Kitabı oku: «Oblomow», sayfa 38
VII
Am nächsten Tag bestätigte Agafja Matwejewna Stolz schriftlich, daß sie von Oblomow gar kein Geld verlangte. Mit diesem Document begab sich Stolz plötzlich zum Bruder. Das war für Iwan Matwejewitsch ein Blitz aus heiterem Himmel. Er nahm das Document heraus und zeigte mit dem zitternden, mit dem Nagel nach unten gekehrten Mittelfinger der rechten Hand auf Oblomows Unterschrift und die Bestätigung des Zeugen hin.
– Das ist gesetzlich, – sagte er, – das geht mich gar nichts an. Ich habe nur die Interessen meiner Schwester im Auge, es ist mir aber unbekannt, was für ein Geld Ilja Iljitsch genommen hat.
– Damit ist Ihre Angelegenheit noch nicht erledigt! – drohte ihm Stolz beim Fortgehen.
– Es ist eine gesetzliche Sache, und mich geht das gar nichts an! – rechtfertigte sich Iwan Matwejewitsch, die Hände in die Ärmel versteckend.
Sowie er am nächsten Tag in die Kanzlei kam, erschien ein Bote vom General, der ihn sofort zu sich beorderte.
»Zum General!« wiederholte die ganze Kanzlei entsetzt. »Wozu? Was war geschehen? Vielleicht forderte er irgendwelche Acten, was für welche? Schnell, schnell! Die Acten zusammennähen und das Inventar zusammenstellen! Was war los?«
Am Abend kam Iwan Matwejewitsch ganz außer sich in die Kneipe. Tarantjew erwartete ihn dort schon lange.
– Was ist, Gevatter? – fragte er ihn ungeduldig.
– Was! – sagte Iwan Matwejewitsch mit eintöniger Stimme. – Was glaubst Du?
– Hat man Dich geschimpft?
– Geschimpft! – äffte Iwan Matwejewitsch ihm nach.
Es wäre besser, wenn man mich geschlagen hätte! Und Du bist auch lieb! – warf er ihm vor. – Du hast gar nicht gesagt, was das für ein Deutscher ist!
– Ich habe Dir ja gesagt, daß er ein Durchtriebener ist!
– Was will das heißen, ein Durchtriebener! Wir haben schon Durchtriebene gesehen! Warum hast Du nicht gesagt, daß er so viel Macht hat? Er duzt den General, ebenso wie ich Dich. Würde ich denn mit so einem anfangen, wenn ich das wüßte!
– Das ist doch aber eine gesetzliche Sache! – entgegnete Tarantjew.
– Eine gesetzliche Sache! – äffte ihm Muchojarow wieder nach. – Sagʼ das einmal dort; die Zunge bleibt am Gaumen kleben. Weißt Du, was der General mich gefragt hat.
– Was? – fragte Tarantjew neugierig.
»Ist es wahr, daß Sie mit Beihilfe eines Schuftes den Gutsbesitzer Oblomow betrunken gemacht und gezwungen haben, auf den Namen Ihrer Schwester einen Schuldschein auszustellen?«
– So hat er gesagt: »Mit Beihilfe eines Schuftes?« – fragte Tarantjew.
– Ja, wörtlich so. . .
– Wer ist denn dieser Schuft? – fragte Tarantjew wieder.
Der Gevatter blickte ihn an.
– Weißt Du das denn nicht? – sagte er gallig. – Oder bist Du nicht damit gemeint?
– Wie hat man denn mich hineinverwickelt?
– Da bist Du dem Deutschen und Deinem Landsmann Dank schuldig. Der Deutsche hat alles ausgeschnüffelt und ausgefragt. . . .
– Du solltest auf jemand andern hinweisen und von mir sagen, daß ich nicht mit dabei war!
– Ja natürlich! Was bist denn Du für ein Heiliger?
– Was hast Du geantwortet, als der General gefragt hat: »Ist es wahr, daß Sie mit Beihilfe eines Schuftes?. . .« Da hättest Du ihm was vorerzählen sollen.
– Ihm vorerzählen! Versuchʼs einmal! Was für grüne Augen er hat! Ich habe meine ganze Kraft gesammelt und habe sagen wollen: »Das ist nicht wahr, das ist eine Verleumdung, Excellenz, ich kenne nicht einmal diesen Oblomow. Das hat alles Tarantjew gemacht; meine Zunge hat sich aber nicht gerührt; ich bin nur zu seinen Füßen gefallen.
– Wie steht es, wollen sie denn einen Proceß beginnen? – fragte Tarantjew mit dumpfer Stimme. – Ich bin dabei ja gar nicht betheiligt; nur Du, Gevatter. . .
