Kitabı oku: «Frühlingsfluthen», sayfa 9
XXXI
Sanin stand am nächsten Tage früh auf. Er befand sich auf höchster Stufe menschlicher Glückseligkeit; doch nicht diese hatte seinen Schlaf gekürzt; die Frage, die verhangnißvolle Lebensfrage: »Wie verkauft er sein Gut so schnell und so vortheilhaft als möglich?« nahm ihm die Ruhe. Die mannigfaltigsten Pläne kreuzten sich in seinem Kopf, doch wollte sich noch keiner vollkommen klären. Er ging aus, in die frische Luft, um frisch zu werden. Mit fertigem Plan – nicht anders – wollte er vor Gemma treten.
* *
*
– Was ist das für eine Figur, schwer und dickfüßig, doch anständig gekleidet, die vor ihm geht, ein wenig hin und her wankend und die Füße schleppend? Wo hat er dieses Hinterhaupt, mit blonden Haarzöpfen bewachsen, diesen unmittelbar auf die Schultern gesetzten Kopf, diesen weichen, fetten Rücken, diese geschwollenen, herabhängenden Hände gesehen? Ist es gar Polosoff, sein alter Schulkamerad, den er bereits fünf Jahre aus den Augen verloren? Sanin holte die Figur ein, wandte sich um . . . Ein breites, gelbliches Gesicht, kleine Schweinsaugen mit weißen Wimpern und Augenbrauen; kurze, flache Nase, große, wie zusammengeklebte Lippen, rundes, haarloses Kinn, und namentlich der Gesichtsausdruck säuerlich, faul, mißtrauisch – ja wirklich, das ist er, es ist Hippolyt Polosoff.
»Wirkt wohl wieder mein Stern?« dachte Sanin.
»Polosoff! Hippolyt Sidoritsch! bist Du es?«
Die Figur blieb stehen, hob ihre ganz kleinen Augen in die Höhe, wartete ein wenig und rief endlich, seine Lippen auseinander reißend, mit heiserer Fistelstimme:
»Dimitri Sanin?«
»Ich selbst!« rief Sanin und drückte die Hand von Polosoff; in enge, perlgraufarbige Handschuhe gepreßt, hingen seine Hände leblos wie vorher an den hervortretenden Schenkeln. »Bist Du schon lange hier? Woher kommst Du? Wo bist Du abgestiegen?«
»Ich bin gestern aus Wiesbaden gekommen,« antwortete, ohne sich zu beeilen, Polosoff, »Einkäufe für meine Frau zu machen und kehre schon heute nach Wiesbaden zurück.«
»Ach ja! Du bist ja verheirathet, man sagt, mit einer Schönheit.«
Polosoff blickte nach der Seite. – »Man sagt es.«
Sanin lachte. – »Ich sehe, Du bist wie früher . . . derselbe Phlegmatiker wie in der Schule.«
»Warum soll ich mich verändern?«
»Und man sagt,« fügte Sanin mit besonderer Betonung hinzu, »man sagt, daß Deine Frau sehr reich sei.«
»Auch das sagt man.«
»Und Dir selbst, Hippolyt Sidoritsch, ist es Dir denn etwa nicht bekannt?«
»Ich mische mich, lieber Dimitri Pa . . . Pawlowitsch? – ja Pawlowitsch! nicht in die Angelegenheiten meiner Frau.«
»Mischest Dich nicht? In keine Angelegenheiten?«
Polosoff ließ wiederum seine Augen hin- und herirren. – »In keine, mein Lieber. Sie lebt für sich . . . ich desgleichen.«
»Wo gehst Du jetzt hin?« fragte Sanin.
»Jetzt gehe ich nirgends hin; ich stehe und spreche mit Dir; dann aber gehe ich in mein Gasthaus und frühstücke.«
»Willst Du mich zum Gefährten haben?«
»Das heißt, zum Frühstück?«
»Ja.«
»Thu’ mir den Gefallen. In Gesellschaft zu essen, ist weit lustiger. Du bist doch kein Schwätzer?«
»Ich glaube nicht.«
»Dann ist ja Alles gut.«
Polosoff bewegte sich vorwärts. Sanin schritt neben ihm.
