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Kitabı oku: «Frühlingsfluthen», sayfa 12

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XL

Das Stück dauerte noch über eine Stunde, doch Maria Nikolaewna und Sanin hörten bald auf, nach der Bühne zu blicken. Unter ihnen entspann sich wieder ein Gespräch, und dieses Gespräch schlug dieselbe Richtung ein, wie das frühere, nur schwieg Sanin weniger. In seinem Innern war er über sich selbst und Maria Nikolaewna aufgebracht; er bestrebte sich, ihr die volle Unhaltbarkeit ihrer Theorie zu beweisen, als ob ihre Theorien sie viel kümmerten! Er fing mit ihr zu streiten an, worüber sie sich heimlich freute: wenn er streitet – gibt er nach, oder wird er nachgeben. Er hat an der Lockspeise gebissen, er hat aufgehört zurückhaltend zu sein, er spielt den Wilden nicht mehr! Sie machte ihre Einwendungen, lachte, war mit ihm einverstanden, wurde nachdenkend, griff ihn an. . . und dabei näherten sich ihre Gesichter, seine Augen wandten sich von ihren Augen nicht mehr ab . . . diese Augen schienen auf seinen Zügen gleichsam umher zu irren, dieselben wie zu umkreisen – und er lächelte ihr zur Antwort – zwar höflich, doch lächelte er. Es entsprach ihren Zwecken, daß er auf Abstractionen verfiel, über Ehrlichkeit der gegenseitigen Beziehungen, über die Pflicht, über die Heiligkeit der Liebe und der Ehe sprach . . . Es ist bekannt, diese Abstractionen sind nur zu günstig für den Anfang. . . als Ausgangspunkt.

Leute, die Maria Nikolaewna genau kannten, behaupteten, daß, wenn in ihrem ganzen kräftigen und festen Wesen plötzlich etwas Welches und Bescheidenes, etwas beinahe Jungfräulich-Schamhaftes – wie kam sie eigentlich zu dergleichen? – zur Erscheinung kam daß dann . . . dann die Sache eine gefährliche Wendung nahm.

Diese Wendung nahm es auch jetzt, wie es schien, bei Sanin an Verachtung feiner selbst hätte er gefühlt, wenn es ihm gelungen wäre, sich auch nur einen Augenblick zu sammeln, doch weder dazu blieb ihm Zeit, noch dafür, sich zu verachten.

Sie aber benützte die Augenblicke. Und das Alles geschah bloß, weil er gar nicht übel war! . . . Unwillkürlich fragt man sich: wie soll man erkennen, wo man gewinnt? – wo man verliert?

Das Stück war zu Ende. Maria Nikolaewna bat Sanin, ihr den Shawl überzuwerfen und regte sich nicht, während er mit dem weichen Gewande ihre wirklich königlichen Schultern umhüllte Sie faßte ihn unter den Arm, ging in den Corridor – und hätte beinahe aufgeschrien; gerade vor der Logenthür stand wie eine Geistererscheinung von Dönhof, und hinter dessen Rücken lauschte die widrige Figur des Wiesbadener Literaten. Sein öliges Gesicht strahlte förmlich in Schadenfreude.

»Befehlen Sie nicht, gnädige Frau, Ihnen Ihren Wagen aufzusuchen?« wandte sich der junge Officier an Maria Nikolaewna mit von schlecht verhehlter Wuth zitternder Stimme.

»Nein, ich danke,« entgegnete sie, »mein Lakei wird ihn aufsuchen. Bleiben Sie!« fügte sie mit befehlender Stimme hinzu und entfernte sich rasch, Sanin nach sich ziehend.

»Gehen Sie doch zum Teufel!Was haben Sie an mich angeklebt?« platzte von Dönhof auf den Literaten los; er mußte doch an Jemanden sein Müthchen kühlen.

»Seht gut! Sehr gut!« stammelte der Literat – und wurde unsichtbar.

Der Lakai Maria Nikolaewnas, der sie beim Ausgang erwartete, fand rasch ihren Wagen, sie stieg schnell ein, Sanin sprang ihr nach, die Thür wurde zugeschlagen – und Maria Nikolaewna brach in Lachen aus.

»Worüber lachen Sie?« . . . fragte Sanin mit Theilnahme.

