Kitabı oku: «Frühlingsfluthen», sayfa 7
XXV
Im Laufe beinahe kehrte Sanin nach seiner Wohnung zurück. Er fühlte, er erkannte, daß nur hier, nur mit sich allein, ihm endlich klar werden würde, was eigentlich mit ihm vorgehe? Und wirklich kaum hatte er sich Zeit genommen, in sein Zimmer zu treten und sich zum Schreibtische zu setzen, als er sich auf denselben Tisch mit beiden Ellbogen stützend und mit beiden Händen das Gesicht bedeckend, dumpf und kummervoll ausrief: »Ich liebe sie, liebe sie wahnsinnig!« – und plötzlich loderte er förmlich auf, wie eine Kohle, von der man die sie bedeckende Schicht toter Asche wegbläst. Noch ein Augenblick – und er war nicht im Stande zu begreifen, wie es ihm; nebst Ihr zu sitzen, möglich gewesen . . . neben ihr! Mit ihr-zusprechen und nicht zu fühlen, daß er den Rand ihres Kleides, sogar vergötterte, daß er im Stande sei, nach dem Ausdruck der jungen Leute, – zu ihren Füßen zu sterben. Das letzte Zusammentreffen im Garten hatte Alles entschieden.
»Wenn er jetzt an sie dachte, – so erschien sie ihm nicht mehr mit durcheinander geworfenen Locken im Sternenglanze, nein, er sah sie auf der Bank sitzen, er sah, wie sie mit einer schnellen Bewegung ihren Hut zurückwirft und ihn so zutraulich anblickt . . . und das Beben und das Schmachten der Liebe durchliefen alle seine Adern. Er dachte an die Rose, welche er bereits den dritten Tag in seiner Tasche trug; er ergriff sie und preßte sie mit solcher fieberhaften Gluth an seine Lippen, daß sich dieselben schmerzhaft verzogen. Jetzt dachte er über gar nichts, rechnete auf nichts, sah nichts vorher; er hatte sich von aller Vergangenheit getrennt, war vorwärts gesprungen: vom trostlosen Ufer seines einsamen – Junggesellenlebens hatte er sich in den jungen, lustigen, brausenden, mächtigen Strom geworfen – es ist ihm gleich, er will nicht wissen, wohin ihn der Strom führen, ob er ihn an einem Felsen zerschellen lassen wird. Das sind nicht die friedlichen Fluthen der Romanze von Uhland, die ihn unlängst einwiegten . . . Das sind mächtige, unbezwingbare Wellen! Sie drängen und wogen vorwärts – und er fliegt mit ihnen!
Er nahm einen Briefbogen und schrieb, ohne etwas auszustreichen, beinahe ohne die Feder abzusetzen, Folgendes:
»Theure Gemma!«
»Sie wissen, welchen Rath ich ertheilen unternommen habe. Sie wissen, was Ihre Mutter wünscht, und um was sie mich gebeten hat, – doch was sie nicht kennen, und was ich Ihnen jetzt sagen muß, ist – daß ich Sie liebe – mit ganzer Leidenschaft eines Herzens liebe, das zum ersten Male liebt! Dies Feuer ist in mir plötzlich entbrannt, doch mit solcher Stärke, daß ich keine Worte finde, um mich auszudrücken! Als Ihre Mutter zu mir kam und mich bat – da glimmte dies Feuer erst in mir – sonst hätte ich als ehrlicher Mensch ihren Auftrag sicher abgelehnt . . . Das Bekenntniß, das ich Ihnen jetzt ablege, ist das Bekenntniß eines ehrlichen Menschen. Sie müssen wissen, mit wem Sie zu thun haben – zwischen uns dürfen keine Mißverständnisse bestehen. Sie sehen, daß ich nicht im Stande bin, Ihnen irgend welche Rathschläge zu ertheilen. . . Ich liebe Sie, ich liebe, ich liebe – weiter habe ich nichts – weder im Kopf noch im Herzen.
Dm. Sanin.«
Nachdem er das Briefchen versiegelt hatte, wollte Sanin dem Kellner klingeln, um es abzuschicken . . . Nein! das paßt nicht. . . Durch Emil?
Doch nach dem Laden zu gehen, ihn unter anderen Commis aufzusuchen – geht auch nicht! Dabei ist es schon spät – und Emil wahrscheinlich nicht mehr im Laden. Dies Alles überlegend, hatte Sanin den Hut aufgesetzt und war schon auf die Straße gekommen; etwa bei der dritten Straßenecke sah er zu seiner unbeschreiblichen Freude Emil vor sich. Mit einer Mappe unter dem Arm, mit einer Rolle Papier in der Hand eilte der junge Enthusiast nach Hause.
