Kitabı oku: «In Your Arms», sayfa 4

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»Aber …« Ich suchte Begriffe. Ich suchte meinen Verstand. Ich suchte eine Erklärung. Nichts davon war mir möglich zu finden. »Aber das kann gar nicht sein …«

Unvermittelte anschwellende Verunsicherung legte sich auf seine Züge. »Bitte denke jetzt nicht, ich sei ein durchgeknallter Psychopath … Bitte.« Sein flehender Ausdruck löste eine über meinen gesamten Körper rasende Gänsehaut aus.

»Ich bin nicht verrückt … wirklich nicht … Ich versuchte diesen Eindruck von dir ohnehin zu unterdrücken. Die gesamte Zeit!« Er überlegte. »Erst wollte ich dich näher kennenlernen. Ich wollte wissen, wie du bist. Aber dann … dann haben wir gemeinsam gekocht … Und da wusste ich, du bist es.« Sein Blick festigte sich. »… du … du bist meine Traumfrau … Du bist diejenige, welche ich mein Leben lang suchte.«

Seit unserem ersten Kuss hatte ich tausend unbekannte Gefühlsregungen erfahren dürfen – doch keine einzige war annähernd mit meinem momentanen Zustand vergleichbar.

Es war kein Prickeln, keine Geborgenheit, auch kein Adrenalin – es war eine Art Dankbarkeit vermischt mit Glückseligkeit, Erregung, Freude und Wärme, die sich wie ein Lauffeuer in mir ausbreitete.

Nach einigen Momenten des Sammelns überkam mich die nüchterne Gewissheit.

Die letzte Stunde – sie war nicht real. Sie konnte nicht real sein!

Spätestens nach dieser letzten Aussage Jans musste mir klar sein, all dies wahrhaftig zu träumen. Niemals hätte ein fremder Mann mir ein Liebesgeständnis gemacht. Besonders nicht mir! Und erst recht nicht kniend vor der Badezimmertür …

Ja, bestimmt lag ich nach meinem ersten Selbstmordversuch im Krankenhaus und fantasierte mir diese wunderbaren Dinge zusammen.

»Liza?«

Ich wandte mich Jans engelsgleichem Gesicht zu. »Ja?«

»Du glaubst mir nicht, oder?«

»Ich glaube, ich träume das alles … Ich denke, du bist nicht real … Du kannst gar nicht real sein. Jemand, der so wundervoll ist, der solch schöne Dinge sagt … den kann es nicht geben.«

»Aber ich bin real.« Er gab mir einen mich schwindelig machenden Kuss. »Glaubst du, diese Situation kann sich solchermaßen gut anfühlen, wenn man sie träumt?«

Ich blinzelte.

»Schließlich weißt du gar nicht, wie es sich anfühlt, hab ich recht?«

Eiseskälte legte sich um mich.

Woher …?

»Da kannst du praktisch nicht davon träumen … da dir die nötige Erfahrung dazu fehlt, welche dein Gehirn benötigt, um dir solch einen intensiven Traum zu bescheren.«

Woher wusste er über meine Unerfahrenheit Bescheid?

Ehe ich weiterzudenken in der Lage gewesen wäre, tanzten seine Lippen längst wieder über meine und verwandelten sämtliche Kälte in brennende Hitze. »Du fragst dich bestimmt, woher ich das weiß …« Jan setzte seine Liebkosung fort, intensivierte sie, brachte mich dazu, leise aufzuseufzen. Diese Situation war gleichermaßen peinlich wie erregend, berauschend wie beängstigend.

