Kitabı oku: «Frühlingsfluthen», sayfa 10
XXXIV
»Ach! entschuldigen Sie,« rief sie mit halb verlegenem, halb spöttischem Lächeln, sofort mit der Hand das Ende der einen Haarflechte ergreifend und ihre großen, grauen, lichten Augen auf Sanin heftend. »Ich glaubte nicht, daß Sie bereits hier seien.«
»Sanin, Dimitri Pawlowitsch, mein Schulfreund,« sprach Polosoff wie vorher, ohne sich ihm zuzuwenden, ohne aufzustehen, bloß mit dem Finger auf ihn deutend.
»Ja. . . ich weiß es . . . Du hast es mir bereits gesagt. Ich bin sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Doch jetzt möchte ich Dich bitten. . . Hippolyt Sidoritsch . . . Mein Mädchen ist heute so ungeschickt . . .«
»Ich soll Dir die Haare ordnen?«
»Ja, bitte Hippolyt Sidoritsch,« wiederholte Maria Nikolaewna mit dem früheren Lächeln, nickte Sanin mit dem Kopfe zu, wandte sich rasch um und verschwand hinter der Thür, einen vorübergehenden doch harmonischen Eindruck eines wunderschönen Halses, üppiger Schultern, einer wundervollen Gestalt hinter sich zurücklassend.
Polosoff stand auf – und schwer sich hin- und herwiegend verschwand er in derselben Thür.
Sanin zweifelte keinen Augenblick, daß seine Anwesenheit im Solon des »Fürsten Polosoff« dessen Gattin ganz gut bekannt war; das ganze Kunststück war beabsichtigt, um ihm ihr Haar zu zeigen, das wirklich prachtvoll war. Sanin war sogar über dieses Kunststück der Frau Polosoff innerlich erfreut; wenn sie mich blenden, vor mir glänzen wollte – wer kann wissen, vielleicht zeigt sie sich in der Geldfrage ebenso zuvorkommend? Seine Seele war von Gemma so erfüllt, daß alle anderen Frauen für ihn keine Bedeutung hatten, er bemerkte kaum dieselben; auch diesmal begnügte er sich zu denken: ja, man hat mich wohl – unterrichtet – diese Dame ist wirklich nicht übel. Wäre er in keiner so ausschließlichen Seelenstimmung, er hätte sicherlich anders geurtheilt: Maria Nikolaewna Polosoff, geb. Kolischkin, war eine höchst bemerkenswerthe Persönlichkeit. Nicht daß sie eine vollkommene Schönheit gewesen wäre: man konnte sogar deutliche Spuren ihres plebejischen Ursprunges bei ihr wahrnehme. Ihre Stirn war niedrig, die Nase etwas fleischig und in die Höhe gezogen; sie konnte weder Feinheit der Haut, noch Zierlichkeit der Hände und Füße an sich rühmen – doch was verschlug dies? Nicht vor dem »Heiligthum der Schönheit« – um sich Puschkins Worte zu bedienen, blieb ein Jeder, der ihr begegnete, stehen, sondern vor der Anziehungskraft des gewaltigen russisch-zigeunerischen, blühenden, weiblichen Körpers. . . und nicht unwillkürlich blieb er stehen!
Doch Gemmas Bild schätzte Sanin wie der »dreifache Panzer«, von dem die Dichter singen.
Nach etwa zehn Minuten erschien Maria Nikolaewna wieder in Begleitung ihres Mannes. Sie kam zu Sanin heran . . . und ihr Gang war der Art, daß er einigen Sonderlingen jener, leider! bereits entfernten Zeit genügte, um den Verstand zu verlieren. »Wenn diese Frau dir naht, scheint sie das Glück deines ganzen Lebens dir entgegen zu tragen,« redete einer derselben. Sie kam zu Sanin und sagte, ihm die Hand reichend, mit ihrer freundlichen und doch zurückhaltenden Stimme: – »Sie werden mich doch erwarten, nicht wahr? Ich kehre bald zurück.«
Sanin verbeugte sich achtungsvoll und Maria Nikolaewna war bald hinter dem Vorhange der Thür verschwunden, und im Verschwinden hatte sie nochmals den Kopf gewandt, hatte wiederum gelächelt, und sie ließ den ganzen harmonischen Eindruck zurück, den sie vorhin bei ihrem Erscheinen geübt hatte.