– Du bist nicht betheiligt? Da irrst Du, Gevatter, wenn jemand den Kopf in die Schlinge stecken soll, bist Du es; wer hat Oblomow zu trinken zugeredet? Wer hat ihm gedroht und ihn beschämt?. . .
– Du hast es mich gelehrt! – antwortete Tarantjew.
– Und bist Du denn unmündig? Ich weiß von gar nichts.
– Gevatter, das ist unverschämt! Dir ist durch mich soviel zugefallen und ich habe nur dreihundert Rubel bekommen. . .
– Wie, soll ich alles auf mich allein nehmen? Du bist aber schlau! Nein, ich weiß von nichts. Die Schwester hat mich gebeten, da sie als eine Frau nichts vom Geschäft versteht, den Brief beim Notar bestätigen zu lassen – das ist alles. Du und Satjortij wart Zeugen, ihr seid also verantwortlich!
– Du solltest es der Schwester ordentlich zeigen! Wie hat sie es gewagt, gegen ihren Bruder auszusagen? – sagte Tarantjew.
– Die Schwester ist ein Dummkopf; was soll man mit ihr anfangen?
– Was sagt sie?
– Was sie sagt? Sie weint und besteht darauf, »daß Ilja Iljitsch ihr nichts schuldet und daß sie ihm niemals Geld gegeben hat.«
– Du besitzt ja einen Schuldschein auf ihren Namen? – sagte Tarantjew, – Du verlierst also nichts. . .
Muchojarow nahm aus der Tasche den Schuldschein der Schwester heraus, zerriß ihn in viele Stücke und reichte sie Tarantjew.
– Da, ich schenke es Dir, willst Du es nicht haben? – fügte er hinzu. – Was soll man bei ihr nehmen? Das Haus mit dem Gemüsegarten? Dafür gibt man mir nicht einmal tausend Rubel: es zerfällt schon ganz. Bin ich denn ein Unmensch, der sie mit den Kindern an den Bettelstab bringen will?
– Jetzt wird also die gerichtliche Untersuchung beginnen? – fragte Tarantjew ängstlich. – Da müssen wir achtgeben, Gevatter; thu, was Du kannst, Bruder!
– Was für eine Untersuchung? Es wird gar keine stattfinden! Der General hat zuerst gedroht, mich aus der Stadt auszuweisen, aber der Deutsche hat ihn davon abgebracht, er will Oblomow keine Schande machen.
– Wirklich, Gevatter! Mir fällt ein Stein vom Herzen! Trinken wir! – sagte Tarantjew.
– Trinken? Und wer soll es bezahlen? Du vielleicht?
– Und Du? Du hast heute ja sicher Deine sieben Rubel eingesteckt?
– Wa— as! Jetzt ist es aus mit den Einkünften; ich habe Dir noch nicht alles erzählt, was der General gesagt hat.
– Was denn? – fragte Tarantjew wieder erschrocken.
– Er hat mir befohlen, aus dem Amt auszutreten.
– Was sagst Du, Gevatter! – sagte Tarantjew, ihn anglotzend. – Nun, – schloß er wüthend, – jetzt werde ich dem Landsmann aber gehörig meine Meinung sagen!
– Du bist froh, wenn Du nur schimpfen kannst!
– Nein; Du kannst sagen was Du willst, ich werde es ihm aber zeigen! – sagte Tarantjew. – Ich werde übrigens noch warten, Du hast recht, mir ist was eingefallen, hörʼ einmal, Gevatter!
– Was denn noch? – fragte Iwan Matwejewitsch sinnend.
– Man kann da noch ein gutes Geschäft machen. Es ist nur schade, daß Du aus der Wohnung ausgezogen bist. . .
– Warum denn?
– Um Oblomow und die Schwester beim Pirogenbacken zu beaufsichtigen und dann. . . Zeugen anzugeben! – sagte Tarantjew, Iwan Matwejewitsch anblickend. – Da kann auch der Deutsche nichts anfangen. Und Du bist jetzt ein freier Mann. Wenn Du eine Untersuchung einleitest, ist es eine gesetzliche Sache! Dann wird auch der Deutsche erschrecken und sich in Unterhandlungen einlassen.
– Das würde wirklich gehen! – antwortete Muchojarow sinnend. – Du bist nicht dumm, wenn es sich darum handelt, etwas auszudenken, Du taugst aber nicht, wenn man etwas ausführen will, und so ist es auch mit Satjortij. Ja, ich werde es ihnen zeigen, warte nur! – sagte er, mit der Faust auf den Tisch schlagend. – Sie werden schon was erleben! Ich werde meine Köchin zur Schwester in die Küche schicken; sie wird mit Anissja Freundschaft schließen und alles aus ihr herausbekommen, und dann. . . Trinken wir, Gevatter!
