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Kitabı oku: «Oblomow», sayfa 13
XI
Als es nach vier Uhr war, öffnete Sachar vorsichtig und geräuschlos die Vorzimmerthür und ging auf den Fußspitzen in sein Zimmer; dort trat er an die Tür, die ins Arbeitszimmer des Herrn führte, legte zuerst sein Ohr an und hielt dann das Auge an das Schlüsselloch.
Im Arbeitszimmer ertönte ein gleichmäßiges Schnarchen.
– Er schläft – flüsterte er; – ich muß ihn aufwecken; es ist bald halb fünf Uhr. Er hüstelte und trat ins Zimmer.
– Ilja Iljitsch! Ilja Iljitsch! – begann er leise an Oblomows Kopfende.
Das Schnarchen dauerte fort.
– Wie er schläft! – sagte Sachar. – Wie eine Mauer! – Ilja Iljitsch! Sachar faßte Oblomow leise am Ärmel.
– Stehen Sie auf. Es ist halb fünf. Ilja Iljitsch brummte nur etwas als Antwort, erwachte aber nicht.
– Stehen Sie doch auf, Ilja Iljitsch! Was ist das für eine Schande! – sagte Sachar, seine Stimme erhebend.
Er erhielt keine Antwort.
– Ilja Iljitsch! – sagte Sachar, den Herrn beim Ärmel fassend.
Oblomow wandte ein wenig den Kopf um und richtete auf Sachar mit Mühe das eine Auge, das ganz paralytisch aussah.
– Wer ist hier? – fragte er mit heiserer Summe.
– Ich bin es ja. Stehen Sie auf.
– Gehʼ weg! – brummte Ilja Iljitsch, sich wieder in tiefen Schlaf versenkend. Anstatt des Schnarchens ertönte jetzt ein Pfeifen durch die Nase. Sachar zog ihn am Rockschoße.
– Was willst Du? – fragte Oblomow drohend und öffnete auf einmal beide Augen.
– Sie haben mir befohlen, Sie aufzuwecken.
– Ja, ich weiß Du hast Deine Pflicht erfüllt und gehʼ jetzt fort! Das übrige geht mich an.
– Ich gehe nicht fort, – sagte Sachar, ihn wieder beim Ärmel packend.
– Aber so rührʼ mich doch nicht an! – begann Ilja Iljitsch sanft, steckte den Kopf in die Kissen und begann wieder zu schnarchen.
– Das geht nicht, Ilja Iljitsch, – sagte Sachar. – Ich wäre selbst froh; es geht aber unmöglich!
Er faßte den Herrn wieder an.
– So thuʼ mir doch den Gefallen und störe mich nicht, – sagte Oblomow überzeugend und öffnete die Augen.
– Ja, ich soll Ihnen den Gefallen thun, und dann werden Sie selbst darüber schimpfen, daß ich Sie nicht aufgeweckt habe . .
– Ach Du mein Gott, was das für ein Mensch ist! – sagte Oblomow. – So laß mich doch nur einen Augenblick schlafen; was ist denn das, ein Augenblick? Ich weiß selbst . . .
Ilja Iljitsch verstummte, plötzlich vom Schlaf überwältigt.
– Du kannst nichts als schlafen, – sagte Sachar, der überzeugt war, daß der Herr ihn nicht hörte. »Wie er schläft, wie ein Holzklotz! Wozu bist Du nur auf die Welt gekommen?«
»Man sagt Dir, Du sollst aufstehen! . . .« begann Sachar zu brüllen.
– Was? Was? – rief Oblomow drohend aus und hob den Kopf in die Höhe.
– Warum stehen Sie nicht auf, gnädiger Herr! – antwortete Sachar sanft.
– Nein, was hast Du gesagt – he? Wie wagst Du es nur, he?
– Was denn?
– So grob zu sprechen?
– Das hat Ihnen geträumt . . . bei Gott, es hat Ihnen geträumt.
– Glaubst Du, ich schlafe? Ich schlafe nicht, ich höre alles . . .
Und dabei schlief er schon.