Wenn sie lächelte, zeigten sich nicht ein oder zwei sondern drei Grübchen auf jeder ihrer Wangen – und noch mehr als ihre Lippen, als ihre rosigen, langen, wohlschmeckenden Lippen, mit zwei kaum merklichen Muttermalen an der linken Seite, lächelten ihre Augen.
Polosoff wälzte sich ins Zimmer und nahm im Sessel Platz. Er schwieg wie früher, doch ein sonderbares Lächeln wölbte von Zeit zu Zeit seine farblosen, schon welken Wangen.
Er sah recht alt aus, obgleich er bloß drei Jahre älter als Sanin war.
Das Mittagsessen, das er seinem Freunde vor- setzte, hätte sicher den schwierigsten Feinschmecker befriedigt, doch Sanin fand es endlos, unerträglich! Polosoff aß langsam, mit Gefühl, Verständniß und in Absätzen, aufmerksam sich über den Teller neigend und fast jedes Stück beriechend; zunächst spülte er sich den Mund mit Wein, dann schlang er das Stück hinein und schnalzte mit den Lippen . . . Beim Braten wurde er gesprächig, doch, worüber? Ueber Merinoschafe, deren er eine ganze Heerde zu verschreiben beabsichtigte, und so umständlich, mit solcher Zärtlichkeit behandelte er dies Thema, daß er sich ausschließlich der Verkleinerungsnamen bediente. Darauf trank er eine Tasse heißen, kochendheißen Caffee (einige Male erinnerte er den Kellner mit weinerlicher, gereizter Stimme, daß man ihm das letztemal kalten, eiskalten Caffee servirt habe), biß mit seinen krummen, gelben Zähnen eine Havanna-Cigarre ab und schlummerte nach seiner Gewohnheit ein, zur größten Freude Sanins, welcher, mit lautlosem Schritte sich auf dem weichen Teppich hin- und herbewegend, sann, was sein Leben mit Gemma sei, mit welcher Nachricht er zurückkommen werde. Doch Polosoff wachte auf, früher als gewöhnlich, wie er bemerkte; er hatte bloß anderthalb Stunden geschlafen; er trank ein Glas Selterwasser mit Eis, verschluckte an acht Löffel Eingemachtes, russisches Eingemachtes, das ihm sein Kammerdiener in dunkelgrünen echt Kinn’schen Glasbüchse servirte, ohne welches er, meinte er, nicht leben könnte, glotzte Sanin aus seinen aufgeschwollenen Augen an und fragte ihn, ob er mit ihm schwarzen Peter spielen wolle? Sanin war gern bereit; er hatte Angst, daß Polosoff wieder von Merinoschäfchem von Lämmchen, von Fettschwänzchen zu sprechen anfange. Der Kellner brachte die Karten und das Spiel begann, freilich nicht um Geld.
Bei dieser unschuldigen Beschäftigung traf sie Maria Nikolaewna, von der Gräfin Lasunska zurückgekehrt.
Sie lachte laut auf, als sie in das Zimmer trat und die Karten und den geöffneten Spieltisch erblickte. Sanin sprang auf, doch sie rief: »Bleiben Sie sitzen, spielen Sie weiter – Ich ziehe mich sofort um und komme zu Ihnen« – und verschwand mit ihrem Kleide rauschend und im Gehen ihre Handschuhe ausziehend.
Wirklich kehrte sie bald wieder. Ihr Gesellschaftskleid hatte sie mit einem weiten seidenen Hausrocke von fliederblauer Farbe mit weit geöffneten Aermeln vertauscht, eine dicke, gewirkte Schnur umgab ihre Taille. Sie setzte sich zu ihrem Manne – wartete, bis er »schwarzer Peter« wurde, rief ihm: »Nun, Dicker (beim Worte »Dicker« sah Sanin sie verwundert an – sie aber lächelte lustig, antwortete auf seinen Blick mit dem ihrigen – und ließ wieder alle Grübchen ihrer Wangen sehen), nun Dicker ist’s genug; ich sehe, Du willst schlafen; küsse meine Hand und verziehe Dich; ich aber will mit Herrn Sanin plaudern.«
»Schlafen will ich nicht,« sagte Polosoff, sich schwerfällig vom Sessel erhebend, »doch mich verziehen will ich – das thue ich; auch die Hand will ich küssen.« Sie hielt ihm ihre Hand vor, ohne aufzuhören zu lächeln und Sanin anzublicken.
