Kitabı oku: «König Lear der Steppe», sayfa 4
XV
Nächsten Tag kam Martin Petrowitsch zu uns zum Mittagessen. Die Mutter wünschte ihm Glück zu dem guten Ende der von ihm betriebenen Angelegenheit. »Du bist jetzt ein freier Mann,« sagte sie, »Du mußt Dich leichter fühlen.«
»Leichter ist es mir allerdings geworden, gnädige Frau,« antwortete Martin Petrowitsch obgleich in seinen Gesichtszügen von dieser Veränderung nichts zu merken war. »Jetzt wird man auch für das Heil seiner Seele sorgen können und sich für die Todes stunde vorbereiten . . .«
»Und weßhalb?« unterbrach ihn die Mutter, »fühlst Du noch immer Knistern im Arme?«
Charloff öffnete und schloß ein paar Mal die Hand. »Ja, das fühle ich noch, gnädige Frau, und noch Folgendes will ich Ihnen mittheilen, wie ich einzuschlafen anfange, da schreit mir Jemand im Kopfe: »Nimm dich in Acht, nimm dich in Acht! . . .«
»Das kommt von den Nerven!« bemerkte die Mutter und sprach vom gestrigen Tage, auch spielte sie auf die Schlußscene des festlichen Schenkungsactes an . . .
»Ja, ja!l« unterbrach sie Charloff »du geschah, etwas . . . Ungehöriges. Nur Eines will ich Ihnen sagen,« fügte er bedächtig hinzu. »Mich haben gestern nicht die dummen Worte des Souvenir verwirrt – auch nicht die des Herrn Notarius, der allerdings ein einsichtiger Mann ist – mich brachte aus der Fassung . . .« Hier schwieg Charloff.
»Wer?« fragte die Mutter.
Charloff maß sie mit den Augen: »Eulampia!« .
»Eulampia? Deine Tochter? Aus welche Weise, denn?«
»Erlauben Sie, gnädige Frau, sie steht wie versteinert, wie ein wirklicher Götze da! Hat sie denn kein Gefühl? Ihre Schwester Anna – die war, wie es sich gehörte. Die – ist fein! Eulampia aber; ich habe sie doch früher – wozu es noch länger verbergen – sogar vielfach vorgezogen . . . Thue ich ihr denn nicht leid? Wenn ich ihnen Alles überlasse so heißt das doch, daß es mit mir schlimm gehe, daß ich kein Bewohner dieser Erde sei, – und sie bleibt wie versteinert! Hätte sie wenigstens einen Laut von sich gegeben! Verbeugen – kann sie sich schon, aber Dank sieht man nicht!«
»Warte nur,« sagte die Mutter, »wir«werden sie mit Gawril Fedulitsch verheiraten . . . bei ihm wird sie schon zu fühlen lernen.«
Martin Petrowitsch sah die Mutter finster an.
»Ja, vielleicht bei Gawril Fedulitsch. Sie setzen viel Vertrauen in ihn?«
»Ja freilich.«
»Mag schon sein. Sie müssen das besser wissen. Bei Eulampia aber, will ich bemerken, wie bei mir, so auch bei ihr, ist derselbe Charakter – Kosakenblut, das Herz aber eine glühende Kohle.«
»Hast Du denn ein solches Herz, mein Lieber?«
Charloff antwortete nicht. Man schwieg einen Augenblick.
»Wie willst Du denn, Martin Petrowitsch,« begann die Mutter wieder, »für das Heil Deiner Seele sorgen? Wirst Du zum heiligen Metrophanius, oder gar nach Kieff pilgern? Oder willst Du nach dem Kloster zu Optino gehen, da es in der Nähe ist? Es soll sich jetzt da ein gar heiliger Mönch aufhalten . . . Vater Makarias, heißt er, einen solchen hatten wir schon lange nicht gehabt! Er durchschaut sofort alle Sünden.«
»Wenn sie wirklich sich als eine undankbare Tochter zeigen sollte,« sagte mit heiserer Stimme Charloff, »so wird es mir leichter fallen, sie mit eigenen Händen zu tödten!«
»Was ist mit Dir? Gott behüte Dicht komme zu Dir selbst!« rief meine Mutter aus. »Was für Worte hast Du eben ausgesprochen? Nun haben wir die Geschichte! Warum hast Du mir nicht gefolgt, als Du mich um Rath fragtest? Jetzt wirst Du Dich peinigen, und nicht an das Heil Deiner Seele denken. Wirst Dich peinigen und doch immer noch zu kurz kommen! Jetzt beklagst Du Dich, hast Angst . . .«
Dieser Vorwurf schien Charloff grade in’s Herz zu treffen. Sein ganzer Stolz kam wie eine Welle bei ihm herauf. Er schüttelte sich und bewegte das Kinn nach vorne.