– Trinken wir! – wiederholte Tarantjew. – Und dann werde ich mir den Landsmann hernehmen!
Stolz machte einen Versuch Oblomow mitzunehmen, doch dieser bat, ihn nur für einen Monat da zu lassen und that es so flehentlich, daß Stolz sich erweichen ließ. Wie er sagte, brauchte er diesen Monat, um alle Angelegenheiten zu erledigen, die Wohnung zu vermieten und alles so zu ordnen, um nicht mehr nach Petersburg zurückkommen zu müssen. Dann mußte er alles zur Einrichtung des Gutshauses einkaufen; endlich wollte er eine gute Wirtschafterin, in der Art wie Agafja Matwejewna es war, aufnehmen, gab auch nicht die Hoffnung auf, sie selbst dazu zu bewegen, das Haus zu verkaufen, aufs Gut zu übersiedeln und sich der ihrer würdigen Thätigkeit, der Leitung einer großen, complicierten Wirtschaft, zu widmen.
– Sagʼ einmal, Ilja, – unterbrach ihn Stolz,– ich wollte Dich fragen, in welchen Beziehungen Du zu ihr stehst. . .
Oblomow erröthete plötzlich.
– Was willst Du sagen? – fragte er eilig.
– Das weißt Du sehr gut, – bemerkte Stolz, – sonst hättest Du keinen Grund zu erröthen. Höre Ilja, wenn dabei eine Warnung etwas nützen kann, bitte ich Dich im Namen unserer Freundschaft vorsichtig zu sein. . .
– Worin denn? Ich bitte Dich! – vertheidigte sich der verlegene Oblomow.
– Du hast von ihr mit solchem Feuer gesprochen, daß ich wirklich zu glauben beginne, Du. . .
– Liebst sie, willst Du sagen! Aber ich bitte Dich! – unterbrach ihn Oblomow mit gezwungenem Lachen.
– Umso schlimmer, wenn dabei kein einziger seelischer Funken glüht, wenn das nur. . .
– Andrej! Hast Du mich denn als einen unmoralischen Menschen gekannt?
– Warum bist denn Du erröthet?
– Weil Du einen solchen Gedanken zulassen konntest.
Stolz schüttelte zweifelnd den Kopf.
– Gib acht, Ilja, daß Du nicht in diese Grube fällst. Ein ordinäres Frauenzimmer, ein schmutziges Leben, die bedrückende Atmosphäre von Stumpfsinn und Roheit – pfui!. . .
Oblomow schwieg.
– Nun, leb wohl, – schloß Stolz, – ich werde also Oljga sagen, daß wir Dich im Sommer, wenn nicht bei uns, so doch in Oblomowka sehen werden. Vergiß nicht, daß sie von Dir nicht ablassen wird!
– Bestimmt, bestimmt, – antwortete Oblomow überzeugend, – füge sogar hinzu, daß ich bei euch den Winter verbringen werde, wenn sie es erlaubt.
– Das wäre eine Freude!
Stolz fuhr noch am selben Tage fort, und am Abend kam zu ihm Tarantjew. Er konnte es nicht ertragen und kam, ihn des Gevatters wegen zu beschimpfen. Er ließ dabei nur eines aus dem Auge, daß Oblomow in Iljinskys Gesellschaft die Gewohnheit verloren hatte, mit solchen Menschen, wie er es war, umzugehen, und daß seine Nachsicht der Grobheit und Frechheit gegenüber sich in Ekel verwandelt hatte. Das würde sich schon längst geäußert haben und hatte sich zum Theil während Oblomows Aufenthaltes auf dem Land gezeigt, doch Tarantjew besuchte ihn seitdem seltener und immer in Anwesenheit anderer, so daß zwischen ihnen keine Reibungen entstehen konnten.
– Guten Tag, Landsmann, – sagte Tarantjew zornig, ohne die Hand zu reichen.
– Guten Tag! – antwortete Oblomow, kalt ins Fenster schauend.
– Nun, hast Du Deinem Wohlthäter das Geleite gegeben?
– Ja. Warum?
– Ein schöner Wohlthäter! – fuhr Tarantjew giftig fort.
– So, gefällt er Dir nicht?
– Ich würde ihn hängen lassen! – krächzte Tarantjew voll Haß.
– So!
– Und auch Dich auf denselben Baum mit ihm zusammen!
– Wofür denn?
– Man muß in allem ehrlich sein; wenn man schuldig ist, muß man zahlen und keine Schliche gebrauchen. Was hast Du jetzt angerichtet?
