Kitabı oku: «Frühlingsfluthen», sayfa 13
XLIII
Daran erinnerte sich Sanin, als er in der Stille s eines Arbeitszimmers in seinen alten Papieren wühlend, unter ihnen das kleine Kreuz aus Granaten gefunden hatte. Die von uns erzählten Ereignisse stellten sich in ihrer Folge klar seinem seelischen Blicke dar . . . Doch zu dem Punkte derselben angelangt, da er in erniedrigender Weise Frau Polosoff angefleht, da er sich zu ihren Füßen geworfen, da seine Sclaverei ihren Anfang hatte – da wandte er sich von den hinaufbeschworenen Bildern ab, wollte sich nicht mehr daran erinnern. Nicht daß das Gedächtniß ihn im Stiche gelassen hätte – o nein! er wußte, er wußte nur zu genau, was diesem Augenblicke gefolgt war, doch die Schande würgte ihn – selbst jetzt noch, nach Verlauf so vieler Jahre. Er hatte Angst vor jenem Gefühl unüberwindlichen Ekels vor sich selbst, welches, daran konnte er nicht zweifeln, ihn sicher erfüllen, wie mit einer Welle alle anderen Eindrücke wegschwemmen würde, wenn es ihm nicht gelinge, seinem Gedächtnisse Schweigen aufzuerlegen. Doch wie sehr er sich auch von den aufdrängenden Erinnerungen abwandte, er vermochte nicht, sie gänzlich verstummen zu lassen. Er erinnerte sich an den elenden, weinerlichen, lügenhaftem widerlichen Brief, den er Gemma geschrieben, und der ohne Antwort blieb. – Vor ihr zu erscheinen, zu ihr zurückzukehren – nach solchem Betruge, nach solchem Verrathe – nein! nein! dafür besaß er doch noch zu viel Gewissen, zu viel Ehrlichkeit. Ueberdies hatte er ja jedes Vertrauen auf sich, jede Achtung vor sich selbst verloren; für nichts mehr wagte er einzustehen. Sanin erinnerte sich, wie er darauf – o Schande! – den Diener Polosoffs nach Frankfurt geschickt, um seine Sachen zu holen, wie er Angst gehabt, wie er nur daran gedacht, schnell nach Paris, nach Paris abzureisen; wie er auf den Befehl von Maria Nikolaewna sich an Hippolyt Sidoritsch herangemacht, sich bei ihm eingeschmeichelt – den Liebenswürdigen mit von Dönhof gespielt, an dessen Finger er einen; dem ihm von Maria Nikolaewna überreichten,, ähnlichen eisernen Ring bemerkt hatte!!! Die Erinnerungen, die weiter folgten, waren noch schimpflicher, noch schmählicher. . . Der Kellner überreicht ihm eine Visitenkarte, und darauf steht der Name Pantaleone Cippatola, Hofopernsänger S.K.H. des Herzogs von Modena! Er verbirgt sich vor dem Alten, doch kann er einer Begegnung mit ihm auf dem Corridor nicht entgehen – und es erscheint vor ihm das aufgeregte Gesicht unter dem in die Höhe gerichteten grauen Schopfe; es glühen wie Kohlen die altersschwachen Augen, er hört drohende Ausrufe und Verwünschungen: Maledizione! Sogar die schrecklichen Worte: Codardo! Infame traditore! werden vernehmbar. Sanin drückte die Augen zu, schüttelte den Kopf, wendet sich immer von neuem ab – und stets sich im bequemen Reisewagen auf dem schmalen Vorderplatze sitzend . . . auf den hinteren, bequemen Plätzen sitzt Maria Nikolaewna und Hippolyt Sidoritsch – ein Viergespann zieht im gleichmäßigen Trabe den Wagen über die Straßen Wiesbadens – nach Paris! nach Paris! Hippolyt Sidoritsch ißt eine Birne, die Sanin für ihn abgeschält hat; Maria Nikolaewna aber blickt ihn an – und lächelt ihm zu mit jenem, ihm, dem Geknechteten, bekannten Lächeln des Eigenthümers, des Gebieters.
Doch, Gott! dort an der Straßenecke – nicht weit vom Ende der Stadt – steht nicht Pantaleone da – und wer ist mit ihm? Ist es wirklich Emilio? Ja, da ist er, jener begeisterte, ihm ergebene Knabe! Wie lange ist es her, daß sein junges Herz in Andacht bebte vor seinem Helden, vor seinem Ideal, und jetzt spricht sein bleiches, schönes – so schönes Gesicht, daß Maria Nikolaewna ihn bemerkt und aus dem Wagenfenster herausblickt – dies edle Gesicht glüht von Zorn und Verachtung; die Augen – jenen Augen so ähnlich – starren Sanin an, und die Lippen pressen sich zusammen. . . und öffnen sich dann für Beleidigungen . . .