»Ich gleiche nicht den Leuten, gnädige Frau,« fing er finster zu sprechen an, »die sich da beklagen und Angst haben. Ich wollte nur Ihnen, meiner Wohlthäterin und einer von mir so hoch geachteten Person, meine Gefühle offenbaren. Der allmächtige Gott (hier erhob er seine Hand über den Kopf) weiß, daß eher der Erdball in Stücke zergehen wird, als daß ich mich von meinem Worte lossage, oder . . . (hier schnaubte er sogar) Angst bekomme, oder das, was ich gethan, bereue! Ich hatte ja Gründe dazu! Meine Töchter werden aber den mir schuldigen Gehorsam nicht vergessen, für jetzt und in Ewigkeit. Amen!«
Meine Mutter hatte sich die Ohren zugedrückt. i »Was läßt Du Deine Stimme erdröhnen, meine Lieber, wie eine Trompete? Wenn Du Deiner Hausgenossen so sicher bist, so ist ja, Gott sei Dank, Alles gut. Du hast mir den Kopf mit Deinem Gebrüll zermalmt.«
Martin Petrowitsch entschuldigte sich, seufzte ein paar Mal und beruhigte sich. Die Mutter sprach wieder von Kieff, vom Kloster Optino, vom Mönch Makarias . . . Charloff stimmte ihr zu, sagte: »Ja man wird . . . wirklich an das Heil . . . der Seele denken müssen,« und weiter nichts. Er wurde bis zur Abfahrt nicht wieder heiter; bald öffnete er seine Hand, bald drückte er sie zusammen, betrachtete die Fläche derselben, sagte, daß ihm am Schrecklichsten sei, ohne Beichte zu sterben, vom Schlage getroffen, das; er sich fest vorgenommen habe, nicht böse zu werden, da vom Zorn das Blut in den Kopf steige . . . Er habe sich übrigens jetzt von Allem losgesagt; weßhalb sollte er sich erzürnen? jetzt mögen Andere sich abmühen und sich das Blut verderben.«
Sich der Mutter empfehlend, sah er sie sonderbar an; nachdenkend und forschend, dann zog er durch eine schnelle Handbewegung, den Band der »Muße des Fleißigen« aus der Tasche heraus und übergab denselben der Mutter.
»Was ist das?« fragte sie.
»Lesen Sie . . . hier,« sprach er eilig, »wo die Seite eingebogen ist . . . über den Tod nach. Es scheint, mir, daß derselbe hier ganz prächtig behandelt ist; es zu verstehen aber ist mir rein unmöglich. Sie werden es mir vielleicht erklären können? Wenn ich wieder komme, erklären Sie es mir, bitte!«
Mit diesen Worten ging er hinaus.
»Es ist schlimm, sehr schlimm!,« bemerkte die Mutter, als er hinter der Thür verschwunden war, und machte sich an die »Muße des Fleißigen!« Auf der von Charloff bezeichneten Seite standen folgende Worte:
»Der Tod ist eine wichtige und große Arbeit der Natur. Er ist nichts Anderes, als daß der Geist – der leichter, feiner und viel durchdringlicher ist, als die Elemente, in deren Gewalt er gebannt ist, ja selbst als die elektrische Kraft – welcher sich auf chemische Weise reinigt und nach vorwärts drängt, so lange, bis er nicht für sich einen ebenso geistigen Platz findet…2
Meine Mutter las ein paar Mal diese Stelle, rief endlich »pfui!« und warf das Buch zur Seite.