Auch Polosoff sah ihn an und ging weg, ohne sich von ihm zu verabschieden.
»Erzählen Sie, erzählen Sie,« rief Maria Nikolaewna lebhaft, beide entblößten Ellenbogen zugleich auf den Tisch stützend und die Nägel der einen Hand ungeduldig gegen die der andern schlagend; »ist es wahr, daß Sie heirathen wollen?«
Beim Aussprechen dieser Worte hatte Maria Nikolaewna ihren Kopf sogar ein wenig zur Seite geneigt, um Sanin noch schärfer und durchdringender in die Augen zu blicken.
XXXV
Obgleich Sanin kein Neuling war und sich bereits an den Leuten gerieben hatte, würde ihn dennoch dies ungezwungene Benehmen der Frau Polosoff anfänglich sicherlich verlegen gemacht haben, wenn er nicht gerade in diesem Benehmen, in dieser Vertraulichkeit ein günstiges Vorzeichen für das Gelingen seines Unternehmens erblickt hätte. »Ich will den Einfällen dieser reichen Frau nachgeben,« entschied er bei sich und antwortete ihr deshalb ebenso ungezwungen, wie sie ihn befragte:
»Ja, ich heirathet.«
»Wen? Eine Ausländerin?«
»Ja.«
»Haben Sie schon seit Langem ihre Bekanntschaft gemacht? In Frankfurt?«
»Allerdings.«
»Und wer ist sie? Kann man es erfahren?«
»Freilich, sie ist die Tochter eines Conditors.«
Maria Nikolaewna öffnete weit ihre Augen und zog die Augenbrauen in die Höhe.
»Das ist ja wunderschön!« rief sie, diese Worte dehnend. – »Prachtvoll! Ich glaubte, man könne solchen jungen Leuten, wie Sie, nicht mehr auf dieser Welt begegnen. Tochter eines Conditors!«
»Das scheint Sie in Erstaunen zu setzen, wie ich sehe«, erwiederte Sanin nicht ohne Würde, »doch erstens habe ich keine Vorurtheile . . .«
»Erstens wundere ich mich nicht im Geringsten,« unterbrach ihn Maria Nikolaewna – »Vorurtheile habe ich auch nicht. Ich selbst bin die Tochter eines Bauers. Nun? Wer hat Recht? Ich wundere mich Und ich freue mich, daß es einen Menschen gibt, der sich nicht fürchtet zu lieben. Sie lieben sie doch?«
»Ja.«
»Ist sie sehr schön?«
Diese Frage setzte Sanin in Verlegenheit . . . Doch man mußte sich fügen . . .
»Sie wissen, Maria Nikolaewna,« fing er an, »daß Jedem das Gesicht seiner Geliebten schöner erscheint als das der Anderen; doch meine Braut ist wirklich eine Schönheit.«
»Wirklich? Doch welcher Art? italienisch? antik?«
»Ja; sie hat sehr regelmäßige Züge.«
»Sie haben kein Porträt von ihr bei sich?«
»Nein.« (In der Zeit dachte man noch nicht an Photographien; kaum hatte die Verbreitung der Daguerreotypie begonnen).
»Wie heißt sie?«
»Ihr Name ist – Gemma.«
»Und der Ihrige?«
»Dimitri.«
»Und ihr Vatername?«
»Pawlowitsch.«
»Wissen Sie, Dimitri Pawlowitsch,« sprach Maria Nikolaewna mit derselben, die Worte ziehenden Stimme, »daß Sie mir sehr gefallen? Sie müssen ein guter Mensch sein. Geben Sie mir Ihre Hand. Wir wollen Freunde sein.«
Sie drückte seine Hand fest mit ihren schönen, weißen, starken Fingern. Ihre Hand war nur wenig kleiner als die seinige – doch wärmer, glatter, welcher, lebensvoller.
»Doch wissen Sie, was mir in den Sinn kommt?«
»Was?«
»Sie werden nicht böse werden?«
»Nein?«
»Sie ist, wie Sie sagen, Ihre Braut . . . War es aber . . . war es durchaus so nothwendig? . . .«
Sanin wurde finster.
