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Kitabı oku: «Oblomow», sayfa 14
II
Stolz war Oblomows Altersgenosse; auch er war schon über dreißig Jahre alt. Er war im Staatsdienste gewesen, trat dann aus, gab sich mit seinen persönlichen Angelegenheiten ab und erwarb sich thatsächlich ein Haus und Geld. Er ist an irgendeiner Gesellschaft betheiligt, die Waren nach dem Auslande schickt. Er ist immer in Bewegung. Wenn die Gesellschaft nach Belgien oder England einen Agenten schicken muß, reist er hin; wenn ein neues Project ausgearbeitet werden muß, oder wenn irgendeine neue Idee dem Geschäfte anzupassen ist, wird das immer ihm übergeben. Und dabei kommt er in Gesellschaft und liest; Gott weiß, wann er das alles fertig bringt. Er besteht nur aus Knochen, Muskeln und Nerven, wie ein reinraciges englisches Pferd. Er ist schmächtig, hat fast gar keine Wangen, d.h. er hat Knochen und darauf Muskeln, aber gar keine Spur einer fetten Rundung; seine Gesichtsfarbe ist gleichmäßig, dunkel und ohne jede Röthe; die Augen sind zwar ein wenig grünlich, aber ausdrucksvoll. Er hatte keine überflüssigen Bewegungen. Wenn er saß, verhielt er sich ganz ruhig, wenn er aber irgendetwas that, wandte er dabei nur soviel von seiner Mimik an, als nothwendig war. Ebenso wie es in seinem Organismus nichts Überflüssiges gab, suchte er auch in den moralischen Functionen seines Lebens nach einem Gleichgewichte zwischen den praktischen Seiten und den feineren Bedürfnissen seiner Seele. Diese beiden Gebiete liefen parallel hin, kreuzten sich und verstrickten sich unterwegs, verknüpften sich aber niemals zu unlösbaren, quälenden Knoten. Er gieng festen Schrittes frisch vorwärts, lebte nach einem Budget, indem er bestrebt war, jeden Tag, ebenso wie jeden Rubel unter eine beständige, nie versagende Controle der verbrauchten Zeit, Arbeit, Kraft der Seele und des Herzens zu stellen. Er schien die Freuden und Leiden ebenso wie die Bewegungen seiner Hände und die Schritte seiner Füße zu beherrschen, und sich dabei wie bei gutem oder schlechtem Wetter zu verhalten. Er öffnete den Schirm, solange es regnete, d.h. er litt, solange der Schmerz anhielt, that es aber ohne schüchterne Demuth, sondern mit Ärger, und ertrug ihn nur deshalb geduldig, weil er den Grund jeden Schmerzes sich selbst zuschrieb und ihn nicht wie einen Rock auf einen fremden Nagel hängte. Er genoß auch die Freude, wie eine unterwegs gepflückte Blume, bis sie in seiner Hand verwelkte, ohne den Kelch jemals bis auf jenen Wermutstropfen zu leeren, der auf dem Boden eines jeden Genusses ruht. Es war seine beständige Aufgabe, sich eine einfache, d.h. eine gerade und wahre Ansicht über das Leben zu bilden und während er allmählich ihrer Lösung zustrebte, begriff er ihre ganze Schwierigkeit und war jedesmal, wenn er auf seinem Wege eine Krümmung bemerkte und ihm ein gerader Schritt gelang, innerlich stolz und glücklich. »Es ist compliciert und schwer einfach zu leben!« sagte er sich oft und sah eilig hin, wo es schief wurde und wo der Faden der Lebensschnur sich zu einem unregelmäßigen, complicierten Knoten zu verwickeln begann. Am meisten fürchtete er die Phantasie, diesen heuchlerischen Begleiter, der auf der einen Seite ein freundschaftliches und auf der anderen ein feindliches Gesicht hat, der ein desto größerer Freund ist, je weniger man ihm glaubt und zum Feind wird, wenn man seinem süßen Geflüster vertrauend einschlummert. Er fürchtete jeden Traum, wenn er aber in dieses Gebiet eintrat, that er es, wie man in eine Grotte tritt, die die Inschrift: ma solitude, mon hermitage, mon repos trägt, wobei man die Stunde und die Minute weiß, zu der man wieder herauskommt. Der Traum, als etwas Räthselhaftes und Geheimnisvolles, fand in seiner Seele keinen Platz. Das, was sich der Analyse der Erfahrung der realen Wahrheit nicht unterwarf, war für ihn eine optische Täuschung, die eine oder andere Brechung der Strahlen und Farben auf dem Netze des Sehorganes, oder endlich eine Thatsache, an die die Erfahrung noch nicht herangetreten ist. Er fröhnte auch nicht jenem Dilettantismus, der sich auf dem Gebiete des Wunderbaren zu ergehen liebt, oder mit Zuhilfenahme von Ahnungen und Entdeckungen für tausend Jahre im vorhinein sich auf den Donquichote hinausspielt. Er blieb an der Schwelle des Geheimnisses hartnäckig stehen, ohne den Glauben eines Kindes oder das Zweifeln eines Laffen zu äußern, sondern wartete das Erscheinen des Gesetzes ab, das auch den Schlüssel zu dem Unbegreiflichen brachte.
