Kitabı oku: «Leichenschau», sayfa 3
„Ja und wir haben den Bericht mitgebracht.“
„Todesursache?“
„Nun mal langsam. Wir verkünden das Ergebnis erst, wenn die anderen auch anwesend sind, sonst müssen wir alles doppelt und dreifach erzählen. Ich gehe mit meinem Kollegen in die Cafeteria und ihr trommelt mittlerweile alle zusammen. In Ordnung?“
„Alles klar. In einer Stunde im Besprechungs- zimmer?“
Leo hatte in Christines Auftreten bereits erkennen können, dass sie keine guten Nachrichten hatte. Er war sich sicher, dass es sich bei der Toten um Krohmers Nichte handelte. Hatte er nicht bereits damit gerechnet?
Pünktlich um halb sechs waren alle im Besprechungszimmer. Christine wurde herzlich begrüßt, vor allem Rudolf Krohmer. Der war völlig überrascht, dass es sich bei der fraglichen Pathologin um Christine Künstle handelte. Das hätte er sich ja eigentlich auch denken können! Dann erschien Krohmers Frau, die ebenfalls von Christine umarmt wurde. Krohmer hatte seine Frau mittlerweile informiert und sie warteten gemeinsam auf das Ergebnis der Obduktion. Sie ahnten beide nichts Gutes, denn Christines Blick sprach Bände.
„Doktor Leichnahm hat den Hauptpart der Untersuchung vorgenommen. Ohne ihn hätten wir das Ergebnis wahrscheinlich erst sehr viel später auf dem Tisch. Er hat sehr schnell kombiniert und gründlich gearbeitet.“ Christine sprach in den höchsten Tönen über die Arbeit des Kollegen. Dr. Leichnahm wurde rot. Reihum bemerkte er die Anerkennung in den Augen der Polizisten. Heute muss wirklich sein Glückstag sein! Normalerweise war es nicht Christines Art, so lange um den heißen Brei zu sprechen. Aber ihr grauste vor der schonungslosen Wahrheit, die sie dem Ehepaar Krohmer mitzuteilen hatte. Gerade, als sie auf den Punkt kommen wollte, ging die Tür auf. Frau Gutbrod brachte eine Kanne Kaffee. Als sie Christine Künstle sah, die direkt neben ihrem Chef saß, wurde sie wütend. Diese schreckliche Person war bereits hier und machte sich an ihn ran! Nach dem ersten Schreck registrierte sie erst jetzt, dass auch Frau Krohmer anwesend war. Warum war sie hier und seit wann? Hatte der Chef deshalb die Zwischentür geschlossen und darum gebeten, nicht gestört zu werden? Neben Frau Krohmer saß ein Mann, den sie nicht kannte. Wer war er und warum nahm er an der Besprechung teil? Frau Gutbrod war vollkommen durcheinander.
„Grüß Sie, Frau Gutbrod,“ rief Christine erfreut, die über die Störung nicht unglücklich war. Sie stand auf, ging auf sie zu und reichte ihr die Hand, die die völlig perplexe Frau Gutbrod entgegennahm. „Ich habe gehofft, Sie hier zu sehen. Wie geht es Ihnen und Ihrer reizenden Nichte Karin? Hat sie endlich einen Mann gefunden?“
„Leider noch nicht,“ stammelte Frau Gutbrod, wobei sie es geschehen ließ, dass ihr diese schreckliche Frau die Kaffeekanne aus der Hand nahm, auf dem Tisch abstellte und sie zur Tür schob.
„Eine Frau in Ihrer Position hat sicher viel zu tun. Ich übernehme es gerne, mich um den Kaffee zu kümmern. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, vielleicht laufen wir uns ja nochmal über den Weg, solange ich hier in Mühldorf bin. Viele liebe Grüße an Ihre Nichte Karin!“
Noch bevor Frau Gutbrod auch nur ein Wort sagen konnte, war die Tür zu! Hinter ihr! Was für eine Frechheit! Ohne es richtig zu begreifen, wurde sie tatsächlich von dieser Frau regelrecht rausgeschmissen. Das würde ein Nachspiel haben, das konnte sie sich nicht gefallen lassen. Wütend ging sie in ihr Büro und dachte nochmals über das nach, was hier vor sich ging. Diese Frau Künstle war hier und durfte an der Besprechung teilnehmen. Frau Krohmer war ebenfalls hier, ohne dass sie davon in Kenntnis gesetzt wurde oder irgendetwas mitbekommen hätte. Und dann noch dieser fremde Mann! Was zum Teufel war hier los? Bislang wurden immer alle Fälle offengelegt und sie konnte ungehindert Einblick nehmen. Diesmal aber nicht! Nicht einen Fetzen Papier diesen Fall betreffend bekam sie bisher in die Finger, obwohl sie sich darum bemühte. Und bei jeder Gelegenheit wurde sie regelrecht ausgesperrt! Und das auch noch von dieser Frau, die sie eben quasi rausgeschmissen hatte – das muss man sich mal vorstellen! Sie als Sekretärin des Chefs wurde von einer Frau, die nicht einmal zur Polizei Mühldorf gehörte, einfach vor die Tür gesetzt! Sie war seit vielen Jahren hier in Mühldorf und war doch allseits beliebt!
