Kitabı oku: «Leichenschau», sayfa 4
Leo musste zugeben, dass der Abend mit Viktoria sehr viel schöner gewesen wäre. Er musste so schnell wie möglich mit ihr sprechen.
4.
Als Leo das Büro betrat, waren die anderen längst bei der Arbeit. Er hatte nach Absprache mit Hans nach dem Frühstück nochmals mit den wenigen Busfahrern und Anwohnern in Altötting gesprochen, die gestern nicht angetroffen wurden und somit nicht befragt werden konnten. Bereitwillig wurden Aussagen gemacht. Auch die Busfahrer, die sich anfangs teilweise desinteressiert zeigten, waren nun allesamt sehr gesprächig und gingen freundlich und bereitwillig auf Leo zu. Der Fahrplan war zur Nebensache geworden. Auch die Anwohner baten ihn oft herein und sprachen offen mit ihm. Vielleicht lag es daran, dass in der heutigen Ausgabe der Tageszeitung ein ausführlicher Artikel über die Tote mit vagen Andeutungen erschienen war. Darin wurde auch die mangelnde Zivilcourage, das Desinteresse und die Ignoranz angesprochen, was bei der Bevölkerung eine heftige Betroffenheit ausgelöst hatte. Leo konnte Kfz-Beschreibungen der am Mittwoch am Busparkplatz parkenden Fahrzeuge, Teile von Kennzeichen und sogar einige Personenbeschreibungen aufnehmen, die zwar ungenau waren, aber die Polizei vielleicht doch einen Schritt weiter brachten. Besonders eine Anwohnerin, die alte Frau Heuwieser, erwies sich als sehr anhänglich und auskunftsfreudig. Sie schien ihn geradezu erwartet zu haben.
„Kommen Sie rein, junger Mann, nur keine Scheu. Sehen Sie sich bitte nicht um, ich habe noch nicht aufgeräumt,“ empfing sie Leo laut und ging ihm voran. Eigentlich wollte Leo nicht, die wenigen Fragen konnte man auch an der Tür klären. Aber Frau Heuwieser schien ihn nicht zu hören und er folgte ihr daher. Durch den gestrigen übermäßigen Weinkonsum und die wenigen Stunden Schlaf hatte er schreckliche Kopfschmerzen, die durch den Geruch und den mangelnden Sauerstoff in dem Haus verstärkt wurden. Das Haus war sehr klein und eng, die Decken waren ausgesprochen niedrig. In den Türstöcken musste er den Kopf einziehen. Leo folgte der Frau durch den Flur, der über und über mit Nippes bestückt war: Weihwasser-Behälter, Heiligenbildchen in allen Größen und Formen, vergilbte Fotos in unterschiedlichen Rahmen, dazwischen mehrere Kreuze in den verschiedensten Ausführungen, sowie Trocken- und/oder Kunstpflanzen, die üppigen Staub angesetzt hatten. Alles nicht gerade einladend und freundlich, sondern eher düster und drückend. Leo fühlte die Blicke der Menschen auf den vielen Bildern förmlich auf sich, es schien, als würden sie ihn beobachten. Er folgte der Frau in ihrem geblümten Kleid, den dicken Strümpfen und den ausgelatschten Hausschuhen in eine Wohnküche, wo es nach frischem Kaffee und Toast roch. Sie setzten sich an den kleinen Tisch, der zur Hälfte mit Medikamenten und einem Stapel Zeitungen belegt war. Ungefragt holte Frau Heuwieser eine Tasse aus dem Schrank. Sogar ein Unterteller, der farblich nicht dazu passte, wurde aus dem hinteren Teil des Schranks gefischt.
„Sie trinken bestimmt eine Tasse mit mir,“ sagte sie freundlich, während sie bereits aus der alten Porzellankanne einschenkte. Leo bemerkte mit einem Lächeln den Tropfschutz an der Kanne, der bestimmt schon uralt war und immer noch seine Dienste tat, was ihn an seine lange verstorbene Großmutter erinnerte. Die 82-jährige Frau Heuwieser setzte sich mit einem Lächeln ihm gegenüber und strahlte ihn erwartungsvoll an. Die schneeweißen Haare waren ordentlich zusammengeknotet und die Bäckchen des runden Gesichtes waren errötet. Trotz ihres hohen Alters, das sie ihm sofort an der Tür verraten hatte, war ihr Geist hellwach und die Augen blitzten ihn munter an.
