Kitabı oku: «Frühlingsfluthen», sayfa 6
XXII
Das Wäldchen, in dem der Zweikampf stattfinden sollte, befand sich eine Viertel Meile hinter Hanau. Sanin und Pantaleone kamen zuerst an, wie der Letztere es auch vorausgesagt hatte. Sie ließen den Wagen am Saume des Waldes stehen und vertieften sich in das Dickicht der schattig und dicht dastehenden Bäume. Sie mußten beinahe eine Stunde warten.
Das Warten fiel Sanin nicht allzu schwer, er ging auf dem Wege auf und ab, hörte dem Gesange der Vögel zu, folgte dem Flug der Libellen und bemühte sich, wie die große Masse von russischem Schlage in solchen Fällen, an Nichts zu denken. Nur einmal verfiel er ins Grübeln: er bemerkte eine junge Linde, die aller Wahrscheinlichkeit vom gestrigen Windstöße zerbrochen war. Sie starb sichtlich hin . . . alle ihre Blätter welkten. »Was ist das? Ein Vorzeichen?« ging es ihm durch den Kopf; doch er fing sofort zu pfeifen an, sprang über die Linde und ging weiter. Pantaleone brummte, schimpfte auf die Deutschen, ächzte, rieb sich bald den Rücken, bald die Knie. Er gähnte fast vor Aufregung, was seinem kleinen, eingetrockneten Gesichtchen den drolligsten Ausdruck verlieh. Sanin wäre beinahe bei seinem Anblick ins Lachen ausgebrochen.
Endlich hörte man das Rollen der Räder auf dem Wege.
»Sie sind es!« rief Pantaleone, richtete sich auf, nicht ohne ein flüchtiges, nervöses Zittern, das er übrigens mit dem Ausruf: »Brrrr!« und der Bemerkung, daß der Morgen sehr frisch sei, zu vertuschen sich beeilte. Ein starker Thau näßte Gräser und Blätter, doch drang bereits die Hitze mitten in den Wald.
Die beiden Officiere zeigten sich bald unter den Bäumen; sie waren begleitet von einem kleinen, dicken Herrn mit phlegmatischem, wie verschlafenen Gesichte – es war der Militär-Arzt. Er trug in der einen Hand einen Krug Wasser – für jeden Fall; eine Tasche mit chirurgischen Instrumenten und Binden hing von seiner Schulter. Man sah, daß er an solche Excursionen vollständig gewohnt war, sie bildeten beinahe die Hauptquelle seiner Einnahmen: jedes Duell brachte ihm acht Goldstücke, vier von jeder Partei. Herr von Richter trug den Kasten mit Pistolen. Herr von Dönhof führte in der Hand – wahrscheinlich des größeren »Chic« wegen – eine Reitgerte.
»Pantaleone!« flüsterte Sanin dem Alten zu, »wenn . . . wenn man mich tödtet – Alles kann ja verfallen – nehmen Sie aus meiner Seitentasche ein Papier heraus, in ihm ist eine Blume eingewickelt und geben Sie dies Papier an Fräulein Gemma. Hören Sie? Sie versprechen es mir?«
Der Alte sah ihn traurig an und nickte bejahend mit dem Kopfe . . . Doch Gott weiß, ob er verstand, was Sanin bei ihm erbat.
Die Gegner und Secundanten tauschten Grüße aus; der Doctor allein regte sich nicht – und setzte sich gähnend ins Gras: »Mich gehen die Kundgebungen der ritterlichen Höflichkeit nichts an,« dachte er wohl.
Herr von Richter schlug Herrn »Tschi badola« den Platz zu wählen vor; Herr Cippatola antwortete, langsam die Zunge bewegend – die »Mauer« war bei ihm wieder eingestürzt – Herr von Richter möge nur handeln, er werde ihn beobachten.
Herr von Richter fing zu handeln an. Er fand im Walde ein allerliebstes, offenes, ganz mit Blumen übersäetes Plätzchen, zählte die Schritte, kennzeichnete die äußersten Grenzen mit rasch zugespitzten Stäbchen, nahm die Pistolen aus dem Kasten heraus, setzte sich auf den Boden und schlug die Kugeln herein; kurz er arbeitete und mühte sich ab aus allen Kräften, mit weißem Taschentuch beständig den Schweiß von seinem Gesichte trocknend.
Der ihn begleitende Pantaleone glich mehr einem frierenden Menschen. Während dieser Vorbereitungen standen die Gegner weit von einander und erinnerten lebhaft an zwei bestrafte Schuljungen, die mit ihrem Lehrer schmollen.
Der entscheidende Augenblick kam . . .
