Kitabı oku: «Das dritte Kostüm», sayfa 4

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„Es tut mir leid, dass wir beim Essen stören. Wir sind von der Kriminalpolizei Mühldorf und müssen Ihnen leider mitteilen, dass wir Katharina Zirbner tot aufgefunden haben.“

„Die Kathi is tot?“, rief Sepp Zirbner aus, schlug die Hände vors Gesicht und setzte sich erst einmal, denn der riesige Mann drohte augenblicklich umzukippen.

Der junge Mann am Tisch starrte Leo nur an, er schien nicht zu begreifen.

„Des hat des Flitscherl davo,“ rief die alte Frau aus. „Die hat net gern gearbeitet, und auch net guad. Sie wollt wieder weg von hier, zurück nach Russland, wo sie auch hinghört. Es hat ihr hier nicht gefallen, als ob es in Russland besser wär. Es is guad, das des Flitscherl weg is.“

„Halt den Mund“, rief Sepp Zirbner und wollte auf die alte Frau los, aber Hans hielt ihn zurück.

„Is doch wahr. Die Kathi hat immer gmeint, sie wär was Besseres. Hier auf dem Hof war ihr alles zu dreckig, sie wollt im Grunde nix damit zu tun haben. Sie hat meinen Sepp angefleht, abends wegzugehen und wollt sich amüsieren, anstatt anständig zu leben und zu arbeiten. Es ist lange her, dass sie in der Kirche war. Sie hat immer gsagt, dass das nicht ihr Gott wäre und sie einen anderen Glauben hat. Aber sie war nun mal mit meinem Sepp verheiratet und hat hier gelebt. Da muss man sich halt anpassen. Was hat sie sich denn vorgestellt, als sie von Russland kam und den Sepp geheiratet hat? Sie hat doch gewusst, dass er Bauer ist und die Arbeit nie ausgeht. Der liebe Gott hat sie bestraft.“

„Halt endlich dein Maul Mutter“, schrie Sepp Zirbner verzweifelt. „Die Kathi war jung, das Leben hier war ihr fremd, irgendwann hätte sie sich vielleicht doch eingelebt. Und sie hat sich angestrengt, ihre Arbeit so gut wie möglich zu machen, aber dir kann man es nun mal nicht recht machen, du hast die Kathi immer nur beschimpft. Und glaub ja nicht, dass ich nicht gesehen habe, dass du sie geschlagen hast.“

„Des hot ihr ned geschadt, die paar Renner sind ned der Red wert! Sie war halt langsam und i hob sie a bisserl antriebn, mehr ned. I bin 79 Jahre alt und muss in meinem Alter immer noch aufm Hof helfen. Wenn du a richtige Frau gheirat hättst, müsst i des längst nicht mehr. Wenn das dein Vater wüsst, Gott hab ihn selig, der würd sich im Grab rumdrehen. Eine Russin als Bäuerin, des konnt ja ned gutgehen. Ich sag Ihnen was,“ wandte sie sich an Leo nun betont hochdeutsch. Er stand dicht neben ihr und konnte nicht fassen, was die Alte von sich gab, „Als die Kathi auf den Hof kam und mein Sepp sie vorgestellt hat, habe ich sie verflucht. Ja, Sie hören richtig, ich habe ihr die schlimmsten Flüche entgegengeworfen. Ich hab den Krieg als Kind erlebt und die Russen waren schlimm, sehr schlimm, heute will das natürlich keiner mehr wissen. Die Grenzen sind für alle offen und diese Barbaren können ungehindert in unser Land kommen und alles legal an sich reißen. Ich wollt keinen Russen im Haus haben und mein Bub bringt einfach eine von dem Gsindel mit. Und jetzt hat der liebe Gott uns von der Russin erlöst, er hat meine Gebete erhört. Hätte mein Sohn damals die Maria vom Nachbarhof geheiratet, wäre alles gut gegangen. Aber mein Sepp wollt die Maria nicht haben. Gut, sie war recht schiach, is sie auch heit noch. Aber sie kann arbeiten und wäre richtig für den Hof gewesen.“

Der Redeschwall der Alten wurde durch einen langen, durchdringenden Schrei des jungen Mannes unterbrochen, der sich dabei auch noch die Ohren zuhielt. Sepp Zirbner sprang auf und sprach beruhigend auf den Mann ein, während die Alte sich ein Stück der Wurst abschnitt und seelenruhig weiteraß.

