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Kitabı oku: «Oblomow», sayfa 34
III
Tarantjew und Iwan Matwejewitsch trafen sich nach dem Iljatage wieder in der Kneipe.
– Thee! – bestellte Iwan Matwejewitsch düster, und als der Kellner Thee und Rum brachte, schob er ihm ärgerlich die Flasche hin. – Das ist kein Rum, sondern es sind Nelken! – sagte er, nahm aus der Manteltasche seinen eigenen Rum heraus und ließ den Kellner diesen riechen.
– Komm mir also nicht mehr mit Deiner Flasche! – bemerkte er.
– Was, Gevatter, es steht schlecht! – sagte er, als der Kellner fort war.
– Ja, der Teufel hat ihn hergebracht! – entgegnete Tarantjew wüthend. – Was für ein Schurke dieser Deutsche ist! Er hat die Vollmacht vernichtet und das Gut gepachtet! Das ist unerhört! Er wird seine Schäfchen aber gehörig ins Trockene bringen.
– Ich fürchte, Gevatter, daß, wenn er sich in der Sache auskennt, dabei etwas herauskommen kann. Wenn er erfährt, daß die Abgaben eingesammelt sind und daß wir das Geld erhalten haben, kann er womöglich noch einen Proceß anfangen . . .
– Gleich einen Proceß! Bist Du aber ängstlich geworden, Gevatter! Es ist nicht das erstemal, daß Satjortij seine Finger nach fremdem Geld ausstreckt, er versteht es, seine Spuren zu verwischen. Ich glaube, er gibt den Bauern Quittungen; er nimmt ihnen das Geld wohl unter vier Augen ab. Der Deutsche wird sich ärgern, wird schimpfen und damit basta. Und Du denkst gleich an einen Proceß!
– Glaubst Du wirklich? – fragte Muchojarow, Muth fassend, – nun, wollen wir trinken.
Er schenkte sich und Tarantjew Rum ein.
– Manchmal glaubt man, daß man auf der Welt gar nicht leben kann, wenn man aber trinkt, geht es doch noch weiter! – tröstete er sich.
– Mache unterdessen Folgendes, Gevatter, – fuhr Tarantjew fort, – stelle irgendwelche Rechnungen auf, welche Du willst, für Holz, für Kraut, nur für irgendetwas, Oblomow hat ja jetzt die Wirtschaft Deiner Schwester übergeben, und füge die Summe den übrigen Ausgaben an. Und wenn Satjortij kommt, werden wir sagen, daß er so und soviel Abgabegelder gebracht hat und daß wir damit die Ausgaben für Oblomow gedeckt haben.
– Wenn er aber die Rechnungen nimmt und sie dem Deutschen zeigt, dann könnte die Sache doch ans Licht kommen. . . .
– Aber! Er steckt sie irgendwohin und der Teufel selbst findet sie dann nicht. Und bis der Deutsche kommt, ist alles längst vergessen. . . .
– Wirklich? Trinken wir, Gevatter, – sagte Iwan Matwejewitsch, den Rum in Weingläser einschenkend, – es ist schade, das mit Thee zu verdünnen. Rieche einmal; drei Rubel. Wollen wir uns nicht etwas zu essen bestellen?
– Das könnte man.
– Kellner!
– Aber was das für ein Schurke ist! »Ich nehmʼs in Pacht,« sagt er, – begann Tarantjew wieder wüthend, – uns, Russen, würde so etwas nie einfallen! Diese Einrichtung riecht gleich nach etwas Deutschem. Dort haben sie lauter Farmen und Pachtgüter. Wartʼ nur, er wird ihm dann noch mit Actien heimleuchten.
– Was sind denn das für Actien, ich kenne mich dabei gar nicht aus? – fragte Iwan Matwejewitsch.
– Eine deutsche Erfindung! – sagte Tarantjew zornig, – das ist so: Ein Schwindler erfindet, wie man feuersichere Häuser
baut, und übernimmt es, eine Stadt zu bauen; er braucht Geld, da läßt er Papiere, sagen wir zu je fünfhundert Rubel, erscheinen, und die Dummköpfe kaufen und verkaufen sie einander. Wenn Gerüchte entstehen, daß das Unternehmen gut geht, steigen die Papiere im Preise, wenn es schlecht geht, kracht das Ganze. Man behält dann die Papiere, aber kein Geld. Wenn man frägt, wo die Stadt ist, bekommt man zur Antwort, daß sie verbrannt ist und nicht fertig gebaut wurde, und der Erfinder hat sich unterdessen mit dem Geld aus dem Staube gemacht. Das sind Actien! Der Deutsche wird ihn schon hinein verwickeln! Ich wundere mich nur, daß er das noch bis jetzt nicht gethan hat! Ich habʼ ihn immer daran gehindert und habe dem Landsmann Wohlthaten erwiesen!
