Kitabı oku: «Zwei Leichen und ein Todesfall», sayfa 3

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5.

„Kai-Uwe! Komm sofort zurück!“ Elli Sander war wütend. Den Weg, den sie sonst mit ihrem Mischlingsrüden ging, konnte sie heute vergessen, der war durch mehrere Fahrzeuge versperrt worden. Also nahm sie eine andere Strecke, die ihr nicht lag und die ihr nicht wirklich gefiel. Zu viel Verkehr und alles viel zu unübersichtlich für ihren lebhaften Kai-Uwe, der seinen eigenen Kopf hatte und sich trotz der vielen Stunden in der Hundeschule in manchen Situationen nicht bändigen ließ. Eigentlich hätte sie ihn hier nicht von der Leine lassen dürfen, aber sie konnte nicht anders und wollte ihm die Freiheit zugestehen. Jetzt war Kai-Uwe auf und davon. Irgendetwas war ihm in die Nase gestiegen und er war seinem Instinkt gefolgt. Elli Sander hatte zu spät reagiert. Sie war ihm hechelnd hinterhergelaufen, aber er war einfach viel zu schnell. Schnurstracks lief er auf die Baustelle zu, die ihr neu war. Als sie das letzte Mal hier gewesen war, war das hier noch ein freies Grundstück, das schon ewig brach lag und niemandem zu gehören schien. In der Nacht hatte es geregnet, was den Boden aufgeweicht hatte. Ihr wurde schlecht, denn das Wälzen im Matsch war eine der Lieblingsbeschäftigungen ihres Hundes. Sie hatte einen Zahnarzttermin, den sie mit einem vermatschten Hund vergessen konnte. Es würde ihr nichts anderes übrigbleiben, als Kai-Uwe zu baden und vorher den Termin abzusagen. Verdammter Mist! Der freie Tag hätte so schön werden können!

Kai-Uwe rannte über die Baustelle, auf der zum Glück nicht gearbeitet wurde. Zumindest gab es mit den Bauarbeitern keinen Ärger. Vor der Absperrung blieb sie stehen. Ob sie es wagen konnte, die Baustelle zu betreten? Überall standen Warnschilder, die ihren Kai-Uwe natürlich nicht interessierten und die sie jetzt auch ignorieren musste. Die Baufahrzeuge hatten tiefe Spuren hinterlassen, die aufgeweicht waren und in denen sich jede Menge Wasser gesammelt hatte. Nach einigen Schritten waren ihre Schuhe dahin. Ihre Wut auf Kai-Uwe stieg. Er reagierte auf ihre Rufe nicht, er hielt es noch nicht einmal für nötig, sich umzudrehen. Na warte! Der konnte sich auf etwas gefasst machen! Wütend stapfte sie ihrem Kai-Uwe hinterher. Für einen kurzen Moment passte sie nicht auf und flog der Länge nach hin. Auch das noch! Der Sturz tat nicht weh, sie fiel sehr weich, aber sie war über und über mit Matsch versaut. Noch bevor sie darüber nachdachte, wieder aufzustehen, beobachtete sie, wie ihr Kai-Uwe zielstrebig im Matsch buddelte. So aufgeregt hatte sie ihn noch nie gesehen. Was war los mit ihm? Plötzlich setzte er sich und starrte auf die Stelle vor ihm. Elli Sander stand auf und ging auf ihn zu. Sie machte sich große Sorgen um ihren Kai-Uwe, der sich seltsam benahm. Ihre Wut war verraucht, denn mit ihrem Liebling stimmte etwas nicht. Beruhigend sprach sie auf ihn ein, aber er schien sie nicht zu hören. Als sie endlich bei ihm war, wusste sie, warum sich ihr Kai-Uwe so komisch benahm: Er hatte eine Leiche ausgebuddelt.

Elli Sander traute ihren Augen nicht. Sie hatte noch nie eine Leiche gesehen und der Mageninhalt wanderte bedrohlich nach oben. Dann mahnte sie sich zur Ruhe, wobei sie laut mit sich selbst sprach. Sie beruhigte ihren Kai-Uwe und zog ihn von der Stelle weg, wozu sie ihm die Leine anlegen musste, denn freiwillig bewegte er sich nicht. Mit aller Kraft schaffte sie es, den dreißig Kilo schweren Rüden, der sich einfach nicht beruhigen wollte, endlich zur Seite zu ziehen. Mit zitternden Händen nahm sie ihr Handy und rief die Polizei an.

