Kitabı oku: «Der Heinrich-Plan», sayfa 4

Yazı tipi:

„Sie können sich auf die Leute dieser Sicherheitsfirma verlassen?“

„Immer. Der Chef der Firma ist mein Freund.“

Leo verstand. Dann war es wohl auch ihr Freund, der für Sabrina die Gäste überprüfte. Aber das konnte ihm egal sein, deshalb war er nicht hier. Er widmete sich wieder dem Reservierungsbuch.

Leo entdeckte ein Kürzel hinter Benjamin Aschenbrenners Namen. „Was bedeutet denn SV?“

„Das steht für Spielverderber. Das sind Leute, die an allem und jedem was auszusetzen haben oder den anderen irgendwie den Spaß verderben. Solche Leute mögen wir hier überhaupt nicht und auf die können wir gerne verzichten. Sollte dieser Gast nochmals den Wunsch verspüren, bei uns absteigen zu wollen, hat er Pech gehabt.“

„Sie würden an Aschenbrenner nicht mehr vermieten?“

„Nein.“

Dass Benjamin Aschenbrenner eine Spaßbremse sein konnte, überraschte Leo nicht. Er konnte ihn sich hier in dieser Umgebung bei einer Beachparty einfach nicht vorstellen. Aschenbrenner und eine ungezwungene Party? Undenkbar!

Sabrina bot an, Kopien der Seiten vom Juni zu machen, was Leo dankend annahm.

Leo hatte sich dazu entschlossen, Sabrina die Fotos von Maximilians Freunden zu überlassen.

„Haben Sie noch weiteres Personal?“

„Sicher, das hier sind natürlich nicht alle.“

„Würden Sie bitte die Fotos den übrigen Kollegen und auch dem Sicherheitsdienst zeigen? Vielleicht haben wir Glück und jemand erinnert sich an etwas, das uns weiterhilft.“

„Klar mach ich das. Kannst dich darauf verlassen.“

„Wir würden uns gerne noch umsehen. Wo genau fand die Party statt?“

„Unten am Strand. Wenn ihr aus dem Hotel geht, haltet euch links. Geht um das Gebäude herum. Auf der Rückseite führt ein breiter Steg zum Strand. Den Partyplatz könnt ihr nicht verfehlen.“

„Wie viele Partys finden jährlich statt?“

„Das sind sechs feste Termine, wobei die im Juni die größte ist und immer mit einem riesigen Sonnwendfeuer endet. Darüber hinaus kann man bei uns auch privat gerne Partys steigen lassen, wir sind da sehr offen. Die letzte Veranstaltung war vor fünf Tagen. Einer unserer Gäste hat seinen 25. Geburtstag ganz groß gefeiert, wir waren ausgebucht.“

„Was ist für dieses Jahr noch geplant?“

„Halloween, die Adventsparty am Wochenende des vierten Advents, und die große Party zu Neujahr. Das sind unsere festen Party-Termine. Was darüber hinaus noch privat gebucht wird, ist noch nicht absehbar. Ich schätze, dass noch ungefähr acht bis zehn private Partys dazukommen, wenn nicht sogar mehr. Unser Hotel ist mit seiner Ausstattung, der Lage und nicht zuletzt durch unseren Ruf sehr beliebt.“ Sabrina sah auf die Uhr. „Wenn du keine weiteren Fragen an mich hast, würde ich mich gerne verabschieden. Der nächste Termin steht leider an.“

Nachdem sich Leo und Anna verabschiedet hatten, atmete Leo tief durch.

„Ganz ehrlich, Anna: Findest du das normal hier, oder bin ich einfach schon zu alt, um das alles zu verstehen?“

„Nein, bist du nicht, Leo. Das ist nur eine andere Welt.“

„Nachdem wir jetzt wissen, dass noch Leute mit dem Boot da waren, müssen wir herausbekommen, wer zur fraglichen Zeit mit seinem Boot angelegt hat.“

Sie telefonierten mit dem zuständigen Leiter der Hafenbehörde und der versprach den beiden, so schnell wie möglich eine Liste der Boote in der betreffenden Zeit zusammenzustellen und ihnen diese nach Ulm zu faxen. Da sich alle Boote registrieren lassen müssen, würde das relativ schnell gehen.

