Kitabı oku: «Meister der Vertikale», sayfa 4
Das Dilemma der Bergführer: Gott oder Gast?
Auch wenn die 1880er- und 1890er-Jahre das goldene Zeitalter des Bergführerwesens in Tirol sind, verläuft offensichtlich nicht jede Saison zur vollsten Zufriedenheit. So klagt das „Volksblatt“ Anfang August 1884 über ausbleibende Gäste für die Innsbrucker Bergführer und schließt daraus: „Die große Mehrzahl der Touristen machen sich das Reisen bequemer und haben sich zur Devise genommen, die Berge von unten, die Kirchen von außen und die Wirthshäuser von innen anzusehen.“
Berg, Kirche, Wirtshaus: Die (un-)heilige Dreifaltigkeit der Touristen macht den Tiroler Bergführern in den 1880er-Jahren arg zu schaffen, geraten sie doch zwischen die Fronten eines Kulturkampfes, den Kirche und Wirtschaft vehement ausfechten. Während nämlich der Tourismus wirtschaftlich für Tirol, vor allem für dessen ländliche Gebiete, immer wichtiger wird, fürchtet die Kirche den angeblich damit einhergehenden Sittenverfall. Die zahllosen in katholischen Blättern publizierten Artikel offenbaren im Wesentlichen zwei Urängste der Kirche: Zum einen stelle der (vielfach protestantische) Tourismus eine Gefahr für die Tiroler Glaubenseinheit dar. Zum anderen drohe die Aussicht auf schnelles Geld die bis dahin – so stellt es die Kirche dar – tief in ihrem einfachen, gottgefälligen Leben verwurzelten Landbewohner nachhaltig zu korrumpieren.
Brutstätte der Unsittlichkeit
Im Kampf gegen den Tourismus fährt die katholische Welt in Tirol schwere Geschütze auf, vor allem publizistische. So liest man im Juni 1886 im „Tiroler Volksblatt“: „Im Ganzen und Großen machen sich die schlimmen Folgen und Schattenseiten des Fremdenwesens auch in Pusterthal schon fühlbar genug.“ Man müsse vor allem „das nie ganz ohne Folgen bleibende Beispiel eines arbeitsscheuen, genußsüchtigen Müßigganges, eines übermäßigen Luxus und tausend verfeinerter Genüsse bedenken“, schreibt der Autor, der vor den Folgen warnt, die sich vor allem bei „der dienenden Classe“ bemerkbar machten. Sein an Deutlichkeit kaum zu überbietendes Fazit: „Ueberhaupt ist das Fremdenwesen für’s katholische Volk eine Brutstätte des Indifferentismus und der Unsittlichkeit.“
In der ebenfalls katholischen „Brixener Chronik“ legt man dem Glaubenskampf 1892 dagegen ein soziales Deckmäntelchen um und macht – man höre und staune – die vergleichsweise guten Einkünfte der Bergführer zum Problem. Sie könnten, schreibt das Blatt, dazu führen, dass „in den entlegensten Orten sich Familien bilden, deren Glieder im Sommer dem bessern Verdienste nachgehen, im Winter diesen Verdienst als ihren Lebensunterhalt verwenden und im Alter den Gemeinden zur Last fallen“. Erst im Nachsatz wird indes das wahre Interesse des fundamental-katholischen Teils Tirols sichtbar, der zu erreichen versucht, „daß diese Änderung der Verhältnisse nicht nur von auswärts gelenkt und geleitet wird“.
Für die Bergführer zeitigt dieser vor allem medial ausgetragene Konflikt eine deutlich spürbare Auswirkung: das auch von Fürstbischof Simon in einem kirchlichen Dekret formulierte Verbot, an Sonn- und Feiertagen zu einer Tour zu starten, ohne zuvor die heilige Messe besucht zu haben. Vom Bischof beauftragt, nehmen die Ortsseelsorger die Führer vor Ort an die Kandare und erreichen, dass das Verbot in den meisten Reglements der lokalen Bergführervereine verankert wird. Verstöße dagegen werden mit saftigen Strafen geahndet, die auch schon einmal das Dreifache der Führertaxe ausmachen können. Weil nun aber Sonn- und Feiertage die wichtigsten im Führergeschäft sind, hält sich nicht jeder an das Messgebot, manch einer wagt es, auch ohne göttlichen Segen in die Berge zu starten. Nicht zuletzt, weil so mancher betuchte Gast bereit ist, die Strafe für den Führer zu übernehmen, sollte man beim teuflischen Gekraxel erwischt werden.