„Leichenfund in Mühldorf, Bürgermeister-Hess-Straße“, sagte Tatjana laut zu ihren Kollegen, die sofort aufsprangen.

„Das ist das östliche Industriegebiet“, erklärte Leo dem Neuen.

„Ich weiß“, grinste Anton Graumaier und ging zielstrebig auf Diana zu.

„Klugscheißer!“, murmelte Leo.

Tatjana Struck verdrehte die Augen. Der Neue bedrängte Diana, was sie nicht erlauben konnte. Und jetzt bekam sie auch noch mit, dass Leo von ihm nicht begeistert war, was sie irgendwie verstehen konnte. Was sollte sie tun?

„Diana, du fährst mit mir. Leo, du nimmst Graumaier mit.“

„Warum ich?“, maulte Leo.

„Weil ich es sage.“

„Schade“, lächelte Graumaier Diana an, die hingegen froh darüber war, Tatjana begleiten zu dürfen, denn der Neue war nicht ihr Typ. Ganz abgesehen davon, würde sie niemals etwas mit einem Kollegen anfangen.

„Danke“, sagte sie zu Tatjana, als sie in den Wagen stieg.

„Gerne. Sollte er sich dir unangemessen nähern, gib mir Bescheid.“

„Ich kann mich wehren“, lachte Diana.

„Das weiß ich. Trotzdem brauchen wir nicht noch einen, der seine Hormone nicht unter Kontrolle hat. Hans reicht uns völlig.“

Leo fuhr den Wagen und schwieg. Was sollte er dem Neuen sagen?

„Hat die hübsche Kollegin einen Mann oder einen Freund?“ Anton Graumaier grinste. Er war eine Frohnatur, was Leo erneut sauer aufstieß. Während er sich Gedanken um das Opfer machte, zeigte der Neue Interesse für seine Kollegin.

Leo hatte nicht vor, ihm zu antworten und schwieg beharrlich. Kurz vor dem Fundort der Leiche wiederholte Graumaier seine Frage, denn die hübsche Kollegin gefiel ihm besonders gut.

Leo stellte den Wagen ab, nachdem er die Zeugin mit ihrem Hund erblickt hatte.

„Finger weg von Diana, verstanden? Sie sind warum auch immer in Mühldorf, um Ihre Arbeit zu machen. So lange Sie hier sind, reißen Sie sich gefälligst zusammen, haben Sie das kapiert? Wenn nicht, bekommen Sie ernsthafte Probleme!“

„Schon gut, ich wollte….“

„Halten Sie einfach die Klappe und machen Sie Ihre Arbeit, Mann!“

Tatjana sah sofort, dass es zwischen Leo und dem Neuen Probleme gegeben hatte, was sie nicht leiden konnte.

„Ist etwas vorgefallen?“, wandte sie sich an Leo.

„Nicht der Rede wert. Wo ist die Leiche?“

„Dort. Kein schöner Anblick, das kannst du mir glauben. Von dem Gesicht ist nicht viel übrig geblieben.“

Leo grüßte den Leiter der Spurensicherung, der bereits veranlasst hatte, dass die Fundstelle der Leiche weiträumig abgesperrt wurde. Friedrich Fuchs war auf dieses Wetter und den Matsch bestens vorbereitet, Leo leider nicht. Bereits nach zwei Schritten waren die Cowboystiefel versaut, was seine Laune nicht verbesserte.

„Der sieht übel aus“, sagte Graumaier, der Leo gefolgt war. „Ich schätze, dass der noch nicht lange dort liegt.“

„Das nehme ich auch an.“ Leo drehte sich um und ging wieder. Auch, um Fuchs das Feld zu überlassen, der es nicht mochte, wenn er nicht in Ruhe arbeiten konnte.

„Was haben Sie vor, Kollege Schwartz?“

„Ich sehe mich nur um.“

Leo watete durch die Baustelle und besah sich alles sehr genau. Graumaier folgte ihm, was Leo egal war.

