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Kitabı oku: «Aufzeichnungen eines Jägers», sayfa 19

Yazı tipi:

Pjotr Petrowitsch hielt inne.

»Was geschah dann?« fragte ich ihn mit Teilnahme.

Er winkte erregt mit der Hand.

»Alles ging zum Teufel. Ich richtete sie selbst zugrunde. Meine Matrjona liebte über alles das Schlittenfahren und pflegte selbst die Pferde zu lenken; sie zog ihren Pelz und gestickte Torschoksche Handschuhe an und schrie nur so vor Freude. Wir fuhren immer nur am Abend aus, wissen Sie, um niemand zu begegnen. Einmal war so ein schöner, frostiger, heiterer, windloser Tag . . . wir fuhren aus. Matrjona nahm die Zügel. Ich sehe: Wo fährt sie denn hin? Doch nicht nach Kukujewka, ins Dorf ihrer Herrin? Sie fährt aber wirklich nach Kukujewka. Ich sage ihr: ›Verrückte, wohin fährst du?‹ Sie sieht mich über die Schulter an und lächelt. ›Wir wollen einmal kühn sein!‹ Nun, denke ich mir, es sei . . .! Es ist doch schön, am Herrenhaus vorbeizufahren? Es ist doch schön, nicht wahr? So fahren wir hin. Mein Paßgänger schwimmt nur so, die Seitenpferde wirbeln daher, da ist schon die Kirche von Kukujewka zu sehen; auf der Straße kommt aber eine alte grüne Kutsche gekrochen und hinten steht ein Lakai . . . Die Gnädige, die Gnädige kommt gefahren! Mir wurde bange. Matrjona aber schlug das Pferd mit einem Zügel und sauste gerade auf die Kutsche los! Der Kutscher sieht, verstehen Sie, es fliegt ihm so etwas wie ein Alchimeres entgegen, er will ausweichen, macht aber eine zu scharfe Wendung und schmeißt die Kutsche in einen Schneehaufen um. Das Glas zerbricht, die Gnädige schreit: ›Ei, ei, ei! Ei, ei, ei!‹ Die Gesellschafterin winselt: ›Halt, halt!‹ Wir aber sausen vorüber. So jagen wir dahin, und ich denke mir: Es wird schlimm enden, ich hätte ihr nicht erlauben sollen, nach Kukujewka zu fahren. Und was glauben Sie? Die Gnädige hatte die Matrjona erkannt, auch mich hatte die Alte erkannt und eine Klage eingereicht: ›Mein flüchtiges leibeigenes Mädel wohnt beim Edelmann Karatajew‹; der Klage fügte sie das übliche Geldgeschenk bei. Ich sehe, es kommt zu mir der Isprawnik gefahren; der Isprawnik ist aber mein Bekannter, Stepan Sergejitsch Kusowkin, ein guter Mensch; das heißt, eigentlich gar kein guter Mensch. So kommt er zu mir und sagt: ›So und so, Pjotr Petrowitsch, was denken Sie sich eigentlich . . .? Die Verantwortung ist schwer und auch die Gesetze darüber sind sehr klar.‹ Ich sage ihm: ›Darüber werden wir natürlich noch reden, wollen Sie aber nicht erst etwas zu sich nehmen nach der Fahrt?‹ Er weigerte sich nicht, sagte aber: ›Die Gerechtigkeit verlangt es, Pjotr Petrowitsch, urteilen Sie doch selbst!‹ – ›Natürlich, die Gerechtigkeit‹, sage ich ihm, ›gewiß . . . ich habe aber gehört, daß Sie einen Rappen haben, wollen Sie diesen Rappen nicht gegen meinen Lampurdos umtauschen . . .? Das Mädel Matrjona Fjodorowna ist aber nicht bei mir.‹ – ›Nun‹, sagt er, ›Pjotr Petrowitsch, das Mädel ist doch bei Ihnen, wir leben ja nicht in der Schweiz . .. mein Pferdchen kann ich aber wohl gegen Ihren Lampurdos eintauschen, das läßt sich machen; ich kann ihn auch so nehmen.‹ Dieses Mal fertigte ich ihn ab. Aber die Alte fuhr aus der Haut: ›Zehntausend Rubel‹, sagte sie, ›will ich es mich kosten lassen.‹ Sehen Sie, es war ihr, als sie mich gesehen hatte, eingefallen, mich mit ihrer grünen Gesellschafterin zu verheiraten – das erfuhr ich später; darum war sie so wütend geworden. Was solchen Damen nicht alles einfällt . . .! Es kommt wohl vor Langeweile. Nun hatte ich es schwer: Ich geizte nicht mit Geld und hielt Matrjona versteckt, es half aber alles nichts! Sie hetzten mich und machten mich ganz toll. Ich geriet in Schulden, wurde krank . . . So liege ich eines Nachts im Bett und denke mir: Du lieber Gott, wofür werde ich so gestraft? Was soll ich machen, wenn ich nicht von ihr lassen kann . . .? Ich kann es nicht, und fertig! – Da kommt zu mir ins Zimmer Matrjona. Um jene Zeit hielt ich sie auf einem Vorwerk zwei Werst von meinem Haus versteckt. Ich erschrak. – ›Was gibt’s? Hat man dich dort entdeckt?‹ – ›Nein, Pjotr Petrowitsch‹, sagt sie, ›niemand hat mich in Bubnowo beunruhigt; wird es aber noch lange so gehen? Mein Herz‹, sagt sie, ›bricht mir entzwei, Pjotr Petrowitsch; Sie tun mir leid, Liebster; niemals werde ich Ihre Güte vergessen, Pjotr Petrowitsch, jetzt komme ich aber, um mich von Ihnen zu verabschieden.‹ – ›Was hast du, was hast du, du Verrückte . . .? Verabschieden? Wieso, verabschieden . . .?‹ – ›So . . . ich gehe jetzt hin und liefere mich aus.‹ – ›Ich werde dich auf dem Dachboden einsperren, du Verrückte . . . Oder willst du mich zugrunde richten? Mich töten?‹ – Das Mädel schweigt und blickt zu Boden. – ›Nun, sprich doch, sprich!‹ – ›Ich will Ihnen keine Sorgen mehr machen, Pjotr Petrowitsch.‹ – Nun, geh einer hin und rede mit ihr . . . – ›Weißt du, dumme Gans, du bist einfach ver . . . verrückt . . .‹«

