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Kitabı oku: «Die Unglückliche», sayfa 7

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XXII

Ich kleidete mich eilig an.

»Und was denkst Du jetzt zu thun, Alexander?« sagte ich.

Er sah mich fragend an, als wundere er sich über die einfältige Frage. Und in der That, was konnte er thun?

»Du mußt aber doch hingehen,« fing ich wieder an. »Du mußt erfahren, wie das zugegangen ist. Darunter ist vielleicht ein Verbrechen verborgen. Von diesem Menschen kann man Alles erwarten . . . Das muß Alles aufgeklärt werden. Denke daran, was in ihrem Heftchen steht: die Pension hört mit ihrer Heirath auf; mit ihrem Tode aber geht sie an Ratsch über. In jedem Fall mußt Du wenigstens die letzte Pflicht erfüllen, und Dich vor ihrer sterblichen Hülle beugen.«

Ich sprach wie ein Mentor, wie ein älterer Bruder zu Fustoff. Inmitten all des Schreckes, des Schmerzes und des Erstaunens, stieg Plötzlich und unwillkürlich ein Gefühl der Ueberlegenheit in mir auf . . . War es, weil ich ihn bedrückt, verwirrt und vernichtet sah Von dem Bewußtsein seiner Schuld; oder war es, weil das Unglück, wenn es einen Menschen trifft, denselben fast immer in der Meinung seiner Mitmenschen umwirft und erniedrigt, »es ist also schwach mit Dir bestellt, da Du Dich nicht herauszuwinden verstandest!l« Gott allein weiß es! Fustoff kam mir vor wie ein Kind, ich fühlte Mitleid mit ihm, und fühlte doch auch die Nothwendigkeit der Strenge. Ich reichte ihm meine Hand von oben herab! Das Mitleid der Frauen allein kommt nicht von oben herab!

Allein Fustoff fuhr fort stumpf und wild auf mich zusehen. Meine Autorität machte offenbar gar keinen Eindruck auf ihn – und auf meine wiederholte Frage: »Du wirst doch zu ihnen gehen?« antwortete er: »Nein! ich werde nicht hingehen.«

»Um Gottes Willen! Wie ist des möglich? Du wirst doch selbst wissen und anfragen wollen: Wie? und Was? Vielleicht hat. sie einen Brief zurückgelassen . . . irgend ein Dokument . . . Um Gottes Willen!«

Fustoff schüttelte den Kopf.

»Ich kann nicht dorthin gehen,« sagte er, »Ich bin deshalb zu Dir gekommen, Um Dich zu bitten . . . statt meiner . . . denn ich kann nicht . . . kann nicht . . . «

Und Fustoff setzte sich plötzlich an den Tisch, barg sein Gesicht in beide Hände und brach in bitteres Schluchzen aus.

»Ach, Ach!« wiederholte er durch seine Thränen hindurch. »Ach, die Arme . . . die Aermste . . . Ich . . . ich liebte sie . . . Ach, Ach!«

»Ich stand neben ihm und muß gestehen, daß diese unstreitig aufrichtigen Thränen gar keine Theilnahme in mir erweckten; ich wunderte mich nur darüber, daß Fustoff so weinen konnte, und mir war, als begriffe ich erst jetzt, wie klein der Mensch war, und wie ganz anders ich an seiner Stelle gehandelt hätte. Da sehe Einer! Wenn Fustoff vollkommen ruhig geblieben wäre, ich hätte ihn vielleicht gehaßt, hätte Abscheu vor ihm empfunden, aber er wäre nicht so in meiner Meinung gefallen . . . sein Prestige wäre ihm geblieben, der Don Juan wäre Don Juan nach wie vor! Sehr spät im Leben erst – und das nach vielen Prüfungen – lernt der Mensch, bei dem wirklichen Falle oder der Schwäche eines Mitbruders, ihm ohne den Selbstgenuß der eigenen Tugend und Kraft, mit jeglicher Demuth und dem vollen Verständniß des Natürlichen und fast Unvermeidlichen der Schuld, zu helfen, und mit ihm zu fühlen!

