Kitabı oku: «Frühlingsfluthen», sayfa 11
XXXVII
Sanin begann mit dem Vortrage der Angelegenheit, er beschrieb zum zweiten Male sein Gut, unterließ es jedoch diesmal, die Naturschönheiten desselben zu berühren – von Zeit zu Zeit berief er sich auf Polosoff, um die Bestätigung der von ihm ausgeführten Thatsachen und Zahlen zu erlangen. Doch Polosoff ließ höchstens ein »hm!« vernehmen und nickte mit dem Kopfe, ob bejahend oder verneinend, das mochte wohl kein Teufel unterscheiden. Maria Nikolaewna bedurfte übrigens auch gar nicht seines Beistandes. Sie legte solche Geschäfts- und Verwaltungsfähigkeiten an den Tag, daß es zum Verwundern war. Die kleinsten Details der Wirthschaft waren ihr aufs Vollkommenste bekannt, sie befragte nach Allem haarklein, ging auf Alles ein; jedes Wort von ihr traf sein Ziel, stellte den Punkt gerade auf das i. Sanin war auf ein solches Examen nicht gefaßt, auf ein solches war er nicht vorbereitet. Und das Examen dauerte wohl anderthalb Stunden. Sanin hatte alle Eindrücke eines Angeklagten, der auf der engen Bank vor dem strengen, durchblickenden Richter sitzt . . . »Das ist ja ein Verhör!« sagte er sich traurig. Maria Nikolaewna lächelte während dieser ganzen Zeit, sie schien zu scherzen: doch Sanin wurde es davon nicht leichter zu Muthe, und als es sich im Laufe des Verhöres herausstellte, daß er keinen klaren Begriff von Feldsystem und Repartition des Ackerbodens hatte, so gerieth er selbst in Schweiß . . . »Genug!« entschied endlich Maria Nikolaewna. . . »Ihr Gut kenne ich jetzt . . . nicht minder gut wie Sie. Welchen Preis wollen Sie für die Seele haben?« (Zu jener Zeit wurde bekanntlich der Werth der Güter nach der Anzahl der daraus wohnenden Bauernseelen bestimmt).
»Ja . . . ich meine . . . daß ich unter fünfhundert Rubel für die Seele nicht nehmen kann.« (O Pantaleone, Pantaleone, wo bist Du? Wie würdest Du hier Barbari! Rufen.)
Maria Nikolaewna erhob die Augen gen Himmel, als ob sie überlege.
»Nun,« rief sie endlich, »ich glaube, das ist der entsprechende Preis. Doch habe ich mir zwei Tage Frist ausgebeten und Sie müssen bis morgen warten. Ich glaube, wir werden uns einigen und Sie sagen, mir dann, wie viel Angeld Sie haben wollen. Jetzt aber basta cosi!« rief sie, als sie bemerkte, daß Sanin etwas entgegnen wollte. »Wir haben uns genug mit dem verächtlichen Metall abgegeben, à demain les affires! Wissen Sie was: jetzt entlasse ich Sie . . .« (Sie blickte auf die kleine Uhr mit emaillirtem Gehäuse, die hinter ihrem Gürtel steckte) . . . »bis drei Uhr . . . Sie müssen sich ausruhen. Gehen Sie, spielen Sie Roulette.«
»Ich spiele kein Hazardspiel,« bemerkte Sanin.
»Wirklich? Sie sind ja die Vollkommenheit selbst! Uebrigens spiele ich ebenfalls keines.«
»Es ist dumm, Geld in den Wind zu schmeißen, und zwar auf die sicherste Weise in den Wind! Doch gehen Sie in den Spielsaal, sehen Sie sich die Gesichter an. Man findet dort die komischesten. Es ist da eine Alte mit einer Ferronnière und Schnurrbart – sie ist prachtvoll! Sie sehen dort auch einen von unseren Fürsten – der ist auch gelungen. Eine mächtige Gestalt, Adlernase, setzt einen Thaler und schlägt dabei heimlich unter der Weste das Kreuz. Lesen Sie Zeitungen, gehen Sie spazieren, machen Sie, mit einem Worte, was Sie wollen . . . Um drei Uhr aber erwarte ich Sie . . . de pied ferme. Man muß heute früher essen. Das Theater fängt bei diesen lächerlichen Deutschen um halb sieben an.« Sie reichte ihm die Hand. »Sans rancune, n‘est ce pas?«
»Aber, erlauben Sie, Maria Nikolaewna, weßhalb sollte ich Ihnen grollen?«
»Dafür, daß ich Sie gequält habe. Warten Sie nur, ich mache es noch besser,« fügte sie hinzu, die Augen zusammenziehend – und alle die Grübchen auf den in Purpur errothenden Wangen wurden sichtbar. »Auf Wiedersehen!«
Sanin verbeugte sich und ging hinaus. Ein lustiges Lachen erhob sich hinter ihm, und im Spiegel, an dem er gerade vorbeiging, sah er folgende Scene: Maria Nikolaewna hatte den Fez ihres Mannes demselben über die Augen gezogen, während er mit beiden Händen ohnmächtig Widerstand zu leisten versuchte.