Leo und Anna verschafften sich einen Überblick über die Örtlichkeiten. Sabrina hatte den Weg sehr gut beschrieben. Nach wenigen Minuten standen sie vor dem Steg, der zu dem Platz führte, wo die Strandpartys stattfanden. Im Sand war eine riesige Tanzfläche aus Holz. Auf dem riesigen Tisch daneben wurde ganz sicher die Musikanlage aufgebaut. An drei Stellen befanden sich verschiedene Bars, die jeweils locker fünfzig Personen Platz boten. Überall dazwischen standen abgedeckte Strandkörbe.

„Der Platz ist sehr schön. Von hier aus kann man direkt zum Strand gehen,“ rief Anna begeistert. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, hier zu feiern. Sieh dich um! Hier stört man niemanden.“

Sie besahen sich den Partyplatz und das Hotel von allen Seiten. Sie gingen den Strand ab und nahmen auch die Straße vor dem Hotel unter die Lupe. Anna machte mit ihrem Smartphone jede Menge Bilder.

Dann war es Zeit, ein Taxi zu rufen und zum Flughafen zu fahren. Der wenige Schlaf, die frische Luft und die Aufregung weckten in Leo die Hoffnung, dass er vielleicht während des Fluges etwas schlafen konnte. Sobald er im Flugzeug saß, ging es ihm wieder schlecht und die Müdigkeit war verflogen. Panik stieg in ihm auf, als das Flugzeug abhob.

5.

Der Rückflug war sehr ruhig. Anna schlief, während Leo angeschnallt und ohne sich zu bewegen auf seinem Sitz saß. Zitternd und erleichtert stieg Leo in München aus dem Flugzeug und war stolz auf sich: Auch diesen Flug hatte er überlebt.

Leo und Anna fuhren direkt ins Büro. Es war in Sylt schneller gegangen, als sie gedacht hatten. Am Flughafen Sylt mussten sie nur wenige Minuten warten, bis ihr Flugzeug startete und sie waren daher gegen 16.00 Uhr bereits wieder in Ulm. Obwohl sie beide müde und erschöpft waren, kam es nicht in Frage, jetzt schon Feierabend zu machen. Sie waren gespannt darauf, ob sich in der Zwischenzeit irgendetwas Neues ergeben hatte. Auch waren sie neugierig, wer alles auf der Liste der Hafenbehörde Sylt aufgeführt war und mit seinem Boot dort zur fraglichen Zeit angelegt hatte. Sie waren nur noch wenige Minuten vom Präsidium entfernt, als Leos Handy klingelte. Es war Stefan Feldmann.

„Hallo Leo. Ich bin hier in dem abgesperrten Areal auf der Schwäbischen Alb, wo wir den Toten gefunden haben. Wir versuchen, hier unsere Arbeit zu machen. Hier ist eine Frau von Kellberg, die unbedingt mit einem Medium das Areal betreten möchte. Ich gebe auf keinen Fall mein Okay dafür. Bitte klär das so schnell wie möglich ab.“

„Willst du mich verarschen?“

„Keineswegs, ich verstehe das auch nicht. Diese Frau von Kellberg macht keine Probleme, die steht am Rand. Aber dieses Medium will auf das abgesperrte Gelände. Mir ist egal, wer das ist. Keiner betritt das Gelände ohne, dass du das persönlich abgesegnet hast.“

Leo hörte deutlich Stefans Verärgerung, die er durchaus nachvollziehen konnte. Was sollte das?

„Alles klar. Ich komm so schnell wie möglich.“

„Beeile dich, bevor ich gegenüber den Damen ausfällig werde. Lange kann ich mich nicht mehr zurückhalten.“

Leo bremste den Wagen und lenkte ihn in eine andere Richtung.

„Das war eben Stefan, wir haben ein Problem auf der Schwäbischen Alb. Frau von Kellberg und ein Medium möchten auf das abgesperrte Areal.“

„Ein was?“, fragte Anna ungläubig.

„Ein Medium. Ich bin mir auch nicht sicher, was das zu bedeuten hat. Auf jeden Fall ist Frau von Kellberg vor Ort. Wenn das so ein Psychoquatsch ist, mit dem das Fernsehen vollgestopft ist, dann kann das lustig werden.“ Leo war enttäuscht und verärgert, denn er hielt Frau von Kellberg für eine vernünftige Frau. Er musste umgehend herausfinden, was das zu bedeuten hatte.