»Ach, verzeihen Sie, bitte doch es kam mir durch den Kopf: was, wenn von Dönhof sich nochmals mit Ihnen schießen würde. . . meinetwegen . wäre es nicht«ein Wunder?«

»Sie sind sehr genau mit ihm bekannt?« fragte Sanin.

»Mit ihm? Mit diesem Knaben? Er besorgt meine Aufträge. Seien Sie unbesorgt.«

»Ich fühle nicht die mindeste Besorgniß.«

Maria Nikolaewna seufzte. »Ach, ich weiß, daß Sie sich nicht beunruhigen. Doch hören Sie. Wissen Sie was: Sie sind so lieb, daß Sie meine letzte Bitte nicht abschlagen werden. Bedenken Sie, in drei Tagen fahre ich nach Paris. Sie kehren nach Frankfurt zurück. . . Wann sehen wir uns wieder?«

»Und diese Bitte wäre?«

»Sie können doch reiten?«

»Freilich.«

»Nun, hören Sie: Morgen Früh will ich Sie mit mir nehmen und wir werden zur Stadt hinausreiten. Dann kehren wir zurück, schließen unser Geschäft ab – und Amen! Wundern Sie sich nicht, sagen Sie nicht, es sei eine Laune – ich sei verrückt – das Alles kann sein – aber sagen Sie nur: ich bin einverstanden.«

Maria Nikolaewna wandte ihm ihr Gesicht zu. Im Wagen war es dunkel, doch ihre Augen sprühten Funken selbst in dieser Dunkelheit.

»Meinetwegen, ich bin einverstanden,« sagte Sanin mit einem Seufzer.

»Ach! Sie haben geseufzt!« spottete Maria Nikolaewna. »Wie richtig doch unser Sprichwort ist: Hast du die Last auf dich geladen, – klage über die Schwere nicht. Doch nein, nein. . . Sie sind – allerliebst, so gut – mein Versprechen werde ich halten. Da haben Sie meine Hand darauf, ohne Handschuh, meine Rechte, die Geschäftshand. Nehmen Sie sie und trauen Sie ihrem Drucke. Was ich für eine Frau bin, weiß ich nicht; doch ich bin ein ehrlicher Mensch – und Geschäfte kann man mit mir machen.«

Sanin, ohne sich selbst Rechenschaft zu geben, was er thue, führte diese Hand zu seinen Lippen. Maria Nikolaewna zog diese leise weg – verstummte plötzlich – und schwieg bis der Wagen bei dem Hotel verfuhr.

Sie stieg aus . . . Was war das? schien es bloß Sanin oder fühlte er wirklich an seiner Wange eine rasche und brennende Berührung?

»Aus morgen!« flüsterte Maria Nikolaewna zu ihm auf der durch die vier Lichter des Armleuchters, den der goldbetreßte Portier bei ihrem Erscheinen ergriffen hatte, hell erleuchteten Treppe Sie hielt ihre Augen gesenkt. »Auf morgen!«

In sein Zimmer zurückgekehrt, fand Sanin auf dem Tische einen Brief von Gemma. Im ersten Augenblick. . . erschrak er – dann freute er sich sofort, nur um schneller seines Schreckens sich zu entschlagen. Der Brief bestand aus nur wenigen Zeilen. Gemma freute sich über den glücklichen »Anfang« der Angelegenheit, rieth ihm geduldig zu sein und fügte hinzu, daß zu Hause Alle gesund seien und sich im Voraus über seine Rückkehr freuten. Sanin fand diesen Brief ein wenig trocken, doch nahm er Papier und Feder. . . . und warf Alles wieder weg. – »Was soll ich schreiben?! Morgen kehre ich selbst zurück. . . es ist Zeit, die höchste Zeit!«

Er warf sich sofort ins Bett und bemühte sich, so schnell als möglich einzuschlafen. Wäre er wach geblieben, er hätte an Gemma gedacht – er schämte aber sich, Gott weiß warum . . . an sie zu denken. Er fühlte Gewissensbisse. Doch beruhigte er sich damit, daß morgen ohne Zweifel Alles entschieden sein werde und daß er sich für immer von dieser verdrehten Dame trennen und den ganzen abgeschmackten Vorgang vergessen werde!

Schwache Leute pflegen im Gespräche mit sich selbst sich energisch auszudrücken.

Et puis . . . cela ne tire pas à conséquence.