„Hier war schon lange keiner mehr“, sagte Leo mehr zu sich selbst. „Warum? Wegen des Wetters?“

„Das müssen wir unbedingt herausfinden“, sagte Graumaier, der nicht von Leos Seite wich. „Gehen wir zurück zu den anderen?“

„Noch nicht.“ Leo ging weiter. Dann fand er endlich, wonach er suchte – eine Schaufel. Damit könnte die Leiche vergraben worden sein. Er zog Handschuhe an, packte die Schaufel und ging zu Fuchs, dem er sie übergab. „Vielleicht haben wir Glück und finden Fingerabdrücke.“

Laute Motorengeräusche unterbrachen das Gespräch. Alle sahen zu, wie ein Mann einen Bagger zur Seite fuhr, der sich in Fuchs‘ abgesperrten Terrain befand und ihn störte. Die Polizei hatte versucht, Klemens Weinmayer als den zuständigen Bauunternehmer zu erreichen, aber der ging nicht ans Telefon. Über Umwege wurde die Anfrage an Udo Brauer gerichtet, der jetzt dabei war, den Bagger umzusetzen.

Udo Brauer hatte keine Ahnung, warum die Polizei auf der Baustelle war, auf der seit zwei Wochen nicht mehr gearbeitet wurde. Bevor er sich erkundigen konnte, musste er erst den Bagger zur Seite fahren, was für ihn kein Problem war. Als Fuchs mit einem erhobenen Daumen sein Okay für den neuen Standort gab, schloss Brauer den Bagger ab und ging auf Leo zu, der offensichtlich hier etwas zu sagen hatte.

„Darf ich fragen, was die Polizei hier sucht?“

„Wir suchen nicht, es wurde eine Leiche gefunden“, sagte Leo und zeigte auf die Stelle, an der mehrere Kollegen der Spurensicherung arbeiteten.

„Eine Leiche?“ Brauer war erschrocken. Er hatte zwar schon von Leichenfunden auf Baustellen gehört, aber noch nie selbst damit zu tun gehabt. „Ein archäologischer Fund?“

„Nein, danach sieht es nicht aus, die Leiche ist noch ziemlich frisch. Ich nehme an, dass Sie etwas mit dieser Baustelle zu tun haben?“

„Ich bin der Vorarbeiter, Udo Brauer mein Name.“

„Ausweis?“

Leo machte Notizen und gab Brauer den Ausweis zurück.

„Warum wird hier nicht gearbeitet?“

„Der Chef hat auf meinen Rat hin beschlossen, die Arbeiten für dieses Jahr einzustellen. Unsere Leute sind müde, ich auch. Zum einen hatten wir in diesem Jahr eine Baustelle nach der anderen, und zum anderen ist es langsam zu kalt für vernünftige Arbeiten. Wer ist der Tote?“

„Das wissen wir noch nicht. Vielleicht könnten Sie einen Blick auf ihn werfen?“

Dass sich der Kollege Schwartz in Begleitung eines Fremden der Leiche näherte, gefiel Friedrich Fuchs überhaupt nicht. Er beobachtete jeden einzelnen Schritt.

Brauer verzog das Gesicht, als er auf den Toten blickte, der schon fast vollständig von Matsch und Dreck gesäubert worden war.

„Nein, den kenne ich nicht. Wenn er ein Gesicht hätte, vielleicht. Aber so?“

„Was wird hier gebaut?“

„Hier entsteht ein neues Autohaus“, sagte Brauer wahrheitsgemäß, auch wenn er fand, dass es davon schon genug gab.

„Wer ist der Bauherr?“

„Die Firma Lechbauer & Maierhof aus Waldkraiburg.“

Während sich Leo auch diese Informationen notierte, machte Graumaier keinerlei Anstalten, es ihm gleichzutun.

„Wir haben versucht, den Bauunternehmer Weinmayer zu erreichen, was leider nicht gelungen ist. Wissen Sie, wo wir ihn erreichen können?“

„Nein, leider nicht.“

„Können Sie mir eine Liste aller Arbeiter erstellen?“

„Sie verdächtigen einen meiner Leute?“ Brauer war erschrocken.

„Das ist reine Routine. Wir müssen alle befragen, die mit dieser Baustelle und deren Umkreis zu tun haben. Vielleicht haben wir Glück und jemand hat etwas gesehen oder gehört.“

Brauer nickte, das leuchtete ihm ein.

Diana und Tatjana befragten Elli Sander, die immer noch sehr aufgeregt war. Kai-Uwe hatte sich immer noch nicht beruhigt, er stand völlig neben sich.

„Was ist mit ihm?“, wollte Diana wissen.