Pjotr Petrowitsch fing an, bitter zu schluchzen.

»Was glauben Sie?« fuhr er fort, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug und versuchte, die Brauen zusammenzuziehen, während ihm die Tränen über seine glühenden Wangen liefen: »Das Mädchen hat sich wirklich ausgeliefert, sie ging hin und lieferte sich aus . . .«

»Die Pferde sind bereit!« rief feierlich der Stationsaufseher, ins Zimmer tretend.

Wir standen beide auf.

»Was wurde denn aus Matrjona?« fragte ich.

Karatajew winkte abwehrend mit der Hand.

Ein Jahr nach meiner Begegnung mit Karatajew kam ich zufällig nach Moskau. Einmal ging ich vor dem Essen in ein Kaffeehaus, das sich hinter der Jägerzeile befand, ein originelles Moskauer Kaffeehaus. Im Billardzimmer sah man durch die Rauchwolken gerötete Gesichter, Schnurrbärte, Köpfe, altmodische Schnürjoppen und allermodernste Trachten. Magere Greise in bescheidenen Röcken lasen russische Zeitungen. Die Kellner rannten mit den Tabletts schnell über die grünen Läufer hin und her. Kaufleute tranken mit schmerzvoller Anstrengung Tee. Plötzlich trat aus dem Billardzimmer ein ziemlich zerzauster und nicht ganz nüchterner Mann. Er steckte die Hände in die Taschen, senkte den Kopf und sah sich gedankenlos um.

»Bah, bah, bah! Pjotr Petrowitsch . . .! Wie geht es Ihnen?«

Pjotr Petrowitsch fiel mir beinahe um den Hals und schleppte mich, leicht schwankend, in ein kleineres Nebenzimmer.

»So, hier«, sagte er, mich sorgsam in einen Lehnstuhl setzend, »hier werden Sie es bequem haben. Kellner, Bier! Das heißt nein, Champagner! Ich muß gestehen, ich habe es nicht erwartet . . . Seit wie lange? Auf wie lange? So hat es Gott sozusagen gefügt . . .«

»Erinnern Sie sich noch . . .«

»Wie sollte ich mich nicht erinnern«, unterbrach er mich hastig, »es sind alte Geschichten . . . alte Geschichten . . .«

»Nun, was treiben Sie hier, liebster Pjotr Petrowitsch?«

»Ich lebe, wie Sie sehen. Das Leben ist hier gut, die Leute sind freundlich. Hier habe ich Ruhe gefunden.«

Er seufzte auf und hob die Augen zum Himmel.