Je länger sie darüber nachdachte, desto wütender wurde sie. Man vertraute ihr nicht. Sie wurde abgewimmelt und auch noch weggeschickt, damit sie auch ja nichts mitbekam. Vor allem deshalb und auch nach dem eben Erlebten nahm sie sich vor, mit aller ihr zustehenden Mitteln herauszufinden, was hier vor sich ging!
Dass sie eine alte Ratschtante war und beinahe alles weitertrug, war ihr nicht bewusst. Die Schuld lag nicht bei ihr, sondern natürlich bei den anderen!
„Widmen wir uns wieder dem Fall zu. Ich muss leider bestätigen, dass es sich bei der Toten um eine Verwandte von Ihnen handelt, Herr Krohmer. Die Bluttests waren eindeutig.“
Sie wartete einen Moment, denn diese Information setzte dem Ehepaar Krohmer gewaltig zu, womit nicht nur sie gerechnet hatten. Beide stöhnten auf, Frau Krohmer weinte. Krohmer nahm die Hand seiner Frau und drückte sie fest, dabei sahen sie sich nur an. Der Schmerz war unerträglich, obwohl sie die Möglichkeit vorhin besprochen hatten. Die Gewissheit, dass die Nichte nicht mehr lebte, zog ihnen den Boden unter den Füßen weg. Alle waren berührt und litten mit dem Chef und seiner Frau mit, aber niemand wusste, was er sagen oder tun sollte.
Viktoria begann eine Unterhaltung mit den Kollegen, worauf diese sofort ansprangen. Das gab dem Ehepaar Krohmer Zeit, sich zu sammeln. Nachdem Krohmer sicher war, dass seine Frau sich gefasst hatte, gab Krohmer Christine ein Zeichen, fortzufahren.
„Zur Todesursache kann ich folgendes sagen: Die junge Frau ist durch die Einnahme großer Mengen eines Pflanzengiftes gestorben. Ob sie es freiwillig getrunken hat, oder es ihr eingeflößt wurde, kann ich nicht beurteilen. Sie starb vor drei Tagen, also am Montag, wir schätzen um die Mittagszeit. Genau kann man das nicht mehr festlegen, aber ich bin diesbezüglich mit Dr. Leichnahm einer Meinung.“
War Silke da bereits auf den Weg nach Mühldorf? Hatte sie es überhaupt vorgehabt? Wo war sie ihrem Mörder begegnet? Die Fragen schossen Frau Krohmer durch den Kopf. Sie musste sich sehr bemühen, sich zu konzentrieren und nicht zusammenzubrechen.
„Um welches Pflanzengift handelt es sich?“, fragte Werner.
„Um Paraquat.“
„Das habe ich noch nie gehört,“ rief Leo.