Pantaleone aber erhebt die Hand und zeigt auf Sanin – wem? dem daneben stehenden Tartaglia, und Tartaglia bellt Sanin an – und das Gebell des ehrlichen Hundes klingt wie unerträgliche Beleidigung! . . .
O, wie widerlich!
Und dann das Leben in Paris – und alle Erniedrigungen, alle ekelhaften Qualen eines Sclaven, dem weder Eifersucht noch Klagen erlaubt sind und den man endlich wie abgetragene Kleidung wegwirft . . .
Dann Rückkehr nach dem Vaterlande, vergiftetes, verödetes Leben, kleinliches Abmühen, kleinliche Beschäftigungen, bittere und fruchtlose Reue und ebenso fruchtloses und bitteres Vergessen, keine sichtbare, aber beständige und immerwährende Strafe, wie ein unbedeutender aber unheilbarer Schmerz, wie das pfenningweise Bezahlen einer Schuld, deren Höhe man nicht berechnen kann . . .
Der Kelch war überfüllt – genug!
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Auf welche Weise hat sich das Kreuz bei ihm erhalten, das Gemma Sanin gegeben, warum hat er es nicht zurückgegeben, wie ist es gekommen, daß er vor diesem Tage es nie aufgefunden hat? Lange, lange saß er in Gedanken – und bereits von der Erfahrung belehrt, konnte er nach so viel Jahren doch nicht begreifen, wie er Gemma, die er so zart und leidenschaftlich geliebt, für eine Frau verlassen konnte, für die er keine Liebe empfunden . . . Am nächsten Tage setzte er alle seine Freunde und Bekannten in Erstaunen: er erklärte ihnen, daß er ins Ausland reise. Man wußte in der Gesellschaft nicht, was man darüber denken solle. Sanin verließ Petersburg mitten in der Wintersaison, nachdem er eben eine prachtvolle Wohnung gemiethet und eingerichtet, nachdem er sogar sich in der italienischen Oper abonnirt hatte, in welcher Frau Patti – Patti selbst, Patti in Person mitwirkte. Die Freunde und Bekannten wußten nicht, was sie denken sollten, doch ist es den Leuten nicht eigen, sich lange um fremde Angelegenheiten zu kümmern, und als Sanin ins Ausland fuhr, erschien an dem Bahnhofe, um ihm Lebewohl zu sagen, bloß ein französischer Schneider, und zwar nur in der Hoffnung, eine unbezahlte Rechnung pour un sout en barque en relour noir, tout a fait chic bezahlt zu bekommen.
XLIV
Sanin sagte seinen Freunden, daß er ins Ausland reise – doch er sagte nicht wohin; der Leser wird leicht errathen, daß er grade nach Frankfurt fuhr. Dank der überall entstandenen Eisenbahnen, traf er bereits vier Tage nach der Abfahrt aus Petersburg dort ein. Er hatte Frankfurt seit 1840 nicht mehr berührt. Der Gasthof zum »Weißen Schwan« stand an derselben Stelle und blühte, wenn auch nicht mehr als Hotel ersten Ranges. Die Zeil, die Hauptstraße Frankfurts, hatte sich wenig verändert, doch nicht allein vom Hause der Frau Roselli – selbst von der Straße, in der sich ihre Conditorei befunden hatte, war keine Spur mehr vorhanden. Sanin irrte wie ein Wahnsinniger auf den einst ihm so bekannten Plätzen umher und konnte Nichts wieder erkennen; die früheren Bauten waren verschwunden, an ihrer Stelle standen jetzt neue Straßen, in denen sich ungeheuere dicht neben einander gelegene Häuser und elegante Villen reihten; selbst der öffentliche Garten, in dem sein erstes und letztes Stelldichein mit Gemma stattgefunden, war so emporgewachsen, hatte sich so verändert, daß Sanin sich fragen mußte, ob das wirklich derselbe Garten sei? Wie und wo soll er Erkundigung einziehen? An wem er sich auch wenden mochte – Niemand kannte selbst den Namen Roselli; der Wirth seines Gasthauses rieth ihm, sich nach der öffentlichen Bibliothek zu bemühen: dort werde er alle alten Zeitungen finden, doch welchen Nutzen er daraus ziehen könnte – darüber wußte er selbst keine Erklärung zu geben. Sanin erkundigte sich aus Verzweiflung nach Herrn Klüber. Dieser Name war dem Wirth gut bekannt, doch auch hier erfolgte ein Mißerfolg. Der elegante Commis, nachdem er Aufsehen erregt und zu der Höhe eines Capitalisten emporgestiegen war – hatte sich verspeculirt, Bankerott gemacht – und war im Gefängniß gestorben. . . Uebrigens verursachte diese Nachricht Sanin nicht die geringste Trauer. Er fing bereits seine Reise für ein wenig unbedacht zu halten an. . . Doch als er das Frankfurter Adreßbuch durchblätterte, stieß er auf den Namen von Dönhof, Major a. D. Er nahm sofort einen Wagen und fuhr nach dessen Wohnung. Warum aber dieser Dönhof durchaus jener Dönhof sein mußte und warum selbst jener Dönhof ihm Nachrichten über die Familie Roselli geben könnte? das fragte er sich nicht. Einerlei, der Ertrinkende greift nach einem Strohhalme.
