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Kitabı oku: «König Lear der Steppe», sayfa 3

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XI

An dem bestimmten Tage fuhr unser großer, viersitziger Familienwagen, von sechs Schecken gezogen und den ersten Leibkutscher, den graubärtigen und dicken Alexeiwitsch, auf dem Bock, gemächlich beim Haupteingang unseres Hauses vor. Die Wichtigkeit des Actes, den Charloff vornahm, die Feierlichkeit, mit der er uns eingeladen, hatten ihre Wirkung auf meine Mutter nicht verfehlt. Sie selbst hatte den Befehl gegeben, die erwähnte außergewöhnliche Equipage anzuspannen und sagte mir und dem Souvenir, uns in schwarzen Frack zu werfen. Sie wollte augenscheinlich ihrem Schützling Ehre erweisen. Was Kwitzinski betrifft, so ging er immer im Frack und weißer Binde. Den ganzen Weg plapperte Souvenir wie eine Elster, stellte Betrachtungen an, womit ihn sein »Brüderchen« beglücken werde und nannte ihn dabei Götze und Vogelscheuche. Kwitzinski, ein ernster und cholerischer Mann, hielt es nicht länger aus. – »Was haben Sie,« sprach er mit seinem abgemessenen politischen Accente, »für eine Lust, ein ungereimtes Zeug zu schwatzen? Als ob es unmöglich wäre, still zu sitzen, ohne dies »nichtsnutzige« (das war sein Lieblingswort) Gewäsch!« »Sofort, sofort,« antwortete Souvenir unzufrieden und heftete seine schiefen Augen auf’s Wagenfenster. Kaum war eine Viertelstunde vergangen, kaum waren die gleichmäßig laufenden Pferde unter dem eleganten Riemzeug des neuen Pferdegeschirrs warm geworden, als wir bereits bei Charloff anlangten. Durch das weit geöffnete Thor fuhren wir in den Hof hinein; der kleine Vorreiter, dessen Fäßchen kaum die Mitte des Pferdeleibes erreichten, sprang zum letzten Male mit kindlichem Geschrei im weichen Sattel auf; die Ellbogen des alten Alexeiwitsch breiteten sich seitwärts aus und erhoben sich gleichzeitig; man hörte ein leises »Brr« – und stehen blieb der Wagen. Die Hunde empfingen uns nicht mit ihrem Gebell, selbst die Dorfjungen in den langen auf den vollen Bäuchen ein wenig geöffneten Hemden waren heute nicht da. Der Schwiegersohn Charloff’s empfing uns ans der Thürschwelle. Mir fielen namentlich, wie ich mich erinnere, die Birkenäste auf, die zu beiden Seiten des Einganges wie zu Pfingsten auf gesteckt waren. »O festlichster der Tage!« summte vor sich hin Souvenir, indem er zuerst aus dem Wagen stieg. Und richtig: Alles verrieth Feierlichkeit. Charloff’s Schwiegersohn trug ein seidenes Halstuch mit einer Atlasschleife vorne und einen ungewöhnlich engen schwarzen Frack. Der hinter seinem Rücken herausschauende Maksimka hatte seine Haare so gut mit Bier pomadisirt, daß sie davon sogar trieften. Wir traten in das Empfangszimmer ein, und erblickten in dessen Mitte Martin Petrowitsch, unbeweglich sich erheben – ja »sich erheben«, muß man von ihm wie von einem Berge sagen. Ich weiß nicht, was Souvenir und Kwitzinski beim Anblick dieser colossalen Figur fühlten, mich überkam ein Gefühl der Ehrfurcht. Martin Petrowitsch hatte eine graue Casaquine mit stehendem schwarzen Kragen angezogen, wahrscheinlich die, welche 1812 die Uniform der Freischaaren bildete. Auf Charloff’s Brust sah man die bronzene Medaille; ein Säbel hing an seiner Seite, seine linke Hand ruhte auf dessen Griff, mit der Rechten stützte er sich auf den mit rothem Tuch bedeckten Tisch. Zwei eng beschriebene Blätter lagen darauf Charloff rührte sich nicht, er holte nicht einmal tief Athem wie sonst. Was für eine Würde lag in seiner Erscheinung, welches Vertrauen zu sich selbst, zu seiner unbeschränkten und unzweifelhaften Macht! Er grüßte uns kaum mit einer Kopfbewegung sprach dumpf ein »Bitte!