„Sie kommen wegen der Toten am Busparkplatz,“ begann sie ungefragt. „Ich habe die Frau gesehen. Ja ich weiß, ich hätte rübergehen und sie vielleicht ansprechen sollen, das ist mir jetzt auch klar. Aber ich wusste nicht, dass sie schon den ganzen Tag über dort gesessen hat, das habe ich erst heute aus der Zeitung erfahren. Wissen Sie, ich bin eine alte Frau und möchte keinen Ärger haben. Außerdem höre ich ein bisschen schlecht und habe Hemmungen, mit anderen Menschen zu sprechen.“
Das klang nicht sehr überzeugend, denn Leo war sich sicher, dass Frau Heuwieser keine Gelegenheit ausließ, um mit anderen zu tratschen und sich auszutauschen. Ungläubig zog er dabei eine Augenbraue nach oben und drohte mit dem Finger.
„Das nehme ich Ihnen nicht ab, Frau Heuwieser. Sie dürfen die Polizei nicht anschwindeln,“ sagte Leo laut und deutlich. Er konnte spüren, dass die Frau unbedingt etwas sagen musste.
„Gut, ich sage Ihnen, wie es war. Schon von der Früh an saß die Frau auf der Bank am Bussteig, und zwar immer in der gleichen Haltung. Ich gebe zu, dass ich sie beobachtet habe.“
Leo sah sich um. Weder vom Flur, noch von der Wohnküche aus ging ein Fenster zum Busparkplatz hin. Frau Heuwieser wusste sofort, wonach sich Leo umsah.
„Nicht von hier aus! Von oben, vom Schlafzimmer. Und bevor Sie mich erwischen: Ich habe sie mit dem Fernglas beobachtet, meine Augen sind nicht die besten. Weil die Frau am Mittag immer noch dort saß, bin ich hin und habe sie angesprochen. Als sie nicht geantwortet hat, gab ich ihr mit meinem Stock einen leichten Stoß. Da war mir klar, dass sie tot ist. Aber irgendetwas stimmte nicht, denn eigentlich sah sie sehr lebendig aus.“
„Warum haben Sie nicht sofort die Polizei gerufen?“
„Weil ich keinen Ärger wollte, in meinem Alter verkraftet man das nicht mehr so leicht. Wenn Sie einmal in mein Alter kommen, werden Sie noch an mich denken. Ich war mir sicher, dass irgendjemand die Frau findet und die Polizei ruft, schließlich ist am Busparkplatz jede Menge los. Ich gebe zu, dass ich mich nicht mehr um die Frau gekümmert habe. Ich bin nach Hause und habe mich dazu gezwungen, nicht mehr nach ihr zu sehen. Am Nachmittag bin ich in die Kirche, am Mittwochnachmittag ist immer Seniorenkaffee, den ich noch nie habe ausfallen lassen. Danach bin ich in die Abendmesse. Die Abwechslung kam mir gerade recht. Es hat funktioniert, ich habe die Frau völlig vergessen. Im Fernsehen kam ein Volkstheaterstück, auf das ich mich schon die ganze Woche gefreut habe. Ich habe nicht einmal mitbekommen, dass die Kriminalpolizei hier war und habe erst am nächsten Morgen von einer Nachbarin davon erfahren.“
Aus den Unterlagen wusste Leo, dass zwecks einer Befragung auch an ihrer Haustür geklingelt wurde, aber es wurde nicht geöffnet. Eine Nachbarin hat den Kollegen darauf aufmerksam gemacht, dass Frau Heuwieser zwar zuhause sei, aber aufgrund ihrer schlechten Ohren den Fernseher sehr laut stellt und deshalb die Klingel nicht hört.
„Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen, während sie die Frau beobachtet haben?“
„Ich möchte niemanden anschwärzen und keine Schwierigkeiten bekommen,“ druckste Frau Heuwieser herum.
„Raus mit der Sprache!“
„Ich habe ein Auto gesehen, das drei Mal langsam an der Frau vorbeifuhr. Aber das kann natürlich auch Zufall gewesen sein.“
„Welches Auto? Konnten Sie den Fahrer erkennen?“
„Es war ein Mann, eindeutig. Und das Auto war blau, dunkelblau.“
Leo war enttäuscht, damit konnte er nicht viel anfangen.