Und Sanin dachte nach – Polosoffs Lippen waren wieder wie zusammengeklappt, er athmete schwer, keuchte und wankte schweigend einher – Sanin dachte: Auf welche Weise war es diesem Klotz gelungen, eine schöne und reiche Frau zu erjagen? Er selbst ist weder reich, noch vornehm, noch klug; im Gymnasium galt er für einen unfähigen, bornirten Jungen, für eine Schlafmütze und einen Vielfraß – man gab ihm sogar den Spitznamen »Spucke« – Reines Wunder!
Doch wenn seine Frau sehr reich ist – man sagt, sie sei die Tochter eines Branntweinpächters – da kann sie ja mein Gut kaufen! Er sagt zwar, er mische sich in keine Angelegenheiten seiner Frau, doch dem ist nicht zu glauben! Ich will auch einen passenden, vortheilhaften Preis bestimmen! Warum nicht den Versuch machen? Vielleicht wirkt auch hierbei mein Stern . . . Es sei! Ich versuche es!«
Polosoff führte Sanin in das beste Hotel von Frankfurt, wo er selbstverständlich die besten Zimmer einnahm. Auf den Tischen, Stühlen standen Cartons, Kisten, Packete . . .
Lauter Einkäufe für Maria Nikolaewna (so hieß Polosoffs Frau) mein Freund!«
Polosoff ließ sich in einen Sessel nieder, stöhnte: »Welche Hitze!« und nahm sein Halstuch weg. Dann klingelte er dem Oberkellner und bestellte bei ihm umständlich ein copiöses Frühstück.
»Um ein Uhr muß der Wagen fertig sein! Hören Sie es, punkt Eins!«
Der Oberkellner verneigte sich kriechend und verschwand mit einer servilen Verbeugung.
Polosoff knöpfte seine Weste auf. Schon aus der Weise, wie er die Augenbrauen in die Höhe hob, pustete, die Nase verzog, konnte man entnehmen, daß das Sprechen eine große Last für ihn sei, und er mit einer gewissen Angst abwarte, ob Sanin ihn, seine Zunge in Bewegung zu setzen, zwingen oder die Mühe, das Gespräch zu führen, auf sich nehmen werde?
Sanin begriff die Stimmung seines Freundes und belästigte ihn nicht mit Fragen; er begnügte sich mit dem Unentbehrlichsten. Er erfuhr, daß Polosoff zwei Jahre als Uhlan gedient (als Uhlan! der muß in der kurzen Jacke schön ausgesehen haben!) vor drei Jahren geheirathet habe und jetzt bereits das zweite Jahr mit seiner Frau sich im Auslande befinde, welche im Augenblicke sich von etwas in Wiesbaden curiren lasse, dann fahre er nach Paris. Seinerseits sprach Sanin von seinem früheren Leben, von seinen Plänen ebenso kurz; er griff sofort das Wichtigste an, d. h. er sprach von seiner Absicht, sein Gut zu verkaufen.
Polosoff hörte ihm schweigend zu, nur manchmal auf die Thüre blickend, durch welche das Frühstück seinen Eingang halten mußte. Endlich erschien das Frühstück. Der Oberkellner in Begleitung von zwei anderen, brachte eine Menge Schüsseln unter silbernen Deckeln.
»Dein Gut liegt im Gouvernement Tula?« fragte Polosoff, sich an den Tisch setzend und die Serviette hinter seinen Kragen befestigend.
»Ja, in Tula.«
»Im Efremoffschen Kreise? Ich kenne es.«
»Du kennst meine Alexeewka?« fragte Sanin, sich ebenfalls an den Tisch setzend.