Ein paar Tage darauf bekam sie die Nachricht, daß der Mann ihrer Schwester gestorben sei und fuhr mit mir auf das Gut ihrer Schwester. Unser Aufenthalt sollte ursprünglich nur einen Monat dauern, wir blieben jedoch bis zum Spätherbst und kamen erst Ende September nach Hause.
XVI
Die erste Nachricht, mit welcher mir mein Kammerdiener Porfirij (er war auch unser Jägermeister) entgegen kam, war, daß eine Unzahl Waldschnepfen angeflogen waren, und daß sie namentlich im Birkenwäldchen bei Eskowo (dem Gute Charloffs) förmlich wimmelten. Bis zum Mittagessen blieben mir noch etwa drei Stunden; ich ergriff sofort die Flinte, die Jagdtasche und lief schnurstracks, von Porfirij und meinem Jagdhunde begleitet, nach dem Charloff’schen Wäldchen. Es gab da wirklich eine Masse von Waldschnepfen, und wir erlegten nach einigen dreißig ab gefeuerten Schüssen ihrer fünf Stück. Mit der Beute nach Hause eilend, bemerkte ich einen Bauer, welcher pflügte. Sein Pferd war stehen geblieben, und er zog beharrlich, mit weinerlicher Stimme, doch grimmig fluchend, mit der aus einem Stricke gebildeten Leine an dem auf die entgegengesetzte Seite gewandten Kopfe des Pferdes. Ich betrachtete den unglücklichen Klepper aufmerksamer. Die Rippen desselben waren beinahe gänzlich herausgetreten, und die mit Schweiß begossenen Seiten hoben und senkten sich krampfhaft und ungleichmäßig wie ein verdorbener Schmiedebalg. Ich erkannte sofort in ihm die alte, magere, dürre Stute mit der Wundnarbe auf der Schulter, die so viele Jahre dem Martin Petrowitsch gedient hatte:
»Lebt Herr Charloff noch?« fragte ich Porfirij.
Die Jagd hatte uns Beide bis jetzt so in Anspruch genommen, daß wir bis zu diesem Augenblick über nichts Anderes gesprochen hatten.
»Ja freilich; und weßhalb fragen Sie darnach?«
»Das ist ja sein Pferd? hat er es denn verkauft?«
»Das Pferd ist allerdings das seinige, doch verkauft hat er es nicht; weggenommen hat man es ihm und diesem Bauer gegeben.«
»Wie weggenommen? War er denn damit einverstanden?
»Nach seinem Einverständniß hat Niemand gefragt. Hier sind in Ihrer Abwesenheit Sachen vor gekommen,« sagte Porfirij auf meinen fragenden und erstaunten Blick mit einem leichten Lächeln, – »daß Gott behüte! Jetzt setzt Herr Sletkin da Alles in Bewegung . . . «
»Und Martin Petrowitsch?«
»Martin Petrowitsch ist jetzt da zum allerletzten Menschen herabgesunken. Zu essen gibt man ihm noch kaum – was wollen Sie mehr? Man hat ihn ganz und gar klein gekriegt, wenn nicht heute, so morgen jagt man ihn ganz und gar weg.«
Der Gedanke, daß man einen solchen Riesen – »wegjagen« könne, wollte mir nicht in den Kopf hinein. »Was sagt denn Gitkoff dazu?« fragte ich endlich. »Er hat doch die zweite Tochter geheiratet?«
»Geheiratet?« wiederholte Porfirij und lachte jetzt aus vollem Halse. »Man läßt ihn gar nicht mehr in das Haus hinein. Wir brauchen Sie nicht mehr, sagt man ihm; belieben Sie zum Rückzug zu blasen. Ich habe es ja gesagt: Sletkin regiert!«
»Und die Braut?«
»Sie meinen Eulampia Martinowna? Ach, gnädiger Herr, ich möchte Ihnen schon was erzählen. . . aber Sie sind noch zu jung! Das ist es. Sachen geschehen hier – aj, aj, aj! Halt! Diana ist ja stehen geblieben!«
Wirklich, mein Hund stand, als wäre er eingegraben vor einem großen, jungen Eichenbusche, der das schmale Thal schloß, welches hier beim Fahrwege endete. Ich und Porfirij liefen heran; aus dem Busch flog eine Waldschnepfe, wir gaben Beide Feuer, doch fehlten wir. Die Waldschnepfe suchte sich einen anderen Platz, wir verfolgten sie . . .