XXXVIII
O, wie freudig und tief athmete Sanin auf, als er sich in seinem Zimmer befand! Wirklich, Maria Nikolaewna hatte Recht – er mußte sich erholen, sich erholen von allen diesen neuen Bekanntschaften, Berührungen, Gesprächen, von diesem Dunst, der sich seines Kopfes, seiner Seele bemächtigt hatte, – von dieser unerwarteten, unerwünschten Annäherung an eine Frau, die ihm so fremd war. Alles dies zu welchem Zeitpunkte? Beinahe am Tage nach demjenigen, da er erfahren, daß Gemma ihn liebt, an welchem er ihr Bräutigam geworden! Das ist ja ein Frevel! Tausendmal bat er seine reine, makellose Taube um Verzeihung – obgleich er eigentlich sich keiner Schuld bewußt war. Tausendmal küßte er das ihm von ihr gegebene Kreuz. Hätte er nicht die Hoffnung, die Angelegenheit, wegen welcher er nach Wiesbaden gekommen, zu beendigen, er wäre kopfüber dorthin zurück nach dem geliebten Frankfurt geeilt, in jenes theure, jetzt ihm heimische Haus, zu ihr, zu ihren vielgeliebten Füßen . . . Doch, was ist zu machen! Man muß den Kelch bis zum Grunde leeren, man muß sich anziehen zum Mittagessen und dann ins Theater gehen . . . Wenn sie doch morgen ihn früher entlassen wollte!
Noch eines verwirrte ihn, schmerzte ihn: er dachte mit Liebe, mit Rührung, in dankbarem Entzücken an Gemma, an das Leben zusammen mit ihr, an das Glück, das ihn in der Zukunft erwarte – und trotzdem schwebte . . . nein steckte . . . gerade so drückte sich Sanin mit besonderer Entrüstung aus – steckte vor seinen Augen stets diese sonderbare Frau, diese Frau Polosoff – und er konnte von ihrem Bilde nicht loskommen – und umsonst mühte er sich ab, ihre Stimme nicht zu hören, sich ihre Reden aus dem Sinne zu schlagen – jenen besonderen, feinen, frischen und durchdringenden, dem der gelben Lilien ähnlichen Duft, der von ihren Kleidern ausging, nicht zu athmen. Diese Dame trieb offenbar ihr Spiel mit ihm, umgarnte ihn von allen Seiten . . . Wozu das? Was will sie? Ist das wohl eine Laune einer verzogenen, reichen und vielleicht sittenlosen Dame? Und was ist dieser Mann? Was ist das für ein Wesen? Welcher Art ist ihr Verhältniß zu ihm? Und warum kommen alle diese Fragen ihm, Sanin, in den Kopf, den eigentlich weder Herr Polosoff noch seine Frau etwas angehen? Warum kann er dies zudringliche Bild nicht verscheuchen, selbst dann nicht, wenn er sich mit der ganzen Seele zu dem anderen, wie Gotteslicht lichten und klaren wendet? Wie wagen hinter jenen beinahe göttlichen Zügen – diese zu erscheinen? Und sie drängten sich nicht bloß durch – nein, sie lächeln frech! Diese grauen, gierigen Augen, diese Grübchen auf den Wangen, diese schlangenähnlichen Flechten – hat sich das Alles so an ihn geklebt, daß er es nicht abschütteln, es nicht von sich stoßen kann, keine Kraft dazu hat?
Unsinn! Unsinn! morgen schon verschwindet das Alles spurlos . . . Doch läßt sie ihn morgen los. . .? Allerdings . . . Er stellte sich alle diese Fragen – die Zeit um drei Uhr aber rückte heran – und er zog den schwarzen Frack an, und nachdem er im Parke ein wenig Bewegung gemacht, begab er sich zu den Polosoffs.