»Man sagt doch nicht umsonst, daß jeder Verliebte seinen Stern habe!« dachte Sanin und rief Emil.
Dieser wandte sich um und lief sofort zu ihm.
Sanin gab ihm keine Zeit, in Entzücken zu gerathen, händigte ihm den Zettel ein, erklärte, wem und wie er ihn abgeben solle . . . Emil hörte aufmerksam zu.
»Daß Niemand es sehe?« fragte er, seinem Gesichte ein bedeutungs- und geheimnißvolles Ansehen gebend, als ob er sagen wollte: »Ich verstehe, um was es sich eigentlich handelt!«
»Ja, mein Freundchen,« sagte Sanin, und wurde ein wenig verlegen, doch streichelte er Emils Backe. . . »Und wenn eine Antwort sein sollte . . . Sie bringen mir die Antwort, nicht wahr? Ich bleibe zu Hause.«
»Sorgen Sie darum nicht!« flüsterte lustig Emil, lief fort und nickte ihm noch im Laufen einmal zu.
Sanin kehrte nach Hause zurück – und warf sich, ohne Licht anzuzünden auf das Sopha, führte beide Hände hinter dem Kopf und überließ sich den Eint-rücken der eben bewußt gewordenen Liebe, deren Schilderung überflüssig ist: wer sie empfunden, der kennt die Pein und die Süße der Liebe; wer sie nicht empfunden – dem erklärt man sie nicht.
Die Thür wurde geöffnet – und es zeigte sich der Kopf von Emil.
»Ich habe es gebracht,« flüsterte er – »da ist die Antwort!« Er zeigte einen Zettel und hielt ihn über seinen Kopf empor . . .
Sanin sprang vom Sopha und entriß ihm denselben. Die Leidenschaft hatte sich seiner allzu stark bemeistert. Er war nicht mehr im Stande das Geheimniß zu hüten und alle Schicklichkeiten zu beobachten – nicht einmal vor diesem Knaben, ihrem Bruder. Er hätte sich geschämt – sich Zwang angethan – wenn er es nur gekannt hätte.
Er trat ans Fenster, und las beim Lichte der Straßenlaterne, die gerade vor seinem Fenster stand, die folgenden Zeilen.
»Ich bitte Sie, ist flehe Sie an – morgen den ganzen Tag nicht zu uns zu kommen, sich nicht zu zeigen. Das ist mir nöthig, durchaus nöthig – und dann wird Alles entschieden sein. Ich weiß, Sie werden es mir nicht abschlagen, denn . . .
Gemma.«
Sanin las zweimal diesen Zettel. O, wie rührend lieblich, wie schön erschien ihm diese Handschrift! – er dachte nach, wandte sich zu Emil, der, um zu zeigen, welch bescheidener junger Mann er sei, das Gesicht zur Wand gekehrt dastand, sie mit dem Nagel ritzend – und rief ihn laut beim Namen.
Er lief sofort zu Sanin. – »Was wünschen Sie?«
»Hören Sie, mein Freund . . .«
»Mr. Dimitri,« unterbrach ihn Emil mit klagender Stimme, »warum sagen Sie zu mir nicht Du?«
Sanin lachte. – »Gut, höre mein Freund (Emil hüpfte ein wenig vor Vergnügen) höre: dort, Du verstehst mich doch? dort wirst Du sagen, daß Alles genau befolgt werden wird . . .«
(Emil biß sich in die Lippen und nickte wichtig mit dem Kopfe) »Und Du selbst . . . Was machst Du morgen?«
»Ich? Was ich mache? Was wollen Sie, daß ich mache?«
»Wenn Du kannst, komm morgen zu mir, recht früh – und wir werden bis zum Abend in den Umgebungen Frankfurts spazieren . . . Willst Du?«
Emil hüpfte wieder. – »Was kann es denn Besseres geben? Mit Ihnen zu spazieren – das ist ja wirklich prachtvoll! Ich komme sicher!«
»Und wenn man Dich nicht gehen läßt?«
»Man läßt mich schon gehen!«
»Höre. . . Sage dort nicht, daß ich Dich für den Tag aufgefordert habe.«
»Wozu auch? Ich gehe so! Was kann da sein!«
Emil küßte ihn heftig und lief weg.