Dem „Herrjott“ am nächsten
„Der Grundsatz soll und darf einem katholischen Tiroler nicht maßgebend sein, wenn der Fremde zum Führer sagt: ‚Auf den Spitzen der Berche ist man dem lieben Herrjott ja am nächsten.‘ Der glaubenstreue Katholik ist seinem Herrgott beim Opfer der hl. Messe am nächsten, und nachher kann er mit dem Fremden hinaufkraxeln bis über die Spitze des Popocatepetel um seinem ‚Herrjott‘ näher zu kommen, und von einer Dispens sollte nur in den dringendsten Fällen Gebrauch gemacht werden.“
„Der Burggräfler“, 1. August 1885
Druck üben die kirchlichen Kreise nicht nur auf die Bergführer aus, sondern auch auf die damals fast 25.000 Mitglieder des Alpenvereins. In einem Gruß an die Delegierten der Generalversammlung von 1889, die in Bozen stattfindet, fordert man die potenziellen Kunden der Führer auf, diese erst gar nicht in einen Gewissenskonflikt zu bringen: „Schonet unsere Bergführer an Sonntagen!“, heißt es in der Grußbotschaft. Denn: „Leuten, die nach dem Gebote des Herrn gewissenhaft den Feiertag heiligen, könnt Ihr auch auf gefährlichen Bergspitzen Euer Leben sorgloser anvertrauen.“ Die Argumentation nimmt dabei kuriose Züge an. So erzählen (katholische) Gäste von Führern, die – am Sonntag ohne Messbesuch zur Tour aufgebrochen – an schwierigen Stellen gezögert, deren Knie und Hände gezittert hätten. Wohl aus Angst, der Sturz vom Berg könne direkt in der Hölle enden.
So viel kirchliche Einflussnahme ist manch einem und vor allem der protestantisch geprägten Welt dann doch zu viel. Sie sei, schreibt etwa der Österreichische Touristenclub, nicht „im Interesse eines gesteigerten, internationalen und interkonfessionellen Fremdenverkehres“. „Die Tiroler“, heißt es, „müssen sehr sündhaft sein, weil sie von ihren geistlichen Oberhirten so strenge behandelt werden.“ Es wäre „rationeller“ gewesen, die Bergführer für die wenigen Sonn- und Feiertage in der Hochsaison von der Frühmesse „mit der Weisung zu dispensieren, die versäumte Messe in den nächsten Wochen gelegentlich nachzuholen“. Das Sonntagsverbot führe nur dazu, dass Bergsteiger in andere Gebiete ausweichen, Führer von auswärts nach Tirol bringen oder führerlos ins Gebirge gehen würden.

Zum Team des Becherhauses gehört in den 1890er-Jahren auch ein Bergführer, der im Foto ganz vorne Aufstellung bezieht. Das Becherhaus war übrigens eines der ersten Schutzhäuser mit eigener Kapelle. So konnte man auch am Sonntag zu einer Tour aufbrechen, ohne fürchten zu müssen, direkt in der Hölle zu landen.
Es ist ein Stellvertreterkampf, der hier auf dem Rücken der Bergführer ausgetragen wird: jener zwischen Konservativen und Liberalen, zwischen Land und Stadt, zwischen Katholiken und Protestanten. Vernünftige Stimmen gibt es in diesem Kampf wenige, wenn sie hörbar sind, dann kommen sie aus liberaler Richtung. In der „Meraner Zeitung“ versucht man etwa, den Druck von den Bergführern zu nehmen, indem an die Vernunft der Touristen appelliert wird. „Jeder Gebildete [wird] sich ohneweiteres auch von selbst eine derartige Rücksichtnahme auferlegen und Jeder, welcher dies verabsäumt, [macht] sich eines bedauerlichen Mangels an Zartgefühl und Takt schuldig. […] Ein Fügen und Nachgeben von beiden Seiten würde, wie auch sonst, hier wohl das Richtige sein.“
Nur: Ein „Fügen und Nachgeben“ gibt es nicht, weshalb die Tiroler Bergführer nach Lösungen suchen müssen, die Gast, Bischof und Geldbörse zufriedenstellen. Als Reinfall erweist sich dabei der Suldner Versuch, „Sonntagsbergführer“ einzuführen. Als solche sollten zwei nicht autorisierte (und daher nicht an das kirchliche Dekret gebundene), aber „in der Touristenwelt und namentlich in Meran hinreichend bekannte und nicht minder zuverlässige Herren“ dienen, deren Verdienst (samt Trinkgeld) nicht in die eigene Tasche, sondern in die Unterstützungskasse der Führer fließen sollte. Sehr viel Erfolg versprechender ist ein anderer Lösungsansatz, für den man auf die Mithilfe der Geistlichkeit angewiesen ist. Weil es ja kein kategorisches Sonntagstouren-Verbot gibt, sondern nur das Verbot, ohne heilige Messe zu starten, muss eben die Messe verlegt werden: zeitlich und räumlich. So ist es kein Wunder, dass in den 1890er-Jahren eine Reihe von Hütten eigene Kapellen bekommen, in denen sonntags schon in aller Herrgottsfrühe die Messe gelesen wird. So können Führer und Gäste dem bischöflichen Erlass Genüge tun und doch zur Sonntagstour starten – mit göttlichem oder vielmehr kirchlichem Beistand.