„Der Karl ist ned ganz richtig im Kopf,“ sagte die Alte mit vollem Mund. „Des is des Balg meiner Tochter, wer der Vater is, weiß man ned. Sie wollt den Karl in ein Heim gebn, weil bei ihm im Alter von 5 Jahr festgstellt wordn is, dass er a Depperl is. Des hab i scho immer gsagt, aber mir wollt keiner glauben. Aber der Sepp hat ned duldet, dass der Karl in ein Heim kommt. Er hat a viel zu weiches Herz, von mir hat er des ned! Er hat den Karl eines Tages einfach hier auf den Hof bracht, des ist jetzt schon über 12 Jahr her. Auch wenn das mein Enkel ist, ghört der ned hierher, man muss sich vor den Nachbarn scho schämen. Aber was soll ich machen? Dem Sepp gehört der Hof und er entscheidet. Obwohl ich zugebn muss, dass der Karl ein guter Arbeiter is. Trotzdem wäre es mir lieber, wenn er nicht hier wär. Die Schand ist einfach zu groß. Überall wird man auf den Karl angsprochen. Schrecklich.“

„Halt endlich dein Maul, sonst jag ich dich endgültig vom Hof,“ sagte Sepp Zirbner nun, woraufhin die Alte nur laut lachte.

„Es steht im Erbvertrag, dass ich hier ein lebenslanges Wohnrecht hab, des hat der Vater so festglegt. Ich hab schon oft gsagt, dass du mich nie los wirst. Ich bleibe so lang hier, bis i stirb.“

„Entschuldigen Sie meine Mutter, sie ist ein böses Weib und in ihrem Alter wird sie sich auch nicht mehr ändern. Wie ist die Kathi gestorben?“ Die Stimme des riesigen Mannes war nun leise und er sah Leo traurig an.

„Sie lag am Pestfriedhof. Sie wurde betäubt und dann mit einer Überdosis Insulin getötet. Gibt es Insulin auf Ihrem Hof? Ist jemand von Ihnen zuckerkrank?“

„Nein, keiner. Und Medikamente haben wir auch nur sehr wenige, Sie können sich gerne unsern Medizinschrank im Bad ansehen.“

„Nicht nötig, ist schon gut,“ sagte Leo, der immer noch von dieser alten Frau und ihrer bösen Zunge geschockt war. Wie schlimm muss das Leben sein, wenn man Tag und Nacht mit einem solchen Drachen zusammenleben muss? „Sie besitzen Vieh?“

„Ja, wir haben Rinder, 120 Stück.“

„Donnerwetter,“ sagte Hans, der nachvollziehen konnte, was das für eine Arbeit für zwei Männer sein musste. „Werden die mit Medikamenten behandelt?“

„Nein, auf keinen Fall. Ich habe schon vor Jahren auf Biobetrieb umgestellt und da sind die Vorschriften sehr streng. Keine Medikamente! Sie können gerne unsere Unterlagen einsehen, den Tierarzt befragen oder Blutproben unserer Tiere entnehmen. Sie werden keine Medikamente nachweisen können, meine Tiere sind absolut sauber. Ich verabscheue diesen Mastwahn auf der ganzen Linie und weiß nicht, wo das noch hinführt. Gesunde Tiere werden mit künstlichem Futter und Medikamenten zugrunde gerichtet, es zählt nur noch das Schlachtgewicht, mehr nicht. Ob das Fleisch für die Verbraucher irgendwann negative Folgen haben wird, ist doch der Fleischindustrie vollkommen egal. Statt diesen Wahnsinn zu durchbrechen, werden immer neue Auflagen und Gesetze geschaffen, die kein Mensch braucht. Man muss doch nur seinen gesunden Menschenverstand einsetzen und die Tiere artgerecht halten und füttern. Dann haben wir qualitativ hochwertiges und gesundes Fleisch. Aber bei uns hat nicht der Verbraucher das Sagen, sondern die großen Industriekonzerne, die die Verbraucher so lange mit ihrer Werbung, angeblichen Qualitätsmerkmalen und Laboruntersuchungen zutexten, bis sie es schließlich glauben. Für mich gibt es nur die Biohaltung, die sehr teuer und aufwändig ist. Aber für mich gab und gibt es nur diese Möglichkeit, meinen Hof zu führen.“

„Für mi is des immer no a Schmarrn mit dem Biozeigs, aber mi fragt ja keiner. Früher hätts des net braucht. Aber der Sepp is der Chef, i halt mi da raus.“

„Halt endlich deinen Mund Mutter, der Kommissar fragt mich und nicht dich. Du verstehst sowieso nichts davon, obwohl ich es dir schon so oft erklärt habe. Wann wurde die Kathi getötet?“