* *
*
Im Empfangszimmer traf er einen Legations-Secretär eines deutschen Hofes, lang, schrecklich lang blond, mit dem Profil eines Pferdekopfes und einem Scheitel am Hinterkopfe (das war damals noch neu) und – o Wunders – Herrn von Dönhof, denselben Officier, mit dem er sich vor einigen Tagen duellirt! Ihn gerade hier zu treffen hatte er nicht erwartet, er wurde ein wenig verlegen, doch grüßte er ihn.
»Die Herren sind bekannt?« fragte Maria Nikolaewna, der die Verlegenheit Sanins nicht entgangen war.
»Ja. . . ich hatte bereits die Ehre,« sagte von Dönhof, und ein wenig zu Maria Nikolaewna sich neigend, fügte er mit einem Lächeln halblaut hinzu: »Derselbe. . . ihr Landsmann . . . der Russe . . .«
»Unmöglich!« rief sie ebenfalls halblaut und drohte ihm mit dem Finger – und schickte sich sofort an, ihn zu verabschieden, ihn und den langen Secretär, welcher allen Anzeichen nach schrecklich in sie verliebt war, denn jedesmal, wenn er sie ansah, öffnete er sogar seinen Mund. Dönhof entfernte sich sofort, wie ein Freund des Hauses, der auch auf das halbe Wort versteht, was man von ihm verlangt, der Secretär versuchte sich zu sträuben, doch Maria Nikolaewna schaffte ihn ohne alle Umstände weg.
»Gehen Sie zu Ihrer regierenden Persönlichkeit,« rief Sie ihm zu (zur Zeit weilte in Wiesbaden eine Principessa aus Monaco, die ungeheuer einer schlechten Lorette ähnelte), »wozu wollen Sie bei einer solchen Plebejerin wie ich bleiben?«
»Erlauben Sie, gnädige Frau,« versicherte der unglückliche Secretär, »alle Principessen der Welt . . .
Doch Maria Nikolaewna hatte kein Erbarmen – und der Secretär mußte den Rückzug antreten, sein Scheitel gab ihm hinten das Geleite.
Maria Nikolaewna hatte sich an dem Tage sehr zu ihren Gunsten (zu ihrer Avantage hätten unsere Großmutter gesagt) gekleidet. Sie trug ein Kleid von rosenrother Seide mit Aermeln à la Tontagnes und einen großen Brillanten in jedem Ohr. Nicht matter als die Brillanten glänzten ihre Augen; sie schien guter Laune, bei Stimmung zu sein.
Sie ließ Sanin neben sich Platz nehmen und sprach mit ihm über Paris, wohin sie in wenig Tagen zu fahren beabsichtigte, über die Deutschen, die ihr langweilig geworden, wollte wahrgenommen haben, daß sie dumm seien, wenn sie klug erscheinen möchten, und unpassend klug, wenn sie Dummheiten machten – und plötzlich, gerade zu à brule pour point fragte sie ihn, ob es wahr sei, daß er sich mit demselben Officier, der hier eben gewesen, wegen einer Dame duellirt habe?
»Woher wissen Sie das?« fragte der verwunderte Sanin.
»Fama erfüllt die Welt, Dimitri Pawlowitsch, doch weiß ich auch, daß Sie Recht, tausendmal Recht hatten, und wie ritterlich ihre Haltung war. Sagen Sie, diese Dame – war ihre Braut?«
Sanin runzelte ein wenig die Stirn.
»Ich thue es nicht wieder, ich thue es nicht wieder,« rief rasch Maria Nikolaewna. »Es ist Ihnen unangenehm, verzeihen Sie mir! Ich thue es nicht wieder! Seien Sie nicht böse!« Polosoff erschien aus dem Nebenzimmer mit einer Zeitung in der Hand. – »Was ist mit Dir? oder ist das Mittagessen fertig?«
»Das Mittagessen bringt man sofort, doch höre, was ich eben da in der »Nordischen Biene« gelesen . . . Fürst Gromboj ist gestorben.«
Maria Nikolaewna hob den Kopf in die Höhe.
»Gott öffne ihm sein Himmelreich! Er that mir jedes Jahr im Monat Februar,« wandte sie sich zu Sanin, »zu meinem Geburtstage alle Zimmer mit Camelien geschmückt. Doch deshalb lohnt es sich nicht, während des Winters in Petersburg zu leben.«
»Er war über sechzig Jahre alt?« fragte sie ihren Mann.