„Aber ich kenne Paraquat,“ sagte Hans, der auf einem Bauernhof vor den Toren Mühldorfs aufgewachsen ist und immer noch dort lebt. Allerdings wurden alle Äcker und Wiesen schon vor Jahren verpachtet, da er selbst keinerlei Interesse an der Landwirtschaft hat. Aber er war seit seiner Kindheit immer wieder mit den Arbeiten konfrontiert worden. Es war früher üblich, dass auch die Kinder immer mithalfen. „Das ist ein Pflanzengift, das bis zu den 70-er Jahren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt hatte. Ein sehr aggressives Mittel, dass für kurze Zeit bei den mir bekannten Landwirten sehr beliebt war. Allerdings führte dieses Mittel vermehrt zu Vergiftungsfällen, denn es ist völlig geruchlos und sieht aus, als wäre es Cola oder Rotwein. Das Mittel wurde in großen Kanistern gekauft, die einen riesigen Ausguss hatten. Für eine bessere Handhabung wurde das Gift oft in Flaschen umgefüllt. Früher dachte man sich nichts dabei, heute ist man da nicht mehr so unbedarft. Umgefüllt in Flaschen konnte man das Pflanzengift leicht mit einem Getränk verwechseln. Einer unserer Nachbarn hat sich seinerzeit bös vergiftet, als er versehentlich einen Schluck getrunken hatte. Dem ging es damals echt übel. Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre draufgegangen. Glücklicherweise war gerade der Hausarzt vor Ort, der eigentlich die Oma besuchen wollte. Er hat sofort gehandelt und der Nachbar konnte gerettet werden. Allerdings ging das nicht spurlos an ihm vorbei und wenige Jahre drauf ist er an Krebs gestorben. Ich bin immer noch fest davon überzeugt, dass das im Zusammenhang mit dem Paraquat steht.“
„Was nicht sehr abwegig ist, wenn ich etwas dazu bemerken darf,“ sagte Dr. Leichnahm. „Paraquat wird von der US-Gesundheitsbehörde als mutagen und krebserregend eingestuft, eine Fruchtschädigung ist bei Überdosierung sehr wahrscheinlich. Wenn diese Informationen von dieser Behörde angegeben wird, kann man davon ausgehen, dass das auch stimmt, denn die geben solche Warnungen nicht leichtfertig raus. Das Pflanzengift Paraquat ist auch für die Tierwelt sehr gefährlich. Nachdem Vergiftungsfälle zugenommen haben und Paraquat auch für den Suizid verwendet wurde, hat man damit begonnen, bei der Produktion eine blaue Färbung, einen stechenden Geruch und ein schnell wirkendes Brechmittel beizufügen, wodurch die Vergiftungsfälle schnell zurückgingen. Allerdings wurde die Produktion des Pflanzengiftes nicht weltweit dahingehend umgestellt, was heißt, dass Paraquat immer noch in der ursprünglichen Form zu bekommen ist, was hier unserem Fall zugrunde gelegt werden muss. Wir haben von den genannten Beifügungen keinerlei Rückstände gefunden.“
„Sie sind sehr gut vorbereitet Dr. Leichnahm, das gefällt mir sehr gut,“ sagte Christine anerkennend.
„Ich bin gerne umfassend informiert,“ erwiderte er darauf. Er hatte vorhin, während Dr. Künstle auf der Toilette war, nochmals im Internet nachgelesen und mit einem Studienkollegen telefoniert, der bei einem großen deutschen Pharmakonzern angestellt ist.
„Ich denke, dass von dem Giftzeugs bei einigen Bauern von der ursprünglichen Form noch einige Kanister vorhanden sind,“ sagte Hans. „Ich habe vielleicht sogar selbst noch Reste von diesem Pflanzengift irgendwo im Schuppen rumstehen.“ Er nahm sich vor, sich in nächster Zeit dringend darum zu kümmern. Die Entrümpelung der beiden alten Schuppen schob er schon seit Jahren vor sich her.
Es entbrannte eine heftige Diskussion über den Einsatz von Pflanzengift in der Landwirtschaft. Einige waren dafür, einige dagegen.
„Musste sie sehr leiden?“, fragte Frau Krohmer leise, die nicht fassen konnte, dass ihre Nichte durch ein Pflanzengift ums Leben kam.
„Nein, machen Sie sich keine Gedanken darüber, das Gift wirkt sehr schnell,“ sagte Christine mit einem Blick auf ihren Kollegen, wobei sie hoffte, dass er den Mund hielt. Denn sie und Dr. Leichnahm wussten genau, dass es ein qualvoller und langsamer Tod sein musste. Doktor Leichnahm verstand sofort. Die Hinterbliebenen mussten nicht so genau über den Tod und die damit verbundenen Umstände informiert werden. Das war für seine Begriffe vollkommen überflüssig und würde sowieso nichts mehr ändern.
„Was ist mit der Schminke?“, fragte Viktoria, denn sie hielt das für eine echt heiße Spur.
„Hier handelt es sich eindeutig um professionelle Theaterschminke der Marke Stars-Make-U. Dieses Make-up wurde von einem Fachmann aufgelegt, davon sind wir beide überzeugt. Alles war so perfekt abgedeckt und dabei lebensecht gemacht, das bringt ein Laie nicht hin. Seht euch die Fotos an und urteilt selber.“
Christine legte einen Stapel Fotos auf den Tisch, die nun reihum gereicht und genau betrachtet wurden. Vor allem die Nahaufnahmen fanden großes Interesse.
