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Kitabı oku: «Helene», sayfa 2

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III

Anna Wassiljewna Stachow, geborene Schubin, blieb, sieben Jahre alt, als vater- und mutterlose Waise und Erbin eines ziemlich beträchtlichen Vermögens zurück. Sie hatte sehr reiche und sehr arme Verwandte; die armen von väterlicher, die reichen von mütterlicher Seite: den Senator Wolgin, die Fürsten Tschikurassow. Fürst Ardalion Tschikurassow, der ihr zum Vormund bestimmt wurde, gab sie in die beste Pension Moskaus, und als sie die Anstalt verließ, nahm er sie zu sich ins Haus. Er lebte auf großem Fuße und gab im Winter Bälle. Anna Wassiljewna‘s zukünftiger Mann, Nikolai Artemjewitsch Stachow, eroberte sich seine Gattin auf einem jener Bälle, wo dieselbe in einem »reizenden rosenfarbenen Anzuge und Kopfputz aus kleinen Röschen, erschienen war. Sie bewahrte diesen Kopfputz noch auf . . . Nikolai Artemjewitsch Stachow, Sohn eines verabschiedeten Capitains, der, 1812 verwundet, eine einträgliche Anstellung in Petersburg bekommen hatte, bezog, sechszehn Jahre alt, die Junkerschule und trat in die Garde. Er war hübsch von Gestalt, gut gebaut und galt fast für den besten Tänzer auf den Tanzkränzchen des Mittelstandes, die er vorzugsweise besuchte; in der hohen Welt hatte er nicht Zutritt. Von Jugend auf schwärmte er für zwei Dinge: Flügeladjutant zu werden und eine vortheilhafte Heirath zu schließen; dem ersteren entsagte er bald, dafür aber behielt er desto fester letzteres im Auge. Zu diesem Zwecke fuhr er jeden Winter nach Moskau. Stachow sprach ziemlich fertig französisch und wurde, weil er kein ausschweifendes Leben führte, für einen Philosophen gehalten. Schon als Fähnrich liebte er eifrig zu disputiren, ob zum Beispiel ein Mensch wohl in seinem Leben alle Punkte des Erdballs bereisen, oder ob er wohl erfahren könne, was auf dem Boden des Meeres vorgehe – und war stets der Meinung, es sei unmöglich.

Stachow war fünfundzwanzig Jahre alt, als er Anna Wassiljewna »kaperte;« er nahm seinen Abschied und zog aufs Land, um die Wirthschaft zu führen. Er wurde des Lebens auf dem Lande jedoch bald überdrüssig, umsomehr, da die Bauern zinspflichtig waren und zog daher nach Moskau, wo seine Frau ein Haus besaß. In seiner Jugend hatte er keinerlei Spiel gespielt, nun aber bekam er eine Leidenschaft fürs Lottospiel und als dieses verboten ward,3 für Whist. Zu Hause fühlte er Langeweile; er machte die Bekanntschaft einer Wittwe deutscher Abkunft und verbrachte bei ihr fast seine ganze Zeit. Den Sommer 1853 ging er nicht nach Kunzowo aufs Land; er blieb unter dem Vorwande, Mineralwasser zu brauchen, in Moskau; in Wahrheit jedoch, weil er sich nicht von seiner Wittwe trennen konnte. Er sprach übrigens auch mit ihr wenig und stritt meistens mit ihr darüber, ob man wohl die Witterung vorausbestimmen könne und dergleichen mehr. Es nannte ihn einmal Jemand Frondeur; diese Benennung gefiel ihm sehr. Ja wohl, dachte er, selbstgefällig die Mundwinkel herabziehend und sich langsam schaukelnd, es ist nicht leicht, mich zu befriedigen; mich führt man nicht so leicht an. Das Frondiren Stachow‘s bestand aber einfach darin, daß er zum Beispiel wenn Jemand von Nerven sprach, fragte: Und was nennen Sie Nerven? oder wenn in seiner Gegenwart von Fortschritten der Astronomie die Rede war, er dazwischen warf: Und glauben Sie an Astronomie? Wollte er seinen Gegner gänzlich vernichten, dann sagte er: Das sind Alles nur Phrasen. Man muß gestehen, daß dergleichen Argumente vielen Leuten (wie es heut zu Tage noch vorkommt) unumstößlich schienen; Stachow hatte aber gewiß keine Ahnung davon, daß Augustine Christianowna in ihren Briefen an ihre Cousine Theolinde Petersilius ihn »mein Pinselchen« nannte.