»Ich verstehe Sie nicht, Maria Nikolaewna.«
Maria Nikolaewna lachte leise, warf den Kopf zurück und strich die aus ihre Wangen gefallenen Haare zur Seite. – »Er ist allerliebst!« rief sie halb nachdenklich, halb zerstreut. »Ein Ritter! Und nun soll man Leuten, die da behaupten, »die Idealisten seien ausgestorben, noch Glauben schenken!«
Maria Nikolaewna hatte die ganze Zeit über russisch gesprochen, mit merkwürdig reiner, echt Moskauer Aussprache, wie sie dem Volke und nicht gerade dem Adel eigen ist.
»Sie sind gewiß im väterlichen Hause, in einer gottesfürchtigen Familie von altem Schlage erzogen worden?« fragte sie. »Aus welchem Gouvernement sind Sie?«
»Aus Tula.«
»Dann sind wir ja specielle Landsleute? Mein Vater . . . Sie wissen doch, wer mein Vater war?«
»Ja, allerdings.«
»Er war aus Tula gebürtig, er war ein echter Tula-Bauer. Doch genug . . . Wenden wir uns zur Sache.«
»Das heißt . . . zu welcher Sache? Sie meinen damit? . . .«
Maria Nikolaewna zog ihre Augen zusammen – »Wozu sind Sie denn hierher gekommen? (Wenn Sie die Augen zusammenzog, wurde der Ausdruck derselben zugleich sehr freundlich und spöttisch; wenn sie aber dieselben ganz öffnete – da offenbarte sich in dem lichten, beinahe kalten Glanze derselben etwas Bösartiges . . . etwas Drohendes. Eine besondere Schönheit verliehen ihren Augen die Augenbrauen, dicht, ein wenig hervorspringend, gerade wie beim Zobel.) Sie wollen, daß ich Ihr Gut kaufe? Sie brauchen Geld für Ihre Hochzeit? Nicht wahr?«
»Ich ich brauche welches«
»Und brauchen Sie viel?«
»Vorläufig wäre ich mit einigen Tausend Franks zufrieden. Ihr Herr Gemahl kennt mein Gut. Sie können ihn um Rath fragen – ich werde auch keinen theueren Preis beanspruchen.«
Maria Nikolaewna schüttelte mit dem Kopfe. »Erstens,« fing sie an – sie sprach in Absätzen – die Spitzen ihrer Finger berührten den Aufschlag des Rockärmels von Sanin, »habe ich nicht die Gewohnheit, meinen Mann um Rath zu fragen, Toilette-Gegenstände ausgenommen; in dieser Hinsicht gilt er bei mir als Künstler; und zweitens, warum sagen Sie, einen billigen Preis beanspruchen wollen? Ich will den Umstand, daß Sie jetzt schrecklich verliebt und auf alle Opfer bereit sind, nicht ausnützen . . . Ich werde keine Opfer von Ihnen annehmen. Wie! Statt diese . . . wie drückt man sich am Besten aus? Diese edlen Gefühle etwa? – bei ihnen anzufeuern, sollte ich Sie gehörig rupfen? Das ist nicht meine Gewohnheit. Wenn es gerade vorkommt, habe ich kein Erbarmen mit den Leuten – doch nicht in dieser Weise.«
Sanin konnte nicht verstehen, ob sie ihren Spott mit ihm treibe, oder ernst spreche. Indessen dachte er bei sich: »Oh, vor dir muß man sich in Acht nehmen!«
Der Diener trat herein mit russischer Theemaschine, mit einem Theeserviee, mit Sahne, Zwieback u.s.w. auf einem großen Brette, stellte diesen ganzen Segen Gottes auf den Tisch zwischen Sanin und Frau Polosoff und entfernte sich.
Sie goß ihm eine Tasse ein. – »Sie verzeihen?« fragte sie, den Zucker mit den Fingern in die Tasse legend . . . die Zuckerzange lag gleichwohl daneben.
»Sehr gern! . . . Von einer so schönen Hand . . .«
Er beendete den Satz nicht, und verschluckte sich beinahe – doch sie sah ihn aufmerksam und frei an.