»Ich träume«, brachte ich erstickend hervor. »… Dass du es weißt, ist Beweis genug.«

»Ich weiß es«, erwiderte er raunend und meine Nase mit seiner anstupsend. »Weil es bei einer solch kostbaren zärtlichen Seele wie dir gar nicht anders sein kann … Du strahlst es aus. Man sieht dir deine Reinheit an. Ein jeder halbwegs vernünftige Mann muss dies sehen.«

Er hatte es bemerkt? … Man konnte es sehen?! Wie sahen mich dann –

Seine Lippen und darauffolgend seine auf meine treffende Zunge beraubten mich all meiner sich auftuenden Fragen, um mir stattdessen heftige Gefühlswellen durch meinen zitternden von Jans heißen Händen sorgfältig erforschenden Leib zu schicken und mir darüber hinaus hocherotische wie beschämbare Gedanken zu entfesseln: Wie würde es sich anfühlen, wenn er mir noch näher kam? Wie würde es sein, neben ihm zu liegen … uns zu vereinigen …

Mein Herz setzte ob dieser Überlegungen wie der daraus entstandenen Adrenalinausstöße zum wiederholten Male aus.

»Ich weiß … Ich kenne dich kaum … eines musst du dennoch wissen: Die vergangenen Monate habe ich immerwährend an dich denken müssen … Und ich verstehe bis jetzt nicht, weshalb du so sang- und klanglos verschwandest.«

Die aus meiner Vorstellung hervorgerufene Erregung wurde von hochzüngelnden Schuldgefühlen verdrängt.

»Es tut mir leid. Es tut mir wahnsinnig leid.«

Seine Züge spiegelten Verständnis wider. »Du hattest einen Grund, oder?«

Sollte ich es sagen?

Sollte ich …?

Ja …

Ja, ich sollte nicht nur, ich musste!

Jan war immer offen und ehrlich gewesen, hatte sich gegen Panik und Gewitterstürme aufgelehnt, um zu mir zu kommen und mir seine Gefühle zu gestehen.

Wenn ich mich selbst ihm gegenüber verschloss, wie sollte Jan mich je verstehen?

Flüsternd bejahte ich. »Du warst der Grund.«

»Was?!« Aufblitzender Schock seinerseits ließ mich leicht zusammenzucken. »… Aber wieso … Was habe ich dir getan?«

Er dachte tatsächlich, ich hätte das Hotel seinetwegen fluchtartig verlassen?!

Mein Gott!

Was hatte ich da angerichtet …

»Du hast mir nichts getan«, versuchte ich zu beruhigen. »Ich … ich konnte es einfach nicht ertragen, dich noch länger anzusehen, Zeit mit dir zu verbringen, wo ich wusste, dass ich dich nie mehr wiedersehen werde.«

Erkenntnis besänftigte seinen starren Gesichtsausdruck. »Dann hast du …«

Ich kratze irgendeinen nicht vorhandenen Rest Mut zusammen und begann zu erklären: »Ich … ich … nun ja … ich mag dich unwahrscheinlich gerne … Ich wollte dir furchtbar gerne sagen, wie viel du mir bedeutest … aber letztlich traute ich mich nicht mehr.« Unmöglich zu unterdrückende Tränen fingen an, sich in meinen Augen zu bilden. »Ich hatte solche Angst, du würdest mich wegstoßen … Gott, ich hatte solche Panik davor, es erneut zu erleben. Es ist derart oft passiert … erst vergangenen Herbst das letzte Mal … Immer … immer, wenn ich dachte, jemand hege Interesse, wurde ich eines Besseren belehrt … zweimal passierte es mir in der Schulzeit … daraufhin in einem Kurs … dann in der Arbeit.« Schluchzend suchte ich seine klaren strahlenden Augen. »Ich ertrage das nicht mehr … Noch eine Abfuhr … ich hätte es nicht mehr überstanden. Ich konnte einfach nicht mehr … deshalb bin ich ohne Verabschiedung verschwunden … Bitte glaub mir, ich wollte dich nicht verletzen. Wenn ich gewusst hätte –«

Jan drückte mich an sich – und der sich in den letzten Monaten aufgestaute Druck brach über mich herein – wie eine stumme Welle tödliche meinen Brustkorb zerquetschende Gewalt …

Träne um Träne suchte der Schmerz sich einen Weg aus meiner Seele. Träne um Träne lähmten und schüttelten mich Emotionen der Verzweiflung und Trauer.