Nikolai Artemjewitsch‘s Frau, Anna Wassiljewna, war ein kleines mageres Weibchen mit feinen Gesichtszügen, zu Gemüthsbewegungen und Trauer geneigt. In der Erziehungsanstalt hatte sie Musik getrieben und Romane gelesen, später aber beides aufgegeben; dann hatte sie sich mit ihrem Putze beschäftigt, aber auch dieses bei Seite gelegt; zuletzt war es die Erziehung ihrer Tochter, die sie zu übernehmen gedachte, doch es versagten ihr die Kräfte auch hierin und sie überließ diese Sorge einer Gouvernante; das Ende von Allem war, daß sie weiter nichts mehr that, als sich ihrer Trauer und stiller Gemüthsbewegung hinzugeben. Helene Nikolajewna‘s Geburt zerstörte ihre Gesundheit, sie gebar keine Kinder mehr; auf diesen Umstand machte Nikolai Artemjewitsch Anspielungen, um sein Verhältniß mit Augustine Christianowna zu rechtfertigen. Anna Wassiljewna betrübte die Untreue ihres Gatten sehr; es schmerzte sie besonders, daß er einmal durch List seiner Geliebten ein paar graue Pferde aus ihrem eigenen Gestüte geschenkt hatte. Ins Gesicht machte sie ihm niemals Vorwürfe, insgeheim aber beklagte sie sich über ihn bei allen Hausgenossen selbst bei ihrer Tochter. Anna Wassiljewna liebte nicht Besuche zu machen; sie hatte es gern, wenn irgend ein Gast bei ihr saß und ihr etwas erzählte; blieb sie allein, dann fühlte sie sich sogleich unwohl. Sie besaß ein sehr liebevolles und gefühlvolles Herz: das Leben aber hatte sie sehr bald aufgerieben.

Pawel Jakowlewitsch Schubin war in entferntem Grade ihr Neffe. Sein Vater hatte in Moskau gedient. Seine Brüder waren im Cadettencorps erzogen worden; er, als jüngstes Kind, Liebling der Mutter, und von zarter Leibesbeschaffenheit, wurde zu Hause behalten. Er wurde für die Universität bestimmt und machte mit Mühe das Gymnasium durch. Schon früh zeigte sich bei ihm Neigung zur Bildhauerei; dem gewichtigen Senator Wolgin kam einmal bei des Knaben Tante eine kleine Statuette zu Gesicht (eine Arbeit des damals noch Sechszehnjährigen) und er erklärte, das angehende Talent unter seine Protection nehmen zu wollen. Der plötzliche Tod von Schubin‘s Vater hätte beinahe der Zukunft des jungen Menschen eine andere Richtung gegeben. Der Senator als Gönner der Talente, schenkte ihm eine Büste des Homer aus Gyps – das war Alles; Anna Wassiljewna aber half ihm mit Geld aus und mit genauer Noth, neunzehn Jahre alt, bezog er die Universität, um Medicin zu studiren. Pawel empfand nicht die geringste Neigung zur Medicin, doch bei der damaligen Zahl der Studenten war es unmöglich, in irgend eine andere Facultät zu treten;4 außerdem hoffte er Anatomie zu lernen. Er beendete dieses Studium nicht; ohne in den zweiten Cursus übergegangen zu sein, verließ er vor dem Examen die Universität, um sich ausschließlich seinem Berufe zu widmen. Er arbeitete eifrig, aber mit Unterbrechungen, streifte in der Umgegend Moskaus umher, formte und zeichnete Portraits von Bauermädchen, kam mit vielerlei Leuten, mit Jung und Alt, Hohen und Niederen, italienischen Formgießern und russischen Künstlern zusammen, wollte nichts von der Akademie wissen und keine Professoren anerkennen. Er besaß entschiedenes Talent: sein Name fing an in Moskau genannt zu werden. Seine Mutter, eine Pariserin aus – guter Familie, eine brave und kluge Frau, hatte ihm die französische Sprache gelehrt, Tag und Nacht sich um ihn bekümmert und Sorge für ihn getragen; sie war stolz auf ihn und als sie, noch jung, von der Schwindsucht ergriffen, im Sterben lag, bat sie Anna Wassiljewna, sich ihres Sohnes anzunehmen. Er war damals einundzwanzig Jahre alt. Anna Wassiljewna erfüllte ihre letzte Bitte; sie stellte Schubin ein kleines Zimmer in einem Nebengebäude. des Landbauses zur Verfügung.