Sanin aber ging lange in der Stube auf und ab – und legte sich spät nieder. Er überließ sich dem süßen Schauder seiner Gefühle, dem freudigen Ersterben vor dem neuen Leben. Er war sehr zufrieden, daß er Emil für morgen eingeladen, da dieser so sehr seiner Schwester ähnelte. Er wird mich an Sie erinnern, dachte Sanin.
Doch am meisten wunderte er sich, wie er gestern anders als heute sein konnte? Es schien ihm, daß er Gemma »ewig« liebe – und daß er sie gerade so geliebt habe, wie er sie jetzt liebe.
XXVI
Am nächsten Tage erschien Emil um 8 Uhr bei Sanin, Tartaglia an einer Schnur führend. Wäre er deutscher Abstammung gewesen, er hätte keine größere Pünktlichkeit beobachten können. Zu Hause hatte er gelogen, er hatte gesagt, daß er bis zum Frühstück mit Sanin spazieren und nach dem Laden gehen würde. Während Sanin sich anzog, fing Emil, allerdings zaudernd von Gemma, von ihrem Zwist mit Herrn Klüber zu sprechen an, doch Sanin statt aller Antwort schwieg, und zwar mit solcher Strenge, daß Emil, sich den Anschein gebend, als ob er verstehe, warum man eine so wichtige Angelegenheit nicht leichthin behandeln könne, nicht mehr auf dies Thema zurückkam, und nur ab und zu einen in sich gelehrten und selbst strengen Ausdruck annahm!
Nach dem Caffee begaben sich beide Freunde zu Fuß nach Hausen, einem kleinen, ganz im Walde gelegenen Dörfchen, in kurzer-Entfernung von Frankfurt. Die ganze Taunuskette war von dort aus wie auf einer Handfläche sichtbar. Das Wetter war wunderschön: die Sonne glänzte und wärmte ohne zu brennen; ein frischer Wind jagte durch die grünen Blätter; auf der Erde glitten wie kleine Flecken gleichmäßig und rasch die Schatten der hohen, runden Wölkchen dahin. Die jungen Leute waren bald aus der Stadt heraus und wanderten frisch und lustig auf dem rein gefegten Wege. Sie kamen in den Wald – und irrten da umher; dann frühstückten sie in einer Dorfschänke, kletterten sodann auf die Berge, bewunderten die Aussichten, warfen Steine von oben, und geschwind wie diese Steine, sonderbar und komisch wie Kaninchen, hinunterpurzelten, klatschten sie Beifall, bis ein Vorübergehenden der unten, von ihnen nicht bemerkt, vorüberging, sie mit heller und starker Stimme ausschimpfte. Dann lagerten sie, sich es bequem machend, auf dem kurzen, trockenen Moos von gelbvioletter Farbe; tranken dann Bier in einem anderen Wirthshause, liefen um einander einzuholen, sprangen um die Wette, wer weiter springe.
Sie fanden ein Echo und unterhielten sich mit ihm, sangen, schrien, rangen miteinander, brachen Zweige ab, schmückten ihre Mützen mit Blättern von Farrenkraut – ja, tanzten sogar. Tartaglia nahm, soweit er konnte und wußte, an allen diesen Beschäftigungen Antheil: Steine warf er allerdings nicht, doch purzelte er ihnen nach, bellte, wenn die jungen Leute sangen – und trank selbst Bier, wenn auch mit sichtlichem Widerwillen: dieses Kunststück hatte ihn ein Student, sein früherer Besitzer, gelehrt. Uebrigens gehorchte er Emil nicht recht – anders als seinem Herrn Pantaleone, und wenn Emil »Sprechen« oder »Nießen« befahl – so wedelte er bloß mit dem Schwanze und zeigte die in ein Röhrchen gefaltete Zunge.
