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Kitabı oku: «König Lear der Steppe», sayfa 5

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XIX

Ich erinnere mich, daß mich, als ich allein geblieben, der Gedanke beschäftigte, wie es möglich geworden, daß Charloff den Sletkin nicht so geschlagen habe, daß es auf der Stelle nur naß von ihm geworden wäre, und wiederum, daß Sletkin dies Schicksal nicht befürchtete. Augenscheinlich muß Martin Petrowitsch wirklich »stille« geworden sein, dachte ich, und noch mehr bekam ich Lust nach Eskowo zu gelangen, um mir, wäre es auch nur mit einem Auge, den Koloß anzusehen, den ich mir eingeschüchtert und zahm gar nicht vorstellen konnte.

Ich hatte bereits den Saum des Wäldchens er reicht, als sich plötzlich unter meinen Füßen selbst, mit lautem Flügelschlage eine große Waldschnepfe erhob und in das Innere des Waldes flog. Ich zielte, die Flinte, versagte. Ich wurde ärgerlich; der Vogel war zu gut und ich beschloß zu versuchen, ob ich ihn nicht wieder heben könne. Ich ging in der Richtung seines Fluges, und nach etwa zweihundert Schritten sah ich auf einer kleinen Wiese unter einer schattigen Birke – nicht die Waldschnepfe, sondern denselben Herrn Sletkin.

Er lag auf dem Rücken, hatte beide Hände unter den Kopf gelegt und blickte mit zufriedenem Lächeln nach oben in den Himmelsraum, indem er sein linkes Bein, das er auf das rechte Knie gelegt hatte, ein wenig schaukelte. Er bemerkte mein Kommen nicht.

Auf der Wiese, einige Schritte von ihm entfernt ging langsam, mit gesenktem Haupte, Eulampia umher.

Es schien, als ob sie etwas in dem Grase suchte, vielleicht Pilze. Von Zeit zu Zeit neigte sie sich, streckte die Hand aus, dabei sang sie halblaut. Ich stand und horchte. Anfangs konnte ich nicht verstehen, was sie sang, doch bald vernahm ich deutlich folgende bekannte Verse des alten Liedes:

 
Komm heran, komm heran, du schwarze Wolke,
Tödte doch, tödte doch den Schwiegervater
Donnere nieder, donnere nieder die Schwiegermutter,
Werde selbst die junge Gattin tödten.
 

Eulampia sang immer lauter und lauter; mit besonderem Nachdrucke betonte sie namentlich den letzten Vers. Sletkin lag auf dem Rücken und lächelte immer, sie aber bewegte sich beständig im Kreise um ihn.

»Wie Du aber bist,« sagte er endlich, »was Euch Frauen nicht Alles durch den Kopf fährt.«

»Und weßhalb?«

Sletkin hob ein wenig den Kopf in die Höhe. »Wie weßhalb? Was hast Du da eben für Worte hören lassen?«

»Aus einem Lied kann man doch, mein theuerer Wladimir, kein Wort auslassen!« antwortete Eulampia, sah sich um und erblickte mich. Wir schrien Beide zugleich auf und liefen Beide nach entgegen gesetzten Richtungen davon.

« Was Sletkin geantwortet, weiß ich nicht, ich verließ eiligst das Wäldchen. Nachdem ich eine enge Waldwiese durchschritten, befand ich mich plötzlich vor dem Charloff’schen Garten.

XX

Ich hatte weder Zeit noch Ursache, über das, was ich eben gesehen, nachzudenken. Ich bewegte mich längs des Gartenzaunes, und erblickte nach einigen Augenblicken durch die silberschillernden Pappeln (sie hatten noch nichts von ihrem Schmucke verloren und breiteten sich so üppig mit ihren glänzenden Blättern ans) den Hof und das Haus von Martin Petrowitsch. Der ganze Gutshof schien mir gereinigt und geordnet zu sein; überall erblickte man die Spuren einer beständigen und strengen Aufsicht. Anna Martinowna erschien auf dem Balcon und blickte lange, ihre mattblauen Augen zusammendrückend, nach der Richtung des Wäldchens hin.

»Hast Du den Herrn gesehen?« fragte sie einen durch den Hof gehenden Bauern.