IV

– So kommen Sie doch zum Essen, kommen Sie, bat die Hausfrau mit kläglicher Stimme, und Alle begaben sich in den Speisesaal. Sehen Sie sieh zu mir, Zoë, sagte Anna Wassiljewna, Du aber, Helene, unterhalte den Gast, und Du Paul, ich bitte Dich, treibe nicht Muthwillen und necke nicht Zoë. Mir thut heute der Kopf weh.

Schubin richtete wieder den Blick gen Himmel; Zoë erwiederte denselben mit einem leichten Lächeln. Diese Zoë, oder richtiger Zoja Nikitischna Müller, war ein nettes, blondgelocktes, etwas schieläugiges, volles junges Mädchen, deutscher Abkunft, mit einem Stutznäschen und rothen zierlichen Lippen. Sie sang nicht schlecht russische Romanzen, spielte ganz hübsch auf dem Clavier verschiedene bald heitere, bald rührende Stückchen,« kleidete sich mit Geschmack, aber etwas kinderhaft und gar zu zierlich. Anna Wassiljewna hatte sie als Gesellschafterin ihrer Tochter engagirt und ließ sie fast niemals von sich. Helene hatte nichts dagegen; wenn sie zufälliger Weise mit Zoë allein blieb, wußte sie niemals, was sie mit ihr sprechen sollte.—

Die Mahlzeit dauerte ziemlich lange; Berßenjew unterhielt sich mit Helene vom Studentenleben, von seinen Plänen und Hoffnungen; Schubin horchte, schwieg, aß mit übertriebener Hast und warf von Zeit zu Zeit komische Blicke auf Zoë, die darauf beständig mit phlegmatischem Lächeln antwortete. Nach der Tafel begaben sich Berßenjew, Helene und Schubin in den Garten; Zoë blickte ihnen nach, zuckte leicht die Achseln und setzte sich dann ans Clavier. Anna Wassiljewna fragte sie zwar: Warum gehen Sie denn nicht auch in den Garten? doch die Antwort nicht abwartend, setzte sie hinzu: spielen Sie mir etwas recht Schwermüthiges vor . . .

– La dernière pensée de Weber? fragte Zoë.

– Ach ja, aus Weber, sagte Anna Wassiljewna, ließ sich auf einen Armstuhl nieder und eine Thräne zitterte an ihren Wimpern.

Unterdessen war Helene mit ihren beiden Begleitern in eine Akazienlaube gelangt, in deren Mitte sich ein hölzerner Tisch, von Bänken umgeben, befand. Schubin blickte zurück, sprang einige Male umher, sagte dann leise: Warten Sie! lief auf sein Zimmer, brachte ein Stück Lehm und begann nun, Zoë‘s Gestalt unter Kopfschütteln, Brummen und Lachen zu modelliren.

– Immer die alte Geschichte, sagte Helene zu Berßenjew, nachdem sie einen Blick auf die Arbeit geworfen hatte, und setzte damit ihr an der Tafel begonnenes Gespräch mit ihm fort.

– Die alte Geschichte! wiederholte Schubin. Das ist aber ein unerschöpflicher Stoff! Heute besonders bringt sie mich zur Verzweiflung.

– Weshalb denn das? fragte Helene. Man könnte glauben, Sie sprechen von irgend einer boshaften, widerlichen Alten. Ein hübsches junges Fräulein . . .

– Freilich, warf Schubin ein, – sie ist hübsch, sehr hübsch; ich bin überzeugt, daß jeder Vorübergehende, der sie sieht, durchaus dabei denken muß: das ist mir Eine, mit welcher sich köstlich . . . eine Polka tanzen ließe; auch bin ich überzeugt, daß sie das weiß und daß es ihr angenehm ist . . . Wozu denn also dieses verschämte Spiel, diese Bescheidenheit? Nun, Sie verstehen schon, was ich damit sagen will, setzte er durch die Zähne hinzu. – Sie sind übrigens jetzt mit anderen Dingen beschäftigt.

Und Zoë’s Bild zerbrechend, begann Schubin hastig und augenscheinlich ärgerlich den Lehm zu kneten.

– Sie möchten also Professor werden? fragte Helene Berßenjew.