Die jungen Leute plauderten auch miteinander. Im Anfange des Spaziergangs sprach Sanin, als der ältere und darum der Vernünftige, von dem, was Forum oder das Verhängniß des Schicksals bedeute, was der Beruf eines Menschen und worin er bestehe, doch das Gespräch nahm bald einen weniger ernsten Charakter an. Emil fragte seinen Freund und Gönner über Rußland aus, wie man sich dort duellire, ob die Frauen dort schön seien, ob man schnell russisch lernen könne, und was er gefühlt habe, als der Officier auf ihn zielte? Sanin befragte seinerseits Emil über dessen Vater, Mutter, über ihre Familienverhältnisse überhaupt; er bemühte sich dabei auf jede Weise, den Namen Gemmas nicht zu erwähnen – und dachte nur an sie. Eigentlich dachte er nicht einmal an sie – sondern an den nächsten Tag, der ihm das nie empfundene, nie dagewesene Glück bringen sollte! Ein feiner, leichter, hin- und herwogender Vorhang schien vor seinem seelischen Blicke herabzuhängen – und hinter diesem Vorhang fühlte er . . . fühlte er die Anwesenheit des jungen regungslosem göttlichen Antlitzes mit liebkosendem Lächeln um die Lippen und streng, doch nur mit angenommener Strenge gesenkten Augenlidern . . . Und dies Antlitz ist nicht das Gesicht Gemmas, es ist das Gesicht des Glückes selbst! Und endlich hat seine Stunde geschlagen, der Vorhang fliegt in die Höhe, der Mund öffnet sich, die Augenlider erheben sich – die Gottheit sieht ihn – und es wird Licht wie von der Sonne und Freude und unendliches Entzücken!! Er denkt an den nächsten Tag – und wieder stirbt seine Seele hin in der bangen Pein, des sich ewig wieder erzeugenden Erwartens!
Doch diese Pein, diese Erwartung, hindert ihn gar nicht. Sie begleitet jede seiner Bewegungen – und hindert keine. Sie hindert ihn nicht prachtvoll in einem dritten Gasthause mit Emil zu Mittag zu essen – und nur selten wie ein kurzer Blitz lodert bei ihm der Gedanke auf, daß – wenn es doch Jemand in dieser Welt wüßte??!! Diese Pein hielt ihn nicht ab, nach dem Mittagessen mit Emil das Bockspringen zu üben. Auf einer weiten, grünen Wiese fand dieses Spiel statt . . . und wie groß war die Verwunderung, die Verlegenheit Sanins, als er unter dem lauten Gebell von Tartaglia mit geschickt gespreizten Beinen, wie ein Vogel über den zusammen gekauerten Emil springend, plötzlich am Ende der Wiese zwei Officiere vor sich sah, in denen er augenblicklich seinen Gegner von gestern und dessen Secundanten, die Herren von Dönhof Und von Richter wieder erkannte! Alle Beide ein Glas ins Auge geklemmt, sahen ihnen zu und lächelten . . . Sanin fiel auf die Füße, wandte sich ab, zog rasch den abgelegten Rock an – warf Emil ein Paar Worte zu, dieser zog sich ebenfalls an – und beide verschwanden sofort.
Sie kamen spät nach Frankfurt zurück. – »Man wird mich ausschimpfen,« sagte Emil zu Sanin, sich von ihm verabschiedend – »doch einerlei! Welch’ schönem prachtvollen Tag habe ich auch erlebt!«
In seinen Gasthof zurückgekehrt fand Sanin einen Zettel von Gemma. Sie bestimmte ihm morgen um sieben Uhr früh ein Stelldichein in einem der öffentlichen Gärten, die Frankfurt von allen Seiten umgeben.
Wie zitterte sein Herz! Wie froh war er, ihr so widerspruchlos gehorcht zu haben! Und Gott! was versprach . . . was versprach nicht Alles dieser nie dagewesene, einzige, unmögliche – und doch sichere nächste Tag!
Er verschlang mit den Augen Gemmas Schreiben. Das lange, zierlich geschwungene »G«, der erste Buchstabe ihres Namens, der am Ende der Seite stand, erinnerte ihn an ihre schönen Finger, an ihre Hand . . . Er dachte, daß er diese Hand noch nie mit seinen Lippen berührt habe. . . die Italienerinnen« – dachte er – »sind trotz des allgemeinen Geredes, schamhaft und strenge . . . Und Gemma vor allen! Königin. . . Göttin. . . marmorne Jungfräulichkeit. . . und so rein. . .«
»Doch kommen wird die Zeit – sie ist nicht ferne . . .«
In jener Nacht gab es in Frankfurt einen glücklichen Menschen. Er schlief, doch er konnte von sich die Worte des Dichters anführen: »Ich schlafe . . . doch schläft das wachsame Herz nicht! . . .«
Dies Herz pochte heftig, und doch so leicht, wie der Schmetterling mit seinen Flügeln schlägt, an eine Blume sich schmiegend, vom Sonnenlicht übergossen.