Er controlierte seine Gefühle ebenso fein und vorsichtig wie seine Phantasie. Hier strauchelte er oft und mußte sich eingestehen, daß das Gebiet der Herzensfunctionen noch eine terra incognita war. Er dankte inbrünstig dem Schicksale, wenn es ihm gelang, auf diesem unbekannten Gebiete die geschminkte Lüge von der bleichen Wahrheit rechtzeitig zu unterscheiden; er klagte nicht einmal dann, wenn er vor dem mit Blumen geschmückten Betruge zurücktrat und nicht fiel und wenn sein Herz nur fieberhaft und beschleunigt schlug, er war froh und glücklich, wenn es nicht von Blut überströmte, wenn ihm kein kalter Schweiß auf die Stirne trat und sich dann für lange Zeit ein tiefer Schatten auf sein Leben senkte. Er hielt sich schon dann für glücklich, wenn er sich stets auf der gleichen Höhe zu halten vermochte und wenn er, auf dem Steckenpferde des Gefühles reitend, den feinen Strich, der die Welt des Gefühles von der Welt der Lüge und Sentimentalität und die Welt der Wahrheit von der Welt des Komischen trennte, nicht unbemerkt ließ, oder, wenn er beim Zurückreiten nicht auf den sandigen, trockenen Boden der Härte, des Räsonnierens, des Mißtrauens, der Kleinlichkeit und der Castration des Herzens gerieth.
Er fühlte, auch während er sich hinreißen ließ, den Boden unter den Füßen und hatte soviel Kraft in sich, um sich im Falle der Übertreibung loszureißen und frei zu machen. Er ließ sich durch die Schönheit nicht blenden, vergaß darum nicht an seine männliche Würde und erniedrigte sich nicht, er wurde nicht zum Sclaven, lag nicht zu den Füßen der Schönen, wenn er auch keine feurigen Freuden kennen lernte. Er machte sich keine Götzen, erhielt sich aber dafür die Kraft der Seele und des Körpers und war keusch und stolz; ihm entströmte soviel Frische und Gesundheit, daß auch die dreisten Frauen verwirrt wurden. Er kannte den Wert dieser seltenen und kostbaren Eigenschaften und verbrauchte sie so geizig, daß man ihn egoistisch und gefühllos nannte. Man rügte seine Zurückhaltung, seine Kunst, die Grenzen des natürlichen, freien Geisteszustandes einzuhalten und rechtfertigte dabei manchmal voll Neid und Bewunderung einen andern, der sich in vollem Laufe in den Koth stürzte und sowohl seine eigene, als auch eine fremde Existenz zerstörte. »Die Leidenschaften rechtfertigen alles,« sagte man um ihn herum, »und Sie schonen in Ihrem Egoismus nur sich selbst, wir wollen sehen, für wen.« »Für irgendwen am Ufer,« sagte er nachdenklich, als blickte er in die Ferne und glaubte wie bisher nicht an die Poesie der Leidenschaften, bewunderte nicht ihre stürmischen Äußerungen und zerstörenden Spuren, sondern wollte immer das Ideal des Seins und der menschlichen Bestrebungen im strengen Verständnis und Gestalten des Lebens sehen. Und je mehr man seine Ansichten bestritt, desto tiefer gab er sich seiner Hartnäckigkeit hin und gerieth sogar, wenigstens während der Debatten, in einen puritanischen Fanatismus hinein. Er sagte, es sei die normale Bestimmung des Menschen, die vier Jahreszeiten, d.h. die