»Wladimir Wassiliewitsch?« antwortete dieser, seine Mütze vom Kopfe reißend, »der ist wohl nach dem Wäldchen gegangen.«

»Das weiß ich; ist er aber nicht zurückgekehrt? hast Du ihn nicht gesehen?«

»Nein . . . gesehen habe ich ihn nicht«

Der Bauer stand noch immer unbedeckt vor Anna Martinowna.

»Schon gut, gehe,« sagte sie; »doch nein – warte. Wo ist Martin Petrowitsch?« weißt Du es?«

»Martin Petrowitsch,« antwortete der Bauer mit seiner singenden Stimme, bald die rechte, bald die linke Hand erhebend, als ob er nicht wisse, wohin er zeigen solle, – »der sitzt da beim See mit einer Angel Er sitzt im Schilf mit der Angel. Ob er Fische fangen will, mag der liebe Gott wissen.«

»Schon gut – geh’ jetzt!« wiederholte Anna Martinowna – und hebe da das Rad auf, was liegt es da herum!«

Der Bauer lief, ihren Befehl auszuführen, sie aber stand noch einige Augenblicke auf dem Balcon und blickte immer fort nach der Richtung des Wäldchens hin. Dann machte sie mit der geballten Hand eine drohende Bewegung und kehrte in das Haus zurück. »Aksinja!« hörte man ans dem Innern des selben ihre befehlende Stimme rufen.

Anna Martinowna sah heute gereizt aus und ihre ohnehin feinen Lippen preßte sie heute besonders fest zusammen. Sie war nachlässig angezogen, ein Theil ihrer auseinander gefallenen Haarflechten fiel auf ihre Schultern. Trotz der Nachlässigkeit ihrer Kleidung, trotz ihrer Gereiztheit schien sie mir verlockend genug, und ich hätte mit größtem Vergnügen ihre schmale, ebenfalls etwas boshafte Hand geküßt, mit der sie ärgerlich einige Male die aufgelösten Haare zurückgeworfen hatte.

XXI

Ist denn Martin Petrowitsch wirklich ein Angler geworden; fragte ich mich, während ich nach dem See ging, der auf der andern Seite des Gehölzes gelegen ist. Ich stieg auf das Wehr, welches den See nach dem Dorfe absperrt, und blickte nach allen Seiten – von Martin Petrowitsch war keine Spur zu sehen. Ich ging das eine Ufer des See’s entlang – und er blickte endlich nahe bei seinem Anfange, in der Nähe eines kleinen Einschnittes, unter flachem, eingetretenem Schilfe einen ungeheuren Klumpen. Ich betrachtete diesen genauer, es war Charloff. Ohne Mütze, mit zerzaustem, struppigem Haare, in einem an den Nähten zerrissenen leinenen Rocke, saß er unbeweglich auf bloßer Erde, die Füße unter sich zusammengezogen; er saß so unbeweglich, daß bei meinem Nahen eine Wasserschnepfe zwei Schritt von ihm sich von dem getrockneten Schlamme erhob und mit den Flügeln zuckend und pfeifend weiter über die glatte Wasserfläche flog. Es hatte sich also wohl lange Nichts in ihrer Nähe gerührt und sie aufgeschreckt. Die ganze Erscheinung Charloff’s war so außergewöhnlich, daß mein Hund, als er ihn bemerkte, plötzlich stehen blieb, den Schwanz zwischen die Beine klemmte und laut bellte. Charloff wendete ein wenig seinen Kopf, und glotzte mich und den Hund mit verwilderten Augen an. Der Bart veränderte ihn unglaublich; derselbe war zwar kurz, doch dicht, kraus, mit weißen Zwickeln untermischt, dem Krimer-Fell ähnlich. In seiner rechten Hand steckte der Angelstock; das Ende desselben schwankte über dem Wasser hin und her. Mein Herz wurde beklommen, doch faßte ich mich, ging zu ihm heran und grüßte ihn. Er blinzelte langsam mit den Augen, als ob er geschlafen hätte.

»Sie angeln wohl hier, Martin Petrowitsch?« fing ich an.

»Ja . . . ich angle«, antwortete er mit heiserer Stimme und zog den Angelstock in die Höhe; an dessen Ende hing ein Stück Schnur, etwa eine Elle lang – und ohne Haken.

»Die Schnur ist bei Ihnen gerissen,« bemerkte ich und sah erst jetzt, daß Martin Petrowitsch weder Würmer noch einen Behälter für die Fische hatte . . . Und was konnte das für ein Angeln im September sein?!