XLI

Das dachte Sanin, als er sich niederlegte, doch was er am nächsten Tag dachte, als Maria Nikolaewna mit dem Korallengriffe ihrer Reitgerte an seiner Thür klopfte, als er sie an der Schwelle seines Zimmers mit der Schleppe ihres dunkelbraunen Amazonenkleides über dem Arme, dem kleinen Männerhute auf den dickgewundenen Flechten, mit dem auf die Schultern zurückgeworfenen Schleier, mit herausforderndem Lächeln auf den Lippen, auf den Augen, auf dem ganzen Gesicht sah – was er dann dachte darüber schweigt die Geschichte.

»Nun? Sind Sie fertig?« fragte ihre heitere Stimme.

Sanin knöpfte den Rock zu und nahm schweigend seinen Hut. Maria Nikolaewna warf ihm einen lichten Blick zu, nickte mit dem Kopf und lief schnell die Treppe hinunter. Er folgte ihr.

Auf der Straße vor dem Eingange des Hotels standen bereits die Pferde. Es waren ihrer drei; eine goldbraune, reine Vollblutstute mit trockenem, die Zähne fletschendem Maule, schwarzen, herausrollenden Augen, mit Elenn-Hirschfüßen, ein wenig abgefallen, doch schön und hitzig wie das Feuer – für Maria Nikolaewna; ein mächtiger, breiter, ein wenig schwerer Hengst – schwarz ohne andere Abzeichen – für Sanin; das dritte Pferd war für den Groom bestimmt. Maria Nikolaewna sprang graziös auf ihre Stute . . . Diese stampfte mit den Füßen, drehte sich herum, den Schwanz hebend und das Hintertheil herunterdrückend, doch Maria Nikolaewna (eine ausgezeichnete Reiterin) hielt sich fest an. Man mußte sich von Herrn Polosoff verabschieden, welcher in seinem Fez von dem er sich nie trennte, und in weit geöffnetem Schlafrock auf dem Balcon erschien und von da mit dem Batist-Taschentuch winkte; er lächelte nicht im Mindesten und sah eher finster aus. Sanin schwang sich aufs Pferd. Maria Nikolaewna salutirte Herrn Polosoff mit der Reitgerte und hieb mit ihr dann auf den gebogenen flachen Hals ihres Pferdes; dieses bäumte sich, sprang an und ging in seinem zurückhaltenden Schritt, an allen Adern zitternd, sich auf der Trense sammelnd, in die Luft beißend und stoßweise schnaubend vorwärts. Sanin ritt hinter ihr und blickte auf Maria Nikolaewna. Selbstbewußt, graziös und ebenmäßig wiegte sich ihr feiner biegsamer Oberkörper, anliegend und ungezwungen vom Corset umschlossen. Sie wandte sich um und rief Sanin mit bloßen Augen heran. Er ritt neben ihr.

»Nun, sehen Sie, wie es schön ist,« rief sie, »Ich sagte Ihnen zu allerletzt beim Abschied: Sie sind entzückend – und Sie werden nicht bereuen.«

Und bei den letzten Worten bewegte sie den Kopf wiederholt von oben nach unten, um dieselben gewissermaßen zu bestätigen und ihm das Gewicht derselben fühlen zu lassen.

Sie schien so glücklich zu sein, daß Sanin sich schier verwunderte; auf ihrem Gesichte erschien selbst jener gesetzte Ausdruck, wie er bei Kindern vorkommt, wenn sie sehr . . .sehr glücklich sind.

Im Schritt erreichten sie den nicht entfernten Schlagbaum und ritten dann in scharfem Trab auf der Chaussée Das Wetter war ausgezeichnet, ein echtes Sommerwetter, der Wind flog ihnen entgegen, er säuselte sanft und pfiff ihnen angenehm in die Ohren. Sie fühlten sich wohl; das freudige Bewußtsein des jungen, gesunden Lebens, die ungestüme Bewegung nach Vorwärts ergriff sie Beide – es wuchs mit jedem Augenblicke.

Maria Nikolaewna hielt ihr Pferd zurück und ritt im Schritt; Sanin folgte ihrem Beispiel.