»Dienen Sie?«

»Nein, ich diene nicht, will aber bald eine Stelle nehmen. Aber was ist so ein Dienst . . .? Das Wichtigste sind doch die Menschen. Was für Menschen habe ich hier kennengelernt . . .!«

Der Kellnerjunge brachte eine Flasche Champagner auf einem schwarzen Tablett.

»Auch dieser da ist ein guter Mensch . . . nicht wahr, Waßja, du bist ein guter Mensch? Auf dein Wohl!«

Der Junge blieb stehen, nickte höflich mit dem Kopf, lächelte und ging hinaus.

»Ja, hier sind gute Menschen«, fuhr Pjotr Petrowitsch fort, »Menschen mit Gemüt und Herz . . . Wollen Sie? Ich will Sie mit ihnen bekannt machen. So prächtige Burschen . . . Sie werden sich alle freuen, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich will Ihnen sagen . . . Bobrow ist gestorben, dieser Jammer!«

»Was für ein Bobrow?«

»Sergej Bobrow. War ein prachtvoller Mensch; er hatte sich meiner, des ungebildeten Steppenmenschen, angenommen. Auch Pantelej Gornostajew ist tot. Alle sind tot, alle!«

»Haben Sie die ganze Zeit in Moskau gelebt? Waren Sie nie auf dem Land?«

»Auf dem Land . . .? Mein Landgut hat man verkauft.«

»Verkauft?«

»Öffentlich versteigert . . . Schade, daß Sie es nicht gekauft haben!«

»Wovon werden Sie jetzt leben, Pjotr Petrowitsch?«

»Ich werde nicht verhungern, so Gott will! Wenn ich kein Geld, habe, so habe ich Freunde. Was ist Geld? – Staub! Gold ist Staub!«

Er schloß die Augen, wühlte in seiner Tasche und hielt mir zwei Fünfzehnkopekenstücke und ein Zehnkopekenstück auf der flachen Hand hin.

»Was ist das? Es ist doch Staub?« (Und das Geld flog auf die Erde.) »Sagen Sie mir lieber, haben Sie etwas von Poleschajew gelesen?«

»Ja.«

»Haben Sie Motschalow im Hamlet gesehen?«

»Nein, ich habe ihn nicht gesehen.«

»Sie haben ihn nicht gesehen, nicht gesehen . . .« Karatajews Gesicht erbleichte, seine Augen schweiften unruhig umher; er wandte sich ab; ein leichtes Zucken lief über seine Lippen. »Ach, Motschalow, Motschalow! ›Sterben – schlafen‹«, sagte er mit dumpfer Stimme.

 
»Nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Schlaf
das Herzweh und die tausend Schläge endet,
die unseres Fleisches Erbteil; ’s ist ein Ziel
aufs innigste zu wünschen . . . sterben . . . schlafen . . .«
»Schlafen, schlafen«, murmelte er einige Male hintereinander.
»Sagen Sie, bitte . . .«, begann ich – aber er fuhr mit Feuer fort:
»Denn wer ertrüg’ der Zeiten Spott und Geißel
des Mächt’gen Druck, des Stolzen Mißhandlungen,
verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,
den Übermut der Ämter und die Schmach,
die Unwert schweigenden Verdienst erweist . . .
. . . . . . O Nymphe,
in dein Gebet schließ meine Sünden ein!«
 

Und er ließ den Kopf auf den Tisch sinken. Er fing an zu stottern und zu phantasieren.

 
»Ein kurzer Mond!« rief er mit neuer Kraft.
»Ein kurzer Mond, bevor die Schuh’ verbraucht,
womit sie meines Vaters Leiche folgte . . .
O Himmel! Würd’ ein Tier, das nicht Vernunft hat,
doch länger trauern . . .«
 

Er hob das Champagnerglas an die Lippen, trank aber nicht und fuhr fort:

 
». . . Um Hekuba!
Was ist ihm Hekuba, was ist er ihr,
daß er um sie soll weinen . . .? . . . und ich,
ein blöder, schwachgemuter Schurke, schleiche
wie Hans der Träumer, meiner Sache fremd . . .
. . . bin ich ’ne Memme?
Wer nennt mich Schelm? Bricht mir den Kopf entzwei?
Zwickt an der Nase mich? Und straft mich Lügen
tief in den Hals hinein? Wer tut mir dies?
Ha! Nähm’ ich’s eben doch. – Es ist nichts anders:
Ich hege Taubenmut, mir fehlt’s an Galle,
die bitter macht den Druck . . .«
 

Karatajew ließ das Glas fallen und griff sich an den Kopf. Ich glaubte ihn zu verstehen.