»Ach Du!« sagte Sachar verzweifelt. »Was liegst Du wie ein Klotz da? Es ekelt ja, Dich anzuschauen. Schaut nur her, ihr lieben Leute! . . Pfui!«
– Stehen Sie auf, stehen Sie auf, – sagte er plötzlich mit erschrockener Stimme, – Ilja Iljitsch! Schauen Sie einmal, was um Sie her vorgeht . . .
Oblomow hob rasch den Kopf, blickte um sich und legte sich tief seufzend wieder hin.
– Laß mich in Ruhʼ! – sagte er würdevoll. – Ich habe Dir befohlen, mich aufzuwecken, jetzt hebe ich diesen Befehl wieder auf – hörst Du? Ich werde selbst aufwachen, wenn es mir einfällt!
Manchmal ließ ihn Sachar in Ruhʼ, indem er sagte: »Nun schlafe, zum Teufel auch!« Manchesmal gab er aber nicht nach, was er auch jetzt that.
– Stehen Sie auf, stehen Sie auf, – brüllte er aus Leibeskräften und packte Oblomow mit beiden Händen beim Rockschoße und beim Ärmel. Oblomow stand plötzlich unerwartet auf und stürzte auf Sachar los.
– Wartʼ nur, ich werde Dich lehren, wie man den Herrn stört, wenn er schlafen will! – sagte er.
Sachar rannte, so schnell er konnte, von ihm fort, doch beim dritten Schritt hatte Oblomow den Schlaf ganz von sich abgeschüttelt und begann zu gähnen und sich zu strecken.
– Gib mir . . Kwaß . . . – sagte er durch das Gähnen hindurch.
Jetzt brach jemand hinter Sachars Rücken in helles Gelächter aus. Beide wandten sich um.
– Stolz! Stolz! – schrie Oblomow entzückt, zum Gaste hinstürzend.
– Andrej Iwanitsch! – sagte Sachar grinsend.
Und Stolz fuhr fort, sich vor Lachen zu wälzen; er hatte die ganze vorangehende Scene gesehen.
Zweiter Theil
I
Stolz war nur zur Hälfte, dem Vater nach, ein Deutscher; seine Mutter war eine Russin; auch war er griechisch-katholischer Confession; seine Muttersprache war Russisch; er hatte sie von der Mutter und aus Büchern, im Hörsaal der Universität und während der Spiele mit Dorfjungen, im Gespräche mit deren Vätern und auf den Moskauer Märkten gelernt. Die deutsche Sprache hat er theilweise vom Vater geerbt und theilweise sich auch aus Büchern angeeignet. Stolz wuchs im Flecken Werchljowo auf, in dem sein Vater Verwalter war und wurde dort erzogen. Mit acht Jahren saß er mit dem Vater über eine geographische Karte gebeugt, buchstabierte an Wieland, an Herder, an biblischen Versen herum und addierte die unorthographischen Rechnungen der Bauern, Kleinbürger und Fabriksarbeiter. Mit der Mutter las er die heilige Schrift, lernte die Fabeln von Krilow und buchstabierte den »Telemak«. Wenn er vom Buche loskam, lief er mit Dorfjungen Vogelnester zerstören und manchmal ertönte während des Unterrichtes oder des Betens aus seiner Tasche das Piepsen von jungen Dohlen. Es kam auch vor, daß, wenn der Vater nachmittags im Garten unter einem Baume saß und seine Pfeife rauchte, und die Mutter an irgendeiner Jacke nähte oder auf Canevas stickte, von der Straße plötzlich Lärm und Geschrei hereindrang und ein ganzer Volkshaufen ins Haus stürzte.
– Was ist los? – frägt die erschrockene Mutter.
– Wahrscheinlich bringt man wieder Andrej, – antwortet kaltblütig der Vater.