»Allerdings.
Sein Leichenbegängniß wird in der Zeitung beschrieben. Der ganze Hof war anwesend. Hier sind auch die Verse des Fürsten Konrischkin für diesen Anlaß.«
»Das ist ja prachtvoll!«
»Willst Du« ich lese sie Dir vor? Der Fürst nennt ihn Mann des Rathes.«
»Nein, ich will sie nicht hören. Von welchem Rathe war er der Mann? Er war einfach der Mann von Fatiana Juriewna. Gehen wir essen. Der Lebende gedenkt des Lebenden. Dimitri Pawlowitsch, Ihren Arm.
* *
*
Das Mittagsessen war, wie gestern, ausgezeichnet gut; es ging sehr lebhaft bei demselben zu.
Maria Nikolaewna verstand zu erzählen . . . eine seltene Gabe, namentlich bei einer Russin! Sie war nicht wählerisch in ihren Ausdrücken, am schlechtesten kamen ihre Landsmänninnen fort. Nicht einmal mußte Sanin über manches kühne und treffende Wort lachen. Vor Allem haßte Maria Nikolaewna Bigotterie, Phrase, Lüge . . . die letzte fand sie überall.
Sie war stolz und prahlte förmlich mit jener niederen Sphäre, in der ihr Leben angefangen; theilte aus der Zeit ihrer Jugend ziemlich sonderbare Anekdoten über ihre Verwandten mit; sie nannte sich Bastschuhträgerin, gerade wie Natalia Kirilowna Narischkin. Sanin wurde es klar, daß sie in ihrem Leben, viel mehr als die große Menge ihrer Altersgenossen, erfahren haben müsse.
Polosoff aber aß bedächtig, trank aufmerksam und richtete nur selten seine weißlichen, scheinbar blinden, in Wahrheit aber sehr hell sehenden Augen bald auf Sanin, bald auf seine Frau. »Du bist wirklich mein kluges Kind!« rief Maria Nikolaewna, sich zu ihm wendend, »wie prachtvoll hast Du in Frankfurt alle meine Aufträge erfüllt! Ich möchte Dich auf das Stirnchen küssen! doch Dir ist daran nicht Viel gelegen.«
»Da hast Du Recht,« antwortete Polosoff, und zerlegte mit dem silbernen Messer eine Ananas.
Maria Nikolaewna sah ihn an und klopfte mit den Fingern auf den Tisch.
»Geht unser Pari?« rief sie bedeutungsvoll.
»Freilich.«
»Schon gut, Du wirst Verlieren.«
Polosoff streckte sein Kinn vor: »Diesmal, glaube ich, wie sehr Du auch auf Dich vertraust, wirst Du doch verlieren.«
»Worüber geht das Pari, kann man es wissen?« fragte Sanin.
»Nein . . . jetzt kann man es nicht,« antwortete Maria Nikolaewna und lachte.
Es schlug sieben Uhr. Der Kellner meldete, daß der Wagen bereit sei. Polosoff begleitete seine Frau hinaus und kehrte sofort zu seinem Sessel zurück.
»Vergiß ja nicht den Brief an den Verwalter!« rief ihm Maria Nikolaewna aus dem Vorzimmer nach.
»Beunruhige Dich nicht, ich schreibe ihm, ich bin pünktlich.«
XXXIX
Das Theater von Wiesbaden war im Jahre 1840 in seiner äußeren Erscheinung schäbig, die Schauspieler aber erhoben sich durch ihre phrasenhafte und klägliche Mittelmäßigkeit, durch ihre gewissenhafte und fade Routine um keine Haarbreite über das Niveau, das man selbst jetzt noch als Regel für alle deutschen Bühnen geltend annehmen muß und als dessen Vollkommenheit in allerletzter Zeit die Truppe von Karlsruhe unter der »berühmten« Leitung von Devrient erschien. Hinter der Loge, die »Ihre Durchlaucht Frau von Polosoff« einnahm (Gott weiß, wie der Kellner sie zu verschaffen gewußt, er hat doch nicht am Ende den Stadt-Director bestochen), befand sich ein Vorzimmerchen, dessen Seiten mit kleinen Sophas vollständig besetzt waren; ehe Maria Nikolaewna in dasselbe hineintrat, bat sie Sanin, die kleinen Schirme an der Brüstung, welche die Lage vom Theatersaale abzusondern bestimmt sind, hinaufzuheben.