XXIII

Ich hatte Fustoff sehr entschieden und muthig überredet zu Ratsch’s hinzugehen, aber als ich mich gegen zwölf Uhr selbst dorthin begab (Fustoff konnte sich durchaus nicht entschließen, mich zu begleiten und bat mich nur ihm die umständlichsten Mittheilungen zu machen) und das Haus mich bei der Wendung einer Straße aus der Ferne ansah mit dem mattgelben Flecken einer Todtenkerze in dem einen Fenster, da schnürte mir eine unsagbare Furcht den Athem zu, und ich wäre gern umgekehrt . . . Ich beherrschte mich indessen, und trat in’s Vorzimmer. Weihrauch und Kerzengeruch schlug mir aus demselben entgegen; der Deckel eines rosenrothen, mit silbernen Borten beschlagenen Sarges stand in einer Ecke, an die Wand gelehnt. Aus einem Nebenzimmer, dem Speisezimmer, tönte das einförmige Murmeln des Diakonus, dem Summen einer hineingeflogenen Hummel gleich. Das verschlafene Gesicht einer Dienstmagd blickte aus dem Gastzimmer heraus. Sie fragte halblaut: »Sie sind gekommen um Ihre Verbeugung zu machen und wies auf die Thür des Speisezimmers. Ich trat hinein. Der Sarg stand mit dem Kopfende zur Thüre. Susannen’s schwarzes Haar mit dem weißen Kranze auf der etwas gehobenen Franze des Kissens, bot sich zuerst den Augen dar. Ich trat an die Seite hin, bekreuzte mich, beugte mich bis zur Erde und sah hin . . . Ah, Gott! welch’ ein schmerzlicher Anblick! Die Unglückliche! Der Tod selbst. hatte kein Mitleid mit ihr gehabt, er hatte ihr – ich will gar nicht von Schönheit sprechen – er hatte ihr selbst jene Ruhe, jene rührende, unbeschreibliche Ruhe versagt, die uns so oft in den Zügen der Entschlafenen begegnet. Das kleine, dunkle, beinahe braune Gesicht Susannens erinnerte an die Gesichter auf den allerältesten Heiligenbildern, und welch einen Ausdruck trug dieses Gesicht! Es war, als wenn sie eben einen verzweifelten Schrei hätte ausstoßen wollen, und so erstarrt wäre, ehe sie einen Ton hervorgebracht . . . kein Fältchen zwischen den Augenbrauen war ausgeglättet und die Finger an den Händen waren verdreht und zusammengepreßt. Ich wendete den Blick unwillkürlich ab; eine kleine Weile darauf zwang ich mich aber, wieder hinzusehen, sie lange und aufmerksam zu betrachten. Mitleid, – und nicht dieses Gefühl allein erfüllte meine Seele. »Dieses Mädchen ist eines gewaltsamen Todes gestorben,« das stand unzweifelhaft bei mir fest. Während ich da stand und die Leiche betrachtete, verfiel der Diakonus, der bei meinem Eintritt die Stimme erhöht und einige Silben deutlich gesprochen hatte, wieder in den summenden Ton und gähnte mehrmals. Ich beugte mich noch einmal bis zur Erde, und trat in’s Vorzimmer hinaus. An der Schwelle des Gastzimmers erwartete mich schon Herr Ratsch. Er trug einen bunten Bocharn-Schlafrock, winkte mir mit der Hand und führte mich in sein Cabinet, – ich hätte beinahe gesagt in sein Loch. Dieses Cabinet, finster, eng und ganz gesättigt mit einem sauren Geruche von Wichse erweckte in mir stets Vergleiche mit der Höhle eines Wolfes oder eines Fuchses.