« und deutete mit dem linken Zeigefinger auf die in Reihe aufgestellten Stühle. An der rechten Wand des Empfangszimmers standen die Töchter Charloff’s in festlicher Kleidung. Anna trug ein seidenes, grün und pensée schillerndes Kleid mit gelbem, seidenem Gürtel, Eulampia ein rosa seidenes mit dunkelrothen Bändern. Neben ihnen machte Gitkoff sich bemerklich in neuer Uniform, mit dem gewöhnlichen Ausdruck stumpfer und gieriger Erwartung in den Augen und einer außergewöhnlichen Quantität Schweiß im haarigen Gesichte. An der linken Wand des Zimmers saß der Priester in abgetragenem tabakfarbigen Talar, ein alter Mann mit borstigem, braunem Haare. Dieses Haar, die kummervollem matten Augen, die großen, groben Hände, die ihn selbst zu belästigen schienen, und wie zwei unförmliche Massen auf seinen Knieen ruhten, die unter dem Talar hervorragenden Schmierstiefel – Alles zeugte von einem arbeitsvollen, unerfreulichen Dasein; sein Kirchspiel war eines der ärmsten. Neben ihm saß der Landrath, ein fettes, bleiches, unreinliches Herrchen mit schwämmigen, kurzen Hündchen und Fäßchen, schwarzen Augen, schwarzem kurzgeschnittenem Schnurrbart und einem beständigen, zwar vergnügten und doch widerwärtigen Lächeln. Er galt für den größten Freund von Bestechung und selbst für einen Tyrann, wie man sich damals auszudrücken pflegte; trotzdem hatten sich nicht allein die Gutsbesitzer, sondern auch die Bauern an ihn gewöhnt und hatten ihn sogar nicht ungern. Er blickte ungenirt und ein wenig von Oben herab auf seine Umgebung; man sah ihm an, daß ihm diese ganze Procedur belästige. Im Grunde genommen, interessirte ihn allerdings nur das bevorstehende Frühstück mit der lieben Wodka. Grade im Gegensatze zu ihm nahm der neben ihm sitzende Notarius, ein magerer Mensch, mit langem Gesichte, mit einem Backenbart, der sich von den Ohren zur Nase zog, wie es unter Alexander l. Mode war, den größten Antheil an den Anordnungen des Martin Petrowitsch und lenkte seine großen, ernsten Augen nicht von ihm ab. Es war wohl Folge seiner übertriebenen Aufmerksamkeit und Theilnahme, daß er seine Lippen beständig hin und her bewegte, ohne sie jedoch zu öffnen. Souvenir hatte sich an ihn gemacht und sprach mit ihm leise, nachdem er mir vorher eröffnet hatte, daß der Notar der schlimmste Freimaurer des ganzen Gouvernements sei. Die Specialcommission des Kreisgerichtes besteht bekanntlich aus dem Landrath, dem Notarius und dem Land-Polizeilieutenant. Doch war der Lieutenant entweder gar nicht zugegen oder er hielt sich so verborgen, daß ich ihn nicht bemerkte. Uebrigens hieß er auch in unserem Kreise der »Abwesende«. Ich setzte mich neben Souvenir, Kwitzinski neben mich. Auf dem Gesichte des praktischen Polen war deutlich der Aerger zu lesen über diese »nichtsnutzige« Fahrt, über den unnöthigen Zeitverlust »Herrschaftliche, russische Phantasien!« schien er sich zu denken. »Oh, diese Russen!«