»Nur deshalb,« fing sie mit einem tiefen Seufzer des Glückgefühls an, »deshalb allein lohnt es sich, zu leben; ist dir gelungen, was du wünschtest, für unmöglich hieltest – genieße, Seele, bis zum außersten Rand!« Sie fuhr mit der Hand quer über ihren Hals. – »Und wie gut fühlt sich dann der Mensch! z. B. ich jetzt wie gut ich bin! Die ganze Welt möchte ich umarmen! Das heißt, nein, nicht die ganze Welt! . . . Diesen da möchte ich nicht umarmen.« Sie zeigte mit der Reitgerte auf einen am Rande des Weges sich hinschleppenden bettlermäßig bekleideten Greis. – »Doch ihn glücklich zu machen bin ich bereit. nehmen Sie!« schrie sie laut auf Deutsch und warf ihm eine Börse zu. »Da haben Sie.« Das schwere Beutelchen (an Portemonnaies dachte man damals noch nicht) fiel auf den Weg.

Der Vorübergehende wunderte sich, blieb stehen, Maria Nikolaewna lachte aus vollem Halse und trieb ihr Pferd zum Galopp an.

»Ist es ein großes Vergnügen für Sie zu reiten?« fragte Sanin, sie einholend.

Maria Nikolaewna parirte ihr Pferd mit einem Rucke, sie hielt es nie anders zurück. – »Ich wollte bloß dem Dank entfliehen. Wer sich bei mir bedankt – verdirbt mir mein Vergnügen. Ich habe es ja nicht seinetwegen gethan, sondern meinetwillen. Was hat er also mir zu danken? Ich habe nicht gehört, worüber Sie mich fragten.«

»Ich habe gefragt . . . ich wollte wissen, warum Sie heute so lustig sind?«

»Wissen Sie was,« rief Maria Nikolaewna, sie hatte entweder Sanin wieder nicht gehört, oder hielt es nicht für nöthig, seine Frage zu beantworten. »Mir ist dieser Groom schrecklich langweilig, er hockt immer hinter uns und denkt wahrscheinlich nur daran, ob die Herrschaft bald nach Hause reiten werde? Wie soll man ihn los werden?« Sie zog rasch aus der Tasche ein kleines Notizbuch. »Ihn mit einem Brief nach der Stadt schicken? Nein . . . das geht nicht. Doch halt, was ist da vor uns? Ein Gasthaus?«

Sanin blickte nach der Richtung, in welche sie zeigte. »Ja, ich glaube, ein Gasthaus.«

»Das ist ja prachtvoll! Ich will ihm sagen, im Gasthaus zu bleiben und Bier zu trinken – bis wir zurück kommen.«

»Doch was wird er denken?«

»Was geht es uns an! Uebrigens wird er nicht einmal denken, er wird Bier trinken – weiter nichts! Nun, Sanin (sie nannte ihn zum ersten Male beim Familiennamen) – vorwärts, Trab!«

An das Gasthaus herangekommen, rief Maria Nikolaewna den Groom und eröffnete ihm, was sie von ihm verlange. Der Groom, von englischer Herkunft und englischem Temperament, führte schweigend seine Hand zum Mützenschirm, sprang vom Pferde und faßte es am Zügel.

»Nun, jetzt sind wir – freie Vögel!« rief Maria Nikolaewna. – »Wo reiten wir hin – nach Norden, Süden, Osten, Westen? Sehen Sie, ich bin wie der ungarische König bei der Krönung (sie zeigte mit dem Ende der Reitgerte nach allen vier Weltrichtungen.) Alles ist unser! Doch wissen Sie was: sehen Sie, welch’ schöne Berge dort sind – und welch’ schöner Wald! Reiten wir hin, in die Berge, in die Berge!«

»In die Berge, wo die Freiheit thront!«

Sie bog von der Chaussée ab und galoppierte auf einem engen, unbefahrenen Wege, der wirklich nach den Bergen zu führen schien. Sanin folgte ihr.

XLII

Der Weg wurde bald zum Pfad und hörte, von einem Graben durchschnitten, endlich ganz auf. Sanin rieth, zurückzukehren, doch Maria Nikolaewna rief: »Nein! Ich will in die Berge! Reiten wir gerade hin – wie die Vögel fliegen!« – Hinter dem Graben fing eine Wiese an. erst trocken, dann feucht, und endlich ganz sumpfig; das Wasser sickerte überall durch und bildete Pfützen. Maria Nikolaewna lenkte ihr Pferd absichtlich in die Pfützen, lachte und wiederholte beständig: »Lassen sie uns wieder Schulknaben sein!«

»Wissen Sie, was es heißt, durch Sumpf und Moor zu jagen?« fragte sie.