Jeder nahm seine Pistole in die Hand.
Doch hier bemerkte Herr von Richter gegen Pantaleone, daß ihm, als dem älteren Sekundanten, nach den Regeln des Duelles obliege, bevor er das verhängnißvolle »eine, zwei, drei!« ausspräche, sich zum letzten Male mit dem Vorschlage, sich zu versöhnen, an die Gegner zu wenden; daß, obgleich ein solcher Vorschlag nie eine Wirkung gehabt und eigentlich eine bloße Formalität sei, doch Herr Cippatola durch die Erfüllung dieser Formalität einen größeren Theil der Verantwortlichkeit von sich wälze; daß allerdings eine solche Anrede eigentlich die erste Pflicht des Unparteiischen sei, doch da sie einen solchen nicht hatten – er, Herr von Richter, gern dieses Vorrecht seinem geehrten Herrn Collegen überlasse.
Pantaleone, der bereits hinter einem Busch verschwunden war, und zwar so, daß er den Beleidiger gar nicht sehen konnte, verstand anfangs Nichts von dieser Rede, um so mehr, da sie durch die Nase gesprochen wurde; doch plötzlich raffte er sich auf, ging rasch nach vorn, schlug sich krampfhaft auf die Brust und schrie mit seiner rauhen Stimme in seinem gemischten Dialekt: »A la la la . . . Che bestialit à Deux zeunòmmes comme ca que si battono – perche? Che Diavolo? Andate te a casa!«
»Ich bin zur Versöhnung nicht geneigt,« rief schnell Sanin.
»Ich ebenfalls nicht,« wiederholte sein Gegner.
»Nun, so rufen Sie: Eins, zwei, drei!« wandte sich Herr von Richter zum verblüfften Pantaleone.
Dieser verschwand sofort hinter dem Busche – und zusammengekauert, mit zugedrückten Augen und abgewandtem Kopfe, doch aus vollem Hals schrie er von dort: »Una . . . due . . . e tre!«
Sanin schoß zuerst – und traf nicht. Seine Kugel schlug an einem Baume an. Baron Dönhof schoß sofort nach ihm – absichtlich seitwärts in die Luft.
Es trat ein peinliches Schweigen ein . . . Niemand rührte sich vom Platze. Pantaleone seufzte still.
»Befehlen Sie fortzufahren?« rief Dönhof.
»Warum haben Sie in die Luft geschossen?« fragte Sanin.
»Das geht Sie nichts an.«
»Sie werben auch zum zweiten Male in die Luft schießen?« fragte Sanin wieder.
»Vielleicht, ich weiß nicht.«
»Erlauben Sie, erlauben Sie, meine Herren,« fing von Richter an, »die Duellanten dürfen nicht mit einander sprechen. Das ist gar nicht in der Ordnung.«
»Ich verzichte auf meinen Schuß,« rief Sanin und warf die Pistole zur Erde.
»Ich will das Duell gleichfalls nicht fortsetzen,« rief von Dönhof und warf ebenfalls die Pistole weg.
»Ueberdies bin ich jetzt zu gestehen bereit, daß ich an jenem Tage Unrecht hatte.«
Er rührte sich auf seinem Platze und erhob unentschlossen seine Hand. Sanin ging rasch auf ihn zu und drückte seine Hand. Beide jungen Leute sahen einander mit einem Lächeln an und die Gesichter beider errötheten.
»Bravi! Bravi!« schrie plötzlich wie ein Verrückter Pantaleone und lief wie ein junger Stier, Beifall klatschend, aus dem Busche hervor; der Doktor, der seitwärts auf einem abgehauenen Baume saß, stand sofort auf, goß das Wasser aus dem Kruge und ging, sich träge hin und her wiegend dem Waldsaume zu. »Die Ehre ist befriedigt – das Duell beendet!« erklärte von Richter.
»Fuori!« schrie Pantaleone noch einmal wohl unter dem Einflusse der Erinnerung an Vergangenes.
* *
*
Nachdem Sanin mit den Officieren Grüße gewechselt und sich in den Wagen gesetzt hatte, fühlte er in seinem ganzen Wesen wenn nicht Vergnügen, doch eine gewisse Leichtigkeit, wie nach einer bestandenen Operation; doch auch ein anderes Gefühl regte sich in ihm, ein Gefahr, das dem der Scham glich. Falsch, dem abgekarteten, alltäglichen Officier- und Studenten-Spiel ähnlich kam ihm dieser Zweikampf vor, in dem er eben eine Rolle gespielt hatte. Er erinnerte sich des phlegmatischen Doctors, er erinnerte sich, wie dieser lächelte, d. h. die Nase rümpfte, ihn mit Baron Dönhof fast Arm in Arm aus dem Walde heraustreten sehend. Und dann, als Pantaleone ihm die vier ihm zukommenden Ducaten auszahlte . . .