„Wie lange braucht man für solch ein Make-up?“
„Ich kenne mich damit nicht aus,“ sagte Christine, „aber einige Stunden bestimmt. Ich habe das kürzlich in einem Fernsehbericht gesehen. Irgendein Model hat sich für einen besonderen Anlass zu einer alten Frau herrichten lassen. Das hat tatsächlich einen ganzen Tag gedauert.“
„Wir wissen noch nicht, ob wir den Tod als Mord oder Selbstmord behandeln müssen,“ sagte Werner. Den anderen lag dieselbe Frage auf den Lippen, hatten aber nicht den Mut, sie zu stellen.
„Mord!“, sagte das Ehepaar Krohmer fast gleichzeitig. Für beide stand es außer Frage, dass sich Silke selbst umgebracht haben könnte.
„Gut, wir haben es mit einem Mord zu tun. Wir haben jede Menge Punkte, an denen wir ansetzen können. Wo und wie kommt man an dieses Pflanzengift? Außerdem suchen wir jemanden, der so perfekt schminken kann. Dann haben wir noch diese Schminke der Marke Stars-Make-U. Vor allem gilt es herauszufinden, wo sich Ihre Nichte bis zu ihrem Tod aufgehalten hat, und wo und wie sie gelebt hat.“
„Gibt es etwas Neues bezüglich der Befragungen der Buspassagiere?“, fragte Krohmer, der die Sache hier beenden musste. Seine Frau konnte nicht mehr, das sah er ihr an.
„Ich habe den Hinweis einer alten Dame wegen eines roten Kleinwagens, der sich offenbar in den frühen Morgenstunden auf dem Busparkplatz befunden hat. Die Dame war sehr in Eile, sie kommt morgen früh aufs Präsidium.“
Hans versprach sich nicht viel von der Aussage der Frau, aber sie mussten jeder noch so kleinen Spur nachgehen.
„Ich habe leider nichts,“ sagte Werner. „Niemand hat etwas gesehen oder gehört, obwohl ich mir bei einigen sicher bin, dass sie mehr wissen. Aber die Angst, dass sie wegen unterlassener Hilfeleistung Ärger bekommen könnten, hindert viele daran, eine Aussage zu machen.“
„Haken Sie da nochmal nach. Beruhigen Sie die Leute, sagen Sie, dass sie nichts zu befürchten haben. Obwohl ich sie liebend gerne alle anzeigen würde, das können Sie mir glauben.“ Krohmer konnte immer noch nicht verstehen, warum nicht ein einziger sich um seine Silke gekümmert hatte. Die Vorstellung, dass sie dort mindestens einen ganzen Tag lang tot am Busparkplatz gesessen hatte, war für ihn unerträglich.
„Irgendetwas Neues bezüglich der Sekten in Berlin?“, fragte Krohmer nun Viktoria.
„Noch nichts, aber ich bleibe dran.“
„Dann war es das für den Moment. Machen Sie sich an die Arbeit. Sie bleiben bitte noch, Dr. Leichnahm. Du auch, Christine.“
Als die Polizisten draußen waren, schloss Krohmer die Tür, ging auf Dr. Leichnahm zu und gab ihm die Hand.
„Ich möchte mich nochmals persönlich bei Ihnen bedanken. Sie haben uns ohne Zögern und ohne Umstände geholfen und uns mit ihrer Arbeit eine Menge Zeit gespart. Nochmals herzlichen Dank, Sie haben etwas gut bei mir. Das ist nicht nur eine Floskel, ich meine das so.“
„Es war mir ein Vergnügen. Es ist lange her, dass ich in diesem Bereich gearbeitet habe. Heute war seit Langem wieder ein sehr schöner Tag für mich, eigentlich müsste ich mich bei Ihnen bedanken.“
„So, wie ich Christine verstanden habe, arbeiten Sie nicht mehr in der Pathologie?“
„Nein, leider nicht. Nach einem dummen Fehler meinerseits sah ich mich dazu gezwungen, zu kündigen. Das ist mir nicht leichtgefallen, das können Sie mir glauben. Ich war mit Leib und Seele Pathologe und kann mir immer noch keinen schöneren Beruf vorstellen.“
„Das kann ich absolut nachvollziehen,“ stimmte Christine zu, obwohl das Ehepaar Krohmer sich keinen schlimmeren Beruf vorstellen konnte und das nicht verstand.
