Kitabı oku: «Oblomow», sayfa 36
– Ja, ich werde erzählen! – antwortete sie vertrauend und erfreut, daß man ihr einen Theil der Ketten abgenommen hatte. – Ich werde allein wahnsinnig. Wenn Sie wüßten, wie elend mir ist! Ich weiß nicht, ob ich schuldig bin oder nicht, ob ich mich der Vergangenheit schämen und sie bedauern soll, ob ich auf die Zukunft hoffen oder verzweifeln soll. . . Sie haben von Ihren Qualen gesprochen, ohne die meinigen zu ahnen. Hören Sie mir bis zu Ende zu, aber nicht mit dem Verstand; ich fürchte Ihren Verstand; lieber mit dem Herzen, vielleicht wird es Sie daran erinnern, daß ich keine Mutter habe, daß ich wie im Walde war. . . – fügte sie leise, mit gesenkter Stimme hinzu. – Nein, – verbesserte sie sich eilig, – schonen Sie mich nicht. Wenn das Liebe war, dann. . . verreisen Sie. . . – Sie schwieg eine Weile. – Und kommen Sie wieder, wenn in Ihnen nur die Freundschaft sprechen wird. Wenn das aber nur Leichtsinn und Koketterie war, dann richten Sie mich, fliehen Sie und vergessen Sie mich! Hören Sie.
Er drückte ihr statt einer Antwort beide Hände.
Jetzt begann Oljgas lange, genaue Beichte. Sie versetzte deutlich, Wort für Wort alles das, was so lange an ihr genagt hatte, wovor sie erröthete, was sie früher gerührt und glücklich gemacht hatte, um dann in den Sumpf des Leidens und der Zweifel zu versinken, aus ihrem Hirn in ein fremdes.
Sie erzählte von den Spaziergängen, vom Park, von ihren Hoffnungen, von Oblomows Klärung und Fall, vom Fliederzweig, sogar vom Kuß. Sie übergieng nur den schwülen Abend im Garten mit Schweigen – wahrscheinlich deshalb, weil sie sich noch nicht darüber klar war, welch einen Anfall sie damals gehabt hatte.
Zuerst hörte man nur ihr verlegenes Flüstern, aber in dem Maße, als sie sprach, wurde ihre Stimme deutlicher und freier; sie gieng vom Flüstern in halblautes Sprechen über und erhob sich dann bis zu den vollen Brusttönen. Sie schloß ruhig, als hätte sie fremde Erlebnisse erzählt. Vor ihr selbst sank ein Schleier herab, vor ihr stand deutlich die Vergangenheit, die sie bis zu diesem Augenblick genau zu betrachten gefürchtet hatte. Ihr eröffnete sich jetzt vieles und sie hätte ihren Freund dreist angeblickt, wenn es nicht dunkel wäre. . . Sie war zu Ende und wartete sein Urtheil ab. Die Antwort war aber Todesschweigen. »Was hat er?« Man hörte kein Wort, keine Bewegung, nicht einmal einen Athemzug, als ob niemand neben ihr wäre. Dieses stumme Verhalten rief in ihr wieder Zweifel hervor. Das Schweigen dauerte fort. Was bedeutete es? Welches Urtheil hatte sie vom scharfsinnigsten, nachsichtigsten Richter der ganzen Welt zu erwarten? Alle andern würden sie erbarmungslos verurtheilen, nur er allein konnte ihr Rechtsanwalt sein, sie hätte ihn dazu erwählt. . . . er würde alles begreifen, erwägen und besser als sie selbst zu ihrem besten deuten! Er schwieg aber; war denn ihre Sache verloren?. . . Ihr wurde wieder angst. . .
Die Thür öffnete sich, und die beiden Kerzen, die von dem Stubenmädchen hereingebracht wurden, beleuchteten ihre Ecke.
Sie wandte ihm einen schüchternen, aber gierigen und fragenden Blick zu. Er hatte die Hände gekreuzt, blickte sie mit sanften, offenen Augen an und weidete sich an ihrer Verlegenheit. Sie athmete auf, und es wurde ihr warm ums Herz. Sie seufzte beruhigt und hätte fast geweint. Zu ihr kehrte augenblicklich die Nachsicht mit sich und das Vertrauen ihm gegenüber zurück. Sie war glücklich wie ein Kind, dem man verziehen, das man beruhigt und liebkost hatte.
– Ist das alles? – fragte er leise.
– Alles! – sagte sie.
– Und wo ist sein Brief?