– Ja, jetzt istʼs aus; die Sache ist zu Ende und dem Archiv übergeben worden, jetzt haben wir zum letztenmal Geld aus Oblomowka bekommen. . . . – sagte Muchojarow ein wenig benebelt.
– Daß ihn der Teufel holʼ! Du hast ja so viel Geld, daß man darin mit einer Schaufel wühlen kann! – entgegnete Tarantjew, auch ein wenig im Dusel, – Du hast eine sichere Quelle, schöpfe daraus, so lange Du nicht müde bist. Trinken wir!
– Was ist das für eine Quelle, Gevatter? Man sammelt das ganze Leben und kann nur immer einen Rubel oder einen Dreirubelschein einstecken. . . .
– Du sammelst doch aber schon zwanzig Jahre, Gevatter, versündige Dich nicht!
– Aber was fällt Dir ein! – entgegnete Iwan Matwejewitsch mit lallender Stimme, – Du vergißt, daß ich erst seit zehn Jahren Secretär bin. Und früher haben nur Zehn- und Zwanzigkopekenstücke in meiner Tasche geklimpert und manchmal mußte ich, ich schäme mich es zu sagen, Kupfermünzen sammeln. Was ist das für ein Leben! Ach Gevatter! Was für glückliche Menschen es auf der Welt gibt, die dafür, daß sie nur ein Wort ins Ohr flüstern oder eine Zeile dictieren oder einfach ihren Namen auf ein Papier schreiben, plötzlich eine Geschwulst wie ein Kissen in ihrer Tasche bekommen, so daß sie sich darauf schlafen legen könnten! Ja, wenn man so arbeiten könnte, träumte er, immer betrunkener werdend, – die Bittsteller sehen solche Leute gar nicht persönlich und wagen es nicht an sie heranzutreten. Er steigt in den Wagen und ruft »in den Club!«, dort drücken ihm ganz mit Orden behängte Leute die Hand, das Spiel dreht sich nicht um fünf Kopeken, und wie er zu Mittag speist, wie er speist ach! Er würde sich schämen, über unsere Gerichte zu sprechen; da würde er die Stirn furchen und ausspucken. Im Winter essen sie junge Hühner, im April werden Erdbeeren gereicht! Zu Hause geht die Frau in Spitzen herum, die Kinder haben eine Gouvernante, sind schön gekleidet und frisiert. Ach, Gevatter! Es gibt ein Paradies, doch die Sünden sind zu groß. Trinken wir! Da bringt man das Essen!
– Klage nicht, Gevatter, versündige Dich nicht; Du hast ein schönes Capital. . . sagte der gänzlich betrunkene Tarantjew mit blutrothen Augen, – fünfunddreißig Tausend in Silber, das ist kein Spaß!
– Still, still, Gevatter! – unterbrach ihn Iwan Matwejewitsch, – was hat man von fünfunddreißig Tausend, wann bringt man es aber bis auf fünfzig Tausend? Man kommt auch mit fünfzig Tausend noch nicht ins Paradies. Wenn man heiratet, muß man vorsichtig leben, jeden Rubel zählen, an den Rum ganz vergessen, was ist das für ein Leben!
– Dafür lebt man ruhig, Gevatter; bald istʼs ein Rubel, bald sindʼs zwei, und eh man sichʼs versieht, hat man im Tag sieben Rubel zurückgelegt. Da hat man gar keine Sorgen und braucht sich nicht zu fürchten. Wenn man aber manchmal seinen Namen unter etwas Großes setzt, kann man ihn dann sein Lebenlang mit seinen Seiten fortwetzen. Nein, Bruder, versündige Dich nicht!
Iwan Matwejewitsch hörte nicht zu und überlegte sich längst etwas.
– Hörʼ einmal, – begann er plötzlich, die Augen weit aufreißend und sich so freuend, daß sein Rausch fast vergieng. – oder nein, ich fürchte mich und sage es nicht, ich werde einen solchen Vogel nicht aus meinem Kopf fortfliegen lassen. Das ist ja ein wahrer Schatz. . . . Trinken wir, Gevatter, trinken wir schnell!
– Ich werde nicht trinken, bevor Du es mir erzählst, – sagte Tarantjew, das Glas fortschiebend.
– Es ist eine wichtige Sache, Gevatter. . . . – flüsterte Muchojarow, auf die Thür schauend.
– Nun?. . . . – fragte Tarantjew ungeduldig.
