Kitabı oku: «Meister der Vertikale», sayfa 3

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Das goldene Zeitalter des Bergführerwesens

Nie zuvor und auch nie wieder danach sind die Bergführer gesellschaftlich so angesehen und wirtschaftlich derart gut gestellt wie in den Jahrzehnten von 1880 bis zur Jahrhundertwende. Bergführer sind Autoritäten, ihre Meinung zählt, sie sitzen in den Gemeinderäten und in führenden gesellschaftlichen Positionen, können sich ein ansehnliches Vermögen aufbauen, investieren in die touristische Infrastruktur und werden selbst oft zu Schutzhütten- oder Hotelbetreibern. Das liegt auch daran, dass die Führerlöhne verglichen mit dem bäuerlichen Auskommen fürstlich sind. So schlägt etwa die Zwei-Stunden-Wanderung von Blumau nach Tiers für den Gast mit 1,50 Gulden zu Buche. Für die reichen Gäste ist eine solche Summe zwar kein Problem, ein Arbeiter aber muss dafür drei Tage schuften. Und dabei ist die angegebene Wanderung die bei Weitem günstigste im Führertarif für das Rosengartengebiet. Die teuerste Tour, die Überschreitung der Rosengartenspitze, schlägt dagegen mit 11 Gulden zu Buche. Kommt der Bergführer also abends von dieser Tour nach Hause, hat er zwei Drittel des Monatslohns eines Arbeiters in der Tasche.

Den Braten gerochen

Dass der Beruf des Bergführers (und auch jener des Trägers) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begehrt war, lag nicht zuletzt an den Verdienstmöglichkeiten, die es nun für Bauern, aber auch für Knechte oder Tagelöhner gab. In Tiers etwa heuerte ein Tourist einen Tagelöhner an, seinen Rucksack zum Karersee-Hotel zu tragen. Oben angekommen, gab ihm der Tourist 5 Kronen, eine unerhörte Summe für ein paar Stunden Arbeit. Schließlich hätte der Taglöhner bei seinem Bauern mehr als neun Tage Schwerstarbeit leisten müssen, um gleich viel zu verdienen. Fast noch mehr als über diesen fürstlichen Lohn soll sich der Träger allerdings über den Braten gefreut haben, den ihm der Tourist zum Mittagessen spendiert hatte. Einen Braten kannte der Tagelöhner schließlich nur vom Hörensagen…

Gesellschaftlich stehen die Bergführer im ausgehenden 19. Jahrhundert also auf dem Gipfel. Und auch alpinistisch sind sie es nun, die die Entwicklung in ihren Bergen bestimmen. Das war weiß Gott nicht immer so. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts „importiert“ der Ire John Ball für seine Erstbesteigungen in den Ampezzaner Dolomiten Führer aus Chamonix, weil er vor Ort keine ausgebildeten Bergführer findet. Für Ball zählen also vor allem alpinistisches Geschick und die Erfahrung als Führer, während er von seinen Begleitern keine Ortskenntnis verlangt. Paul Grohmann, als Alpinist höchstens mittelmäßig, hält dies anders. Er engagiert stets vor Ort Begleiter, die ihn auf die Gipfel führen. Die Besteigung der Marmolata di Rocca, auf der er 1862, wie er selbst schreibt, „wahrscheinlich als erster Tourist“ steht, gelingt ihm etwa mit Pellegrino Pellegrini aus Rocca Pietore. Ihm verweigert Grohmann zwar den Titel „Bergführer“, er ist in Wirklichkeit aber genau das. Dasselbe gilt für die Ampezzaner Angelo Dimai, Francesco Lacedelli und Santo Siorpaes, die Grohmann bei den Erstbesteigungen der Tofana di Mezzo (1863), der Tofana di Rozes (1864) und des Monte Cristallo (1865) führen. Sie alle sind Bergführer ante litteram, Profis ohne Titel. Siorpaes etwa spezialisiert sich später mit großem Erfolg auf Erstbesteigungen mit englischen Gästen. Am Ende seiner Karriere stehen nicht weniger als 27 davon in seinem Tourenbuch.