„Das ist alles? Mehr konnten Sie nicht beobachten?“
„Ich kenne mich mit Autos nicht aus. Das, das ich gesehen habe, hatte keine Nummer von Altötting, das weiß ich ganz bestimmt. Das war aus dem Rottal.“
„Sind Sie sich ganz sicher?“
„Ja, ich bin mir sicher. Die Nummer begann mit PAN. Als mein Mann noch lebte, machte er sich über die Autos mit dieser Nummer immer lustig, denn er mochte die Rottaler nicht. Er sagte immer, wenn er ein Auto mit PAN-Nummer sah: Pass auf, a Narrischer, oder: Primitiver aus Niederbayern. Sie verstehen? Ich habe nie etwas gegen die Rottaler gehabt, das sind auch nur Menschen.“
Sie lachte laut. Auch Leo musste lachen über die spitzbübische Art der alten Frau, die noch topfit im Kopf war.
„Würden Sie das Auto wiedererkennen, wenn sie es auf einem Bild sehen?“
„Sicher. Ich höre zwar nicht mehr gut und meine Knie und die Hüften wollen auch nicht mehr so richtig, aber meine Augen sind vollkommen in Ordnung. Wissen Sie, die Frauen im Seniorenkaffee sind schon fast alle operiert worden wegen irgendeinem Star, aber ich hatte noch nie Probleme mit den Augen.“
„Waren Sie schon einmal bei der Polizei in Mühldorf?“
„Ich habe noch nie etwas mit der Polizei zu tun gehabt, mein ganzes Leben lang nicht. Und in Mühldorf war ich bestimmt schon dreißig Jahre nicht mehr. Was soll ich auch dort? Alles, was ich brauche, habe ich hier in Altötting.“
„Ich würde Ihnen gerne Bilder von Autos zeigen, damit wir das finden können, das Sie gesehen haben.“
„Sie meinen, Sie wollen mich mitnehmen?“ Leo nickte. „Dann muss ich mich umziehen.“ Unsicher sah sie ihn an.
„Lassen Sie sich Zeit. Ich hole meinen Wagen und warte direkt vor Ihrer Tür.“
„Und wie komme ich wieder zurück?“
„Sie werden gefahren, das ist doch selbstverständlich. Vielleicht sogar mit einem Streifenwagen.“
„Au ja, dann haben die Nachbarn was zu tratschen.“
„Das ist Frau Heuwieser,“ stellte Leo die alte Frau vor, die zur Feier des Tages ihr bestes Kleid und die Sonntagsschuhe angezogen hatte. Sie duftete nach einem Parfum, das Leo abermals an seine eigene Großmutter erinnerte, die er sehr gemocht hatte und die viel zu früh starb. Werner, Hans und Viktoria begrüßten sie freundlich und sahen Leo fragend an.
„Frau Heuwieser hat einen verdächtigen Wagen mit einem Pfarrkirchner Kennzeichen gesehen. Jetzt müssen wir nur noch herausbekommen, um welchen Wagentyp es sich handelt.“
Er sprach sehr laut und die Kollegen verstanden sofort. Werner stand auf und setzte sich mit Frau Heuwieser an seinen Computer, da er in diesem Bereich am fittesten war. Sie gingen geduldig eine halbe Stunde die fraglichen Modelle durch, bis sie schließlich das richtige fanden.
„Das da ist er! Der war es in dunkelblau.“
Sofort gab Werner Grössert das fragliche Modell und dazu PAN in den Computer ein, wodurch zwölf dieser Wagen in wenigen Sekunden auf dem Bildschirm erschienen. Frau Heuwieser sah ihm fasziniert zu. Sie hatte nur sehr selten mit Computern zu tun. Die waren ihr sehr suspekt und sie interessierte sich auch nicht dafür. Aber was jetzt direkt vor ihren Augen geschah, konnte sie kaum glauben, das war schon sehr beeindruckend.
„Wenn das mit diesen Maschinen so weitergeht, übernehmen die einmal die ganze Arbeit für uns, dann sind wir Menschen überflüssig.“
„Machen Sie sich darüber keine Sorgen,“ sagte Werner mit einem Schmunzeln. „Man wird immer Menschen brauchen, die Computer bedienen können.“
„Ich brauche mir keine Sorgen machen, junger Mann, mich betrifft das nicht mehr. Sie müssten sich Sorgen machen.“
Frau Gutbrod betrat das Büro und brachte einige Schriftstücke.
„Hallo Frau Gutbrod,“ rief Hans breit grinsend laut durch den Raum, weshalb ihn Frau Gutbrod feindselig ansah. Sie hatte sich fest vorgenommen, ihm gegenüber keine Schwäche zu zeigen.
„Guten Morgen,“ war ihre knappe Antwort.