»Gerissen?« wiederholte er und fuhr mit der Hand über das Gesicht. »Das ist einerlei.«

Und er warf wieder seine Angel.

»Sie sind der Sohn der Natalia Nikolaewna?« fragte er mich nach ein paar Minuten, während welcher ich ihn nicht ohne heimliches Erstaunen betrachtet hatte. Er war zwar sehr mager geworden, doch schien er immer noch ein Riese; aber in was für Lumpen war er gekleidet, wie heruntergekommen sah er aus!

»Ganz richtig, ich bin der Sohn von Natalia Nikolaewna B . . .«

»Sie ist gesund?«

»Meine Mutter ist gesund. Sie hat ihre Weigerung zu kommen sich sehr zu Herzen genommen,« fügte ich hinzu, »sie hatte gar nicht erwartet daß Sie nicht zu ihr kommen wollen würden.«

Martin Petrowitsch senkte den Kopf.

»Und warst Du . . . da?« fragte er, den Kopf zur Seite werfend.

»Wo?«

»Da . . . auf dem Gutshof. Warst Du nicht? geh’ hin! Was hast Du hier zu suchen? Geh’ doch hin! Mit mir zu sprechen brauchst Du nicht. Ich liebe es nicht.«

Er schwieg.

»Du denkst an gar nichts Anderes, als mit der Flinte Dich herumzutreiben. In meinen jungen Jahren that ich dasselbe. Mein Vater jedoch . . . und wie habe ich ihn geachtet! nicht so wie jetzt es Sitte ist! mein Vater, der hat mir mit der Peitsche was versetzt – da ist mir die Lust daran vergangen! Das Herumtreiben hatte ein Ende. Und weßhalb habe ich ihn geachtet . . ? Ach! . . .

ja!«

Charloff schwieg wieder.

»Du aber bleibe hier nicht!« fing er wieder an. »Gehe auf den Gutshof. Dort wird jetzt wie noch nie gewirthschaftet. Wolodka . . . « hier hielt er ein wenig inne. »Mein Wolodka, der hat Geschick für Alles. Ein Prachtjunge ist er und welche Canaille dazu!«

Ich wußte nicht, was ich denken sollte, Martin Petrowitsch sprach vollkommen ruhig.

»Sieh Dir auch die Töchter an. Du erinnerst Dich wohl, ich hatte zwei Töchter. Es sind gute Wirthschafterinnen – sehr geschickt! Ich aber, mein Lieber, bin alt geworden; habe mich zurückgezogen! Zur Ruhe nämlich« (Schöne Ruhe! dachte ich herumblickend.)

»Martin Petrowitsch!« sagte ich laut, »Sie müssen durchaus zu uns kommen.«

Charloff sah mich an.

»Geh fort, mein Lieber, so wird’s besser!«

»Betrüben Sie die Mutter nicht, kommen Sie.«

»Geh’ fort, mein Lieber, geh’ fort!« wiederholte Charloff – »was hast Du mit mir noch zu sprechen?«

»Wenn Sie keinen Wagen haben, wird die Mutter den ihrigen schicken.«

»Geh’ fort!«

»Aber wirklich, Martin Petrowitsch!«

Charloff ließ den Kopf hängen – und mir schien daß seine dunkel gewordenen, wie mit Erde überzogenen Wangen sich geröthet hatten.

»Wirklich, kommen Sie,« fuhr ich fort. »Was sitzen Sie hier, wozu quälen Sie sich?«

»Wie so . . . quäle ich mich?« unterbrach er mich.

»Ja, freilich quälen Sie sich!« wiederholte ich.

Charloff schwieg und schien in schwere Gedanken versunken zu sein.

Durch dies Schweigen ermuthigt, entschied ich mich, offen zu sein und ohne Umschweife zu verfahren. (Vergessen Sie nicht, ich war erst fünfzehn Jahre alt.)

»Martin Petrowitsch!« fing ich an, mich zu ihm hinsetzend. »Ich weiß ja Alles, Alles bis auf das Kleinste! Ich weiß, wie Ihr Schwiegersohn mit Ihnen verfährt, allerdings nicht ohne Zustimmung Ihrer Töchter, und freilich sind Sie jetzt in einer schlimmen Lage . . . doch wozu verzweifeln?«

Charloff schwieg noch immer, nur ließ er die Angel fallen. Für wie klug hielt ich mich aber; ich meinte, ein Philosoph zu sein . . .