– Ja, erwiederte dieser, die rothen Hände zwischen die Kniee zwängend. Das ist mein liebster Traum. Freilich, ich weiß sehr gut, was mir noch Alles fehlt, um würdig eines so hohen . . . ich will sagen, ich bin zu wenig vorbereitet, hoffe indessen die Erlaubniß zu einer Reise ins Ausland zu erhalten;5 ich bleibe drei, vier Jahre dort, wenn es nöthig ist, und dann . . .

Er hielt inne, schlug die Augen nieder, dann rasch wieder auf und brachte unbeholfen lächelnd sein Haar in Ordnung. Wenn Berßenjew mit Frauen sprach, wurde seine Rede noch langsamer; auch lispelte er dann mehr.

– Sie wollen Professor der Geschichte werden? fragte Helene.

– Ja, oder der Philosophie, setzte er, die Stimme sinken lassend, hinzu, wenn es sich thun läßt.

– Er ist schon jetzt stark wie ein Teufel in der Philosophie, bemerkte Schubin, indem er mit dem Nagel tiefe Furchen in dem Lehm zog, wozu braucht er ins Ausland zu reisen?

– Und wird Sie Ihre Stellung vollkommen befriedigen? fragte Helene, auf den Ellenbogen gestützt und ihm gerade ins Gesicht blickend.

– Vollkommen, Helene Nikolajewna, vollkommen. Welchen besseren Beruf könnte es geben? Denken Sie nur, in die Fußstapfen eines Timofei Nikolajewitsch6 zu treten . . . Der Gedanke allein an einen solchen Wirkungskreis erfüllt mich mit Freude und Schauer, ja . . . mit Schauer, den . . . der aus dem Bewußtsein der Unzulänglichkeit meiner Kräfte entspringt. Mein seliger Vater ertheilte mir seinen Segen zu diesem Werke . . . Seine letzten Worte werde ich nie vergessen . . .

– Ihr Vater starb im vergangenen Winter?

– Ja, Helene Nikolajewna, im Februar.

– Man sagt, fuhr Helene fort, er habe eine bemerkenswerthe Schrift in Manuscript hinterlassen; ist das wahr?

– Ja, ein solches ist vorhanden. Das war ein vortrefflicher Mann. Sie hätten ihn lieb gewonnen, Helene Nikolajewna.

– Ich bin davon überzeugt. Und was ist der Inhalt jener Schrift?

– Den Inhalt, Helene Nikolajewna, könnte ich Ihnen nicht leicht in ein paar Worten wiedergeben. Mein Vater war ein Mann von großer Gelehrsamkeit, Schellingianer, er gebrauchte nicht immer deutliche Ausdrücke . . .

– Andrei Petrowitsch, unterbrach ihn Helene, vergeben Sie mir meine Unwissenheit, was bedeutet Schellingianer?

Berßenjew lächelte leicht.

– Ein Schellingianer bedeutet einen Anhänger Schelling’s, eines deutschen Philosophen, worin aber Schelling’s Anschauung bestand . . .

– Andrei Petrowitsch! rief plötzlich Schubin, um des Himmels Willen! Du wirst doch Helene Nikolajewna nicht gar einen Vortrag über Schelling halten wollen? Habe doch Mitleid!

– Durchaus keinen Vortrag, murmelte Berßenjew und wurde roth, ich wollte . . .

– Und warum denn keinen Vortrags warf Helene ein. Wir Beide, Pawel Jakowlewitsch, bedürfen der Vorträge sehr.

Schubin sah ihr fest in die Augen und brach plötzlich in Lachen aus.

– Worüber lachen Sie denn? fragte sie trocken und fast streng.

Schubin verstummte.

– Ach ich bitte, zürnen Sie nicht, sagte er nach einer kleinen Pause, vergeben Sie mir. Aber in der That, wie ist es möglich, ich bitte Sie, jetzt, bei diesem Wetter, unter diesen Bäumen von Philosophie zu sprechen? Wäre es nicht besser, wir sprächen von Nachtigallen, von Rosen, von jungen Gesichtern und Lächeln?

– Ja, und von französischen Romanen, von Weiberstaat, setzte Helene hinzu.

– Meinetwegen auch davon, wenn er nur hübsch ist.

– So? Nun wenn wir aber nicht von Weiberstaat sprechen wollten? Sie nennen sich mit Stolz einen freien Künstler, warum suchen Sie die Freiheit Anderer zu schmälern? Und erlauben Sie mir die Frage, weshalb greifen Sie bei dieser Sinnesart Zoë an?