Nicht immer müssen die Kunden aber zwischen alpinistischem Vertrauen und Ortskenntnis entscheiden, manchmal lässt sich beides durchaus verbinden. In seinem großen Sommer 1869 findet etwa Paul Grohmann im Kärntner Peter Salcher einen „erprobten Führer“, dem er in alpinistischer Hinsicht voll vertraut. Weil Salcher aber genauso wenig ortskundig ist wie sein „Herr“, engagiert Grohmann für diese Touren zusätzlich den Sextner Führer Franz Innerkofler. Dieser bringt neben alpinistischem Können auch seine Ortskenntnis ein, sucht am Berg nach gangbaren Wegen und ist so etwas wie ein Wegbereiter für das Gespann Salcher-Grohmann. Im Schlepptau seiner „beiden Unzertrennlichen“ Salcher und Innerkofler gelingen Grohmann die drei Erstbesteigungen, die ihn endgültig zur Ikone machen: der Dreischusterspitze am 18. Juli, des Langkofels am 13. August sowie der Großen Zinne am 21. August 1869.

Zwar erntet Paul Grohmann für diese alpinistischen Großtaten den ganzen Ruhm, auch Franz Innerkofler eröffnen sie aber neue Chancen. Hat er sich bis dahin als Tagelöhner und Steinmetzgeselle verdingt, schlägt er nun als erster Sextner die Karriere eines Bergführers ein, wenn auch nur im Nebenberuf. Er gilt „als guter Mann für schwierige Aufgaben“, allerdings auch – so beklagt sich ein englischer Gast in den 1870ern – als „langsamer Geher und zu Wucherpreisen neigend“. Auf Innerkoflers Konto geht neben den drei Pionierleistungen mit Grohmann unter anderem auch die Erstbesteigung des Paternkofels 1882. Das Paradox, dass heute allein Grohmann als Erstbesteiger der großen Dolomitengipfel gefeiert wird, obwohl er diese nur mit Hilfe seiner Führer überhaupt betreten konnte, hat wohl historisch-soziale Wurzeln. Grohmann war der „Herr“, die Führer waren bloßes Dienstpersonal, das es nicht nur zu finden und zu finanzieren, sondern auch zu „erziehen“ galt. „Alle – ohne Ausnahme – haben mit mir ihre ersten Wege als Führer gemacht“, schreibt Grohmann. „Sie haben sich alle bewährt, sind ausnahmslos brave Leute, zuverlässige Führer und grösstentheils treffliche Steiger gewesen.“

Grohmann ist mit dieser Haltung nicht allein. Auch Viktor Wolf von Glanvell, heute als der Erschließer der Pragser Dolomiten bekannt, macht in „seinen“ Bergen kaum einen Schritt ohne Begleitung, ist vielmehr ausnahmslos am Seil von Pragser und Sextner Führern unterwegs. Interessant ist sein Bericht über die Erstbesteigung des Herrsteinturmes 1891, die uns einen Einblick in die damalige Rollenverteilung zwischen „Herr“ und Führer gewährt. Während Wolf-Glanvells Führer Josef Appenbichler nämlich am Vortag der Besteigung allein durch einen Großteil der Wand klettert, alle Schlüsselstellen meistert und erst umkehrt, als der Weg auf den Gipfel klar ist, liegt der „Herr“ genüsslich im Gras und verfolgt seinen Führer durch das Fernglas. „Appenbichler erklärte, es sei auf dem von ihm heute probirten Wege wohl hinaufzukommen, die weisse Wand sei das schwerste Stück, oberhalb derselben ‚könne man eine Kuh auf den Gipfel hinauftreiben‘“, schreibt Wolf-Glanvell. Der Ausdruck „im Vorstieg“ bekommt hier eine ganz neue Bedeutung.


Mit Seil, Pickel und Schneeschuhen rücken die Grödner Bergführer im ausgehenden 19. Jahrhundert zum Fototermin an. Und auch der Hund muss mit aufs Bild.