»Allerdings,« sprach ich weiter, »haben Sie unvorsichtig gehandelt, als Sie Alles Ihren Töchtern überließen. Es war sehr großmüthig von Ihrer Seite, und ich will ihnen darüber keine Vorwürfe machen. In unserer Zeit ist’s ein gar seltener Zug! Doch wenn Ihre Töchter so undankbar sind, so müssen Sie Ihrerseits dieselben mit Verachtung strafen! ja gerader mit Verachtung und sich nicht grämen . . .«

»Lass’ mich in Ruhe!« zischte plötzlich Charloff mit Zähneknirschen, und seine auf den Teich gerichteten Augen zeigten ein böses Feuer. »Geh’ fort!«

»Aber Martin Petrowitsch . . .«

»Fort! sonst schlage ich Dich todt!«

Ich war eben ganz an ihn herangerückt, doch beim letzten Wort sprang ich unwillkürlich auf. »Was sagen Sie, Martin Petrowitsch?«

»Ich schlage Dich todt, sage ich, fort!!«

Wilddröhnend wie ein Gebrüll rangen diese Worte sich aus Charloff’s Brust heraus, er selbst aber wandte nicht den Kopf um und fuhr fort, mit dem Ausdruck der Wuth vor sich hinzustieren.

»Ich packe Dich und werfe Dich sammt allen Deinen närrischen Rathschlägen in’s Wasser – dann wirst Du wissen, was es alte Leute zu belästigen heißt! Du Gelbschnabel!«

»Er ist verrückt geworden!« dachte ich bei mir.

Ich sah ihn genauer an und wurde wie versteinert: Martin Petrowitsch weinte! Eine Thräne nach der andern rollte aus seinen Augen über die Wangen . . . Das Gesicht aber wurde immer grimmiger.

»Fort!!« schrie er noch einmal, »ich tödte Dich sonst, bei Gott! damit Andere ein Exempel daran haben!«

Er schüttelte sich mit seinem ganzen Körper und wies mir fletschend die Zähne, wie ein Eber. Ich ergriff die Flinte und lief davon. Mein Hund folgte mit Gebell mir nach, auch ihn hatte Schreck überfallen.

Nach Hause gekommen, erlaubte ich mir selbst verständlich nicht einmal eine Andeutung von dem, was ich gesehen, bei meiner Mutter, doch als ich Souvenir begegnete, erzählte ich ihm, der Teufel weiß warum, Alles. Dieser widrige Mensch freute sich so sehr über meine Erzählung, lachte so hämisch grinsend, er sprang selbst vor Schadenfreude, daß ich ihn bei nahe geprügelt hätte.

»Das möchte ich doch sehen,« wiederholte er vom Lachen fast erstickend, »wie dieser Götze, dieser Wschede Charlus in den Schlamm hereingekrochen ist und dort sitzt . . .«

»Gehen Sie doch nach dem See hin zu ihm, wenn es Sie so interessirt.«

»Ja freilich, aber wenn er mich tödtet?«

Souvenir war mir schrecklich langweilig geworden, und ich bereute meine unpassende Geschwätzigkeit . . . Gitkoff, dem er meine Erzählung mitgetheilt hatte, faßte die Sache anders auf.

»Man wird sich an die Polizei wenden müssen,« entschied er; »vielleicht wird es auch nöthig sein, nach Militär zu schicken.«

Seine Vorahnung hinsichtlich des Militärs bestätigte sich nicht, doch geschah allerdings etwas Außerordentliches.