„Was ist damals passiert?“, wollte nun Krohmer wissen und bat Christine und Dr. Leichnahm, nochmals Platz zu nehmen. Er machte sich Sorgen um seine Frau, die sich nur schwer auf den Beinen halten konnte. Er schenkte Kaffee nach, während Christine Frau Krohmer einige Beruhigungstropfen auf einen Löffel träufelte, die diese dankbar annahm.
„Geht es, Luise?“, fragte Krohmer seine Frau. „Soll ich dich nach Hause bringen?“
„Passt schon,“ antwortete sie und trank einen Schluck Kaffee, wobei sie sich konzentrieren musste, nicht zu sehr zu zittern. „Wenn ich nicht störe, möchte ich gerne hierbleiben. Ich kann jetzt nicht alleine sein.“ Krohmer drückte ihre Hand und war zufrieden. Er wollte sie jetzt nur sehr ungern alleine lassen.
„Bitte, Herr Dr. Leichnahm, erzählen Sie. Wir sind hier in einer Runde, in der Ihnen nichts peinlich sein muss. Offenbar hält die bei uns allen geschätzte Christine große Stücke auf Sie, denn nur selten habe ich erlebt, dass sie so großzügig Lob ausspricht. Erzählen Sie frei heraus, vielleicht kann ich etwas für Sie tun.“
Dr. Leichnahm war diese Situation trotz der warmen Worte peinlich. Er sah Christine an, die ihn anlächelte, ihm zunickte und ihn dadurch ermunterte.
„Bei uns war damals viel los, ein schrecklicher Verkehrsunfall mit vielen Toten. Wir arbeiteten im Akkord rund um die Uhr bis zu unserer Belastungsgrenze. Von Seiten des Staatsanwaltes wurde angeordnet, dass alle Opfer so schnell wie möglich obduziert werden mussten. Ich möchte Sie nicht mit Einzelheiten langweilen. Um es kurz zu machen: Ich habe zwei Berichte vertauscht und dadurch auch die zugehörigen Leichen. Die Namen waren sehr ähnlich, dazu auch noch das Alter und die Verletzungen. Ich will mich nicht rausreden. Ein Bestatter hat den Fehler zwar noch rechtzeitig bemerkt, aber das hat mir auch nicht mehr geholfen. Diesen Fehler konnte ich mir nicht verzeihen und habe deshalb selbstverständlich sofort gekündigt. Für mich stand fest, dass ich in diesem Beruf unmöglich weiterarbeiten kann, so etwas darf nicht passieren.“
„Das ist alles?“, rief Luise Krohmer aus, die viel Schlimmeres erwartet hatte. „Wegen dieser Kleinigkeit werfen Sie gleich den ganzen Beruf hin? Fehler können doch passieren, auch in diesem Beruf. Sie standen unter enormen Druck.“
„Das ist zwar keine Kleinigkeit und es ist ja zum Glück nichts passiert,“ sagte nun Christine, „aber auch ich finde Ihre damalige Reaktion völlig übertrieben. Sie sind ein sehr fähiger Pathologe und gehören in diesen Beruf, denn hierin tummeln sich viel zu viele Stümper und Ignoranten.“ Sie dachte dabei in erster Linie an ihren Kollegen in Ulm, mit dem sie seit einigen Monaten zusammenarbeiten musste und dem ein Fehler nach dem anderen unterlief. Dazu ist er noch überaus unmotiviert, patzig und schlampig. Sie geriet regelmäßig mit ihm aneinander, was den Kollegen aber überhaupt nicht interessierte. Nächstes Jahr im Januar sollte sie in Pension gehen und dann würde dieser Dilettant ihre geliebte Pathologie übernehmen. Ihr Lebenswerk, das ihr sehr am Herzen lag! Die Vorstellung allein brachte sie nicht nur zur Weißglut, sondern bereitete ihr viele schlaflose Nächte.
„Sie finden wirklich, dass ich überreagiert habe?“
„Allerdings. Sie sind für den Beruf wie geschaffen und wir brauchen in unserer Branche solche Kaliber wie Sie es sind.“
Krohmer konnte sich ein Schmunzeln nach den Ausführungen von Dr. Leichnahm nicht verkneifen, denn er war während seiner Laufbahn schon mit viel schlimmeren Fehlern konfrontiert worden. Ihm war bekannt, dass in Bayern Pathologen händeringend gesucht werden und das, was Christine eben sagte, gab ihm zusätzlich zu denken. Sie sprach beileibe nicht leichtfertig Lob aus. Er erinnerte sich an ein Gespräch mit einem Kollegen während einer Tagung in München, worin sich dieser über den mangelnden Nachwuchs in dem Bereich der Pathologie ausließ und für die Zukunft schwarz sah. Jetzt saß er einem fähigen Mann gegenüber, der auch laut Christine in diesen Beruf gehörte. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn er da nicht helfen konnte.