»Ja,« antwortete Sanin.

»Mein Onkel verstand sich darauf,« fuhr sie fort. »Ich ritt häufig mit ihm – namentlich im Frühling. Das ist prachtvoll! Jetzt sind wir mit Ihnen auch wie auf der Hetzjagd. Nur Eines wundert mich: Sie sind ein Rasse durch und durch – und wollen eine Italienerin heirathen. Doch das ist – Ihr Scherz! Was ist das? Ein Graben? Hop!«

Das Pferd sprang hinüber – doch der Hut von Maria Nikolaewna fiel hinunter und ihre Flechten fielen über die Schultern. Sanin wollte vom Pferde springen und den Hut aufheben, doch sie rief ihm: »Lassen Sie, ich nehme ihn selbst auf,« beugte sich tief im Sattel herunter, erreichte mit dem Ende der Reitgerte den Schleier, und wirklich, sie erfaßte den Hut, setzte ihn auf, doch ordnete sie ihre Haare nicht, sondern raste weiter; und weithin ertönten die Zurufe, mit denen sie das Pferd antrieb.

Sanin jagte neben ihr hin, setzte neben ihr über die Gräben über die Zäune, die Bäche, fiel durch und arbeitete sich wieder aus, jagte bergab, bergauf und blickte stets sie an. Welch‘ Gesicht! Es scheint ganz wie geöffnet: geöffnet sind die unersättlichem lichten, wilden Augen; geöffnet die Nasenflügel, die so gierig athmen; sie blickt starr vor sich hin, und es scheint, daß diese Seele sich Alles, Erde, Himmel, Sonne und Luft aneignen wolle, und nur Eins bedauert sie – es gibt zu wenig Gefahren – sie hätte sie alle überwunden! – »Sauint« ruft sie, »das ist wie in der Lenore von Bürger! Doch Sie sind nicht todt – nein? Nicht todt . . . Ich lebe!« Entfesselt sind die wilden Kräfte; so reitet keine Amazone mehr – so rast ein junger weiblicher Centaur – halb Thier, halb Göttin – und die gesetzte, wohlerzogene Gegend, von ihrem schrankenlosen Uebermuth mit Füßen getreten, ist von Staunen ergriffen.

Endlich hielt Maria Nikolaewna ihr schaumbedecktes, mit Schmutz bespritztes Pferd an, es schwankte unter ihr, und dem mächtigen, schweren Hengste von Sanin ging der Athem aus.

»Was? Ist’s schön?« fragte Maria Nikolaewna wundersam flüsternd.

»Schön!« antwortete Sanin begeistert. Auch er war in Flammen.

»Warten Sie, es kommt noch schöner!« sie reichte ihm die Hand. Der Handschuh war zerrissen.

»Ich habe gesagt, daß ich Sie in den Wald, in die Berge führen werde . . . Da sind sie ja, die Berge!« Wirklich, etwa zweihundert Schritte von dem Platze, bis wohin die kühnen Reiter gesprungen waren, fingen die mit hohem Wald bedeckten Berge an. – »Sehen Sie, da ist auch der Weg. Bringen wir uns ein wenig in Ordnung – und vorwärts. Aber im Schritt. Man muß die Pferde ausschnauben lassen.«

Sie ritten weiter. Mit einer lebhaften Handbewegung hatte Maria Nikolaewna ihr Haar zurückgeworfen. Dann sah sie ihre Handschuhe an – und zog sie aus. »Die Hände werden nach Leder riechen, doch Ihnen ist es nicht unangenehm? Wie? . . .«

Maria Nikolaewna lächelte und Sanin ebenfalls. Dieser tolle Ritt hatte sie gänzlich genähert und befreundet.

»Wie alt sind Sie?« fragte sie plötzlich.

«Zweiundzwanzig.