»Ich habe deshalb vom wohlfeilen Preise meines Gutes gesprochen, fuhr er fort,« »weil ich in diesem Augenblicke, da Sie sich im Auslande befinden, bei Ihnen keine großen verfügbaren Summen annehmen konnte, und endlich fühle ich selbst, daß der Verkauf . . . oder Kauf eines Gutes unter solchen Umständen – etwas Ungewöhnliches ist, und das war zu berücksichtigen.«
Sanin verwickelte sich und versprach sich, Maria Nikolaewna aber hatte sich in den Sessel sanft zurückgelegt, die Hände gekreuzt und blickte ihn stets mit demselben aufmerksamen und lichten Blicke an. Endlich schwieg er.
»Fahren Sie fort, sprechen Sie,« sagte sie, wie ihm zur Hilfe kommend, »ich höre Ihnen zu – es ist mir angenehm Sie anzuhören. Sprechen Sie.«
Sanin fing sein Gut zu beschreiben an, sagte, wie viel Desjatinen es habe, wo es liege, wie viel Ackerland es umfasse, welchen Gewinn man daraus ziehen könne . . . er erwähnte selbst der malerischen Lage des Gutshauses; und Maria Nikolaewna blickte ihn immerwährend an – immer heller, immer aufmerksamer; ihre Lippen bewegten sich unmerklich, ohne Lächeln; sie ließ ihre Zähne über sie hinstreifen. Es wurde ihm peinlich zu Muthe; er schwieg zum zweiten Male.
»Dimitri Pawlowitsch,« fing Maria Nikolaewna an, und sie wurde nachdenkend. »Dimitri Pawlowitsch . . .,« wiederholte sie, »wissen Sie was: ich bin überzeugt, daß der Ankauf Ihres Gutes für mich sehr vortheilhaft ist, und daß wir uns darüber einigen werden; doch Sie müssen mir . . . zwei Tage – ja zwei Tage Frist geben. Sie sind doch im Staude, zwei Tage von Ihrer Braut entfernt zu bleiben? Länger werde ich Sie wider Ihren Willen nicht festhalten; hier mein Ehrenwort. Doch wenn Sie sofort fünf-, sechstausend Franc-s brauchen, bin ich mit größtem Vergnügen bereit, Ihnen mit denselben zu dienen. Wir werden später schon unsere Rechnung machen.«
Sanin erhob sich. »Ich muß Ihnen, Maria Nikolaewna, für Ihre freundliche und liebenswürdige Bereitwilligkeit, einem Ihnen beinahe gänzlich unbekannten Menschen zu helfen, danken . . . Doch wenn es Ihnen durchaus so beliebt, so würde ich verziehen, Ihre Entscheidung in Betreff meines Gutes abzuwarten und will zwei Tage hier bleiben.«
»Ja; das wünsche ich, Dimitri Pawlowitsch. Und wird es Ihnen schwer fallen? Sehr schwer? Sagen Sie.«
»Ich liebe meine Braut, Maria Nikolaewna, und die Trennung von ihr ist mir nicht leicht.«
»Sie sind ein goldener Mensch,« rief Maria Nikolaewna mit einem Seufzer. »Ich verspreche Ihnen, Sie nicht allzusehr zu quälen. Sie gehen schon?«
»Es ist spät,« bemerkte Sanin.
»Ja, Sie müssen sich von dieser Reise und vom Spiel mit meinem Manne erholen. Sagen Sie, sind Sie ein großer Freund von meinem Manne?«
»Wir wurden zusammen erzogen.«
»Und war er schon damals so?«
»Wie so?« fragte Sanin.
Maria Nikolaewna lachte plötzlich laut auf, lachte bis zur Röthe des ganzen Gesichtes, führte das Taschentuch an ihre Lippen, stand vorn Sessel auf, kam schwankend wie eine Müde zu Sanin und reichte ihm die Hand.
Er verabschiedete sich und ging nach der Thür.
»Belieben Sie morgen früher zu erscheinen – hören Sie?« rief sie ihm nach. Er blickte zurück und sah, daß sie sich wieder in den Sessel niedergelassen und beide Hände um ihren Kopf geschlungen hatte. Die breiten Aermel ihres Hauskleides waren zurückgefallen, beinahe bis zu den Schultern, und man mußte gestehen, daß die Lage dieser Hände, die ganze Gestalt bezaubernd schön war.