– Was mir da eingefallen ist. Weißt Du was, Gevatter, das ist dasselbe, wie wenn man irgendetwas Großes unterschreibt, bei Gott, es ist so!
– Aber was denn, wirst Du es mir sagen?
– Und was man da zurücklegen kann!
– Nun? – trieb Tarantjew ihn an.
– Wartʼ, laß mich noch nachdenken. Ja, da braucht man aber nichts zu streichen, das ist gesetzlich. Also gut, Gevatter, ich sagʼ es Dir nur darum, weil ich Dich dabei brauche; ohne Dich geht es schlecht. Sonst hättʼ ichʼs Dir, bei Gott, nicht gesagt; das ist nicht so etwas, das man andern anvertraut.
– Bin ich denn für Dich ein anderer, Gevatter? Mir scheint, ich habe Dir mehr als einmal Gefälligkeiten erwiesen, ich bin Dein Zeuge gewesen und habe Dir die Copien geschrieben. . . weißt Duʼs nicht mehr, Du Schwein!
– Gevatter, Gevatter, halte Deine Zunge im Zaum. Was Du für einer bist, Du läßt ja alles wie aus einer Kanone herausschießen!
– Wer hört es denn hier? Weiß ich denn nicht, was ich thue? – sagte Tarantjew ärgerlich. – Warum quälst Du mich? Also sprich.
– Nun, höre zu, Ilja Iljitsch ist ja sehr ängstlich und kennt gar keine Gesetze, damals beim Contract hat er ganz den Kopf verloren, als man die Vollmacht geschickt hat, wußte er nicht, was er beginnen sollte, er hat sogar vergessen, wie viel er an Abgaben zu bekommen hat, er sagt selbst, »ich weiß nichts« . . .
– Nun? – fragte Tarantjew ungeduldig.
– Also er hat es sich angewöhnt, sehr oft zur Schwester zu kommen. Neulich ist er bis ein Uhr dort sitzen geblieben, und als er dann im Vorzimmer mit mir zusammengestoßen ist, hat er sich den Anschein gegeben, mich nicht zu sehen. Wir wollen also noch abwarten, was geschieht, und dann. . . Sagʼ ihm gelegentlich, daß es häßlich ist, Schande ins Haus zu bringen, daß sie eine Witwe ist, sagʼ, daß man es erfahren hat, und daß sie jetzt nicht heiraten kann, ein reicher Kaufmann hätte um sie angehalten, jetzt wüßte er aber, daß er des Abends bei ihr sitzt, und wolle nicht mehr.
– Nun, was kommt denn dabei heraus? Er wird erschrecken, sich aufs Bett legen und sich wie ein Eber darin herumwälzen und seufzen, das ist alles! – sagte Tarantjew. – Was werden wir denn davon haben, was kann man sich dabei zurücklegen?
– Bist Du aber einer! Du wirst ihm sagen, daß ich ihn klagen will, daß man ihm aufgelauert hat, daß Zeugen da sind. . .
– Nun?
– Und wenn er sehr erschrickt, dann sage ihm, daß ich auf einen Ausgleich eingehen würde, wenn er ein kleines Capital hergibt.
– Wo ist denn sein Geld? – fragte Tarantjew, – er verspricht ja alles vor lauter Angst, sogar zehn Tausend. . . .
– Blinzle mir nur zu, dann stelle ich einen Schuldschein aus. . . auf den Namen der Schwester: »Ich, Oblomow, habe bei der Witwe so und so zehn Tausend Rubel geliehen bis zu dem und dem Datum u s. w.«
– Was haben wir denn davon, Gevatter? Ich verstehe Dich nicht, das Geld geht dann zu der Schwester und den Kindern über. Wo ist dann unser Verdienst?
– Und die Schwester gibt mir einen Schuldschein auf dieselbe Summe; ich laß ihn von ihr unterschreiben.
– Wenn sie aber darauf besteht und nicht unterschreibt?
– Die Schwester?
Und Iwan Matwejewitsch brach in ein dünnes Gelächter aus. – Sie unterschreibt schon, Gevatter, sie würde sogar ihr Todesurtheil unterschreiben, ohne zu fragen, was es sei, und nur lächeln. Sie setzt schief »Agafja Pschenizina« darunter und wird nie erfahren, was sie unterschrieben hat. Siehst Du, wir sind also gar nicht bloßgestellt; die Schwester hat den Collegiensecretär Oblomow, und ich die Frau des Collegiensecretärs Pschenizin zum Schuldner. Der Deutsche kann wüthen soviel er will, die Sache ist gesetzlich! – sagte er, die zitternden Hände in die Höhe haltend.
– Trinken wir, Gevatter!