Die Thür wird aufgerissen und eine ganze Menge, aus Bauern, Bäuerinnen und Dorfjungen bestehend, dringt in den Garten ein. Sie haben wirklich Andrej gebracht – aber in welchem Zustande! Ohne Stiefel, in zerrissenen Kleidern und entweder hat er eine zerschlagene Nase oder irgendein anderer Knabe. Die Mutter war immer voller Unruhe, wenn sie Andrjuscha für einen halben Tag verschwinden sah, und hätte der Vater ihr nicht ausdrücklich verboten, ihn irgendwie daran zu hindern, würde sie ihn immer um sich gehabt haben. Sie wusch ihn, wechselte ihm Wäsche und Kleider und Andrjuscha gieng einen halben Tag lang als ein reiner, wohlerzogener Knabe herum, aber gegen Abend oder auch gegen Morgen brachte ihn wieder irgendjemand verschmiert, zerzaust und unkenntlich zurück, oder die Bauern führten ihn auf einem Heuwagen nach Hause, oder er kam endlich mit den Fischern in einem Boote, auf einem Netze schlafend. Die Mutter brach in Thränen aus, und der Vater lachte nur.
– Das wird ein tüchtiger Bursch sein, ein tüchtiger Bursch! – sagte er manchmal.
– Habʼ doch ein Einsehen, Iwan Bogdanitsch, – klagte sie, – es vergeht kein Tag, ohne daß er mit einem blauen Fleck zurückkehrt und neulich hat er sich die Nase blutig zerschlagen.
– Was wäre er denn für ein Kind, wenn er weder sich, noch andern jemals die Nase zerschlagen hätte? – sagte der Vater lachend.
Die Mutter weint und weint, setzt sich dann ans Clavier und sucht in Herzcompositionen nach Vergessen. Ihre Thränen tropfen eine nach der andern auf die Tasten. Doch jetzt kommt Andrjuscha, aber wird von andern geführt; er beginnt so lebhaft, so lustig zu erzählen, daß er auch sie zum Lachen bringt, und außerdem ist er so verständig! Er wird den »Telemak« bald ebenso wie sie lesen und wird mit ihr vierhändig spielen.
Einmal verschwand er für eine ganze Woche; die Mutter weinte sich ihre Augen aus, der Vater blieb aber ruhig, gieng im Garten herum und rauchte.
– Wenn Oblomows Sohn verschwunden wäre, – beantwortete er, den Vorschlag der Frau, Andrej zu suchen, – würde ich das ganze Dorf und die Polizei auf die Beine gebracht haben, Andrej kommt aber. O, er ist ein tüchtiger Bursch!
Am nächsten Tage fand man Andrej ruhig schlafend in seinem Bette, und auf dem Fußboden lag jemands Gewehr und ein Pfund Pulver und Schrot.
– Wohin bist Du verschwunden? Wo hast Du das Gewehr genommen? – bestürmte ihn die Mutter mit Fragen. – Warum schweigst Du denn?
– So! – war die einzige Antwort.
Der Vater fragte, ob er die Übersetzung von Cornelius Nepos ins Deutsche fertig habe.
– Nein, – antwortete er.
Der Vater packte ihn mit der einen Hand beim Kragen, führte ihn zum Thore hinaus, setzte ihm seinen Hut auf und stieß ihn von rückwärts so mit dem Fuße, daß er ihn zum Fallen brachte.
– Gehʼ dorthin, woher Du kommst, – fügte er hinzu, – und kehre mit der Übersetzung, jetzt nicht mehr von einem, sondern von zwei Capiteln zurück und lerne außerdem für die Mutter die Rolle aus der französischen Komödie, die sie Dir aufgegeben hat; ohne alles das darfst Du Dich nicht zeigen!
Andrej kam in einer Woche zurück, brachte die Übersetzung mit und kannte die Rolle.