»Ja, ich kenne sie.« Polosoff füllte seinen Mund mit einer Omelette aux truffes. »Maria Nikolaewna, meine Frau, hat ein Gut in der Nähe – Oeffnen Sie die Flasche, Kellner! – Der Boden ist gut, nur haben Deine Bauern viel Wald bei Dir ausgehauen. Warum verkaufst Du das Gut?«
»Ich brauche Geld, Freund. Ich würde es billig lassen. Du solltest es kaufen . . . Für Dich wäre es ganz passend.«
Polosoff schluckte ein Glas Wein hinunter, wischte sich mit der Serviette und kaute wieder – langsam und geräuschvoll.
»Aber,« rief er endlich . . . »Ich kaufe keine Güter, habe kein Geld. – Reiche mir die Butter. – Meine Frau wird es vielleicht kaufen. Sprich mit ihr. Wenn Du nicht theuer bist – sie ist keine Kostverächterin. . . Sind die Deutschen aber ungeschickt! Können keinen Fisch kochen. Was kann einfacher sein? Und wollen noch ein einiges Deutschland. – Kellner, nehmen Sie das Zeug fort!«
»Verwaltet denn wirklich Deine Frau ihr Vermögen selbst?« fragte Sanin.
»Ja. – Die Coteletten – die sind gut. Ich empfehle sie Dir. – Ich habe Dir, Dimitri Pawlowitsch, bereits gesagt, daß ich mit den Angelegenheiten meiner Frau nichts zu thun habe – und wiederhole es auch jetzt.«
Polosoff fuhr zu kauen fort.
»So. . . Doch wie kann ich, Hippolyt Sidoritsch, mit ihr sprechen?«
»Sehr einfach, Dimitri Pawlowitsch. Fahre nach Wiesbaden Es ist nicht weit. – Kellner, haben Sie keinen englischen Senf – Nein? Canaillen! – Verliere aber keine Zeit. Uebermorgen fahren wir. – Erlaube, ich gieße Dir ein Glas Wein ein – der Wein hat Blume – ist nicht sauer.«
Das Gesicht Polosoffs wurde röther und lebendiger; es wurde lebendiger nur wenn er. . . aß oder trank.
»Warum hast Da aber solche Eile?«
»Das ist ja gerade die Schwierigkeit.«
»Und brauchst Du eine große Summe?«
»Freilich eine große. Ich will . . . wie soll ich es Dir sagen? ich beabsichtige . . . zu heirathen.
Polosoff stellte das Glas, welches er bereits zu den Lippen geführt, auf den Tisch.
»Heirathen!« rief er mit heiseren vor Verwunderung heiserer Stimme, und faltete die Hände über dem Bauche. »So plötzlich?«
»Ja . . . so schnell.«
»Die Braut ist doch wohl in Rußland?«
»Nein, nicht in Rußland.«
»Wo. . . also?«
»Hier, in Frankfurt.«
»Und wer ist sie?«
»Eine Deutsche; das heißt, sie ist eine Italienerin – doch hier ansässig.«
»Ist sie reich?«
»Nein.«
»Die Liebe ist also sehr stark?«
»Wie Du lächerlich bist! Freilich stark.«
»Und dazu brauchst Du Geld?«
»Ja wohl. . . ja. . . ja!t«
Polosoff schluckte den Wein hinunter, spülte sich den Mund, wusch sich die Hände, trocknete sich gewissenhaft mit der Serviette, nahm eine Cigarre und tauchte sie an. Sanin betrachtete ihn.
»Das einzige Mittel,« rief endlich Polosoff, den Kopf zurückwerfend und den Rauch in dünnen Säulen aufsteigen lassend, »geh zu meiner Frau. Wenn sie will, wird sie alle Deine Sorgen mit einemmale nehmen.«
»Doch wie soll ich Deine Frau sehen? Du sagst ja, daß Ihr übermorgen wegfährt?«
Polosoff schloß die Augen.