„Am Freitagnachmittag. Haben Sie Ihre Frau nicht vermisst?“

„Natürlich habe ich sie vermisst. Sie ging ab und zu mit einer Freundin weg, außer ihr hatte sie keine sozialen Kontakte. Die Kathi musste ab und zu raus, sich amüsieren, unter Leute gehen und etwas anderes sehen und hören, das habe ich immer verstanden und auch unterstützt. Sie hätte es gerne gehabt, wenn ich sie begleitet hätte, aber das war mir zu anstrengend, ich war einfach zu müde dazu. Ich gönnte ihr die Auszeit und vertraute ihr, oft war sie ja nicht weg. Und natürlich nur, wenn meine Mutter im Bett war, sonst hätte die wieder geschrien und gezetert. Ich habe gehofft, dass meine Frau sich irgendwann einlebt und mich versteht, dass ich einfach nicht anders kann. Am Sterbebett habe ich meinem Vater versprechen müssen, dass ich mich um den Hof und um die Mutter kümmere. So ein Bauernhof ist nicht leicht zu führen. Morgens früh raus, den ganzen Tag schuften – da ist man am Abend müde und will nur noch seine Ruhe. Wenn ich ehrlich bin, habe ich davor Angst gehabt, dass sie irgendwann wieder geht, denn ich konnte sie verstehen. Das war kein Leben für sie. Sie war sehr belesen, liebte klassische Musik und war früher als Kind mit ihren Eltern weit gereist. Sie kannte Länder, von denen ich noch nie gehört habe und hat mir stundenlang mit leuchtenden Augen davon erzählt. Ich habe längst begriffen, dass die Kathi für ein anderes Leben geboren war, nicht für das Leben auf einem Bauernhof. Aber ich wollte es nicht wahrhaben. Das Leben, das sie verdient hätte, konnte ich ihr nicht bieten. Immer nur die schwere Arbeit und kein Vergnügen, die Kathi war ja erst 30 Jahre alt und für dieses Leben viel zu gescheit und viel zu jung.“

„Zu jung? Des Flitscherl wollt ned arbeiten, war ein faules Weib. Mi hat doch früher auch keiner gfragt, ob i arbeiten will. Und als i den Vater gheiratet hab, war ich erst 21 Jahr alt.“

„Sie halten jetzt den Mund,“ schrie Hans die Alte an, dem nun endgültig der Kragen platzte. „Ihr Geschwätz ist ja unerträglich. Haben Sie denn überhaupt keinen Anstand oder einen Funken Verständnis für den Schmerz Ihres Sohnes? Er hat gerade erfahren, dass seine Frau ermordet wurde und sie reden nur dummes Zeug! Wenn Sie jetzt noch einen unqualifizierten Kommentar von sich geben, werde ich Sie auf der Stelle verhaften. Haben Sie mich verstanden?“

„Schon gut, ist ja schon gut, ich sag ja nichts mehr. Die Wahrheit will man nicht hören, das kenne ich schon von meinem Sohn. Aber wenn Sie wollen, bin ich halt ruhig.“

„Wir haben die Information, dass Sie Ihre Frau über eine Partnervermittlung kennengelernt haben?“

„Ja, ich weiß, wie das klingt und was man in Kastl für Blödsinn erzählt. Es ist nicht so, dass ich mir meine Frau aus dem Katalog rausgesucht hätte und sie dann sofort geheiratet und mit auf den Hof gebracht habe. Ich habe meine Frau geliebt, von ganzem Herzen – und meine Frau mich auch, da bin ich mir sicher. Niemals hätten wir geheiratet, wenn wir uns nicht lieben würden.“

„Wie lief das ab? Wie müssen wir uns das vorstellen? Wie sind Sie auf diese Partnervermittlung gekommen?“