Die Suppe war bereits auf dem Tische, als ich zurückkam. Meine Mutter war angehalten. »Was soll das heißen?« rief sie verdrießlich, »gleich den ersten Tag läßt Du zum Mittagessen aus Dich warten?« Ich brachte ihr die erlegten Waldschnepfen, sie sah dieselben nicht einmal an. Außer ihr waren im Zimmer Souvenir, Kwitzinski und Gitkoff zugegen.
Der Major a. D. hatte sich in die Ecke des Speisezimmers gedrückt, gerade wie ein schuldiger Schuljunge; der Ausdruck seines Gesichtes verrieth eine Mischung von Verlegenheit und Aerger, seine Augen waren roth . . . Man könnte selbst glauben, daß er unlängst geweint habe. Die Mutter blieb schlechter Laune; es kostete mir keine große Mühe zu errathen, daß mein spätes Kommen nicht die Ursache davon war. Während des Mittagessens sprach sie beinahe kein Wort; der Major lenkte manchmal seine flehenden Blicke auf sie, doch aß er trotzdem ganz gehörig; Souvenir zitterte, Kwitzinski allein bewahrte seine gewöhnliche selbstbewußte Haltung.
»Wikentij Ossipitsch!« wandte sich meine Mutter an ihn, »ich bitte Sie, morgen dem Martin Petrowitsch einen Wagen zu schicken, da ich erfahren habe, daß er keinen eigenen mehr besitzt, und lassen Sie ihm sagen, daß er unter allen Umständen kommen soll, daß ich ihn sprechen wolle.
Kwitzinski wollte etwas entgegnen, doch hielt er für besser, es für sich zu behalten
»Auch bestellen Sie dem Sletkin,« fuhr die Mutter fort, »daß ich ihm befehle, hierher zu kommen. . . Hören Sie es . . . befehle!«
»Diesen Taugenichts . . . müßte man . . . « versuchte Gitkoff halblaut zu bemerken, doch sah ihn die Mutter mit solcher Verachtung an, daß er sich sofort umwandte und schwieg.
»Hören sie es? Ich befehle!« wiederholte die Mutter.
»Ich höre es,« sagte folgsam, aber mit Würde Kwitzinski.
»Martin Petrowitsch, kommt nicht!« flüsterte Souvenir mir zu, als wir nach dem Mittagessen das Speisezimmer verließen. »Sie sollten sehen, was aus ihm geworden ist! Der Verstand kann es nicht fassen! Ich vermuthe, daß er, was man ihm auch sagen möge, es nicht versteht. Ja, man hat dem Bären die Tatzen abgehauen!«
Und Souvenir ließ wieder sein alterschwaches Lachen vernehmen.