XXIV

»Eine Verletzung! eine Zerreißung jener Hüllen . . . Oberhäutchen . . . Sie wissen . . . Oberhäutchen!« sagte Herr Ratsch, sobald er die Thüre geschlossen hatte. – »Solch’ ein Unglück! Gestern noch konnte man Nichts bemerken und auf einmal r—r—ras—s! Krach! Entzwei! und aus! – Da kann man wohl sagen: »Heute roth, und morgen todt. Erwarten konnte man es freilich: ich habe es immer erwartet. In Tambow hat ein Regimentsarzt Galimboosky, Vincenz Kasimirowitsch . . . Sie haben gewiß von ihm gehört . . . ein ausgezeichneter Praktikus, Specialist!«

»Ich höre zum ersten Male seinen Namen,« bemerkte ich.

»Nun, gleichviel; Dieser also,« fuhr Herr Ratsch zuerst mit leiser Stimme, dann immer lauter, und zu meiner Verwunderung mit einem sehr bemerklichen deutschen Accente fort, »dieser also hat mich immer gewarnt: Eh! Ivan Demjanitsch! Eh! mein Freund! nehmen Sie sich in Acht! Ihre Stieftochter hat einen organischen Herzfehler – Hypertrophia cordialis! Das Geringste – und das Unglück ist da! Heftige Gemüthsbewegungen müssen vor Allem vermieden werden . . . « Ich bitte Sie, wie ist das wohl möglich bei einem jungen Mädchens . . . Auf die Vernunft wirken? Ha – h . . . ha . . .«

Herr Ratsch war im Begriffe seiner alten . Gewohnheit gemäß in Lachen auszubrechen, besann sich aber noch zur rechten Zeit und verwandelte den begonnenen Laut in ein Husten.

Und das konnte Herr Ratsch sagen! Nach Allem, was ich über ihn wußte . . . Ich erachtete es für meine Pflicht ihn zu fragen: ob ein Arzt gerufen worden war?

Herr Ratsch sprang auf.

»Freilich ist ein Arzt da gewesen . . . Zwei Aerzte wurden gerufen; aber es war schon Alles aus – abgemacht! Und stellen Sie sich vor: Beide begegneten sich darin: »eine Zerreißung! Zerreißung des Herzens!« riefen sie Beide wie aus einem Munde. Sie schlugen Anatomie vor; aber . . . Sie begreifen . . . ich habe mich nicht dazu entschlossen. «

»Und die Beerdigung ist morgen?«

»Ja, ja Morgen; morgen wollen wir unser Täubchen beerdigen. Präcis um elf Uhr früh wird die Leiche aus dem Hause hinaus getragen . . . von hier in die Kirche Nicolai auf Hühnerfüßen . . . Kennen Sie sie? Seltsame Namen haben Ihre russischen Kirchen! Und dann zur letzten Ruhestätte unserer Tochter in feuchter Mutter Erde! Sie kommen doch? Wir kennen uns zwar kurze Zeit; aber ich wage zu behaupten, daß die Liebenswürdigkeit Ihres Charakters, das Edele Ihrer Empfindungen . . .«

« Ich beeilte mich eine bejahende Verbeugung zu machen.

»Ja, ja, ja!« seufzte Herr Ratsch. »Das ist wahrhaftig ein Donnerschlag, wie man zu sagen pflegt, – ein Blitz vom heiteren Himmel!«

»Hat Susanna Ivanowna Nichts gesagt vor dem Tode? Hat sie keine Bestimmung hinterlassen?«

»Durchaus gar Nichts! Kein Pulverkörnchen! Kein einziges Papierfetzchen! Ich bitte Sie! Als man mich zu ihr rief, als man mich weckte, so war sie – stellen Sie sich vor – schon kalt und starr! Das war mir äußerst schmerzlich! Sie hat uns Alle in tiefes Leid versetzt! Alexander Daviditsch wird es auch bedauern, wenn er es hört . . . man sagt, er sei nicht in Moskau anwesend?«

»Er reiste in der That für einige Tage . . .« fing ich an.