»Weißt Du, was ich Dir sagen werde?« sagte er, die Cigarre zwischen den Lippen drehend und schwer athmend. »Gehe nach Hause, mache Dich schnell reisefertig und komme hierher. Um Eins fahre ich weg, mein Wagen ist geräumig – ich nehme Dich mit. Das ist das Beste. Jetzt aber werde ich schlafen. Wenn ich gegessen habe, muß ich durchaus schlafen. Meine Natur verlangt es – und ich widerstehe ihr nicht. Störe auch Du mich nicht.«
Sanin dachte nach, dachte nach – plötzlich erhob er den Kopf: er hatte sich entschlossen!
»Gut, ich bin einverstanden und danke Dir. Um halb ein Uhr bin ich hier, wir fahren zusammen nach Wiesbaden. Ich hoffe, Deine Frau wird nicht übel nehmen . . .«
Doch Polosoff athmete wieder schwer. Er lallte: »Störe mich nicht!« bewegte die Beine hin und her und schlief ein wie ein kleines Kind.
Sanin richtete noch einen Blick auf seine schwerfällige Figur, auf seinen Kopf, auf seinen Hals, auf sein in die Höhe gerichtetes, wie ein Apfel rundes Kinn und eilte, nachdem er das Hotel verlassen, mit raschen Schritten nach der Conditorei von Roselli. Er mußte doch Gemma davon in Kenntniß setzen.
XXXII
Er traf sie mit der Mutter in der Conditorei. Diese war damit beschäftigt, gebückten Rückens mit einer zusammenlegbaren Elle den Zwischenraum zwischen den Fenstern abzumessen. Bei Sanins Anblick richtete sie sich auf und begrüßte ihn freundlich, doch ein wenig verlegen.
»Nach dem, was Sie gestern fallen ließen, bin ich beständig in Gedanken, in welcher Weise man den Laden verschönern soll. Ich glaube, wir stellen hier zwei kleine Schranke mit Spiegelglas-Fenstern auf. Jetzt ist es so Mode. Und dann . . . «
»Prachtvoll, prachtvoll,« unterbrach sie Sanin – »das Alles wird zu überlegen sein. Doch kommen Sie, ich habe ihnen etwas mitzutheilen.«
Er nahm Frau Lenora und Gemma an der Hand und führte sie in das andere Zimmer. Frau Lenora wurde unruhig und ließ das Maß fallen . . . Gemma wurde ebenfalls etwas erregt, sah Sanin scharf an und beruhigte sich dann. Sanins Gesicht, wiewohl besorgt, drückte Muth und Entschlossenheit aus.
Er bat die beiden Damen, sich zu setzen, stellte sich vor sie hin und theilte ihnen, die Hände bewegend und in seinen Haaren spielend, Alles mit: das Begegnen mit Polosoff, die beabsichtigte Reise nach Wiesbaden, die Möglichkeit, das Gut zu verkaufen. »Stellen Sie sich mein Glück vor,« rief er zuletzt; »die Sache hat sich so gewendet, daß ich vielleicht gar nicht nach Rußland zu fahren brauche! Auch die Hochzeit wird man dann viel früher feiern können, als ich mir gedacht hatte!«
»Wann müssen Sie fahren?« fragte Gemma.
»Heute, in einer Stunde; mein Freund hat einen Wagen, er nimmt mich mit.«
»Sie schreiben uns?«
»Sicherlich! Sofort, nachdem ich diese Dame gesprochen haben werde.«
»Diese Dame ist – sehr reich?« fragte die praktische Frau Lenora.
»Ungeheuer reicht ihr Vater war ein Millionär und hat ihr Alles hinterlassen.«
»Alles – ihr allein? Ja, Sie haben Glück! Doch nehmen Sie sich in Acht, verkaufen Sie das Gut nicht zu billig! Seien Sie besonnen und fest. Lassen Sie sich nicht hinreißen! Ich verstehe Ihren Wunsch, so schnell wie möglich Gemma zu heirathen doch Vorsicht vor Allem! Vergessen Sie Eines nicht: je theurer Sie das Gut verkaufen, desto mehr bleibt für Sie Beide und für Ihre Kinder.«
Gemma wandte sich ab, die Erregung Sanins gab sich in dem unruhigere Hin- und Herbewegen seiner Arme kund.