Kurze Zeit später parkten die beiden den Wagen und machten sich auf zum Fundort der Leiche. Sie mussten sich beeilen, denn die Zeit und somit die Dunkelheit saßen ihnen im Nacken. Anna hatte die falschen Schuhe an. Sie hätte nicht die hochhackigen Stiefel anziehen sollen! Sie schimpfte ständig vor sich hin, wollte es sich aber nicht nehmen lassen, Leo zu begleiten. Er hatte sie mehrmals aufgefordert, auf ihn am Wagen zu warten, die Strecke war mit vernünftigen Schuhen schon schlecht zu gehen. Leo war sauer und Anna neugierig, sodass die beiden die Strecke trotz der Umstände in 40 Minuten schafften.

Schon von weitem konnten sie mehrere Personen ausmachen, die heftig miteinander diskutierten. Leo erkannte Stefan, der wild mit den Händen gestikulierte. Er war 1,75 Meter groß, die wilden schwarzen, kurzen Locken umrahmten sein hübsches Gesicht. Leo kannte ihn schon, seitdem er in Ulm war, und das waren gut vier Jahre. Er schätzte seinen Kollegen sehr und wusste, dass es nicht mehr lange dauerte, bis ihm der Geduldsfaden riss. Neben Stefan stand Frau von Kellberg, die dritte Person musste das „Medium“ sein, was auch zu der chaotischen Kleidung passen würde. Es handelte sich bei der Frau um eine kleine, rundliche Person Mitte 60 mit weißen, langen Haaren, in denen ein langes, rotes Tuch eingebunden war, das fast bis zum Boden reichte. Sie trug ein langes, weißes Kleid und eine riesige Kette mit roten Glaskugeln. Leo war zwar kein Schmuckkenner, aber bei dieser Größe musste es sich um Glas handeln. Wenn diese Steine echt gewesen wären, hätte „das Medium“ ein paar Security-Leute gebraucht. Abseits des Geschehens waren vier Polizisten der Spurensicherung bei der Arbeit, sahen aber immer wieder interessiert zu den Diskutierenden. Mittlerweile war es 17.45 Uhr.

„Guten Abend, Frau von Kellberg. Können Sie mir bitte erklären, was hier vor sich geht?“ Leo war außer Atem und stinksauer. Er nickte Stefan nur kurz zu, der sehr erleichtert war, dass er endlich hier war.

„Guten Abend, Herr Schwartz. Bitte entschuldigen Sie, aber das hier ist wirklich sehr wichtig für mich. Ich arbeite schon seit einiger Zeit mit Madame Esmeralda zusammen. Sie ist ein Medium und verfügt über Fähigkeiten, die über die normale Vorstellungskraft hinausgehen. Wir wollen den Fundort der Leiche meines Sohnes abgehen, aber dieser Polizist hindert uns daran.“ Frau von Kellberg war sehr aufgebracht und Leo versuchte, ihr die Situation zu erklären.

„Selbstverständlich hindert er sie daran. Er hat den Auftrag, das Gelände nicht nur abzusuchen und eventuelle Spuren zu sichern, sondern auch Unbefugte daran zu hindern, das abgesperrte Areal zu betreten. Er muss Unbefugte davon abhalten, dass Spuren durch deren Aufenthalt vernichtet werden oder Spuren dazukommen, die uns nur unnötig aufhalten.“

Erschrocken sahen sich Frau von Kellberg und Madame Esmeralda an, daran hatten sie nicht gedacht.

„Wir müssen trotzdem darauf bestehen, dass Madame das Gelände abgeht. Nur dadurch kann sie Kontakt zu meinem Sohn aufnehmen und irgendetwas wahrnehmen, das uns zum Mörder von Maximilian führt. Je frischer die Spuren sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Madame etwas wahrnehmen kann.“ Sie sah zu Madame Esmeralda, die heftig nickte. „Ich möchte nur, dass Madame das Gelände abgeht. Wir machen nichts kaputt und nehmen auch nichts mit. Sie können selbstverständlich das Ganze überwachen,“ sagte Frau von Kellberg völlig verzweifelt.