XVII
Die Prophezeihung Souvenir’s traf ein. Martin Petrowitsch wollte nicht zu der Mutter kommen. Sie beruhigte sich dabei nicht und schickte ihm einen Brief. Er ließ ihr darauf ein kleines Quartblättchen zukommen, worauf mit großen Buchstaben folgende Worte geschrieben waren: »Bei Gott, ich kann nicht kommen. Die Schande wird mich tödten. Mag lieber so zu Grunde gehen. Danke Ihnen. Quälen Sie mich nicht. Charloff. Sletkin kam, wenn auch nicht an dem Tage, – an welchem zu kommen die Mutter ihm »befohlen« hatte, sondern erst den nächstfolgenden. Die Mutter ließ ihn in ihr Arbeitszimmer führen. Gott weiß, worüber sie gesprochen haben mögen, doch lange gesprochen haben sie nicht; eine Viertelstunde, nicht mehr, Sletkin trat hochroth aus dem Zimmer meiner Mutter, mit einem so giftig bösen und so frech herausfordernden Gesichtsausdrucke, daß ich, ihm im Empfangszimmer begegnend, ganz betroffen stehen blieb, und Souvenir, der ihm ebenfalls da begegnete, zu lachen aufhörte. Die Mutter verließ ihr Arbeitszimmer eben falls mit rothem Gesichte, und befahl ganz laut, daß matt Herrn Sletkin unter keinen Umständen mehr annehmen dürfe, und wenn es den Töchtern von Martin Petrowitsch zu kommen einfallen sollte – frech genug dazu seien sie schon – so solle man sie ebenfalls abweisen. Beim Mittagessen erst rief sie plötzlich ans:
»Ein ekeliger Judenbengel ist dieser Sletkin! Ich bin es noch gewesen, die ihn an den Ohren aus dem Schmutz herausgezogen hat. Er verdankt mir Alles, rein Alles – und doch wagt er mir zu sagen, daß ich mich umsonst in ihre Angelegenheiten mische! Daß Martin Petrowitsch kindisch – und ihm Recht zu geben unmöglich sei! Recht zu geben! wie gefällt Euch das? Ach, dieser undankbare hergelaufene Bube! Dieser scheußliche Judenjunge!«
Major Gitkoff, der sich auch unter den zur Tafel Gezogenen befand, glaubte, daß Gott selbst ihm die Gelegenheit gebe, auch mitreden zu dürfen . . . Die Mutter verwies ihn jedoch gleich zur Ruhe.
»Du bist mir der Allerbeste, mein Lieber!« rief sie, »wußtest nicht mit einem Frauenzimmer fertig zu werden und bist noch ein Officier! Hast eine Compagnie commandirt! Ich kann mir vorstellen, wie sie Dir gehorchte! Wolltest noch mein Verwalter sein! Du wärest mir ein schöner Verwalter!«
Kwitzinski, der am Ende des Tisches saß, lächelte nicht ohne Bosheit; der arme Gitkoff aber bewegte nur seinen Schnurrbart hin und her, hob die Augen brauen auf und versenkte sich mit seinem haarigen Gesichte in die Serviette.
Nachmittags ging er auf den Balcon, um nach Gewohnheit seine Pfeife zu rauchen – und er schien mir so elend, so verwaist zu sein, daß, obgleich ich ihm nicht gewogen war, ich nicht umhin konnte, an ihn heranzutreten:
»Wie sind Sie denn, Gawril Fedulitsch,« fing ich ohne weitere Umschweife an, »mit Eulampia Martinowna auseinander gekommen? Ich glaubte, Sie wären bereits verheiratet.«
Der Major a. D. sah mich trostlos an.
»Der niederträchtige Bösewicht!« fing er in seinem Schmerze an, jede Silbe einzeln mühsam hervor bringend. »Mit seiner giftigen Zunge hat er es mir angethan und alle meine Lebenshoffnungen zu Grunde gerichtet, in den Staub getreten. Ich möchte Ihnen wohl, Dmitri Semenowitsch, alle seine Scheußlichkeiten erzählen, doch habe ich Angst, Ihre Mutter zu erzürnen (– Sie sind noch zu jung, das ist es eben! – hatte, wie es mir augenblicklich einfiel, schon Porfirij zu mir gesagt). »Auch so schon . . .« Er ächzte.
»Dulden . . . immer dulden . . . nichts Anderes bleibt mir übrig! (er stieß sich an die Brust). Dulde, alter Krieger, dulde! Dem Kaiser hast Du treu, treu und redlich gedient. . . ohne Makel; ja! Hast weder Mühe noch Dein Blut geschont, und jetzt bist Du so weit gekommen! Wäre es beim Regiment – hinge es von mir ab,« – fuhr er nach kurzem Schweigen fort, krampfhaft an seinem Weichselrohre saugend, »du hätte ich ihn . . . mit Spießruthen, hätte ich ihn . . . bei dreifachem Ruthenlaufen . . . bis zum Tode . . .«
Gitkoff nahm die Pfeife aus dem Munde und richtete seinen Blick in die Ferne, als labe er sich an dem heraufbeschworenen Bilde.