XXII

Mitte October, etwa drei Wochen nach meinem Zusammentreffen mit Charloff, stand ich am Fenster des Zimmers, das ich im zweiten Stock bewohnte und schonte, ohne an Etwas zu denken, doch niedergeschlagen, auf den Wirthschaftshof und die hinter ihm liegende Straße. Bereits seit fünf Tagen hatten wir das abscheulichste Wetter. An Jagd war nicht zu denken. Alles Lebendige hatte sich verborgen. Selbst die Sperlinge zwitscherten nicht mehr, und die Krammetsvögel waren verschwunden. Der Wind heulte bald dumpf, bald pfiff er. Die Färbung des niedrigen, lichtlosen Himmels spielte aus einem unheimlichen Weiß in ein bleiernes Blau, das noch bösartiger aussah – und der Regen, welcher strömte, beständig, unaufhörlich strömte, peitschte immer heftiger; stets schiefer schlugen die Regentropfen an die Fensterscheiben und rieselten zischend an ihnen herab; Die vollständig abgefegten Bäume waren grau geworden; es schien, als könne nichts mehr ihnen entrissen werden – der Wind aber fing immer wieder an ihnen zuzeiten an. Ueberall hatten sich Pfützen gebildet, auf welchen erstorbene Blätter schwammen, große Wasserblasen, platzend und von Neuem entstehend, aufsprangen und auf der dunklen Fläche hin und her glitten. Der Schmutz war bodenlos, die Kälte drang in die Zimmer, in die Kleider, in die Knochen. Frösteln überlief den ganzen Körper – und wie übel wurde es Einem zu Muthe; Ekel, nicht Traurigkeit war’s, was man empfand! Es kam mir vor, als ob nie mehr auf dieser Welt weder Sonne noch Glanz, noch Farben erscheinen könnten, daß dagegen stets dieser Schmutz, dieses Schlüpfrige, diese graue Nüsse, diese säuerliche Feuchtigkeit sich behaupten würden – daß dies Sausen und Heulen des Windes in alle Ewigkeit dauern werdet So stand ich vor dem Fenster, als plötzlich Alles sich noch mehr verdunkelte, eine bläuliche Dunkelheit Alles überzog – und doch war es zwölf Uhr Mittags. Da schien es mir mit einem Male, als wenn ein Bär durch unseren Hof – durch das Hofthor zum Hauseingang gelaufen wäre. Allerdings nicht auf allen Vieren, nein, aber so wie man ihn auf Bildern zeichnet, wenn er sich auf die Hinterpfoten stellt. Ich traute meinen Augen nicht. Wenn ich auch einen Bären gesehen, so war es jedenfalls etwas Ungeheures, Schwarzes, Zottiges. Ich konnte noch nicht errathen, was es eigentlich war, als ich plötzlich unten einen wüthenden Lärm vernahm. Es schien, als wäre etwas ganz Unerwartetes, Schreckliches in unser Haus gedrungen. Es entstand ein Laufen, ein Reimen . . .

Ich stürzte die Treppe hinunter, nach dem Speisesaale.

In der Thür des Empfangszimmers, das Gesicht mir zugekehrt, stand wie eingegraben meine Mutter; hinter ihr erblickte man einige erschrockene Frauengesichter, der Hausmeister, zwei Lakaien, ein Laufbursche, mit vor Verwunderung aufgesperrtem Munde, drängten sich um die Thür des Vorzimmers, und mitten im Speisesaale lag auf den Knieen das mit Schmutz bedeckte, zerzauste und zerfleisschte, durchnäßte Ungeheuer. Solchermaßen triefte es von Wasser, daß es dampfte und das Wasser auf die Erde lief. Schwerfällig und wie in der Agonie hob und senkte sich das selbe Ungeheuer, das eben vor meinen Augen durch den Hof gelaufen war. Und wer war dies Ungeheuer? Charloff! Ich zog mich zur Seite und erblickte nicht sein Gesicht, aber seinen Kopf, den er über die vom Schmutz zusammengeklebten Haare mit beiden Händen umfaßt hielt. Er athmete schwer, krampfhaft, es schien etwas in seiner Brust überwallen zu wollen – und auf dieser ganzen, bespritzten, dunklen Masse konnte man deutlich nur das Weiße der kleinen, wild herum irrenden Augäpfel bemerken. Es war ein schrecklicher Anblick. Ich erinnerte mich an den Beamten, welchen er für den Vergleich mit einem Mastodonten so energisch zurechtgewiesen hatte. Doch wirklich, so müßte ein vorsindfluthliches Thier ausgesehen haben, das sich eben vor einem anderen Unthier, von dem es mitten in dem Urschlamme oder in vorweltlichen Morästen angefallen worden, gerettet hatte.

»Martin Petrowitsch!« rief endlich meine Mutter aus und schlug die Hände zusammen. »Bist Du es? Gott, o Gott, Du Allmächtiger!«

»Ich . . . Ich . . .bin es,« hörte man ihn stammeln; mit Anstrengung und Schmerz verließ jeder Laut seine Brust. »Ach! ja – ich!«

»Was ist mit Dir? mein Gott!«

»Natalia Nikola . . . ewna ich kom . . . me zu Ihnen gerade vom Hause . . . bin zu Fuß gekommen.«

»In diesem Schmutze! Du siehst ja einem Menschen nicht ähnlich. Steh’ auf, setze Dich wenigstens . . . Und Ihr«, wandte sie sich zu den Mägden, »holt schnell Handtücher. Haben wir keine trockenen Kleider?« fragte sie den Hausmeister.