vier Altersstufen ohne Sprünge zu verleben, das Gefäß des Lebens zum letzten Tag hinzutragen, ohne auch nur einen einzigen Tropfen nutzlos verschüttet zu haben und daß das gleichmäßige, langsame Brennen des Feuers der stürmischen Feuersbrunst, wie poetisch diese auch sein mochte, vorzuziehen sei. Zum Schlusse fügte er hinzu, daß er glücklich wäre, wenn er seine Überzeugung an sich bewahrheiten könnte, daß er es aber nicht zu erreichen hoffe, weil das sehr schwer wäre, daß die Menschen überhaupt zu sehr verdorben wären und daß es noch keine wahre Erziehung gäbe. Und dabei verfolgte er immer beharrlich den von ihm erwählten Weg. Man sah niemals, daß er über etwas krankhaft und qualvoll grübelte; an ihm schienen keine Gewissensbisse des ermüdeten Herzens zu nagen; er krankte nicht an der Seele, verlor niemals in verwickelten, schwierigen oder neuen Verhältnissen den Kopf, sondern trat an dieselben wie an gute Bekannte heran, als lebe er zum zweitenmale und gehe durch eine bekannte Gegend. Worauf er auch stoßen mochte, fand er gleich die entsprechende Verhaltungsmaßregel heraus, wie eine Wirtschafterin, aus der Menge der an ihrem Gurt hängenden Schlüssel auf den ersten Griff gerade denjenigen herausfindet, der zu der einen oder anderen Thür paßt. Er achtete die Beharrlichkeit im Erreichen eines Zieles als das Höchste; das war in seinen Augen ein Zeichen von Charakter und er versagte Menschen mit dieser Eigenschaft niemals seine Achtung, wie gering ihre Ziele auch sein mochten. »Das sind Menschen,« sagte er. Man braucht nicht hinzuzufügen, daß er kühn alle Hindernisse nahm, wenn er seinem Ziele entgegenschritt, und dasselbe erst dann aufgab, wenn auf seinem Wege eine Mauer emporragte oder sich ein unüberbrückbarer Abgrund aufthat. Er war aber unfähig, sich mit jener Kühnheit zu bewaffnen, die mit geschlossenen Augen über einen Abgrund setzt oder auf gut Glück auf eine Mauer losstürzt. Er mißt den Abgrund oder die Mauer aus und wenn er kein sicheres Mittel, sie zu bewältigen, weiß, wendet er sich ab, was man dazu auch sagen mag.
Um einen solchen complicierten Charakter zu bilden, waren vielleicht gerade solche gemischte Elemente nöthig, die Stolz gebildet hatten. Unsere activen Menschen wurden seit jeher gleichsam in fünf, sechs stereotype Formen gegossen, sie blickten träge, mit einem halben Auge um sich, legten an die sociale Maschine ihre Hand und schoben sie schläfrig im selben Geleise weiter, indem sie in die Fußtapfen ihrer Vorgänger traten. Doch jetzt öffneten sich die Augen, man hörte feste, große Tritte und lebendige Stimmen. . . Wie viel Stolze müssen noch unter russischen Namen erscheinen?
Wie konnte ein solcher Mensch Oblomow nahestehen, bei dem jeder Zug, jeder Schritt die ganze Existenz ein Protest gegen das Leben von Stolz war? Es ist wohl schon eine zugegebene Thatsache, daß die ausgesprochene Entgegengesetztheit der Naturen wenn nicht der Anlaß einer Sympathie, wie man früher glaubte, so doch kein Hindernis für eine solche bildet.