– Die Sache ist gesetzlich! – sagte Tarantjew entzückt, – trinken wir.
– Und wenn alles gut geht, kann man es in zwei Jahren wiederholen; es ist eine gesetzliche Sache!
– Eine ganz gesetzliche! – erklärte Tarantjew, beifällig nickend, – wollen wir auch jetzt wiederholen!
– Wiederholen wir!
Und sie tranken.
– Wenn Dein Landsmann sich nur nicht wehrt und dem Deutschen schreibt, – bemerkte Muchojarow ängstlich, – dann steht es schlimm, Bruder! Man kann keine Klage gegen ihn erheben, sie ist eine Witwe und kein Mädchen!
– Er wird schreiben! Gewiß wird er schreiben! – sagte Tarantjew. – So in zwei Jahren. Und wenn er sich wehrt, dann schimpfe ich. . .
– Nein, nein, Gott behüte! Dann verdirbst Du alles, Gevatter. Er wird sagen, man hätte ihn gezwungen, wird vielleicht noch etwas von Schlägen erwähnen, dann ist es ein Criminalproceß. Nein, das taugt nicht! Man kann es aber anders machen. Früher mit ihm essen und trinken; er liebt Johannisbeerschnaps. Sowie er ein wenig benebelt ist, gibst Du mir ein Zeichen, und ich komme mit dem Schein herein. Er wird sich die Summe gar nicht anschauen und wird wie damals den Contract unterschreiben, wenn die Sache dann aber vom Notar bestätigt ist, kann er nichts mehr machen! Dieser Edelmann wird sich schämen einzugestehen, daß er in betrunkenem Zustand unterschrieben hat; eine gesetzliche Sache!
– Eine gesetzliche Sache! – wiederholte Tarantjew.
– Oblomowka wird dann den Erben zufallen.
– Gewiß! Trinken wir, Gevatter.
– Auf das Wohl der Tölpel! – sagte Iwan Matwejewitsch. Sie tranken.
IV
Wir müssen uns jetzt in die Zeit vor der Ankunft von Stolz an Oblomows Namenstag und in einen anderen Ort, weit von der Wiborgskajastraße entfernt, versetzen. Dort treffen wir bekannte Personen, von denen Stolz Oblomow nicht alles, was er wußte, erzählt hatte, vielleicht weil er seine Gründe dafür hatte oder weil Oblomow ihn nicht über alles diesbezüglich ausfragte, wofür er gewiß auch seine Gründe hatte.
Eines Tages schritt Stolz in Paris über einen Boulevard, betrachtete zerstreut die Passanten und die Aushängeschilder, ohne die Augen auf etwas ruhen zu lassen. Er hatte lange keine Briefe aus Rußland erhalten, weder aus Kiew, noch aus Odessa, noch aus Petersburg. Er langweilte sich, er trug drei Briefe auf die Post und wollte nach Hause zurückkehren. Plötzlich blieben seine Augen reglos und erstaunt an etwas haften, nahmen dann aber wieder ihren gewohnten Ausdruck an. Zwei Damen bogen vom Boulevard ab und traten in ein Geschäft. »Nein, das ist unmöglich; welch ein Gedanke! Ich müßte es ja wissen! Das sind sie nicht.« Er trat aber trotzdem an das Fenster dieses Geschäftes und betrachtete die Damen durch die Scheiben hindurch. »Man kann nichts sehen; sie kehren dem Fenster den Rücken zu.« Stolz trat in das Geschäft und verlangte etwas. Eine der Damen wandte sich dem Licht zu, er erkannte Oljga Iljinskaja und erkannte sie zugleich nicht! Er wollte zu ihr hineilen, blieb aber stehen und begann sie forschend zu betrachten. Mein Gott! Welch eine Veränderung! Das war zugleich sie und nicht sie. Es waren ihre Züge, aber sie war bleich, ihre Augen erschienen ein wenig eingefallen, und es war kein kindliches, naives, sorgloses Lächeln mehr auf ihren Lippen. Über den Brauen schwebte ein ernster, trauriger Gedanke, die Augen sprachen über vieles, was ihnen früher unbekannt war und worüber sie früher nicht gesprochen hatten. Sie hatte nicht mehr den früheren offenen, hellen, ruhigen Blick; über dem ganzen Gesicht lag ein Nebelschleier von Traurigkeit.
Er kam auf sie zu. Sie runzelte ein wenig die Brauen und blickte ihn einen Augenblick lang erstaunt an, dann erkannte sie ihn. Die Stirn glättete sich, die Brauen legten sich symmetrisch hin, die Augen erglänzten in stiller, nicht stürmischer, aber tiefer Freude. Jeder Bruder würde froh sein, wenn eine geliebte Schwester sich über ihn so erfreut gezeigt hätte.