Sie nahm den Brief aus der Mappe heraus und reichte ihn ihm. Er trat ans Licht, las ihn und legte ihn auf den Tisch. Und seine Augen wandten sich ihr wieder mit dem Ausdruck zu, den sie bei ihm schon lange nicht beobachtet hatte. Vor ihr stand ihr selbstbewußter, ein wenig spöttischer und grenzenlos gütiger Freund von früher, der sie stets verzogen hatte. Auf seinem Gesicht war kein Schatten von Leiden und Zweifeln. Er ergriff ihre beiden Hände, küßte bald die eine, bald die andere und versank dann in tiefes Sinnen. Auch sie wurde still und beobachtete starr den Widerschein des Denkens auf seinem Gesicht.
Plötzlich erhob er sich.
– Mein Gott, würde ich mich denn so quälen, wenn ich wüßte, daß es sich um Oblomow handelt! – sagte er, sie so freundlich und zutraulich anblickend, als ob sie keine schreckliche Vergangenheit hinter sich hätte. Ihr wurde froh und festlich zumuth. Sie wurde sich darüber klar, daß sie sich vor ihm allein geschämt hatte, er richtete sie aber nicht und floh nicht! Was gieng sie das Urtheil der ganzen Welt an?
Er beherrschte sich wieder und war froh; doch das genügte ihr nicht. Sie sah, daß sie freigesprochen war; doch sie wollte wie eine Angeklagte ihr Urtheil wissen. Er griff aber nach dem Hut.
– Wohin? – fragte sie.
– Sie sind aufgeregt, ruhen sie aus, – sagte er. – Wir sprechen morgen weiter.
– Sie wollen, daß ich die ganze Nacht nicht schlafe! – unterbrach sie ihn, seine Hand ergreifend und ihn zum Sitzen einladend. – Sie wollen gehen, ohne mir zu sagen, was es. . . war, was ich jetzt bin und was ich sein werde? Andrej Iwanowitsch, haben Sie Mitleid mit mir; wer wird es mir sonst sagen? Wer wird mich bestrafen, wenn ich es verdient habe, oder. . . wer verzeiht mir?. . . . – fügte sie hinzu und blickte ihn mit so zärtlicher Freundschaft an, daß er den Hut fortwarf und vor ihr fast niedergekniet wäre.
– Sie Engel, erlauben Sie, daß ich mein Engel sage. Quälen Sie sich nicht unnütz; man braucht Sie weder zu richten, noch zu begnadigen. Ich habe zu Ihrem Bericht nichts mehr hinzuzufügen. Was für Zweifel können Sie hegen? Sie wollen wissen, was das war, wie das heißt? Sie wissen es längst. . . Wo ist Oblomows Brief? – Er nahm den Brief vom Tisch.
– Hören Sie zu! – Er las: »Ihr gegenwärtiges »ich liebe« ist nicht gegenwärtige, sondern zukünftige Liebe. Das ist nur das unbewußte Verlangen zu lieben, das sich in Ermangelung von echter Nahrung bei Frauen manchmal im Liebkosen eines Kindes, einer andern Frau oder einfach in Thränen und in hysterischen Anfällen äußert. . . . Sie haben sich geirrt (las Stolz, dieses Wort betonend). Vor Ihnen steht nicht derjenige, den Sie erwartet, von dem Sie geträumt haben. Warten Sie – er wird kommen und dann werden Sie erwachen und sich über Ihren Irrthum ärgern und schämen. . .«
– Sehen Sie, wie wahr das ist! – sagte er. – Sie haben sich über Ihren. . . . Irrthum geschämt und geärgert. Man kann nichts mehr hinzufügen. Er hat recht gehabt, und Sie haben ihm nicht geglaubt, das ist Ihre Schuld. Sie hätten sich damals gleich trennen sollen; doch Ihre Schönheit hat ihn besiegt. . . und Sie waren. . . . von seiner taubenhaften Zärtlichkeit gerührt! – fügte er ein wenig spöttisch hinzu.
– Ich habe ihm nicht geglaubt, ich dachte, das Herz irre nicht. . .
– Nein, es irrt sich; und stößt manchmal ins Verderben! Aber Ihr Herz hat ja gar nicht mitgesprochen, – fügte er hinzu. – Es war einerseits Einbildung und Eitelkeit und andererseits Schwäche. . . Und Sie haben gefürchtet, daß es der einzige Feiertag Ihres Lebens wäre, daß dieser klare Strahl Ihr Leben erhellt hätte und daß darauf ewige Nacht folgen würde. . .
– Und die Thränen? – sagte sie, – sind sie mir denn nicht vom Herzen gekommen, wenn ich geweint habe? Ich habe nicht gelogen, ich war aufrichtig. . .
– Mein Gott! Worüber weinen die Frauen denn nicht? Sie haben ja selbst gesagt, daß es Ihnen um den Fliederstrauß und die Lieblingsbank leid that. . .fügen Sie noch die betrogene Eitelkeit, die mißlungene Rolle einer Retterin und ein wenig Gewohnheit hinzu. . . wieviel Ursachen, um zu weinen!