Schubin fuhr plötzlich von seiner Bank auf. Ja, so! sagte er mit unsicherer Stimme, Ich verstehe Ihren Wink; Sie schicken mich fort, zu ihr, Helene Nikolajewna. Mit anderen Worten, ich bin hier überflüssig?

– Es fiel mir gar nicht ein, Sie fortzuschicken.

– Sie wollen sagen, fuhr Schubin zornig fort, ich sei keiner anderen Gesellschaft werth, wir paßten zusammen, ich sei ebenso flach, albern und kleinlich wie die süßliche deutsche Mamsell? Nicht so?

Helene runzelte die Stirn.

– Sie haben nicht immer so von ihr gesprochen, Pawel Jakowlewitsch, bemerkte sie.

– Ah! Vorwürfe, Vorwürfe jetzt! rief Schubin aus. Nun ja, ich mache kein Hehl daraus, es war eine Minute, ja eine einzige Minute, als mich diese frischen, albernen Wangen . . . Nun, wenn ich Ihnen mit Vorwürfen entgegnen, Ihnen ins Gedächtniß rufen wollte . . . Leben Sie wohl, brach er plötzlich ab, es ist zum Verrücktwerden!

Und mit der Hand auf den zu einem Kopfe geformten Lehm schlagend, lief er aus der Laube hinaus und begab sich auf sein Zimmer.

– Ein Kind, sagte Helene und sah ihm nach.

– Ein Künstler« sagte lächelnd Berßenjew. Die Künstler sind alle so. Man muß ihnen ihre Launen hingehen lassen. Das ist ihr Recht.

– Ja wohl, erwiederte Helene, Pawel hat jedoch bisher sich noch durch nichts dieses Recht erworben. Was hat er bis jetzt vor sich gebracht? Geben Sie mir Ihren Arm, wir wollen einen Gang durch die Allee machen. Er hat uns gestört. Wir sprachen von der Schrift Ihres Vaters.

Berßenjew nahm Helene’s Arm und folgte ihr in den Garten, doch das zu früh unterbrochene Gespräch ward nicht wieder aufgenommen; Berßenjew war wieder auf seine Ansichten über Professur und seine künftige Wirksamkeit zurückgekommen. Langsam und unbeholfen ging er an Helene‘s Seite hin, hielt ungeschickt ihren Arm, stieß sie zuweilen mit der Schulter an und blickte ihr nicht ein einziges Mal ins Gesicht; seine Rede floß indessen leicht, wenn auch nicht frei dahin, er drückte sich dießmal einfach und passend aus, seine Blicke, die langsam an den Stämmen der Baume, an dem Rande des Weges, an dem Rasen hinstreiften, glühten von sanfter Rührung edler Gefühle und in der ruhigen Stimme äußerte sich die Freude, die der Mensch empfindet, wenn ihm vergönnt wird, sich gegen ein anderes, ihm theueres Wesen auszusprechen. Helene hörte ihm mit Aufmerksamkeit zu, und halb zu ihm gekehrt, verwandte sie nicht den Blick von seinem etwas bleichgewordenen Gesichte, von seinen freundlichen und sanften Augen, die doch den ihrigen auszuweichen suchten. Ihre Seele hatte sich aufgethan und ein Gefühl von Zärtlichkeit, Gerechtigkeit, Güte ergoß sich halb in ihr Herz, halb wuchs es in ihm empor.

V

Bis in die Nacht hinein kam Schubin nicht aus seinem Zimmer. Es war schon ganz dunkel geworden, der Mond stand hoch am Himmel, die Milchstraße leuchtete und die Sterne flimmerten, als Berßenjew, nachdem er von Anna Wassiljewna, Helene und Zoë Abschied genommen hatte, an die Thür seines Freundes trat. Er fand sie verschlossen und klopfte an.

– Wer da? ließ sich Schubin‘s Stimme vernehmen.

– Ich bin’s« gab Berßenjew zur Antwort.

– Was willst Du?

– Laß mich ein, Pawel, höre auf zu schmollen; schämst Du Dich nicht?

– Ich schmolle nicht, ich schiefe und sehe im Traume Zoë’s Bild.

– So höre doch auf. Du bist ja kein Kind. Laß mich hinein, ich muß mit Dir sprechen.

– Hast Du Dich denn noch nicht sattgesprochen mit Helene?

– Nun höre endlich auf; laß mich ein!

Schubin stellte sich schnarchend. Berßenjew zuckte die Achseln und entfernte sich.