»Auf meine Vorsicht können Sie sich verlassen Ich sage ihr den richtigen Preis, willigt sie ein – dann gut, wenn nicht – dann behüte sie Gott!«
»Sie kennen sie, diese Dame?« fragte Gemma.
»Ich habe sie nie gesehen.«
»Und wann kommen Sie zurück?«
»Wenn wir das Geschäft nicht zu Stande bringen, übermorgen; wenn aber Alles gut geht, werde ich wohl noch ein oder zwei Tage zugeben müssen. Jedenfalls werde ich keinen Augenblick versäumen. Hier lasse ich ja meine Seele zurück!. Doch ich plaudere hier mit Ihnen, und ich muß ja noch vor der Abfahrt in meinen Gasthof. . . Reichen Sie mir die Hand, Frau Lenora, auf das gute Gelingen – es ist so Sitte bei uns in Rußland.«
»Die rechte oder die linke?«
»Die linke ist dem Herzen näher. Ich komme übermorgen – mit dem Schilde, oder auf dem Schilde! Etwas sagt mir: ich komme als Sieger! Leben Sie wohl, meine Guten, meine Theueren . . . «
Er umarmte und küßte Frau Lenora, und bat Gemma mit ihm in ihr Zimmer zu gehen – auf einen Augenblick – weil er ihr etwas Wichtiges. . . Er wollte einfach unter vier Augen sich von ihr verabschieden. Frau Lenora begriff dies – und zeigte kein Begehren, die wichtige Angelegenheit kennen zu lernen.
Sanin hatte noch nie Gemmas Zimmer betreten. Der ganze Zauber der Liebe, ihr ganzes Feuer, das Entzücken und die süße Angst derselben drangen in seine Seele, wurden zu heller Flamme in ihm, sobald er die heilige Schwelle überschritten. . . Er warf einen gerührten Blick um sich, sank vor dem geliebten Mädchen nieder und drückte sein Gesicht fest an ihre Gestalt.
»Du bist mein?« flüsterte sie, »Du kehrst bald zurück?«
»Ich bin Dein . . . ich kehre wieder,« wiederholte er beständig, fast athemlos.
»Ich will Dich erwarten, mein Theurer!«
Einige Augenblicke darauf war Sanin bereits in eiligem Laufe nach seiner Wohnung. Er hatte gar nicht bemerkt, daß ihm nach Pantaleone ganz zerzaust aus der Conditorei herausgesprungen war – ihm etwas nachschrie und mit hoch erhobener Hand ihm – zu drohen schien.
* *
*
Punkt drei Viertel auf ein Uhr erschien Sanin bei Polosoff. Vor seinem Hotel stand bereits der Wagen mit vier Pferden bespannt. Polosoff rief, ihn bemerkend: »So, Du hast Dich entschlossen?« und trat, nachdem er seinen Hut aufgesetzt und Mantel und Ueberschuhe angezogen und trotz des Sommers sich Watte in die Ohren gestopft hatte, auf die Hausflur. Die Kellner ordneten nach seinen Anweisungen alle seine Einkäufe im Innern des Wagens, umgaben seinen Sitz mit seidenen Kissen, Reisesäcken, Bündeln, stellten ihm zu Füßen einen Korb mit Speisen und banden seinen Reisekoffer auf dem Bocke an. Polosoff bezahlte mit freigebiger Hand und kroch, respectvoll vom diensteifrigen Portier unterstützt, ächzend in den Wagen, setzte sich, rückte Alles um sich zurecht, suchte eine Cigarre aus, rauchte sie an – und dann erst winkte er Sanin mit dem Finger-: komm nämlich auch Du! Sanin nahm neben ihm Platz, Polosoff ließ dem Kutscher durch den Portier sagen, er solle gut fahren, wenn er Trinkgeld verdienen wolle. Die Wagenthüre flog zu, der Wagen rollte fort.