»Ja, ganz richtig war es nicht!« Sanin schämte sich . . . und doch, was hätte er thun sollen? Doch die Frechheit des jungen Officiers nicht ungerügt lassen? doch nicht dein Herrn Klüber ähnlich sein? Er war für Gemma eingetreten, hatte sie vertheidigt . . . Das war Alles ordnungsmäßig, und doch nagte etwas an seiner Seele, doch fühlte er Gewissensbisse und selbst Scham.
Pantaleone dagegen triumphierte förmlich. Der Stolz hatte sich seiner bemächtigt. Ein siegreicher General, von der gewonnenen Schlacht zurückkehrend, hätte nicht mit größerer Selbstzufriedenheit herumgeblickt . . . Sanins Benehmen während des Zweikampfes erfüllte ihn mit Entzücken. Er pries ihn als Helden, und wollte auf seine Ermahnungen und selbst Bitten nicht hören. Er verglich ihn mit einem Monument aus Marmor und Bronze, mit der Statue des Kommandeurs im Don Juan! Von sich selbst räumte er ein, eine gewisse Beklommenheit gefühlt zu haben – »doch ich bin ein Artist,« bemerkte er, »meine Natur ist nervös – Sie aber sind der Sohn des Schnees und der Granitfelsen.«
Sanin wußte gar nicht, wie er den in Ekstase gerathenen Alten zähmen solle.
* *
*
Beinahe an derselben Stelle des Weges, wo sie vor etwa zwei Stunden Emil getroffen, sprang derselbe wiederum hinter einem Baume hervor; mit freudigem Geschrei, mit der Mütze schwenkend und hüpfend stürmte er auf den Wagen los, wäre beinahe unter das Rad gekommen, kletterte, ohne zu erwarten, daß die Pferde angehalten würden, durch die geschlossene Wagenthür hinein und klammerte sich fest an Sanin.
»Sie leben! Sie sind nicht verwundet,« wiederholte er, »verzeihen Sie mir, ich konnte Ihnen nicht gehorchen, ich war nicht nach Frankfurt zurückgekehrt. . . Ich konnte es wirklich nicht! Ich habe Sie hier erwartet . . . Erzählen Sie mir, wie es war! Sie haben ihn . . . getödtet?«
Sanin kostete es Mühe, Emil zu beruhigen und ihn sich setzen zu lassen.
Mit vielen Worten mit sichtlichem Vergnügen theilte dagegen Pantaleone Emil alle Einzelheiten des Kampfes mit und verfehlte freilich nicht, des Monuments aus Bronce des Commandeurs zu erwähnen. Er stand selbst von seinem Platze auf und machte, die Füße, um das Gleichgewicht zu behalten, auseinander breitend, mit gekreuzten Armen, verachtungsvoll zur Seite über die Schultern blickend, den leibhaften Commandeur Sanin vor! Emil hörte ihm mit Andacht zu, von Zeit zu Zeit die Erzählung mit einem Ausruf unterbrechend, oder rasch aufspringend und ebenso rasch seinen heroischen Freund küssend.
Die Räder des Wagens rollten über das Pflaster von Frankfurt und hielten endlich vor dem Gartenhause an, in welchem Sanin wohnte.
Er stieg in Begleitung seiner Gefährten die Treppe nach dem ersten Stocke hinauf – als plötzlich aus dem dunklen Corridor mit raschen Schritten eine Frauengestalt hereintrat; ihr Gesicht war mit einem Schleier bedeckt; sie blieb vor Sanin stehen, wankte ein wenig zur Seite, seufzte ängstlich, lief rasch hinunter nach der Straße und verschwand zur größten Verwunderung des Kellners, welcher erklärte, daß diese Dame über eine Stunde das Kommen des Herrn Sanin erwartet habe. Wie vorübergehend ihre Erscheinung auch war, Sanin hatte doch Zeit, Gemma in ihr zu erkennen. Er erkannte ihre Augen unter der Seide des braunen Schleiers.
»Wußte Fräulein Gemma denn auch?« . . . rief er unzufrieden auf deutsch, zu Emil und Pantaleone, die ihm gefolgt waren, gewandt.
Emil erröthete und wurde verlegen.
»Ich war gezwungen, ihr Alles zu erzählen . . .« brachte er hervor. »Sie vermuthete es – ich konnte nicht anders . . . Jetzt hat es ja gar nichts zu bedeuten,« rief er lebhaft. »Alles hat sich ja zu gutem Ende gestaltet und sie hat Sie gesund und unversehrt gesehen.«
Sanin wandte sich ab.