Als er größer wurde, setzte ihn der Vater zu sich auf seinen kleinen Wagen, gab ihm die Leine und befahl ihm, in die Fabrik, dann in die Felder, in die Stadt zu den Kaufleuten und zu den Amtsgebäuden zu fahren, oder er gab ihm irgendeinen Lehm zu riechen, den er auf den Finger streute, roch, manchmal leckte und auch den Sohn riechen ließ und dabei erklärte er ihm, was für eine Sorte und wozu man sie verwenden könne. Oder sie giengen sich ansehen, wie Pottasche oder Theer gewonnen und wie Schmalz zerlassen werde. Mit vierzehn, fünfzehn Jahren begab sich der Knabe oft allein zu Wagen oder zu Pferd, mit einer Tasche am Sattel, im Auftrage des Vaters in die Stadt, und es kam nie vor, daß er irgendetwas vergaß, anders ausrichtete, übersah oder einen Fehler begieng. »Recht gut, mein lieber Junge!« sagte der Vater, nachdem er seinen Bericht angehört hatte und gab ihm, ihn mit der breiten Handfläche auf die Schulter klopfend, zwei, drei Rubel, je nach der Wichtigkeit des Auftrages. Die Mutter wusch dann lange den Ruß, den Schmutz, den Lehm und das Schmalz von Andrjuscha herunter.
Sie war mit dieser praktischen Erziehung zur Arbeit nicht ganz einverstanden. Sie fürchtete, ihr Sohn würde ein ebensolcher deutscher Bürger werden, wie die, von denen sein Vater abstammte. Sie sah die ganze deutsche Nation für einen Haufen von Kleinbürgern an und liebte nicht die Grobheit, Selbständigkeit und den Hochmuth, mit denen die deutsche Masse überall ihre durch ein Jahrtausend ausgearbeiteten Bürgerrechte vorzeigte, ebenso wie eine Kuh Hörner trägt, die sie nicht rechtzeitig zu verstecken weiß. Ihrer Ansicht nach gab es in der ganzen deutschen Nation keinen einzigen Gentleman und konnte es auch keinen geben. Sie konnte im deutschen Charakter keine Weichheit, kein Zartgefühl und keine Nachsicht entdecken, nichts, was das Leben in besseren Kreisen so angenehm macht, womit man irgendeine Regel umgehen, eine herrschende Sitte aufheben und sich dem allgemeinen Gesetze widersetzen kann. Nein, diese Flegel stürmen auf einen los und berufen sich darauf, was sie einmal abgemacht und was sie sich in den Kopf gesetzt haben und sind bereit, die Mauer mit dem Kopfe einzurennen, um nur nach den Regeln zu handeln. Sie hatte in einem reichen Hause als Erzieherin gelebt und hatte Gelegenheit gehabt, im Auslande zu sein und ganz Deutschland zu durchreisen; sie reihte alle Deutschen in eine Menge von Commis, Handwerkern, Kaufleuten, kerzengeraden Officieren mit Soldatengesichtern und Beamten mit Alltagsgesichtern ein, die alle kurze Pfeifen rauchten und durch die Zähne ausspuckten, die nur für schwere Arbeit, für mühsamen Gelderwerb, für die schablonenhafte Ordnung, für die langweilige Regelmäßigkeit des Lebens und die pedantische Erfüllung der Pflichten taugten; alle diese Bürger mit den eckigen Manieren, mit den großen, groben Händen, mit der vulgären Frische des Gesichtes und mit der groben Rede. »Wie man den Deutschen auch aufputzen mag« – dachte sie, – »was für ein feines und weißes Hemd er auch anzieht, wenn er Lackschuhe und sogar gelbe Handschuhe trägt, scheint er doch aus Schusterleder geschnitten zu sein; aus den weißen Manchetten schauen immer die rauhen und röthlichen Hände hervor und in dem eleganten Anzuge steckt, wenn nicht ein Bäcker, so doch zumindest ein Buffettier. Diese rauhen Hände scheinen nach einem Pfriemen oder höchstens nach einem Bogen im Orchester zu verlangen.