„Wären Sie so freundlich und würden veranlassen, dass Frau Heuwieser mit einem Streifenwagen nach Hause gebracht wird?“
Frau Gutbrod nickte nur. Sie schien nicht sehr begeistert, aber Frau Heuwieser dagegen umso mehr. Noch niemals war sie mit einem Polizeiwagen mitgefahren. Das alles hier war für sie eine sehr willkommene Abwechslung und sehr aufregend.
„Kommen Sie bitte mit, Frau Heuwieser,“ sagte Frau Gutbrod murrend, die nicht ahnte, warum diese alte Frau hier bei den Kollegen der Kriminalpolizei war.
„War das schon alles? Würden Sie mir sagen, wenn Sie das Auto und den Mörder gefunden haben?“
„Selbstverständlich, Frau Heuwieser. Nochmals vielen Dank, Sie haben uns sehr geholfen,“ sagte Leo und schob die alte Frau zur Tür.
Jetzt wurde Frau Gutbrod hellhörig. Die Alte war eine Zeugin? Vielleicht konnte sie von ihr etwas über diesen Fall erfahren? Trotz aller Bemühungen war sie an kein Schriftstück gekommen und konnte auch von keinem der Kollegen auch nur ein Wort darüber in Erfahrung bringen. Draußen vor der Tür ging Frau Gutbrod deshalb zum Angriff über.
„Sie haben doch bestimmt noch Zeit für eine gute Tasse Kaffee und ein Stückchen Kuchen?“
„Aber sicher, ich habe nichts anderes vor.“
Sie gingen in die Kantine, in der um diese Uhrzeit nur wenige Kollegen saßen. Frau Gutbrod holte Kaffee und Kuchen und setzte ihr charmantestes Lächeln auf.
„Sie sind eine sehr wichtige Zeugin in diesem fürchterlichen Mordfall. Ich möchte mich nochmals auch im Namen der Kollegen bei Ihnen bedanken,“ säuselte Frau Gutbrod süßlich.
„Das ist doch selbstverständlich. Man hilft, wo man kann,“ antwortete Frau Heuwieser geschmeichelt. Sie erzählte nochmals ausführlich und in allen Farben, was sie gesehen hatte.
Das war es also! Es geht um die Tote am Altöttinger Busbahnhof, von der sie heute einen Bericht in der Tageszeitung gelesen hatte. Allerdings stand nichts darin, dass die Tote sehr lebendig ausgesehen hatte. Was war der Grund dafür? Was steckte dahinter? Um wen handelte es sich bei der Toten?
Während Frau Heuwieser redete und redete, dachte Frau Gutbrod über den Fall nach. Entweder war der so außergewöhnlich verzwickt und die Tote war eine Prominente, oder irgendjemand aus der oberen Gesellschaftsschicht oder von der Polizei war persönlich darin involviert. Aus welchen Gründen sonst würden die Kollegen sonst so ein Geheimnis um die Ermittlungen machen?
Hilde Gutbrod konnte aus Frau Heuwieser nichts mehr rauskriegen, weshalb es an der Zeit war, sie loszuwerden. Sie winkte der alten Frau in dem Streifenwagen noch hinterher, war aber mit den Gedanken schon ganz woanders. Sobald die Kollegen das Büro verließen, musste sie unbedingt an die aktuellen Akten herankommen. Sie brauchte einfach mehr Informationen. Das, was sie bisher wusste, war wenig bis nichts. Bis auf diesen Hinweis auf den dunkelblauen Kleinwagen mit dem Pfarrkirchner Kennzeichen.
Was die Angelegenheit Untermaier/Schwartz betraf, war Frau Gutbrod auch keinen Schritt weitergekommen. Gestern Abend hatte sie eine Ewigkeit in ihrem Wagen verbracht und hatte auf die beiden gewartet, um herausfinden, was zwischen den beiden vorging. Zu ihrer Enttäuschung verließen sie zwar gemeinsam das Präsidium, fuhren aber in entgegengesetzte Richtungen. Kurzentschlossen war sie Leo Schwartz gefolgt und sah sich ständig nach Frau Untermaier um, von der aber weit und breit nichts zu sehen war. Leo Schwartz fuhr direkt nach Hause, wo der Wagen dieser fürchterlichen Christine Künstle stand. Frau Gutbrod wartete in sicherer Entfernung noch eine halbe Stunde, aber es rührte sich absolut nichts, von Frau Untermaier war nichts zu sehen. Sie entschied, nach Hause zu fahren und diese Spur nicht weiter zu verfolgen. Vielleicht ging auch nur die Phantasie mit ihr durch und die beiden hatten nichts miteinander. Eigentlich passten die beiden auch überhaupt nicht zusammen. Leo Schwartz passte viel besser zu ihrer Nichte Karin. Natürlich war der Schwabe nicht die beste Partie und sie hatte sich für ihre Karin mehr gewünscht, aber von allen ledigen Männern, die sie kannte, war er immer noch der Angenehmste. Und ihre Karin musste schließlich endlich unter die Haube. Dass Karin noch keinen Mann zum Heiraten gefunden hatte, lag für sie daran, dass ihre Nichte einfach zu perfekt war und die Männer Angst vor ihr hatten, einen anderen Grund konnte sie sich einfach nicht vorstellen. Zuhause angekommen parkte sie ihren Wagen und freute sich auf ein warmes Bad, denn durch die ganze Warterei war sie total durchgefroren. In der Wanne liegend und von riesigen Schaumbergen umgeben ärgerte sie sich darüber, dass sie den heutigen Abend sinnlos vergeudet hatte. Die Angelegenheit Untermaier/Schwartz musste zurückgestellt werden. Sie musste sich auf den Mordfall konzentrieren.