Trotzdem ist die Beziehung zwischen Kunden und Führern keine Einbahnstraße, vor allem weil es den Bergführern nicht vorrangig um den Ruhm einer Erstbesteigung geht. Vielmehr sind solche Besteigungen für sie ein einträgliches Geschäft, sie werden von den Gästen am Seil, die sich dadurch einen Platz in den alpinen Geschichtsbüchern sichern, großzügig bezahlt. Zugleich sind die Erstbesteigungen auch so etwas wie die Visitenkarte der Führer: Je mehr und je schwierigere sie schaffen, desto höher steigen sie in der Führerhierarchie. Und desto höher werden auch die Gagen. Als Meister dieses Fachs gilt der Sextner Michl Innerkofler, der eine ganze Reihe bis dahin als unbezwingbar geltender Gipfel ersteigt: den Zwölfer, den Elfer, den Einser, die Sextner Rotwand, die Westliche und die Kleine Zinne, die Croda da Lago und die Grohmannspitze – manchmal mit, manchmal ohne zahlenden Gast, aber immer als Erster. Seine alpinistischen Pionierleistungen machen Innerkofler zum „Dolomitenkönig“, der von diesem Ruf gut leben kann.


Seiner Zeit voraus: Auch wenn er selbst nicht „Bergführer“ genannt wird, wäre die Erschließung der Ampezzaner Dolomiten ohne Angelo Dimai – hier porträtiert von Toni Hiebeler – nicht möglich gewesen.

Der Dolomitenkönig
MICHL INNERKOFLER

Am 20. August 1888 kommt der Sextner Bergführer Michl Innerkofler am Monte Cristallo ums Leben. Die Nachricht ist in allen Zeitungen zu finden, die Bestürzung über den Tod von einem „der kühnsten, wenn nicht gar allerverwegensten unserer Dolomitenbesteiger“ groß. Kein Wunder, tritt mit Innerkofler doch einer der ersten Alpinstars von der Bühne ab. 1844 als Bauernsohn geboren, avanciert Innerkofler in den späten 1870er- und Anfang der 1880er-Jahre zum „unbestritten größten Kletterer seiner Zeit“ (Theodor von Wundt). Er erkennt, dass mit dem Bergsteigen und fast einem Dutzend schwieriger Erstbesteigungen auch gutes Geld zu verdienen ist. In Schluderbach stationiert, wird er zum damals gefragtesten Bergführer und ist ständig mit hochkarätigen Gästen unterwegs. Zu seinem Hausberg wird der Cristallo, den er rund 300 Mal besteigt – und der ihm am genannten Augusttag auch zum Verhängnis wird.

„Hinunter vom Berg helfen eXinem alle Heiligen, hinauf kein einziger“, soll Innerkofler immer wieder gesagt haben. An diesem Tag scheinen die Heiligen anderweitig beschäftigt gewesen zu sein. Der „Dolomitenkönig“ kommt mit zwei Münchner Studenten auf dem Abstieg vom Cristallo ins Rutschen, stürzt in den Bergschrund und stirbt. Der Tod Innerkoflers ist in den kommenden Tagen das dominierende Thema in den Medien. Die Presse berichtet „von seiner Geschicklichkeit und Gewandtheit, von seiner Unerschrockenheit und Kaltblütigkeit, seiner Aufmerksamkeit und Sorgfalt, seiner Bescheidenheit und Nüchternheit“. Und von seinem finanziellen Background: „Michael Innerkofler ist ledigen Standes“, liest man, „und Hausbesitzer in Sexten, besitzt auch ein Vermögen von mehreren Tausend Gulden.“ Für die, die es ganz genau wissen wollten…


Er war der Star unter den frühen Dolomiten-Bergführern: der Sextner Michl Innerkofler (1848–1888).

Geführtes Wandern und führerloses Bergsteigen

Auch wenn mit Innerkofler 1888 der beste Kletterer seiner Zeit verunfallt, geht die Ära der Erschließung der Dolomiten weiter. Allerdings versteht man nun unter „Erschließung“ immer seltener eine Erstbesteigung und dafür immer öfter die Lenkung rasant wachsender Touristenströme, den Bau von Straßen und Hotels und die Bespaßung der von den „Bergfexen“ so argwöhnisch betrachteten „Talschleicher und Hüttenphilister“. Diese Entwicklung lässt auch die Bergführer nicht unberührt, die zwar immer noch zahllose neue Routen finden, zugleich aber auch die Bergunerfahrenen als Zielgruppe erschließen. So zieht der Bergführerberuf ständig mehr Personen an: Konnte man die Führer Anfang der 1870er-Jahre noch einzeln anführen, steigt deren Zahl in den 1880ern rapide. 1887 etwa werden in Tirol 454 autorisierte Bergführer gezählt, davon 403 in Deutschtirol und 51 in Welschtirol. „Aus dem Hirtenvolk Suldens“, schreibt Theodor Christomannos 1895, „ist eine Gemeinde von Bergführern geworden.“