„Bei einem Zusammentreffen des Bauernverbandes kam ich mit einigen Kollegen ins Gespräch. Wir haben uns darüber unterhalten, wie schwer es ist, als Bauer eine vernünftige Frau zu finden. Natürlich gibt es viele heiratswillige Frauen auf den Nachbarhöfen, aber auch wir wollen nicht irgendeine Frau, sondern eine fürs Herz und auch fürs Auge. Sie glauben ja nicht, welche Krautscheuchen rumlaufen, schrecklich!“ Bei dem Gedanken schüttelte es Sepp Zirbner und Leo musste aufgrund der Bezeichnung schmunzeln. „Einer der Kollegen,“ fuhr Zirbner fort, „hat mich dann zur Seite gezogen und mir von dieser Partneragentur in Waldkraiburg erzählt. Zuerst fand ich die Idee total verrückt und dachte ähnlich wie Sie und alle anderen. Die Vorstellung, dass man sich eine Frau quasi aus dem Katalog aussucht ist doch vollkommen irre. Aber die Idee keimte in mir und irgendwann war ich so weit, dass ich mir die Adresse der Agentur von dem Kollegen besorgt habe. Ich hab dort angerufen und wurde sofort freundlich eingeladen. Am nächsten Tag bin ich nach der Arbeit nach Waldkraiburg gefahren. Es war schon spät, aber die freundliche Frau hat mir versichert, dass sie extra für mich länger da bleibt. Vor der Agentur habe ich lange gezögert, habe all meinen Mut zusammengenommen und bin schließlich rein. Nach einem ausführlichen Gespräch bekam ich eine Mappe mit den hübschesten Frauen, die man sich vorstellen kann. Und alle würden liebend gerne einen deutschen Mann heiraten. Ich konnte mir das überhaupt nicht vorstellen. Jede einzelne dieser Schönheiten könnte ohne Probleme an jedem Finger zehn Männer haben. Aber die Angestellte hat mir versichert, dass das alles heiratswillige Frauen sind, die einen deutschen Mann suchen, da deutsche Männer in Russland einen sehr guten Ruf genießen. Sie gelten dort als ehrlich, liberal und fleißig – und als Garant für einen gesicherten Lebensstandard. Das klang für mich einleuchtend. Warum auch nicht?“ Sepp Zirbner machte eine kurze Pause und besah sich lächelnd seine Hände. „Ich habe mich sofort in das freundliche, hübsche Gesicht von Katharina verliebt. Nachdem ich sie gesehen habe, wurden die anderen für mich uninteressant, ich wollte nur die Katharina haben, sonst keine. Die Agentur hat dann alles in die Wege geleitet. Nach drei Wochen haben sie nochmal bei mir nachgefragt, ob ich immer noch an Katharina interessiert wäre. Und ob ich interessiert war. Ich habe Tag und Nacht nur noch an diese Frau gedacht. Katharina bekam zwischenzeitlich meine Unterlagen und war nach Aussage der Agentur-Mitarbeiterin zu einem Treffen und einem Kennenlernen bereit. Als die Mitarbeiterin der Agentur mir das mitteilte, war ich überglücklich. Ich konnte es kaum erwarten, bis ich sie endlich leibhaftig vor mir hatte und sie kennenlernen durfte. Nachdem alle Formalitäten erledigt waren und ich die Kosten für das Flugticket überwiesen hatte, konnte es endlich losgehen. Ich habe sie am Flughafen in München mit einem riesigen Blumenstrauß abgeholt. Ich weiß noch, dass ich nervös war wie ein Schulbub. Und dann stand sie vor mir und lächelte mich an. Sie war noch schöner als auf den Fotos. Für unser Treffen hat sie sogar einige Worte Deutsch gelernt, ich fand das richtig goldig. Wir mochten uns auf Anhieb und haben zwei Tage gemeinsam in München verbracht. Das war die schönste Zeit in meinem Leben.“

„Und der Karl und i haben die ganze Arbeit allein gmacht. Des erzählst ned, gell? Des is ned wichtig, dass dei alte Mutter zuhaus garbeitet hat, während sich der Herr Sohn mit dem Flitscherl in der Stadt vergnügt hat.“

Hans drohte ihr mit dem Finger und sie war sofort wieder ruhig.

„Wir haben dann einige Wochen fast täglich miteinander telefoniert. Anfangs nur holprig, aber Kathi hat fleißig Deutsch gelernt und so konnten wir uns immer mehr unterhalten. Dann konnte ich sie glücklicherweise dazu überreden, ihre Zelte in Russland abzubrechen und zu mir zu kommen. Als sie nach drei Monaten wieder in München gelandet ist, haben wir sofort geheiratet.“ Die warmen Worte des Witwers wurden durch seine Mutter abermals jäh unterbrochen.

„Sag den Polizisten, was das alles kost hat!“

„Das geht nur mich was an. Und wehe, du sprichst noch einmal über die Kosten. Ich bin alt genug und kann mit meinem Geld anfangen, was ich will. Und die Kathi war jeden Cent wert. Ich habe noch nie einen so lieben Menschen kennengelernt.“ Seine Mutter lachte laut los und schenkte sich ein weiteres Bier ein.