Nach der Aussage von Frau Heuwieser und mit den Halteradressen der betreffenden Fahrzeuge mit Pfarrkirchner Kennzeichen machten sich die Polizisten umgehend auf den Weg ins Rottal. Für alle war klar, dass sie auch heute wieder länger arbeiten mussten. Vielleicht würden sie jetzt einen entscheidenden Schritt weiterkommen oder sogar den Mörder finden. Nach den ergebnislosen Recherchen bezüglich der Spuren von Silke Deser, die offenbar in keinem Hotel oder Ähnlichem untergekommen war, dem Pflanzenschutzmittel Paraquat und auch der Sekten in Berlin, wo sie ebenfalls keinen Schritt weiterkamen, waren sie nun allesamt euphorisch. Werner fuhr mit Hans, und Leo mit Viktoria. Da er sie noch nicht alleine sprechen konnte, nahm er die Gelegenheit wahr.
„Wir brauchen uns nicht mehr zu verstecken, alle wissen über uns Bescheid, sogar Christine,“ sagte Leo und war gespannt auf Viktorias Reaktion.
„Das ist nicht dein Ernst!“, rief sie erschrocken. „Das kann nicht sein! Wir waren doch sehr vorsichtig.“
„Trotzdem weiß es jeder. Tante Gerda hat dich mehrfach gesehen, sogar deinen Wagen.“
„Das glaube ich einfach nicht. Woher weiß es Christine?“
„Von wem schon, von Ursula!“
„Also wissen es deine Ulmer Kollegen auch alle? Na bravo,“ sagte Viktoria enttäuscht. „Dann können wir mit dem Versteckspiel aufhören.“
„Das sage ich doch schon immer, das war sowieso völliger Blödsinn. Ich möchte mit dir Spazierengehen, in jedem x-beliebigen Restaurant essen gehen und mich mit dir zusammen mit den Kollegen als Paar an einen Tisch setzen. Ich bin stolz darauf, dass wir zusammen sind und das soll die ganze Welt sehen.“
„Dann hat das Versteckspiel ein Ende.“ Viktoria fühlte sich nicht gut. Jetzt war sie dummen Sprüchen und Bemerkungen ausgesetzt, auf die sie gerne verzichten konnte. Und wenn das mit Leo nicht gutging? War es nach einem Ende der Beziehung überhaupt noch möglich, gemeinsam zu arbeiten?
Leo spürte, was in Viktoria vorging und nahm ihre Hand.
„Denk nicht immer so viel nach. Genieße das Leben und lass Zweifel und düstere Gedanken nicht zu.“ Er strahlte sie an, was Viktoria zum Lachen brachte. Ja, sie war jetzt offiziell nicht mehr allein und hatte einen Partner an ihrer Seite. Was war daran falsch?
Die erste Adresse hatten Viktoria und Leo nach ca. 45 Minuten Fahrtzeit erreicht, die anderen erreichten ihr erstes Ziel nur wenige Minuten später. Sie fuhren eine Adresse nach der anderen an, sprachen mit den Fahrzeughaltern. Alle hatten ein wasserdichtes Alibi und kamen nicht in Frage. Viktoria und Leo hatten nur noch eine Adresse auf ihrer Liste und fuhren an den Rand von Eggenfelden, wo die Ansiedlung immer spärlicher wurde. Bis sie schließlich vor einem heruntergekommenen Haus hielten, vor dem Müll, Bauschutt und Unrat wahllos herumlag. Sie klingelten mehrfach, bis endlich geöffnet wurde. Die ungepflegte Frau Anfang dreißig hatte eine Zigarette im Mund, als sie den Beamten öffnete.