Leo runzelte die Stirn. Das war genau das, was er erwartet hatte. Irgendetwas Übersinnliches, an das er sowieso nicht glaubte. Er sah aber auch die Verzweiflung in Frau von Kellbergs Augen und wandte sich Stefan zu.

„Welches Gebiet habt ihr schon fertig?“

„Von hier vorn bis zum Fundort der Leiche, bis rüber zu der Baumreihe,“ zeigte er mit dem Finger.

„Wenn Ihnen das Stück ausreicht, das mein Kollege gerade gezeigt hat, dann können Sie loslegen, Frau Esmeralda.“

Stefan war zwar nicht begeistert, aber er war auch neugierig, was dieses Medium jetzt wohl vorhatte. Er setzte sich zu seiner Freundin Anna, die sich völlig außer Atem auf einen dicken Ast gesetzt hatte. Beide warteten gespannt darauf, welches Schauspiel ihnen jetzt geboten wurde.

Frau von Kellberg strahlte Leo erleichtert an. Madame, die bisher kein einziges Wort gesagt hatte, sagte mit ihrer dunklen, rauen Stimme „Vielen Dank“.

Madame ging langsam über das Gelände, breitete dabei die Arme aus, wobei die Handflächen nach oben zeigten. Sie hatte die Augen geschlossen und den Kopf gen Himmel gerichtet. Trotzdem ging sie kreisförmig um den Fundort und zog dabei den Kreis immer enger. Leo war sich sicher, dass Madame mit den geschlossenen Augen schummelte, denn sie ging so zielstrebig und schloss den Kreis so exakt enger, was mit geschlossenen Augen niemals möglich gewesen wäre. Frau von Kellberg, die neben Leo stand, zitterte vor Aufregung. Anna, Stefan und die vier Polizisten sahen dem Ganzen sehr interessiert zu und Leo konnte sehen, wie sie die Köpfe zusammensteckten, sich unterhielten und zu Madame sahen. Alle schienen von diesem Medium nicht sehr überzeugt und einige machten sich lustig über das ihnen gebotene Schauspiel.

Plötzlich blieb Madame stehen und sackte in sich zusammen. Da sie sich einige Minuten nicht mehr rührte, lief Leo zu ihr und half ihr auf.

„Was ist mit Ihnen, Frau Esmeralda? Geht es Ihnen nicht gut?“

Völlig erschöpft antwortete diese:

„Das war zu viel für mich, ich muss mich ausruhen. Bitte bringen Sie mich weg von diesem Ort.“

Na bravo, dachte Leo. Erst kommt sie ungebeten hierher und dann darf ich auch noch helfen, sie wegzubringen. Da es eh schon spät war, machten sich alle gemeinsam auf den Weg zurück zum Parkplatz. Madame, die sich als ziemlich dick und unsportlich erwies, was ihre weite Kleidung weitgehend verdeckt hatte, keuchte und war knallrot im Gesicht. Frau von Kellberg hielt sich ganz wacker. Sie lief immer in unmittelbarer Nähe von Madame, um vielleicht eine Information von Ihr zu bekommen. Leo war klar, dass sie so, wie sie keuchte, kein Wort rausbekommen würde. Annas Schuhe waren völlig ruiniert und auch die teuren Strümpfe hatten Löcher und Risse. Sie war sauer und mit ihren Kräften am Ende, aber zum Glück war Stefan bei ihr und stütze sie. Trotz ihres Zustandes konnte er es sich nicht verkneifen, sich fortwährend über unpraktische und augenscheinlich unbequeme Schuhe von Frauen lustig zu machen.

Nach über einer Stunde waren sie endlich am Parkplatz angekommen und dort setzten sie sich auf eine für Besucher installierte Bank, die bei schönem Wetter einen gigantischen Blick ermöglichte. Inzwischen war es 19.30 Uhr und dunkel geworden, die Aussicht konnten sie nur noch erahnen. Die letzten Meter hatten sie mit Hilfe von Taschenlampen zurücklegen müssen, die Stefan und seine Männer zum Glück dabei hatten. Frau von Kellberg hatte in ihrem Wagen einige Wasserflaschen, die sie den anderen anbot. Madame trank gierig, erholte sich zusehends und atmete nach endlos langen Minuten endlich wieder etwas flacher, wobei ihr knallroter Kopf zwischenzeitlich zu platzen drohte.