»Ich will nicht, daß man mich sieht, sagte sie. »sonst drängen sich Alle herein.« Auch Sanin ließ sie neben sich, den Rücken dem Saale zugekehrt, Platz nehmen, so daß die Lage ganz leer zu sein schien.
Das Orchester spielte die Ouvertüre aus Figaros Hochzeit . . . der Vorhang erhob sich, das Stück begann.
Es war eines der zahlreichen heimathlichen Erzeugnisse, in denen belesene, doch talentlose Schriftsteller in gesuchtester, doch einer Sprache ohne alles Leben, gewissenhaft aber ungeschickt, eine »tiefe« oder »zeitgemäße« Idee durchzuführen versuchten, den sogenannten tragischen Conflict darstellten und . . . Langeweile erzeugten . . . eine asiatische Langeweile, wie es auch eine asiatische Cholera gibt. Maria Nikolaewna hörte die Hälfte des ersten Actes mit Geduld an, als aber der erste Liebhaber (er trug einen braunen Rock mit gebauschten Aermeln und Plüschkragen eine gestreifte Weste mit Perlenmutterknöpfen, grüne Hosen mit Strippen von lackirtem Leder und weiße Waschlederhandschuhe), die Treulosigkeit seiner Geliebten erfahrend, die Fäuste auf die Brust stemmte, die Ellenbogen in schiefem Winkel nach vorn pressend, und nicht anders als eine Hand wechselte – da hielt es Maria Nikolaewna nicht länger aus.
»Der schlechteste französische Schauspieler in der letzten Provinzialstadt spielt natürlicher und besser als die erste deutsche Bühnenberühmtheit!« rief sie mit Unwillen und setzte sich in das Hinterzimmer – »kommen Sie hierher,« wandte sie sich zu Sanin, mit der Hand in ihrer Nähe auf das Sopha klopfend – »lassen Sie uns plaudern.«
Sanin gehorchte.
Maria Nikolaewna schaute ihn an. »Man kann Sie ja, wie ich sehe, um den Finger wickeln! Ihre Frau wird es gut bei Ihnen haben. Dieser Possenreißer,« fuhr sie fort, mit ihrem Fächer auf den winselnden Schauspieler (er stellte einen Hauslehrer vor) zeigend, hat mich an meine Jugend erinnert; auch ich war in einen Hauslehrer verliebt. Das war meine erste . . . nein, meine zweite Leidenschaft. Das erste Mal habe ich mich in einen Kirchendiener im Donschen Kloster zu Moskau verliebt. Er trug ein sammtenes Untergewand, parfümirte sich mit eau de lavande; mit dem Räucherfaß sich durch die Menge drängend, sagte er zu den Damen: pardon, excusez und erhob nie die Augen, seine Augenwimpern aber waren – so lang!« Maria Nikolaewna theilte mit dem Nagel ihres Zeigefingers die größte Hälfte ihres kleinen Fingers ab und zeigte das so gebildete Maß Sanin. »Mein Lehrer hieß Monsieur Gaston. Ich muß Ihnen sagen, daß er ein sehr gelehrter und strenger Mann war, ein Schweizer, mit solch energischem Gesichte! Pechschwarzer Backenbart, griechisches Profil, die Lippen wie aus Eisen gegossen! Ich hatte Angst vor ihm. In meinem ganzen Leben habe ich mich bloß vor diesem Menschen gefürchtet. Er war eigentlich der Lehrer meines Bruders, der nachher gestorben ist – er ist ertrunken. Eine Zigeunerin hat auch mir einen gewaltsamen Tod prophezeit, doch das ist Unsinn. Daran glaube ich nicht. Stellen Sie sich doch Hippolyt Sidoritsch mit einem Dolche vor?! . . .«
»Man braucht nicht gerade durch einen Dolch zu sterben,« bemerkte Sanin.