„Was gibt es?“ Viktoria ging einen Schritt zurück, denn der Aufzug der Frau erschreckte sie. Die Frau war noch nicht alt, hatte eigentlich eine gute Figur, aber war sehr ungepflegt. Die Haare hatte sie bestimmt schon seit Tagen weder gekämmt noch gewaschen, die billige Haarfarbe war schon deutlich rausgewachsen. Die Kleidung, T-Shirt, Jogginghose und Stricksocken, waren dreckig und uralt. Außerdem roch die Frau sehr muffig.
„Kriminalpolizei Mühldorf. Mein Name ist Untermaier, das ist der Kollege Schwartz. Wir suchen einen Georg Niedermaier.“
„Sie wollen zum Schos? Der wohnt hier nicht mehr, er ist vor einem Jahr einfach abgehauen. Er denkt, er ist etwas Besseres und gehört hier nicht her. Er wollte hoch hinaus und hat mir gesagt, ich bin ihm ein Klotz am Bein und dass ich ihm zu primitiv bin. Das Arschloch! Das ist mein Haus, ich habe ihn aus der Gosse geholt und bei mir aufgenommen. Meine Gutmütigkeit hat er ausgenutzt. Ja, mein Geld hat der feine Herr genommen, und dann ist er einfach abgehauen, da waren wir noch kein Jahr verheiratet. Meine Eltern haben mich damals vor dem Schos gewarnt, aber ich dumme Gans wollte nicht auf sie hören. Der Arsch hat mich einfach sitzen lassen. Können Sie sich das vorstellen?“
Viktoria und Leo konnten sich das lebhaft vorstellen, denn die Frau war unmöglich. Nicht genug, dass sie nach Alkohol roch und sich ständig am Hintern kratzte. Sie trat vor die Tür, hielt sich ein Nasenloch zu und rotzte neben die Haustür. Viktoria und Leo verzogen angewidert das Gesicht.
„Was können Sie uns über ihren Mann erzählen?“ Normalerweise baten die Kriminalbeamten in solchen Situationen immer darum, im Haus über persönliche Dinge zu sprechen, aber Leo grauste davor. Darüber war Viktoria sehr dankbar, denn auch sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie es im Inneren des Hauses aussah.
„Mein Mann ist in Hebertsfelden auf einem Bauernhof aufgewachsen, sein Bruder hat als Erstgeborener den Hof bekommen. Der Schos hat mal eine Lehre angefangen, aber welche, weiß ich nicht. Er hat nie viel von sich erzählt und es hat mich auch nicht interessiert. Als ich ihn kennenlernte, hat er als Bedienung in einem Biergarten in Eggenfelden gearbeitet. Er hat sich immer darüber beschwert, die Arbeit hat ihn angekotzt, sie war unter seinem Niveau. Dabei hätte er sehr gut verdienen können, wenn er nicht immer so maulfaul und unfreundlich gewesen wäre. Der Schos hat viel gelesen, sogar Bücher, und damit in meinen Augen nur Zeit vertrödelt. Er hätte mal viel lieber hier am Haus gearbeitet oder meinem Vater geholfen, der hätte seine Hilfe sehr gut brauchen können. Aber der Schos hatte zwei linke Hände, redete immer nur geschwollen daher. Einmal habe ich ihm gesagt, er soll die Bäume im Garten schneiden. Wissen Sie, was er gemacht hat? Er hat sich ein Buch besorgt und nachgelesen, wie man so was macht! Haben Sie so was schon gehört? Bäume schneidet man mit der Säge und nicht mit einem Buch! Ich habe ihm das Buch weggenommen, ihm damit eins übergezogen und dann im Kachelofen verbrannt. Alle haben sich über meinen Mann lustig gemacht, nirgends konnte ich mich sehen lassen. Bevor der Schos auf und davon ist, hat er mir gesagt, dass er das Abitur nachmachen und studieren möchte! Das muss man sich mal vorstellen, mit 34 Jahren möchte der nochmal auf die Schule gehen. Überlegen Sie mal, was das Zeit und vor allem Geld kostet!“
Leo musste sich zurückhalten. Die Frau war so primitiv, dass es beinahe schon wehtat. Auch er selbst informierte sich selbstverständlich im Vorfeld in Büchern, Zeitschriften und im Internet über das, was er nicht wusste und konnte, das war für ihn selbstverständlich. Auch fand er es bewundernswert, wenn jemand sein Leben noch einmal umkrempeln wollte. Trotzdem blieb er freundlich und ruhig, obwohl er dieser Person am liebsten die Meinung gegeigt hätte.