Dieser zeigte mit Handgeberden, daß solche für einen solchen Wuchs nicht zu finden seien . . . »Doch kann man eine Bettdecke bringen,« meinte er, »auch ist eine neue Pferdedecke da.« . . .

»Steh doch auf, steh auf, Martin Petrowitsch, setze Dich!« wiederholte die Mutter.

»Weggejagt hat man mich, gnädige Frau!« stöhnte plötzlich Charloff – und warf seinen Kopf nach hinten und streckte seine Hände vorwärts. »Weggejagt, Natalia Nikolaewna! Meine Töchter haben mich aus meinem Hause weggejagt . . .«

»Ach!« schrie meine Mutter auf.

»Was sagst Du? Weggejagt! Welche Sünde!« Sie bekreuzte sich. »Steh aber auf, Martin Petrowitsch, thue mir den Gefallen!«

Zwei Mägde traten ein mit Handtüchern und blieben vor Charloff stehen; man sah es ihnen an, daß sie keine Ahnung hatten, wie sie solchen Schmutz wegbringen könnten.

»Weggejagt, gnädige Frau, weggejagt!« wiederholte unterdessen Charloff. Der Hausmeister kam zurück mit einer großen, wollenen Decke und blieb ebenfalls unentschlossen stehen. Der Kopf von Souvenir zeigte sich durch die Thür und verschwand wieder.

»Martin Petrowitsch! Steh’ auf! setze Dich! erzähle mir, wie Alles vorgefallen ist,« befahl meine Mutter in entschiedenem Tone.

Charloff erbob sich. – Der Hausmeister wollte ihn dabei unterstützen, doch beschmutzte er sich bloß die Hand, und zog sich, von den Fingern den Schmutz abschüttelnd, nach der Thür zurück. Sich hin und her wiegend und wankend erreichte Charloff einen Stuhl und setzte sich; die Mägde traten mit den Handtüchern zu ihm heran, doch schob er sie bei Seite, und wollte von der Decke ebenfalls nichts wissen. Uebrigens bestand meine Mutter nicht darauf; es war zu klar, daß Charloff ohne Weiteres trocken zu benommen eine Unmöglichkeit sei – nur von der Diele entfernte man schnell seine Spuren.

XXIII

»Wie? Man hat Dich weggejagt?« fragte meine Mutter Charloff, als dieser ein wenig zu sich gekommen war.

»Gnädige Frau! Natalia Nikolaewna!« fing er mit Anstrengung an – und wieder entsetzte ich mich über das ruhelose Umherirren seiner Augäpfel – ich werde die Wahrheit sprechen, am meisten bin ich selber schuld!«

»So ist es besser; Du wolltest damals meinem Rathe nicht folgen!« sprach die Mutter sich in einen Sessel niederlassend und führte von Zeit zu Zeit ihr stark parfümirtes Taschentuch zur Nase . . . Charloff duftete unerträglich, der Waldmorast riecht nicht so stark.

»Ach, gnädige Frau! nicht darin besteht meine Schuld, aber im Stolze. Der Stolz hat mich zu Grunde gerichtet, wie einst den König Nebucadnezar. Ich dachte mir: Gott hat Verstand genug dir zugemessen, was du also beschließest, das ist daher auch richtig . . . hier kam noch die Angst vor dem Tode dazu . . . ganz und gar bin ich irre geworden. Du willst, dachte ich, noch zu allerletzt deine Kraft, deine Macht zeigen! . . . du willst sie beschenken – und bis zum Tode sollen sie Dankbarkeit fühlen . . .« Hier kochte es förmlich in Charloff . . . »Wie einen krätzigen Hund mit einem Fußtritte hat man mich aus dem Hause gejagt! Das ist ihre Dankbarkeit! . . .«

»Aber auf welche Weise denn?« fing wieder meine Mutter an.