»Was für Schwätzer seid Ihr doch alle Beide!« rief er angehalten, trat in sein Zimmer und setzte sich auf seinen Stuhl.
»Seien Sie nicht böse,« bat Emil.
»Schon gut, ich werde nicht böse sein (Sanin war wirklich nicht böse, denn er konnte ja nicht wünschen, daß Gemma Alles verborgen bliebe) Schon gut. . . Hören Sie auf, mich zu umarmen. Gehen Sie jetzt. Ich will allein bleiben und mich schlafen legen, ich bin sehr müde.«
»Ein prachtvoller Gedanke!« rief Pantaleone, »Sie müssen Ruhe haben! Sie haben dieselbe verdient, edler Signore! gehen wir, Emilio! auf den Zehen! auf den Zehen! Sch, Sch!«
Als er sagte, er wolle schlafen, hatte Sanin nur die Absicht, seiner Gefährten los zu werden; doch als er allein war, fühlte er eine schreckliche Müdigkeit in allen Gliedern: die Nacht vorher hatte er ja beinahe gar nicht die Augen geschlossen. Er warf sich auf das Bett und schlief sofort ein.
XXIII
Einige Stunden schlief er wie ein Murmelthier. Dann träumte er, daß er ein Duell habe, doch als Gegner stehe ihm Herr Klüber gegenüber, und auf der Tanne sitze ein Papagei und dieser Papagei sei Pantaleone, und er wiederholte beständig, mit dem Schnabel anschlagend: einz, einz, einz, einz, einz, einz!
»Einz, einz, einz!!« hörte er ziemlich deutlich; er öffnete die Augen, erhob den Kopf . . . Jemand klopfte an seiner Thüre.
»Herein!« rief Sanin.
Der Kellner erschien und«meldete, daß eine Dame ihn durchaus sprechen wolle.
»Gemma!« dachte Sanin. . . doch die Dame war ihre Mutter, Frau Lenora.
Kaum eingetreten, sank sie auf einen Stuhl und weinte.
»Was fehlt Ihnen, meine gute, theure Frau Roselli?« fing Sanin an, sich zu ihr setzend und freundlich ihre Hand ergreifend. »Was ist vorgefallen? Beruhigen Sie sich, ich bitte Sie darum.«
»Ach, Herr Dimitri, ich bin schrecklich . . . schrecklich unglücklich!«
»Sie unglücklich?«
»Ja, schrecklich! Und konnte ich das erwarten? Plötzlich wie der Blitz aus hellem Himmel. . . «
Sie konnte kaum athmete.
»Was gibt es denn! Erklären Sie doch! Befehlen Sie ein Glas Wasser?«
»Nein, danke Ihnen.«
Frau Lenora trocknete mit dem Taschentuch die Augen und vergaß immer mehr Thränen . . . »Ich weiß ja Alles! Alles . . . «
»Das heißt, was Alles?«
»Alles, was heute vorgefallen ist! Die Ursache ist mir ebenfalls bekannt! Sie haben wie ein edler Mensch gehandelt! Doch welch unglückliches Zusammentreffen von Ereignissen! Nicht umsonst gefiel mir die Landpartie nach Soden nicht. . . nicht umsonst! (Frau Lenora hatte freilich am Tage dieser Fahrt nichts Aehnliches geäußert, doch jetzt glaubte sie fest, daß sie schon damals »Alles« vorher geahnt.) Ich komme daher zu Ihnen, wie zu einem edlen Menschen, wie zu einem Freunde, obgleich ich Sie erst vor fünf Tagen kennen gelernt habe. . . Doch ich bin eine Wittwe! bin so verlassen! . . . Meine Tochter . . . «
Thränen erstickten die Stimme der Frau Lenora.
Sanin wußte nicht, was er denken solle – »Ihre Tochter?« wiederholte er.
»Meine Tochter Gemma,« stöhnte Frau Lenora durch das von Thränen genäßte Taschentuch, »hat mir heute erklärt, daß sie Herrn Klüber nicht heirathen will und ich ihm absagen müsse!«
Selbst Sanin rückte ein wenig auf seinem Platze; das hatte er nicht erwartet.
»Ich spreche gar nicht davon,« fuhr Frau Lenora fort, »daß es eine Schande ist, daß es noch nie gesehen worden, daß die Braut den Bräutigam verabschiede; doch es ist unser Verderben, Herr Dimitri!«
Frau Lenora wickelte gewissenhaft und fest ihr Taschentuch zu einem ganz kleinen Knäuel zusammen, als ob sie ihr ganzes Leid in dasselbe hätte einschließen wollen.