« Und ihr schwebt für ihren Sohn das Ideal eines Aristokraten vor; trotzdem er ein Parvenu, der Abkömmling eines Bürgers ist, ist der doch auch, der Sohn einer russischen Edelfrau und ist ein weißer, wunderschön gebauter Knabe, mit so kleinen Händen und Füßen, mit reinem Teint, mit einem klaren, klugen Blicke, wie sie es in reichen, russischen Häusern und auch im Auslande, aber natürlich nicht bei Deutschen, gesehen hat. Und plötzlich sollte er fast selbst Mühlsteine drehen, von den Fabriken und Feldern, ebenso wie sein Vater, voller Fett und Dünger, mit rothen, schmutzigen, schwieligen Händen und einem Wolfshunger zurückkehren! Sie schnitt Andrjuscha schnell die Nägel, brannte ihm Locken, nähte ihm elegante Krägen und Vorhemden, bestellte für ihn in der Stadt Röcke, lehrte ihn, den sinnenden Tönen von Herz zu lauschen, sang ihm von Blumen, von der Poesie des Lebens, flüsterte ihm von einer glänzenden Laufbahn bald eines Kriegers, bald eines Schriftstellers zu, träumte mit ihm von dem hohen Beruf, der manchen zutheil wird. . . . Und diese ganze Perspective sollte durch das Klappern des Rechenbrettes, durch das Entziffern der schmierigen Bauernrechnungen, durch den Umgang mit Fabriksarbeitern zerstört werden! Sie begann sogar den Wagen, in dem Andrjuscha in die Stadt fuhr, den Gummimantel, den der Vater ihm geschenkt hatte, und die grünen Handschuhe aus rauhem Leder zu hassen – alle diese groben Attribute eines der Arbeit gewidmeten Lebens. Unglücklicherweise lernte Andrjuscha vorzüglich, und der Vater machte ihn zum Hilfslehrer in seinem kleinen Pensionat. Das wäre noch das wenigste; aber er setzte ihm, wie einem Handwerksburschen, nach echt deutscher Art ein Gehalt fest: er bekam zehn Rubel monatlich und mußte das durch seine Unterschrift bestätigen.
Tröste Dich, gute Mutter; Dein Sohn ist auf russischem Boden aufgewachsen – nicht in der Alltagsmenge mit bürgerlichen Kuhhörnern, mit Mühlsteine bewegenden Händen. In der Nähe war Oblomowka. Dort war ein ewiger Feiertag! Dort wurde die Arbeit wie ein Joch von den Schultern abgeschüttelt; dort stand der gnädige Herr nicht beim Morgengrauen auf und gieng nicht in die Fabriken an den mit Fett beschmierten Rädern und Federn vorbei. Und in Werchljowo selbst stand ein den größten Theil des Jahres geschlossenes, leeres Haus, doch der lebhafte Knabe gieng oft hinein und sah dort lange Säle, Gallerien und an den Wänden dunkle Porträts, auf denen keine vulgäre Frische und keine großen, rauhen Hände abgebildet waren, er sah dunkelblaue Augen, gepudertes Haar, verzärtelte weiße Gesichter, volle Busen, zarte, blaugeäderte Hände in flatternden Manchetten, die stolz auf dem Griff des Degens ruhten; er sah eine Reihe von Geschlechtern, die in Brocat, Sammt und Spitzen, in edlem Nichtsthun und in Wohlleben einander abgelöst haben. Er studierte in diesen Gesichtern die Geschichte der ruhmvollen Zeiten, die Schlachten und Namen; er las darin von den alten Zeiten, aber ganz anders, als der Vater ihm die Pfeife rauchend und spuckend hundertmal vom Leben in Sachsen zwischen Rüben und Kartoffeln, zwischen Markt und Gemüsegarten erzählt hat. . .
Einmal in drei Jahren füllte sich dieses Schloß plötzlich mit Menschen, darin herrschte dann sprühendes Leben, es gab Feste und Bälle, und in den langen Gallerien funkelten des Abends Lichter. Es kam der Fürst, die Fürstin und ihre Familie. Der Fürst war ein grauhaariger Greis, mit einem verblichenen, pergamentfarbigen Gesicht mit trüben Glotzaugen und einer großen Glatze, er hatte drei Orden, eine goldene Tabatiére, eine Gerte mit einem Saphirgriff und Sammtstiefel. Die Fürstin flößte durch ihre Schönheit, ihren Wuchs und Umfang Ehrfurcht ein, es schien, niemand wäre jemals nahe an sie herangetreten und hätte sie umarmt und geküßt, nicht einmal der Fürst, trotzdem sie fünf Kinder hatte. Sie schien über jener Welt zu stehen, in welche sie einmal in drei Jahren herabstieg; sie sprach mit niemand und fuhr nirgends hin, sondern saß mit drei alten Frauen im grünen Eckzimmer und gieng zu Fuß durch den Garten über die gedeckte Gallerie in die Kirche hin und setzte sich dort hinter einen Wandschirm auf einen Sessel.