XII

Als wir uns Alle gesetzt hatten, hob Martin Petrowitsch seine Schultern, räusperte sich, betrachtete uns mit seinen Bärenaugen und fing, nachdem er geräuschvoll Athem geholt, folgendermaßen an: »Meine Herren! Ich habe Sie eingeladen aus folgender Ursache: Ich werde alt, meine Herren, Krankheiten befallen mich . . . Eine Warnung ist mir bereits zu Theil geworden, und die Stunde des Todes naht, wie der Missethäter in der Nacht . . . Ist’s so richtig, ehrwürdiger Vater?« fragte er nach dem Priester gewendet.

»Der Priester sammelte sich einen Augenblick.

»Richtig, richtig!« sagte er dann schleppend und nickte mit dem Bart.

»Und deshalb,« fuhr Martin Petrowitsch fort, plötzlich die Stimme erhöhend, »nicht wollend, daß derselbige Tod mich unvorbereitet treffe, habe ich in meinem Sinne Folgendes beschlossen,« und er wieder holte Wort für Wort die Phrase, die er vor zwei Tagen bei meiner Mutter hergesagt hatte. »In Folge dieses meines Beschlusses,« schrie er noch lauter, »ist von mir diese Urkunde (er schlug mit der Hand auf die auf dem Tische liegenden Papiere) aufgesetzt, und die zuständigen Behörden sind als Zeugen eingeladen worden, und worin dieser mein Wille besteht, darüber geben die folgenden Punkte Auskunft. Bis heute war ich der Herr – jetzt habe ich’s satt!«

Martin Petrowitsch setzte seine runde, eiserne Brille auf die Nase, nahm eins von den beschriebenen Blättern und las: »Theilungsurkunde, betreffend das dem Portepee Fähnrich a. D, ständischem Edelmanne Martin Charloff gehörige Vermögen, von ihm selbst, bei vollem und gesundem Verstande, und nach eigenem Ermessen aufgesetzt, und in welcher bestimmt wird, welche Grundstücke seinen beiden Töchtern Anna und Eulampia (»Verbeugt Euch!« – sie verbeugten sich) über lassen werden, und auf welche Art die Leibeigenen und sonstiges Eigenthum, todtes und lebendes, auf diese beiden Töchter übergehen sollen, aus der Hand des Gebers.«

»Das ist seine Redaction,« flüsterte mit dem ihm eigenen, unveränderlichen Lächeln der Landrath Kwitzinski zu, »er hat sie wegen der Schönheit des Stils vorzulesen gewünscht. Die gesetzliche Urkunde ist in der vorgeschriebenen Form verfaßt ohne alle diese Blumen.« Souvenir fing zu kichern an.

«Doch meinem Willen gemäß!« warf Charloff, dem diese Bemerkung des Landraths nicht entgangen war, fragend ein: »In allen Punkten gemäß?« antwortete dieser »schnell und vergnügt. »Nur die Form kann man wie Sie, Martin Petrowitsch, wissen, durchaus nicht um gehen! Auch unnöthige Einzelheiten sind aufgefallen. Denn das Gericht konnte sich doch unmöglich mit scheckigen Kühen und türkischen Enten befassen!«

»Komme Du her!« rief Charloff seinem Schwiegersohne zu, welcher mit uns in das Zimmer getreten und mit unterthäniger Miene bei der Thür stehen geblieben war. Er eilte blitzschnell zum Schwiegervater.