XXXIII
Von Frankfurt nach Wiesbaden fährt man jetzt mit der Eisenbahn kaum eine Stunde, damals kam man mit der Extrapost kaum in drei Stunden hin. Man wechselte wohl fünfmal die Pferde. Polosoff schien theils zu schlummern, theils sich hin- und herwiegen zu lassen; die Cigarre im Munde, sprach er kein Wort; kein einziges Mal blickte er durch das Fenster; die malerischen Landschaften interessirten ihn nicht, er erklärte sogar: »die Natur – sei sein Tod!« Sanin schwieg ebenfalls und kümmerte sich nicht um Aussichten, etwas Anderes erfüllte sein Herz. Er überließ sich ganz seinen Gedanken, seinen Erinnerungen. Auf den Stationen bezahlte Polosoff; er sah nach der Uhr und belohnte die Postillone – reichlich oder karg, – je nach dem Eifer, den ein Jeder an den Tag gelegt. Auf der Mitte des Weges nahm er aus dem Korbe mit den Vorräthen zwei Apfelsinen heraus, wählte für sich die beste und bot die andere Sanin an. Sanin sah seinen Gefährten an – und lachte.
»Warum lachst Du?« fragte dieser, mit seinen kurzen, weißen Nägeln die Schale der Apfelsine sorgfältig abnehmend.
»Warum?« wiederholte Sanin. »Ueber meine Reise mit Dir.«
»Wie so?« fragte Polosoff wieder, indem er eines jener länglichen Stücke, aus denen das Innere der Apfelsine besteht, durch seinen Mund zog.
»Sie ist zu sonderbar. Gestern dachte ich ebenso wenig an Dich, wie an den Kaiser von China – und heute fahr ich mit Dir, um mein Gut Deiner Frau zu verkaufen, von der ich ebenfalls keine Vorstellung habe.«
»Alles kommt vor!« antwortete Polosoff. »Lebe nur ein wenig länger – Du erfährst dann genug; z. B. kannst Du Dir vorstellen, daß ich als Ordonnanz zum Kaiser mit einer Meldung heranritt? Und ich ritt heran, der Großfürst Michael commandirt: Trab, der dicke Cornet soll Trab reiten! Mehr Trab!«
Sanin kratzte sich hinter dem Ohre.
»Sage mir, lieber Hippolyt Sidoritsch, wie ist Deine Frau eigentlich? Was hat sie für einen Charakter? Das muß ich doch wissen.«
»Er hat gut Trab commandiren!« rief mit plötzlicher Heftigkeit Polosoff, »doch wie ist mir – mir dabei? Da habe ich mir gedacht: nehmt Euch alle Eure Ehren und Eure Epauletten – und Gott sei mit Euch! . . . Ach ja, Du frägst über meine Frau. Was – meine Frau? Ein Mensch wie alle anderen. Den Finger darf man ihr nicht in den Mund legen,!2 das liebt sie nicht. Die Hauptsache ist – zu sprechen, viel zu sprechen . . . so daß man darüber lachen kann . . . Erzähle ihr über Deine Liebe etwas . . . aber drolliger, verstehst Du?«
»Wie drolliger?«
»Nun so. Du hast mir ja gesagt, daß Du verliebt bist, heirathen willst. Beschreibe das Alles recht hübsch.«
Sanin fühlte sich beleidigt. – »Was findest Du Komisches dabei?«
Polosoff ließ wieder seine Augen umherschweifen. Der Saft der Apfelsine floß über sein Kinn.
»Ist es Deine Frau, die Dich nach Frankfurt, Einkäufe zu machen geschickt hat?«
»Sie selbst.«
»Was sind das für Einkäufe?«
»Spielzeug, versteht sich.«
»Spielzeug? Hast Du denn Kinder?«
Polosoff rückte von Sanin ab.