Christomannos ist in dieser Phase ohne Zweifel die wichtigste Triebkraft in der touristischen Entwicklung Südtirols. Zugleich wohnen die beiden Seelen des damaligen Alpentourismus in seiner Brust: hier jene des Tourismuspioniers, der Hotel- und Straßenbauten anstößt und so erst eine Infrastruktur in den Südtiroler Bergen schafft, dort jene des Alpinisten, der auch schwierige Erstbegehungen unternimmt – in Begleitung der renommiertesten Bergführer, versteht sich. Und so betrachten die Führer Christomannos fast als einen der ihren. Als er 1911 auf dem Städtischen Friedhof von Meran beigesetzt wird, ziehen 120 Bergführer in voller Ausrüstung hinter seinem Sarg her.

Mit der von Christomannos vorangetriebenen Erschließung der Bergwelt weitet sich auch das Einsatzgebiet der Führer nach und nach aus. So wird das Wandern in autorisierter Begleitung en vogue, selbst einfachste Wandertouren und Spaziergänge – im Pustertal etwa von der Plätzwiese auf den Dürrenstein (3,50 Gulden) oder zum Pragser Wildsee (0,60 Gulden) – unternehmen die Touristen nur in Begleitung eines Bergführers. Dies weniger aus Angst vor Unfällen als mit dem Blick auf Prestige und Stand. Noblesse oblige, schließlich macht es doch niemand Geringeres als Ihre Majestät vor. Kaiserin Elisabeth liebt das Wandern und macht es salonfähig. Auch bei ihren Aufenthalten in Meran ist sie stets zu Fuß unterwegs, meist in Begleitung eines ortskundigen Bergführers, der deshalb „zum ständigen Dienst“ ins Schloss Trauttmansdorff beordert wird, „und zwar vorerst für Exkursionen im Mittelgebirge, wie sie Meran in Hülle und Fülle hat“, wie die Presse zu berichten weiß.

Von Bergführern singen

Bergführer werden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Symbol des Berglers, zur Visitenkarte Tirols und zum Aushängeschild kernigen Tirolertums. Bilder werden gemalt, Skulpturen geschaffen und sogar ein Operetten-Libretto des „Tiroler Ganghofer“ Carl Wolf trägt den Titel „Der Bergführer“.

Wer also etwas auf sich hält, geht mit Bergführern und Trägern in die Berge. Schließlich kann man es sich leisten. Wer dagegen ohne Führer aufbricht, schließt sich selbst aus der die Nase hoch tragenden Gemeinschaft der Bergsteiger aus: zu verantwortungslos, zu leichtsinnig, vor allem aber zu arm. Gegen diese elitäre Haltung regt sich in den 1880er-Jahren erster Widerstand und der richtet sich – indirekt – auch gegen die Bergführer. Junge, weniger betuchte Bergsteiger propagieren das führerlose Bergsteigen als das einzig wahre, Emil und Otto Zsigmondy etwa unterstreichen 1886 in ihrem Buch „Die Gefahren der Alpen“ die Bedeutung des Bergsteigens für die Charakterbildung, erheben den Alpinismus in den Rang einer von den Theorien Nietzsches gestützten Weltanschauung und sehen in den Bergsteigern die wirklich Starken und Freien. Und wer stark und frei ist, ist auch von keinem Führer abhängig. Im Gegenteil: Der Bergführer ist „eine lästige Fessel“, die es abzustreifen gilt. Die Bergführer geraten damit erstmals in ihrer noch kurzen Geschichte zwischen die Mühlsteine unterschiedlicher Alpinismus-Philosophien, letztendlich scheidet die Polemik die Bergsteigerwelt aber nur in geführte und führerlose Bergsteiger. Letztere übernehmen zwar immer mehr die alpinistische Führungsrolle, von Ersteren gibt es aber immer noch genug (und sogar von Jahr zu Jahr mehr), sodass die Polemik dem Aufschwung des Bergführerwesens keinen Einhalt gebietet.