»Da lies! Mir fällt es schwer. Verschlucke nichts, daß ja sämmtliche Anwesenden sich damit durchdringen können!«

Sletkin nahm das Blatt in beide Hände und las, zwar zitternd aber deutlich, »mit Geschmack und Gefühl« die – Theilungsurkunde. In ihr war mit der größten Sorgfalt bezeichnet, was Anna und was Eulampia zukam, und wie sie sich theilen sollten. Charloff unterbrach von Zeit zu Zeit das Lesen mit den Worten: »Das ist für Dich Anna, für Deine Mühe!« oder »dieses, Eulampia, schenkte ich Dir!« Und die beiden Schwestern verbeugten sich, Anna mit dem ganzen Körper, Eulampia blos mit dem Kopfe. Das Gutshaus (das neue Haus) bekam Eulampia, als jüngste Töchter nach »uraltem Brauche«. Die Stimme des Lesers zitterte beim Kundgeben dieser ihm so unangenehmen Bestimmung. Gitkoff aber verrieth seine Befriedigung dadurch, daß er an seinen Lippen leckte. Eulampia sah ihn verstohlen an; dieser Blick hätte mir an Gitkoff’s Stelle nicht gefallen; der verachtende Gesichtsausdruck, welcher Eulampia,: wie jeder echten russischen Schönen, eigen war, hatte in diesem Augenblicke einen ganz besonderen Charakter angenommen. Martin Petrowitsch behielt sich das Recht vor, in den von ihm gegenwärtig eingenommenen Zimmern zu wohnen und machte sich, unter dem Titel »Appanage« vollen Unterhalt »in Naturalien,« sowie fünf Rubel monatlich für Kleider und Schuhwerk aus. Den letzten Satz der Theilungsurkunde wollte, Charloff selbst lesen. »Und diesen meinen väterlichen Willen,« lautete derselbe, »sollen meine Töchter ausführen und denselben heilig und unvebrüchlich – wie ein Gebot befolgen, denn ich bin nächst Gott ihr Vater und Haupt und habe Niemandem Rechenschaft zu legen; und wenn sie meinen Willen erfüllen werden, so wird mein väterlicher Segen mit ihnen sein; er füllen sie meinen Willen, was Gott verhüte, nicht, so ereilt sie unentrinnbar mein väterlicher Fluch, für jetzt und für alle Zeiten. Amen!«

Charloff erhob das Blatt hoch über seinen Kopf. Anna fiel sogleich auf die Knie und berührte mit der Stirn die Diele; mit einer noch jäheren Bewegung warf sich ihr Gatte Sletkin nieder.

»Und Du?« wandte sich Charloff zu Eulampia. Sie wurde ganz roth und verbeugte sich ebenfalls bis zur Erde; Gitkoff bog seine ganze Figur nach vorne.

»Unterschreibt!« rief Charloff laut, mit dem Finger auf das Ende des Blattes zeigend. »Hier . . . danke und nehme an, Anna! – Danke und nehme an, Eulampia!«

Beide Töchter standen auf und unterschrieben eine nach der anderen. Sletkin hatte sich auch erhoben und griff gleichfalls nach der Feder; doch schob ihn Charloff damit zur Seite, indem er ihn mit dem Mittelfinger am Halstuch derart berührte, daß Sletkin laut aufschluchzte. Nach Vollziehung der Urkunde herrschte kurze Zeit Stille im Zimmer. Plötzlich stöhnte Martin Petrowitsch laut auf und bewegte sich, nachdem er »Nun jetzt . . . ist Alles Euer!« mühsam hervorgebracht, nach seiner Art zur Seite hin. Die Tochter und der Schwiegersohn sahen einander an, gingen dann auf ihn zu und küßten seine Arme ein wenig über dem Ellenbogen; höher hinauf konnten sie nicht reichen.