Dafür gab es im Hause außer dem Fürsten und der Fürstin eine ganze, so lustige und lebendige Welt, daß Andrjuscha mit seinen grünen Kinderaugen in drei, vier verschiedene Sphären auf einmal blickte und mit seinem wachen Verstande gierig und unbewußt die Typen dieser verschiedenartigen Menge, die an die bunten Erscheinungen eines Maskenballes erinnerten, beobachtete. Da gab es die Fürsten Pierre und Michel, von denen der erstere Andrjuscha sofort darüber belehrte, wie der Zapfenstreich bei der Infanterie und bei der Cavallerie geblasen würde, welche Säbel und Sporen die Husaren und die Dragoner hatten, welche Farbe die Pferde jedes Regimentes haben mußten und wohin man nach dem Lernen eintreten konnte, ohne sich Schande zu machen. Der zweite, Michel, stellte Andrjuscha, sowie er mit ihm bekannt geworden war, in Positur, und begann sonderbare Sachen mit den Fäusten zu machen, mit denen er ihn bald in die Nase und bald in den Bauch traf, was, wie er dann sagte, englisches Boxen hieß. Nach drei Tagen hatte Andrej ihm nur auf Grund seiner ländlichen Frische und mit Hilfe seiner muskulösen Hände, ohne jede Wissenschaft, nach der englischen und russischen Methode die Nase zerschlagen, was ihm in den Augen beider Fürsten zu großer Autorität verhalf. Es gab noch zwei Comtessen, große, schlanke elegant gekleidete Mädchen von elf und zwölf Jahren, die mit niemand sprachen, niemand grüßten und die sich vor den Bauern fürchteten. Sie hatten eine Gouvernante, Mlle. Ernestine, welche zu Andrjuschas Mutter Kaffee trinken kam und sie lehrte, ihm Locken zu machen. Sie ergriff manchmal seinen Kopf, legte ihn auf ihren Schoß und wickelte das Haar auf Papier, so daß es heftig schmerzte, oft faßte sie ihn mit ihren weißen Händen an beiden Wangen und küßte ihn so freundlich! Dann gab es dort einen Deutschen, der Tabatiéren und Knöpfe auf einer Drehbank drechselte, außerdem einen Musiklehrer, der von einem Sonntag bis zum andern trank, dann ein ganzes Regiment von Stubenmädchen und endlich ein Rudel von großen und kleinen Hunden. Das alles erfüllte das Haus und das Dorf mit Lärm, Trubel, Schreien, Klopfen und Musik.
Einerseits Oblomowka, andererseits das Fürstenschloß mit dem breiten Fluß des herrschaftlichen Lebens stießen mit dem deutschen Element zusammen, und Andrjuscha wurde nicht zu einem deutschen Burschen und nicht einmal zu einem Philister.
Andrjuschas Vater war Agronom, Technologe und Lehrer. Bei seinem Vater nahm er praktischen Unterricht in der Landwirtschaft, studierte in sächsischen Fabriken Technik und erwarb sich in der nächsten Universität, wo es an vierzig Professoren gab, das Recht, das zu unterrichten, was die vierzig Weisen ihm so gut es gieng auseinandergesetzt hatten. Er gieng aber nicht weiter, sondern kehrte eigensinnig um, nachdem er beschlossen hatte, daß er etwas leisten müsse, und kam zum Vater zurück. Dieser gab ihm hundert Thaler und eine neue Reisetasche und schickte ihn in die weite Welt. Seitdem hatte Iwan Bogdanitsch weder die Heimat, noch den Vater wiedergesehen. Er wanderte sechs Jahre lang in der Schweiz und Österreich herum und jetzt lebte er seit zwanzig Jahren in Rußland und segnete sein Schicksal.