»Jetzt verstehe ich dich.« Sanft wie der Flügelschlag eines Schmetterlings drang Jans Erwiderung mir ins Ohr. »Jetzt verstehe ich alles. Endlich verstehe ich, wieso du dich einerseits distanziert, andererseits meine Nähe gesucht hast. Jetzt verstehe ich alles.«

Mit einem jeden einzelnen seiner kostbaren Worte nahm meine schwere Last allmählich wieder ab.

»Du musst mir noch mehr erzählen … Du musst mir alles erzählen.« Er beschenkte mich mit einem Kuss. »Und dann erzähle ich dir, was ich durchmachte … diese letzten Monate ohne dich. Diese Monate, in welchen ich dachte, ich wäre dir egal.«

Egal.

Es krampfte mir Herz und Seele zusammen.

Was hatte ich getan?! Was hatte ich Jan zugemutet?!

»Du warst mir nie egal«, beteuerte ich. »Nie.«

»Ja … jetzt weiß ich es.« Mit einer nicht zu beschreibenden Umsichtigkeit zog er mich hoch. »Komm. Reden wir später weiter. Setzen wir uns erst zu Tisch und essen dein gutes Mahl, in Ordnung?«

Nickend tat ich wie verlangt.

Diese Situation erschien mir sekündlich verrückter … und schöner … und romantischer … und realer.

Ich sollte seine Traumfrau darstellen? Ich sollte wie Christina sein?

Während ich die Eierspeise hinunterwürgte, wurde ich von tausenden Fragen und Zweifeln bombardiert.

Sie überfielen mich, vereinnahmten mich, verwirrten wie beruhigten mich.

Konnte all dies tatsächlich die Wirklichkeit sein?

Träumte ich wahrhaftig nicht? War ich wirklich munter? Saß Jan wahrlich mir gegenüber?

Dieser wunderbare Mann, dessen Sanftheit und Mitgefühl mir in all der Zeit nicht aus dem Sinn gegangen waren, dessen liebreizende Zusprüche mir selbst Monate nach unserem ersten Zusammentreffen Trost gespendet hatten – dieser Mann saß nun vor mir, verspeiste mein Essen und lächelte mich dabei glücklich an.

Ein über seine zarten Gesichtszüge huschender Schatten beendete meine Überlegungen abrupt.

»Die gesamten Monate vermutete ich, du hättest kein Interesse.« Er wählte seine Worte mit äußerster Sorgfalt. Dies bemerkte ich einerseits an seiner verlangsamten Sprachgeschwindigkeit, andererseits an der kleinen zwischen seinen Augenbrauen in Erscheinung tretenden Falte. »Dann vermutete ich, du könntest mich womöglich doch mögen … alsbald ich jedoch an deine hastige Abreise zurückdachte, verwarf ich diese Vermutung.« Kurzzeitig hielt er inne. »Dessen ungeachtet schmerzte es mir solchermaßen in der Seele … Ich kann es nicht in Worte fassen, wie weh es mir tat.«

»Es tut mir aufrichtig leid.« Beißende Schuldgefühle ließen mich regelrecht erstarren. »Das war niemals meine Absicht gewesen.« Ich fuhr mir über die Nase. »Aber wenn es dich vielleicht tröstet: Mir ging es komplett gleich.«

»Du –« Sein Mund klappte auf. »Du hegtest die gleichen Zweifel?«

»Ja.« Ich trank einen Schluck des süßlichen an einen heißen Sommertag erinnernden Himbeersaftes. »Zuallererst dachte ich, du magst mich … Dann begann ich zu hadern, verwarf alle Hoffnung … und darüber hinaus hatte ich eben die Sorge, mir dies neuerlich einzubilden … wie ich es mir in der Vergangenheit stets eingebildet hatte.«

»Grundgütiger, waren wir töricht!« Ein Kopfschütteln seinerseits folgte. Und darauf ein leises für mich nicht nachvollziehbares Kichern.

»Jetzt denk mal genau darüber nach«, sprach er sich an die Stirn fassend weiter – als vermochte er meine Verwirrung sofort zu bemerken. »Ich meine, wie blöd sind wir beide eigentlich?«

Wie?!