– Höre, Michej Andreitsch, befreie mich von Deinen Märchen; ich habe Dir aus Trägheit und Sorglosigkeit lange zugehört; ich habe geglaubt, daß Du wenigstens eine Spur von Gewissen besitzest, Du hast aber nicht einmal das. Ihr beide, Du und dieser Schuft, wolltet mich betrügen; ich weiß nicht, wer von euch der Schlechtere ist, aber ihr beide seid mir widerwärtig. Mein Freund hat mich aus dieser dummen Falle befreit. . . .
– Ein guter Freund! – sagte Tarantjew. – Ich habe gehört, daß er Dir Deine Braut fortgeschnappt hat; ein schöner Wohlthäter! Nun, Bruder Landsmann, Du bist ein Dummkopf. . . .
– Laß, bitte, diese Zärtlichkeiten! – unterbrach ihn Oblomow.
– Nein, ich werde es nicht lassen! Du hast an mich nicht gedacht, Du Undankbarer! Ich habe Dich hier eingerichtet, ich habe Dir eine Frau gefunden, die ein wahrer Schatz ist. Ich habe Dir Ruhe und Bequemlichkeit verschafft, ich habe Dich mit Wohlthaten überschüttet, und Du wendest Dich von mir ab. Du hast Dir einen schönen Freund ausgesucht – einen Deutschen! Du hast ihm Dein Gut in Pacht gegeben; wart nur, wie er Dich bestehlen wird, er wird Dir auch Actien anhängen. Er wird Dich noch zum Bettler machen, denke an mich! Ich sage Dir, daß Du ein Dummkopf bist und außerdem noch ein undankbares Vieh!
– Tarantjew! – rief Oblomow drohend aus.
– Was schreist Du? Ich selbst werde durch die ganze Welt schreien, daß Du ein Dummkopf und ein Vieh bist! – schrie Tarantjew. – Ich und Iwan Matwejewitsch haben Dich gehegt und gepflegt, wir haben Dich wie Leibeigene bedient, sind vor Dir auf den Fußspitzen gegangen und haben Dir in die Augen geschaut, und Du hast ihn vor der Obrigkeit verleumdet; jetzt ist er ohne Posten und ohne ein Stück Brot! Das ist häßlich und gemein! Du mußt ihm jetzt die Hälfte Deines Vermögens geben; stellʼ einen Wechsel auf seinen Namen aus; Du bist jetzt nüchtern und bei vollem Verstand, thuʼ es, sagʼ ich Dir, sonst gehe ich nicht fort. . . .
– Was haben Sie, Michej Andreitsch, warum schreien Sie so? – sagten die Hausfrau und Anissja, zur Thür hereinschauend, – zwei Vorübergehende sind stehen geblieben und hören zu, was das für ein Geschrei ist. . . .
– Ich werde schreien, – brüllte Tarantjew, – dieser Tölpel soll sich nur die Schande anthun! Dieser deutsche Schurke soll Dich nur betrügen, umsomehr, als er jetzt mit Deiner Geliebten zusammensteckt. . . .
Im Zimmer erschallte eine laute Ohrfeige. Sowie Oblomow Tarantjews Wange getroffen hatte, verstummte dieser augenblicklich, ließ sich auf einen Sessel sinken und drehte seine erstaunten Augen wie geistesabwesend nach allen Seiten hin.
– Was ist das? Was ist das, he? Was ist das! – sagte er, sich bleich und athemlos die Wange haltend, – Du willst mir meine Ehre rauben? Du wirst mir dafür bezahlen! Ich wende mich an den Generalgouverneur; ihr habt es gesehen?
– Wir haben nichts gesehen! – sagten beide Frauen zugleich.
– Ah! Hier ist eine Verschwörung, eine Räuberhöhle! Eine Diebsbande! Man plündert und schlägt todt. . . .
– Hinaus, Schuft! – schrie Oblomow bleich und vor Wuth bebend, – sofort, Dein Fuß darf nicht mehr meine Schwelle betreten, sonst tödte ich Dich wie einen Hund!
Er suchte mit den Augen nach einem Stock.
– Hilfe! Räuber! Hilfe! – schrie Tarantjew.
– Sachar! Wirf diesen Schuft hinaus, und er soll sich hier nie mehr blicken lassen! – schrie Oblomow.
– Bitte, hierher! – sagte Sachar, ihm auf die Thür zeigend.
– Ich bin nicht zu Dir gekommen, sondern zur Gevatterin! – brüllte Tarantjew.
– Gott sei mit Ihnen, Michej Andreitsch, ich brauche Sie nicht, – sagte Agafja Matwejewna, – Sie haben meinen Bruder besucht und nicht mich! Ich habe Sie satt. Sie essen und trinken und schimpfen noch obendrein.