Immer mehr junge Männer aus den Tälern und Bergdörfern drängen in den Job des Führers, der Ansehen und Geld verspricht. Und immer schwieriger wird es damit, das Niveau hoch zu halten. Deshalb ist es kein Wunder, dass die ersten Ansätze einer organisierten Aus- und Weiterbildung in die 1880er-Jahre fallen. So findet im Frühjahr 1884 der erste „Führer-Instructionscurs“ in Salzburg statt, 1888 folgt der erste in Bozen mit 60 Teilnehmern. Die Kurse werden noch berufsbegleitend organisiert. Dies heißt im Klartext: Sie richten sich nicht an Neulinge, nicht an Bergführeranwärter, sondern an jene, die den Beruf schon ausüben. Zehn Tage drücken sie die Schulbank, jeden Tag stehen fünf bis sechs Unterrichtsstunden auf dem Programm. Die Kurse erregen Aufsehen, in den Medien – etwa im „Boten für Tirol und Vorarlberg“ – erscheinen Berichte über die außergewöhnlichen Schulungen: „Die starkknochigen und verwetterten Schulknaben“, liest man darin und der herablassende Ton klingt deutlich durch, „ersetzten durch eine außerordentliche Hingebung und Aufmerksamkeit auf den Unterricht, was ihnen vielleicht an Vorbildung und Fassungskraft fehlen mochte.“ Sarkasmus der Journalisten hin oder her: Mitte März 1884 wurde der erste „Instructionscurs“ der österreichischen Bergführergeschichte mit einer Prüfung abgeschlossen, die erfolgreichen Absolventen durften sich neben einem Diplom auch über praktische Geschenke freuen: Eispickel, Ferngläser, Laternen, Seile, Rucksäcke und Landkarten.

„Ein Führer allerersten Ranges“
HANSSEPP PINGGERA

In die Fußstapfen Johann Pinggeras tritt dessen 1872 geborener Sohn Johann Josef, genannt Hanssepp. Schon mit 17 ist er als Träger im Einsatz und lernt so Suldenspitze und Cevedale, Ortler und Königspitze in- und auswendig kennen. Als Bergführer erweitert er seinen Horizont und führt Gäste auf Touren in den Schweizer Alpen und in den Westalpen. Auch der Meraner Tourismuspionier Theodor Christomannos setzt auf die Dienste von Pinggera jun. und schwärmt 1890 in dessen Führerbuch: „Derselbe ist ein würdiger Sohn seines berühmten Vaters und trotz seiner Jugend in Folge seiner Ruhe, Sicherheit und Umsicht vollkommen geeignet als selbstständiger Führer zu fungieren.“ Zwei Jahre später schreibt Christomannos: „Hanssepp verspricht mit zunehmender Erfahrung ein Führer allerersten Ranges zu werden.“

Überhaupt gibt das Führerbuch Pinggeras Aufschluss darüber, wie breit der Alpintourismus in Sulden zur Jahrhundertwende aufgestellt ist. Die Einträge stammen von Gästen aus Berlin und London, Wien und Kairo, Leicester und Hamburg, Breslau und Glasgow, Paris, Chicago und Helsinki. Ab 1919 finden sich immer mehr italienische Eintragungen im Buch, Gäste aus Rom und Mailand vermerken darin ihre Beurteilung des Bergführers, der als Leutnant in der k. u. k. Armee an der Ortlerfront gedient hat. „Al bravo Pingera“, notiert dann auch ein Alpino im Führerbuch, „a ricordo del nostro primo incontro in un lontano ma presente giorno di guerra.“ Schon 1904 wird Hanssepp Pinggera mit seinem „Bergsteiger-Logierhaus“ zum Hotelier, danach führt er zudem die Schaubachhütte. 1963 stirbt er über 90-jährig. Noch mit 80 hat er auf dem Ortler und dem Cevedale gestanden.



Von Helsinki bis Kairo, von Wien bis Chicago: An Hanssepp Pinggeras Seil hing zur Jahrhundertwende die ganze Welt.

