildfremd ist, ist auch etwas, woran ich mich gewöhnen muss, denke ich, während ich mir die Schnürsenkel zubinde. So weit ich sie aufgrund von Sprache und Aussehen beurteilen kann, haben wir es hier mit einer typischen Aftenposten-Abonnentin zu tun. Was also, wenn mein tägliches Exemplar von Dagsavisen anfängt, den Weg in den einzigen Briefkasten an dieser Adresse zu finden? Naja. Man soll die Probleme nehmen, wie sie kommen. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist einer der Chefredakteure von Aftenposten ein ehemaliger Maoist. Einer von denen, die 1974 gegen Norwegens demokratisch gewählte Regierung zu den Waffen greifen wollten. Das verdient ein feines kleines Lachen.

Ich gehe mit raschen Schritten die Treppe hoch, ich biege um die Hausecke, ich zögere nicht, mein Plan ist es, diese Tour in einem einzigen Zug hinzulegen. Als ob das passierte, während sich das Ei unten in der Sockeletage im Fett der Pfanne spiegelt. Ich laufe fast, es ist die erste Trainingsrunde des Tages. Aber soll ich mein Gesicht dem Küchenfenster und dem Raum dahinter zuwenden, oder soll ich es lassen? Ist es nicht unhöflich, einfach so vorüberzurennen? Ist es nicht noch unhöflicher, zu ihr hineinzuschauen? Was, wenn sie sich in einer Situation oder Position befindet, die mich als Mieter nichts angeht? Ein wenig entmutigt bleibe ich bei der Mülltonne stehen. Die ich dann öffne, und nun gebe ich vor, eine Tüte voll Abfall hineinfallen zu lassen. Es ist ein schöner Tag, das steht immerhin fest. Sonne und blauer Himmel. Ein wenig Wind. Die Baumkronen wiegen sich. Hinten beim Tor ahne ich durch die farbenfrohen Zweige der Berberitze den grünen Briefkasten. Das ist das Ziel. Es ist absolut in Reichweite. Ich lasse die Mülltonne los und segele, den Blick auf den Briefkasten gerichtet, durch den Garten hinter dem Haus, es ist fast wie im Traum. Und wie erwartet: leer. Geleert. Es wird noch einige Tage dauern, bis Dagsavisen eintrudelt, sie haben etwas von einer Woche angedeutet.

Das Wichtigste war ja eigentlich der Weg, denke ich, das ist ein bisschen altklug, aber jetzt habe ich es wenigstens hinter mir. Ich freue mich auf einen Tee. Vielleicht eine gute Radiosendung.

Aber das Schicksal will es anders. Auf halber Strecke zur Tür muss ich feststellen, dass diese aufgleitet und dass Annelore Frimann-Clausen auf die Treppe tritt, gewandet in die sportliche Allwetterjacke, die mir gleich bei meinem Eintreffen aufgefallen ist. Vernünftige Spazierschuhe trägt sie außerdem.

»Die Post kommt selten vor eins«, kann sie mitteilen. Sie sagt es halb über ihre Schulter, während sie die Tür hinter sich abschließt. »Aber du, eine Kleinigkeit noch …«

Jetzt kommt es, denke ich. Denn wenn jemand einen Satz auf diese Weise anfängt, dann geht es nur höchst selten um Kleinigkeiten. Ich würde am liebsten eine Verabredung vorschützen, aber dann reiße ich mich zusammen. Hätte ich dreißig Sekunden mit dem Verlassen der Wohnung gewartet, hätte diese Begegnung nicht stattgefunden. Und da gehe ich doch davon aus, dass sie vom Schicksal so bestimmt worden ist. Dass es so sein soll.

Sie macht sich an ihrer Handtasche zu schaffen und zieht einen kleinen Schlüssel hervor. »Der ist für die Sigurdsbude. Du kannst ja bei Gelegenheit mal einen Blick reinwerfen, es eilt nicht. Aber irgendwann vor Weihnachten hätte ich sie gern geleert.«

Sie erklärt, dass sie mich für diese Arbeit natürlich bezahlen wird. Dass aller Inhalt, abgesehen von Werkzeug und Hobelbank, weggeworfen werden soll.

Ich nehme den Schlüssel ein wenig widerwillig entgegen. Waren das nicht Befehle und Informationen, die sie bei einer schmackhaften Mahlzeit am letzten Sonntag im Monat vortragen wollte? Hat sie das schon vergessen? Wäre es richtig von mir, das jetzt sofort zu erwähnen, oder wird von mir erwartet, dass ich bis zum erwähnten Sonntagsessen in Schweigen verharre?

Sie muss mein Zögern gesehen haben, denn nun fügt sie rasch hinzu: »Ja, ich kann natürlich andere darum bitten. Du darfst das wirklich nicht missverstehen. So bin ich absolut nicht. Aber den Schlüssel brauchst du doch trotzdem. So. Das war schon alles. Und jetzt muss ich laufen, damit ich den Bus noch erwische.«

»So«, denke ich. »So bin ich nicht.«

Sehe, wie sie über den Bürgersteig eilt. Sie winkt.

Ich winke zurück.

Plötzlich erfüllt mich wieder diese unerwartete Freude. Hier stehe ich in einem Garten in Grefsen und winke und winke. Mit einem blanken Schlüssel in der Hand.

Das Leben ist wunderlich und unvorhersagbar.

»So bin ich nicht«?

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