»Von dem Ertrage unseres Ladens können wir nicht länger bestehen, Herr Dimitri! Herr Klüber ist aber sehr reich und wird noch reicher. Und weßhalb soll man ihm absagen? Deshalb, weil er feine Braut nicht in Schutz genommen hat? Zugegeben, daß es seinerseits nicht ganz hübsch war, so ist er doch ein Civilist, und er dürfte als solider Kaufmann den leichtsinnigen Streich eines unbekannten Officiers unbeachtet lassen. Und was war das für eine Beleidigung, Herr Dimitri?«
»Erlauben Sie, Frau Lenora, Sie scheinen mich zu verurtheilen . . .
»Nicht im geringsten verurtheile ich Sie, nicht im geringsten! Bei Ihnen ist es ein anderer Fall; Sie sind wie alle Russen ein Militär . . .
»Verzeihen Sie, ich bin . . .«
»Sie sind ein Ausländer, ein Durchreisender; ich bin Ihnen sehr dankbar,« fuhr Frau Lenora fort, ohne Sanin anzuhören. Sie konnte kaum athmen, bewegte ihre Hände hin und her, wickelte das Taschentuch wieder auseinander und schnäuzte sich. Aus der Weise allein, wie sich ihr Leid offenbarte, konnte man schließen, daß sie nicht unter dem nordischen Himmel geboren sei.
»Und wie sollte Herr Klüber in seinem Laden Geschäfte machen, wenn er sich mit seinen Käufern schlagen würde? Das ist ja ganz unmöglich. Und jetzt soll ich ihm absagen? Doch wovon werden wir leben? Früher waren wir die Einzigen, die hier Jungfernleder und Pistazienkuchen fertigten – und wir hatten viele Käufer – jetzt macht aber alle Welt Jungfernleder!! Bedenken Sie bloß: schon ohnehin wird man in der Stadt von Ihrem Duell sprechen. . . als ob man so etwas verheimlichen könnte! Und plötzlich geht die Heirath auseinander! Das ist ja ein Scandal, ein Scandal! Gemma ist ein ausgezeichnetes Mädchen; sie liebt mich ungeheuer, doch ist sie eine starrsinnige Republikanerin, sie trotzt der Meinung Anderer. Sie allein können sie bereden.«
Sanin verwunderte sich noch mehr als früher – »Ich, Frau Lenora?«
»Ja, Sie allein. Darum bin ich auch zu Ihnen gekommen; etwas Anderes ersinnen konnte ich nicht! Sie sind so klug, so gut! Sie sind für sie eingetreten! Ihnen wird sie glauben! Ihnen muß sie glauben, Sie haben ja Ihr Leben für sie gewagt! Sie werden sie überzeugen – ich kann aber nichts mehr! Sie werden sie überzeugen, daß sie auf diese Weise sich selbst und uns Alle ins Verderben stürzt. Sie haben meinen Sohn gerettet, retten Sie auch die Tochter! Gott selbst hat Sie hierher gesandt. . . Auf meinen Knien flehe ich Sie an . . . «
Und Frau Lenora erhob sich bereits vom Stuhle, um vor Sanin auf die Knie zu sinken. . . Doch er hielt sie zurück.
»Frau Lenora! Um Gottes willens Was machen Sie!«
Sie ergriff krampfhaft seine Hände – »Sie versprechen es?«
»Frau Lenora, bedenken Sie doch, wie komme ich dazu . . .?
»Sie versprechen es? Sie wollen doch nicht, daß ich hier sofort vor Ihnen sterbe?«
Sanin verlor den Kopf. Er hatte zum ersten Male in seinem Leben mit entbranntem, italienischem Blute zu thun.
»Ich will Alles thun, was Sie wünschen,« rief er, »ich werde mit Fräulein Gemma sprechen . . .«
Frau Lenora schrie vor Freude auf.
»Doch weiß ich wirklich nicht, ob davon ein Ergebniß zu erwarten . . . «
»Schlagen Sie es mir nicht ab, schlagen Sie es mir nicht ab!« rief Frau Lenora mit flehender Stimme. »Sie haben bereits eingewilligt. Der Erfolg wird sicherlich ausgezeichnet sein! Jedenfalls kann ich ja nichts mehr thun! mir gehorcht sie nicht!«
»Sie hat Ihnen so entschieden ihre Abneigung – Herrn Klüber zu heirathen erklärt?« fragte Sanin nach kurzem Schweigen.