Zehn Fächer und ein Taschengeld

Es ist ein umfassendes Programm, das die Teilnehmer an den ersten Führerkursen in den 1880er-Jahren abarbeiten. So stehen nicht weniger als zehn Fächer auf dem Lehrplan: „1. Gebirgs- und Gletscherkunde. 2. Geographie der Alpen. 3. Geographie des Landes und des Gebietes, in welchem jeder einzelne Bergführer sich aufhält. 4. Lesen von Land- und Gebirgskarten. 5. Gebrauch von Kompaß, Barometer, Thermometer, Klinometer. 6. Führer-Ordnung, Rechte und Pflichten des Führers. 7. Erste Hilfeleistung bei Unglücksfällen auf Alpenwanderungen. 8. Erläuterung der Organisation, des Zweckes und der Stellung des Alpenvereins, sowie seiner Unternehmungen, der Führer-Unterstützungs-Casse und der Führer-Vereine. 9. Gebrauch von Gletscherseil und Eispickel. 10. Anleitung zum Abkochen im Freien.“ Um trotz des umfassenden Programms möglichst viele Bergführer zur Teilnahme am Kurs zu bewegen, übernimmt der DuOeAV nicht nur die Kosten für Anfahrt und Logis, sondern zahlt den Teilnehmern auch ein Taschengeld. Es gibt 1 Gulden pro Tag und damit immer noch doppelt so viel, wie ein Arbeiter in derselben Zeit verdienen würde.

Der erste Ausbildungskurs für Bergführer zeigt zweierlei: Zum einen ist er Ausdruck des Qualitätsgedankens, der ab den 1880er-Jahren in das Bergführerwesen einzieht. Ist bis dahin die Suche nach Bergführern schwierig gewesen, weshalb auch weniger versierten Bergsteigern der Zugang zum Beruf nicht verwehrt worden ist, kann man nun dank der Attraktivität des Bergführerberufs wählerisch werden und auf die Besten setzen. Zudem gilt es, den Ruf der österreichischen (und damit vor allem der Tiroler) Bergführer als elitäres Korps zu festigen. Mit offensichtlich zufriedenstellenden Ergebnissen, zumindest wenn man der zeitgenössischen Presse glaubt. „Man kann mit Recht behaupten“, liest man etwa im Mai 1884 in einem Artikel im „Boten für Tirol und Vorarlberg“, „daß in den nun behördlich autorisierten Bergführern der österreichischen und deutschen Alpenländer ein sehr verwendbares, zum Theil ausgezeichnetes Führermaterial vorliegt, und daß viele derselben den Schweizer Führern gleich gestellt werden können.“

Weil der Erfolg dem neuen Ausbildungsmodell recht gibt, wird es zur tragenden Säule des Bergführerberufes. So werden Bergführerkurse zu regelmäßigen Einrichtungen, die ab 1896 jährlich in Innsbruck und Bozen organisiert werden. Als theoretische Hilfe stellt der DuOeAV die „Anleitung zur Ausübung des Bergführer-Berufes“ zusammen, ein Lehrbuch, das bis 1906 in nicht weniger als sechs Auflagen und für italienische Kandidaten auch in deren Muttersprache erscheint. Es erklärt in fünf Abschnitten leicht verständlich das Wichtigste zur Erdkunde, zum Lesen von Karten, zu Schutzhütten, Erster Hilfe, Führerwesen und Alpenverein.

Langsam lesen, besser verstehen

„An die Führer, für welche dieses Buch geschrieben ist, richten wir die Mahnung, es langsam und mit Bedacht zu lesen, auch nicht ungeduldig zu werden, wenn ihnen nicht alles sofort klar ist; das Verständnis wird kommen. Ihre Aufmerksamkeit mögen sie besonders dem Abschnitt über die Landkarten zuwenden. Aus diesem werden sie großen Vortheil ziehen können. Denn ein gutes Verständnis der Landkarten gehört zum Führerhandwerk, und wer sich auf der Karte nicht auskennt, ist kein guter Führer, er mag sonst noch so tüchtig sein, es fehlt ihm eine Hauptsache. […] Besondere Aufmerksamkeit soll aber jeder Führer dem Abschnitte über die Hilfeleistung bei Unfällen schenken und sich die darin enthaltenen Lehren gut in das Gedächtnis einprägen. Die gewonnenen Erkenntnisse wird er nicht nur auf Touren, sondern auch bei anderen Gelegenheiten zum Nutzen seiner Mitmenschen verwerten können.“

Vorwort des Handbuches „Anleitung zur Ausübung des Bergführer-Berufes“, Ende der 1890er-Jahre

Der theoretische Unterricht wird durch praktische Übungen ergänzt, die in Bozen im Steinbruch unterhalb des Kalvarienberges abgehalten werden. Gelernt wird das fachgerechte Sichern, die Bergung von Verletzten und deren Erstversorgung. Schon 1897 legt der DuOeAV sogar fest, dass er als „seine“ Bergführer „nur mehr solche Bergbewohner [anerkennt], welche einen Führercurs mit Erfolg mitgemacht haben“. Ungelernte Bergführer haben damit Ende des 19. Jahrhunderts endgültig ausgedient.