– Ah, so istʼs, Gevatterin! Gut, der Bruder wird mit Ihnen schon ein Wörtchen reden! Und Dir werde ich die Schande schon heimzahlen! Wo ist mein Hut? Zum Teufel mit euch! Räuber, Mörder! – schrie er über den Hof gehend. – Du wirst mir für die Schande bezahlen!
Der Hund zerrte an der Kette und bellte unaufhaltsam.
Seitdem sahen sich Tarantjew und Oblomow nicht mehr.
VIII
Stolz kam ein paar Jahre lang nicht nach Petersburg. Er sah sich nur einmal für kurze Zeit nach Oljgas Gut und nach Oblomowka um. Ilja Iljitsch bekam einen Brief, in dem Andrej ihm zuredete, selbst nach Oblomowka zu kommen und das geordnete Gut persönlich zu übernehmen. Er selbst fuhr mit Oljga Sjergejewna aus zwei Gründen an das südliche Krimufer: seiner Geschäfte in Odessa wegen und um die durch die Niederkunft zerrüttete Gesundheit seiner Frau zu kräftigen.
Sie ließen sich in einer stillen Gegend am Meeresufer nieder. Ihr Haus war bescheiden und nicht groß. Seine innere Einrichtung hatte ebenso seinen Styl, wie die äußere Architektur und wie alles daran den Stempel der Gedanken und des persönlichen Geschmacks der Eigenthümer trug. Sie hatten eine Menge Sachen mitgebracht und man schickte ihnen aus ihrer Heimat und aus dem Ausland viele Kisten, Koffer und Fuhren nach. Ein Liebhaber des Comforts würde beim Anblick dieser verschiedenartigen Möbelstücke, der alten Bilder, der Statuen mit abgebrochenen Händen und Füßen, der manchmal schlechten, aber durch Erinnerungen wertvollen Stiche und Kleinigkeiten, die Achseln zucken. Aber die Augen eines Kenners würden beim Blick auf das eine oder das andere Bild, auf irgendein vor Alter vergilbtes Buch, auf altes Porzellan, Cameen und Münzen gierig aufleuchten. Aber inmitten dieser Möbelstücke verschiedener Stylarten, der Bilder, der für Fremde wertlosen, für sie beide aber durch eine glückliche Stunde, durch eine unvergeßliche Minute geheiligten Kleinigkeiten, inmitten dieses Oceans von Büchern und Noten wehte warmes Leben, etwas, das den Verstand und das ästhetische Gefühl anregte; überall waren die Spuren eines unermüdlichen Geistes oder die Schönheit menschlicher Arbeit zu sehen, die mit der Schönheit der ringsherum leuchtenden Schönheit der Natur wetteiferte. Daselbst waren auch der hohe Schreibtisch, so wie ihn Andrejs Vater gehabt hatte, und die Gemslederhandschuhe untergebracht; in der Ecke neben dem Schrank mit den Mineralien, den Muscheln, den Vogelbälgen, den Mustern verschiedener Waren und Lehmarten hieng der Wachstuchmantel. In der Mitte prangte auf dem Ehrenplatz mit Gold und Intarsien verziert ein Erardflügel. Ein Netz von Wein, Epheu und Myrten bedeckte das Cottage von oben bis unten. Von der Gallerie aus sah man das Meer und von der andern Seite die Straße in die Stadt. Dort spähte Oljga nach Andrej aus, wenn er geschäftlich vom Hause fortfuhr; sobald sie ihn erblickte, stieg sie herab, lief durch den prachtvollen Blumengarten und die lange Pappelallee und warf sich stets mit vor Freude glühenden Wangen, mit leuchtendem Blick, und stets mit der gleichen Ungeduld des Glücks, trotzdem seit ihrer Verheiratung schon ein paar Jahre vergangen waren, an die Brust des Mannes.
Stolz hatte über die Liebe und das Heiraten vielleicht originelle und übertriebene, aber selbständige Ansichten. Er hatte auch dabei einen freien und, wie ihm schien, einfachen Weg gewählt; aber welch eine schwierige Schule der Beobachtung, der Geduld und der Arbeit mußte er durchmachen, bevor er diese »einfachen Schritte« zu machen lernte!
Er hatte vom Vater die Gewohnheit geerbt, alles im Leben, selbst die Kleinigkeiten, ernst zu betrachten; vielleicht hätte er von ihm auch die pedantische Strenge geerbt, welche die Deutschen in ihren Ansichten, in jedem Schritt ihres Lebens und unter anderem auch in der Ehe äußern.