»Ja, so ist es«, sagte er endlich: »Hin ist hin . . . Nicht wahr?« Er lachte. »Auf Ihr Wohl!«

»Bleiben Sie in Moskau?« fragte ich ihn.

»Ich werde in Moskau sterben!«

»Karatajew!« ertönte es aus dem Nebenzimmer. »Karatajew, wo steckst du? Komm her, lieber Mensch!«

»Man ruft mich«, sagte er, indem er sich schwerfällig erhob. »Leben Sie wohl; besuchen Sie mich, wenn Sie können, ich wohne in ***.«

Aber am nächsten Tag mußte ich infolge unvorhergesehener Umstände Moskau verlassen und sah Pjotr Petrowitsch Karatajew nie wieder.

Das Stelldichein

Im Herbst, um die Mitte September, saß ich einmal in einem Birkengehölz. Vom frühen Morgen an ging ein feiner Regen nieder, der zeitweise mit warmem Sonnenschein abwechselte: Das Wetter war unbeständig. Der Himmel war bald ganz von lockeren weißen Wolken bedeckt, klärte sich bald für eine Weile auf, und dann leuchtete zwischen den Wolken ein Blatt, so heiter und freundlich wie ein schönes Auge. Ich saß da, blickte um mich und lauschte. Das Laub rauschte leise über meinem Kopf; an diesem Geräusch allein konnte man schon die Jahreszeit erkennen. Es war nicht das lustige, lachende an einem klaren, windigen, Tag bebend und stammelnd sich vom blauen Himmel abhebt und jedes ihrer Blätter, wie von einem Strom ergriffen, sich gleichsam losreißen und in die Ferne wegfliegen will. Aber im allgemeinen liebe ich diesen Baum nicht; darum ging ich, ohne mich im Espengehölz aufzuhalten, in das Birkenwäldchen, richtete mich unter einem Bäumchen ein, dessen Äste dicht über der Erde anfingen und mich folglich vor dem Regen schützen konnten, und versank, nachdem ich die Aussicht ringsherum bewundert hatte, in jenen ruhigen, sanften Schlaf, der nur den Jägern allein bekannt ist.

Ich kann nicht sagen, wie lange ich geschlafen hatte; als ich aber die Augen aufschlug, war das ganze Waldinnere vom Sonnenlicht erfüllt, und durch das freudig rauschende Laub leuchtete und funkelte in allen Richtungen ein grellblauer Himmel: Die Wolken waren vom Wind vertrieben und verschwunden; das Wetter hatte sich aufgeheitert, und in der Luft ließ sich jene besondere trockene Frische fühlen, die das Herz mit einem eigentümlichen Gefühl von Rüstigkeit erfüllt und fast immer einen friedlichen und heiteren Abend nach dem regnerischen Tag verheißt. Ich wollte schon aufstehen und wieder mein Glück versuchen, als mein Blick plötzlich eine unbewegliche menschliche Gestalt traf. Ich sah genauer hin: Es war ein junges Bauernmädchen. Sie saß etwa zwanzig Schritt von mir entfernt, den Kopf nachdenklich gesenkt und beide Hände im Schoß; in einer Hand, die halb offen war, lag ein dicker Strauß von Feldblumen, der bei jedem ihrer Atemzüge auf den gewürfelten Rock hinabglitt. Das am Halse und an den Handgelenken zugeknöpfte reine weiße Hemd lag in kurzen weichen Falten um ihre Taille; große gelbe Glasperlen fielen in zwei Reihen vom Halse auf die Brust herab. Sie war sehr hübsch. Die dichten, schönen aschblonden Haare liefen in zwei sorgfältig gekämmten Halbkreisen unter der schmalen hellroten Binde hervor, die fast auf die elfenbeinweiße Stirn gerückt war; der übrige Teil des Gesichts zeigte jenen goldigen Ton, den der Sonnenbrand nur einer zarten Haut zu verleihen vermag. Ihre Augen konnte ich nicht sehen, sie hob sie nicht; aber ich sah ihre feinen, hochgeschwungenen Brauen und die langen Wimpern; sie waren feucht, und an einer ihrer Wangen glänzte in der Sonne die ausgetrocknete Spur einer Träne, die dicht an ihren leicht erbleichten Lippen stehengeblieben war. Ihr ganzes Köpfchen war reizend; selbst die etwas dicke, runde Nase verdarb es nicht. Besonders gut gefiel mir der Ausdruck ihres Gesichts, er war so einfach und sanft, so traurig und voll kindlichen Erstaunens über die eigene Trauer. Offenbar erwartete sie jemand; im Wald knisterte es leise. Sie hob sofort den Kopf und sah sich um; im durchsichtigen Schatten vor mir leuchteten ihre Augen auf, sie waren groß, hell und scheu wie die einer Hirschkuh. Sie lauschte einige Augenblicke, ohne ihre weitgeöffneten Augen von der Stelle zu wenden, wo das leise Knistern ertönte, seufzte dann, wandte langsam den Kopf, neigte sich noch tiefer und begann, die Blumen auseinanderzunehmen. Ihre Lider röteten sich, die Lippen zuckten bitter, und eine neue Träne rollte unter den dichten Wimpern hervor und funkelte auf ihrer Wange. So verging ziemlich lange Zeit; das arme Mädchen rührte sich nicht, es bewegte nur ab und zu traurig die Arme und lauschte, lauschte . . . Wieder raschelte etwas im Wald – sie fuhr zusammen. Das Rascheln hörte nicht auf, es wurde immer lauter, kam näher, und endlich ließen sich schnelle, entschlossene Schritte vernehmen. Sie richtete sich auf und schien zaghaft zu werden; ihr aufmerksamer Blick zitterte, wie es schien, vor Erwartung. Im Dickicht wurde eine männliche Gestalt sichtbar. Das Mädchen sah gespannt hin, errötete, lächelte freudig und glücklich, wollte schon aufstehen, sank aber gleich wieder zusammen, erbleichte, wurde verlegen und hob ihren bebenden, beinahe flehenden Blick auf den Mann erst, als er neben ihr stehenblieb.