»Aufs Entschiedenste, sie gleicht ihrem Vater, dem Giovan Battista! Sie ist desperat . . . «
»Desperat! Sie?. . . « wiederholte Sanin, das Wort dehnend.
»Ja . . . Ja! . . . doch ist sie auch ein Engel, Sie wird Ihnen folgen. Sie kommen zu uns, bald, nicht wahr, bald? O, mein theurer, russischer Freund!« Frau Lenora erhob sich stürmisch vom Stuhle und küßte ebenso stürmisch den Kopf des vor ihr sitzenden Sanin.
»Empfangen Sie den Segen einer Mutter und reichen Sie mir ein Glas Wasser!«
Sanin reichte der Frau Lenora ein Glas Wasser, gab ihr sein Ehrenwort, daß er sofort kommen werde, begleitete sie die Treppe hinunter bis auf die Straße, kehrte in sein Zimmer zurück, schlug die Hände zusammen und stierte mit den Augen.
Nun, dachte er, nun dreht sich erst recht das Leben! Dreht sich so, daß mir der Kopf schwindelt! Doch machte er keine Anstrengung in sich hinein zu blicken, zu begreifen, was dort vorgehe: Wirrwarr – und damit basta!
»Ist das ein Tag!« flüsterten unwillkürlich seine Lippen – »Sie ist desperat . . . sagte ihre Mutter . . . Und ich soll ihr rathen – ihr?! Und was rathen?!«
Es wirbelte wirklich in Sanins Kopfe und über diesem ganzen Wirbel von mannigfachen Eindrücken, Empfindungen und unausgesprochenen Gedanken schwebte stets das Bild Gemmas, wie es so unvertilgbar sich in sein Gedächtniß geprägt hatte in jener warm und elektrisch bewegten Nacht, an jenem dunklen Fenster, unter den Strahlen der wimmelnden Sterne!
XXIV
Mit unsicheren Schritten machte sich Sanin zum Hause der Frau Roselli. Sein Herz schlug heftig; er fühlte deutlich und hörte sogar, wie es an die Rippen pochte. Was soll er Gemma sagen? Wie wird er sie ansprechen? Er ging in das Haus nicht durch die Conditorei, sondern durch die hintere Treppe. In dem kleinen Vorderzimmer begegnete er Frau Lenora. Sie erschrak und freute sich zugleich über sein Kommen.
»Ich erwartete Sie längst,« flüsterte sie, mit beiden Händen abwechselnd seine Hände drückend. »Gehen Sie nach dem Garten, sie ist dort. Vergessen sie nicht, ich baue auf Sie.«
Sanin ging nach dem Garten.
Gemma saß auf einer Bank dicht am Wege und suchte aus einem großen, mit Kirschen gefüllten Korbe die reifsten heraus, die sie dann in einen Teller legte. Die Sonne stand niedrig – es war bereits sechs Uhr vorbei und in den breiten, schiefen Strahlen, mit denen sie den ganzen kleinen Garten der Frau Roselli übergoß, war mehr Purpur als Gold. Nur selten, kaum hörbar und gleichsam ohne Eile flüsterten die Blätter, brummten von der einen Blume auf die benachbarten hinüber fliegend, die verspäteten Bienen, und girrte irgend wo ein Tauberich – einförmig und unermüdlich.
Gemma trug denselben Hut wie in Soden. Sie blickte unter dem herabhängenden Rande desselben auf Sanin und bückte sich wieder zum Korbe.
Sanin kam zu Gemma heran, unwillkürlich jeden Schritt verkürzend, und fand nichts Besseres zu sagen, als: wozu sie die Kirschen auswähle?
Gemma beeilte sich nicht, ihm zu antworten.
»Aus diesen – welche reifer sind,« sagte sie endlich, »wird Eingemachtes bereitet, mit den anderen werden die Kuchen gefüllt. Sie kennen doch die runden Zuckerkuchen, die wir verkaufen?«
Nach diesen Worten neigte Gemma ihren Kopf noch tiefer und ihre rechte Hand blieb, mit zwei Kirschen in den Fingern, zwischen dem Teller und dem Korbe in der Luft hängen.
»Kann ich mich zu Ihnen setzen?« fragte Sanin.
»Freilich!« und Gemma machte ihm ein wenig Platz auf der Bank, Sanin setzte sich neben sie. -« Wie soll ich es anfangen? dachte Sanin. Doch Gemma zog ihn aus der Verlegenheit.