Das Leben des alten Stolz lag wie eine Inschrift auf einer Steintafel allen offen, und es war darin nichts zwischen den Zeilen zu lesen. Aber die Mutter mit ihren Liedern und ihrem zarten Flüstern, das fürstliche Haus, ferner die Universität, die Bücher und die Welt lenkten Andrej von dem geraden, vom Vater vorgezeichneten Weg ab; das russische Leben malte seine unsichtbaren Muster hinein und verwandelte die unscheinbare Tafel in ein großes, leuchtendes Bild. Andrej fesselte seine Gefühle nicht durch pedantische Ketten und ließ den Träumen sogar volle Freiheit, indem er nur bestrebt war, nicht »den Boden unter den Füßen« zu verlieren, wenn er auch beim Erwachen, infolge seiner deutschen Natur oder aus irgendeinem anderen Grunde, eine Folgerung nicht unterdrücken konnte und irgendeine Lebenswahrheit davontrug. Er war frisch an Körper, weil er frisch an Geist war. In seinen Knabenjahren war er übermüthig, und wenn er nicht herumtollte, beschäftigte er sich unter der Aufsicht des Vaters mit etwas Ernstem. Er hatte keine Zeit, sich Träumen hinzugeben. Seine Phantasie und sein Gemüth blieben unangetastet; die Mutter hütete wachsam dessen Reinheit und Jungfräulichkeit. Als Jüngling schonte er instinctiv die Frische seiner Kräfte und begann schon zu entdecken, daß diese Frische Lebensfreude und Frohsinn erzeugt und jene Männlichkeit bildet, welche die Seele abhärtet, damit sie nicht vor dem Leben erbleicht, wie dieses auch sein mag, es nicht als ein schweres Joch und ein Kreuz, sondern nur als eine Pflicht betrachtet, und den Kampf damit würdig besteht. Viele Gedanken und Sorgen hatte er dem Herzen und dessen schwer zu ergründenden Gesetzen geweiht. Indem er bewußt oder unbewußt die Wirkung der Schönheit auf die Phantasie, den Übergang des Eindruckes in ein Gefühl, dessen Symptome, dessen Spiel und Ausgang betrachtete, um sich blickte und mit dem Leben vertraut wurde, arbeitete er sich die Überzeugung aus, die Liebe bewege mit der Macht des archimedischen Hebels die Welt, und darin sei ebensoviel allgemeine, unzweifelhafte Wahrheit und so viel Gutes enthalten, als aus ihrem Nichtbegreifen und Mißbrauch Lüge und Häßliches entstehe. Wo war das Gute und wo das Böse? Wo lag die Grenze zwischen beidem?
Bei der Frage: wo ist die Lüge? zogen bunte Masken der Gegenwart und Vergangenheit durch seine Phantasie. Er blickte lächelnd, bald erröthend und bald die Stirne runzelnd, auf den endlosen Zug der Helden und Heldinnen der Liebe: auf die Don Quixotes in Stahlhandschuhen, auf die Damen ihres Herzens und auf ihre fünfzigjährige Treue in der Trennung; auf die Schäfer mit rothen Wangen und treuherzig glotzenden Augen und auf ihre Chloen mit den Lämmern. Vor ihm erschienen gepuderte Marquisen in Spitzen mit geistreich leuchtenden Augen und einem lasterhaften Lächeln; ferner die Werther, die sich erschossen, aufhängten und erdrosselten, die verblühten alten Jungfern mit den ewigen Liebesthränen und dem Kloster und die bärtigen Gesichter der modernen Helden, mit dem wilden Feuer in den Augen, diese naiven und bewußten Don Juans und die Erhabenen, die vor dem Verdachte zu lieben zittern und heimlich ihre Wirtschafterinnen anbeten. . . . Alle, alle!