Dabei verband sie die Kindheit und die Schule – zwei starke Federn, außerdem kamen noch die in der Familie Oblomow dem deutschen Knaben freigebig entgegengebrachten herzlichen russischen Liebkosungen hinzu und die Rolle des Starken, die Stolz Oblomow gegenüber in physischer und geistiger Beziehung vertrat; aber am wichtigsten war endlich der reine, lichte und gute Keim in Oblomows Natur, der allem gegenüber, was gut war und was sich dem Ruf seines einfachen, ungekünstelten, stets vertrauenden Herzens eröffnete, tiefe Sympathie entgegenbrachte. Wer nur zufällig oder absichtlich in diese lichte, kindliche Seele hineinblickte, konnte, so düster und boshaft er auch sein mochte, ihm nicht seine Gegensympathie oder wenigstens ein gutes, bleibendes Angedenken versagen.
Andrej riß sich oft von seinen Geschäften oder von der Gesellschaft, von einem Abend oder Ball los, und fuhr zu Oblomow hin, um auf dessen breitem Sofa zu sitzen und in einer trägen Unterhaltung die erregte oder ermüdete Seele zu beruhigen, und es kam über ihn immer jenes besänftigende Gefühl, welches man empfindet, wenn man aus reichgeschmückten Sälen in die eigene, bescheidene Häuslichkeit kommt oder von den Schönheiten der südlichen Natur in den Birkenhain zurückkehrt, in dem man noch als Kind spazieren gieng.
III
– Guten Tag, Ilja! Wie ich mich freue, Dich zu sehen! Nun, wie gehtʼs Dir? Bist Du gesund? – fragte Stolz.
– O nein, mir gehtʼs schlecht, Bruder Andrej, – sagte Oblomow seufzend. – Auch in der Gesundheit.
– Bist Du denn krank? – fragte Stolz besorgt.
– Die Gerstenkörner quälen mich so; erst vorige Woche ist eins vom rechten Auge herunter und jetzt kommt wieder ein anderes.
Stolz lachte.
– Nur das? – fragte er. – Das hast Du vom vielen Schlafen.
– Es ist aber nicht »nur« das; ich leide so an Sodbrennen. Du solltest hören, was der Doctor vor kurzem gesagt hat. »Gehen Sie ins Ausland,« sagt er, »sonst kann es schlecht enden. Sie bekommen einen Schlagfluß.«
– Nun, was thust Du?
– Ich fahre nicht hin.
– Warum denn?
– Aber ich bitte Dich! Höre nur, was er mir alles gesagt hat: Ich soll auf irgendeinem Berg wohnen, und nach Ägypten oder nach Amerika reisen . . .!
– Was ist denn dabei? – sagte Stolz kaltblütig. – Du wirst in zwei Wochen in Ägypten und in drei Wochen in Amerika sein.
– Aber Bruder Andrej, auch Du? Es hat einen einzigen vernünftigen Menschen gegeben, aber auch dieser ist von Sinnen. Wer reist denn nach Amerika und nach Ägypten? Die Engländer sind schon vom Herrgott dementsprechend erschaffen worden; sie haben auch keinen Platz bei sich zu Hause. Wer fährt denn aber bei uns hin? Irgendein Verzweifelter, dem das Leben nichts wert ist!
– Man könnte wirklich glauben, daß das Heldenthaten sind; man steigt in einen Wagen oder ins Schiff, athmet frische Luft ein, sieht fremde Länder, Städte, Sitten und alle Wunder . . . ach, Du! Nun sagʼ, was istʼs mit Deinen Angelegenheiten, wie stehtʼs in Oblomowka?
– Ach! . . . – sagte Oblomow, mit einer verzweifelten Handbewegung.
– Was ist geschehen?
– Das Leben macht sich fühlbar!
– Gott sei Dank, daß es so ist!
– Wieso, Gott sei Dank? Wenn es einem immer den Kopf streicheln wollte, es läßt mich aber nicht in Ruhe, sowie in der Schule die Raufbolde den ruhigen Schüler necken, ihn bald heimlich kneifen oder plötzlich von vorne heranstürmen und mit Sand bestreuen . . ich haltʼs nicht aus!
– Du bist schon zu ruhig. Was ist denn geschehen?
– Ein zwiefaches Unglück.
– Was denn für eins?
– Ich bin ganz zugrunde gerichtet!
– Wieso?
– Ich werde Dir vorlesen, was der Dorfschulze schreibt . . . Wo ist der Brief? Sachar! Sachar!
Sachar fand den Brief. Stolz durchflog ihn und lachte, wahrscheinlich über den Stil des Dorfschulzen.