»Sie hatten heute ein Duell?« fing sie lebhaft an und wandte ihm ihr ganzes, schönes, schamhaft glühendes Gesicht zu – und in welcher Dankbarkeit glänzten ihre Augen! »Und Sie sind so ruhig? Sie kennen also keine Gefahr?«
»Erlauben Sie! Ich setze mich keiner Gefahr aus. Alles ist glücklich und gemüthlich verlaufen.«
Gemma führte ihren Finger nach rechts und dann nach links vor ihre Augen . . . Ebenfalls eine italienische Geste – »Nein, nein! Sprechen Sie nicht so! Sie täuschen mich nicht. Pantaleone hat mir Alles erzählt.«
»Da haben Sie auch den Richtigen gefunden, dem Glauben zu schenken! Er hat mich wohl auch mit der Statue des Commandeurs verglichen?«
»Seine Ausdrücke können lächerlich sein, doch ist weder sein Gefühl, noch das, was Sie heute gethan, lächerlich. Und das Alles meinetwegen für mich . . . Ich werde es nie vergessen!«
»Ich versichere Sie, Fräulein Gemma . . . «
»Ich vergesse es nie,« wiederholte sie langsam, sah ihn noch einmal scharf an – und wandte sich ab.
Er konnte jetzt ihr feines, reines Profit betrachten, und es schien ihm, daß er nie etwas Aehnliches gesehen – Aehnliches, was er jetzt empfand, gefühlt hatte. Seine Seele entbrannte. Und mein Versprechens dachte er.
»Fräulein Gemma . . . « sagte er nach längerem Zögern.
»Was?«
Sie wandte sich nicht zu ihm, sie fuhr fort, die Kirschen auszusuchen, nahm mit den Spitzen ihrer Finger die Kirschenstengel, hob behutsam die Blätter auf . . . doch mit welcher zutraulichen Herzlichkeit war dies Wörtchen »was« erklungen.
»Ihre Mutter hat Ihnen nichts mitgetheilt . . . über . . . «
»Worüber?«
»Ueber mich.«
Gemma warf plötzlich die bereits herausgenommenen Kirschen in den Korb zurück.
»Sie hat mit Ihnen gesprochen?« fragte sie ihrerseits.
»Ja.«
»Was hat Sie Ihnen denn gesagt?«
»Sie hat mir gesagt, daß sie. . . daß Sie sich plötzlich entschlossen haben . . . Ihren früheren Entschluß zu ändern.«
Der Kopf Gemmas senkte sich wieder. Er verschwand gänzlich unter ihrem Hut; man sah nur ihren Hals, biegsam und zart wie den Stengel einer großen Blume.
»Welchen Entschluß?«
»Ihren Entschluß . . . in Betreff . . . Ihrer künftigen Lebensweise.«
»Das heißt . . . Sie meinen. . . Herrn Klüber?«
»Ja.«
»Die Mutter hat Ihnen gesagt, daß ich nicht die Frau von Herrn Klüber werden will?«
»Ja.«
Gemma rückte auf der Bank hinauf, der Korb bog sich über und fiel um, einige Kirschen rollten auf den Weg. Es verging eine Minute . . . eine andere . . .
»Wozu hat sie Ihnen das gesagt?« vernahm man die Stimme Gemmas. Sanin sah immer nur ihren Hals. Ihre Brust hob und senkte sich schneller.
»Wozu? Ihre Mutter meinte, daß, da ich mit Ihnen in kurzer Zeit so zu sagen befreundet geworden und Sie zu mir ein gewisses Vertrauen haben, so würde ich im Stande sein, Ihnen einen nützlichen Rath zu geben – und daß Sie mir folgen würden.«
Die Hände Gemmas fielen auf ihre Knie . . . Sie zupfte an den Falten ihres Kleides.
»Welchen Rath werden Sie, Monsieur Dimitri, mir geben?« fragte sie nach einigen Augenblicken.
Sanin bemerkte, wie Gemmas Finger auf ihren Knien zitterten. Sie machte sich auch mit ihrem Kleide nur zu thun, um dies Zittern zu verbergen. Er legte leise seine Hand auf die blassen, zitternden Finger.
»Gemma,« sprach er, »warum sehen Sie mich nicht an?«
Sie warf rasch ihren Hut auf die Schultern zurück und heftete ihre vertrauenden, dankbaren Augen auf ihn. Sie wartete, daß er spreche. . . Doch der Anblick ihres Gesichts verwirrte, blendete ihn. Der warme Glanz der Abendsonne erleuchtete ihren jugendlichen Kopf, und der Ausdruck dieses Hauptes strahlte heller und lichtvoller als selbst dieser Glanz.