„Was ist mit dem Wagen Ihres Mannes?“
„Die alte Kiste gehört ihm. Den Wagen hatte er schon, als wir uns kennengelernt haben. Natürlich hat er ihn mitgenommen, aber der ist nicht viel wert, der hat nur noch Schrottwert. Ich habe selbst einen Wagen, einen abgelegten von meinem Vater, den habe ich geschenkt bekommen, als er sich einen neuen gekauft hat.“
„Und Sie haben keine Ahnung, wo sich Ihr Mann aufhalten könnte?“
„Sie verstehen mich schon, oder? Ich sagte schon, dass ich nicht weiß, wo er ist. Und es interessiert mich auch nicht, der war sowieso zu nichts zu gebrauchen.“
„Sie sagten, er hat in der Nähe Familie?“
„Auch das sagte ich schon. Die Familie lebt in Hebertsfelden, die Adresse müssen Sie selbst herausfinden. Ich habe mit der Familie nichts am Hut, die konnten mich noch nie leiden.“ Sie kam einen Schritt auf Leo zu und musterte ihn. „Sie sind nicht von hier, oder? Das höre ich aus Ihrem schlechten Deutsch. Dürfen Ausländer überhaupt zur deutschen Polizei gehen?“
Viktoria schritt nun ein, denn sie konnte sehen, dass Leo jeden Moment die Fassung verlieren würde.
„Vielen Dank, Frau Niedermaier.“
„Zur Polizei muss man ja freundlich sein, es bleibt einem ja nichts anderes übrig. Wenn Sie den Schos sehen, sagen Sie ihm einen Gruß von mir. Ich bekomme immer noch Post für ihn, die ich sofort in den Müll schmeiße. Er soll sich darum kümmern, dass das nicht mehr vorkommt. Außerdem musste ich einige Rechnungen für ihn bezahlen, das Geld will ich natürlich zurück. Sagen Sie ihm das.“
Ohne einen weiteren Gruß schloss sie die Tür, wobei sie ungeniert furzte.
„Ein feines Benehmen hat die Frau, das muss man ihr lassen. Welcher normal denkende Mensch bleibt freiwillig hier? Was bin ich doch für ein Glückspilz, dass ich dich habe.“
Es dauerte nicht lange, dann hatten sie die Adresse von Georg Niedermaiers Familie in Hebertsfelden herausgefunden, auch ohne die Hilfe der feinen Ehefrau. Die Fahrt dorthin dauerte keine viertel Stunde. Der Hof war sauber und ordentlich, was beide nach dem Zusammentreffen mit Frau Niedermaier nicht erwartet hatten. Ein freundlicher, großer Hofhund lief ihnen entgegen und begrüßte sie.
Auf der Terrasse des ansprechenden Bauernhauses saß eine Familie gerade beim Mittagessen. Der Anblick war fast kitschig und nicht zu glauben, denn nur selten hatte Leo eine Familie so einträchtig zusammen gesehen.
„Guten Tag. Mein Name ist Viktoria Untermaier, das ist mein Kollege Leo Schwartz. Wir sind von der Kriminalpolizei Mühldorf und haben ein paar Fragen Georg Niedermaier betreffend.“
„Kriminalpolizei? Was hat mein Bruder angestellt? Ich bin Alois Niedermaier, das sind meine Frau Hedwig und die Söhne Paul und Alois junior. Setzen Sie sich bitte.“ Hedwig Niedermaier und die beiden Söhne räumten rasch den Tisch ab, was keine fünf Minuten dauerte. Sie saßen nun allesamt am Tisch und sahen die Polizisten fragend an.
„Wir suchen Ihren Bruder Georg. Haben Sie eine Ahnung, wo wir ihn finden können?“
„Selbstverständlich. Er hat in wenigen Monaten sein Abitur in der Tasche und studiert dann Germanistik in Hannover, das ist schon fix. Und in Hannover lebt er auch und geht dort zur Schule.“
Hedwig Niedermaier war aufgestanden und kam mit einem Zettel in der Hand wieder zurück.
„Das ist Georgs Handynummer. Wir möchten Sie bitten, seiner Frau kein Wort darüber zu sagen, das haben wir ihm versprochen.“
„Selbstverständlich nicht, wir haben keine Veranlassung dafür. Das kann ich sogar verstehen, wir haben Frau Niedermaier kennengelernt.“
Viktoria stand abseits und wählte die Handynummer. Leider nur die Mailbox. Sie hinterließ eine Nachricht und kam wieder zurück.