Sanin traf den Major a. D. zu Hause und erkannte sofort in den ihn empfangenden älteren Herrn seinen früheren Gegner. Auch dieser erkannte ihn und drückte sogar Freude über sein Erscheinen aus; es erinnerte ihn an seine Jugend – an seine Jugendstreiche. Sanin erfuhr von ihm, daß die Familie Roselli schon längst nach Amerika, und zwar nach New-York ausgewandert sei, daß Gemma einen Kaufmann geheirathet habe, daß übrigens er, von Dönhof, einen Bekannten, ebenfalls einen Kaufmann habe, dem wahrscheinlich die Adresse ihres Gatten bekannt sei, da dieser in vielfachen Geschäftsverbindungen mit Amerika stehe. Sanin bat Dönhof zu diesen Kaufmann zu gehen – und – o Freude! von Dönhof brachte ihm die Adresse von Gemmas Manne Mr. Slocum, New-York, Brondway Nr- 501. – Leider stammte diese Adresse noch aus dem Jahre 1863.
»Wir wollen hoffen,« rief von Dönhof, »daß unsere einstige Frankfurter Schönheit noch lebe und New-York nicht verlassen habe! Doch sagen Sie mir bei dieser Gelegenheit,« fügte er hinzu, »wissen Sie nicht, was jene Russin macht, erinnern Sie sich, damals in Wiesbaden – Frau von Bo. . . Bo. . . von Bolosoff – lebt sie noch?«
»Nein,« antwortete Sanin »sie ist längst gestorben.«
Dönhof erhob die Augen – doch als er sah, daß Sanin sich abwandte und finster wurde – fügte er kein Wort mehr hinzu – und entfernte sich bald.
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Noch an demselben Tage schickte Sanin einen Brief nach New-York an Frau Gemma Slocum. In diesem Briefe hob er hervor, daß er ihr aus Frankfurt schreibe, wohin er nur um ihre Spuren aufzusuchen gekommen sei, daß er sich vollkommen bewußt sei, wie wenig er Recht habe, eine Antwort von ihr zu erhoffen, daß er durch gar nichts ihre Verzeihung verdient habe und nur Eines wünsche: daß in den glücklichen Verhältnissen, von welchen sie jetzt umgeben, sie seine Existenz längst vergessen habe. Er fügte hinzu, daß er in Folge eines zufälligen Umstandes, der allzu mächtig die Gebilde der Vergangenheit in ihm wachgerufen, sie an ihn zu erinnern gewagt habe; er erzählt ihr sein einsames Familien- und freudenloses Leben; er beschwor sie, jene Gründe zu verstehen, die ihn sich an sie zu wenden nicht zugelassen, daß die bittere Erkenntniß seiner Schuld – die lange schwer gebüßt und noch nicht vergeben sei – ihm in das Grab folge; und ihn, wenn auch mit einer kurzen Nachricht, wie es ihr in der neuen Welt, in die sie sich entfernt habe, ergehe, zu erfreuen.