»Fictor Ivanitsch beklagt sich darüber, daß es so lange dauert mit dem Anspannen des Schlittens,« unterbrach mich ein eintretendes Dienstmädchen, dasselbe, welches ich im Vorzimmer gesehen hatte. Ihr noch immer verschlafenes Gesicht frappirte mich diesmal durch jenen Ausdruck grober Frechheit, den man an Dienern wahrnimmt, welche wissen, daß die Herrschaft in ihrer Hand ist, und sie weder zu schelten noch zur Rechenschaft zu ziehen wagen darf.

»Gleich, gleich,« stampfte Ivan Demjanitsch mit dem Fuße. »Eleonora Karpowna, kommen Sie her. Leonore! Lenchen.«

Schwerfällig nahte Etwas der Thüre und in demselben Augenblicke wurde Fictors befehlende Stimme hörbar: »Warum wird das Pferd denn nicht angespannt? Ich kann mich doch nicht zu Fuße auf die Polizei schleppen?«

»Gleich, gleich,« wiederholte Ivan Demjanitsch. – »Eleonora Karpowna, so kommen Sie doch her!«

»Aber Ivan Demjanitsch,« wurde ihre Stimme hörbar, »ich habe ja keine Toilette gemacht!«

»Macht Nichts! Komm herein!«

Eleonore Karpowna trat herein, mit zwei Fingern ein Tuch über ihrem bloßen Halse zusammenhaltend. Sie trug einen offenen Morgenrock und ihre Haare waren ungekämmt. Ivan Demjanitsch sprang sogleich auf sie zu.

»Sie hören, Fictor verlangt die Equipage,« sagte er, hastig mit dem Finger bald auf die Thüre, bald auf das Fenster zeigend. »So treffen Sie Anordnungen und schnell! Der Kerl schreit so!l«

»Der Fictor schreit immer, Ivan Demjanitsch, Sie wissen es wohl!« antwortete Eleonora Karpowna: »Ich habe es dem Kutscher selbst befohlen; aber er hatte dem Pferde Hafer vorgeworfen. Welch ein plötzliches Unglück,« fügte sie, sich zu mir wendend, hinzu; »und wer hätte das von Susanna Ivanowna gedacht?«

»Ich habe es immer erwartet, immer!« schrie Ratsch, und hob die Hände hoch empor, wobei der Bocharn-Schlafrock vorne auseinanderging und ein-paar höchst widerwärtige untere Unaussprechliche aus sämischem Leder mit einer messingenen Schnalle an der Gurte, zu Tage förderte. »Eine Zerreißung des Herzens! Das Oberhäutchen »Hypertrophia!«

»Nun ja,« sprach Eleonora Karpowna ihm nach. »Hypo. . . Nun, das thut mir jetzt sehr, sehr leid, und ich sage noch einmal . . . und ihr grobgeformtes Gesicht verzerrte sich allmählig, die Augenbrauen hoben sich im Dreieck und ein kleines Thränchen rollte über die runden und wie bei einer lackirten Puppe glänzenden Wangen . . . »Es thut mir wirklich sehr leid, daß eine so junge Person, welche hätte leben und Alles hätte genießen sollen . . . Alles . . . Und auf einmal diese Verzweiflung.«

»Na, gut, gut! . . . Geh! Alte!« unterbrach sie Herr Ratsch.

»Geh’ schon, geh’ schon!« murmelte Eleonora Karpowna und ging hinaus, immer noch das Tuch mit zwei Fingern haltend, und Thränen vergießend.

Ich folgte ihr. Im Vorzimmer stand Fictor im Studentenmantel mit einem Biberkragen und die Mütze auf einer Seite. Er sah mich kaum etwas über die Schulter an, schüttelte seinen Kragen und grüßte mich nicht, wofür ich ihm im Herzen dankte.

Ich kehrte zu Fustoff zurück.