„Bitte Madame,“ flehte Frau von Kellberg sie an, „so sagen Sie doch endlich, was Sie gesehen haben.“

Leo, Stefan, Anna und die anderen Polizisten hatten einen Halbkreis gebildet und starrten Madame an. Sie waren wahnsinnig gespannt auf das, was jetzt kommen würde. Es war totenstill, keiner wollte auch nur ein Wort verpassen, denn darauf hatten sie nun lange genug gewartet.

„Schreckliche Dinge habe ich gesehen,“ begann Madame mit einem jämmerlichen Ton, „schreckliche Dinge. Ich bin noch völlig erledigt. An diesem Ort sind Dinge passiert, die ich mir nicht einmal vorstellen kann. Ich habe Blut gesehen, viel Blut. Und viele junge Menschen, die ein Fest feiern. Dazu viel Alkohol, Aggressivität, Streit, ….. ich muss mich erst einmal beruhigen. Bitte bringen Sie mich weg von hier.“

„Ja natürlich Madame. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie mit meiner Neugier überfallen habe, aber ich konnte nicht anders. Wir fahren ins Hotel und dort ruhen Sie sich aus,“ sprach Frau von Kellberg. Sie nickte Leo, Anna und Stefan zu, hakte Madame bei sich ein und die beiden liefen zu dem teuren, goldfarbenen Sportwagen. Frau Esmeralda brauchte ein paar Minuten, bis sie in dem Wagen Platz genommen hatte, denn der war sehr tief und für eine Frau mit ihrem Umfang überaus ungeeignet.

Die Umstehenden starrten den beiden hinterher und sahen sich ungläubig an. Und schließlich lachten die Polizisten und auch Stefan laut los.

„Was soll das denn jetzt gewesen sein?“, fragte Anna, der wegen ihrer Schuhe das Lachen vergangen war. „Die veräppelt uns doch.“

„Na klar tut sie das,“ sagte Leo verärgert, „das war völlige Zeitverschwendung. Solche Leute nutzen doch nur die Hilflosigkeit und die Angst von verzweifelten Menschen aus. Ich könnte kotzen.“ Er ging zu seinem Wagen und musste erst einmal tief durchatmen und versuchte, sich zu beruhigen. Was war nur in Frau von Kellberg gefahren, dass sie diesem Unfug Glauben schenkte?

Anna hörte Leo nicht oft so reden und wusste, dass er jetzt nicht mehr ansprechbar war. Er war nicht nur verärgert, sondern stinksauer. Anna war überzeugt davon, dass es tatsächlich Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten gab, aber sie wollte mit Leo jetzt nicht darüber diskutieren. Diese Esmeralda war eindeutig eine Hochstaplerin, die es leider in Massen gab.

„Für heute ist für alle Feierabend. Morgen ist auch noch ein Tag,“ entschied Leo. Das Büro musste warten, für heute hatte er genug. Allen waren die Strapazen anzusehen. Vor allem Anna kam es sehr entgegen, dass sie nach Hause fahren und sich umziehen konnte. So, wie sie aussah, konnte sie sich nirgends blicken lassen, vor allem nicht im Büro. Sie wäre das Gespött der Kollegen.

Nach einem kurzen Stopp bei einer Fast-Food-Kette fuhr Leo in sein Appartement. Er setzte sich vor den Fernseher. Er musste sich dringend ablenken, so sehr hatte er sich über dieses Medium aufgeregt. Er zappte durch einige Programme, denn ein Programmheft besaß er nicht. Er stellte zu seiner Freude fest, dass auf einem Programm eben erst ein Tierfilm angefangen hatte; er liebte diese Filme. Er holte sich ein Bier zu seinen Hamburgern und Muffins und ließ sich berieseln. Er hatte an diesem Tag sehr viel erlebt und wollte jetzt auf keinen Fall darüber nachdenken, sondern nur noch seinen Feierabend genießen und zur Ruhe kommen. Nachdem er gegessen hatte, schlief er auf der Couch ein.

6.