„Welchen Bezug hatte Ihre Frau zu Fasching?“

Die Großmutter holte wieder Luft und wollte erneut etwas sagen, aber Hans Hiebler zeigte ihr die Handschellen, woraufhin sie sofort verstummte.

„Ich weiß es nicht. Vermutlich keinen! Feiert man in Russland überhaupt Fasching? Ich weiß es nicht. Wir hatten so wenig Zeit miteinander, immer war die Arbeit auf dem Hof wichtiger. Für Karl und mich ist die Arbeit kaum zu bewältigen. Die Kathi hat uns zwar etwas entlastet, aber wir brauchen dringend männliche Unterstützung. Ich suche schon lange nach einer zusätzlichen Arbeitskraft, aber niemand möchte die schwere Arbeit machen. Fasching,“ wiederholte er und dachte nach. „Nein, mir fällt dazu nichts ein. Wie kommen Sie auf Fasching? Ist das wichtig?“ Sepp Zirbner sank in sich zusammen und war fix und fertig. Leo entschied, nicht weiter darauf einzugehen.

„Sie sprachen vorhin von einer Freundin Ihrer Frau. Kennen Sie sie?“

„Natürlich kenne ich sie, das ist die Milla, Name und Anschrift hängt dort an der Pinnwand. Sie war ein paar Mal hier, wobei sie sich regelmäßig mit meiner Mutter angelegt hat. Die Milla ist nicht auf den Mund gefallen und sagt, was sie denkt. Meine Mutter haben Sie ja kennengelernt.“

„Und Sie Karl? Wissen Sie etwas über die Kathi?“

Der 17-jährige Karl schüttelte heftig den Kopf. Er hatte bisher kein Wort gesagt, hörte aber interessiert zu.

„Ich hab doch gsagt, dass der Karl ned richtig ist im Kopf. Er versteht zwar a bisserl was, aber er spricht ned.“

„Wir müssen nach Ihrer aller Alibis fragen. Wo waren Sie am Freitagnachmittag zwischen 13.00 Uhr und 16.00 Uhr?“

„Ich war im Stall, eine der Kühe hat gekalbt und da gab es Komplikationen, der Karl war bei mir.“

„Zeugen?“

„Leider nein. Wir wollten den Tierarzt rufen, aber dann ist es doch ohne ihn gegangen.“

„Und Sie Frau Zirbner? Wo waren Sie in der fraglichen Zeit?“

„Wo soll i scho gwen sei? Hier natürlich! I bin immer hier, tagaus und tagein. Obwohl i meiner Lebtag immer garbeit hab, is mir auf die alten Tag keine Ruhe vergönnt. Die Russin hat sich immer einfach freignommen, da hat keiner was gsagt. Immer hab i ihre Arbeit übernehmen müssen. Na, i werd arbeiten müssen, bis i sterb.“

„Haben Sie ein Alibi? Hat Sie irgendjemand gesehen? Haben Sie telefoniert?“ Frau Zirbner schüttelte nur den Kopf.

„Kam es wirklich öfter vor, dass Ihre Frau einige Tage einfach nicht nach Hause gekommen ist? Ich finde das ungewöhnlich.“

„Sie sehen doch selbst, in welchem Umfeld meine Frau leben musste. Sie hat ab und zu eine Auszeit gebraucht, das kann ich verstehen. Wenn es später geworden ist, hat sie schon mal bei ihrer Freundin geschlafen, auch mal zwei Tage bei ihr verbracht. Ich habe ihr das gegönnt, warum auch nicht?“

„Auszeit, wenn i des scho hör! So ein Blödsinn! Was braucht denn die Russin a Auszeit! Des hats früher ned gebn. Mei Bua is einfach viel zu weich, des hat der von seinem Vater geerbt,“ rief Frau Zirbner, stand auf und holte sich den Schnaps und ein Glas aus der Küche.

„Ich verstehe. Deshalb haben Sie sich auch keine Sorgen gemacht, als sie nicht nach Hause kam. Dürfen wir uns bei Ihnen umsehen?“

„Natürlich,“ murmelte Sepp Zirbner und weinte nun, was die Alte mit einem Lachen kommentierte. Sie aß und trank seelenruhig weiter, sie schien sogar etwas erheitert wegen der neuen Lage auf dem Hof ohne die ungeliebte Schwiegertochter.