XXV

Ich fand meinen Freund in einem Winkel seines Cabinettes sitzend; sein Kopf war gesenkt, seine Arme über der Brust gekreuzt. Es war eine Stumpfheit über ihn gekommen, er blickte mit langsamem Erstaunen um sich, wie ein Mensch, der sehr fest geschlafen hat und eben erst geweckt worden ist. Ich erzählte ihm von meinem Besuche bei Ratsch, wiederholte ihm die Reden des »Veteranen,« die Worte seiner Frau und theilte ihm meine Ueberzeugung mit, daß das unglückliche Mädchen sich selbst das Leben genommen habe . . . Fustoff hörte mich an, ohne den Ausdruck seines Gesichtes zu verändern und blickte immer erstaunt um sich.

»Hast Du sie gesehen?« fragte er endlich.

»Ich habe sie gesehen.«

»Im Sarge?«

Es war, als wenn Fustoff noch immer daran zweifelte, daß Susanne wirklich todt war.

»Im Sarge.«

Fustoff senkte die Augen und rieb sich leicht die Hände.

»Ist Dir kalt?« fragte ich.

»Ja, Bruder, mich friert,« antwortete er zögernd und schüttelte gedankenlos den Kopf.

Ich fing an, ihm zu beweisen, daß Susanna sich unzweifelhaft vergiftet hätte, oder vergiftet worden sei und daß man diese Sache nicht ruhen lassen dürfe . . .

Fustoff sah mich unverwandt an.

»Was kann man denn dabei thun?« fragte er, langsam und weit mit den Augen blinzelnd. »Es wäre ja noch schlimmer, wenn es bekannt würde . . . Man würde sie nicht beerdigen wollen. Man muß die Sache . . . so . . . sein lassen.«

Dieser übrigens sehr nahe liegende Gedanke war mir nicht in den Sinn gekommen. Der praktische Verstand meines Freundes verließ ihn nicht.

»Wann . . . wird sie beerdigt?« fuhr er fort.

»Morgen.«

»Wirst Du hingehen?«

»Ja.«

»In’s Haus, oder gerade in die Kirche?«

»In’s Haus; von da in die Kirche und dann auf den Gottesacker.«

»Ich werde nicht hingehen . . . Ich kann nicht . . . Ich kann nicht,« flüsterte Fustoff und brach in Schluchzen aus. Am Morgen hatte er bei diesen selben Worten angefangen zu weinen. Ich habe bemerkt, daß das oft bei Weinenden vorkommt; daß es gewissen Worten – meist unbedeutenden – aber gerade diesen und nicht andern Worten gegeben ist, die Thränendrüsen des Menschen zu öffnen, ihn zu erschüttern und das Gefühl des Mitleids für sich und Andere in ihm zu wecken . . . Ich erinnere mich einer Bäuerin, welche mir von dem plötzlichen Tode ihrer Tochter während des Mittagessens erzählte, und in Thränen zerfloß und niemals die angefangene Erzählung fortsetzen konnte, so wie sie folgenden Satz aussprach: »Ich sage ihr: Thekla? und sie mir: »Mutter, wohin hast Du das Salz . . . das Salz . . . Sa . . alz.« – Das Wort: Salz vernichtete sie. Gleich wie am Morgen, rührten mich Fustoff’s Thränen auch jetzt nicht Viel. Ich begriff wie es möglich war, daß er mich nicht fragte, ob Susanne Nichts für ihn hinterlassen hatte? Ueberhaupt war ihre gegenseitige Liebe mir ein Räthsel und sie ist mir ein Räthsel geblieben.

Nachdem er wohl zehn Minuten geweint hatte, stand Fustoff auf, legte sich auf das Sopha, wandte sich mit dem Gesichte zur Wand, und blieb unbeweglich liegen. Ich wartete Etwas. Als ich aber sah, daß er sich nicht regte, und meine Fragen nicht beantwortete, beschloß ich, mich zu entfernen. Ich beschuldige ihn vielleicht ungerechter Weise; aber ich glaube gar, er war eingeschlafen. Das hatte übrigens noch nicht bewiesen, daß er keinen Schmerz empfand . . . seine Natur war so angelegt, daß sie traurige Eindrücke nicht lange ertragen konnte . . Seine Natur war eine allzu normale Natur!«