– Was der Dorfschulze für ein Schuft ist! – sagte er.– Er hat die Bauern fortgelassen und beklagt sich noch! Es wäre am besten, ihnen die Pässe zu geben und sie wohin sie wollen ziehen zu lassen.
– Aber ich bitte Dich, da werden ja alle fort wollen, – entgegnete Oblomow.
– Laß sie nur fort! – sagte Stolz sorglos. – Derjenige, dem das Bleiben angenehm und einträglich ist, geht nicht fort; wenn das aber nicht der Fall ist, dann istʼs auch für Dich nicht einträglich; wozu ihn also halten?
– Was Du Dir ausdenkst! – sagte Ilja Iljitsch. – Die Bauern in Oblomowka sind ruhig und seßhaft; warum sollen sie sich herumtreiben? . .
– Weißt Du denn nicht, – unterbrach ihn Stolz, – daß man in Werchljowo einen Hafen einrichten will und eine Landstraße geplant wird, so daß Oblomowka von der Chaussée nicht weit entfernt sein wird, und in der Stadt wird man einen Jahrmarkt abhalten . . .
– Ach Du mein Gott! – sagte Oblomow. – Das hat noch gefehlt! Oblomowka war so ruhig abseits gelegen und jetzt kommt ein Jahrmarkt, eine Chaussée! Die Bauern werden in die Stadt gehen und die Kaufleute werden zu uns kommen – alles ist verloren! Es ist ein Unglück!
Stolz lachte.
– Wieso, ist denn das kein Unglück? – sprach Oblomow weiter. – Von den Bauern hat man früher weder Gutes noch Schlechtes gehört, sie haben ihre Arbeit gethan und haben nirgends hin wollen; und jetzt werden sie verdorben werden! Sie werden sich Thee, Kaffee, Sammthosen, Harmonikas und Schmierstiefel anschaffen . . . es wird dabei nichts Gutes herauskommen!
– Ja, wenn es so ist, wird natürlich nichts Gutes dabei herauskommen, – bemerkte Stolz. – Richte aber im Dorfe eine Schule ein . .
– Ist es nicht zu früh? – sagte Oblomow. – Die Bildung schadet dem Bauer; wenn man ihn lernen läßt, wird er vielleicht gar nicht pflügen wollen . . .
– Die Bauern werden doch dann lesen, wie sie pflügen müssen, Du komischer Kauz! Aber höre einmal ernstlich: Du mußt in diesem Jahre selbst auf dem Gute sein.
– Ja, das ist wahr; aber mein Plan ist noch nicht ganz fertig . . . – bemerkte Oblomow schüchtern.
– Du brauchst ihn ja gar nicht! – sagte Stolz – Fahre nur hin; Du wirst an Ort und Stelle sehen, was zu thun ist. Du arbeitest schon so lange an dem Plan; istʼs möglich, daß noch nicht alles fertig ist? Was machst Du denn?
– Ach, Bruder! Habe ich denn nur mit dem Gut zu thun? Und mein zweites Unglück!
– Was für eins denn?
– Man jagt mich aus der Wohnung hinaus.
– Wieso jagt man Dich hinaus?
– Man sagt mir, ich soll ausziehen und sonst nichts.
– Nun also?
– Was also? Ich habe mir den Rücken und die Seiten abgewetzt, soviel wälze ich mich vor Sorgen hin und her. Ich bin ja allein; es ist bald das eine, bald das andere nothwendig; ich muß die Rechnungen durchsehen, hier und dort zahlen, und jetzt kommt noch der Umzug! Ich verbrauche furchtbar viel Geld, ohne daß ich selbst weiß wieso! Ich kann immer erwarten, daß ich ohne eine Kopeke dableibe . . .
– Bist Du ein verwöhnter Mensch! Es ist Dir schwer, aus der Wohnung auszuziehen! – sagte Stolz erstaunt. – Sagʼ mir, da wir schon von Geld sprechen: Hast Du viel davon? Gib mir fünfhundert Rubel, ich muß sie gleich fortschicken; ich nehme das Geld morgen aus unserem Comptoir . . .
– Wartʼ! Laß mich nachdenken . . Vor kurzem hat man mir aus dem Gute tausend Rubel geschickt, und jetzt habʼ ich . . . warte . . .