»Das Alles ist Unsinn! Sind Sie abergläubisch? Ich – nicht im Geringsten. Was aber geschehen soll, dem entgeht man nicht. Monsieur Gaston wohnte in unserem Hause, gerade über mir. Manchmal wachte ich in der Nacht auf und hörte seine Tritte – er legte sich sehr spät schlafen – und mein Herz erstarb in Ehrfurcht . . . oder in einem anderen Gefühle. Mein Vater konnte kaum lesen und schreiben, doch uns gab er eine prachtvolle Erziehung. Wissen Sie, daß ich Latein verstehe?«
»Sie? Latein?«
»Ja, ich. Mich hat es Monsieur Gaston gelehrt. Ich habe mit ihm die Aeneide gelesen. Es ist sehr langweilig, doch einige Stellen sind prachtvoll. Erinnern Sie sich, wie Dido mit Aeneas im Walde . . . «
»Ja, ja, freilich, ich erinnere mich,« unterbrach sie hastig Sanin. Er selbst hatte schon längst sein Latein vergessen und nur einen schwachen Begriff von Aeneide.
Maria Nikolaewna blickte ihn an, nach ihrer Gewohnheit ein wenig von der Seite und von unten. »Glauben Sie jedoch nicht, daß ich allzu gelehrt sei. Ach, mein Gott! nein, ich bin nicht gelehrt und habe durchaus keine Talente. Ich kann selbst kaum schreiben . . . wirklich; laut lesen kann ich gar nicht; weder Pianospielen, noch malen, noch nähen – rein gar Nichts! So bin ich – da haben Sie mich ganz!«
Sie breitete die Hände auseinander.
»Ich erzähle Ihnen dies Alles,« fuhr sie fort, »erstens um jene Narren nicht anzuhören (sie zeigte auf die Bühne, wo statt des Schauspielers eine Schauspielerin jammerte, ebenfalls mit nach vorne gerichtetem Ellenbogen), und zweitens weil ich noch eine kleine Schuld an Sie habe, gestern haben Sie mir von Ihnen erzählt . . . «
»Sie beliebten mich zu fragen,« bemerkte Sanin.
Maria Nikolaewna wandte sich plötzlich nach ihm um. »Und Sie wollen nicht erfahren, was für eine Frau ich eigentlich bin? Uebrigens das wundert mich nicht,« fügte sie hinzu, sich wieder an den Sopha-Rücken lehnend. »Der Mensch will heirathen, und zwar aus Liebe nach einem Duell . . . Wie soll er da an etwas Anderes denken . . .?«
Sie wurde nachdenkend und begann mit ihren starken, doch gleichmäßigen, milchweißen Zähnen am Schafte des Fächers zu nagen.
Sanin aber schien es, daß der Dunst, von dem er bereits den zweiten Tag sich nicht befreien konnte, ihm wieder zu Kopfe steige.
Das Gespräch zwischen ihm und Maria Nikolaewna wurde halblaut, fast flüsternd geführt – und dies erregte und reizte ihn noch mehr. Wann wird das Alles enden?
Schwache Leute beendigen nie etwas selbst – sie warten stets auf das Ende.
Auf der Bühne nieste Jemand; dieses Riesen war vom Autor als das komische Moment oder Element in sein Stück hereingetragen; ein weiteres komisches Element gab es darin freilich nicht; die Zuschauer begnügten sich mit diesem Moment und lachten.
Dieses Lachen regte Sanin ebenfalls auf.
Es gab Augenblicke, in denen er thatsächlich nicht wußte, ob er ärgerlich sei oder sich freue, Langeweile fühle oder sich belustigt. O, wenn Gemma ihn gesehen hätte!
* *
*
»Das ist wirklich sonderbar,« sing plötzlich Maria Nikolaewna an. »Der Mensch eröffnet Einem, und zwar mit der ruhigsten Stimme: Ich habe die Absicht zu heirathen, und doch sagt Niemand ruhig: Ich habe, die Absicht, mich ins Wasser zu werfen. Und trotzdem – wo ist der Unterschied? Es ist sonderbar.«
Sanin wurde ärgerlich. »Der Unterschied ist gewaltig, Maria Nikolaewna! Mancher ist auch ohne alle Angst vor dem Sprung ins Wasser: er kann eben schwimmen; und überdies . . . was die Sonderbarkeit der Ehen betrifft . . . wenn es sich darum handelt . . . «
Er brach plötzlich ab und biß sich auf die Lippen.
Maria Nikolaewna schlug mit dem Fächer auf die Hand.
»Sprechen Sie sich aus, sprechen Sie sich aus, Dimitri Pawlowitsch – ich weiß, was Sie sagen wollen. »»Wenn es sich darum handelt, gnädige Frau Maria Nikolaewna,«« wollten Sie sagen, »»Sonderbareres als Ihre Ehe kann man sich nicht leicht vorstellen . . . Ihren Gemahl kenne ich ja seit Langem, seit seiner Jugend!« Das wollten Sie sagen, Sie, der zu schwimmen versteht!«
»Erlauben Sie,« fing Sanin an.