XXXVI
Noch lange nach Mitternacht brannte die Lampe in Sanins Zimmer. Er saß am Tische und schrieb an »seine Gemma«. Er erzählte ihr Alles, beschrieb ihr die Polosoffs, den Mann wie die Frau, doch verbreitete er sich hauptsächlich über seine eigenen Gefühle, und endigte damit, daß er ihr meldete, er sehe sie in drei Tagen wieder!!! (Mit diesen drei Ausrufungszeichen schloß auch der Brief.) Am frühen Morgen trug er diesen Brief auf die Post und ging in den Garten beim Curhaus, wo bereits die Musik spielte, spazieren. Es gab noch wenige Curgäste; er stand eine zeitlang vor dem Kiosk wo sich das Orchester befand, hörte ein Potpourri aus Robert dem Teufel an, trank Caffee, begab sich in eine vereinsamte Seiten-Allee, setzte sich auf eine Bank und dachte nach.
Der Griff eines Schirmes klopfte rasch und ziemlich stark an seine Schulter. Er fuhr zusammen . . . Vor ihm stand im leichten, grau-grünen Barège-Kleide, mit Hut von weißem Tüll und schwedischen Handschuhen, blühend und rosig wie der Sommermorgen, mit noch nicht entschwundenen Spuren des Wohlgefühles vom ungestörten Schlafe in Bewegungen und Blicken – Maria Nikolaewna.
»Guten Morgen!« rief sie. »Ich habe bereits nach Ihnen geschickt, doch Sie waren schon ausgegangen. Ich habe eben mein zweites Glas getrunken, man zwingt mich, wie Sie wissen, hier Wasser zu trinken – Gott weiß wozu . . . kann man etwa gesünder sein als ich? Und nun muß ich eine ganze Stunde einherspazieren. Wollen Sie mein Begleiter sein? Nachher wollen wir Caffee trinken.«
»Ich habe bereits welchen getrunken,« sagte Sanin, »doch es macht mir viel Freude, mit Ihnen spazieren zu gehen.«
»Dann reichen Sie mir Ihren Arm . . . Haben Sie keine Angst: Ihre Braut ist nicht hier, sie sieht es nicht.«
Sanin lächelte gezwungen. Er empfand einen unangenehmen Eindruck, jedesmal, wenn Maria Nikolaewna Gemma erwähnte. Doch fügte er sich eilig und willig . . . Der Arm Nikolaewnas ließ sich langsam und weich auf den seinigen nieder, gleitete in ihn hinein und schmiegte sich ihm an.
»Gehen wir hierher,« sagte sie, den geöffneten Schirm auf die Schulter werfend. »Im hiesigen Park bin ich wie zu Hause; ich führe Sie zu den schönsten Plätzen. Und wissen Sie was (sie gebrauchte häufig diese drei Worte), wir wollen jetzt nicht über diesen Kauf sprechen; wir sprechen darüber nach dem Frühstücke, und zwar gründlich; jetzt müssen Sie nur über sich selbst erzählen . . . damit ich weiß, mit wem ich zu thun habe. Nachher werde ich Ihnen, wenn Sie es wünschen, von mir erzählen. Sind Sie einverstanden?«
»Aber, Maria Nikolaewna, was kann Sie interessiren . . .«
»Warten Sie, warten Sie, Sie haben mich falsch verstanden. Ich will mit Ihnen nicht coquettiren.« Maria Nikolaewna zuckte die Achseln. »Er hat eine Braut, wie eine antike Statue, und ich soll mit ihm coquettiren! Doch Sie haben eine Waare – und ich bin der Kaufmann. Und ich will wissen, wie Ihre Waare ist. Wohlan! zeigen Sie, wie sie ist, Ich will nicht bloß wissen, was ich kaufe, sondern auch bei wem ich kaufe. Das war die Regel meines Vaters. Nun fangen Sie an . . . Meinetwegen nicht von Ihrer Kindheit; aber zum Beispiel: wie lange sind Sie im Auslande? Wo waren Sie bis jetzt? Gehen Sie nur langsamer, wir haben nicht nöthig uns zu beeilen.«
»Hierher bin ich aus Italien gekommen, wo ich einige Monate zubrachte.«
»Sie haben, wie ich sehe, eine besondere Neigung zu allem Italienischen! Sonderbar, daß Sie nicht dort Ihren Gegenstand gefunden haben. Lieben Sie die Künste? Die Gemälde, oder mehr die Musik?«
»Ich liebe die Kunst . . . Ich liebe alles Schöne.«
»Auch die Musik?«
»Die Musik ebenfalls.«
»Und ich, ich liebe sie gar nicht. Mir gefallen bloß die russischen Gesänge, und dies nur auf dem Lande, im Frühling, beim Tanz, Sie kennen das . . . Rothe Gewänder,Perlengeschmeide im Haar, auf der Wiese kleines Gras, es riecht noch nach Rauch . . . ach, das ist schön! Doch von mir ist nicht die Rede. Sprechen Sie doch, erzählen Sie.«
Maria Nikolaewna ging und blickte beständig Sanin an. Sie war von hohem Wuchs; ihr Gesicht reichte beinahe bis zu dem seinigen.