Oblomow begann in den Schubladen herumzustöbern.
– Hier sind . . zehn, zwanzig, hier sind zweihundert Rubel . . . und noch zwanzig. Es war hier noch Kupfergeld . . Sachar! Sachar!
Sachar sprang auf gewohnte Weise von der Ofenbank herab und trat ins Zimmer.
– Wo sind die zwanzig Kopeken, die hier auf dem Tische lagen? Ich habe sie gestern hergelegt . . .
– Was Sie mit diesen zwanzig Kopeken haben, Ilja Iljitsch! Ich habe ja schon gesagt, daß es hier keine zwanzig Kopeken gegeben hat . . .
– Wieso nicht! Das war der Rest für die Orangen . . .
– Sie habenʼs jemand gegeben und daran vergessen, – sagte Sachar, sich zur Thür hin wendend.
Stolz lachte.
– Ach, ihr Oblomower! – warf er ihnen vor. – Sie wissen nicht einmal, wieviel Geld sie in der Tasche haben!
– Und was für ein Geld haben Sie früher Michej Andreitsch gegeben? – erinnerte Sachar.
– Ach ja, Tarantjew hat zehn Rubel genommen, – wandte sich Oblomow rasch an Stolz. – Ich habe ganz vergessen.
– Warum läßt Du dieses Vieh zu Dir! – bemerkte Stolz.
– Wozu man ihn nur hereinläßt! – mengte sich Sachar hinein. – Er kommt wie in sein Haus oder in eine Schenke. Er hat das Hemd und die Weste vom Herrn genommen und wir haben die Sachen seitdem nicht wieder gesehen! Vor kurzem hat er den Frack verlangt: »Laß ihn mich anziehen!« Wenn doch wenigstens Sie, Väterchen Andrej Iwanowitsch, nach dem Rechten sehen wollten .
– Das ist nicht Deine Sache, Sachar; gehʼ in Dein Zimmer! – sagte Oblomow streng.
– Gib mir einen Bogen Briefpapier, – bat Stolz, – ich möchte etwas schreiben.
– Sachar, gib Papier her, Andrej Iwanowitsch braucht eins. – sagte Oblomow.
– Wir haben ja keins! Ich habʼ ja früher gesucht, – antwortete Sachar aus dem Vorzimmer, ohne ins Zimmer zu kommen.
– Gib mir irgendein Stückchen! – verlangte Stolz. Oblomow suchte auf dem Tisch; es war nicht einmal ein Stückchen da.
– Nun, gib mir wenigstens eine Visitenkarte.
– Ich habe längst keine Visitenkarte mehr, – sagte Oblomow.
– Was ist denn mit Dir? – entgegnete Stolz ironisch. – Und dabei hast Du vorzuarbeiten und einen Plan zu entwerfen. Sagʼ einmal, gehst Du irgendwohin? Wo verkehrst Du? Wen siehst Du?
– Wohin ich komme? Ich verkehre wenig, ich sitze meistens zu Hause; der Plan macht mir Sorgen, und jetzt noch die Geschichte mit der Wohnung . . . Zum Glück wollte Tarantjew sich verwenden und suchen . . .
– Kommt jemand zu Dir?
– Ja . . Tarantjew und Alexejew. Vor kurzem war der Doctor hier . . . Dann auch Pjenkin, Sudjbinskij, Wolkow.
– Ich sehe bei Dir keine Bücher. – sagte Stolz.
– Hier ist eins! – bemerkte Oblomow, auf das auf dem Tisch liegende Buch hinweisend.
– Was ist das? – fragte Stolz hineinblickend, – ›Reise nach Afrika!‹ Und die Seite, auf der Du stehen geblieben bist, ist verschimmelt. Man sieht auch keine Zeitung . . . Liest Du Zeitungen?
– Nein, das ist eine kleine Schrift, sie verdirbt die Augen . . . und es ist auch gar nicht nothwendig; wenn es etwas Neues gibt, hört man den ganzen Tag von allen Seiten nur davon.
– Aber ich bitte Dich, Ilja! – sagte Stolz, Oblomow erstaunt anblickend. – Was machst denn Du selbst? Du hast Dich wie ein Teigklumpen zusammengerollt und liegst da.