Bei der Frage, wo die Wahrheit war, suchte er fern und nah in der Phantasie und mit den Augen nach Beispielen von einfachen, ehrlichen, aber tiefen und unwandelbaren Beziehungen zum Weibe, fand aber keine; wenn er sie zu finden glaubte, war es nur Schein, darauf folgte die Enttäuschung; er sann traurig nach und verzweifelte sogar. »Dieses Glück wird uns wohl nicht in seiner ganzen Fülle zutheil,« dachte er, »aber die Herzen, welche vom Lichte dieser Liebe erhellt werden, sind scheu; sie ängstigen sich und verstecken sich, ohne die Klugen widerlegen zu wollen; vielleicht bemitleiden sie sie und verzeihen ihnen im Namen ihres Glückes, daß sie die Blüten in den Koth treten, weil sie keinen Boden haben, in dem diese tiefe Wurzeln fassen und sich zu einem solchen Baume entwickeln könnten, der ihr ganzes Leben beschatten würde.«
Wenn er die Ehen, die Männer und ihr Verhalten den Frauen gegenüber betrachtete, sah er stets eine Sphinx mit ihrem Räthsel vor sich; alles erschien unverstanden und unausgesprochen, und dabei sannen diese Männer über keine verwickelten Fragen nach und schritten mit einem so gleichmäßigen, selbstbewußten Gang über den Weg der Ehe, als hätten sie nichts zu suchen und zu beschließen. »Sind sie denn im Unrecht? Vielleicht ist thatsächlich nichts anderes mehr nothwendig,« dachte er sich selbst, nicht trauend, wenn er sah, wie schnell manche die Liebe durchlebten, als sei sie das A B C der Ehe oder eine Form der Höflichkeit, als hätten sie beim Eintritt in die Gesellschaft ihre Verbeugung gemacht und wären schnell weiter geschritten! Sie schütteln den Frühling des Lebens ungeduldig von ihren Schultern; viele sehen dann das ganze Leben lang ihre Frauen schief an, als ärgerten sie sich darüber, daß sie einst so dumm waren, sie zu lieben. Manche verläßt die Liebe lange nicht, bis zum Alter, sie wird aber auch immer vom Lächeln eines Satyrs begleitet. . . Die meisten schließen die Ehe ebenso, wie man ein Gut kauft und seine Vorzüge genießt; die Frau bringt Ordnung ins Haus, sie ist Wirtschafterin, Mutter, Erzieherin der Kinder, und die Liebe wird von demselben Standpunkte aus betrachtet, von dem ein praktischer Besitzer die Lage des Gutes anschaut, das heißt, indem er sich sofort daran gewöhnt und sie dann nie mehr beachtet. »Was ist das: angeborenes Unvermögen, als Folge der natürlichen Gesetz?« fragte er sich, »oder ein Fehler der Vorschule und der Erziehung?. . . Wo ist denn jene Sympathie, die niemals ihren natürlichen Reiz einbüßt und kein Narrengewand anzieht, die sich verändert, aber nicht erlischt? Wie ist die natürliche Gestalt und wie sind die Farben dieses überall verstreuten und alles füllenden Glückes, dieses Saftes des Lebens?« Er blickte prophetisch in die Ferne, und dort erschien ihm im Nebel die Gestalt des Gefühles und zugleich des Weibes, das seine Farbe trug und in seinem Lichte erstrahlte, eine so einfache, aber lichte und reine Vision. »Träume! Träume!« sagte er erwachend und lächelte über die müßige Arbeit der Gedanken. Aber dieser Traum lebte gegen seinen Willen in seiner Erinnerung fort. Zuerst sah er in diesem Traum die Zukunft der Frau überhaupt; als er aber in der gereiften und entwickelten Oljga nicht nur die Pracht erblühter Schönheit, sondern auch eine zum Leben bereite, nach Wahrheit und Kampf dürstende Kraft sah, – alle Attribute seiner Vision, – erstand in ihm der alte, fast vergessene Traum von der Liebe, Oljga erschien ihm in dieser Gestalt und er glaubte in weiter Ferne zu sehen, daß in ihrer Sympathie die Wahrheit ohne Narrenkappe und ohne Zwang erschien.
Ohne mit der Frage von der Liebe und Ehe zu spielen, ohne irgendwelche andere Fragen, bezüglich des Geldes, der gesellschaftlichen Verbindungen und der Ämter damit in Zusammenhang zu bringen, dachte Stolz doch darüber nach, wie seine bis dahin unermüdliche Thätigkeit sich mit dem Familienleben verbinden würde und wie er sich aus einem Touristen und Kaufmann in einen seßhaften Familienvater verwandeln würde. Wenn diese äußere Unruhe vergehen würde, was würde dann sein Leben zu Hause ausfüllen? Die Erziehung und Bildung der Kinder, das Überwachen ihres Lebens war natürlich keine leichte und einfache Aufgabe, aber das lag noch in weiter Ferne, was würde er aber bis dahin thun?