Er begann zu erzählen, anfangs widerwillig, ungeschickt, doch bald ging es besser, allmählig kaut er sogar ins Plaudern. Maria Nikolaewna hörte mit kluger Miene zu, und dabei so traulich, daß Sie auch Andere unwillkürlich zum Freimuth verleitete. Sie hatte jene große Gabe des »Umganges« – la terrible don de la familiarité —, die der Cardinal Retz erwähnt.
Sanin sprach von seinen Reisen, von seinem Leben in Petersburg, von seiner Jugend . . . Wäre Maria Nikolaewna eine Dame der höheren Gesellschaft von verfeinerten Sitten gewesen, nimmermehr hätte er in solchem Grade sich ihr geöffnet, doch sie nannte sich selbst einen »guten Jungen«, der ohne alle Umstände sei, und solche nicht leiden könne, so hatte sie sich Sanin dargestellt. Und zu gleicher Zeit schritt dieser »gute Junge« neben ihm einher nach Katzenart, leicht an ihn gelehnt, ihm in das Gesicht blickend – und dieser »gute Junge« bewegte sich neben ihm in der Gestalt eines jungen, weiblichen Wesens, er duftete förmlich nach jener erregenden und zugleich entnervenden Versuchung, mit der gewisse slavische Weiber allein, und zwar nur einige, dabei nicht reiner, sondern gehörig gemischter Race, uns arme Männer zu Tode zu quälen im Stande sind.
Der Spaziergang Sanin’s mit Maria Nikolaewna, seine Unterhaltung mit ihr dauerte eine Stunde. Kein einziges Mal blieben sie stehen – immer weiter drangen sie in die unendlichen Alleen des Parkes vor, bald eine Höhe ersteigend und im Gehen die Aussicht bewundernd, bald ein Thal herabsteigend und in undurchdringlichen Schatten sich verbergend – und immer mit verschlungenen Armen. Manchmal wurde Sanin ärgerlich; mit seiner Gemma, mit seiner heißgeliebten Gemma hatte er nie so lange gelustwandelt . . . Hier aber hatte sich seiner diese Dame bemächtigt – und Punktum! Ein Mal fragte er sie: »Sind Sie nicht müde?«
»Ich werde nie müde,« bekam er zur Antwort.
Manchmal begegneten ihnen andere Spaziergänger, beinahe Alle grüßten sie – die einen ehrerbietig, andere selbst kriechend. Einem derselben, einem sehr schönen, elegant gekleideten Brünetten rief sie mit dem reinsten Pariser Accent von Ferne zu: »Comte, vous savez ils ne faut pas venir me voir – ni aujourdhui ni demain.« Dieser nahm schweigend den Hut ab und verbeugte sich tief. »Wer ist das?« fragte Sanin aus schlechter Gewohnheit der Neugierde, die allen Russen eigen ist.
»Dies? Ein Französchen, es drehen sich ihrer viele hier umher. Er macht mir die Cour – auch er. Doch es ist Zeit, Caffee zu trinken. Gehen wir mich Hause, Sie sind wohl hungrig geworden. Mein – Alter hat inzwischen wohl schon die Augen aufgerissen!«
»Mein Alter! die Augen ausgerissen!!« wiederholte Sanin für sich, »und dabei spricht sie so schön französisch . . . Welch’ sonderbares Wesen!«
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Maria Nikolaewna irrte sich nicht. Als sie mit Sanin in das Hotel zurückgekehrt war, saß bereits ihr Alter oder »Dicker« mit seinem Fez auf dem Kopfe vor dem gedeckten Tische. »Ich habe schon lange auf Dich gewartet,« rief er mit saurer Miene. »Ich wollte schon ohne Dich Caffee trinken.«
»Schadet nichts,« entgegnete lustig Maria Nikolaewna. »Warst Du böse? Das ist Dir gesund, sonst wirst Du mir zu fett. Ich bringe unseren Gast, klingle schnell. Trinken wir Caffee, Caffee, den besten Caffee – in Tassen von sächsischem Porzellan, auf der schneeweißen Serviette!«
Sie nahm den Hut ab, zog die Handschuhe aus, und klatschte mit den Händen.