Ich sah ihn von meinem Versteck aus neugierig an. Ich gestehe, er machte auf mich keinen angenehmen Eindruck. Allem Anschein nach war er der verhätschelte Kammerdiener eines jungen, reichen Herrn. Seine Kleidung verriet Ansprüche auf Geschmack und eine stutzerhafte Nachlässigkeit: Er trug einen kurzen, bronzefarbenen, bis oben zugeknöpften Paletot, wahrscheinlich ein abgelegtes Stück seines Herrn, eine rosa Halsbinde mit lila Enden und eine schwarzsamtene Mütze mit goldener Tresse, bis an die Brauen ins Gesicht gedrückt. Der runde Kragen seines weißen Hemdes schnitt sich ihm unbarmherzig in die Wangen und stützte seine Ohren, und die gestärkten Manschetten bedeckten seine Hände bis an die roten krummen Finger, an denen er silberne und goldene Ringe mit Vergißmeinnicht aus Türkisen trug. Sein rosiges, frisches, freches Gesicht gehörte zu den Gesichtern, die, soweit ich bemerkt habe, die Männer fast immer empören, den Frauen aber leider sehr oft gefallen. Offenbar bemühte er sich, seinen ziemlich groben Zügen einen verächtlichen und gelangweilten Ausdruck zu verleihen; er, kniff seine auch ohnehin winzigen milchgrauen Augen zusammen, verzog das Gesicht, ließ die Mundwinkel herab, gähnte gezwungen und strich sich bald mit einer etwas ungeschickten Ungezwungenheit seine rötlichen, kühn geschwungenen Schläfenlocken und zupfte bald an den gelben Härchen, die auf seiner dicken Oberlippe wuchsen – mit einem Wort, er spielte eine ekelhafte Komödie. Er begann sie zu spielen, sobald er das junge Bauernmädchen erblickt hatte, das auf ihn wartete; er ging langsam, nachlässig auf sie zu, blieb eine Weile stehen, zuckte die Achseln, steckte beide Hände in die Taschen seines Paletots und ließ sich, nachdem er das arme Mädchen kaum eines flüchtigen und gleichgültigen Blickes gewürdigt hatte, auf die Erde nieder.

»Nun«, fing er an, immer auf die Seite blickend, mit dem Fuße wippend und gähnend, »bist du schon lange hier?«

Das Mädchen konnte ihm nicht sogleich antworten.

»Schon lange, Viktor Alexandrytsch«, sagte sie endlich mit kaum hörbarer Stimme.

»Ah!« Er nahm die Mütze ab, fuhr sich majestätisch durch sein gekräuseltes Haar, das fast dicht über den Augenbrauen begann, sah sich mit Würde um und bedeckte dann sorgfältig sein kostbares Haupt. »Ich hatte es ganz vergessen. Außerdem regnete es, siehst du!« Er gähnte wieder. »Furchtbar viel zu tun: Ich muß an eine Menge Sachen denken, und der Herr schimpft noch. Wir reisen morgen . . .«

»Morgen?« rief das Mädchen und richtete auf ihn ihren erschrockenen Blick.