Souvenir näherte sich uns und fing den Major zu necken an. Ich verließ sie und beschloß, was es auch koste, mit eigenen Augen Martin Petrowitsch wiederzusehen . . . Meine kindliche Neugierde war aufs Höchste gespannt.
XVIII
Den anderen Tag begab ich mich wieder mit der Flinte, aber ohne Porfirij, nach dem Eskow’schen Wäldchen. Der Tag war ausgezeichnet schön; ich glaube, außer Rußland gibt es keine solchen Tage im September. Es war so still, daß man auf hundert Schritt hören konnte, wie das Eichhörnchen in den trockenen Blättern herumlief, wie ein abgebrochener Zweig erst ein wenig an den anderen Zweigen hängen blieb und endlich auf das weiche Gras fiel – für ewig fiel; er wird sich da nicht mehr regen, bis er verwest. Die Luft war weder warm, noch kühl, nur aromatisch war sie, wie säuerlich, und reizte ein wenig die Augen und die Wangen. Das, wie ein Seidenfaden dünne, lange Spinngewebe, mit kleinem Knäuel in der Mitte, flog langsam heran, und sich an den Gewehr lauf heftend, schwebte es waagerecht in der Lust – ein Zeichen von anhaltend schönem Wetter! Die Sonne leuchtete so mild wie sonst der Mond. Die Waldschnepfen begegneten mir ziemlich häufig, ich beachtete sie nur wenig; ich wußte, daß das Gehölz beinahe bis zum Gutshofe Charloff’s, ja sich sogar bis zum Zaune seines Gartens erstrecke – und ging nach dieser Richtung hin, obgleich ich davon, wie ich in den Gutshof gelangen konnte, nur eine schwache Vorstellung hatte und selbst zweifelte, ob ich eigentlich mich dahin begeben dürfe, da meine Mutter sich mit den neuen Besitzern von Eskowo überworfen hatte.
Plötzlich hörte ich in kurzer Entfernung Menschen stimmen. Ich horchte . . . Jemand ging in dem Wäldchen . . . gerade auf mich zu.
»So hättest Du ihr auch sagen sollen« sprach eine weibliche Stimme.
»Erzähle mir!« unterbrach eine andere, die Stimme eines Mannes. »Als ob man Alles mit einem Male erreichen könnte!«
Die Stimmen waren mir bekannt.
Ein blaues Frauenkleid wurde durch die entblätterten Haselnußsträucher sichtbar, neben ihm zeigte sich ein dunkler, langer Rock. Noch ein Augenblick und auf der lichten Stelle im Walde, fünf Schritt von mir, erschien – Sletkin und Eulampia.
Beide wurden bei meinem Anblicke verlegen. Eulampia ging ein paar Schritte zurück, dem Gebüsche zu. Sletkin überlegte einen Augenblick, dann näherte er sich mir. Auf seinem Gesichte ließ sich keine Spur von jener unterwürfigen Demuth erkennen, mit welcher er etwa vor anderthalb Monaten auf dem Charloff’schen Gut mein Pferd herumgeführt und die Trensenkette gerieben hatte, aber ich konnte ebenfalls nicht das Herausfordernde auf seinem Gesichte lesen, was mich Tags vorher an der Schwelle des Arbeitszimmers meiner Mutter in Staunen versetzt hatte. Das Gesicht war wie früher weiß und hübsch, nur schien es fester und breiter zu sein.
»Es sind wohl viele Waldschnepfen angeschwärmt gekommen?« fragte er mich, die Mütze ein wenig lüftend, lächelte und fuhr mit der Hand über die schwarzen Locken. »Sie jagen in unserem Wäldchen . . . Seien Sie willkommen! Wir hindern Sie nicht . . . im Gegentheil!«
»Heute habe ich keine erlegt,« antwortete ich aus seine erste Frage, »Ihr Wäldchen aber werde ich sofort verlassen.«
Sletkin zog schnell seine Mütze an: »Aber erlauben Sie, warum denn? Wir stehen Ihnen nicht im Wege – wir sind damit ja ganz einverstanden. Eulampia Martinowna wird ihnen dasselbe bezeugen. Eulampia Martinowna, kommen Sie hierher! Wohin sind Sie verschwunden?«
Der Kopf Eulampia’s zeigte sich aus dem Gehölz, doch kam sie nicht zu uns heran. Sie war in der letzten Zeit noch schöner – es schien, als wäre sie noch gewachsen, noch voller geworden.