Polosoff sah sie finster an.
»Maria Nikolaewna, was hüpfen sie heute so sehr?« sprach er halblaut.
»Das geht Sie, Hippolyt Sidoritsch, nichts an! Klingle doch! Dimitri Pawlowitsch, nehmen Sie Platz und trinken Sie Caffee zum zweiten Male. Ach, wie lustig ist es zu gebieten! Ein größeres Vergnügen gibt es nicht auf der Welt!«
»Wenn man gehorcht,« brummte wieder ihr Mann.
»Gerade wenn man gehorcht! Darum bin ich auch glücklich, namentlich mit Dir! Nicht wahr, Dicker? Da ist auch der Caffee!«
Auf dem ungeheuren Brett, mit dem der Kellner erschien, befand sich auch die Theateranzeige. Maria Nikolaewna griff sofort darnach.
»Ein Drama!« rief sie mit Unwillen, – »ein deutsches Drama. Einerlei! immer besser als deutsche Komödie. Lassen Sie für mich eine Orchesterloge holen – oder nein . . . lieber die Fremdenloge,« wandte sie sich zum Kellner, »hören Sie: durchaus die Fremdenloge.«
»Wenn aber die Fremdenloge bereits von Seiner Excellenz dem Herrn Stadt-Director belegt ist?« wagte der Kellner einzuwenden.
»Gehen Sie der Excellenz zehn Thaler – daß ich aber die Loge habe! Hören Sie?«
Der Kellner verneigte sich ergeben, doch schmerzlich bewegt.
»Dimitri Pawlowitsch, Sie fahren mit mir ins Theater? Die deutschen Schauspieler sind abscheulich – doch Sie fahren . . . Ja? Ja! Wie Sie liebenswürdig sind! Und Du, Dicker, fährst Du nicht?«
»Wie Du befiehlst,« sagte Polosoff in die Tasse, welche er zum Munde geführt hatte.
»Weißt Du was: bleib lieber. Du schläfst beständig im Theater. Du verstehst auch deutsch zu wenig. Mache lieber Folgendes: schreibe die Antwort an den Verwalter – erinnerst Du Dich wegen unserer Mühle . . . wegen des unentgeltlichen Mahlens des Bauerngetreides. Schreibe ihm, daß ich nicht will, nicht will, und damit basta! Da hast Du eine Beschäftigung für den ganzen Abend.«
»Gut,« antwortete Polosoff.
»Das ist ja prachtvoll. Du bist mein kluges Kind. Jetzt aber, meine Herren, da wir gerade des Verwalters erwähnt haben, wollen wir die Hauptsache besprechen. Sobald der Kellner weggeräumt haben wird, werden Sie, Dimitri Pawlowitsch, uns Alles von Ihrem Gute erzählen – wie, was, wie theuer Sie verkaufen, wie viel Angeld Sie haben wollen – kurz Alles! (»Endlich!« dachte Sanin – »Gott sei gelobt!«) Etwas haben Sie mir bereits mitgetheilt, Ihren Garten haben Sie mir, wie ich mich erinnere, prachtvoll beschrieben, doch mein Dicker war nicht dabei . . . Mag er es auch hören, – etwas wird er doch darein zu reden haben! Es ist mir sehr angenehm, zu denken, daß ich Ihnen bei Ihrer Heirath behilflich sein kann, auch habe ich Ihnen versprochen, mich nach dem Frühstück mit Ihnen zu beschäftigen, und ich halte stets mein Versprechen – nicht wahr Hippolyt Sidoritsch?«
Polosoff rieb sich sein Gesicht mit der Hand. »Was wahr ist, ist wahr, Sie haben nie Jemand betrogen.«
»Nie! und werde nie Jemand betrügen! Wohlan Dimitri Pawlowitsch, tragen Sie uns Ihre Sache vor, wie man sich im Petersburger Senat auszudrücken pflegt.«