»Morgen . . . Nun, nun, nun, ich bitte dich«, begann er hastig und ärgerlich, als er sah, daß sie am ganzen Körper erbebte und still den Kopf senkte, »ich bitte dich, Akulina, weine nicht. Du weißt, ich kann das nicht leiden.« Er rümpfte seine stumpfe Nase. »Sonst geh’ ich gleich wieder weg . . . Was für Dummheiten – weinen!«

»Ich werde nicht, ich werde nicht weinen«, erwiderte Akulina hastig, mit Anstrengung die Tränen schluckend. »Sie reisen also morgen?« fügte sie nach kurzem Schweigen hinzu. »Wann werden wir uns wiedersehen, Viktor Alexandrytsch?«

»Wir werden uns schon wiedersehen. Wenn nicht im nächsten Jahr, so später einmal. Der Herr scheint in Petersburg in den Dienst treten zu wollen«, fuhr er fort, die Worte nachlässig und etwas durch die Nase aussprechend, »vielleicht gehen wir auch ins Ausland.«

»Sie werden mich vergessen, Viktor Alexandrytsch«, sagte Akulina traurig.

»Nein, warum denn? Ich werde dich nicht vergessen. Sei aber vernünftig, mach keine Dummheiten und höre auf den Vater . . . Ich werde dich aber nicht vergessen, nein.« Er rekelte sich ruhig und gähnte wieder.

»Vergessen Sie mich nicht, Viktor Alexandrytsch«, fuhr sie mit flehender Stimme fort. »Ich habe Sie doch so geliebt, alles tat ich für Sie . . . Sie sagen, ich solle auf den Vater hören, Viktor Alexandrytsch . . . Wie soll ich aber auf ihn hören . . .«

»Warum denn nicht?« Er sprach diese Worte, als kämen sie aus dem Magen; dabei lag er auf dem Rücken, die Hände im Nacken.

»Aber Viktor Alexandrytsch, Sie wissen es doch selbst.«

Sie verstummte. Viktor spielte mit seiner stählernen Uhrkette.

»Akulina, du bist doch ein gescheites Mädel«, begann er endlich, »rede daher keinen Unsinn. Ich will ja dein Bestes, verstehst du mich? Gewiß, du bist nicht dumm, bist nicht ganz Bäuerin sozusagen; auch deine Mutter ist nicht immer Bäuerin gewesen. Aber du bist immerhin ungebildet und mußt darum folgen, wenn man dir etwas sagt.«

»Es ist so schrecklich, Viktor Alexandrytsch.«

.»Unsinn, meine Liebe, was soll da schrecklich sein? Was hast du da«, fügte er hinzu, sich zu ihr umwendend. »Blumen?«

»Ja, Blumen«, antwortete Akulina traurig. »Ich habe Färbergarben gepflückt«, fuhr sie etwas lebhafter fort, »die sind gut für die Kälber. Und das ist Wasserdost, gegen die Skrofeln. Schauen Sie nur, was für eine herrliche Blume, eine so herrliche Blume habe ich noch nie gesehen. Das sind Vergißmeinnicht und das Veilchen . . . Diese aber habe ich für Sie gepflückt«, fügte sie hinzu, unter den gelben Färbergarben ein kleines, mit einem Grashalm zusammengebundenes Sträußchen Kornblumen hervorziehend, »wollen Sie sie haben?«

Viktor streckte träge die Hand aus, nahm das Sträußchen, roch nachlässig daran und fing an, es zwischen den Fingern zu drehen, nachdenklich und wichtig zum Himmel aufblickend. Akulina sah ihn an . . . In ihrem traurigen Blick war soviel zarte Hingebung, andächtige Demut und Liebe. Sie fürchtete ihn und wagte nicht zu weinen, sie nahm von ihm Abschied und betrachtete ihn entzückt zum letztenmal; er aber rekelte sich wie ein Sultan und ertrug mit großmütiger Geduld und Herablassung ihre Anbetung. Ich muß gestehen, daß ich mit Empörung sein rotes Gesicht betrachtete, in dem neben der geheuchelten, verächtlichen Gleichgültigkeit auch eine befriedigte und übersättigte Eigenliebe zu sehen war. Akulina war in diesem Augenblick so schön: Ihre ganze Seele öffnete sich ihm so vertrauensvoll und leidenschaftlich entgegen, sie strebte zu ihm, schmiegte sich an ihn, er aber . . . er ließ die Kornblumen auf die Erde fallen, zog aus der Seitentasche seines Paletots ein rundes, in Bronze gefaßtes Glas und begann, es sich ins Auge zu drücken; wie sehr er sich auch mühte, es mit der gerunzelten Braue, der erhobenen Wange und sogar mit der Nase festzuhalten, das Glas fiel immer wieder heraus und glitt ihm auf die Hand.