„Wären Sie bereit, in Deutschland zu arbeiten?“, fragte er ihn direkt.
„Selbstverständlich, aber ich bin hier nicht zugelassen.“
„Was braucht man dazu?“, wandte sich Krohmer an Christine.
„Keine Ahnung, aber das dürfte kein allzu großer Aufwand sein. Ich rufe einen Kollegen an, der mir noch einen Gefallen schuldig ist,“ sagte Christine, nahm ihr Handy aus der riesigen Handtasche und ging vor die Tür. Wenn sie telefonierte, konnte sie keine Mithörer brauchen.
Dr. Richard Leichnahm konnte kaum glauben, was eben vor sich ging. Frau Dr. Künstle sprach gerade mit einem Kollegen über ihn und dieser Herr Krohmer von der hiesigen Polizei wollte sich offenbar für ihn verwenden und seine Kontakte spielen lassen. Das war ihm noch niemals vorher passiert! Heute war tatsächlich sein Glückstag!
Krohmer und Dr. Leichnahm unterhielten sich über belanglose Dinge, während sie Christine vor der Tür nicht nur sprechen, sondern ab und an sogar laut lachen hörten. Endlich kam sie wieder herein.
„Das wäre geklärt.“ Sie setzte sich und machte Notizen auf einen Zettel, den sie Dr. Leichnahm überreichte. „Mein Kollege Dr. Trautschke wird Sie unter seine Fittiche nehmen und Sie auf dem Weg begleiten, damit Sie hier in Deutschland als Pathologe zugelassen werden. Rufen Sie ihn an.“
„Wenn Sie die erforderlichen Voraussetzungen haben, melden Sie sich bei mir. Bis dahin habe ich ganz bestimmt ein perfektes Jobangebot für Sie,“ sagte Krohmer, der bereits wusste, an wen er sich wenden würde.
„Wenn ich nicht eine andere Lösung für Dr. Leichnahm vorgesehen habe,“ warf Christine ein, die andere Pläne hatte und Dr. Leichnahm für Ihre Pathologie in Ulm gewinnen wollte. Aber das würde sie separat mit Krohmer besprechen und sich irgendwie mit ihm einigen. Dr. Leichnahm zu überzeugen wäre eine Kleinigkeit für sie, der Mann fraß ihr regelrecht aus der Hand.
„Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll,“ brachte Dr. Leichnahm gerade noch heraus. Waren das etwa Tränen in seinen Augen?
„Sie brauchen mir nicht zu danken. Ich habe Sie wärmstens empfohlen. Geben Sie Ihr Bestes und blamieren Sie mich ja nicht!“, drohte Christine mit dem Finger.
Die Recherchen der Polizisten gingen noch bis tief in die Nacht. Erst gegen dreiundzwanzig Uhr war endlich Feierabend. Leo fuhr direkt nach Hause. Er wohnte auf einem kleinen Anwesen bei Altötting in der neu ausgebauten Wohnung bei der Tante seines Kollegen Hans Hiebler, was ein absoluter Glücksfall war. Er fühlte sich inzwischen sehr wohl hier, nachdem er anfangs sehr unglücklich über seine Strafversetzung von Ulm war, die nach einem unschönen Vorfall unvermeidlich war. Vor allem die liebgewonnenen Freunde und Kollegen vermisste er sehr. Und auch die Schwäbische Alb, durch die er mit Vorliebe stundenlang alleine wanderte. Er sehnte sich auch heute noch in manchen stillen Stunden danach. Natürlich hätte er auch von hier aus leicht in die Berge fahren und dort wandern können, aber das war nicht dasselbe. Die Landschaft und Umgebung der Schwäbischen Alb waren für Leo einzigartig und unvergleichbar.