– Mein Gott! Sind Sie es! – sagte sie mit zu Herzen dringender, rührend freudiger Stimme.
Die Tante wandte sich schnell um, und sie begannen alle drei zugleich zu sprechen. Er warf ihnen vor, daß sie ihm nicht früher geschrieben hatten; sie suchten sich zu rechtfertigen. Sie waren erst seit drei Tagen da und suchten ihn überall. Jemand hatte ihnen gesagt, er wäre nach Lyon verreist, und sie wußten nicht, was sie thun sollten.
– Wie ist es Ihnen nur eingefallen zu reisen? Und Sie haben mir kein Wort davon geschrieben! – warf er ihnen wieder vor.
– Wir haben die Reise so schnell beschlossen, daß wir Ihnen nicht schreiben konnten, – sagte die Tante, – Oljga wollte Sie überraschen.
Er blickte Oljga an; ihr Gesicht bestätigte nicht die Worte der Tante. Er blickte sie noch forschender an, doch sie war unergründlich und seiner Beobachtung unzugänglich.
»Was ist mit ihr?« dachte Stolz, »ich habe sie sonst auf den ersten Blick verstanden, und jetzt . . . welch eine Veränderung!«
– Wie gereift und wie gewachsen Sie sind, Oljga Sjergejewna! – sprach er. – Ich erkenne Sie nicht! Und wir haben uns kaum ein Jahr nicht gesehen. Was haben Sie gethan, was war mit Ihnen? Erzählen Sie, erzählen Sie!
– Ja . . . . nichts Besonderes, – sagte sie, einen Stoff betrachtend.
– Was ist mit Ihrem Gesang? – fragte Stolz, die für ihn neue Oljga betrachtend und das ihm unbekannte Spiel ihrer Gesichtszüge studierend, doch dieses Spiel brach hervor und verschwand wie ein Blitz.
– Ich habe schon lange nicht gesungen, schon seit zwei Monaten nicht, – sagte sie nachlässig.
– Und was ist mit Oblomow? – fragte er plötzlich. – Lebt er? Er schreibt nicht.
Jetzt hätte Oljga vielleicht unwillkürlich ihr Geheimnis verrathen, wenn die Tante ihr nicht zu Hilfe gekommen wäre.
– Denken Sie sich, – sagte sie, aus dem Geschäft heraustretend, – er hat uns täglich besucht und ist dann verschwunden. Als wir ins Ausland reisen wollten, habe ich zu ihm hingeschickt – man hat sagen lassen, er sei krank und empfange niemand, wir haben uns also nicht mehr gesehen.
– Und auch Sie wissen nichts? – fragte Stolz besorgt Oljga.
Oljga betrachtete eingehend einen vorüberfahrenden Wagen durch ihr Lorgnon.
– Er ist thatsächlich erkrankt, – sagte sie, mit geheuchelter Aufmerksamkeit dem Wagen folgend. – Schauen Sie, ma tante, mir scheint, unsere Reisegefährten sind vorübergefahren!
– Nein, erzählen Sie mir genau von meinem Ilja, – ließ Stolz nicht ab, – was haben Sie mit ihm gethan? Warum haben Sie ihn nicht mitgebracht?
– Mais ma tante vient de dire, – sagte sie.
– Er ist furchtbar träge, – bemerkte die Tante, – und dann ist er so menschenscheu; sowie drei, vier Personen zu uns kommen, geht er gleich fort. Denken Sie sich, er hat ein Abonnement in die Oper genommen und hat nicht einmal die Hälfte der Opern besucht.
– Er hat Rubini nicht gehört, – fügte Oljga hinzu.
Stolz schüttelte den Kopf und seufzte.
– Wieso haben Sie zu reisen beschlossen? Für lange? Wieso ist es Ihnen plötzlich eingefallen? – fragte er.
– Ihretwegen, auf den Rath des Arztes hin, – sagte die Tante, auf Oljga zeigend. – Petersburg hat ihr schlecht behagt, und wir sind für den Winter fortgereist, wir haben aber noch keine Entscheidung getroffen, wo wir ihn verbringen werden. In Nizza oder in der Schweiz.
– Ja, Sie haben sich sehr verändert, – sagte Stolz, sinnend Oljga in die Augen blickend.