„Keine Ahnung, so kenne ich ihn nicht. Ich nehme an, dass ihn der Leichenfund völlig aus der Bahn geworfen hat. Es wird Zeit, dass wir von hier verschwinden.“

„Dann gehen Sie, damit Ihr Hund zur Ruhe kommt. Wir haben Ihre Personalien und Ihre Aussage. Wenn es noch Fragen gibt, melden wir uns.“

Elli Sander war erleichtert. Sie machte Anstalten zu gehen und zog mit aller Kraft an der Leine, aber Kai-Uwe sträubte sich. Was war nur los mit ihm?

Die Kriminalbeamten achteten nicht mehr auf die Frau mit dem Hund. Erst, als Frau Sander einen lauten Schrei von sich gab, drehten sich alle zu ihr um. Kai-Uwe hatte sich losgerissen und rannte wie Sinnen auf eine ganz bestimmte Stelle zu. Es war nicht die Fundstelle der Leiche. Er rannte genau dorthin, wo vorhin noch der Bagger gestanden hatte. Dort begann er zu buddeln und war nicht zu bremsen. Frau Sander rannte hinterher und wollte Kai-Uwe wieder anleinen. Tatjana, Graumaier und Diana wollten ihr helfen, aber Leo ging dazwischen. Hier stimmte etwas nicht. Ganz vorsichtig ging er zu Kai-Uwe und sprach beruhigend auf ihn ein. Er schaffte es, das Halsband zu erwischen und zog ihn zur Seite. „Hat jemand etwas zu Essen dabei?“

„Ich!“, rief einer von der Spurensicherung, der sich heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit mit Leberkässemmeln eingedeckt hatte. Er rannte zum Wagen und kam mit einer Metzgertüte zurück. Der betörende Duft von Leberkäse schien Kai-Uwe endlich abzulenken. Warum war niemand vorher schon auf diese Idee gekommen? Leo lockte den Hund von der fraglichen Stelle weg und gab ihm ein Stück Leberkäse nach dem anderen.

„Hier graben!“, rief Leo zu Fuchs, der sofort zwei seiner Mitarbeiter ansprach und auch selbst zur Schaufel griff.

Leo übergab Kai-Uwe seinem Frauchen, die sichtlich erleichtert war, dass ihr Liebling endlich wieder normal war. Elli Sander war fix und fertig. Was war das heute nur für ein beschissener Tag? Mit schnellen Schritten entfernte sie sich und schwor sich, dass sie nie wieder hier langgehen würde.

Alle sahen den Kollegen der Spurensicherung zu, die langsam und vorsichtig gruben. Der einsetzende Regen störte niemanden. Zu sehr war man gespannt darauf, was hier aufgedeckt wurde. Fuchs achtete auf jeden Spatenstich, um nichts zu übersehen und nichts zu beschädigen. Nach einer guten Stunde war es so weit, Fuchs selbst stieß auf Knochen. Jetzt ging es noch langsam und vorsichtig weiter. Dann lag die Leiche vor ihnen, von der nur noch das Skelett übrig war.

„Nach den Klamotten zu urteilen dürfte der Typ schon seit etwa zwanzig Jahren oder noch länger hier liegen“, sagte Leo laut, worauf einige schmunzelten. Leo war bekannt dafür, dass er modisch in den achtziger Jahren hängengeblieben war. Wie man wohl reagieren würde, wenn man auf seine Leiche stoßen würde?

„Wie kommen Sie darauf, Herr Schwartz?“, fragte Graumaier.

„Wegen der Schuhe. Außerdem ist das Hemd auffällig bunt gemustert, das war irgendwann mal modern.“

„Sie tragen doch auch altmodische Klamotten“, lachte Graumaier und sprach das aus, was alle anderen dachten.

„Eine Unverschämtheit!“, rief Leo. „Das T-Shirt ist neu. Die Lederjacke und meine Stiefel sind zwar älter, aber absolut zeitlos.“

„Das T-Shirt mag neu sein, aber die abgebildete Person ist es nicht“, zeigte Graumaier auf das T-Shirt. „Wer trägt denn das heute noch?“

„Das ist Buddy Holly! Er war eine Ikone! Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie den Mann nicht kennen?“ Leo lachte gequält. Er war sehr stolz auf dieses T-Shirt, das er vor zwei Jahren in London erstanden hatte.