»Wir leiden hier monatelang wie geschlagene streunende Hunde … dabei wollten wir lediglich beim jeweils anderen sein … Wir wussten, wir mögen uns, dennoch haben wir durchwegs gezweifelt … Diese Zweifel stürzten uns in eine buchstäbliche Depression.« Für einen Moment schloss er die Lider. »Stell dir das vor!« Neuerlich schüttelte sein wunderhübsches Haupt. »Wenn es nicht derart schrecklich wehgetan hätte, würde ich jetzt darüber lachen.«

Und damit verstand ich.

Und wie ich verstand.

»Hätte ich dich angerufen«, murmelte ich zustimmend. »Anstatt mir das Hirn zu zermartern … wäre ich einfach zu dir gefahren, hätte ich mir Monate des Schmerzes erspart.« Ich nippte an meinem Glas. »Ich hatte solche Panik, wodurch ich mir letzten Endes alles verdorben habe. Ich habe mein eigenes Leben in tiefste Finsternis getaucht, und deins mit dazu.«

Es war typisch!

Mit meiner Abreise, meinen Ängsten und Befürchtungen hatte ich Jan verletzt – wie ich es stets irgendwie fertig brachte, geliebte Menschen zu verletzen.

Jans Verneinung zog mich aus meinem Selbstmitleid. »So ist das nicht. Du hattest Angst, du hattest Enttäuschungen erlebt.« Er senkte das Haupt. »Ich kenne dieses Gefühl. Zu gut. Mir ist es haargenau gleich ergangen. Bloß traute ich mich meistens erst gar nicht, eine Frau anzusprechen.« Sein Tonfall verlor mehr und mehr seiner anfänglichen Stärke. »Darum muss ich nicht auf derlei viele Enttäuschungen zurückblicken, wie es bei dir der Fall zu sein scheint.«

Wie bitte?!

Gut, Jan war nicht eben der Mutigste – dass es ihm allerdings vergleichsweise ähnlich wie mir ergangen sein sollte, war schlichtweg unglaublich! Immerhin war er Autor … und Kellner. Er besaß diesen gewaltigen Wortschatz, dieses besondere Feingefühl. Welche Frau sprachen solche Charaktereigenschaften nicht an? Welche Frau fand einen solchen sympathischen, wunderschönen und feinfühligen Mann nicht attraktiv?

Langsam richtete er sich auf. »Deshalb traute ich mich anfangs nicht, dich gerade heraus anzusprechen.« Er vollführte eine drehende Geste mit der linken Hand. »Die Sache mit dem Spaziergang im Schnee zum Beispiel war mir rein zufällig herausgerutscht. Denn, um ehrlich zu sein.« Er errötete. »Grundsätzlich spreche ich fremde Frauen überhaupt nicht an.« Jan schien neuen Mut aufbringen zu müssen, zeigten seine Gesichtszüge doch einen offenkundigen Ausdruck von Verunsicherung. Exakt die Verunsicherung, welche ich damals im Hotel oft an ihm bemerkt hatte. »In der Vergangenheit musterten Frauen mich in den meisten Fällen mit abschätzigen Blicken … und dies tun sie nach wie vor.«

Was?!

Das konnte nicht sein! Das konnte einfach nicht stimmen!

Nicht bei diesem atemberaubend schönen Mann!

»Aber du –« Sein Blick intensivierte sich – und unversehens raste mir eine Hitze durch die Adern. »Du bist eine der wenigen, die dies nicht tut. Als du mir das erste Mal in die Augen saßt – ich hatte noch nie derart viel Wertschätzung und Akzeptanz erblickt. Zu allererst dachte ich, ich bilde es mir ein.« Mit unsicherer Hand fuhr er sich durchs feuchte Haar. »Aber dann sprach ich dich an – und zu meinem Erstaunen stießest du mich nicht weg. Du verbrachtest Zeit mit mir. Du hörtest mir zu. Das war wundervoll.«

Seine berührende Erklärung wie sein mich gütig musternder Blick drangen vor bis in die tiefsten seit Jahren in Dunkelheit gelegenen Tiefen meiner Seele – erleuchteten diese, erwärmten diese.