Iljinskys brachten ein halbes Jahr in Paris zu, und Stolz war ihr einziger täglicher Gesellschafter und Führer. Oljga begann sich merklich zu erholen; sie gieng von ihrer Nachdenklichkeit zur Ruhe und Gleichgiltigkeit über, wenigstens äußerlich. Was in ihrem Innern vorgieng, wußte niemand, doch sie wurde nach und nach wieder zu Stolz Freundin, wenn sie auch nicht mehr ihr früheres lautes, kindliches, silberhelles Lachen besaß, sondern nur zurückhaltend lächelte, wenn Stolz ihr etwas Komisches erzählte. Sie schien sich manchmal sogar darüber zu ärgern, daß sie lachen mußte.
Er merkte es sofort, daß sie nicht mehr zum Lachen zu bringen war. Manchmal hörte sie seinen komischen Bemerkungen mit unsymmetrisch liegenden Augenbrauen und mit einer Falte auf der Stirn ohne ein Lächeln zu, blickte ihn dann schweigend an, als wäre sie ungeduldig oder als werfe sie ihm seinen Leichtsinn vor und richtete an ihn plötzlich, statt seinen Witz zu beantworten, eine tiefgehende Frage, die sie mit einem so beharrlichen Blick begleitete, daß er sich seiner nachlässigen, leeren Worte schämte. Manchmal äußerte sich in ihr eine solche innere Ermüdung von dem täglichen Trubel und leeren Geplauder der Menschen, daß Stolz sich plötzlich einer anderen Sphäre zuwenden mußte, die er sonst selten und ungern im Gespräch mit Frauen berührte. Wieviel Geist, Spitzfindigkeit und Anstrengung mußte er anwenden, damit Oljgas tiefer fragender Blick sich klärte und beruhigte, nicht länger dürstete und nicht nach etwas in der Ferne, an ihm vorbei, suchte! Wie regte es ihn auf, wenn ihr Blick bei einer nachlässigen Erklärung trocken und streng wurde, wenn die Brauen sich zusammenzogen, und der Schatten einer tiefen, wenn auch unausgesprochenen Zufriedenheit sich über ihr Gesicht breitete. Und er mußte zwei, drei Tage lang die feinsten Fähigkeiten seines Geistes, selbst List und Leidenschaft und sein ganzes Verständnis mit Frauen umzugehen anwenden, um mit Mühe allmählich einen Widerschein von Frieden und sanfte Resignation aus Oljgas Herzen auf ihr Gesicht, in ihren Blick und ihr Lächeln zu locken. Er kehrte manchmal von diesem Kampf ermattet abends nach Hause zurück und war glücklich, wenn er Sieger blieb.
»O Gott, wie reif ist sie geworden! Wie dieses Mädchen sich entwickelt hat! Wer war denn ihr Lehrer? Wo hat sie das Leben erlernt? Beim Baron? Aus seinen glatten, geckenhaften Phrasen ist nichts zu schöpfen! Doch nicht bei Ilja!. . .«
Und er konnte Oljga nicht begreifen, kam am nächsten Tag wieder zu ihr, las dann vorsichtig und ängstlich in ihrem Gesicht, wobei er oft in Verlegenheit gerieth und nur mit Zuhilfenahme seiner ganzen Vernunft und Lebenskenntnis die Fragen, Zweifel und Forderungen besiegte – alles das, was sich in Oljgas Zügen wiederspiegelte. Er begab sich mit der Fackel der Erfahrung in den Händen in das Labyrinth ihres Verstandes und Gemüthes, und entdeckte und studierte täglich neue Züge und neue Thatsachen, ohne noch den Grund zu entdecken, und verfolgte nur erstaunt und beunruhigt, wie ihr Geist täglich neue Nahrung verlangte und ihre Seele ohne Unterlaß nach Erfahrungen und Bethätigung suchte.