Die Nacht war warm und ganz besonders still, als ob Alles rings umher aus ein Unbekanntes lauschte und Wache stünde; auch Berßenjew, umfangen von dem unbeweglichen Dunkel, blieb unwillkürlich stehen, lauschte gleichfalls und stand Wache. Ein leichtes Rauschen, dem Rauschen eines seidenen Gewandes vergleichbar, ließ sich von Zeit zu Zeit in den Wipfeln der nächsten Bäume vernehmen und erregte in Berßenjew eine angenehme und beängstigende Empfindung, ja etwas wie Furcht. Ein leichter Schauer überflog seine Wangen, seine Augen wurden von kalten Thränen plötzlich feucht; ihm dünkte, er müsse so leise wie möglich auftreten, sich verbergen, fortschleichen. Da strich ein scharfer Hauch an ihm vorüber: er fuhr zusammen und war fast wie versteinert; ein schläfriger Käfer fiel aus den Zweigen zu seinen Füßen nieder; ein leises Ah! entschlüpfte Berßenjew’s Lippen von Neuem blieb er stehen. Er begann an Helene zu denken, und mit einem Male waren jene zufälligen Eindrücke vermischt: es blieb nur die belebende Empfindung der nächtlichen Kühle und des nächtlichen Spazierganges zurück; das Bild des jungen Mädchens erfüllte ganz seine Seele. Gesenkten Kopfes schritt Berßenjew fort und dachte an ihre Worte und Fragen. Auf ein Mal glaubte er rasche Fußtritte hinter sich zu hören. Er lauschte: es kam Jemand gelaufen, man wollte ihn einholen, ein unterbrochenes Athemholen konnte er schon hören; da tauchte plötzlich aus dem schwarzen Schatten eines großen Baumes, ohne Mütze auf dem zerwühlten Haare, ganz bleich im Lichte des Mondes, Schubin vor ihm auf.

– Es freut mich, daß Du diesen Weg gegangen bist, brachte er außer Athem hervor, – ich hätte die ganze Nacht nicht geschlafen, wenn ich Dich nicht eingeholt hätte. Gieb mir die Hand. Du gehst jetzt nach Hause?

– Ja, nach Hause.

– Ich werde Dich begleiten.

– Ohne Mühe?

– Thut nichts. Ich habe auch das Halstuch abgenommen. Es ist jetzt warm.

Die Freunde gingen einige Schritte weiter.

– Nicht wahr, ich bin heute ein Narr gewesen? fragte Schubin plötzlich.

– Aufrichtig gesagt, ja. Ich habe Dich nicht begreifen können. So habe ich Dich noch nie gesehen. Und worüber bist Du in Zorn gerathen, lohnte sich’s denn! Um solche Kleinigkeiten?

– Hm, murmelte Schubin. Das sagst Du, für mich sind es aber, keine Kleinigkeiten. Siehst Du, setzte er hinzu, – ich muß es Dir bekennen, ich . . . ich . . . denke von mir was Du willst . . . ich . . . nun ja denn! ich liebe Helene.

– Du liebst Helene! wiederholte Berßenjew.

– Nun ja, sagte Schubin mit affectirter Gleichgültigkeit. Das nimmt Dich Wunder? Ich will Dir noch mehr sagen. Bis zum heutigen Abend durfte ich hoffen, daß auch sie mich mit der Zeit lieben werde. Heute aber habe ich die Ueberzeugung gewonnen, daß ich auf nichts zu hoffen habe. Sie hat einen Anderen liebgewonnen.

– Einen Anderen? Wen denn?

– Wen? Dich! rief Schubin aus und gab Berßenjew einen Schlag auf die Schulter.

– Mich?

– Dicht wiederholte Schubin.

Berßenjew that einen Schritt zurück und blieb regungslos stehen. Schubin beobachtete ihn scharf.

– Und das wundert Dich? Du bist ein bescheidener Jüngling. Sie liebt Dich aber doch, darauf kannst Du Dich verlassen.

– Was Du für Unsinn schwatzst! sagte endlich Berßenjew ärgerlich.

– Keinen Unsinn, nein. Doch warum bleiben wir stehen? Laß uns weiter gehen. Es spricht sich besser im Gehen. Ich kenne sie schon lange, und kenne sie gut. Ich kann mich nicht täuschen. Sie hat Geschmack an Dir gefunden. Es war eine Zeit, wo ich ihr gefiel; aber erstens bin ich ihr ein gar zu leichtfertiger junger Bursche, Du hingegen bist ein ernster Kopf, bist moralisch und physisch eine anständige Persönlichkeit, Du . . . warte etwas, ich bin noch nicht fertig . . . Du bist ein gewissenhaft-gemäßigter Enthusiast, Du bist ein wahrer Repräsentant jener Priester der Wissenschaft, auf die . . . nein, nicht auf die . . . auf welche die Klasse des mittleren russischen Adels mit vollem Rechte stolz ist! Und zweitens hat Helene mich neulich ertappt, wie ich Zoë die Hände küßte.