– Und unsere Begegnungen und Spaziergänge waren auch ein Irrthum? Erinnern Sie sich, daß ich. . . . bei ihm gewesen bin. . . – schloß sie verlegen und schien ihre Worte selbst übertäuben zu wollen. Sie bestrebte sich, sich selbst anzuklagen, nur damit er sie eifriger vertheidigte und um in seinen Augen immer mehr recht zu haben.
– Aus Ihrem Bericht ist zu ersehen, daß Sie bei den letzten Zusammenkünften gar nicht mehr wußten, worüber Sie sprechen sollten. Ihrer sogenannten »Liebe« mangelte es auch an Inhalt; sie konnte nicht weiterschreiten. Ihr hattet euch noch vor eurem Bruch getrennt und waret nicht der Liebe, sondern ihrem Schemen, den ihr euch selbst ausgedacht hattet, treu – das ist das ganze Geheimnis.
– Und der Kuß? – flüsterte sie so leise, daß er es nicht hörte, sondern errieth.
– O, das ist wichtig! – sagte er mit komischer Strenge. – Man müßte Sie deswegen beim Mittagessen. . . . eines Gerichtes berauben. – Er blickte sie mit stets wachsender Liebe und Zärtlichkeit an.
– Ein Scherz entschuldigt einen solchen Irrthum nicht! – entgegnete sie streng, durch seine Gleichgiltigkeit und seinen nachlässigen Ton verletzt. – Mir wäre leichter, wenn Sie mich durch irgendein barsches Wort gestraft und meine Schuld beim rechten Namen genannt hätten.
– Ich würde auch nicht scherzen, wenn es sich nicht um Ilja, sondern um einen andern handeln würde, dann hätte der Irrthum mit einem Unglück enden können; doch ich kenne Oblomow. . . .
– Ein anderer? Nie! – unterbrach sie ihn erröthend. – Ich habe ihn besser kennen gelernt, als Sie. . .
– Sehen Sie! – bestätigte er.
– Wenn er sich aber. . . . verändert und mir gefolgt hätte, wenn er lebendig geworden wäre. . . . würde ich ihn denn dann nicht lieben? Wäre es auch dann Lüge und Irrthum gewesen? – sprach sie, um die Sache von allen Seiten zu betrachten und nicht den geringsten Fleck, nicht die kleinste Unklarheit daran haften zu lassen.
– Das heißt, wenn an seiner Stelle ein anderer Mensch wäre, – unterbrach sie Stolz, – es besteht kein Zweifel, daß eure Beziehungen sich dann zur Liebe entwickelt und gefestigt hätten, und dann. . . Das ist aber ein anderer Roman und ein anderer Held, der uns nichts angeht.
Sie seufzte auf, als hätte sie ihre Seele von der letzten Last befreit. Beide schwiegen.
– Ach, welch ein Glück ist es. . . zu genesen! – sprach sie langsam, als blühe sie auf und richtete auf ihn einen Blick, der von so tiefer Dankbarkeit und so warmer, unbeschreiblicher Freundschaft erfüllt war, daß er darin den Funken zu erhaschen glaubte, den er schon fast seit einem Jahr vergeblich gesucht hatte. Ihn überlief ein freudiges Zittern.
– Nein, ich gesunde! – sagte er sinnend. – Ach, wenn ich nur Gewißheit gehabt hätte, daß Ilja der Held dieses Romans war! Wieviel Zeit und wieviel Kraft habe ich verloren! Warum? Wozu? – sagte er fast ärgerlich.
Doch dann schien er diesen Ärger von sich abzuschütteln und aus diesem tiefen Sinnen zu erwachen. Seine Stirn glättete sich und seine Augen blickten froher.
– Aber, das war wohl unvermeidlich, doch wie ruhig und. . . wie glücklich bin ich jetzt! – fügte er wonnetrunken hinzu.
– Es ist wie ein Traum, als ob nichts geschehen wäre! – sagte sie sinnend und kaum hörbar, über ihre plötzliche Wiedergeburt erstaunt. – Sie haben mich nicht nur von der Scham und Reue, sondern auch vom Schmerz und der Bitternis, überhaupt von allem befreit. . . Wie haben Sie das fertig gebracht? – fragte sie leise. – Und das alles wird vergehen, dieser. . . Irrthum?
– Ich glaube, es ist schon vergangen! – sagte er, sie zum erstenmal mit leidenschaftlichen Augen betrachtend, ohne es zu verbergen. – Das heißt, alles das, was war.
– Und wird das, was kommt. . . kein Irrthum, sondern. . . Wahrheit sein? – fragte sie, ohne zu Ende zu sprechen.