»Mir ist es,« fuhr Sletkin fort, »um es Ihnen zu gestehen, selbst angenehm, daß ich Ihnen begegnet bin. Ihre Mutter geruhte gestern sich gegen mich zu erzürnen, wollte gar keine Gründe meinerseits anhören ich bin aber, wie ich es vor Gott und Ihnen bezeugen will, gar nicht schuldig. Mit Martin Petrowitsch kann man nicht anders verfahren. Er ist ganz und gar in Kindheit versunken. Wir können doch nicht alle seine Launen erfüllen, Sie werden es selbst zugeben müssen. Achtung aber erweisen wir ihm, wie es sich gebührt, fragen Sie meinetwegen Eulampia Martinowna selbst.«
Eulampia rührte sich nicht, das gewöhnte hochmüthige Lächeln irrte auf ihren Lippen und nicht freundlich blickten ihre schönen Augen.
»Warum haben Sie aber, Wladimir Wassiliewitsch, Martin Petrowitsch’s Pferd verkauft?« Mir lag namentlich dies Pferd am Herzen, das sich jetzt im Besitz eines Bauern befand.
»Warum wir sein Pferd verkauft haben? Aber versetzen Sie sich doch in unsere Lage, wozu war das selbe nütze? es fraß nur umsonst. Beim Bauer wird es wenigstens pflügen. Martin Petrowitsch aber, wenn er Lust hat, auszufahren, hat uns ja nur darum zu bitten. Wir werden ihm einen Wagen nicht abschlagen. In den Tagen, wo nicht gearbeitet wird, soll er ihn mit Vergnügen haben.«
»Wladimir Wassiliewitsch!« rief Eulampia mit gedämpfter Stimme, als wenn sie ihn heranrufen und doch ihren Platz nicht verlassen wollte. Sie hatte einige Wegerichhalme um die Finger gewickelt, und sie aufeinander schlagend, hieb sie ihnen die Köpfe ab.
»Dasselbe gilt auch vom Laufburschen Maksimka,« fuhr Sletkin fort; »Martin Petrowitsch beklagt sich, daß wir denselben ihm fortgenommen und in die Lehre gegeben haben. Aber urtheilen Sie selbst; was wäre aus ihm bei Martin Petrowitsch geworden? An’s Zeit todtschlagen hätte er sich gewöhnt, weiter nichts! Nicht, einmal zu bedienen, wie es sich gehört, verstand er in Folge seiner Dummheit und seines kindischen Wesens. Jetzt aber haben wir ihn zu einem Riemer in die Lehre gegeben. Es wird ein guter Meister aus ihm werden, er wird viel verdienen, und auch uns einen guten Obrok3 zahlen können. In unserer kleinen Wirthschaft ist das von Bedeutung! In unserer Wirthschaft darf man Nichts vernachlässigen!«
Und diesen Menschen hatte Martin Petrowitsch »Lappen« genannt! dachte ich bei mir. »Wer liest aber jetzt Martin Petrowitsch vor?« fragte ich.
»Was soll man ihm denn vorlesen? ein Buch war da, es ist aber, Gott sei Dank, verloren gegangen. . . Was soll das Lesen in seinen Jahren?«
»Und wer rasirt ihn?« fragte ich weiter.
Sletkin lachte beifällig, als hätte ich einen Witz gerissen. »Aber Niemand! Anfangs brannte er sich den Bart mit dem Lichte ab, jetzt hat er ihn stehen lassen. Er kleidet ihn prächtig!«
»Wladimir Wassiliewitsch!« rief mit Nachdruck Eulampia. »Wladimir Wassiliewitsch!«
Sletkin machte ihr ein Zeichen mit der Hand.