– Zoë?

– Ja wohl, Zoë. Was ist dabei zu machen? Sie hat so schöne Schultern.

– Schultern?

– Nun ja, Schultern, Hände, ist das nicht einerlei? Helene überraschte mich bei dieser freien Beschäftigung nach der Mittagstafel, und vor dem Essen hatte ich über Zoë losgezogen. Helene begreift leider nicht, wie natürlich dergleichen Widersprüche sind. Da kommst Du nun dazu: Du mit Deinem Glauben an . . . ja« an was glaubst Du denn gleich? . . . Du wirst gleich roth, verwirrt, sprichst von Schiller, Schelling (sie ist ja wie versessen aus merkwürdige Männer), nun und der Sieg ist Dein, und ich Unglückseliger versuche zu scherzen und . . . und . . . dabei . . .

Schubin brach plötzlich in Thränen aus, ging auf die Seite, setzte sich auf den Boden und griff mit beiden Händen ins Haar.

Berßenjew trat an ihn heran.

– Pawel, begann er, was soll diese Kinderei? Ums Himmelswillen! Was hast Du denn heute? Der Himmel weiß, was für ein Unsinn Dir in den Kopf gekommen ist, und Du weinst. Wahrhaftig, mir scheint, Du spielst Komödie.

Schubin erhob den Kopf. Im Scheine des Mondes glänzten Thränen auf seinen Wangen, sein Gesicht lächelte jedoch.

– Andrei Petrowitsch, nahm er das Wort, Du kannst von mir denken, was Dir beliebt. Ich will sogar zugeben, daß mich in diesem Augenblicke die Hysterie gepackt hat; ich bin aber, bei Gott, in Helene verliebt und Helene liebt Dich. Uebrigens versprach ich Dir, Dich bis nach Hause zu begleiten, ich muß mein Versprechen halten.

Er stand auf.

– Welch eine Nacht! Wie silberglänzend, wie dunkel, wie jugendfrisch! Wie wohl ist jetzt denen, die geliebt werden! Wie freuen sie sich, nicht zu schlafen! Du wirst schlafen, Andrei Petrowitsch?

Berßenjew gab keine Antwort und beeilte seine Schritte.

– Wohin eilst Du? fuhr Schubin fort. Glaube meinen Worten, eine solche Nacht wird sich in Deinem Leben nicht wiederholen und zu Hause wartet Deiner Schelling. Es ist wahr, er hat Dir heute einen guten Dienst erwiesen; doch laufe deshalb nicht so. Singe wenn Du es verstehst, singe noch lauter, wenn Du es nicht verstehst . . . zieh den Hut ab, wirf den Kopf zurück, lächele die Sterne an. Sie alle blicken Dich an, Dich nur allein; weiter haben sie nichts zu thun, die Sterne, als nur Verliebte anzublicken . . . darum sind sie auch so wunderschön. Du bist ja doch verliebt, Andrei Petrowitsch? . . . Du antwortest mir nicht . . . Warum giebst Du keine Antwort? fuhr Schubin wieder fort. O, wenn Du Dich glücklich fühlst, dann schweige, schweige! Ich, ich schwatze, weil mir’s den Hals zuschnürt, ich werde nicht geliebt, ich bin ein Taschenspieler, ein Artist, ein Possenreißer; aber welch stilles Entzücken zöge ich bei diesem nächtlichen Fächeln, unter dieser Sternendecke, unter diesen Brillanten in mich ein, wüßte ich mich geliebt! . . . Berßenjew, bist Du glücklich?