– Hier steht es, – beschloß er, indem er wieder den Brief ergriff: »Vor Ihnen steht nicht derjenige, den Sie erwartet und von dem Sie geträumt haben. Er wird kommen, und Sie werden erwachen. . .« – Und lieben, – füge ich hinzu, – Sie werden so lieben, daß nicht nur ein Jahr, sondern ein ganzes Leben für diese Liebe nicht hinreichen wird, ich weiß nur nicht. . . wen? – schloß er, sie mit den Augen durchdringend.
Sie senkte den Blick und preßte die Lippen aufeinander, doch durch die Lider drangen Strahlen hindurch, die Lippen wollten ein Lächeln zurückhalten, doch es gelang ihnen nicht. Sie blickte ihn an und lachte so von Herzen auf, daß ihr sogar Thränen in die Augen kamen.
– Ich habe Ihnen gesagt, was mit Ihnen war und sogar das, was mit Ihnen sein wird, Oljga Sjergejewna, – schloß er, – und werden Sie mir auf meine Frage, die Sie mich nicht aussprechen ließen, nichts antworten?
– Was kann ich denn darauf sagen? – fragte sie verlegen, – hätte ich denn das Recht, Ihnen das zu sagen, was Sie so brauchen und was Sie so verdienen? – fügte sie flüsternd hinzu und blickte ihn verschämt an.
Er glaubte in diesem Blick wieder das Aufleuchten von noch nie dagewesener Freundschaft zu sehen, und er erbebte wieder vor Glück.
– Beeilen Sie sich nicht, – fügte er hinzu, – sagen Sie, was ich wert bin, wenn Ihre Herzenstrauer, diese Anstandstrauer, zu Ende ist. Mir hat dieses Jahr nicht wenig gebracht. Und jetzt entscheiden Sie nur die Frage, ob ich fahren oder dableiben soll?
– Hören Sie, Sie kokettieren mit mir, – sagte sie plötzlich fröhlich.
– O nein, – bemerkte er bedeutungsvoll, – das ist nicht mehr dieselbe Frage, sie hat jetzt einen anderen Sinn: in welcher Eigenschaft bleibe. . . ich da?
Sie wurde plötzlich verlegen.
– Sie sehen, daß ich nicht kokettiere! – scherzte er. – Wir müssen ja nach dem heutigen Gespräch einander anders gegenüberstehen; wir sind beide nicht mehr dieselben wie gestern.
– Ich weiß nicht, – flüsterte sie noch verlegener.
– Erlauben Sie mir, Ihnen zu rathen?
– Sprechen Sie. . . ich gehorche Ihnen blindlings! – fügte sie mit fast leidenschaftlicher Demuth hinzu.
– Heiraten Sie mich in der Erwartung, bis »er« kommt!
– Ich wage es noch nicht. . . . – flüsterte sie, das Gesicht mit den Händen bedeckend, erregt, aber glücklich.
– Warum wagen Sie denn nicht? – fragte er auch flüsternd und ihren Kopf an sich ziehend.
– Und die Vergangenheit? – flüsterte sie wieder, ihm den Kopf wie einer Mutter auf die Brust legend. Er zog ihr die Hände leise vom Gesicht fort, küßte sie auf den Kopf, bewunderte lange ihre Verlegenheit und blickte entzückt auf die ihr in die Augen getretenen und wieder trocknenden Thränen.
– Sie wird verblassen wie Ihr Flieder! – schloß er.
– Sie haben gelernt, jetzt ist die Zeit zum Genießen gekommen. Jetzt beginnt das Leben; überlassen Sie mir Ihre Zukunft und denken Sie an nichts – ich übernehme die Verantwortung für alles. Gehen wir zur Tante.
Stolz gieng spät nach Hause. »Ich habe das, was mir zukommt, gefunden,« dachte er, die Bäume, den Himmel, den See und selbst den vom Wasser aufsteigenden Nebel mit verliebten Augen betrachtend. »Es ist gekommen! Wie viel Jahre dürste ich nach Liebe, gedulde mich und spare meine Seelenkräfte! Wie lange habe ich gewartet jetzt ist alles belohnt; da ist es, das höchste menschliche Glück!«
Alles trat jetzt in seinen Augen hinter dem Glück zurück, das Comptoir, der Wagen des Vaters, die Gemslederhandschuhe, die fettigen Rechnungen, das ganze geschäftliche Leben. In seiner Erinnerung erstand nur das duftende Zimmer seiner Mutter, die Variationen von Herz, die fürstliche Gallerie, die blauen Augen und gepuderten kastanienbraunen Haare, das alles wurde von einer zarten Stimme, von Oljgas Stimme, übertönt; er hörte im Geiste ihren Gesang. . . »Oljga. . . mein Weib!« flüsterte er in Leidenschaft erbebend. »Alles ist gefunden, ich habe nichts mehr zu suchen und brauche nirgends mehr hinzugehen!« Und er gieng sinnend und vom Glück betäubt nach Hause, ohne den Weg und die Straßen zu beachten. . . .