»Nicht möglich? Ich bin gleichfalls so alt. Schöne Jahre! Zählt man sie zusammen, kommt man doch noch nicht zum Alter. Uebrigens ist es heiß. Bin ich sehr roth?«

»Wie eine Mohnblume!«

Maria Nikolaewna fuhr mit dem Taschentuche über ihr Gesicht. – »Wenn wir nur bald den Wald erreichten. So ein alter Wald ist wie ein alter Freund. Haben sie Freunde?«

Sanin dachte ein wenig nach. – »Ja . . . doch wenige. Echte Freunde habe ich nicht.

»Ich aber habe echte —,nur keine alten Freunde. Das ist auch ein Freund – das Pferd. Wie behutsam trägt es dich! Ach wie schön ist’s hier! Fahre ich denn wirklich übermorgen nach Paris?«

»Ja, wirklich?« fragte Sanin gleichfalls.

»Und Sie – nach Frankfurt?«

»Ich, durchaus nach Frankfurt!«

»Nun, Gott sei mit Ihnen. Doch der heutige Tag ist da für unser . . . unser . . . unser!«

Die Pferde erreichten den Saum des Waldes und betreten den letzteren. Der Waldschatten umhüllte sie breit und sanft von allen Seiten.

»O, hier ist’s ja wie im Paradies!« rief Maria Nikolaewna. – »Tiefer, weiter in diesen Schatten hinein, Sanin!«

Die Pferde bewegten sich langsam »tiefen« in den Schatten, ein wenig schwankend und schnaubend. Der Weg, auf dem sie einherschritten, bog plötzlich in eine enge Schlucht ein. Der Geruch von Birkenholz, von Farrenkraut, von Fichtenharz, von durchnäßten vorjährigen Blättern schien in derselben sich aufgesammelt zu haben – verdichtet und einschläfernd. Aus den Ritzen der schwarzbraunen Steine quoll reichliche Feuchtigkeit. Zu beiden Seiten des Weges zogen sich runde, mit grünem Moos bedeckte Erhöhungen hin.

»Halten Sie,« rief Maria Nikolaewna. »Ich will mich setzen und mich auf diesem Sammt ausruhen. Helfen Sie mir herunter.«

Sanin sprang vom Pferde und eilte zu ihr. Sie stützte sich auf seinen beiden Schultern, sprang rasch vom Pferde und setzte sich auf einem der Mooshügel. Er stand vor ihr, die Zügel beider Pferde haltend.

Sie richtete ihre Augen auf ihn . . . »Sanin, wissen Sie zu vergessen?«

Sanin kam die gestrige Berührung im Wagen in den Sinn.

»Ist das eine Frage oder ein Vorwurf?«

»Ich habe in meinem Leben noch nie Jemanden etwas vorgeworfen. Glauben Sie an Liebeszauber?«

»Wie?« —

»An Liebeszauber, von dem die Volksmärchen erzählen.«

»So! davon sprechen Sie. . . « erwiederte Sanin, seine Worte dehnend.

»Ja, davon. Ich glaube daran. . . auch Sie werden glauben.«

»Liebeszauber . . . das ist ja Behexen . . . « wiederholte Sanin. »Alles in der Welt ist möglich. Ich glaubte nicht daran – jetzt aber glaube ich. Ich kann mich nicht wieder erkennen.«

Maria Nikolaewna war nachdenkend – sie wandte sich um. – »Mir kommt dieser Platz bekannt vor. Sehen Sie nach, Sanin, ob nicht hinter jener Eiche – ein hölzernes rothes Kreuz steht?«

Sanin machte einige Schritte seitwärts. – »Ich dort steht ein Kreuz.«

Maria Nikolaewna lächelte. »Schon gut! ich weiß, wo wir sind. Was klopft da? Ein Holzhauer?«

Sanin blickte in den Wald hinein – »Ja . . . dort schlägt Jemand trockene Aeste ab.«

»Ich muß mein Haar in Ordnung bringen. Wenn er mich sieht – verurtheilt er mich am Ende.« – Sie nahm den Hut ab und fing ihre langen Zöpfe zu flechten an – schweigsam und mit wichtiger Miene. Sanin stand vor ihr . . . Ihre ebenmäßigen Glieder zeichneten sich deutlich unter den dunklen Tuchfalten ab, an denen hier und da Moos klebte.