»Was denn! Wie soll ich zu Kinder kommen! Fauxcols . . . Anzüge, Toilettesachen . . . «
»Verstehst Du etwas davon?«
»Freilich.«
»Du hast mir aber gesagt, daß die Angelegenheiten Deiner Frau Dich nichts angehen?«
»Diese ausgenommen. Sie sind nicht lästig. Man beschäftigt sich damit aus Langeweile. Meine Frau vertraut meinem Geschmack. Auch verstehe ich zu handeln.«
Polosoff sprach wieder brockenweise; er war bereits müde.
»Und ist Deine Frau wirklich sehr reich?«
»Reich ist sie; doch mehr für sich.«
»Du kannst Dich übrigens, wie es scheint, nicht beklagen?«
»Dafür bin ich ihr Mann. Wie wäre es anders möglich? Ich bin ihr auch von Nutzen! Sie hat es gut mit mir. Ich bin – bequem.«
Polosoff trocknete sein Gesicht mit einem Foulard und schnaubte. »Habe Mitleid mit mir!« schien er sagen zu wollen, »zwinge mich nicht, mehr Worte zu machen. Du siehst, wie es mir schwer fällt.«
Sanin ließ ihn in Ruhe – und hing wieder seinen Gedanken nach.
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Das Hotel in Wiesbaden, vor welchem der Wagen anhielt, sah weniger einer Gastwirthschaft als einem Palaste ähnlich. Verschiedene Glocken ertönten sofort im Innern desselben, es entstand ein Laufen, ein Rennen; wohlgestaltete Menschen im schwarzen Fracke tänzelten am Haupteingang; der mit Goldtressen wie übergossene Portier öffnete mit Schwung die Wagenthüre.
Wie ein Triumphator stieg Polosoff heraus und ging die mit Teppichen bedeckte, von Räucherwerk duftende Treppe hinauf. Ein ebenfalls fein gekleideter Mann mit russischer Gesichtsbildung – sein Kammerdiener – sprang an ihm heran. Polosoff bemerkte ihm, daß er in Zukunft ihn stets mit sich nehmen werde – denn man hätte ihn den Tag vorher in Frankfurt ohne heißes Wasser für die Nacht gelassen! Der Kammerdiener drückte in seinen Zügen Schrecken aus – verbeugte sich und zog dem Herrn die Ueberschuhe aus.
»Ist Maria Nikolaewna zu Hause?« fragte Polosoff.
»Ja wohl. Sie belieben sich anzuziehen. Sie speisen bei der Gräfin Lasunska.«
»So! bei dieser!. . . Warte! dort im Wagen sind Sachen – nimm sie alle selbst heraus und bringe sie her. Und Du, Dimitri Pawlowitsch, nimm Dir ein Zimmer und komme in einer Stunde zu mir. Wir wollen zusammen zu Mittag essen.«
Polosoff wankte weiter, Sanin verlangte ein einfaches Zimmer für sich, ruhte aus, machte seine Toilette in Ordnung und begab sich in die großartigen Gemächer, die Seine Durchlaucht Fürst von Polosoff inne hatte.
Er traf diesen »Fürsten« in einem üppigen Sammetsessel, mitten im prachtvollen Salon sitzend. Der phlegmatische Freund Sanins hatte bereits ein Bad genommen und sich mit reichem Atlas-Schlafrock und purpurrotheen Fez bekleidet. Sanin trat an ihn heran und betrachtete ihn einige Augenblicke. Polosoff saß unbeweglich wie ein Götze, wandte selbst das Gesicht Sanin nicht zu, rührte die Augenbrauen nicht, gab keinen Ton von sich. Das Schauspiel hatte wirklich sein Großartiges. Nachdem er ihn genug-bewundern wollte Sanin bereits zu sprechen anfangen, diese feierliche Stille brechen – als plötzlich die Thür des Nebenzimmers sich öffnete und eine junge, schöne Dame, in weiß seidenem, mit schwarzen Spitzen besetzten Kleide, mit Brillanten an den Armen und am Halse – Maria Nikolaewna Polosoff selbst – an der Schwelle erschien. Dichtes, blondes Haar in geflochtenen, doch noch nicht geordneten Zöpfen fiel an beiden Seiten ihres Hauptes herab.