– Das ist wahr, Andrej, wie ein Teigklumpen, – gab Oblomow traurig zur Antwort.
– Ist denn das Bewußtsein eine Rechtfertigung?
– Nein, das ist nur eine Antwort auf Deine Worte; ich rechtfertige mich nicht, – bemerkte Oblomow seufzend.
– Man muß doch diesen Schlaf von sich abschütteln.
– Ich habʼ das früher versucht, es ist mir nicht gelungen, und jetzt, . wozu? Nichts bringt mich aus dem Zustand heraus, die Seele strebt nirgendshin, der Geist schläft ruhig! – schloß er mit kaum merklicher Bitterkeit. – Genug davon . . . Sagʼ lieber, woher Du jetzt kommst!
– Aus Kiew. Nach etwa zwei Wochen reise ich ins Ausland. Komme auch mit . . .
– Gut; vielleicht . . . – beschloß Oblomow.
– Also setzʼ Dich hin und schreibe eine Bittschrift, Du reichst sie dann gleich morgen ein . . .
– Schon morgen! – begann Oblomow erschrocken. – Wie eilig alle es haben, als ob ihnen jemand im Nacken säße! Wir wollen es uns überlegen, alles besprechen und dann wollen wir weiter sehen! Vielleicht fahren wir erst ins Dorf und dann ins Ausland . . später.
– Warum denn später? Der Doctor hat Dirʼs ja verordnet? Wirf erst das Fell, die Schwere des Körpers, von Dir, dann wird auch Deine Seele den Schlaf abschütteln. Man braucht eine körperliche und eine seelische Gymnastik.
– Nein, Andrej, das alles wird mich ermüden; mit meiner Gesundheit ist es schlecht bestellt. Nein, laß mich lieber hier und fahre allein.
Stolz blickte den liegenden Oblomow an und Oblomow erwiderte den Blick. Stolz schüttelte den Kopf und Oblomow seufzte.
– Ich glaube, Du bist auch zum Leben zu faul? – fragte Stolz.
– Du hast ja recht, Andrej; ich bin zu faul dazu.
Andrej erwog in seinem Kopf die Frage, wodurch er ihn packen konnte, und wo er noch eine lebendige Stelle besaß; dabei betrachtete er ihn schweigend und lachte plötzlich auf.
– Warum trägst Du einen Zwirnstrumpf und einen Baumwollstrumpf? – bemerkte er plötzlich, auf Oblomows Füße hinweisend. – Du hast auch das Hemd verkehrt an!
Oblomow blickte seine Füße und dann sein Hemd an.
– Wirklich! – gab er verlegen zu. – Dieser Sachar ist mir zur Strafe geschickt worden! Du wirst nicht glauben, wie ich mich mit ihm abquäle! Er streitet mit mir, ist grob, läßt sich aber nichts sagen!
– Ach, Ilja, Ilja! – sagte Stolz, – nein, ich lasse Dich nicht in diesem Zustand. In einer Woche wirst Du Dich nicht wieder erkennen. Abends werde ich Dir meinen genauen Plan mittheilen, was ich mit mir und mit Dir anzufangen beabsichtige, und jetzt ziehʼ Dich an.
– Wartʼ nur, ich werde Dich schon aufrütteln. Sachar! schrie er – Ilja Iljitsch wird sich ankleiden!
– Wohin soll ich, ich bitte Dich, was hast Du? Gleich kommen Tarantjew und Alexejew zum Mittagessen. Dann wollten wir. . .
– Sachar! – sagte Stolz, ohne ihm zuzuhören, – hilfʼ ihm beim Ankleiden.
– Zu Befehl, Väterchen Andrej Iwanowitsch, ich putze nur erst die Schuhe, – sagte Sachar gut gelaunt.
– Wie? Die Schuhe sind um fünf Uhr noch ungeputzt?
– Sie sind schon seit voriger Woche geputzt, aber der Herr ist nicht ausgegangen, und da ist der Glanz wieder verloren gegangen. . . .
– Dann gib sie so wie sie sind her. Tragʼ meinen Koffer in den Salon, ich steige bei euch ab. Ich ziehe mich gleich an, mache auch Du Dich fertig, Ilja. Wir werden irgendwo unterwegs mittagessen, dann fahren wir zu zwei, drei Familien hin, und. . .