Es brannte noch Licht in der Wohnstube von Tante Gerda und lautes Lachen, das unverkennbar von Christine kam, drang bis vor die Tür. Er klopfte und trat ein, er fand die beiden alten Damen auf der Couch vor. Vor ihnen auf dem Tisch standen zwei leere Rotwein-Flaschen. Der Mischlingshund Felix, den er in einem jämmerlichen Zustand völlig abgemagert und misshandelt bei dem Fall vom Sinder-Hof in Tüßling befreit hatte und seitdem bei Tante Gerda lebte, kam ihm freudig entgegen. Oder sollte er eher sagen: Rollte auf ihn zu? Der Hund wurde dicker und dicker. Tante Gerda unternahm zwar täglich ausgiebige Spaziergänge mit ihm, verwöhnte ihn aber auch aufgrund seiner schlimmen Vergangenheit mit den tollsten Leckereien rund um die Uhr, was nun deutliche Spuren hinterließ. Bei Gelegenheit musste er dringend ein ernstes Wörtchen mit Tante Gerda reden, jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt.
„Leo! Wie schön! Setz dich zu uns. Wo hast du deine Viktoria gelassen?“, rief ihm Christine entgegen. „Och, sieh ihn dir an, Gerda. Er denkt immer noch, dass niemand davon weiß.“
„Wenn Viktoria hier übernachtet, dann stiehlt sie sich in den frühen Morgenstunden davon. Sie parkt sogar ihren Wagen die Straße runter. Ich finde das rührend, sie führen sich auf wie Teenager,“ sagte Tante Gerda lachend, die fürchterlich einen im Tee hatte. Ihre Augen waren klein und schmal, und ihre Backen leuchteten feuerrot. Sie war sehr glücklich, dass Christine wieder hier war und sie endlich wieder eine angenehme Gesprächspartnerin hatte.
„Ihr wisst es?“, sagte Leo erstaunt. Viktoria und er hatten sich immer bemüht, sich so diskret wie möglich zu verhalten.
„Natürlich wissen wir es, und zwar alle. Damit meine ich deine Ulmer und Mühldorfer Polizeikollegen. Es ist uns ein außerordentliches Vergnügen, uns über euch lustig zu machen,“ rief Tante Gerda lachend aus. Sie stand auf, holte eine weitere Flasche Wein und ein Glas für Leo.
„Das macht schon in Ulm die Runde?“ Leo war sprachlos. Wie konnte das sein?
„Vergiss nicht, dass du mit Ursula in Griechenland warst, sie hat uns nach anfänglichem Zögern alles haarklein berichtet. Weißt du eigentlich schon, dass Ursula kürzlich Besuch von ihrem hübschen Griechen Stavros bekommen hat? Ein reizender Mensch, so gebildet und kultiviert. Die beiden geben ein wirklich hübsches Paar ab.“
„Stavros Ustanidis? Du machst Witze! Die beiden sind wirklich ein Paar? Das glaube ich nicht!“
Stavros Ustanidis arbeitete bei der Polizei in Kos-Stadt und hatte ihn und Ursula bei diesem fürchterlichen Fall auf Kos sehr unterstützt. Leo bekam eine Gänsehaut, als er mit seinen Gedanken auf Kos und seiner Exfrau Kerstin war.
„Warum sollten Ursula und der Grieche kein Paar sein? Ursula ist zwar zugegebenermaßen etwas verrückt, aber sie ist ein sehr liebes Mädchen. Und Stavros passt perfekt zu ihr. Was mir allerdings nicht gefällt ist die Möglichkeit, dass Ursula zu Stavros nach Kos gehen könnte. Der Junge liebt seine griechische Heimat, er schildert sie bei jeder Gelegenheit in den schönsten Farben.“
„Kos ist wirklich eine wunderschöne Insel. Anfangs habe ich das nur am Rande wahrgenommen, aber dann in voller Pracht.“ Nun musste Leo schmunzeln, als er an die zweite Urlaubswoche dachte, die er mit Viktoria in diesem sündhaft teuren Hotel verbracht hatte. Sie unternahmen Ausflüge, redeten und lachten viel und kamen sich endlich nahe.
Tante Gerda und Christine mussten lachen, als sie das vielsagende Gesicht von Leo bemerkten.
„Einen Cent für deine Gedanken,“ rief Tante Gerda aus.
„Kos ist sicher schön, das glaube ich gerne,“ sagte Christine, während sie sich Wein nachschenkte, „aber wir haben auch eine schöne Heimat. Ich mag Ursula sehr und würde sie nur ungern gehen lassen. Ich muss bereits auf Leo verzichten, noch einen Verlust könnte ich nicht verkraften. Worauf ich aber liebend gerne verzichten könnte, wäre die Pfeife in meiner Pathologie, da wäre mir Dr. Leichnahm schon deutlich lieber.“
„Jetzt sag nicht, dass es einen Pathologen mit dem Namen Leichnam gibt,“ rief Tante Gerda erstaunt. Und nachdem Christine zustimmte, lachten Leo und sie gemeinsam, bis ihnen die Tränen kamen, was Christine nun überhaupt nicht verstand.