»Wenn Sie mir nur ein Wort schreiben,« – so schloß Sanin seinen Brief – »werden Sie eine gute That vollbringen, die Ihrer edlen Seele würdig ist – und ich werde Ihnen dankbar sein bis zu meinem letzten Athemzuge. Ich bin hier im Gasthaus zum »weißen Schwan« (diese Worte unterstrich er) abgestiegen und werde Ihre Antwort bis zum Frühling erwarten.«
Er schickte diesen Brief ab und fing zu warten an. Ganze sechs Wochen lebte er im Gasthause und verließ während dieser Zeit sein Zimmer beinahe nie, und da sah er Niemand, Niemand konnte ihm weder aus Rußland noch anders woher schreiben, und das war ihm gerade recht. Kommt doch ein Brief an seine Adresse an, so weiß er, daß es der ist, den er erwartet. Er las vom frühen Morgen bis in die Nacht, und zwar nicht Journale, sondern ernste Bücher, meistens Geschichtswerke. Dies anhaltende Lesen, dies Schweigen, dieses schneckenartige, zurückgezogene Leben entsprach vollkommen seiner Gemüthsstimmung. »Schon dafür tausend Dank an Gemma! Doch lebt sie noch? Wird sie antworten?«
Endlich kam ein Brief mit amerikanischem Poststempel aus New-York an ihn an . . . Die Handschrift auf dem Couvert war englisch . . . er kannte sie nicht, und sein Herz zog sich schmerzlich zusammen. Nicht mit einem Mal entschloß er sich, den Brief zu öffnen. Er blickte auf die Unterschrift: Gemma! Die Thränen brachen ihm hervor; schon der Umstand, daß sie sich mit bloßem Namen ohne Familiennamen zeichnete, war ihm eine Bürgschaft der Versöhnung, der Verzeihung! Er öffnete das feine blaue Briefpapier – eine Photographie glitt aus demselben.
Er hob sie rasch auf und war außer sich: Gemma, die leibhaftige Gemma, jung, so wie er sie vor dreißig Jahren gekannt hattet Dieselben Augen, dieselben Lippen, dieselbe Bildung des ganzen Gesichtes! Auf der Kehrseite der Photographie stand: »Meine Tochter Marianna«. Der ganze Brief war sehr freundlich und einfach. Gemma dankte Sanin, daß er sich nicht bedacht, sich an sie zu wenden, daß er Vertrauen zu ihr gehabt habe; sie verheimlichte ihm nicht, welch’ schwere Tage sie nach seiner Flucht verlebt habe, sie fügte hinzu, daß sie trotzdem ihr Begegnen mit ihm als ein Glück für sie betrachte und stets betrachtet habe, daß dieses Begegnen sie verhindert habe, Frau Klüber zu werden, und auf diese Weise, wenn auch nur mittelbar, die Ursache ihrer jetzigen Ehe geworden sei, in der sie jetzt bereits achtundzwanzig Jahre vollkommen glücklich, in Zufriedenheit und Ueberfluß lebe: ihr Haus sei in ganz New-York bekannt. Gemma theilte Sanin mit, daß sie fünf Kinder habe – vier Söhne und eine achtzehnjährige Tochter – Letztere bereits Braut, deren Photographie sie ihm hiermit beifüge, weil sie nach allgemeinem Urtheil ihrer Mutter gleiche. Die betrübenden Nachrichten hatte Gemma zuletzt aufgespart: Frau Lenore war in New-York gestorben, wohin sie ihrer Tochter und Schwiegersohn gefolgt, doch hatte sie sich noch am Glücke ihrer Kinder erfreuen, ihre Enkel wiegen können; Pantaleone hatte sich ebenfalls nach Amerika begeben wollen, doch war er kurz vor der Abreise aus Frankfurt gestorben. »Und Emilio, unser lieber, unvergleichlicher Emilio ist ruhmvollen Todes im Kampfe für die Befreiung des Vaterlandes in Sicilien gestorben, wohin er sich in der Zahl der »Tausend«, die der große Garibaldi führte, begeben.« Dann drückte Gemma ihr Bedauern aus, daß das Leben für Sanin, wie es schiene, einen so schlimmen Verlauf genommen, wünschte ihm vor Allem Ruhe und Seelenfrieden und sagte ihm, es würde ihr Freude machen, ihn wiederzusehen – sie wisse freilich, wie wenig wahrscheinlich ein solches Wiedersehen sei. . .
Wir unternehmen es nicht, die Gefühle zu beschreiben, die Sanin beim Lesen dieses Briefes bewegten. Für solche Gefühle gibt es keine entsprechenden Ausdrücke, sie sind tiefer, stärker und unbestimmter als jedes Wort. Die Musik allein könnte sie wiedergeben.
Sanin antwortete sofort und schickte als Brautgeschenk an Marianna Slocum vom unbekannten Freunde – das Kreuz aus Granaten, das er an ein prachtvolles Perlencollier befestigen ließ. Dies Geschenk, wenn auch sehr kostspielig, ruinirte ihn nicht; im Laufe der dreißig Jahre, die seit seinem ersten Aufenthalt in Frankfurt verflossen, war es ihm geglückt, ein ziemlich beträchtliches Vermögen zu sammeln. In den ersten Maitagen kehrte er nach Petersburg zurück – doch schwerlich für lange Zeit. Man hört, er verkaufe alle seine Gitter und wolle nach Amerika gehen.