Er hatte die Universität besucht und beschloß infolge dessen, auch sein Sohn müsse hingehen, wenn das auch keine deutsche Universität war und trotzdem eine russische Universität im Leben seines Sohnes eine Umwälzung hervorbringen und ihn von jenem Pfad, den der Vater im Geiste dem Sohne bahnen wollte, weit entfernen mußte. Er war dabei sehr einfach vorgegangen; er hatte den Lebensweg seines Großvaters genommen und ihn wie mit einem Lineal bis zu seinem künftigen Enkel verlängert, ohne zu ahnen, daß die Variationen von Herz, die Träume und Erzählungen der Mutter, die Gallerie und das Boudoir im fürstlichen Schlosse den schmalen deutschen Pfad in eine so große Straße verwandeln würden, wie weder sein Großvater, sein Vater, noch er selbst es je auch nur im Traume gesehen hatten. Übrigens war er in dieser Beziehung kein Pedant und würde auf seinem Plan nicht bestanden haben; er vermochte es nur nicht, seinem Sohne einen anderen Weg vorzuzeichnen.
Er kümmerte sich wenig darum. Als sein Sohn aus der Universität zurückgekehrt war und drei Monate zu Hause gelebt hatte, sagte er ihm, es wäre für ihn in Werchljowo nichts mehr zu thun, man hätte sogar Oblomow nach Petersburg geschickt, es wäre folglich auch für ihn Zeit, hinzufahren. Der Alte gab sich keine Rechenschaft darüber, warum er nach Petersburg mußte und nicht in Werchljowo bleiben konnte, um ihm bei der Gutsverwaltung zu helfen; er erinnerte sich nur daran, daß, als er selbst mit dem Lernen fertig war, der Vater ihn von sich fortgeschickt hatte. Auch er schickte den Sohn fort, so war es in Deutschland Sitte. Die Mutter war nicht mehr auf der Welt, und niemand widersprach ihm.
Am Tage der Abreise gab Iwan Bogdanitsch dem Sohn hundert Rubel.
– Reite in die Gouvernementsstadt, – sagte er, – dort bekommst Du von Kalinnikow dreihundertfünfzig Rubel und läßt ihm das Pferd. Sollte er aber kein Geld haben, dann verkaufe das Pferd, es ist dort bald Jahrmarkt, da gibt man Dir sofort vierhundert Rubel dafür. Um nach Moskau zu kommen, brauchst Du vierzig Rubel, von dort aus – nach Petersburg fünfundsiebzig; es bleibt Dir noch genug. Dann thu, was Du willst. Du hast mit mir gearbeitet, Du weißt folglich, daß ich ein kleines Capital besitze; rechne aber vor meinem Tode nicht darauf, und ich werde wohl noch zwanzig Jahre leben, wenn mir nicht zufällig ein Stein auf den Kopf fällt. Das Lämpchen brennt noch hell, und es ist viel Öl darin. Du hast eine gute Bildung genossen, Dir steht alles offen, Du kannst dem Staate dienen, Kaufmann werden, oder sogar dichten; ich weiß nicht, was Du Dir wählst und wozu Du die meiste Lust fühlst. . . .
– Ich werde sehen, ob ich das alles nicht auf einmal thun kann, – sagte Andrej.
Der Vater lachte so laut er konnte und begann den Sohn so auf die Schulter zu schlagen, daß selbst ein Pferd es nicht ausgehalten hätte. Andrej machte sich aber nichts daraus.
– Nun, und wenn Du selbst nicht fertig wirst, wenn Du Dir Deinen Weg nicht gleich finden kannst, einen guten Rath brauchst und jemand fragen willst, dann gehʼ zu Reinhold hin; er wird Dir helfen. Oh! – fügte er hinzu, indem er die Finger in die Höhe hob und mit dem Kopf wackelte, – das. . das ist. . – (er wollte loben und fand keinen Ausdruck). Wir sind zusammen aus Sachsen gekommen. Er hat ein vierstöckiges Haus. Ich werde Dir die Adresse nennen. . .