XIII

Der Landrath las die eigentliche formelle Urkunde, die Schenkungsurkunde von Martin Petrowitsch ausgesetzt, vor. Dann trat er mit dem Notarius auf den Balcon und eröffnete den versammelten Nachbarn, Zeugen, Charloff’schen Bauern und dem Hofgesinde das stattgefundene Ereigniß. Man ging zur Besitznahme seitens der neuen Gutsbesitzerinnen über, welche ebenfalls auf dem Balcon erschienen waren. Der Landrath deutete mit der Hand auf dieselben, wenn er, die Augenbrauen zusammenziehend, und da durch seinem sorglosen Gesichte plötzlich einen strengen Ausdruck gebend, den Bauern den Gehorsam gegen die Herrschaft einprägte. Diese Ermahnungen hätte er übrigens wohl bei Seite lassen können; stillere Physiognomien als die der Bauern von Charloff wird man kaum auf der ganzen Welt finden. In fadenscheinige Röcke und durchlöcherte Pelze eingehüllt und fest umgürtet, wie es bei allen festlichen Gelegenheiten bei uns Sitte ist, standen sie wie unbeweglich und wie versteinert da; sobald aber der Landrath einen Ausruf, wie: »Hört Ihr’s, Teufel! versteht ihr’s!« zum besseren Verständniß seiner Anrede ein schaltete, verbeugten sie sich Alle wie nach dem Commando. Jeder von diesen Teufeln hielt seine Mütze mit beiden Händen fest und richtete beharrlich seine Augen nach dem Fenster, durch das man die Gestalt von Martin Petrowitsch erblickte.

Nicht weniger Angst hatten die Zeugen. »Sind Euch,« rief der Landrath, »irgend welche Hindernisse gegen die Besitznahme seitens dieser einzigen und rechtmäßigen Erbinnen sowie Töchter des Martin Petrowitsch Charloff bekannt?«

Alle Zeugen schienen in sich selbst zusammenzuschrumpfen.

»Sind Euch welche bekannt? Hunde!« rief wieder der Landrath.

»Euer Hochwohlgeboren, nichts ist uns bekannt!« antwortete tapfer ein verkrüppelter, glatt rasirter Greis, ein gewesener Soldat.

»Ist das ein Wagehals! dieser Eremeitsch!« sagten von ihm die anderen Zeugen beim Auseiandergehen.

Ungeachtet der Aufforderung des Landrathes wollte Charloff nicht auf dem Balcon mit seinen Töchtern zusammen erscheinen. »Meine Unterthanen werden auch ohne dies sich meinem Willen fügen!« antwortete er. Nach Beendigung des Actes hatte ihn eine Art Kummer beschlichen. Sein Gesicht war bleich geworden; dieser neue ungewöhnliche Ausdruck des Kummers paßte so wenig zu den gewaltigen und starken Gesichtszügen des Martin Petrowitsch, daß ich wirklich nicht wußte, was ich denken sollte. »Sollte einer seiner Melancholieanfälle gar wieder im Anzuge sein?« Die Bauern ihrerseits fühlten nicht weniger das Unklare der Lage. Und in der That, man hatte ihnen ein Räthsel aufgegeben: »Der Herr ist gesund – da steht er, und was für ein Herr – Martin Petrowitsch! – und auf einmal wird er nicht mehr über uns herrschen – das sind Wunder!« Ich weiß nicht, ob Charloff die Gedanken, welche die Köpfe seiner Unterthanen bewegten, errathen hatte, oder wollte er zum letzten Mal von seinem Herrenrechte Gebrauch machen, genug, plötzlich öffnete er das Fenster, steckte seinen Kopf heraus und schrie mit seiner Donnerstimme: »Gehorchen!« dann machte er das Fenster zu. Die Zweifel der Bauern wurden allerdings weder gehoben, noch gemindert. Ihre Aehnlichkeit mit einer Steinmasse nahm aber eher zu als ab; sie schienen nicht einmal mehr sehen zu können Das Hausgesinde bildete eine besondere Gruppe. Es bestand aus zwei kerngesunden Mägden mit kurzen Kleidern, welche Waden sehen ließen, denen man sonst nur auf Michel Angelos jüngstem Gericht begegnet, und aus einem zusammengesunkenen, ganz morschen, halbblinden Greise, der sich in eine kurze Friesdecke hüllte, und zu Potemkins Zeiten Waldhornist gewesen sein soll. Den Laufburschen Maksimka hatte Martin Petrowitsch zu seinem Dienste vorbehalten. Diese Gruppe verrieth schon mehr Leben, wenn auch nur dadurch, daß diejenigen, aus denen sie bestand, sich beunruhigt aneinander drängten.