Eine uns umarmende Stille breitete sich aus, nahm mir für wenige Augenblicke sämtliche Nervosität, Gewissensbisse und Unsicherheit.

Die Szenerie wirkte verlangsamt, und irgendwie in Watte gepackt … ähnlich wie während unserer Küsse.

Ich fühlte mich mit Jan verbunden, mit seiner Seele verschmolzen …

»Bei uns scheint vieles Zufall zu sein«, meinte ich nach einigen Momenten.

Meine Antwort vermochte Jan ein sanftes Lächeln zu entlocken. »Ja … sieht tatsächlich so aus.«

Um mein wild pumpendes Herz eine kleine Auszeit zu gönnen, lenkte ich das Thema in eine etwas andere Richtung.

»Hast du heute Urlaub?«

Jan erbleichte, sprang auf – und ich fiel vor Schreck beinahe vom Stuhl.

»O mein Gott!« Er stolperte zwei Meter vom Tisch weg. »Liza … O Gott … Hast du ein Telefon?«

Ich brauchte etwas, bis ich mich von seiner Reaktion erholt hatte. »Ja, sicher. Aber was ist denn los?«

»Ich bin ohne ein Wort zu sagen zu dir gefahren … ich … ich bin –«

Währenddessen ich mich erhob und auf ihn zuging, nahmen seine Züge einen zusehends panischer werdenden Ausdruck an – und meine Hände begannen zu zittern.

»Ich … ich habe es nicht mehr ausgehalten … ich wollte wissen, ob dir mein Buch gefällt … ob du etwas mit mir zu tun haben willst … und dann hatte Tina Christof von meiner Sehnsucht zu dir berichtet … Daraufhin sah ich rot und stürmte aus der Küche.«

Dergestalt aufgewühlt hatte er sich auf den Weg zu mir gemacht? Dergestalt aufgewühlt war er durch den tosenden Regen in meine Arme gelaufen?

Himmelherrgott!

Was hatte er sich alles angetan, um mich wiederzusehen …

Seine Anspannung erfüllte den Raum, legte sich wie ein klatschnasses Tuch um mich. Ohne nachzudenken, trat ich zu ihm und schlang meine Arme um seinen Oberkörper.

Ich wollte ihn beruhigen, wollte ihm die Geborgenheit vermitteln, welche er mir eben erst vermittelt hatte.

»Du kannst gerne mein Handy benutzen und sie anrufen«, flüsterte ich. »Aber ich bin mir sicher, sie werden es verstehen.«

Das mussten sie! Sonst würde ich persönlich zum Hotel fahren und diese Sachlage klären.

Dies war ich Jan mindestens schuldig.

Seine erkalteten Hände legten sich auf meinen Rücken, drückten mich an sich. »Ich hoffe es … ich hoffe es zutiefst. Wenn ich meinen Job deshalb verliere … dann stehe ich vor dem Nichts.«

Um in sein Gesicht sehen zu können, lehnte ich mich etwas zurück.

Die Panik war nach wie vor präsent.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Manfred dich deshalb rauswirft. Er ist ein wundervoller Mensch.«

»Ja … ja, ich weiß.« Jans Wangen nahmen ein sanftes Pink an. »Dennoch. Ich brauche die Arbeit. Ich brauche sie. Wenn ich sie verliere …« Wie um sich davon abzuhalten etwas Unüberlegtes zu verlauten, presste er die Lippen aufeinander.

Es war mir durchaus bewusst, welch hohen Stellenwert im Leben ein geregeltes Einkommen und ein fixer Arbeitsplatz besaßen. Da gab es kaum Ausnahmen.

Nichtsdestoweniger erschien Jans Reaktion allmählich ins Extreme abzugleiten. Insbesondere, wenn man für einen Chef wie Manfred arbeiten durfte.