Oljga folgte ihm lange mit den Augen, öffnete dann das Fenster und athmete ein paar Minuten lang die nächtliche Frische ein; ihre Erregung hatte sich ein wenig beruhigt, ihre Brust athmete gleichmäßiger. Sie richtete die Augen auf den See und in die Ferne und sann so still und tief nach, als wäre sie im Schlaf. Sie wollte das, was sie dachte und fühlte, auffangen, es gelang ihr aber nicht. Die Gedanken wogten wie Wellen und das Blut floß so rhythmisch durch ihre Adern. Sie empfand großes Glück und konnte nicht bestimmen, wo sich sein Ursprung und seine Grenzen befanden und was es war. Sie dachte, warum es ihr wohl so still, friedlich, ruhig und wohl war, während. . . . »Ich bin seine Braut!« flüsterte sie.
»Ich bin Braut!« denkt ein Mädchen, vor Stolz bebend, beim Eintreten dieses Momentes, der ihr ganzes Leben beleuchtet, sie wächst in die Höhe und schaut von da auf den dunklen Pfad herab, auf dem sie gestern einsam und unbemerkt gewandert ist.
Warum bebte denn Oljga nicht? Auch sie war unbemerkt, auf einsamem Pfad gewandelt, auch ihr war auf dem Kreuzweg er begegnet, hatte ihr die Hand gereicht und sie nicht ins Licht der blendenden Strahlen, sondern gleichsam zu einem weiten Fluß, zu unabsehbaren Feldern und freundlich lächelnden Hügeln geführt. Sie blinzelte nicht vor Glanz, ihr Herz erstarrte nicht und ihre Phantasie flammte nicht auf. Sie ließ den Blick mit stiller Freude auf den Wogen des Lebens, auf seinen weiten Feldern und den grünen Hügeln ruhen. Ihre Schultern überlief kein Zittern, ihr Blick leuchtete vor Stolz auf; erst dann, als sie den Blick von den Feldern und Hügeln auf denjenigen, der ihr die Hand reichte, richtete, fühlte sie, daß ihr langsam eine Thräne über die Wange rollte. . . .
Sie saß noch immer da, als schliefe sie – so still war der Traum ihres Glücks; sie rührte sich nicht und athmete fast nicht. Ins Träumen versunken blickte sie in die stille, blau schimmernde Nacht hinein, die mit sanftem Licht, mit Wärme und Duft erfüllt war. Das Glück hatte seine weiten Flügel ausgebreitet und glitt langsam, wie eine Wolke am Himmel, über ihrem Kopf hin. . . . In diesem Traum sah sie sich nicht für zwei Stunden in Tüll und Spitzen eingewickelt und dann das ganze Leben lang in Lumpen des Alltags. Sie träumte von keinem Festmahl, von keinen Lichtern und fröhlichen Stimmen; sie träumte von einem so einfachen so schmucklosen Glück, daß sie noch einmal, ohne vor Stolz zu beben, sondern nur in tiefer Rührung flüsterte: »Ich bin seine Braut!«
V
Mein Gott! Wie düster und trostlos sah es anderthalb Jahre nach Oblomows Namenstag in seiner Wohnung aus, als Stolz zu ihm unerwartet zum Essen kam. Auch Ilja Iljitsch selbst war aufgedunsen, und in seine Augen hatte sich Langeweile gegraben, die wie eine Krankheit von dort hervorblickte. Er gieng eine Weile im Zimmer herum, legte sich hin und schaute auf den Plafond; dann nahm er ein Buch von der Etagere, öffnete es, überflog ein paar Zeilen mit den Augen, gähnte und begann mit den Fingern auf dem Tisch zu trommeln. Sachar war noch plumper und unordentlicher geworden; die Ellbogen seines Rockes waren geflickt, er sah so arm und hungrig aus, als ob er wenig zu essen habe, wenig schlafe und für drei arbeite. Oblomows Schlafrock war abgenützt und gieng aus den Fugen, so sorgfältig man seine Löcher auch zunähte; er hätte sich längst einen neuen anschaffen sollen. Die Decke auf dem Bett sah auch ganz abgenützt aus und wies hie und da Flicke auf; die Vorhänge an den Fenstern waren längst verblichen und sahen, trotzdem sie gewaschen waren, wie Fetzen aus. Sachar brachte ein altes Tischtuch herein, bedeckte damit den halben Tisch auf der Seite, an der Oblomow saß, brachte dann vorsichtig, sich auf die Zunge beißend, das Gedeck und eine Caraffe mit Schnaps herein, legte das Brot hin und gieng. Die Thür der Hausfrau öffnete sich, und Agafja Matwejewna kam rasch herein, eine Pfanne mit einer zischenden Eierspeise tragend.