„Schaun‘s sich nur um, es is alles sauber. I putz jeden Tag und koch auch immer noch, und ich koch guat, hob i von meiner Mutter glernt. Den russischen Fraß von der Kathi konnt man nicht essen. Pfui Teifel!.“

„Ich halt dich nicht mehr aus! Manchmal könnt ich dich erschlagen!“, rief Sepp Zirbner. Aber seine Mutter blieb ganz gelassen, während er aufstand und aus dem Kühlschrank ein Schnapsglas holte. Er schenkte sich eine großzügige Menge ein und trank in einem Zug. Leo und Hans konnten ihn verstehen, Frau Zirbner war ein Typ Mensch, bei dem man schon mal ausrasten konnte.

Die Beamten sahen sich in dem angrenzenden Wohnzimmer um, das spärlich mit alten Möbeln eingerichtet war. Nur wenig deutete darauf hin, dass hier ein junges Paar wohnte. An den Wänden hingen Fotos von längst Verstorbenen und über der Couch hing ein Ölbild mit einem röhrenden Hirsch. Die schweren Gardinen, die nicht zusammenpassten, dunkelten den Raum ab und die vielen verschiedenen Kissen auf der Couch hatten diesen Knick in der Mitte, wie es Leos Großmutter auch immer machte. Er fühlte sich um Jahre zurückversetzt. Sie sahen in Schubläden und Schrankfächer. Sie fanden nichts. Keine Spur der jungen Frau, sondern nur von Sepp Zirbner und seiner Mutter. Eins war klar: Hier herrschte das Regime der Alten, die bestimmt nicht duldete, dass die russische Schwiegertochter sich hier breitmachte. Im Schlafzimmer des ersten Stockes sah man endlich, dass hier eine junge Frau wohnte, denn einige Sachen waren neu und modern. Im Kleiderschrank fanden sie Katharinas Garderobe; alles sehr hübsche und hochwertige Stücke, die sie den Etiketten nach zufolge aus Russland mitgebracht hatte. Das Badezimmer war uralt, aber auch hier konnte man in einer Ecke Spuren einer Frau finden. Make-up in allen Formen und Farben, Parfumflaschen hübsch aufgereiht, und zwischen all dem anderen Zeug hing ein moderner, gelber Bademantel. Auf der Waschmaschine stand ein Waschbeutel, der ganz bestimmt der alten Zirbnerin gehörte, denn die dort enthaltenen Utensilien waren einfach, billig und uralt. Im vergilbten Medizinschrank an der Wand fanden sie die üblichen Medikamente und Verbandsmaterial, das meiste davon längst abgelaufen. Keine Spur von Insulin, Betäubungsmitteln oder irgendetwas in der Art. Hans hatte zwei Türen weiter das Schlafzimmer der alten Frau Zirbner gefunden und sah Leo fragend an.

„Wenn wir nun schon mal hier sind…“

Sie durchsuchten das muffige, uralte und unpersönliche Schlafzimmer. Neben Fotoalben, Pässen von ihr und ihrem verstorbenen Mann, Glückwunschkarten aus vergangenen Tagen und einer Mappe Briefpapier fanden sie nichts Auffälliges. Keine Bücher, Briefe oder Notizen. Auf dem Kosmetiktisch, der nur als Ablage benutzt wurde, stand eine Handtasche. Ohne lange zu überlegen, griff Hans in die Tasche.

„Finger weg!“, rief Frau Zirbner, die in der Tür stand und vollkommen aufgebracht war. „Wagen Sie es nicht, in meinen Sachen zu wühlen, das ist privat!“ Sie riss Hans die Handtasche aus der Hand und verwies beide des Zimmers, schloss ihr Schlafzimmer demonstrativ ab und ging mit ihrer Handtasche wieder in die Wohnküche.

„Was kommt die auch gerade dann, wenn‘s interessant wird? - Was jetzt?“

„Keine Ahnung. Die Papierkörbe sind sauber. Auch in den Schubladen und Schränken keine persönlichen Notizen und keine Spur von irgendwelchen Medikamenten oder Medikamentenverpackungen, oder sonst irgendetwas Verdächtiges.“ Leo war enttäuscht. Er hatte sich mehr davon versprochen. Auch wenn die alte Zirbnerin echt ätzend ist – putzen kann sie, das muss man ihr lassen. „Wir sollten diesen Karl befragen. Vielleicht hat sie ihm etwas anvertraut.“

„Und wie willst du das anstellen? Du hast doch gehört, dass der nicht redet.“

„Das glaube ich ihm nicht. Er ist nicht so dumm, wie man uns weismachen will. Lenk du den Sepp Zirbner und vor allem diesen Drachen ab, vielleicht kann ich dann mit Karl in aller Ruhe sprechen.“ Leo war zuversichtlich, denn er war sich fast sicher, dass der junge Mann mehr verstand, als er vorgab. Vielleicht war er wirklich nicht der Hellste, aber Leo konnte beobachten, dass der Mann an den entscheidenden Stellen durchaus heftig reagierte – er verstand einiges.