„Der Name sagt mir etwas. Ist der Mann nicht schon lange tot? Nein, ich bleibe dabei: Wenn wir Sie mit Ihrem jetzigen Outfit ausbuddeln würden, hätte nicht einer eine Ahnung, seit wann Sie dort liegen.“

Alle lachten, auch Fuchs und Tatjana, die sich sonst eher zurückhielten. Leo war sauer und musste sich zusammenreißen. Er tat so, als hätte er die Aussage des Neuen nicht gehört, auch wenn er ihm am liebsten eine reinhauen würde. Eines stand fest: Graumaier und er würden niemals Freunde werden!

Weit entfernt stand eine Person mit einem Fernglas und beobachtete das, was auf der Baustelle vor sich ging. Was für ein verdammter Mist! Warum musste dieser Drecksköter auch genau dort buddeln? Und warum hatte er sich nicht längst um die Leiche gekümmert und sie woanders hingebracht? Das Wetter war schuld, aber diese Entschuldigung half ihm jetzt auch nicht weiter. Die Polizei hatte Eberhard gefunden und würde ihn identifizieren. Dann kam alles ans Licht und die Gemeinschaft, sein Lebenswerk, war in Gefahr. Eilig packte er das Fernglas ein und stieg in den alten Wagen. Er musste dringend mit den anderen sprechen. Vielleicht gab es eine Lösung, wie sie alle schadlos aus der Sache rauskommen würden. Die musste es geben!

6.

Udo Brauer versuchte wieder und wieder, seinen Chef zu erreichen, so wie in den vergangenen vierzehn Tagen auch. Seit dem letzten Telefonat, das er mitten in der Nacht mit ihm geführt hatte, hatte er Klemens nicht mehr erreicht. Obwohl er ihm mehrere Nachrichten auf der Mailbox hinterließ, hatte Klemens nicht zurückgerufen. Langsam wurde Brauer wütend. Dass es eine Leiche auf der Baustelle gab, war noch nicht das Schlimmste. Die ausstehenden Löhne waren noch nicht gezahlt worden, außerdem gab es offene Rechnungen, die ebenfalls noch nicht beglichen wurden. Die Kollegen rannten ihm die Tür ein, die Gläubiger wurden ebenfalls langsam nervös.

Wie gestern und vorgestern fuhr Brauer direkt zu Klemens, der zwar sein Haus verkauft hatte, aber in dieser Wohnung immer noch sehr luxuriös lebte. Von Armut konnte man nicht sprechen, allein die Antiquitäten waren sicher ein hübsches Sümmchen wert. Er war einmal bei Klemens gewesen und hatte sich selbst davon überzeugen können. Brauer klingelte, ihm wurde aber nicht geöffnet. Klemens‘ Wagen stand, wie die anderen Male auch, nicht vor der Tür. Trotzdem musste sein Chef doch irgendwann mal wieder zuhause sein! Brauer befragte die Nachbarn, die ihm aber nicht helfen konnten. Einen Tag wollte er Klemens noch geben. Dann würde er sich irgendwie Zugang zum Haus verschaffen und nach Geld und Wertgegenständen suchen, um die Außenstände damit begleichen zu können.

Brauer fuhr noch nicht nach Hause, sondern steuerte direkt das Firmengelände außerhalb Mühldorfs an. Hier war seit der Einstellung der Bauarbeiten nichts mehr los, hier hatte er Max in einem der Bauwagen untergebracht. Max war nicht groß verletzt gewesen, was er anfangs bedauerte. Am liebsten hätte er den Typen tot gesehen, aber damit wäre er auch zum Mörder geworden, was er zum Glück nicht war. Trotzdem befand er, dass es an der Zeit wäre, Max Manieren beizubringen. Dieser Mistkerl musste so lange hierbleiben, bis er bereute und überzeugend versprach, seine Tochter und damit seine Familie in Ruhe zu lassen. Brauers Tochter und seine Frau wussten nichts davon. Er hatte Max noch in derselben Nacht weggebracht und sprach seitdem nicht mehr darüber. Sobald die Sprache auf Max oder die fragliche Nacht kam, blockte er völlig ab.

„Wann kann ich endlich gehen?“, fragte Max, als Brauer den alten Bauwagen betrat.

„Guten Morgen“, sagte Brauer und stellte die beiden Tüten mit den Lebensmitteln auf den Tisch.