Diese Fragen hatten ihn lange und oft beunruhigt, und ihm war das Leben eines Hagestolzes nicht lässig; es fiel ihm nicht ein, so wie sein Herz, die Nähe der Liebe witternd, zu klopfen begann, sich von den Ketten der Ehe fesseln zu lassen. Darum hatte er früher sogar Oljga vernachlässigt und hatte sie nur als ein liebes Kind, das zu großen Hoffnungen berechtigte, bewundert; er warf ihr scherzend im Vorübergehen einen kühnen, neuen Gedanken oder eine treffende Beobachtung des Lebens in ihr gieriges, empfängliches Hirn und weckte in ihrer Seele, ohne daran zu denken, ein lebhaftes Verständnis für die Erscheinungen und eine richtige Ansicht über dieselben, um dann an Oljga und seinen nachlässigen Unterricht zu vergessen. Und als er manchmal sah, daß in ihr nicht ganz gewöhnliche Gedanken und Meinungen auftauchten, daß in ihr keine Lüge war, daß sie keine allgemeine Anbetung suchte, daß ihr die Gefühle einfach und frei kamen und sie ebenso verließen, daß nichts Fremdes, sondern Eigenes in ihr lebte und dieses Eigene so kühn, frisch und verläßlich wurde, war er verblüfft, wo sie das hernahm und erkannte seine eigenen Lehren und flüchtigen Bemerkungen nicht wieder. Wenn er seine Aufmerksamkeit damals auf sie gerichtet hätte, würde er begreifen, daß sie fast allein ihren Weg gieng, durch die flüchtige Aufsicht der Tante vor Übertreibungen geschützt, daß über ihr aber nicht die Vormundschaft und Autorität von sieben Kindsfrauen, von Großmüttern und Tanten mit den Traditionen des Geschlechtes, der Familie, der Gesellschaftsclassen, der veralteten Sitten, Gebräuche und Sentenzen lastete; daß man sie nicht gewaltsam über einen schablonenhaften Weg führte, daß sie einen neuen Pfad verfolgte, den sie sich durch den eigenen Verstand, Blick und durch das eigene Gefühl gefunden hatte. Die Natur hatte ihr nichts versagt; die Tante herrschte nicht despotisch über ihren Willen und Verstand und Oljga begriff und errieth vieles selbst, beobachtete aufmerksam das Leben, und lauschte. . . unter anderem auch den Reden und Rathschlägen ihres Freundes. . . . Er zog das alles nicht in Betracht und erwartete von ihr nur in Zukunft vieles, aber in weiter Ferne, ohne in ihr jemals seine Gefährtin zu ahnen.
Sie ließ sich aus eitler Schüchternheit lange nicht errathen, und er sah erst nach dem qualvollen Kampfe im Auslande, voll Erstaunen, zu welch einem einfachen, kraftvollen und natürlichen Wesen dieses vielversprechende und von ihm vergessene Kind sich entwickelt hatte. Dort eröffnete sich vor ihm nach und nach die Tiefe ihrer Seele, die er stets füllen mußte und nie befriedigen konnte.
Zuerst hatte er mit der Lebhaftigkeit ihrer Natur viel zu kämpfen, mußte das Fieber ihrer Jugend unterbrechen, ihren Bestrebungen einen bestimmten Umfang verleihen und ihrem Leben einen ruhigen Verlauf sichern, doch das gelang ihm nur zeitweise; sowie er vertrauend die Augen schloß, begann wieder der Sturm, das Leben strömte wie eine Quelle dahin und es ertönten neue Fragen des unruhigen Verstandes und des aufgeregten Herzens; er mußte die gereizte Phantasie beruhigen und den Ehrgeiz beschwichtigen oder aufstacheln. So wie sie über eine Erscheinung zu grübeln begann, beeilte er sich ihr den Schlüssel dazu einzuhändigen.
Der Glaube an Zufälle, der Nebel und die Hallucinationen verschwanden aus ihrem Leben. Vor ihr breitete sich eine helle und freie Ferne aus, und sie sah darin wie im klaren Wasser jeden Stein, jede Vertiefung und dann den reinen Grund. »Ich bin glücklich!« flüsterte sie, ihr vergangenes Leben mit einem Blick umfassend, dachte, indem sie die Zukunft befragte, an ihren Mädchentraum vom Glück, den sie einst in jener stillen, blauen Nacht in der Schweiz geträumt hatte und sah, daß dieser Traum wie ein Schatten durch ihr Leben schwebte. »Wofür ist mir das alles zu theil geworden, mir?« dachte sie demüthig. Sie sann und sann und fürchtete sogar manchmal, dieses Glück könnte versagen.
Die Jahre eilten dahin, und sie wurden nicht müde zu leben. Über sie war eine Stille gekommen, das Drängen hatte sich beschwichtigt. Die Krümmungen des Lebens erschienen verständlich und wurden geduldig und froh ertragen, das Leben pulsierte in ihnen aber unermüdlich weiter.
Oljga war schon bis zu einem strengen Verständnis des Lebens, wenn auch nur des glücklichen Lebens gelangt; Andrejs Sein und das ihrige hatten sich zu einem einzigen Strom vereinigt; es blieb für die wilden Leidenschaften kein Spielraum übrig; alles bei ihnen war Harmonie und Stille. Es schien, man sollte in dieser wohlverdienten Ruhe einschlafen und selig sein, wie die Bewohner andere stillen Winkel es thun, indem sie dreimal täglich zusammenkommen, bei der gewohnten Unterhaltung gähnen, in stumpfes Hindämmern versinken und sich von früh bis spät damit quälen, daß alles schon durchdacht, besprochen und gethan ist, daß man nichts mehr zu thun und zu besprechen hat, und daß »das Leben auf der Welt schon einmal so ist.«