Auch mit dem Wetter mussten sich Bergführer schon zur Jahrhundertwende eingehend befassen. Die abgebildete Seite stammt aus der vom DuOeAV 1906 herausgegebenen „Anleitung zur Ausübung des Bergführerberufes“.

Zum anderen offenbart der Bergführerkurs, dass der Alpenverein immer deutlicher das Ruder in der Organisation des Bergführerwesens übernimmt und nun selbst – und fast allein – für das gute und schlechte Wetter in diesem Schlüsselberuf der touristischen Entwicklung sorgt. So ist es der DuOeAV, der den Salzburger Kurs (und alle, die noch folgen) organisiert und finanziert, der die Bergführer über seine „Führer-Unterstützungs-Casse“ sozial absichert und der Führer-Bibliotheken einrichtet, Kartenmaterial verteilt und Ausrüstungsgegenstände verschenkt. Auch dank des DuOeAV wird der Beruf des Bergführers ab den 1880er-Jahren immer mehr gefestigt, die Ausbildung immer stärker professionalisiert. Die Führerkurse werden nun jährlich an mehreren Orten angeboten und auf den offiziellen Bekanntgaben der Bergführer eines Gebietes jene gesondert angeführt, die einen Kurs erfolgreich abgeschlossen haben. Schon 1890 sind es 194 der 536 Tiroler Führer.

Gegen schwerhörige Säufer

Der DuOeAV wird immer mehr zum Vermittler zwischen Führern und Behörden. Den Führern steht man zur Seite, wenn es um die Beziehungen mit den Ämtern geht, während man für die Behörden aus der Menge an Bewerbern geeignete Kandidaten herausfiltert. Bei der Auswahl potenzieller Führer legt der Alpenverein Wert auf Geist, Körper und Charakter. So seien „geistig minder begabte Personen, von denen anzunehmen ist, dass sie einen Führerkurs nicht bestehen werden“, abzuweisen. Nicht für die Bergführerei infrage kämen zudem Kandidaten mit Gebrechen „wie Schwerhörigkeit, Kurzsichtigkeit, Verkrüppelung eines Gliedes etc.“. Vielmehr müssten angehende Führer „körperlich rüstig und kräftig“ sein, was der zuständige Arzt dem Alpenverein direkt bestätigen müsse, weil es zuvor immer wieder Fälle falscher Atteste gegeben habe. Ausgemustert werden zudem „unverlässliche“ Bewerber oder „notorische Säufer“, Vorbestrafte oder Raufbolde, weshalb auch der örtliche Gendarm um seine Einschätzung gebeten wird. Schließlich gibt es auch so etwas wie einen sozialen Filter bei der Auswahl der angehenden Bergführer. Sollte es genügend Bewerber geben, so der DuOeAV, seien „bei gleicher Eignung ärmere Bewerber vor wohlhabenderen“ zu bevorzugen. Eine weitere Vorzugsschiene sei den Söhnen altverdienter Bergführer einzuräumen – offiziell mit dem Argument, dass sie wohl schon Touren mit ihren Vätern unternommen und dabei Bergerfahrung gesammelt haben.

Dass die Bergführer – vor allem dank der Fürsprache des DuOeAV – in den 1880er- und 1890er-Jahren nicht nur gesellschaftlich, sondern auch politisch an Einfluss gewinnen, zeigt die Revision der Tiroler Bergführerordnung. Im neuen Reglement, das am 1. Jänner 1893 in Kraft tritt, ist nicht mehr nur von den Pflichten der Führer die Rede, sondern vor allem von ihren Rechten. Und von den Rechten der Alpenvereine. Deren Mitwirkung bei der „Aufsicht und Leitung“ der Bergführer wird nun auch amtlich festgeschrieben; die Befähigung eines Führeraspiranten muss nicht mehr nur von den Gemeinden, sondern auch vom im Gebiet stärksten alpinen Verein bestätigt und dessen Gutachten bei der Aufstellung der Tarife eingeholt werden. Damit werden die Vereine zu quasistaatlichen Organen.