XXVI

Am andern Morgen präzis um elf Uhr war ich zur Stelle. Es schneite fein vom niedrig hängenden Himmel, die Kälte war nicht groß, ein Thauwetter war im Anzuge, aber ein scharfer, unangenehmer Wind strich durch die Luft . . . Es war die Zeit der großen Fasten und recht ein Wetter, um sich eine Erkältung zuzuziehen. Ich traf Herrn Ratsch auf der Treppe seines Hauses. Im schwarzen Frack mit Pleureusen und ohne Hut war er dort unnütz geschäftig, fuhr mit den Händen in der Luft herum, schlug sich auf den Schenkel, schrie bald ins Haus hinein, bald auf die Straße hinaus nach der Richtung hin, wo der Leichenwagen mit weißem Katafalk und zwei Miethwagen standen, neben welchen vier Garnisonssoldaten mit Trauermänteln über ihren alten Uniformen und Trauerhüten über den runzligen Gesichtern, nachdenklich standen, und ihre unangezündeten Fackeln in den lockeren Schnee steckten. Das mützenartige, graue Haar Herrn Ratsch’s hob sich förmlich über dem rothen Gesichte und seine Stimme, diese eherne Stimme, brach vor Anstrengung. »Nun, und der Grünstrauch!l Grünstrauch! hierher! Tannenzweige!« schrie er; »der Sarg soll gleich hinausgetragen werden! Grünstrauch! Werft den Grünstrauch aus! Rasch!« rief er noch einmal, und sprang in’s Haus hinein. Es erwies sich, daß ich zu spät gekommen war, trotz meiner Pünktlichkeit. Herr Ratsch hatte für nöthig erachtet, die Todtenmesse früher abhalten zu lassen und sie war bereits zu Ende. Die Priester, von denen der Eine ein Wirbelkäppchen trug, der Andere, Jüngere sein Haar sehr sorgfältig gekämmt und geölt hatte, traten zusammen, von dem Kirchendiener gefolgt, auf die Treppe hinaus. Bald erschien auch der Sarg. Er wurde von dem Kutscher, dem Wasserträger und zwei Hausknechten getragen.