„Was gibt es denn da zu lachen? Ihr seid echt kindisch, schämt euch. Erstens schreibt man diesen Dr. Leichnahm mit einem h.“
„Was auch keinen großen Unterschied macht, die Aussprache ist dieselbe,“ sagte Tante Gerda und schenkte Wein nach, während sie nochmals einen Lachanfall bekam.
„Jetzt reiß dich doch zusammen. Ich erzähle euch eine persönliche Geschichte: Während meiner Ausbildungszeit trug ich meinen Mädchennamen Zeitler und hatte keine Probleme damit. Dann habe ich dummerweise geheiratet und den Namen Künstle bekommen, auf den ich anfangs mächtig stolz war. Es ging mir tierisch auf die Nerven, bei allen möglichen Anlässen erst immer zum Schluss dran zu kommen. Irgendjemand kam irgendwann auf die Idee, alle möglichen Abläufe alphabetisch zu ordnen. Somit kam ich mit Z wie Zeitler immer am Schluss. Mit dem Namen Künstle lag ich schön in der Mitte – und wurde zum Gespött der Kollegen. Unser damaliger Professor war ein Riesenarsch und nicht gerade der Begabteste, wenn es um Scherze ging, über die wir aber alle lachen mussten. Eines Tages also gab er zum Besten, dass der Befund eines Kollegen keine große Kunst wäre – oder sollte er sagen: kein großes Künstle? – wobei er mich ansah. Bezogen auf den schwäbischen Ausdruck von Kunst, also Künstle, und dann noch auf meine geringe Körpergröße war ich also fortan das kleine Künstle. Bei jeder noch so geringen Gelegenheit griffen meine Kollegen dieses geflügelte Wort auf und es war immer ein Riesengag: Was sagt die kleine Künstle über das große Künstle? Oder: wäre das nicht ein kleines Künstle, wenn das funktionieren würde? Und so weiter und so fort. Seitdem kann ich es nicht ertragen, wenn man sich über Namen lustig macht. Wenn man sich Mühe gibt, kann man sich über alles und jeden lustig machen. Das muss nicht sein und fühlt sich für den, der das aushalten muss, nicht gut an.“
Leo fühlte sich peinlich berührt, denn er hatte sich noch niemals Gedanken darüber gemacht. Tante Gerda konnte den Ausführungen von Christine nicht ganz folgen, dafür hatte sie zu viel getrunken. Sie verstand nur, dass die schwäbische Form von Kunst eben Künstle war, und für sie war das nicht lustig.
„Du hast ja Recht, ich entschuldige mich in aller Form.“ Leo nahm die Flasche Wein und schenkte nach.
„Ich finde deine Geschichte mit dem Namen nicht lustig und entschuldige mich deshalb nicht,“ sagte Tante Gerda. „Viel mehr interessiert mich, wen du damals geheiratet hast. Erzähl mir von dem Mann.“
„Ein anderes Mal unter vier Augen, das ist nichts für Leo. Kommen wir auf meine ursprüngliche Frage zurück: Wo ist deine Viktoria?“
„Sie ist zuhause. Viktoria möchte, dass die Sache geheim bleibt, bis wir uns als Paar näher kennengelernt und bewährt haben, was immer das auch heißen mag. Ich glaube, dass sie dummen Sprüchen und Bemerkungen aus dem Weg gehen möchte, was mir völlig egal wäre. Wenn es nach mir ginge, würden wir ganz offen mit unserer Beziehung umgehen. Ich bin gerne mit ihr zusammen und bin auch sehr stolz auf sie.“
„Dann sag ihr, dass sie sich nicht so blöd aufführen soll. Sie sollte gefälligst mit uns zusammensitzen, es wäre viel schöner mit ihr. Ich schlafe bei Gerda im Gästezimmer, das haben wir längst geklärt, und ihr könnt oben in deiner Wohnung völlig ungestört sein. Außerdem bin ich echt beleidigt, dass sich heute Abend niemand von euch herabgelassen hat, hier aufzukreuzen. Jeder weiß doch, dass ich hier bin.“
„Sei bitte nicht böse Christine. Bis vorhin haben wir an dem Fall gearbeitet. Morgen kommen alle, das verspreche ich dir.“
Sie saßen noch lange bis in die Nacht, unterhielten sich, lachten, scherzten und tauschten gemeinsame Erinnerungen aus.