Auch sie hatte sich furchtbar und nicht zu ihrem Vortheil verändert. Sie war sehr abgemagert. Sie hatte keine runden,
weißen, weder erröthenden, noch erbleichenden Wangen mehr; ihre dünnen Augenbrauen glänzten nicht; ihre Augen waren eingefallen. Sie trug ein altes Kattunkleid; ihre Hände waren von der Arbeit, vom Feuer, vom Wasser oder von beidem roth und grob geworden. Akulina war nicht mehr im Hause. Anissja hatte in der Küche und im Gemüsegarten zu thun, sie pflegte die Hühner, scheuerte die Fußböden und wusch die Wäsche; sie konnte allein nicht fertig werden, und Agafja Matwejewna mußte, ob sie wollte oder nicht, selbst in der Küche arbeiten, sie stieß, siebte und rieb jetzt wenig, denn es wurde wenig Kaffee, Zimmt und Mandeln verwendet, und sie dachte nicht einmal mehr an ihre Spitzen. Jetzt mußte sie oft Zwiebel schneiden und Meerrettig und dergleichen Gewürze reiben. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich tiefe Traurigkeit wieder. Doch sie seufzte nicht ihretwegen, nicht weil sie keinen Kaffee zum Trinken hatte, sie grämte sich nicht, weil sie keine Gelegenheit hatte, sich zu bethätigen, in größerem Umfange zu wirtschaften, Zimmt zu stoßen, Vanille in die Sauce zu legen oder dickes Obers zu kochen, sondern weil Ilja Iljitsch schon das zweite Jahr das alles nicht bekam, weil man den Kaffee für ihn nicht pudweise aus dem besten Geschäft holte, sondern für ein paar Kopeken in dem Krämerladen kaufte; weil das Obers nicht von einer Finnin gebracht wurde, sondern aus demselben Laden geholt werden mußte, weil sie ihm statt eines saftigen Cotelettes eine mit hartem, altem Schinken aus dem Krämerladen zubereitete Eierspeise brachte. Was bedeutet das? Nichts anderes, als daß die aus Oblomowka eintreffenden Gelder, die Stolz regelmäßig schickte, zur Deckung des Schuldscheines, den Oblomow der Hausfrau ausgestellt hatte, verwendet wurde. »Die gesetzliche Sache« des Bruders war über alle Erwartung gelungen. Bei der ersten Andeutung Tarantjews auf die scandalöse Angelegenheit war Ilja Iljitsch erröthet und verlegen geworden; dann giengen sie zum Ausgleich über, tranken alle drei und Oblomow unterschrieb den Schuldschein, der für vier Jahre ausgestellt wurde; nach einem Monat unterschrieb Agafja Matwejewna einen ebensolchen Brief auf den Namen des Bruders, ohne zu ahnen, was es war und warum sie es that. Der Bruder sagte, es sei ein nothwendiges Document, das sich auf das Haus beziehe und befahl ihr zu schreiben: »Diesen Schuldschein hat Frau so und so (Rang, Vor- und Zuname) eigenhändig unterschrieben.«
Es machte sie nur verwirrt, daß sie so viel schreiben mußte und sie bat den Bruder, lieber Wanjuscha schreiben zu lassen, er könnte das so gut, sie selbst würde aber vielleicht noch etwas Unrechtes hineinschreiben. Doch der Bruder bestand energisch darauf und sie unterschrieb mit schiefen und großen Buchstaben. Seitdem war nie mehr die Rede davon. Oblomow tröstete sich beim Unterschreiben theilweise damit, daß dieses Geld den Waisen zugute kommen würde, und dann am nächsten Tage, als ihm der Kopf klar war, dachte er beschämt an diese Angelegenheit, bestrebte sich sie zu vergessen, vermied es, mit dem Bruder zusammenzukommen und wenn Tarantjew davon zu sprechen begann, drohte er sofort aus der Wohnung auszuziehen und aufs Gut zu reisen. Als dann das Geld aus dem Gut eintraf, kam der Bruder zu ihm und erklärte, es wäre für Ilja Iljitsch leichter, die Auszahlung der Schuld sofort aus den Einkünften zu beginnen, dann wäre die Schuld in drei Jahren beglichen, während beim Eintreten des Termines, an dem der Schein eingelöst werden mußte, das Gut öffentlich versteigert werden müßte, da Oblomow kein bares Geld besaß und auch keine Aussichten darauf hatte. Oblomow begriff, in welche