»Was ist das?« fragte endlich Akulina erstaunt.

»Ein Lorgnon«, antwortete er wichtig.

»Wozu?«

»Um besser zu sehen.«

»Zeigen Sie es mir.«

Viktor verzog das Gesicht, reichte ihr aber das Glas.

»Paß auf, zerbrich es nicht.«

»Keine Angst, ich zerbreche es nicht.« Sie führte das Glas vorsichtig ans Auge. »Ich sehe nichts«, sagte sie harmlos.

»Kneif doch das Auge zu«, entgegnete er mit der Stimme eines unzufriedenen Schulmeisters. Sie kniff das Auge zu, vor dem sie das Glas hielt. »Nein, nicht dieses, nicht dieses, du Dumme! Das andere«, rief Viktor und nahm ihr das Lorgnon weg, ohne ihr Zeit zu lassen, ihren Fehler wieder gutzumachen.

Akulina errötete, lachte leise und wandte sich weg.

»Es taugt wohl nicht für uns«, sagte sie,

»Das will ich meinen!«

Die Arme schwieg eine Weile und seufzte tief. »Ach, Viktor Alexandrytsch, wie werde ich ohne Sie leben!« sagte sie plötzlich.

Viktor wischte das Lorgnon mit dem Mantelschoß ab und steckte es wieder in die Tasche.

»Ja, ja«, sagte er endlich, »es wird dir anfangs wirklich schwer fallen.« Er klopfte sie herablassend auf die Schulter; sie nahm leise seine Hand von ihrer Schulter und küßte sie schüchtern. »Nun, gewiß, du bist ein gutes Mädel«, fuhr er mit einem selbstgefälligen Lächeln fort, »aber was soll man machen? Urteile doch selbst! Mein Herr und ich können doch nicht hier bleiben; bald beginnt der Winter, und im Winter auf dem Land, du weißt es selbst, ist es einfach gemein. Wie anders ist es in Petersburg! Dort gibt es solche Wunder, wie du Dumme sie dir nicht vorstellen kannst. Was für Häuser, was für Straßen, und erst die Gesellschaft, die Bildung – wunderbar . . .« Akulina hörte ihm mit verzehrender Neugierde zu, den Mund wie ein Kind halb geöffnet. »Übrigens«, fügte er hinzu, sich auf der Erde rekelnd, »wozu erzähle ich dir das alles? Du kannst es ja doch nicht verstehen!«

»Warum denn nicht, Viktor Alexandrytsch? Ich habe es verstanden, ich habe alles verstanden.«

»Schau, schau!«

Akulina senkte den Kopf.

»Früher haben Sie mit mir nicht so gesprochen, Viktor Alexandrytsch«, sagte sie, ohne die Augen zu heben.

»Früher . . .? Früher! Sieh mal an . . .! Früher!« bemerkte er unzufrieden.

Beide schwiegen.

»Ich muß aber gehen«, sagte Viktor und stützte sich schon auf einen Ellenbogen . . .

»Warten Sie noch ein Weilchen«, versetzte Akulina mit flehender Stimme.

»Worauf soll ich warten . . .? Ich hab’ mich ja von dir schon verabschiedet.«

»Warten Sie«, wiederholte Akulina.

Viktor legte sich wieder hin und fing zu pfeifen an. Akulina sah ihn unverwandt an. Ich konnte sehen, wie sie allmählich in Aufregung geriet; ihre Lippen zuckten, ihre Wangen röteten sich . . .

»Viktor Alexandrytsch«, begann sie endlich mit stockender Stimme, »es ist Sünde . . . es ist Sünde, Viktor Alexandrytsch, bei Gott!«

»Was ist Sünde?« fragte er mit gerunzelten Brauen, indem er sich leicht erhob und den Kopf zu ihr wandte.

»Es ist Sünde, Viktor Alexandrytsch. Hätten Sie mir doch nur ein einziges gutes Wörtchen zum Abschied gesagt; ein einziges gutes – Wörtchen mir, der Armen, Verlassenen . . .«

»Was soll ich dir sagen?«

»Ich weiß es nicht; das müssen Sie besser wissen, Viktor Alexandrytsch. Sie reisen doch fort, und kein einziges Wörtchen . . . Womit habe ich das verdient?«

»Wie merkwürdig du bist! Was kann ich denn sagen?«

»Wenn nur ein einziges Wörtchen . . .«

»Immer dasselbe«, sagte er ärgerlich und stand auf.