»Ist es nicht wahr? Ist es nicht so?« rief Maria Nikolaewna mit Nachdruck. »Sehen Sie mir in die Augen und sagen Sie, daß ich gelogen habe!«
Sanin wußte nicht, was er mit seinen Augen anfangen sollte. »Meinetwegen es ist wahr, wenn Sie es durchaus verlangen,« sagte er endlich.
Maria Nikolaewna schüttelte den Kopf. »So ist es besser. Nun, und Sie fragen sich nicht, Sie, der zu schwimmen weiß, was der Grund einer so . . . sonderbaren Handlungsweise . . . bei einer Frau, die nicht arm . . . und nicht häßlich. . . und nicht dumm sein kann? Das interessirt Sie nicht? Mag sein; doch einerlei, ich sage Ihnen den Grund nicht jetzt, aber sobald der Zwischenact beendigt sein wird. Ich bin fortwährend in Unruhe, daß Jemand zu uns hereinkomme . . .«
Maria Nikolaewna hatte nicht Zeit, das letzte Wort auszusprechen, als sich in die Loge ein rother, ölig- schweißiger, zwar junger, doch zahnloser Kopf mit flachem, langem Haar, herabhängender Nase, ungeheuren Ohren wie bei einer Fledermaus, mit goldener Brille über den stampfen, aber neugierigen, kleinen Augen und mit einem pince-nez über der Brille, durch die Thür hineindrängte. Der Kopf schaute sich um, bemerkte Maria Nikolaewna, versuchte sich ein anständiges Aeußere zu geben, nickte . . . Ein muskulöser Hals war im Begriff, dem Kopfe zu folgen . . .
Maria Nikolaewna schwenkte mit dem Taschentuch diese Erscheinung ab. »Ich bin nicht zu Hause, Herr P . . .! Ich bin nicht zu Hause . . . ksch, ksch!«
Der Kopf zeigte Staunen, lachte gezwungen, rief weinerlich, List äffend, zu dessen Füßen ihr Besitzer einst herumgekrochen: »Sehr gut! sehr gut!« und verschwand.
»Was ist das für ein Subject? « fragte Sanin.
»Dies? Der Kritiker von Wiesbaden Ein Literat oder Lohnlakei, wie Sie wollen. Er ist vorn hiesigen Pächter gemiethet und dazu verpflichtet, Alles zu loben, über Alles entzückt zu sein, obgleich er selbst an widerwärtiger Galle leidet, die er nicht einmal zum Vorschein dringen darf. Ich habe Angst, er ist ein schrecklicher Klatscher, er läuft sofort herum, zu erzählen, daß ich im Theater bin. Doch einerlei.«
Das Orchester spielte einen Walzer. Der Vorhang erhob sich. Auf der Bühne ging wieder die Gliederverrenkung und das Gewinsel los.
»Nun,« fing Maria Nikolaewna an, sich wieder auf das Sopha niederlassend, »du Sie einmal gefangen sind und mit mir sitzen müssen, statt sich an der Gegenwart ihrer Braut zu erquicken . . . rollen Sie nicht Ihre Augen und seien Sie nicht zornig, ich verstehe Sie und habe Ihnen bereits versprochen, Sie nach allen vier Weltrichtungen zu entlassen, doch hören Sie jetzt meine Beichte an. Wollen Sie wissen, was ich am meisten liebe?«
»Die Freiheit,« flüsterte ihr Sanin zu.
Maria Nikolaewna legte ihre Hand auf die seinige.