Hinter demselben ging Herr Ratsch her, den Deckel des Sarges mit seinen Fingerspitzen berührend und immer rufend: »Vorsichtig! Vorsichtig! Vorsichtig!« Ihm nach watschelte Eleonora Karpowna, in einem schwarzen Kleide mit Pleureusen, umgeben von ihrer ganzen Familie, und hinter Allen schritt Fictor in einer neuen Uniform und mit einem Flor über dem Degengriff einher. Aechzend und sich streitend stellten die Träger den Sarg auf den Todtenwagen; die Garnisonssoldaten zündeten ihre Fackeln an, die sofort anfingen zu knistern und zu dampfen, ein herangeschlichenes Bettelweib weinte laut, die Diakonen stimmten ihren Gesang an, der Schnee fiel in dichteren Flocken und wirbelte, weißen Fliegen gleich, in der Luft herum, Herr Ratsch rief: »Mit Gott! Vorwärts!« und der Zug setzte sich in Bewegung. Außer der Familie Ratsch folgten nur noch fünf Personen dem Sorge: ein verabschiedeter, sehr abgetragener Officier der Wassercommunication mit einem verblichenen Stanislausbande um den Hals, der Gehilfe des Aufsehers im Stadtviertel, ein kleiner Mann mit einem sanften Gesichte und gierigen Augen; ein alter Mann in einem kammlottenen Rocke; ein starker Fischhändler in seiner blauen Kaufmannstracht, der nach seiner Waare roch – und ich. Die Abwesenheit des weiblichen Geschlechtes (denn es war unmöglich, zwei Tanten von Eleonora Karpowna, die Schwestern des Wurstmachers, und ein verwachsenes Mädchen mit einer blauen Brille auf der blauen Nase, dahin zu rechnen) die Abwesenheit von Freundinnen und Bekannten setzte mich anfangs in Erstaunen; als ich aber darüber nachdachte, fand ich, daß Susanne mit ihrem Charakter, ihrer Erziehung und ihren Erinnerungen in dem Kreise, in welchem sie lebte, keine Freundinnen haben konnte. Es hatten sich viele Menschen in der Kirche eingefunden, mehr Unbekannte als Bekannte, wie man an dem Ausdrucke ihrer Gesichter sah. Das Todtenamt dauerte nicht lange. Ich sah mit Verwunderung, daß Herr Ratsch sich sehr eifrig und ganz wie ein Rechtgläubiger bekreuzigte und beinahe mit einzelnen Noten in den Gesang der Diakonen mit einstimmte. Als die Zeit da war, von der Entschlafenen Abschied zu nehmen, verbeugte ich mich tief vor ihr, gab ihr aber nicht den letzten Kuß. Herr Ratsch hingegen erfüllte sehr ungezwungen diesen fürchterlichen Gebrauch, lud dann den Officier mit dem Stanislaus mit höflicher Verbeugung ein, an den Sarg heranzutreten, als wollte er ihn bewirthen und hob seine Kinder der Reihe nach, ihnen mit einem Schwunge unter die Arme greifend, hoch empor zur Leiche. Als Eleonore Karpowna von Susannen Abschied nahm, schallte ihr heftiges Weinen durch die ganze Kirche; sie beruhigte sich indessen bald wieder und fragte fortwährend in einem aufgeregten Flüstern: »Wo ist mein Ridicül?« Fictor hielt sich zur Seite und schien durch seine ganze Haltung zu verstehen zu geben» wie weit entfernt er von allen ähnlichen Gebräuchen sei und wie er nur eine Pflicht hergebrachter Schicklichkeit erfüllte. Der alte Mann im kammlottenen Rocke zeigte am meisten Theilnahme. Er war vor 50 Jahren Feldmesser im Tamboff’schen Gouvernement gewesen und hatte Ratsch seitdem nicht gesehen. Susannen hatte er gar nicht gekannt; er hatte aber schon Zeit gefunden, zwei Gläschen Schnaps im Buffet auszutrinken. Meine Tante war auch in die Kirche gekommen. Ich weiß nicht, wo sie erfahren hatte, daß die Verstorbene eben jenes junge Mädchen war, welches mich besucht hatte, und diese Nachricht hatte sie in unbeschreibliche Aufregung versetzt! Sie konnte sich nicht entschließen, mich einer schlechten Handlung zu beschuldigen; ebenso wenig konnte sie sich aber diese seltsamen zusammentreffenden Umstände erklären . . . Ich glaube, sie bildete sich ein, daß Susanne sich aus Liebe zu mir das Leben genommen hätte. In die dunkelsten Gewänder gehüllt, lag sie auf den Knieen und betete mit zerknirschtem Herzen und mit Thränen für die Seelenruhe der eben Verstorbenen und stiftete ein rubeliges Licht vor das Bild der Schmerzensstillerin . . . Auch »Amischa« war mit ihr gekommen und betete, wobei sie aber mehr und mit Entsetzen auf mich sah . . . Denn o weh! . . . ich war diesem alten Fräulein nicht gleichgültig! Als wir aus der Kirche traten, theilte meine Tante all ihr Geld – etwa 12 Silberrubel – an die Armen aus.

Der Abschied war endlich vorüber. Man fing an, den Sarg zu schließen. Während des ganzen Gottesdienstes hatte ich nicht den Muth gehabt, dem armen Mädchen gerade in das entstellte Gesicht zu sehen, und jedes Mal wenn meine Augen über dasselbe hinglitten, schien es zu sagen: »Er ist nicht gekommen! Er ist nicht gekommen!« Man legte den Deckel auf den Sarg . . . Ich hielt mich nicht länger und warf einen raschen Blick auf die Verstorbene: »Warum hast Du das gethan?« fragte ich sie unwillkürlich – und: »Er ist nicht gekommen!« hörte ich zum letzten Male . . .«

Der Hammer fiel auf die Nägel und Alles war zu Ende.

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10 aralık 2019
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