Falle man ihn gelockt hatte, als alles, was Stolz schickte, zur Bezahlung der Schuld verwendet wurde, und ihm nur eine kleine Summe zum Leben übrig blieb. Der Bruder beeilte sich diese freiwillige Abmachung mit seinem Schuldner auszunutzen und die Schuld innerhalb zweier Jahre einzuheben, damit ihm nicht etwas in den Weg kam und ihn daran hinderte; infolge dessen gerieth Oblomow plötzlich in Verlegenheit. Zuerst bemerkte er es nicht sehr, da er die Gewohnheit hatte, nicht zu wissen, wie viel er in seiner Tasche hatte; aber dann fiel es Iwan Matwejewitsch ein, um eine Kaufmannstochter anzuhalten; er mietete eine Wohnung für sich und übersiedelte. Die wirtschaftliche Thätigkeit von Agafja Matwejewna wurde plötzlich eingeschränkt; die Störe, das schneeweiße Kalbfleisch und die Kapaune begannen in der anderen Küche, in Muchojarows neuer Wohnung zu erscheinen. Dort brannte abends Licht und versammelten sich die künftigen Verwandten des Bruders, seine Collegen und Tarantjew. Alles gieng dort hinüber. Agafja Matwejewna und Anissja blieben mit offenem Mund und müßigen Händen bei leeren Pfannen und Töpfen zurück. Agafja Matwejewna erfuhr zum erstenmal, daß sie nur ein Haus, einen Gemüsegarten und Hühner besaß, und daß weder Zimmt, noch Vanille bei ihr wuchsen; sie sah, daß die Verkäufer auf dem Markt nach und nach aufhörten, sich vor ihr tief zu verbeugen, und daß der ehrfurchtsvolle Gruß und das Lächeln auf die neue, dicke, elegant gekleidete Köchin ihres Bruders übergiengen. Oblomow überließ der Hausfrau das ganze Geld, das der Bruder ihm übrig gelassen hatte, und sie mahlte drei, vier Monate lang, ohne sich Gedanken zu machen, pudweise Kaffee, stieß Zimmt, briet Kalbfleisch und Kapaune und setzte das bis zum Tag fort, an dem sie ihre letzten siebzig Kopeken ausgegeben hatte und ihm mittheilte, sie hätte kein Geld mehr. Er drehte sich bei dieser Nachricht dreimal auf dem Sofa um, schaute dann in seine Lade; es war nichts drin. Er wollte sich erinnern, worauf er es ausgegeben hatte, ihm fiel aber nichts ein; er tastete mit der Hand auf dem Tisch herum, ob es keine Kupfermünzen gab, fragte Sachar, doch dieser wußte nichts. Sie gieng zum Bruder hin und sagte naiv, es wäre kein Geld im Hause.
– Wo habt ihr, der Edelmann und Du, die tausend Rubel hingethan, die ich ihm zum Leben gegeben habe? – fragte er. – Wo soll ich das Geld hernehmen? Du weißt, ich gehe eine Ehe ein; ich kann nicht zwei Familien erhalten, und Du mußt Dich mit Deinem gnädigen Herrn nach der Decke strecken.
– Warum werfen Sie mir den Herrn vor, Bruder? – sagte sie, – was hat er Ihnen gethan? Er rührt niemanden an und lebt für sich allein. Nicht ich, sondern Sie und Michej Andreitsch habt ihn in die Wohnung gelockt.
Er gab ihr zehn Rubel und sagte, er besäße nicht mehr. Als er sich die Sache aber mit dem Gevatter in der Kneipe überlegt hatte, beschloß er, man dürfe die Schwester und Oblomow nicht ihrem Schicksal überlassen, die Sache könnte sonst noch bis zu Stolz dringen, dieser würde kommen, sich über alles erkundigen und womöglich alles umändern, so daß sie nicht Zeit hätten, die Schuld einzuheben, trotzdem das »eine gesetzliche Sache« war, es war ja ein durchtriebener Deutscher! Er begann ihnen fünfzig Rubel monatlich zu geben und nahm sich vor, dieses Geld aus Oblomows Einkünften im dritten Jahre zurückzunehmen, dabei erklärte er aber der Schwester und gab ihr sein Wort darauf, daß er auch nicht eine Kopeke mehr hergeben würde und rechnete ihr vor, was für eine Kost sie sich erlauben dürften, wie sie die Ausgaben verringern sollten und bestimmte sogar, welche Gerichte sie kochen sollte, rechnete aus, wie viel sie für die Hühner und für das Kraut bekommen konnte und beschloß, daß man für alles das sehr gut leben konnte.