Hatte Jan hohe Schulden? Waren Schuldeneintreiber hinter ihm her? Oder drohte die Bank ihm mit einer Pfändung?

Ich ließ von ihm ab, trat zu meiner Handtasche und fischte das Handy zwischen Portemonnaie und anderem Kleinkram hervor.

»Hier bitte.«

Dankend wie ansteigende Furcht auf seinem hübschen Antlitz ruhend nahm er es entgegen – bebende Hand inklusive.

Was war bloß los?

Wenn ich es nicht besser wüsste, schien Jan einem weiteren Nervenzusammenbruch beängstigend nahe.

»Jan?« Sachte legte ich meine Hand auf seinen Arm. »Was hast du? Kann ich dir helfen? Du wirkst so fertig. Ich mache mir Sorgen.«

Nervöse Augen trafen auf meine. Pinke Wangen wurden dunkelrot.

»Ich … ich –« Ein unwillkürliches Schlucken unterbrach seinen Erklärungsversuch. »Ich … nun … ja …«

»Was hast du?«, versuchte ich in einem sanften Tonfall ihn zum Weiterreden zu animieren. »Du kannst es mir gerne sagen.« Jäh wurden meine eigenen Wangen heiß. »Du hast mich eben erst geküsst … da kannst du mir ebenso sagen, was dich bedrückt.«

Stumm schüttelte er den Kopf, blickte zu Boden, dann zu mir zurück.

Ich dachte bereits, er würde weiterschweigen, da fuhr er letztlich doch fort. »Erstens … fürchte ich mich vor Manfreds Reaktion … Noch nie habe ich das Hotel während der Arbeitszeit ungefragt verlassen … Und zweitens –«

Mit einer jeden einzelnen Faser meines Körpers spürte ich Jans explosionsartig zunehmende Aufregung.

Wie gerne hätte ich ihm diese genommen!

Er wrang die Hände, visierte irgendeinen nicht vorhandenen Punkt des Laminatbodens an. Ich wiederum versuchte seine auf mich übergegangene nervliche Belastung, welche sich in Form von prickelnd-stechenden, auf- und niederwallenden über meinen Rücken jagenden Wellen bemerkbar machte durch tiefe Atemzüge abzumildern.

»… Ich … ich –« Nochmals hielt er inne, nahm nun selbst einen tiefen Atemzug, ehe er mich endlich wieder anzublicken getraute. »Ich habe furchtbare Angst vorm Telefonieren.«

Dies gestanden, fühlte mich eigenartigerweise um mindestens tausend Tonnen Sedimentgestein erleichtert.

Vielleicht sogar mehr.

Und Jan?

Seiner Mimik nach zu urteilen, empfand er auf dieselbe Weise.

Und ich verstand endlich, was hier los war.

Wie versteinert hielt dieser wunderschöne Mensch das Telefon in der linken Hand, besah dieses zumeist überbewertete Stück Technik mit leiser Sorge. »Ich … ich fürchte mich seit jeher. Wenn ein Telefon läutet, wird mir bereits ganz anders.«

»Ist schon gut. Es ist alles gut.« Ich streichelte ihm über den Rücken – eine Reaktion, ebenso unwillkürlich, wie ihm einen schüchternen Kuss auf die Wange zu setzen.

Überrascht blickte er mich an – mit ziemlicher Sicherheit genauso überrascht wie ich ihn.

Ich wusste nicht, woher ich diesen Mut nahm. Besser gesagt: Allmählich wusste ich überhaupt nichts mehr. Ich wusste nicht, was mit mir geschah. Ich wusste nicht, was mit Jan passierte. Meine Gedanken schlugen Purzelbäume, meine Gefühle verhielten sich wie gehetztes Wild …

Lag dies an seinem Liebesgeständnis? Lag es an den Küssen? Oder hatte womöglich alleine das Gewitter Schuld daran?

»Soll ich für dich anrufen?«, schlug ich nach einer längeren Weile unseres gegenseitigen stummen Anstarrens vor. »Es macht mir nichts aus.«

Seine heißen Wangen schafften das denkbar Unmögliche und wurden abermals einen kräftigen Ton dunkler.