»Ja, Dimitri Pawlowitsch,« rief sie, und ihre Stimme erklang ganz sonderbar, so zweifellos aufrichtig und ernst, »die Freiheit am meisten und vor Allem! Und glauben Sie nicht, daß ich damit prahle – darin liegt nichts Löbliches – es ist eben so, war so und wird so für mich bleiben bis zu meinem Tode. In meiner Jugend habe ich wohl zu viel von der Knechtschaft gesehen und zu viel von ihr gelitten. Auch mein Lehrer Monsieur Gaston hat mir die Augen geöffnet . . . Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum ich Hippolyt Sidoritsch geheirathet habe; mit ihm bin ich frei, ganz frei, frei wie die Luft, wie der Wind . . . Und das wußte ich vor der Hochzeit, ich wußte, daß ich mit ihm ein freier Kosak sein würde!«
Maria Nikolaewna schwieg einen Augenblick und warf den Fächer zur Seite. »Ich will Ihnen noch Eines sagen: ein wenig zu denken liebe ich auch, das ist lustig und wir haben auch den Verstand dazu; doch über die Folgen von dem, was ich selbst gethan, denke ich nie nach, und wenn es gilt, da schone ich mich nicht – aber auch nicht so viel – es lohnt sich nicht. Ich habe eine Redensart: »cela ne tire pas à conséquence?« – Eine Rechenschaft wird man ja hier – auf dieser Erde – von mir nicht verlangen, und dort (sie hob der Finger in die Höhe) nun dort mag man mit mir schalten, wie man will. Wenn man mich dort richten wird, so werde ich nicht mehr ich sein . . . Sie hören mich an? Sie langweilen sich nicht?«
Sanin saß niedergebückt. Er erhob den Kopf.
»Ich langweile mich nicht, Maria Nikolaewna, und höre neugierig zu. Doch . . . um es zu gestehen . . . ich frage mich, wozu Sie mir dies Alles erzählen?«
Maria Nikolaewna rückte auf dem Sopha ein wenig ihm näher. – »Sie fragen sich? . . . Können Sie so schlecht rathen? Oder sind Sie so bescheiden?«
Sanin hob den Kopf noch höher.
»Ich sage Ihnen dies Alles,« fuhr Maria Nikolaewna in ruhigem Tone fort, dem übrigens ihr Gesichts-Ausdruck nicht völlig entsprach, »weil Sie mir sehr gefallen; ja, wundern Sie sich nicht, ich scherze nicht; weil es mir unangenehm wäre, wenn Sie, nach dem Zusammentreffen mit mir, eine schlechte Erinnerung an mich behalten würden. . . vielleicht auch gerade keine schlechte – das wäre mir gleichgültig, aber eine unrichtige. Deshalb habe ich Sie auch hierher gelockt, bleibe hier mit Ihnen unter vier Augen und spreche mit Ihnen so aufrichtig . . . ja, ja, so aufrichtig. Ich lüge nicht. Und bedenken Sie, Dimitri Pawlowitsch, daß ich weiß, daß Sie in eine Andere verliebt sind, daß Sie die Absicht haben, sie zu heirathen . . . Erkennen Sie doch meine Uneigennützigkeit an! Uebrigens, da haben Sie Ihrerseits die Gelegenheit: cela ne tire pas à conséquence zu rufen!«
Sie lachte, doch hörte ihr Lachen plötzlich auf und sie blieb regungslos, als hätten ihre eigenen Worte sie stutzig gemacht – in ihren gewöhnlich so lustigen und kecken Augen aber zeigte sich etwas wie Schüchternheit, ja wie Gram.
»Schlange! ach, eine Schlange ist sie!« dachte Sanin unterdessen, »doch welch’ schöne Schlange!«
»Geben Sie mir meine Lorgnette,« sagte Maria Nikolaewna. »Ich will sehen, ob diese jeune Prämière wirklich so häßlich ist. Man könnte bei Gott glauben, die Regierung habe sie aus Gesichtspunkten der Moral eingestellt, damit die jungen Leute nicht allzusehr hingerissen werden.«
Sanin reichte ihr die Lorgnette; indem sie aber ihm dieselbe abnahm, faßte sie rasch und kaum fühlbar mit beiden Händen die Hand Sanins.
»Machen Sie doch kein so ernstes Gesicht,« flüsterte sie mit einem Lächeln. »Wissen Sie was: man kann mir keine Ketten auferlegen, doch auch ich will keine auferlegen. – Ich liebe die Freiheit und erkenne keine Pflichten an – doch nicht für mich allein. Jetzt aber machen Sie mir ein wenig Platz und lassen Sie uns das Stück anhören.«
Maria Nikolaewna richtete die Lorgnette auf die Bühne. Sanin blickte ebenfalls dahin, neben ihr sitzend, im Halbdunkel der Lage; er athmete ein, athmete unwillkürlich die Wärme und den Duft ihres üppigen Körpers ein und suchte ebenso unwillkürlich sich in seinem Kopfe Alles, was sie ihm an diesem Abend gesagt hatte, zu Recht zu legen, namentlich die Worte der letzten Minuten.