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LICHT UND SCHATTEN

Dreiteiler, Krawatte und die obligate Pfeife: Die Bergführer, hier drei Suldner, gehören in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zur Elite. Nicht nur bergsteigerisch.
Hungerleider oder Neureiche?
Drei Jahrzehnte hatte man in Tirol gebraucht, um den Beruf des Bergführers aus dem Nichts zu einem der angesehensten und begehrtesten zu entwickeln. Den rechtlichen Unterbau dafür hatten die k. u. k. Behörden mit den Bergführerordnungen und -tarifen geschaffen, für die Professionalisierung und ein soziales Netz hatten die Alpenvereine gesorgt. Das Fundament für die rasante Entwicklung des Führerwesens bildete aber der Tourismus, dem man in Tirol förmlich beim Wachsen zusehen konnte. Allein von 1893 bis 1903 stiegen die offiziellen Gästezahlen von 280.764 auf 604.917. Ein Plus von über 115 Prozent in gerade einmal zehn Jahren.
Klar ist, dass dieser enorme Anstieg auch die Klientel der Bergführer exponentiell wachsen ließ. Und weil die Nachfrage nun einmal das Angebot bestimmt, spiegelt sich die touristische Entwicklung auch in jener des Bergführerwesens wider. So wurden in Tirol und Vorarlberg im ersten Jahrzehnt von 1870 bis 1880 noch 99 Führer von den Behörden „autorisiert“, im zweiten von 1880 bis 1890 waren es 267, im dritten von 1890 bis 1900 sogar 378. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts standen also 744 Bergführer, 92 Führerbewerber und 17 Träger im Dienst. Etwas mehr als die Hälfte davon hatte einen Führerkurs besucht, besaß also auch den theoretischen Background, um den Führerberuf professionell und gewissenhaft ausüben zu können.

Das „Hotel Dolomitenhof“ in Sexten wirbt 1909 in der „Deutschen Alpenzeitung“ mit dem Hinweis „Bergführer im Hause“. Selbstverständlich, ist der Besitzer doch kein Geringerer als Sepp Innerkofler.

Gipfelrast: Bergführer posieren 1911 für ein Winterbild mit Gamaschen, Schneeschuhen und Alpenstange.
Meinungsführung
Dass sich die Kräfteverhältnisse am Berg gerade bei spektakulären Erstbesteigungen nicht unbedingt in den Zeitungsspalten widerspiegeln müssen, zeigt eine Meldung der „Lienzer Zeitung“ im August 1906. Darin heißt es: „Zwei Herren aus Wien, die bekannten Bergsteiger A. Diamantidi und V. Singer haben in den letztverflossenen Tagen den Adamello von der Nordseite her bezwungen.“ Und dann der lapidare Satz: „In ihrer Begleitung befanden sich die Bergführer Franz Pinggera und Peter Dangl.“ Am Berg, das wagen wir zu behaupten, dürfte die Reihenfolge eine andere gewesen sein.