»Schuhe, Kleider hat er, er ißt dasselbe, was wir, was will er denn mehr? Er selbst hat doch versichert, daß er in dieser Welt nichts Anderes will, als für das Heil seiner Seele sorgen. Hätte er doch einsehen wollen, daß, wie es auch gekommen sei, jetzt Alles unser ist. Man spricht auch davon, daß wir ihm das Monatsgeld nicht auszahlen, wir haben ja aber selbst häufig keinen Pfennig Geld, und wozu braucht er dasselbe, da er doch Alles geliefert bekommt? Wir gehen aber mit ihm, ich sage es Ihnen in voller Wahrheit, wie Verwandte um. Die Zimmer, in denen er lebt, sind uns z. B. ungemein nöthig, ohne dieselben kann man sich gar nicht umdrehen, wir ändern jedoch gar nichts – wir dulden! Selbst dafür sorgen wir, daß er Zerstreuung habe. Zum Petrifesttage habe ich ihm ganz ausgezeichnete Angelhaken gekauft – echt englische, theuere Haken, damit er angeln könne. Karausche haben wir ja genug in unserem Teiche. Er sollte sich hinsetzen und angeln; wenn er eine, zwei Stunden säße, »da würde es auch eine Fischsuppe geben! Es ist eine für alte Leute ganz passende Beschäftigung!«
»Wladimir Wassiliewitsch!« rief zum dritten Male und entschieden Eulampia und warf die Stengel, die sie um die Finger drehte, weit von sich. »Ich gehe fort, Wladimir Wassiliewitsch!« wiederholte sie und verschwand im Gehölze.
»Sofort, Eulampia Martinowna, sofort!« schrie Sletkin. »Jetzt ist selbst Martin Petrowitsch mit uns einverstanden,« fuhr er zu mir gewandt fort. »Anfangs fühlte er sich beleidigt, tobte selbst, bis er endlich zur Einsicht gelangte. Sie wissen, es war ein so hitziger Mensch, jetzt ist er aber ganz still geworden Warum? – weil er seinen eigenen Vortheil eingesehen hat! Ihre Mutter hat mir, Gott weiß wie, zugesetzt. Es ist auch erklärlich; sie ist eine große Herrin, sie hält viel auf ihre Macht, nicht weniger wie früher Martin Petrowitsch, doch kommen Sie selbst einmal zu uns, überzeugen Sie sich selbst, und legen Sie bei Gelegenheit ein Wort für mich bei Ihrer Mutter ein. Ich fühle sehr wohl die Wohlthaten, die mir Natalia Nikolaewna erwiesen hat, doch müssen wir doch auch leben können!«
»Warum aber hat Gitkoff einen Korb bekommen,« fragte ich.
»Den Fedulitsch meinen Sie? dieser Tollpatsch!« Sletkin zuckte die Achseln. »Ueberlegen Sie doch selbst, worin konnte er nützlich sein? War sein Leben lang Soldat, und will jetzt plötzlich Landwirth werden. Ich kann, sagt er, mit den Bauern fertig werden, weil ich eben in’s Gesicht zu schlagen gewohnt bin. Rein gar nichts versteht er. Auch in’s Gesicht muß man mit Verständniß hauen! Eulampia Martinowna hat ihn selbst ausgeschlagen. Er paßt durchaus nicht für uns. Unsere ganze Wirthschaft wäre ja mit ihm zu Grunde gegangen!«
»Au! au!« tönte der Waldruf aus der vollen Stimme Eulampia’s.
»Sofort! sofort!« antwortete Sletkin. Er reichte mir die Hand, ich drückte dieselbe, wenn auch nicht besonders gern.
»Empfehle mich Ihnen, Dmitri Semenowitsch!« sagte er, mir die ganze Reihe seiner weißen Zähne zeigend, »schießen Sie hier, wie viel Sie Lust haben, die Vögel kommen angeflogen, gehören daher auch Niemandem, wenn Sie aber einem Hasen begegnen, erbarmen Sie sich seiner – der gehört uns! Ach ja, eine Bitte: wird Ihre Hündin nicht bald Junge haben? Schenken Sie mir einen davon, Sie würden mich da mit ungemein verbinden!«
»Au!« hörte man wiederum Eulampia’s Stimme in weiter Ferne.
»Au! au!« antwortete Sletkin und verschwand in dem Gehölze.