»Den Laufburschen Maksimka haben sie mir weg genommen,« fuhr Charloff, meine Mutter unterbrechend, fort (während seine Augen beständig umherirrten und er die Hände gefaltet vor’s Gesicht hielt) »den Wagen weggenommen, das Monatsgeld verkürzt – nicht bezahlt – ganz und gar haben sie mich verkümmern lassen – und immer schwieg ich, duldete immer! Und ich duldete wieder aus Stolz, damit meine bösen Feinde meiner nicht spotten sollten. Da! seht den alten Narren, jetzt bereut er es, auch Sie, meine Gnädige, haben mich gewarnt. »Du wirst doch zu kurz kommen!« Da habe ich auch geduldet . . . Heute aber komme ich in mein Zimmer – und es ist schon besetzt – und mein Bett in einen Dachwinkel hinausgeworfen! – Du kannst auch da schlafen, man duldet Dich ja blos aus Gnade. Uns ist Dein Zimmer für die Wirthschaft nöthig – und das sagt mir wer? Wolodka Sletkin, dieser Sklave, dieser Hund! . . . « Charloff versagte die Stimme.

»Und Deine Töchter, was sagen die?«

»Und ich habe immer geduldet,« fuhr Charloff in seiner Erzählung fort, »bitter kam’s mir an, und wie bitter! auch schämte ich mich . . . Das Licht Gottes mochte ich nicht anblicken! Darum bin ich, meine Gnadige, auch nicht zu Ihnen gekommen immer wegen dieses Schimpfes, dieser Schande! Ich habe, meine Gnädige ja Alles versucht: Liebkosungen, Drohungen und Erwahnungen. Gebeugt hab’ ich mich selbst, gebeugt, mich so gebeugt (Charloff zeigte mit Geberden, wie er sich erniedrigt habe), und Alles umsonst! Und dies Alles habe ich erduldet! Zuerst hatte ich andere Gedanken: Du nimmst und zerschlägst Alles, zerschmetterst sie, daß nichts von dieser bösen Aussaat übrig bleibe! . . . Sie sollten es fühlen! Aber nachher – da habe ich mich gedemüthigt. Ein Schmerzenskreuz, dachte ich mir, ist dir auferlegt, du mußt dich eben zum Tode vor bereiten. Und plötzlich – heute; wie einen Hund! – und wer? – Wolodka! Was meine Tochter aber betrifft, wo haben diese ihren eigenen Willen? – das sind Wolodka’s Sklavinnen! – und was für Sklavinnen!«

Die Mutter staunte. – »Bei Anna kann ich es noch begreifen, sie ist die Frau . . . Warum aber Deine Zweite . . . «

»Eulampia? die ist es noch mehr als Anna! Ganz wie sie da ist, hat sie sich dem Wolodka hingegeben. Aus diesem Grunde hat sie auch Ihren Soldaten ausgeschlagen. Auf den Befehl Wolodka’s geschah es. – Anna, die sollte sich eigentlich beleidigt fühlen, sie kann, ja überdies die Schwester nicht leiden, und doch fügt sie sich. – Bezaubert hat sie der verfluchte Sletkin! Auch mag’s ihr gar nicht unlieb sein, daß aus Eulampia, die ja früher so stolz gewesen, jetzt so etwas geworden ist . . . Ach, ach, ach! Gott, mein Gott!«

Die Mutter sah mit Unruhe mich an, vorsichtig ging ich ein wenig zur Seite, damit man mich nicht wegschicke.

»Es thut mir unsäglich leid, Martin Petrowitsch,« sagte sie, »daß mein gewesener Zögling Dir so viel Kummer zugefügt und sich als ein so scheußlicher Mensch gezeigt hat, auch ich habe mich in ihm geirrt. Wer konnte aber von ihm so was erwarten!«

»Gnädige Frau,« stöhnte Charloff und schlug sich auf die Brust, »ich kann die Undankbarkeit meiner Töchter nicht ertragen! Ich kann es nicht, meine Gnädige! Ich habe ihnen Alles, Alles gegeben! Auch das Gewissen macht mir Vorwürfe. Vieles, ach, Vieles habe ich mir überlegt, am Teiche sitzend und Fische fangend. Hättest du wenigstens Jemandem in deinem Leben geholfen, dachte ich da, hättest du Almosen gespendet, deinen Bauern die Freiheit gegeben, da du sie dein Leben lang so gepeinigt hast. – Du hast dich ihretwegen vor Gott zu verantworten. Jetzt erst werden dir ihre Thränen heimgezahlt. Welch’ Schicksal haben sie auch jetzt! Tief war ihr Elend schon zu meiner Zeit, die Sünde will ich nicht verheimlichen – doch jetzt ist es bodenlos. Alle diese Sünden habe ich auf mein Gewissen genommen; mein Gewissen habe ich für meine Kinder geopfert, und was wurde mir dafür? Wie einen Hund, mit einem Fußtritte, haben sie mich aus dem Hause gejagt! . . .«

»Hör’ doch auf, Martin Petrowitsch, darüber nachzugrübeln,« bat die Mutter.