Agafja Matwejewna dachte zum erstenmal im Leben über etwas anderes, als über die Wirtschaft nach und weinte zum erstenmal nicht aus Ärger über Akulina, weil sie Geschirr zerschlagen hatte, und nicht weil der Bruder über einen zu wenig gekochten Fisch schimpfte; sie blickte zum erstenmale drohender Noth, die aber nicht sie, sondern Ilja Iljitsch bedrohte, in die Augen. »Wie würde dieser Edelmann (überlegte sie sich) statt Spargel – Rüben mit Butter, statt Haselhühner – Hammelfleisch, statt Forellen und bernsteinfarbenem Störfleisch – gesalzenen Zander und vielleicht Sulz aus dem Krämerladen essen?. . .« Entsetzlich! Sie dachte die Sache nicht bis zu Ende, sondern zog sich eilig an, nahm einen Wagen und fuhr, trotzdem es weder Weihnachten, noch Ostern war und kein Familienessen stattfand, früh des Morgens zu den Verwandten ihres Mannes von Sorge erfüllt hin, um an sie in ungewohnten Worten die Frage zu richten, was sie thun sollte und um bei ihnen Geld zu nehmen. Sie hatten viel davon, sie würden ihr sofort welches geben, wenn sie erfuhren, daß es für Ilja Iljitsch war. Wenn es sich um Thee oder Kaffee für sie selbst, um Schuhe und Kleider für die Kinder oder um ähnliche Launen gehandelt hätte, würde sie kein Wort gesagt haben, sie brauchte es aber in höchster Noth, wo es bis ans Messer gieng: um Ilja Iljitsch Spargel und Haselhühner zu kaufen, er liebte auch so französische Erbsen. . . Man war dort aber erstaunt und gab ihr kein Geld, sondern sagte, daß, wenn Ilja Iljitsch irgendwelche Gold- oder Silbersachen und sogar Pelz hatte, man es versetzen konnte, und daß es solche Wohlthäter gab, welche den dritten Theil der gebetenen Summe vorstreckten, bis er wieder Geld aus dem Gute bekam. Dieser praktische Rath würde zu einer anderen Zeit an der genialen Hausfrau vorübergeflogen sein, ohne ihre Gedanken irgendwie zu berühren, und es würde kein Mittel geben, ihr das klar zu machen; jetzt begriff und faßte sie alles mit dem Verstande des Herzens auf und wog. . . ihre Perlen, die sie als Mitgift bekommen hatte. Ilja Iljitsch trank, ohne etwas zu ahnen, am nächsten Tage Johannisbeerschnaps, aß ausgezeichneten Lachs, sein geliebtes Gekröse und ein weißes, frisches Haselhuhn dazu. Agafja Matwejewna und ihre Kinder aßen mit den Dienstboten zusammen Schtschi und Brei und sie trank, nur um Ilja Iljitsch Gesellschaft zu leisten, zwei Schalen Kaffee. Bald holte sie aus einem gewissen Koffer ihre Kette hervor, dann das Silber und den Pelz. . . Dann kam der Zeitpunkt, in dem das Geld aus dem Gute kam; Oblomow gab ihr das Ganze. Sie löste die Perlen ein und bezahlte die Zinsen für die Halskette, das Silber und den Pelz, begann ihm wieder Spargel und Haselhühner zu kochen und trank nur seinetwegen Kaffee. Die Perlen wurden wieder auf ihren Platz hingelegt. So spannte sie von Woche zu Woche ihre Kräfte an, quälte sich ab und that alles, was sie konnte; sie hatte ihren Shawl und das Sonntagskleid verkauft, trug jetzt immer ihr altes Kattunkleid mit den kurzen Ärmeln und deckte sich am Sonntag den Hals mit einem alten, abgetragenen Tuche zu.
Darum war sie abgemagert, hatte eingefallene Augen und brachte Ilja Iljitsch eigenhändig das Frühstück. Sie hatte sogar die Kraft, eine fröhliche Miene aufzusetzen, wenn Oblomow ihr erklärte, morgen würde Tarantjew, Alexejew oder Iwan Gerassimowitsch zu ihm zu Mittag kommen. Es erschien ein schmackhaftes, gut serviertes Essen. Sie machte dem Gastgeber keine Schande. Aber wie mußte sie sich aufregen und herumlaufen, wie viel Bitten mußte sie an den Krämer richten, und wie viel schlaflose Nächte und Thränen verursachten ihr diese Sorgen! Wie tief mußte sie sich in die Aufregungen des Lebens versenken und wie gut lernte sie die Tage des Glückes und Unglückes kennen! Doch sie liebte dieses Leben, und würde es trotz ihrer Thränen und Sorgen nicht gegen das frühere stille Dasein eintauschen, das sie geführt hatte, bevor sie Oblomow kannte, als sie mit Würde inmitten von gefüllten, knisternden und zischenden Töpfen, Pfannen und Casserollen herrschte und Akulina und den Hausbesorger befehligte. Sie fuhr sogar vor Entsetzen zusammen, wenn ihr der Gedanke vom Tod kam, trotzdem der Tod ja mit einem Schlage ihren nie trocknenden Thränen, dem täglichen Herumlaufen und den schlaflosen Nächten ein Ende gemacht hätte.