Dem ganzen Leben und der Thätigkeit von Stolz gesellte sich mit jedem Tage ein das Leben und eine andere Thätigkeit hinzu; nachdem er Oljga mit Blumen umringt hatte, nachdem er sie mit Büchern, Noten und Albums versorgt hatte, beruhigte sich Stolz, da er die freie Zeit seiner Freundin für genügend ausgefüllt hielt und gieng arbeiten oder fuhr irgendein Bergwerk oder ein mustergiltiges Gut besichtigen, oder er gieng in Gesellschaft, um mit neuen hervorragenden Menschen bekannt zu werden; dann kehrte er müde zu ihr zurück, wollte sich ans Clavier setzen und den Tönen ihrer Stimme lauschen. Statt dessen sah er aber auf ihrem Gesicht schon neue Fragen und in ihrem Blick ein beharrliches Verlangen nach Aufklärung auftauchen. Und er gab ihr unmerklich und unwillkürlich nach und nach Rechenschaft darüber, was er besichtigt hatte und weshalb er es gethan hatte. Manchmal äußerte sie den Wunsch, das, was er gesehen und erfahren hatte, selbst zu sehen und zu erfahren. Und er wiederholte seine Arbeit und fuhr mit ihr um ein Gebäude, eine Gegend, eine Maschine zu besichtigen oder eine alte Begebenheit von den Mauern und Steinen abzulesen. Er hatte sich allmählich unmerklich daran gewöhnt, in ihrer Anwesenheit laut zu denken und zu fühlen und erfuhr, als er sich eines Tages streng prüfte, daß er nicht mehr allein, sondern zu zweien lebte und daß er dieses Leben seit dem Tage von Oljgas Ankunft führte. Er schätzte vor ihr wie vor sich selbst fast unbewußt die von ihm erworbenen Schätze ab und wunderte sich über sich und über sie; dann prüfte er sorgfältig, ob in ihrem Blick keine Frage zurückblieb, ob das Leuchten des befriedigten Geistes sich über ihr Gesicht verbreitete und ob ihr Blick ihm wie einem Sieger das Geleite gab. Wenn das geschah, gieng er doch stolz und voller Aufregung nach Hause und bereitete sich in der Nacht lange Zeit heimlich für morgen vor. Die langweiligsten Arbeiten erschienen ihm nicht trocken, sondern nur nothwendig; sie näherten ihn dem Innern des Lebensgewebes. Die Gedanken, die Beobachtungen und Erlebnisse wurden nicht schweigend dem Archiv des Gedächtnisses einverleibt, sondern hauchten jedem Tag glühende Farben ein. Wie glühte Oljgas bleiches Gesicht, wenn er, ohne ihren fragenden, dürstenden Blick abzuwarten, vor ihr voll Feuer und Energie den neuen Vorrath, das neue Material ausbreitete! Und wie vollkommen glücklich war er, wenn ihr Geist voll Aufmerksamkeit und anmuthiger Demuth sich seinen Blick und jedes Wort aufzufangen beeilte und sie beide wachsam aufpaßten: er, ob in ihren Augen keine Frage zurückblieb, und sie, ob in ihm nicht noch etwas Ungesagtes verborgen war, ob er nicht an etwas vergessen hatte, und vor allem, ob er es nicht für unnöthig hielt, ihr irgendeinen dunklen, für sie schwer zugänglichen Punkt zu erwähnen und ihr seinen Gedanken zu erläutern. Je wichtiger und complicierter die Frage war, je aufmerksamer er sie in dieselbe einführte, desto länger und forschender ruhte ihr dankbarer Blick auf ihm, und desto wärmer, tiefer und dankbarer wurde er.
»Oljga, dieses Kind, wächst mir über den Kopf!« dachte er erstaunt.
Er dachte über Oljga so viel nach, wie er noch nie über etwas nachgedacht hatte.
Im Frühjahr reisten sie alle in die Schweiz. Stolz hatte noch in Paris beschlossen, er könne von nun an nicht mehr ohne Oljga leben. Nachdem er diese Frage gelöst hatte, begann er zu überlegen, ob Oljga ohne ihn leben könne. Doch diese Frage war nicht so leicht zu beantworten. Er nahm sie langsam, allmählich und vorsichtig in Angriff, gieng bald tastend, bald kühn vorwärts und glaubte sich schon nahe am Ziele, er mußte nur noch ein unzweifelhaftes Symptom, einen Blick, ein Wort, eine Regung der Langweile oder der Freude erhaschen; es fehlte ihm noch eine kleine Linie, eine kaum merkliche Bewegung von Oljgas Augenbrauen, ein Seufzer, und morgen würde das Geheimnis gelöst werden! Er wurde geliebt! Auf ihrem Gesichte las er ein kindliches Vertrauen zu ihm; sie blickte ihn manchmal so an, wie sie es sonst niemand gegenüber that und wie sie nur eine Mutter anblicken würde, wenn sie eine hätte. Sein Kommen, der Umstand, daß er ihr seine freie Zeit und ganze Tage widmete, wurde von ihr nicht als ein Gefallen, als eine schmeichelhafte Äußerung von Liebe und als eine Liebenswürdigkeit, sondern einfach als eine Pflicht angesehen, als wäre er ihr Bruder, ihr Vater und sogar ihr Gatte; und das war viel, das war alles. Sie war mit ihm in jeder Äußerung und jedem Schritte so offen und aufrichtig, als ob seine Worte für sie eine unbestreitbare Bedeutung hätten und sie seine Autorität anerkannte. Er wußte auch, daß er diese Autorität besaß; sie bestätigte das jeden Augenblick, sagte, daß sie nur ihm glaubte und sich im Leben auf ihn allein und sonst auf niemand blind verlassen konnte. Das machte ihn natürlich stolz, doch darauf hätte ja auch irgendein älterer, kluger und erfahrener Onkel und sogar der Baron stolz sein können, wenn er ein Mensch von tiefem Verstande und von Charakter wäre. Es blieb aber eine ungelöste Frage, ob das ein Symptom von Liebe war! Gesellte sich diesem Glauben an die Autorität ein wenig von dem berückenden Selbstbetrug, von jener schmeichelhaften Verblendung hinzu, bei der die Frau bereit ist, sich auf eine grausame Weise zu irren und durch diesen Irrthum glücklich zu sein?. . .