Am nächsten Tag waren Leo und Anna pünktlich im Büro. Es klopfte, die Tür ging auf und eine junge Kollegin wedelte mit einem Stück Papier in der Hand. „Ist eben reingekommen!“, rief sie, knallte das Papier auf Leos Schreibtisch und war auch schon wieder draußen. Leo las das Fax und Anna sah ihn fragend an.

„Die Polizei in Hamburg hat unsere Suchmeldung von Maximilian von Kellberg erhalten. Sie haben einige Gemeinsamkeiten bei einer Suche ihrerseits nach einer jungen Frau festgestellt. Dabei handelt es sich um eine gewisse Nadine Siebert, 22 Jahre, die ebenfalls seit dem 14. Juni vermisst wird. Und auch sie war im Urlaub auf Sylt, sie war im gleichen Hotel abgestiegen.“

„Das kann kein Zufall sein,“ rief Anna, sprang auf und nahm Leo das Fax aus der Hand, um sich selbst von dessen Inhalt zu überzeugen.

„Das ist mit Sicherheit kein Zufall, ich rufe den Kollegen in Hamburg sofort an.“

Leo wählte die Nummer mit der Durchwahl, die auf dem Fax stand, und landete direkt bei dem zuständigen Beamten Viktor Weinmann.

„Hallo Herr Weinmann, hier Leo Schwartz, Polizei Ulm. Ich habe eben Ihr Fax bekommen und bin sehr erstaunt über gewisse Gemeinsamkeiten in unserem Fall Maximilian von Kellberg und Ihrem Fall Nadine Siebert.“

„Moin Kollege Schwartz, ich dachte mir, dass Sie das interessiert. Ich habe Ihre Vermisstenmeldung erst nach dem Wochenende gelesen und da ich den Fall Siebert bearbeite, sind mir die Gemeinsamkeiten sofort aufgefallen. So wie ich das sehe, sind die beiden eventuell gemeinsam verschwunden. Wir sind bisher davon ausgegangen, besser gesagt haben darauf gehofft, dass Nadine Siebert irgendwann wieder auftaucht. Nachdem Sie jetzt einen Todesfall haben, der sehr wahrscheinlich mit dem Verschwinden von Nadine zusammenhängt, müssen wir von dem Schlimmsten ausgehen,“ sagte Viktor Weinmann, der auf Leo einen sehr ruhigen Eindruck machte.

„Das ist zu befürchten. Ich hätte gerne alle Informationen über den Fall Siebert. Vielleicht finde ich eine Spur, die uns weiterbringt. Wenn ich ehrlich bin, haben wir nicht viel. Für jeden noch so kleinen Hinweis wären wir dankbar.“

„Gerne. Ich lasse Ihnen die Unterlagen per Fax zukommen und wünsche Ihnen viel Glück. Wenn Sie Fragen haben, zögern Sie nicht, mich anzurufen.“

„Vielen Dank, Herr Weinmann. Sie bekommen im Gegenzug das, was wir bis jetzt im Fall von Kellberg haben. Dann werden Sie sehen, was wir für Schwierigkeiten haben. Vielleicht fällt Ihnen dazu was ein.“

Kurze Zeit später klopfte es an der Tür, die junge Kollegin kam wieder ohne Aufforderung ins Zimmer, rief: „Ist eben für Sie reingekommen“ und war auch schon wieder draußen.

„Wer ist das eigentlich?“ Leo zeigte auf die geschlossene Zimmertür.

„Das ist unsere neue Kollegin aus der Telefonzentrale, ich kenne ihren Namen nicht. Du musst zugeben, dass sie ein wahnsinniges Tempo hat.“

„Allerdings,“ lachte Leo und fing an, die Unterlagen des Hamburger Kollegen Weinmann zu studieren. Hierin gab es nichts, was sie im Fall von Kellberg weiterbrachte. Er besah sich das beigefügte Foto, das eine junge, hübsche Frau mit fröhlichem Gesicht zeigte. Obwohl das Foto per Fax kam, war die Qualität überraschend gut.