Die neuen Gutsbesitzerinnen selbst hatten eine wichtige Miene angenommen, namentlich Anna;« sie preßte die dünnen trockenen Lippen zusammen und blickte hartnäckig auf die Erde. Ihre strenge Haltung versprach dem Hofgesinde nichts Gutes. Auch Eulampia’s Augen waren zu Boden gesenkt; nur einmal wandte sie sieh um und betrachtete langsam und wie verwundert ihren Bräutigam Gitkoff, der ebenfalls neben Stettin auf dem Balcon zu erscheinen für seine Pflicht gehalten hatte. »Was will der hier?« schienen ihre schönen vertretenden Augen zu fragen. Sletkin hatte sich am meisten verändert. In seinem ganzen Wesen offenbarte sich eine hastige Begehrlichkeit, als ob er Appetit bekommen hätte; die Bewegungen des Ober und Unterkörpers waren noch ebenso unterthänig, wie früher geblieben, doch wie freudig gesticulirte er mit den Händen, wie rührig bewegte er mit den Schulterblättern. »Endlich,« dachte er wohl, »ist die Reihe auch an mich gekommen!« Nachdem der Landrath, welchem bei dem Gedanken des nahen Frühstücks bereits das Wasser im Munde zusammen lief, die Procedur der Besitzübertragung zu Ende geleitet hatte, rieb er sich bereits die Hände, wie man es vor dem Herunterstürzen des ersten Glases Wodka zu thun pflegt. Es stellte sich aber heraus, daß Martin Petrowitsch vorher noch einen Dankgottesdienst mit Wasserheiligung celebriren lassen wollte. Der Priester legte den abgetragenen, kaum noch zusammen haltenden Ornat an; der altersschwache Diener kam aus der Küche heraus, mit Mühe den Weihrauch in dem alten Rauchfaß aufblasend. Der Gottesdienst begann; Charloff beschränkte sich darauf beständig zu seufzen, seine Beleibtheit erlaubte ihm nicht, sich bis zur Erde zu beugen, dafür aber zeigte er gesenkten Hauptes, mit der Rechten sich bekreuzend, mit dem Zeigefinger der anderen Hand auf den Boden. Sletkin erglänzte förmlich in Freude; er war selbst dem Weinen nahe. Gitkoff statt sich zu bekreuzen, bewegte nach militärischer Art kaum die Finger zwischen dem dritten und vierten Uniformknopf. Kwitzinski blieb als Katholik im Nebenzimmer; dafür betete der Notarius so heiß, seufzte so theilnahmsvoll mit Martin Petrowitsch, und bewegte so eifrig die Lippen, die Augen gegen Himmel gerichtet, daß ich mich durch seinen Anblick ebenfalls erbaut fühlte und auch heiß zu beten anfing. Nach Beendigung des Gottesdienstes und Weihung des Wassers, wobei alle Anwesenden, selbst der blinde Waldhornist aus der Zeit Potemkins, ja selbst der Pole Kwitzinski die Augen mit dem heiligen Wasser näßten, dankten Anna und Eulampia, auf Befehl des Martin Petrowitsch ihm nochmals, sich bis zur Erde verbeugend, dann endlich trat der er sehnte Augenblick des Frühstücks ein. Es waren viele und schmackhafte Speisen aufgetragen. Wir hatten uns alle schrecklich satt gegessen. Die unvermeidliche Flasche Champagner vom Don war ebenfalls erschienen. Der Landrath, als der von uns Allen am meisten mit gesellschaftlichen Gebräuchen Vertraute und auch als Repräsentant der Regierung, brachte den ersten Toast auf die Gesundheit »der schönen Besitzerinnen« aus. Darauf schlug er vor, die Gesundheit des »Allerehrwürdigsten, Allergroßmüthigsten Martin Petrowitsch« zu trinken. Beim Worte »großmüthigsten« schrie Sletkin laut auf und eilte, seinen Wohlthäter mit Küssen zu bedecken . . .