»Ich werde Ihnen folgen, Monsieur Dimitri,« begann sie leicht lächelnd und sanft die Augenbrauen erhebend; »doch welchen Rath werden Sie mir geben?«
»Welchen Rath?« wiederholte Sanin. »Sehen Sie, Ihre Mutter meint, daß Sie Herrn Klüber nur deswegen ausschlagen, weil er vor drei Tagen nicht Muth genug gehabt. . . «
»Nur deswegen?« rief Gemma, bückte sich, hob den Korb auf und stellte denselben neben sich auf die Bank.
»Daß. . . überhaupt . . . ihn ausschlagen, Ihrerseits unvernünftig sei; daß dies ein Schritt sei, von dem man alle Folgen gehörig erwägen, berücksichtigen müsse, daß endlich ihre Verhältnisse jedem Mitgliede Ihrer Familie gewisse Pflichten auferlegen . . .«
»Das Alles – ist die Meinung der Mutter,« unterbrach Gemma, »das sind ihre Worte, das weiß ich. Welcher Meinung sind Sie aber?«
»Ich!« – Doch Sanin schwieg; er fühlte, daß ihm etwas den Hals beenge, ihm den Athem nehme. – »Ich meine ebenfalls . . . « fing er mit Anstrengung an.
Gemma richtete sich auf: – »Ebenfalls? Sie – auch?«
»Ja . . . das heißt . . .«
Sanin konnte nicht, konnte durchaus nicht ein Wort mehr hinzufügen.«
»Gut!« sagte Gemma. »Wenn Sie, als mein Freund, mir rathen, meinen Entschluß zu ändern – das heißt meinen früheren Entschluß nicht zu ändern – so will ich es mir überlegen.« – Ohne darauf zu achten, was sie thue, fing sie an, die Kirschen von dem Teller wieder in den Korb zu legen. . . Die Mutter erwartet, daß ich Ihnen folgen werde. . . Gut, ich werde vielleicht Ihnen wirklich folgen.«
»Doch erlauben Sie, Fräulein Gemma, ich möchte erst erfahren, welche Ursache Sie bewogen hat. . . «
»Ich will Ihnen folgen,« wiederholte Gemma, und ihre Augenbrauen zogen sich immer mehr zusammen, ihre Wangen wurden blaß; sie biß an der unteren Lippe. – »Sie haben so viel für mich gethan, daß ich verpflichtet bin zu handeln, wie Sie verlangen. – Ich werde der Mutter sagen . . . ich will es mir überlegen. Da kommt sie auch wie gerufen.«
Wirklich, Frau Lenora zeigte sich an der Schwelle der Thür, die aus dem Hause in den Garten führte. Die Ungeduld peinigte sie, sie konnte es nicht mehr auf ihrem Platze aushalten. Nach ihrer Berechnung mußte Sanin schon längst seine Auseinandersetzung mit Gemma beendet haben, obgleich sein Gespräch mit ihr noch keine Viertelstunde dauerte.
»Nein, nein, nein! um Gottes Willen, sagen Sie ihr vorläufig gar nichts . . . « rief hastig, beinahe mit Angst Sanin – »Warten Sie . . . ich will es Ihnen sagen, schreiben . . . Sie aber, entschließen Sie sich zu gar nichts . . . warten Sie!«
Er drückte fest Gemmas Hand, sprang von der Bank und lief zur größten Verwunderung von Frau Lenora an ihr vorbei, lüftete bloß den Hut, brachte etwas Unverständliches hervor – und verschwand.
Sie kam zu ihrer Mutter.
»Sage mir, bitte, Gemma . . . «
Diese erhob sich schnell und umarmte die Mutter . . . »Liebe Mutter, können Sie nicht ein wenig, ein klein wenig, bis morgen warten? Nicht wahr, ja? Und mit der Abrede, daß bis morgen kein Wort darüber falle?. . . Ach!«
Plötzlich brach sie in helle, ihr selbst unerwartete Thränen aus. Dies verwunderte Frau Lenora um so mehr, als das Gesicht Gemmas weit davon entfernt war, traurig zu blicken, sondern eher freudig war.
»Was ist mit Dir?« fragte Sie, »Du weinst nie bei mir – und plötzlich jetzt . . .«
»Es ist nichts, Mutter, nichts! Warten Sie nur. Wir müssen Beide warten. Fragen Sie mich nicht aus . . . bis morgen – und lassen uns die Kirschen schneller aussuchen, so lange die Sonne noch nicht untergegangen ist.«
»Doch Du wirst vernünftig sein?«
»O, ich bin sehr vernünftig!«
Gemma schüttelte bedeutungsvoll den Kopf. Sie band die Kirschen zu kleinen Bündeln zusammen und hielt sie hoch vor ihrem glühenden Gesichte; sie hatte ihre Thränen nicht gestillt – sie waren von selbst getrocknet.