Berßenjew verharrte in Schweigen und schritt eilig aus dem ebenen Wege weiter. In der Ferne glänzten durch die Bäume die Lichter des Dorfes, in dem er wohnte; es bestand im Ganzen aus etwa zehn kleinen Landhäusern. Ganz im Anfange desselben, rechts vom Wege ab, unter zwei weitästigen Birkenbäumen, befand sich eine kleine Bude mit Hökerwaaren; die Fenster derselben waren alle bereits geschlossen, nur ein breiter Lichtstreifen fiel fächerartig aus der geöffneten Thür auf das zertretene Gras und die unteren Theile der Bäume und beleuchtete grell die weißliche Rückseite des dichten Laubes. Ein Mädchen, dem Anschein nach eine Kammerzofe, stand in der Bude, mit dem Rücken zur Thüre gewandt und handelte um etwas mit dem Krämer; unter dem rothen Tuche, das sie über den Kopf geworfen hatte und mit entblößtem Arme am Kinn zusammenhielt, waren ihre vollen Wangen und ihr schlanker Hals kaum zu bemerken. Die jungen Leute traten in den Lichtkreis; Schubin warf einen Blick in das Innere der Bude, blieb stehen und rief: Annuschka! Das Mädchen wandte sich rasch um. Es zeigte sich ein liebliches, etwas breites, aber frisches Gesicht mit heiteren, braunen Augen und schwarzen Augenbrauen. Annuschka! rief Schubin wieder. Das Mädchen sah ihn forschend an, erschrak, wurde verlegen . . . und, ohne ihren Einkauf zu beschließen, sprang sie die Stufen hinab, schlüpfte gewandt vorbei und ging mit kaum merklichem Seitenblick über den Weg links ab. Der Krämer, ein dicker und für Alles auf der Welt gleichgültiger Mensch, wie es alle Landhöker sind, rief ihr gähnend nach, Schubin aber wandte sich zu Berßenjew mit den Worten: Das . . . das, siehst Du . . . ich habe hier eine bekannte Familie . . . bei ihnen nun . . . glaube Du nur nicht . . . und ohne seine Rede zu Ende zu bringen lief er dem sich entfernenden Mädchen nach.

– Wische doch wenigstens Deine Thränen ab, rief ihm Berßenjew, der sich des Lachens nicht enthalten konnte, nach. Als er aber zu Hause angelangt war, hatte sein Gesicht kein heiteres Aussehen; er lachte nicht mehr. Er hatte den Worten Schubin’s keinen Augenblick Glauben geschenkt, sie waren aber doch tief in seine Seele gedrungen. Pawel wollte mich zum Besten haben, dachte er, . . . einmal wird sie aber doch Jemand lieben . . . Wen wird sie lieben?

Berßenjew hatte in seinem Zimmer ein Clavier, es war nicht groß und nicht neu, doch von weichem und angenehmem, wenn auch nicht ganz reinem Tone. Berßenjew setzte sich an dasselbe und schlug einige Arcorde an. Gleich allen russischen Edelleuten hatte er in seiner Jugend Musik gelernt und spielte auch, wie fast alle unter ihnen, grundschlecht, liebte jedoch leidenschaftlich Musik. Es war, streng genommen, nicht die Kunst, die er an ihr liebte, nicht die Formen, die ihr zum Ausdrucke dienen (Symphonien und Sonaten, ja selbst Opern stimmten ihn traurig), sondern das Element derselben: er liebte jene unbestimmten und angenehmen, jene gegenstandslosen und Alles umfassenden Eindrücke, welche der harmonische Uebergang der Töne in der Seele erregt. Ueber eine Stunde blieb er vor dem Clavier, wiederholte mehrere Male dieselben Acrorde, versuchte sich unbeholfen an neuen und stockte oft, bei den verkürzten Septimen gern verweilend. Sein Herz war schwer und mehr als ein Mal traten ihm Thränen in die Augen. Er schämte sich derselben nicht: er vergaß sie im Dunkeln. Pawel hat Recht, dachte er, ich fühle es: dieser Abend kehrt nicht wieder. Endlich stand er auf, zündete ein Licht an, zog den Schlafrock über, holte von einem Bücherbrette den zweiten Theil von Raumer‘s Geschichte der Hohenstaufen – seufzte ein paar Male und vertiefte sich in seine Lectüre.

3.Dieses sonst unschuldige Spiel wurde in den öffentlichen Clubs verboten, da sich zahlreiche Familienväter ihm Tage lang hingaben und bedeutende Summen verloren. D. Uebers.
4.Die Zahl der Studenten wurde einmal auf 300 festgesetzt; über diese Zahl hinaus durften nur angehende Mediciner immatrieulirt werden. D. Uebers.
5.Es war zu jener Zeit das Reisen ins Ausland gesetzlich erschwert. D. Uebers.
6.Granowski, ein sehr beliebter Professor der Geschichte in Moskau; verstorben. D. Uebers.