»Seien Sie nicht böse, Viktor Alexandrytsch«, fügte sie schnell hinzu, mit Mühe die Tränen zurückhaltend.

»Ich bin nicht böse, aber du bist dumm . . . Was willst du? Ich kann dich doch nicht heiraten? Ich kann es doch nicht? Also was willst du dann? Was?« Er streckte das Gesicht vor, als erwarte er eine Antwort, und spreizte die Finger.

»Ich will nichts . . . gar nichts«, antwortete sie stotternd und kaum wagend, ihm ihre bebenden Hände entgegenzustrecken, »aber nur ein einziges Wörtchen zum Abschied . . .«

Aus ihren Augen stürzten Tränen.

»Das habe ich mir auch gedacht, jetzt weint sie«, versetzte Viktor kaltblütig, indem er sich die Mütze von hinten über die Augen stülpte.

»Ich will nichts«, fuhr sie fort, schluchzend und das Gesicht mit beiden Händen bedeckend, »aber wie wird es mir jetzt in meiner Familie sein, wie? Und was soll aus mir Unglücklichen werden? Mit einem verhaßten Mann wird man mich Verwaiste verheiraten . . . Mein armer Kopf!«

»Weine nur, weine«, murmelte Viktor halblaut, von einem Fuß auf den anderen tretend.

»Hätten Sie mir doch nur ein einziges Wörtchen gesagt, nur ein einziges . . .« Und nach einer langen Pause: »Hätten Sie mir doch gesagt: ›Akulina, ich . . .‹«

Ein plötzliches, herzzerreißendes Schluchzen ließ sie nicht zu Ende sprechen, sie warf sich mit dem Gesicht ins Gras und fing bitter zu weinen an . . . Ihr ganzer Körper zitterte wie im Krampf, ihr Nacken hob sich . . . Der lange zurückgehaltene Schmerz brach endlich als unaufhaltsamer Strom hervor. Viktor stand eine Weile neben ihr, zuckte die Achseln, drehte sich um und entfernte sich mit großen Schritten.

Es vergingen einige Augenblicke . . . Sie wurde stiller, hob den Kopf, sprang auf, sah sich um und schlug die Hände zusammen; sie wollte ihm nachlaufen, aber ihre Füße knickten ein, sie fiel in die Knie . . . Ich hielt es nicht länger aus und stürzte mich zu ihr; aber kaum hatte sie mich gesehen, als sie, Gott weiß woher, wieder zu Kräften kam; sie erhob sich mit einem leisen Schrei und verschwand zwischen den Bäumen, die auf der Erde zerstreuten Blumen zurücklassend.

Ich blieb eine Weile stehen, hob das Kornblumensträußchen auf und ging aus dem Wäldchen auf das freie Feld. Die Sonne stand tief auf dem blassen, heiteren Himmel, ihre Strahlen schienen welk und kälter geworden zu sein, sie glänzten nicht mehr und ergossen sich als ein gleichmäßiges, wässeriges Licht. Bis zum Abend blieb höchstens eine halbe Stunde, aber das Abendrot fing erst eben zu glühen an. Ein Wind kam mir stoßweise über das gelbe, trockene Stoppelfeld entgegen; vor ihm wirbelten hastig über die Straße am Waldessaum hin kleine, dürre Blätter; die dem Feld zugekehrte Seite des Gehölzes zitterte und flimmerte klar, doch nicht grell; auf dem rötlichen Gras, auf den Strohhalmen, überall glänzten und wogten zahllose Herbstfäden. Ich blieb stehen . . . Es wurde mir traurig ums Herz; durch das freudige, wenn auch noch frische Lächeln der welkenden Natur glaubte ich die bedrückende Angst vor dem nahenden Winter zu spüren. Hoch über mir flog ein vorsichtiger Rabe, die Luft schwer und scharf mit seinen Flügeln schneidend; er wandte den Kopf, sah mich von der Seite an, schwang sich auf und verschwand mit abgerissenem Gekrächze hinter dem Wald; ein großer Schwarm Tauben stieg schnell von der Tenne auf, wirbelte plötzlich in einer Säule auf, zerstreute sich geschäftig über das Feld – ein Zeichen des Herbstes! Jemand fuhr über die entblößten Hügel, und sein leerer Wagen rasselte laut . . .

Ich kehrte nach Hause zurück; aber das Bild der armen Akulina kam mir lange nicht aus dem Sinn, und ihre schon längst verwelkten Kornblumen bewahre ich auch heute noch auf . . .

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