»Und als er es mir gesagt hatte, der Wolodka nämlich,« versetzte Charloff mit immer steigender Erregung, »als er mir gesagt, daß ich in meiner Stube nicht mehr wohnen soll, in meiner Stube, wo ich jeden Balken mit eigener Hand gelegt – als er es mir gesagt – Gott weiß, wie mir da wurde! Im Kopfe ging es mir herum, im Herzen fühlte ich einen Dolchstich. . . Ich erwürge ihn, oder ich laufe weg!. . . da bin ich zu Ihnen, meine Wohlthäterin, gelaufen. . . und wo sollte ich denn mein Haupt hinlegen? Da regnet es, ist so schmutzig. . . wohl zwanzigmal bin ich gefallen! und jetzt . . . hier . . . in solchem Zustande . ..«

Charloff warf einen Blick auf sich und regte sich auf dem Stuhle, als ob er aufstehen wollte.

»Höre doch auf, Martin Petrowitsch, höre auf,« sprach rasch meine Mutter, was ist das für ein Unglück? Daß Du die Diele verunreinigt hast? Was schadet das? Ich will Dir aber folgenden Vorschlag machen, höre mich! Man wird Dich jetzt in ein besonderes Zimmer führen, man gibt Dir ein reines Bett. – Du aber zieh Dich ans, wasche Dich, leg’ Dich hin und schlafe. . .«

»Gnädige Natalia Nikolaewna!l Wie soll ich schlafen?« sagte trostlos Charloff, »wie mit Hämmern klopft es in meinem Gehirn! Man hat mich ja wie unnützes Vieh . . .«

»Leg’ Dich hin, schlafe,« wiederholte mit Nachdruck die Mutter, »nachher wollen wir Thee trinken – und uns mit Dir besprechen. Verliere den Muth nicht, alter Freund! Hat man Dich aus Deinem Hause weggejagt, so wirst Du in meinem stets ein Obdach finden . . . ich habe ja nicht vergessen, daß Du mir das Leben gerettet hast.«

»Wohlthäterin,« stöhnte Charloff und bedeckte sich das Gesicht mit den Händen. . . »Retten Sie mich jetzt!«

Dieser Hilferuf rührte meine Mutter zu Thränen.

»Gerne helfe ich Dir, Martin Petrowitsch, mit Allem, was ich nur kann; nur mußt Du mir versprechen, mir in Zukunft zu folgen, und alle schlechten Gedanken von Dir zu weisen.« —

Charloff entfernte die Hände vom Gesicht.

»Wenn es nöthig sein sollte,« versetzte er, »da kann ich auch verzeihen . . .«

Die Mutter nickte zustimmend mit dem Kopfe; »Es freut mich sehr, Dich in solch’ echt christlicher Stimmung zu sehen; doch darüber später. Vorläufig bringe Dich selbst in Ordnung und schlafe.« – »Führe Martin Petrowitsch in das grüne Arbeitszimmer des seligen Herrn,« wandte sich die Mutter zum Hausmeister, »und daß Alles, wonach er verlangen sollte, sofort bereit sei; lass’ seine Kleider trocknen und reinigen – sollte Wäsche nöthig sein, so rede mit der Wirthschafterin – hörst Du?«

»Zu Befehl!« antwortete der Hausmeister.

»Und wenn er aufwacht, so lass’ den Schneider sein Maß nehmen, man wird auch den Bart rasiren müssen. Doch nicht gleich, später! . . .«

»Zu Befehlt« wiederholte der Hausmeister . . . »Martin Petrowitsch, belieben Sie mir zu folgen.«

Charloff stand auf, sah meine Mutter an, wollte sich ihr nähern, doch blieb er stehen, verbeugte sich tief, bekreuzigte sich dreimal, auf das heilige Bild blickend, und folgte dann dem Hausmeister.

Ihnen nach schlich ich ebenfalls aus dem Zimmer.

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