Er lenkte den Blick Richtung Boden. »Das … das wäre wirklich nett … Aber was denken dann die Leute von mir? Dass ich es nicht einmal zustande bringe, mich persönlich zu melden, wenn ich so mir nichts, dir nichts verschwinde?«

Da sprach er ein wahres Wort.

»Ich verstehe … Willst du alleine telefonieren? Tust du dir dann leichter? Soll ich die Küche verlassen?«

Unbeobachtet konnte man sich schließlich besser konzentrieren und seinen Ängsten Herr werden.

Abrupt hob er den Kopf – pure Dankbarkeit breitete sich in seinem Gesicht aus.

»Ist es wirklich in Ordnung? … Ich brauche auch nicht lange.«

»Überhaupt kein Problem … Ich muss ohnehin erst einmal unter die Dusche.«

»Meine Güte!« Er weitete die Augen. »Das habe ich vollkommen vergessen … Ja, geh dich duschen. Es wäre furchtbar, würdest du dich erkälten.« Um seine Äußerung zu bekräftigen, drückte er mich bedächtig von sich weg.

Ein Zeichen, seinem Wunsch zu entsprechen.

»In Ordnung. Ich hole mir nur schnell ein Gewand, dann bin ich schon verschwunden und du kannst Manfred anrufen.«

Alsbald ich vor meinem geöffneten Schrank stand, überkam mich ein heftiger Adrenalinausstoß. Und diesem folgten ein Dutzend Weitere …

Nun befand ich mich in derselben Situation, wie Jan vorhin: Was sollte ich anziehen?

Meinen alten Achtzigerjahretrainingsanzug – mein Vater wollte diesen jedes Mal wegwerfen, wenn er ihn sah – konnte ich nicht überziehen. Er war verschlissen und ausgeblichen. Das smaragdgrüne Seidennegligé stellte jedoch dieselbe unmögliche Option dar. Und reine Unterwäsche ging erst recht nicht …

Himmel, noch einmal!

Da hatte ich diese schöne Wäsche für eben einen solchen Anlass wie den heutigen gekauft – um für meinen Freund oder einen an mir interessierten Mann gut auszusehen – und nun konnte ich diese Kleidungsstücke aus exakt diesem Grund nicht tragen …

Welch Bild hätte ich damit abgegeben?!

Da kannte ich Jan theoretisch ein paar Tage. Da hatten wir uns heute das erste Mal geküsst … Und dann sollte ich mit einem sexuell aufreizenden Stück Stoff am Leib in seine Arme fallen?

Nein.

Nein.

Nein, das ging nicht. Das konnte ich nicht tun. Das wäre billig und unpässlich … und überhaupt: Ich war doch kein männermordender Vamp!

Wie war ich damals überhaupt auf die Idee gekommen, mir solch teure Unterwäsche zu kaufen? Schließlich war ich bloß eine alte Jungfrau … und keine Hure!

Mit anwachsender Panik durchsuchte ich den Schrank. Ehe ich vollends die Nerven verloren hätte, entdeckte ich zum Glück mein champagnerfarbenes Seidenshirt und die dazu passende kurze Hose, welche ich letzten Herbst – und nach tagelangem Zaudern – erstanden hatte.

Ich atmete erleichtert aus.

Das ging!

Zwar zeigte die Hose viel Bein … sehr viel Bein … dafür punktete das Shirt mit einem geraden Schnitt, welches mein ohnedies geringes Dekolleté nicht zusätzlich in Szene setzte.

Ich nahm das feine Gewand an mich, öffnete eine kleine Lade, aus der ich einen Slip herausfischte und eilte ins Bad.

»Ich bin dann unter der Dusche, in Ordnung?«

Jan nickte mir aus drei Metern Entfernung zu – das Telefon nach wie vor wie eine Art todbringendes Gerät in der Hand haltend. »Ja, in Ordnung.«

»Du machst das. Ich weiß es.« Ich schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, welches er unsicher erwiderte, und schloss daraufhin die Tür.

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