Leo fand Karl zum Glück allein im Stall beim Füttern der Tiere, während Hans Onkel und Großmutter im Haus weiter befragte, was eine Tortur für ihn war, denn das lief ähnlich ab wie vorhin: Sepp Zirbner war verzweifelt und die Großmutter zeterte und hetzte, was immer wieder zu lautstarken Auseinandersetzungen zwischen den beiden führte. Dabei hielt Frau Zirbner ihre alte, verschlissene Handtasche demonstrativ auf ihrem Schoss fest und gab sie nicht mehr aus der Hand. Was hatte die Alte zu verbergen? Am liebsten würde Hans einen Blick hineinwerfen, aber dazu war er nicht befugt – schade!

Karl erschrak, als Leo in den Stall trat. Leo nickte ihm nur kurz zu und ohne ein Wort zu sagen, griff er zur Mistgabel und half wie selbstverständlich mit. Leo sah Karl die ganze Zeit nicht an. Die Arbeit war sehr schwer und Leo ließ sich die Anstrengung nicht anmerken, und bei jedem Handgriff wusste er, dass er spätestens morgen mit einem satten Muskelkater für seinen Übereifer büßen musste. Aber das war ihm jetzt egal, er musste Karls Vertrauen gewinnen. Nach etwa 20 Minuten waren sie mit der Arbeit fertig. Leo setzte sich auf einen Ballen Stroh und Karl setzte sich ihm gegenüber. Wortlos reichte ihm Karl eine Flasche Wasser und lächelte ihn sogar an; das Eis war geschmolzen.

„Prost Karl, ich bin der Leo. Eigentlich hätten wir uns nach der Arbeit ein Bier verdient.“

Karl nickte, ging zur Stalltür, spähte hinaus und schloss die Tür wieder. Dann ging er zu den aufgetürmten Strohballen und zog dahinter zwei Flaschen Bier hervor, die er mit den Zähnen gekonnt öffnete. Leo war baff, dieser Karl verstand wirklich jedes Wort.

„Du bist ein Engel, das ist genau das, was ich jetzt brauche.“ Wieder prosteten sie sich zu und nahmen beide einen kräftigen Schluck.

„Bist du traurig darüber, dass die Kathi tot ist?“

Karl nickte heftig, während er ständig auf den Boden blickte. Obwohl Karl seinen Blicken auswich, konnte er sehen, dass sich seine Augen mit Tränen füllten.

„Hat die Kathi jemals von jemandem gesprochen, der böse zu ihr war?“

Karl schüttelte den Kopf.

„Weißt du, was Kathi mit Fasching zu tun hatte?“

Karl zuckte mit den Schultern und sah immer noch auf den Boden.

„Ich gebe dir hier meine Karte. Wenn dir etwas einfällt, kannst du mich jederzeit anrufen. Ich bin mir sicher, dass du sprechen kannst. Aber wenn du nicht willst, ist das für mich in Ordnung. Du kannst mich auch jederzeit in meinem Büro in Mühldorf besuchen. Kennst du die Polizei in Mühldorf?“

Wieder nickte Karl, diesmal kaum merklich.

„Hast du Geld?“

Jetzt schüttelte er beinahe verschämt den Kopf. Leo war sauer. Bekam Karl keinen Lohn für seine Arbeit? Er nahm seinen Geldbeutel und drückte ihm einen 50 €-Schein in die Hand. Karl sah ihn jetzt verstört an und schüttelte den Kopf, er wollte das Geld nicht annehmen, er fühlte sich nicht wohl dabei.

„Das ist für ein Taxi nach Mühldorf, nur für den Fall, dass du mich besuchen kommst. Nimm das Geld und steck es weg, damit es deine Großmutter nicht findet.“

Leo zwinkerte ihm zu, trank sein Bier aus.

„Ich muss wieder gehen Karl. Danke für das Bier. Und es ist in Ordnung, wenn du weinen musst, auch ich weine, wenn ich traurig bin.“

Leo hatte die Stalltür noch nicht ganz geschlossen, als er hörte, wie Karl hemmungslos weinte.