– Das ist nicht nöthig, nenne sie mir nicht, – unterbrach ihn Andrej, – ich gehe dann zu ihm hin, wenn ich selbst ein vierstöckiges Haus besitze, und jetzt werde ich auch ohne ihn auskommen.
Ein erneutes Klopfen auf die Schulter.
Andrej sprang aufs Pferd. Am Sattel hiengen zwei Taschen; in der einen lag der Gummimantel und waren schwere, mit Nägeln beschlagene Stiefel und ein paar Hemden aus Werchljower Leinwand zu sehen – lauter Sachen, die er auf den Wunsch des Vaters hin gekauft und mitgenommen hatte; in der zweiten Tasche lag ein eleganter Frack aus feinem Tuch, ein haariger Überzieher, ein Dutzend feiner Hemden und Schuhe, die er zur Erinnerung an die Rathschläge der Mutter in Moskau bestellt hatte.
– Nun! – sagte der Vater.
– Nun! – sagte der Sohn.
– Hast Du alles? – fragte der Vater.
– Alles! – antwortete der Sohn.
Sie blickten einander schweigend an, als wollten sie sich gegenseitig mit den Augen durchdringen.
Unterdessen hatte sich ein Häufchen neugieriger Nachbarn angesammelt, die mit offenem Munde zusahen, wie der Verwalter seinen Sohn in die Fremde fortschickte. Vater und Sohn drückten einander die Hand. Andrej ritt im schnellen Schritte fort. »Wie der junge Hund ist; er hat keine einzige Thräne vergossen!« sagten die Nachbarn. »Da sitzen zwei Krähen auf dem Zaun und krächzen, soviel sie können; sie bringen ihm Unglück, wartʼ nur!« – »Was können ihm die Krähen anhaben? Er treibt sich in der Johannisnacht allein im Walde herum; ihnen macht das alles nichts, Brüder. Bei einem Russen würde das nicht so gut ablaufen!« – »Und der alte Heide machtʼs auch gut!« bemerkte eine Mutter, »er hat ihn wie eine junge Katze auf die Straße hinausgeworfen, hat ihn nicht umarmt und hat nicht geweint!«
– Halt, halt! Andrej! – schrie der Alte.
Andrej hielt das Pferd auf.
»Ah! Das Herz hat wohl gesprochen!« sagte man beifällig in der Menge.
– Nun? – fragte Andrej.
– Der Sattelgurt ist zu lose, Du mußt ihn fester zusammenziehen.
– Ich werde ihn in Ordnung bringen, wenn ich nach Schamschewka komme. Ich darf jetzt keine Zeit verlieren, ich muß, bevor es dunkel wird, ankommen.
– Nun! – sagte der Vater, die Hand schwenkend.
– Nun! – wiederholte der Sohn, mit dem Kopfe nickend, neigte sich nach vorne und gab dem Pferde die Sporen.
»Ach, die Hunde, das sind wahre Hunde! Wie Fremde!« – sagten die Nachbarn.
Plötzlich ertönte in der Menge ein lautes Weinen; irgendeine Frau hatte nicht länger an sich halten können.
– Ach, Du mein Väterchen! – jammerte sie, sich mit einem Zipfel ihres Kopftuches die Augen wischend, – Du arme Waise! Du hast keine Mutter, es ist niemand da, der Dich segnet. . . Lassʼ mich, ich werde Dich bekreuzen, Du mein Lieber!. . .
Andrej ritt an sie heran, sprang vom Pferde herab, umarmte die Alte, wollte dann weiter reiten – und weinte plötzlich auf, während sie ihn bekreuzte und küßte. Er glaubte in diesen herzlichen Worten die Stimme der Mutter zu hören, und ihr zartes Bild erstand für einen Augenblick vor ihm. Er umarmte noch einmal fest die Frau, wischte sich schnell die Thränen und sprang aufs Pferd. Er schlug es auf die Seiten und verschwand in einer Staubwolke; ihm stürzten verzweifelt drei Hofhunde von zwei verschiedenen Richtungen nach und bellten lange.