XXVII
Um fünf Uhr des Morgens war Sanin wach, um sechs war er angezogen, um halb sieben spazierte er bereits im öffentlichen Garten, nicht weit von einem Gartenhäuschen, das Gemma in ihrem Briefchen erwähnt hatte.
Der Morgen war still, warm, grau. Es schien manchmal, daß es sofort regnen werde, doch die ausgestreckte Hand fühlte nichts, und nur wenn man sie auf den Aermel des Rockes legte, bemerkte man die Spuren kleiner, den feinsten Glasperlen ähnlicher, Regentropfen; doch auch diese hören bald auf.
Wind – schien es gar nicht mehr auf der Welt zu geben. – Jeder Laut – statt bestimmte Richtung zu nehmen – vertheilte sich in die Runde; in der Ferne verdichtete sich ein weißer Dunst. Die Luft duftete nach Reseda und weißen Akazienblüthen.
In den Straßen öffneten sich die Läden noch nicht« doch zeigten sich bereits Fußgänger: nur selten rasselte ein vereinzelter Wagen . . . im Garten spazierte Niemand. Der Gärtner reinigte ohne Eile die Wege mit der Schaufel, und eine Alte in schwarzen Tuchkleide wankte vorbei. Für keinen Augenblick konnte Sanin dieses bedauernswerthe Wesen für Gemma halten, und doch pochte ihm das Herz und er folgte aufmerksam mit den Augen dem sich entfernenden schwarzen Schatten.
Sieben schlug die Uhr auf einem Thurme.
Sanin blieb stehen. – Wird sie denn nicht kommen? Zittern vor Kälte überlief alle seine Glieder. Dasselbe Zittern wiederholte sich einen Augenblick später, doch aus anderer Ursache. Sanin hörte hinaus sich leichte Schritte, das feine Geräusch weiblicher Kleidung . . . Er wandte sich um: sie ist es!
Gemma kam den Weg entlang. Sie hatte eine graue Mantille umgehängt und einen kleinen, dunkeln Hut ausgesetzt. Sie blickte Sanin an, wandte den Kopf nach ihm – und ging, an ihn herangekommen rasch weiter.
»Gemma!« rief er kaum hörbar.
Sie winkte ihm sachte – und ging weiter. Er folgte ihr.
Er athmete heftig, die Füße wollten ihm ihren Dienst versagen.
Gemma ging am Gartenhäuschen vorbei, wandte sich noch rechts, schritt an einem großen, seichten Teiche, an dem sich sorgfältig ein Sperling wusch, vorüber und hinter ein Bosquet hoher Fliederbüsche angelangt, setzte sie sich auf eine Bank. Der Ort war gemüthlich und bedeckt. Sanin ließ sich neben sie nieder.
Es verging wohl eine Minute, und, weder er noch sie, ließen ein Wort fallen; sie sah ihn nicht einmal an, und er blickte nicht auf ihr Gesicht, sondern auf ihre Hände, in denen sie einen kleinen Regenschirm hielt.
Wovon sollten sie sprechen?
Was konnten sie sich sagen, was vermöge seines Inhalts ihrer Anwesenheit, hier, beisammen, allein, so früh, so nah an einander gleichen konnte?
»Sie sind nicht böse auf mich?« sagte endlich Sanin.
Sanin konnte wohl schwerlich etwas Dümmeres als diese Worte finden . . . er erkannte es selbst an. . . Doch das Schweigen war gebrochen.
»Ich!« antwortete sie. »Weßwegen? Nein.«
»Und Sie glauben mir?« fuhr er fort.
»Dem, was Sie geschrieben?«
»Ja.«
Gemma senkte ihren Kopf und antwortete nichts. Der Schirm entglitt ihren Händen. Sie fing ihn rasch auf, noch ehe er zu Boden gefallen war.
»Glauben Sie mir, glauben Sie dem, was ich geschrieben!« rief Sanin; seine ganze Schüchternheit war vergangen – er sprach mit Feuer. – »Wenn es auf der Erde Wahrheit, heilige, unleugbare Wahrheit gibt – so ist es, daß ich Sie liebe, Sie leidenschaftlich liebe, Gemma!«
Sie warf ihm einen raschen Blick von der Seite zu – und hätte beinahe wieder den Schirm fallen lassen.
»Glauben Sie mir! Glauben Sie mir!« wiederholte er. Er flehte sie an, streckte die Hände nach ihr aus – und wagte nicht sie zu berühren. – »Was soll ich thun . . . um Sie zu überzeugen?«
Sie sah ihn, wieder an.