»Schon gut, schon gut, es ist nicht nöthig!« brummte wie ärgerlich Charloff, ihn mit dem Ellen bogen bei Seite schiebend . . .

Doch da folgte eine unerquickliche Scene.

XIV

Souvenir nämlich hatte vom Anfang des Frühstücks an unaufhörlich getrunken, jetzt erhob er sich plötzlich, roth wie Zinnober, ließ sein mattes, wider wärtiges Kichern hören und zischte, mit dem Finger auf Martin Petrowitsch zeigend:

»Der Großmüthige! der Großmüthige! Wir wollen sehen, ob diese Großmuth nach seinem Geschmack sein wird, wenn man ihn, den Knecht Gottes, mit nacktem Rücken . . . auf den Schnee legen wird!«

»Was lügst Du, Narr?« sagte Charloff mit Verachtung.

»Narr! Narr!« wiederholte Souvenir. »Der liebe Herrgott allein kann entscheiden, wer von uns der richtige Narr sei! Sie aber, Brüderchen, haben meine Schwester in‘s Grab gelegt, dafür haben Sie auch jetzt sich selbst Ihr Pech bereitet – hi! hi! Hi!«

»Wie dürfen Sie unseren theuern Wohlthäter beleidigen?« winselte Sletkin; er machte sich von der Schulter des Martin Petrowitsch, an die er sich gedrängt hatte, los und drang auf Souvenir ein. »Wissen Sie denn nicht, daß, wenn er, unser Wohlthäter, es wünscht, wir augenblicklich die Schenkungsurkunde vernichten werden?«

»Und doch werdet Ihr ihn mit dem blanken Rücken auf den Schnee werfen! . . .« wiederholte Souvenir sich hinter Kwitzinski verbergend.

»Schweige!« donnerte Charloff, »ich schlage Dich sonst zu Muß, nur feucht wird es sein, wo Du jetzt stehst! Schweige auch Du, Hund!« wandte er sich zu Sletkin, »mische Dich nicht ein, wo man es Dir nicht befiehlt! Wenn ich, Martin Petrowitsch Charloff, diese Urkunde aufzusetzen beschlossen habe, wo ist der, welcher sie vernichten kann? Gegen meinen Willen handeln? . . . Auf der ganzen Welt gibt es keine solche Gewalt . . .«

»Martin Petrowitsch!« rief plötzlich mit seiner wohlklingenden Baßstimme der Notarius, der ebenfalls viel getrunken, wodurch er übrigens nur an Würde gewonnen hatte. »Der Herr Bitschkoff mag die Wahrheit sprechen! Sie haben allerdings eine edle That vollbracht, doch können Sie vielleicht, Gott behüte, statt schuldiger Dankbarkeit das Gegentheil davon ernten.«

Ich blickte verstohlen auf die beiden Töchter von Martin Petrowitsch. Anna verschlang förmlich den Redenden mit den Augen und ich habe nie mehr ein so böses, schlangenartiges und in der Bosheit selbst so schönes Gesicht gesehen; Eulampia hatte sich um gewandt und die Arme auf die Brust gekreuzt; ein verachtendes Lächeln spielte, wie noch nie zuvor, auf ihren vollen, rosigen Lippen.

Charloff erhob sich vom Stuhle, machte den Mund auf, doch versagte ihm die Stimme den Dienst . . . »Er schlug plötzlich mit der Faust auf den Tisch, so daß Alles im Zimmer aufsprang und klirrte.

»Vater!« rief schnell Anna, »die Herren kennen uns nicht, deshalb denken sie auch so schlecht von uns. Verderben Sie sich nicht Ihre Gesundheit! Sie er zürnen sich für nichts, blicken Sie doch darum nicht so böse!«

Charloff blickte auf Eulampia, sie rührte sich nicht, obgleich der neben ihr sitzende Gitkoff sie in die Seite stieß.