Nein, sie fügte sich ihm so bewußt. Es ist wahr, ihre Augen leuchteten, wenn er ihr irgendeinen Gedanken entwickelte oder seine Seele vor ihr bloßlegte; sie überflutete ihn mit den Strahlen ihres Blickes, aber man sah stets die Ursache. Und in der Liebe wird ein Verdienst blind und unbewußt anerkannt, und gerade in dieser Blindheit und Unbewußtheit liegt das Glück. Wenn sie gekränkt war, sah man gleich den Grund. Er ertappte sie nie auf einem plötzlichen Erröthen, auf einer Freude oder Angst und fieng niemals einen sehnsuchtsvollen oder flammenden Blick bei ihr auf, und wenn er irgend etwas Ähnliches zu erhaschen glaubte, wenn es ihm schien, ihr Gesicht hätte sich vor Schmerz verzerrt, als er ihr sagte, er würde nächstens nach Italien reisen, wenn sein Herz in diesen ihm theuren, seltenen Augenblicken zu erstarren und sich mit Blut zu füllen begann, verhüllte sich alles wieder in einen Schleier, und sie fügte naiv und offen hinzu: »Wie schade, daß ich mit Ihnen nicht hinreisen kann, ich hätte so große Lust! Sie werden mir aber alles erzählen und so wiedergeben, als ob ich selbst dort gewesen wäre.«
Und der Zauber wurde durch diesen offenen, vor ihm nicht verheimlichten Wunsch und durch dieses förmliche, banale Lob für sein Erzählertalent zerstört. Sowie er die kleinsten Züge gesammelt hatte, sowie es ihm gelungen war, das feine Gewebe fertigzustellen und ihm nur mehr irgendeine Masche fehlte, die er jetzt gleich haben würde. . . wurde sie plötzlich wieder ruhig, gleichmäßig, einfach und manchmal sogar kalt. Sie saß mit ihrer Handarbeit schweigend da, hörte zu, indem sie ab und zu den Kopf hob, und auf ihm solche neugierige, fragende und sachliche Blicke richtete, daß er mehr als einmal ärgerlich das Buch fortwarf oder irgendeine Erklärung abbrach, aufsprang und fortgieng. Wenn er sich umwandte, begegnete er ihrem erstaunten Blick und kehrte um, nachdem er sich irgendetwas zu seiner Entschuldigung ausgedacht hatte. Sie hörte einfach zu und glaubte ihm. Sie hatte nicht einmal einen Zweifel oder ein schelmisches Lächeln. »Liebt sie oder liebt sie nicht?« Diese zwei Fragen wechselten in ihm immer ab. Wenn sie liebte, warum war sie dann so vorsichtig, so verschlossen? Wenn sie nicht liebte, warum war sie so freundlich und gehorsam? Er fuhr für eine Woche aus Paris nach London und theilte ihr das am Tage der Abreise mit, ohne ihr früher etwas davon gesagt zu haben. Wenn sie plötzlich erschrocken wäre und die Farbe gewechselt hätte, dann wäre er seiner Sache sicher, das Geheimnis würde vor ihm offen liegen, und er wäre glücklich! Sie drückte ihm aber fest die Hand und wurde traurig; er war verzweifelt.
– Ich werde mich schrecklich langweilen, – sagte sie, – ich möchte weinen, ich bin jetzt wie eine Waise. Ma tante, schauen Sie, Andrej Iwanowitsch verreist! – fügte sie weinerlich hinzu.
Er war ganz verstimmt.
»Sie wendet sich sogar an die Tante!« dachte er, »das hatte noch gefehlt! Ich sehe, daß es ihr leid thut, daß sie mich vielleicht lieb hat. . . Aber diese Liebe kann man wie Ware auf dem Markte, in so und so viel Zeit, für eine gewisse Aufmerksamkeit und Liebenswürdigkeit kaufen. . . Ich kehre nicht zurück«, dachte er düster. »Ich danke schön, Oljga, dieses Mädchen, das mir sonst immer wie am Schnürchen folgte. Was ist mit ihr?«