„Wir schicken das Foto an die Polizei Passau. Albert Steinberger soll es den Freunden und den Eltern von Maximilian zeigen.“

„Werde ich gleich veranlassen,“ sagte Anna und machte sich sofort an die Arbeit. Leo fiel ein, dass sich Frau von Kellberg noch in der Stadt aufhalten könnte, und zog sich eine Kopie des Fotos, um es ihr persönlich zu zeigen. Bei der Gelegenheit konnte er auch noch über den gestrigen Abend und über das Medium mit ihr sprechen. Er telefonierte mit dem teuersten Hotel in Ulm und hatte auf Anhieb Glück. Frau von Kellberg war dort abgestiegen und befand sich noch im Haus.

„Soll ich Sie mit Frau von Kellbergs Suite verbinden, Herr Schwartz?“

„Nein danke. Es reicht, wenn Sie ihr eine Nachricht zukommen lassen, dass ich sie sprechen möchte. Ich mache mich umgehend auf den Weg.“

Leo betrat 20 Minuten später die Suite von Frau von Kellberg, die ihn schon ungeduldig erwartete.

„Mir wurde gesagt, dass Sie mich sprechen möchten? Haben Sie Neuigkeiten meinen Sohn betreffend?“

Leo war eigentlich immer noch verärgert über die gestrige Geschichte mit diesem albernen Medium. Als er Frau von Kellberg ansah und die Verzweiflung und die Trauer in ihren Augen bemerkte, erschrak er. Seit gestern schien sie um Jahre gealtert. Sofort verschwanden sein Ärger und seine Enttäuschung und am liebsten hätte er sie in die Arme genommen und sie getröstet.

„Wir haben tatsächlich etwas. Es ist zwar eine kleine Spur, aber man kann ja nie wissen. Ich habe von der Polizei in Hamburg eine Suchmeldung von einem jungen Mädchen erhalten, das zur gleichen Zeit und am gleichen Ort verschwunden ist wie Maximilian.“ Leo zog das Foto aus der Tasche. „Es handelt sich um dieses Mädchen. Ihr Name ist Nadine Siebert, 22 Jahre. Würden Sie sich das Foto ansehen?“

Mit zittrigen Händen betrachtete Frau von Kellberg das Foto und schüttelte kaum merklich den Kopf.

„Es tut mir leid, ich kenne das Mädchen nicht. Maximilian war bei Mädchen sehr beliebt, sie kamen und gingen, er wollte sich noch nicht festlegen. Sie sagten, sie ist verschwunden?“

„Ja, die Hamburger Polizei sucht seit dem 14. Juni nach ihr.“

„Du lieber Gott! Was ist auf Sylt nur passiert? Denken Sie, sie ist ebenfalls ermordet worden?“

„Das weiß ich nicht.“ Leo behielt seine Befürchtungen für sich.

„Darf ich das Foto behalten? Das Mädchen ist wahrscheinlich die Person, die Maximilian zuletzt lebend gesehen hat.“

„Sicher, behalten Sie es“ Frau von Kellbergs Trauer schnürte ihm fast die Kehle zu. Was musste diese Frau für Qualen ertragen.

„Frau von Kellberg,“ sagte Leo mit ruhiger Stimme. „Sind Sie in der Lage, mir noch ein paar Fragen zu beantworten?“

„Ja natürlich, entschuldigen Sie bitte, ich habe mich gehen lassen.“ Sie schnäuzte kaum hörbar in ein Taschentuch.

„Was hat Ihnen Frau Esmeralda berichtet? Hat sie etwas herausgefunden, das uns helfen könnte?“

Frau von Kellberg schüttelte den Kopf.

„Ich muss mich bei Ihnen für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, Herr Schwartz. Sie müssen mich ja für eine komplette Idiotin halten und ich schäme mich sehr für das, was gestern passiert ist. Nachdem ich mich gestern Abend ausführlich mit Madame unterhalten habe und sie sich in immer wildere Aussagen verstrickte, musste ich sie entlassen. Mein Vertrauen zu ihr ist erschüttert und ich lege keinen großen Wert mehr darauf, ihre Dienste weiter in Anspruch zu nehmen.“

Sie machte eine kurze Pause, und Leo gewährte ihr diese, denn er spürte, dass ihr das Sprechen sehr schwerfiel.