„Ich möchte endlich weg hier! Sie können mich nicht ewig hier festhalten!“

„Du siehst doch, dass ich das kann. Du bist in mein Haus eingedrungen und hast meine Familie bedroht. Damit steht mir auch das Recht zu, dich hier festhalten zu dürfen.“

„Wer sagt das?“

„Ich sage das und das muss dir genügen.“

„Schon vor Tagen habe ich mich für mein Benehmen entschuldigt. Es war nicht richtig, was ich getan habe. Ich habe versprochen, dass das nie wieder vorkommen wird.“

„Das weiß ich. Und ich habe dir gesagt, dass ich nicht überzeugt bin. Und so lange bleibst du hier. Gibt es noch etwas, das dir auf dem Herzen liegt?“

„Ich flehe dich an, mich hier rauszulassen!“

„Ich habe dir verboten, mich zu duzen!“

„Entschuldigen Sie. Ich flehe Sie an, Herr Brauer! Bitte lassen Sie mich gehen!“

„Nein, noch ist es nicht so weit. Überlege dir, wie du mich überzeugen kannst, damit ich dir glaube.“

Brauer nahm den Eimer, in dem sich Max erleichtert hatte. An diese Stelle stellt er einen leeren Eimer, so wie er es jeden Tag machte.

„Das ist erniedrigend!“, jammerte Max. „So behandelt man nicht mal einen Hund! Ich muss nicht nur in einen Eimer scheißen, sondern muss in diesem Dreck hier leben! Sehen Sie sich um! Würden Sie hier an meiner Stelle leben wollen?“

„Diese Frage stellt sich nicht, schließlich habe ich mich nicht so schäbig benommen wie du es getan hast. Du bist in mein Haus eingebrochen und ich möchte mir nicht vorstellen, was dein Plan gewesen war. Ich habe dir die Fotos meiner Tochter gezeigt, nachdem du sie zusammengeschlagen hast. Du willst ein Mann sein? Dir ist das hier nicht zumutbar? Du solltest dich schämen, du jämmerliches Würstl! Wenn dir das hier nicht passt und dich der Dreck stört, dann mach gefälligst sauber, genug Zeit hast du ja!“

„Was ist mit der Kälte? Nachts wird es so kalt, dass es kaum auszuhalten ist!“

„Wenn dir kalt ist, musst du dich bewegen, ganz einfach. Räum auf, putz den Wagen oder bewege dich sonst irgendwie. Du tust doch immer so schlau, also lass dir etwas einfallen. Wir sehen uns morgen.“

Max Kern flehte, schimpfte und jammerte, aber das war Brauer egal. Er befand sich im Recht. Mit einem Schlauch säuberte er den Eimer und stülpte ihn um, damit er morgen wieder einsatzfähig war. Dann fuhr er los. Max‘ Eltern hatten einen schlechten Job gemacht. Das, was sie versäumt hatten, musste er jetzt übernehmen. Seine Maßnahmen waren zwar drastisch, aber anders würde Max niemals lernen, wie er sich anderen gegenüber zu benehmen hatte.

Max war wütend. Ja, er war zu weit gegangen, als er in das Haus der Brauers eingedrungen war. Inzwischen hatte er kapiert, dass er Gaby zu sehr bedrängt hatte. Er schämte sich dafür, was er ihr angetan hatte, das war ihm inzwischen klar geworden. Wenn er alles rückgängig machen könnte, würde er es tun. Max wusste schon seit Tagen, dass er Mist gebaut hatte. Aber trotzdem war das, was Brauer jetzt mit ihm hier veranstaltete, eine bodenlose Unverschämtheit. Das war Freiheitsberaubung und wurde in Deutschland hart bestraft! Ob er das jemals zur Anzeige bringen würde? Das konnte er vergessen! Brauer würde sofort Gegenanzeige erstatten. Gegen diesen durchgeknallten Typen, der sich vermutlich an ihm rächen würde, hatte er mit Frau und Tochter als Zeugen sowieso keine Chance. Nein, das würde niemals öffentlich werden, das konnte er sich nicht leisten. Trotzdem musste das hier endlich ein Ende finden. Wie lange wollte dieser verrückte Typ dieses Spiel noch mit ihm spielen? Max musste klein beigeben und Brauer endlich davon überzeugen, dass er es ernst meinte, anders kam er aus der Nummer nicht mehr raus. Aber wie sollte er das anstellen? Es wurde wieder kalt, woran auch die dicken Decken nichts änderten, die Brauer ihm zur Verfügung gestellt hatte. Max stand auf und leerte die Tüten. Brauer versorgte ihn gut, auch wenn er sich nach einer warmen Mahlzeit und einer heißen Dusche sehnte. Er sah sich um. Hier war es echt dreckig. Vielleicht sollte er sich endlich dazu aufrappeln und sauber machen. Ja, das war eine gute Idee, denn damit würde er Brauer seinen guten Willen zeigen.