Hans war sehr erleichtert, als Leo in die Küche kam, denn die Streitigkeiten zwischen Sohn und Mutter arteten langsam aus und waren unerträglich. Nach anfänglicher Zurückhaltung warf nun auch Sepp Zirbner mit allen möglichen Schimpfwörtern um sich, von denen selbst Hans als Einheimischer viele nicht kannte und viel zu anständig dafür war, sie in den Mund zu nehmen. Auch die Lautstärke zwischen den beiden stieg und stieg; schließlich schrien sich die beiden nur noch an. Hans stand abseits und wäre am liebsten gegangen, aber er musste hierbleiben, um sicherzugehen, dass sich Leo ungestört mit dem Jungen unterhalten konnte. Die beiden sahen dem Streit einige Minuten zu und konnten nicht fassen, wie Mutter und Sohn miteinander umgingen. Sie waren so sehr mit sich und ihrem Streit beschäftigt, dass sie alles um sich herum vergaßen. War der Umgang zwischen den beiden normal? Wie musste sich Katharina Zirbner dabei gefühlt haben? Und Karl? Wie ging es dem Jungen damit, der quasi damit aufgewachsen war? Sprach er deshalb kein einziges Wort? Das wäre zumindest eine Erklärung.

„Ruhe!“, musste Leo mehrmals brüllen, bis die Zirbners ihn überhaupt wahrnahmen. „Schämen Sie sich eigentlich nicht? Sie sind beide erwachsen und führen sich hier auf wie Verrückte! Jetzt beruhigen Sie sich gefälligst! Das ist ja nicht zum Aushalten!“ Beide waren endlich still. Leo starrte die beiden böse an und schüttelte den Kopf. „Na also, geht doch! Was bekommt Karl für seine Arbeit? Sie bezahlen ihn doch ordentlich?“

Statt einer Antwort stand Sepp Zirbner auf und deutete Leo an, ihm zu folgen. Die alte Zirbnerin merkte, dass ihr Sohn nicht vor ihr sprechen wollte, und wollte hinterher, aber Hans hielt sie zurück. Er hatte genug von dem ganzen Theater und um nichts in der Welt würde er die Alte an sich vorbei lassen. Er würde auch nicht davor zurückschrecken, sie mit Handschellen am Ofen zu fixieren. Offenbar spürte Frau Zirbner seine Entschlossenheit und setzte sich zähneknirschend, wobei sie vor sich hin schimpfte, diesmal aber in erträglicher Lautstärke; etwas anderes hätte Hans auch nicht ungestraft durchgehen lassen. Was trieb ihr Sohn hinter ihrem Rücken? Der Polizist sprach von einem Lohn, der Karl bezahlt werden soll! Bekam der blöde Karl für seine Arbeit tatsächlich Geld, von dem sie nichts wusste? Sie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Liebend gerne wäre sie aufgesprungen und ihrem Sohn und dem Langen hinterher, aber dieser parfümierte Schnösel stand direkt vor ihr und ließ sie nicht vorbei. Frau Zirbner war sauer. Sie hatte keine Wahl und musste hier verharren. Dann musste sie eben aus dem blöden Karl irgendwie herausbekommen, was da hinter ihrem Rücken mit dem Geld ablief!

Leo und Sepp Zirbner gingen in den ersten Stock ins Schlafzimmer. Im Schrank hinter den Pullovern seiner Frau zog er ein Sparbuch hervor.

„Karl bekommt von mir kein Geld, weil es ihm meine Mutter sowieso gleich wieder abnimmt. Anfangs habe ich natürlich ganz offiziell ein Gehalt bezahlt und es hat lange gedauert, bis ich dahinter gekommen bin, dass meine Mutter es sofort kassiert. Seitdem zahle ich jeden Monat einen Betrag auf ein Sparbuch ein, damit der Junge Geld hat, wenn er es braucht. Sie können das gerne überprüfen. Hier ist das Sparbuch.“

Leo schlug das Sparbuch auf und tatsächlich zahlte Sepp Zirbner jeden Monat 1.000 € auf das Sparbuch ein. Er pfiff durch die Zähne, als er die Gesamtsumme las.

„Bitte behalten Sie das mit dem Sparbuch für sich. Meine Mutter flippt aus, wenn sie davon erfährt. Der Karl weiß natürlich davon, das ist unser Geheimnis. Und wenn Sie das jetzt öffentlich machen, bekommen auch das Finanzamt und die Berufsgenossenschaft Wind davon - und dann geht der Ärger erst richtig los.“

„Von mir erfährt niemand was, das geht mich nichts an. Ich finde es anständig, dass Sie den Jungen bezahlen.“

„Natürlich, ich bin doch kein Unmensch. Der Karl ist fleißig und ordentlich, er jammert nie und ich kann immer auf ihn zählen. Und dafür hat er auch einen Lohn verdient.“

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