»Sagen Sie, Monsieur Dimitri,« fing sie an, »als Sie mich zu bereden gekommen waren, dann wußten Sie nichts . . . fühlten Sie nichts . . .«
»Ich fühlte,« unterbrach Sanin – »doch ich wußte nicht. Ich liebte Sie seit dem Augenblick, da ich Sie gesehen – doch ich begriff nicht sofort – was Sie für mich geworden! Außerdem hörte ich, daß Sie Braut seien . . . Was aber den Auftrag Ihrer Mutter betrifft – wie konnte ich erstens denselben ausschlagen? und zweitens richtete ich, glaube ich, diesen Auftrag so aus, daß Sie errathen konnten . . .«
Man hörte schwere Schritte und ein ziemlich dicker Herr, eine Reisetasche an der Seite, augenscheinlich ein Ausländer, zeigte sich hinter dem Busche – er warf ohne alle Umstände wie es die Reisenden so pflegen, einen neugierigen Blick auf das Pärchen, hustete laut – und ging weiter.
»Ihre Mutter,« fuhr Sanin fort, sobald die schweren Schritte verschollen waren, »sagte mir, daß, im Falle Sie ihn verabschieden, ein Skandal entstehen würde (Gemma wurde ein wenig finster), daß ich theilweise selbst den Anlaß zum übelwollenden Gerede gegeben . . . und daß . . . folglich . . . ich – gewissermaßen die Pflicht hätte, Sie zu bereden, Ihrem Bräutigam Herrn Klüber nicht abzusagen . . . «
»Monsieur Dimitri,« sagte Gemma und fuhr mit der Hand über die Haare auf der Sanin zugekehrten Seite, »nennen Sie, bitte, Herrn Klüber nicht meinen Bräutigam. Ich werde nie seine Frau werden. Ich habe ihn ausgeschlagen.«
»Sie haben ihm Ihre Weigerung erklärt? Wann?«
»Gestern.«
»Ihm selbst?«
»Ihm selbst. Es war in unserem Hause. Er war bei uns.«
»Gemma! Sie lieben mich also?«
Sie wandte sich ihm zu:
»Wäre ich sonst . . . hierhergekommen?« flüsterte sie und ihre Hände fielen auf die Bank.
Sanin ergriff diese ermatteten, mit der Handfläche nach oben liegenden Hände – und preßte sie an seine Augen, an seine Lippen . . .
Endlich hat sich der Vorhang gelüftet, von dem er gestern geträumt! Da ist das Glück, da ist sein strahlend Antlitz.
Er erhob den Kopf – und blickte Gemma gerade, frank an. Auch sie blickte ihn an, ein wenig von oben nach unten. Der Blick ihrer halbgeschlossenen Augen glänzte kaum, von leichten, seligen Thränen übergossen. Ihr Gesicht lächelte nicht – nein, es lachte ihn an, glückselig, wenn auch lautlos.
Er wollte sie an seine Brust drücken, doch sie wandte sich ab und schüttelte, immer mit demselben lautlosen Lachen, verneinend den Kopf. »Wartet« schienen ihre glücklichen Augen zu sagen.
»O Gemma, konnte ich denken, daß Du – (sein Herz zitterte wie eine Saite, als seine Lippen zum ersten Mal dieses »Du« aussprechen) – mich lieben wirst!«
»Ich selbst hatte es nicht erwartet,« rief Gemma.
»Konnte ich denken,« fuhr Sanin fort, »daß ich in Frankfurt, wo ich einige Stunden bleiben wollte, daß ich hier das Glück meines ganzen Lebens finden würde!«
»Des ganzen Lebens? Wirklich?« fragte Gemma.
»Des ganzen Lebens! für immer, für ewig bin ich Dein!« rief Sanin mit neuem Schwunge.
Die Schaufel des Gärtners wurde plötzlich einige Schritte von der Bank, auf der sie saßen, hörbar.
»Gehen wir nach Hause, flüsterte Gemma – »gehen wir zusammen – willst Du?«
Hätte sie ihm in diesem Augenblick gesagt: Stürze dich ins Meer, willst Du? – noch wäre ihr letztes Wort nicht verklungen und schon wäre er kopfüber in den Abgrund gesprungen.
Sie verließen zusammen den Garten und gingen nach Gemmas Hause, nicht durch die Straßen der Stadt, sondern durch die Vorstadt.