Zugleich stärkt man mit der neuen Bergführerordnung den Führern den Rücken. Sie dürfen künftig Touren auch ablehnen, wenn sie glauben, dass der Gast nicht dafür geeignet ist. Auch können sie verlangen, einen weiteren Führer oder Träger mitzunehmen, wenn mehr als ein Gast zu führen oder die Tour eine schwierige ist. Apropos Träger: Diese Figur wird durch die Bergführerordnung 1893 neu eingeführt, sodass künftig eine hierarchische Zweiteilung im Führerwesen herrscht. Da gibt es einmal den vollständig ausgebildeten und amtlich anerkannten Bergführer und dann den Träger, der dem Bergführer als Hilfskraft beigestellt wird. In der Praxis gestaltet sich die Zweiteilung meist so, dass die Träger Bergführeranwärter sind, sich also als Begleiter erfahrener Führer ihr Können und Wissen am Berg aneignen und wichtige Erfahrungen sammeln.

Bergführer vor Gericht

Strafen riskieren Ende des 19. Jahrhunderts Bergführer, unter deren Obhut sich ein Unglück ereignet. So steht 1895 erstmals in Österreich-Ungarn ein Bergführer wegen eines tödlichen Absturzes vor Gericht, und zwar ausgerechnet vor dem Kreisgericht in Bozen. Der Söldner Bergführer Zachäus Gstrein (32) war im August auf dem Gurglerferner im Pfossental abgestürzt, sein Gast, der Berliner Paul Modl, dabei ums Leben gekommen. Gstrein wird daraufhin vorgeworfen, das alpinistische Können seines Gastes falsch eingeschätzt und auch dessen unzureichende Ausrüstung (etwa fehlende Steigeisen) akzeptiert zu haben. Darüber hinaus hätte Gstrein laut Führertarif die Mitnahme eines zweiten Führers verlangen müssen. Die Anklage schreibt deshalb: „Daß am Verluste dieses Menschenlebens außer der eigenen Unerfahrenheit und Waghalsigkeit des Modl auch der Führer Gstrein Schuld trägt, ist zweifellos und ist er dafür verantwortlich, da er ja als Bergführer mit den für seinen Beruf erlassenen Vorschriften vertraut sein mußte und sich daran hätte halten sollen.“


Im März 1913 erreicht Joseph Carlton Short aus Chicago mit Hanssepp Pinggera über den Südwestgrat die Vertainspitze. In fünfeinhalb Stunden, wie Short stolz in Pinggeras Bergführerbuch notiert. Pinggera sei ihm auch unter widrigen Umständen ein fröhlicher Kamerad gewesen, hält der amerikanische Gast fest. Er sei eben, so Short, der Führer „par excellence“.

Interessant ist, dass hier die neuen Rechte in der Bergführerordnung (Begleitung durch einen zweiten Führer, Ablehnung bei unzureichender Ausrüstung) allesamt gegen den Führer verwendet werden. Weil Gstrein allerdings glaubhaft machen kann, dass sein Gast gut ausgerüstet war, Steigeisen nicht notwendig waren und ein zweiter Führer nicht hätte helfen können, wird der Bergführer freigesprochen. Mehr noch: Von den Eltern des Verunglückten bekommt Gstrein sogar einen beträchtlichen Geldbetrag als Unterstützung. Die Fronten vor Gericht waren also klar, wenn auch ungewöhnlich: Auf der einen Seite stand die Staatsmacht, auf der anderen standen vereint die Bergsteiger.

Die neue Bergführerordnung steht damit sinnbildlich für den Höhenflug der Bergführer. Gibt es in Tirol 1894 542 Führer, sind es 1895 bereits 625, die in diesem Sommer 7.122 Touren mit 10.720 Gästen unternehmen, 1896 sind es 678, 1899 sogar 744. Dies entspricht einem Plus von fast 40 Prozent in gerade einmal fünf Jahren. Und weil die Bergführer nun auch behördlich einen anderen Stellenwert haben als noch mit der alten Bergführerordnung, schlägt sich das goldene Zeitalter des Bergführerwesens nicht nur quantitativ, finanziell und sozial nieder, sondern auch rechtlich. Damit werden in nur zwei Jahrzehnten aus weitgehend rechtlosen Dienstmännern am Berg die Könige der Alpen.

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