Udo Brauer hatte immer noch das Bild des Toten vor Augen, der in Mühldorf auf der Baustelle ausgegraben wurde. Er kannte den Mann nicht, damit hatte er nicht gelogen. Allerdings passte es ihm auch nicht, dass die Polizei jetzt präsent war, das konnte er sich in Bezug auf Max nicht leisten. Er musste vorsichtiger sein, damit ihm die Polizei nicht auf die Schliche kam. Dass die Baustelle geschlossen wurde, kam ihm sehr gelegen, denn seitdem war auch auf dem Firmengelände nichts mehr los. Ob die Polizei hier herumschnüffelte? Warum sollte sie? Trotzdem ließ ihm diese Möglichkeit keine Ruhe. Er musste sich eine andere Lösung für Max einfallen lassen, das Firmengelände war nicht mehr sicher.

Klemens Weinmayer lebte in einer anderen Welt. Nachdem er Dieters Leiche mit seinem gebrochenen Knöchel unter großen Schmerzen auf der Baustelle entsorgt hatte, konnte er sich um sich selbst kümmern. Der wortkarge Arzt im Mühldorfer Krankenhaus hatte sich über den vermeintlichen Unfall nicht gewundert. Jetzt war der Knöchel eingegipst und konnte verheilen. Die verschriebenen Schmerzmittel halfen sehr gut und würden noch für die nächsten Tage ausreichen. Überraschenderweise konnte er mit dem Gips sogar Autofahren, der Automatik sei Dank! Über seine Spielerkontakte hatte Weinmayer herausgefunden, dass es in Heidelberg ein Spiel mit hohen Einsätzen gab. Er fuhr nach dem Krankenhaus nach Hause, stopfte das Bargeld in eine Tasche und fuhr los. Unterwegs hielt er nur noch kurz an einem Geldautomaten. Er plünderte nicht nur sein Konto, sondern überzog es bis zur erlaubten Grenze. Dass er damit auch die ausstehenden Löhne und Sonderzahlungen an sich nahm, war ihm egal. Auch, dass ausstehende Rechnungen nicht mehr bezahlt werden konnten, war ihm gleichgültig. Jetzt musste er sich ablenken und dachte nur noch an sich und an das Spiel, das vor ihm lag.

Klemens verlor am Anfang, aber dann wendete sich das Blatt. Als er nach Tagen Heidelberg verließ, war er ein reicher Mann. Aus seinen vierzigtausend Euro hatte er das Achtfache rausgeholt. Das Glücksgefühl war unbeschreiblich gewesen, aber es hielt nicht lange an. Nach zehn Tagen im Luxus spürte er das Kribbeln in den Fingern. Es war Zeit für ein neues Spiel. Mühldorf, Dieter, die ausstehenden Löhne und vor allem der nervige Udo Brauer verblassten mehr und mehr. Weinmayer war sich sicher, dass das alles in Kürze nicht mehr Teil seines Lebens war. Er plante bereits während einer Wellness-Anwendung den Verkauf seiner Wohnung. Der Knöchel verheilte sehr langsam, die Schmerzen hatte er mit den Medikamenten im Griff. Alles halb so wild!

Weinmayer rief einige Kontakte an, wofür er sich eigens ein neues Handy gekauft hatte. Die Anrufe, die auf seinem vorherigen Handy hereinkamen, nervten nur. Es gab in einer Woche ein neues Spiel in Darmstadt, das ihn schon allein wegen der Lage sehr reizte. Er rief das Hotel in Frankfurt an, in dem er schon vor Wochen für das große Spiel an Weihnachten ein Zimmer gebucht hatte und schob die Reservierung vor, was zum Glück kein Problem war. Von diesem Hotel aus konnte er im nahegelegenen Darmstadt spielen und auch am ganz großen Spiel in Frankfurt teilnehmen, ohne das Hotel wechseln zu müssen. Super! Wenn er es schaffte, sein Vermögen in Darmstadt noch aufzustocken, könnte er am Weihnachtspoker in Frankfurt ganz anders durchstarten.

Tage später packte er seine Tasche. Das alte Handy, das darin lag, hatte er längst vergessen.

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