„Ich halte mich zwar für eine realistisch denkende Frau, glaube aber trotzdem an Übernatürliches. Es gibt Dinge auf der Welt, die man sich nicht erklären kann und ich finde, man muss nicht immer für alles Erklärungen finden. Solange einem geholfen wird, ist die Quelle dafür doch völlig gleichgültig. Ja, Madame Esmeralda ist eine Hochstaplerin und besitzt nicht die Fähigkeiten, die sie vorgibt zu haben. Sie hat mir während der Zeit der Hoffnung und Verzweiflung ihre Dienste angeboten und ich habe diese gerne in Anspruch genommen. Ich muss zugeben, dass sie mir trotz manchem Blödsinn, den sie mir erzählt hat, doch sehr geholfen hat, denn mit ihr konnte ich immer über Maximilian und dessen Verschwinden sprechen. Dank ihrer Unterstützung habe ich nie die Hoffnung aufgegeben. Können Sie sich vorstellen, dass man als Mutter vor Sorge verrückt werden kann? Es gab Zeiten, da war ich kurz davor, durchzudrehen. Madame Esmeralda war an meiner Seite und gab mir Kraft. Oft hat sie mich zum Lachen und auf andere Gedanken gebracht. Ja, ohne Madame wäre es mir in der ganzen Zeit sehr viel schlechter gegangen. Aber gestern ist sie übers Ziel hinausgeschossen. Ich habe ihr vertraut, als sie mir versicherte, den Mörder Maximilians spüren zu können. Was war ich nur für eine gutgläubige, dumme Gans. Ich habe Madame nicht über Einzelheiten aufgeklärt. Ich wollte sie unbefangen gewähren lassen und war mir sicher, dass sie einen wichtigen Hinweis geben könnte, wenn sie ihre Fähigkeiten voll einsetzen kann. Nach ihrem Auftritt war ich voller Hoffnung und dachte, sie könnte tatsächlich etwas gesehen haben, denn endlich hatten wir ja etwas Greifbares, und zwar den Fundort. Aber leider war das alles nur großes Theater. Als wir gestern miteinander sprachen, habe ich erkannt, dass Madame nichts kann und mich nur zum Narren gehalten hat. Wissen Sie, Herr Schwartz, ich bin zwar verzweifelt, aber nicht verblödet. Und ich habe auch nicht übersehen, dass Sie und Ihre Kollegen kein Wort geglaubt haben und nicht erfreut über unseren Besuch waren. Es tut mir wirklich wahnsinnig leid und ich habe ein richtig schlechtes Gewissen wegen dieser Geschichte, aber ich musste es einfach versuchen. Bitte versuchen Sie, mich zu verstehen. Ich hoffe, ich kann das irgendwie wieder gut machen.“

Leo fiel ein Stein vom Herzen. Er sah Frau von Kellberg jetzt in einem anderen Licht und bewunderte sie für ihre Offenheit.

„Ja, es stimmt, ich war nicht begeistert. Ich bin nun mal Realist und glaube nicht an Übersinnliches. Ich möchte den Glauben daran nicht verurteilen, das muss jeder für sich selbst ausmachen. Und Sie brauchen sich nicht bei mir entschuldigen. Ich kann verstehen, dass Sie in Ihrer Lage alle Möglichkeiten ausschöpfen, mögen die auch noch so kurios sein. Ich nehme mir nicht heraus, über Sie zu urteilen und Sie brauchen das auch nicht wieder gut zu machen. Vergessen wir das Ganze einfach, okay?“

„Sie sind ein sehr netter Mensch, Herr Schwartz, ich danke Ihnen.“

„Ich verspreche Ihnen, dass ich alles daran setzen werde, die Umstände des Todes Ihres Sohnes aufzuklären und seinen Mörder zu finden.“

Leo musste zugeben, dass ihn Frau von Kellberg immer mehr faszinierte. Schon von Anfang an hatte er bemerkt, dass diese Frau etwas an sich hatte, was ihn anzog. Aber er konnte sich nicht erklären, was das war. Ihre Ausstrahlung, wie sie sich bewegte, wie sie sprach und auch ihr Blick zogen ihn an. Ja, er bewunderte diese Frau und er nahm sich vor, dass er alles, was in seiner Macht stand, tun würde, um diesen Fall aufzuklären. Nicht nur, weil es sein Job war, sondern vor allem wegen dieser unglaublichen Frau.

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