Das eine Pferd hinter Sanins Rücken schüttelte sich plötzlich; er bebte unwillkürlich vom Kopf bis zu den Füßen. Allen war in ihm verwirrt – die Nerven wie Saiten gespannt. Nicht umsonst hatte er es gesagt, daß er sich nicht wieder erkenne . . . Er war wirklich verzaubert. Sein ganzes Wesen war von einem Verlangen, von einem Gelüste erfüllt. Maria Nikolaewna warf ihm einen durchdringenden Blick zu.

»Jetzt ist Alles in Ordnung,« rief sie, den Hut aufsetzend. »Sie wollen sich nicht setzen? Hierher? Nein, warten Sie . . . setzen Sie sich nicht. Was ist das?«

Ueber die Gipfel der Bäume, durch die Waldluft, rollte eine dumpfe Erschütterung hin.

»Ist das Donner?«

»Ich glaube, es ist wirklich Donner,« antwortete Sanin.

»Ach, das ist ja ein Festtag! wirklich ein Feiertag! Das hatte ja bloß gefehlt!« Das dumpfe Getöse ertönte wieder, erhob sich, und fiel krachend nieder. »Bravo! Bst! Erinnern Sie sich, ich sprach gestern von der Aeneide? Auch sie wurden im Walde vom Gewitter überrascht. Doch man muß sich flüchten.« Sie stand rasch auf. – »Führen Sie mir das Pferd vor . . . strecken Sie die Hand aus.« So, ist gut. Ich bin nicht schwer.«

Leicht wie ein Vogel schwang sie sich in den Sattel. Sanin bestieg sein Pferd.

»Wir reiten – nach Hause?« fragte er mit unsicherer Stimme.

»Nach Hause?« antwortete sie, die Frage dehnend, und zog die Zügel an. – »Folgen Sie mir,« befahl sie fast barsch.

Sie ritt auf den Weg und erreichte, am rothen Kreuz vorbei in ein Thal herabreitend, einen Kreuzweg, bog dann rechts um, wieder bergauf . . . sie wußte augenscheinlich, wohin sie ritt – der Weg aber führte immer tiefer und tiefer in den Grund des Waldes. Sie redete nicht, wandte sich nicht um – gebieterisch bewegte sie sich vorwärts – und er folgte gehorsam und willig ohne eine Spur von Willen in dem hinsterbenden Herzen. Es fing zu tröpfeln an. Sie beschleunigte den Gang ihres Pferdes – und Sanin blieb nicht zurück. Endlich blickte aus dem dunklen Grün der Tannensträucher, unter herabhängenden grauen Felsen, ein elendes Wächterhäuschen hervor, mit niedriger Thür in der Wand aus Flechtwerk.

Maria Nikolaewna zwang das Pferd durch das Gebüsch, sprang herunter – wandte sich beim Eingang des Häuschens zu Sanin um und flüsterte: »Aeneas?«

*                   *
*

Vier Stunden darauf war Maria Nikolaewna mit Sanin, in Begleitung des auf dem Sattel schlafenden Grooms nach Wiesbaden in das Hotel zurückgekehrt. Herr Polosoff kam seiner Frau entgegen, den Brief an den Verwalter in der Hand haltend; genauer in ihr Gesicht blickend, ließ er jedoch Mißvergnügen sehen und brummte selbst:

»Habe ich denn mein Pari verloren?«

Maria Nikolaewna zuckte bloß mit den Achseln.

*                   *
*

Und am selben Tage, etwa zwei Stunden später, stand Sanin in seinem Zimmer vor ihr wie ein Verlorener, ein Untergegangener . . .

»Wo fährst Du denn hin?« fragte sie ihn. »Noch Paris oder nach Frankfurt?«

»Ich fahre da hin, wo Du sein wirst, und werde mit Dir sein, so lange Du mich nicht wegjagst,« antwortete er in Verzweiflung und schmiegte sein Haupt an die Hände seiner Gebieterin.

Sie befreite dieselben, legte sie ihm auf seinen Kopf und griff mit allen zehn Fingern in seine Haare. Sie wühlte langsam und kräuselte dies unschuldige Haar; sie selbst stand ganz aufgerichtet, auf ihren Lippen spielte schlangenartiges Frohlocken – ihre Augen aber, weit und bis zur Weiße licht, drückten nur erbarmungslose Stumpfheit und Sättigung des Sieges aus. Der Geier, welcher mit den Krallen sein erbeutetes Opfer zerreißt, hat solche Augen.

Türler ve etiketler

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10 aralık 2019
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