„Wissen Sie, ob Ihr Bruder seinen Wagen nach Hannover mitgenommen hat?“
„Nein, das glaube ich nicht. Er wollte den Wagen noch vor seinem Umzug verkaufen. Ob er das allerdings getan hat, weiß ich nicht,“ sagte Alois Niedermaier und sah seine Frau Hedwig fragend an. „Du etwa?“
„Nein, sicher bin ich mir nicht. Aber in seiner momentanen Lage kann er sich bestimmt keinen Wagen leisten. Er wohnt in einer WG, bekommt vom Staat keine Unterstützung. Er kellnert nebenher, um sein Leben zu finanzieren. Das ist alles, was ich weiß.“
„Natürlich ist es für uns selbstverständlich, dass wir ihn finanziell unterstützen, soweit es in unserer Macht steht,“ sagte Alois Niedermaier weiter. „Wissen Sie, der Schos war immer schon von klein auf ein ganz Schlauer. Er hat sich viel lieber mit Büchern beschäftigt und alles hinterfragt, was den Eltern überhaupt nicht gefiel. Natürlich fand ich es nicht gut, als er die Schreinerlehre nach knapp zwei Jahren geschmissen hatte und sich nur noch mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hielt. Als er aber letztes Jahr sagte, dass er das Abitur nachmachen und studieren möchte, war ich sehr glücklich. Vor allem, als er uns mitteilte, dass er sich von dieser schrecklichen Frau trennen möchte. Ich war erleichtert, dass er dort wegkommt. Es hat keiner verstanden, warum er diese Frau überhaupt geheiratet hat.“
„Georg hat vor seiner Abreise einige Unterlagen bei uns deponiert,“ sagte Hedwig Niedermaier.
„Wenn Sie uns die zur Durchsicht überlassen würden, wäre das prima. Sie bekommen sie so schnell wie möglich wieder zurück.“
„Natürlich. Georg hätte bestimmt nichts dagegen.“ Hedwig Niedermaier stand auf und kam kurz darauf mit vier Aktenordnern wieder zurück, die sie Leo aushändigte.
„Was wissen Sie über Paraquat?“, fragte nun Viktoria und beobachtete die Reaktion der beiden genau.
„Ein Pflanzenschutzmittel, das früher unter meinem Vater auch zur Anwendung kam. Sie werden hier in der Gegend noch einige Höfe finden, die mit diesem oder ähnlichen Pflanzenschutzmitteln arbeiten. Wir führen unseren Hof biologisch, wir lehnen solche Mittel grundlegend ab. Wenn Sie wollen, können Sie den Hof gerne durchsuchen. Ich versichere Ihnen, dass Sie nichts finden werden,“ sagte Alois Niedermaier stolz.
Leo und Viktoria verabschiedeten sich. Es war später Nachmittag, als sie im Büro waren, wo Werner und Hans bereits warteten. Sie trugen ihre Ergebnisse zusammen und prüften die Angaben der Fahrzeughalter. Verdächtiger Nummer eins blieb dabei Georg Niedermaier und sein Wagen, denn alle anderen Fahrzeuge konnten sie ausschließen. Jetzt galt es, herauszufinden, ob der Wagen verkauft wurde und wer der neue Besitzer war. Sie mussten dringend mit Georg Niedermaier sprechen, der sich bislang trotz mehrmaliger erneuter Nachrichten auf seiner Mailbox noch nicht bei ihnen gemeldet hatte.
„Es ist schon nach 21.00 Uhr,“ sagte Viktoria, als sie die müden Gesichter der Kollegen bemerkte. „Machen wir Schluss für heute. Leider muss ich darauf bestehen, dass wir am morgigen Samstag eine Sonderschicht einlegen. Der Chef möchte sich um halb neun mit uns im Besprechungszimmer treffen. Ich hoffe, ich habe bis dahin etwas über den Autoverkauf in diesen chaotischen Ordnern gefunden.“ Sie hatte erst zwei der Ordner durch, die kein erkennbares System erkennen ließen.
„Lass es für heute gut sein, Viktoria,“ sagte Hans, der keinen Sinn darin sah, sich in diesen Fall völlig einzugraben und alles um sich herum zu vergessen. Natürlich war es tragisch, dass Krohmers Nichte durch einen Mordfall gerade in ihrem Bereich ums Leben kam, aber deshalb musste man sich auch erholen und abschalten können.
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