»Danke Dir, meine Tochter Anna!« rief Charloff mit dumpfem Tone, »Du bist mein kluges Kind, Dir und Deinem Mann vertraue ich vollständig!« Sletkin schrie wieder auf, Gitkoff bewegte seine Brust nach vorne, und setzte selbst mit dem Fuße auf den Boden auf, doch Charloff bemerkte diese Anstrengung, seinen Diensteifer zu offenbaren, gar nicht. »Dieser Taugenichts,« fuhr Charloff fort, mit seinem Kinn auf Souvenir zeigend, »ist froh, wenn er mich necken kann, Ihnen aber, mein gnädiger Herr,« wandte er sich zum Notarius, »gebühret es nicht, über Martin Charloff zu urtheilen! Ihr Verstand ist zu kurz dazu, zwar sind Sie ein Mann im Amt, doch führen Sie ganz leere Worte! Uebrigens ist die Sache geschehen. Meine Beschlüsse kennen keine Veränderung . . . jetzt gehabt Euch wohl! ich gehe. Ich bin hier nicht mehr Wirth, sondern Gast; Du, Anna, sorge wie Du kannst, ich gehe in mein Arbeitszimmer. Es ist genug!«

Martin Petrowitsch wandte uns den Rücken und ging langsam, ohne ein Wort hinzuzufügen, aus dem Zimmer.

»Die plötzliche Entfernung des Wirthes mußte unsere Gesellschaft auflösen, um so mehr, da auch die beiden Wirthinnen bald darauf verschwanden. Sletkin bemühte sich umsonst, uns zurückzuhalten. Der Landrath konnte nicht umhin, dem Notarius seine unpassende Offenheit vorzuwerfen.

»Ich mußte es sagen!« antwortete dieser, »es lag mir auf dem Gewissen!«

»Sie sehen, daß er ein Freimaurer ist!« flüsterte Souvenir mir zu.

»Gewissen!« entgegnete der Landrath, »als ob dasselbe bei Ihnen sich nicht ebenfalls in der Rocktasche befände, wie bei uns andern Sündern!«

Der Priester, der ebenfalls bereits ausgestanden war und das baldige Ende der Tafel ankommen sah, beförderte schleunigst noch ein Stück nach dem andern in seinen Mund.

»Sie haben, wie ich sehe, einen guten Appetit!« bemerkte Sletkin.

»Das ist Vorrath!« antwortete der Priester mit demüthigem Lächeln, ein veralteter Hunger lag in dieser Antwort.

Die Wagen fuhren vor – wir trennten uns. Auf dem Rückwege hinderte Niemand Souvenir, sich wie ein Affe zu geberden und zu plappern, denn Kwitzinski hatte erklärt, daß ihm diese »nichtsnutzigen« Ungehörigkeiten widerwärtig seien und war zu Fuß – zurückgekehrt. Seinen Platz im Wagen nahm Gitkoff ein. Der Major a. D. hatte ein sehr unzufriedenes Gesicht und bewegte, wie ein Schwabe die Fühlhörner, seinen Schnurrbart bald nach rechts, bald nach links.

»Aha! Euer Hochwohlgeboren,« neckte ihn Souvenir, »die Subordination hat ein Loch gekriegt? Warten Sie nur, es kommt noch besser! Sie werden auch erfahren, wo der Pfeffer wächst! Sie Bräutigam, Bräutigam, Unglücksbräutigam!«

Souvenir konnte sich gar nicht satt sprechen; der arme Gitkoff aber bewegte nur immer seinen Schnurrbart.

Zurückgekehrt, erzählte ich Alles meiner Mutter, sie hörte mir aufmerksam zu und schüttelte einige Male mit dem Kopfe. »Nichts Gutes wird daraus!« sprach sie. »Diese Neuerungen gefallen mir nicht.«

Türler ve etiketler

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Litres'teki yayın tarihi:
04 aralık 2019
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