– Aber Du kommst so plötzlich damit. . . warte. . . lass! mich erst überlegen. . . ich bin ja nicht rasiert. . .
– Du brauchst Dir gar nichts zu überlegen und Dich hinter dem Ohr zu kratzen . . Du wirst Dich unterwegs rasieren lassen; ich führe Dich schon irgendwohin.
– Zu welchen Familien werden wir denn hinfahren? – rief Oblomow betrübt aus, – zu unbekannten? Was Du Dir ausdenkst! Ich gehe lieber zu Iwan Gerassimowitsch hin; ich war schon drei Tage nicht bei ihm.
– Wer ist das, Iwan Gerassimowitsch?
– Er war früher mein College im Amt . . .
– Ah! Dieser grauhaarige Executor; was hast Du an ihm gefunden? Was ist das für ein Vergnügen, die Zeit mit diesem Dummkopf todtzuschlagen!
– Wie schroff Du manchmal über die Menschen urtheilst, Andrej, Gott weiß, wieso Du dazu kommst. Er ist ja ein guter Mensch, nur daß er keine holländischen Hemden trägt. . .
– Was machst Du bei ihm? Worüber sprecht ihr? fragte Stolz.
– Weißt Du, bei ihm im Hause ist es so bequem und gemüthlich. Die Zimmer sind klein, die Sofas sind so tief, daß man mit dem Kopf einsinkt und gar nicht zu sehen ist. Die Fenster sind mit Epheu und mit Cacteen ganz bedeckt. Er hat mehr als ein Dutzend Kanarienvögel und drei so gute Hunde! Auf dem Tisch steht immer ein Imbiß vorbereitet. Die Stiche stellen lauter Familienscenen vor. Wenn man hinkommt, möchte man gar nicht fortgehen. Man sitzt sorglos da, ohne an irgendetwas zu denken und weiß, daß daneben ein. . . . zwar nicht gescheiter Mensch dasitzt, man kann natürlich nicht daran denken, mit ihm Gedanken auszutauschen, dafür ist er einfach, gutmüthig, gastfreundlich, ohne Ansprüche und verspottet einen nicht hinter dem Rücken!
– Was macht ihr denn?
– Was? Ich komme hin, wir setzen uns einander gegenüber auf die Sofas hin, ziehen die Füße hinauf, er raucht. . . . .
– Nun, und Du?
– Ich. . . . rauche auch und höre zu, wie die Kanarienvögel rollen. Dann bringt Marfa den Samowar.
– Tarantjew, Iwan Gerassimowitsch!– sagte Stolz achselzuckend. – Nun ziehʼ Dich schnell an, – mahnte er zur Eile.
– Und wenn Tarantjew kommt, sagʼ ihm, – fügte er, sich an Sachar wendend, hinzu, – daß wir auswärts zu Mittag essen, und daß Ilja Iljitsch den ganzen Sommer auswärts speisen wird, daß er dann im Herbst viel zu thun haben wird, und daß er ihn wohl kaum empfangen können wird. . .
– Ich werde es sagen, ich vergesse es nicht, ich werde es schon sagen, – antwortete Sachar, – und was befehlen Sie mit dem Mittagessen anzufangen?
– Iß es mit irgendjemand auf und laß Dirʼs gut schmecken.
– Zu Befehl, gnädiger Herr.
Nach etwa zehn Minuten kam Stolz angekleidet, rasiert und gekämmt herein, und fand Oblomow melancholisch auf dem Bett sitzend und sich langsam die Hemdbrust zuknöpfend vor, wobei er mit dem Knopf nicht ins Knopfloch hinein finden konnte. Vor ihm stand auf einem Knie Sachar mit dem ungeputzten Schuh wie mit einer Platte da und wartete darauf, daß der Herr fertig würde, um ihn anzuziehen.
– Du hast noch keine Schuhe an! – sagte Stolz erstaunt. – Nun Ilja, geschwind, geschwind!
– Wohin denn? Wozu? – sagte Oblomow voll Bangigkeit, – was habe ich dort zu suchen? Ich bin zurückgeblieben, ich habe keine Lust. . . .
– Geschwind, geschwind! – trieb Stolz zur Eile an.