Gerade in touristisch gut erschlossenen Gebieten reichte den Bergführern dank relativ hoher Tarife und eines dichten Takts an Führertouren – im Jahr 1900 waren es in Tirol offiziell 6.742 mit 10.588 Gästen – eine gute Sommersaison meist aus, um ihre Familien ein ganzes Jahr lang versorgen zu können. Mancherorts schafften die Bergführer den Sprung in die Schicht der Wohlhabenden und besonders Vorausschauende investierten das in guten Saisonen Erwirtschaftete in die Schlüsselindustrie der Zukunft: den Tourismus. Manchmal agierten sie dabei auch gemeinsam. In Sulden etwa gehörte die Hintergrathütte einer Gesellschaft von zwölf Bergführern, am Passo Tre Croci zwischen Cortina und Misurina erwogen die Ampezzaner Bergführer den Bau eines Hotels und auch das Sellajochhaus wurde von Bergführern in die Höhe gezogen. Während also in touristisch stark frequentierten Gebieten den Bergführern nur allzu viele Regentage in der Hochsaison einen Strich durch die Rechnung machen konnten, mussten ihre Kollegen in abgelegenen Gebieten außerhalb der Saison oft einer zweiten Beschäftigung nachgehen. Nicht immer mit dem vollen Rückhalt aller. Als etwa 1901 der Langtauferer Bergführer Christian Hohenegger als christlich-sozialer Kandidat für den Landtag vorgestellt wurde, spottete die liberale Zeitung „Der Burggräfler“: „Daß dieser nach einem Mandat strebt, ist begreiflich, denn in Tagen, da gewöhnlich der Landtag tagt, sind Bergführer meist ohne Beschäftigung.“ Und Lehrern wurde es gar per Erlass des k. k. Landesschulrates von 1910 verboten, im Nebenerwerb als Bergführer tätig zu sein. Den Schulrat besorgte dabei nicht etwa die mit dem Nebenberuf verbundene Gefahr, vielmehr „widerstreitet der Bergführerdienst dem Ansehen des Lehrerstandes und ist mit dem Schuldienst nicht vereinbar“, heißt es im Erlass.
Ein Mann ohne Grenzen
PETER DANGL
Wie kaum ein Zweiter gestaltet der gebürtige Nordtiroler und Wahlsuldner Peter Dangl den Aufstieg der Suldner Bergführer mit. 1844 geboren, ist sein alpinistischer Spielplatz zunächst die Ortlergruppe. Dort gelingen ihm einige aufsehenerregende Erstbesteigungen, darunter jene der Trafoier Eiswand von Norden, der Vertainspitze über den Nordwestgrat oder des Ortlers über den Hochjochgrat. Dangl versteht es früh, diese Unternehmungen ins rechte Licht zu rücken und sich so weit über die Grenzen hinaus einen Namen als unerschrockener Führer zu machen. So ist Dangl mitunter wochenlang mit Gästen in der Schweiz unterwegs.
Allein auf dem Matterhorn steht er zwölf Mal, auf dem Zinalrothorn neun Mal, auf dem Weißhorn acht Mal. Als Dangl 1908 65-jährig stirbt, bezeichnet ihn „Der Burggräfler“ als einen „der Bekanntesten und Tüchtigsten aus der Gilde der österreichischen Bergführer“. Und weiter: „Man rühmte seine Ruhe, sein kluges Abwägen jeder Möglichkeit, seine nie versagende Sicherheit und Kaltblütigkeit in schwierigen Lagen.“ Diese Eigenschaften brachten Peter Dangl weiter als die allermeisten seiner Zeitgenossen, und zwar mit englischen Expeditionen bis in den Himalaja. Als Bergführer, versteht sich.

Von Nordtirol nach Sulden und von dort in den Himalaja: Peter Dangls Einsatzgebiet als Führer kannte schon zur Jahrhundertwende keine Grenzen.

Fremde Einblicke: Mit den Bildern seiner Tienschan-Expedition brachte der Führer Franz Kostner ein Stück fremde Welt nach Südtirol.
Die Ausbildung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft im Bergführerwesen – hier die begüterten Vollprofis in den Alpinmekkas, dort die im Sommer arbeitenden Nebenerwerbsführer in der Peripherie – blieb auch der Obrigkeit nicht verborgen. So erging im Herbst 1901 erstmals die behördliche Aufforderung an die Führer, Erwerbsteuer zu zahlen, und zwar rückwirkend für die letzten vier Jahre. Verständlich, dass die Bergführer darüber wenig erfreut waren. Der Alpenverein wurde als Lobbyist aktiviert und publizistische Schützenhilfe gab es von den oppositionellen Blättern. So schreibt etwa die „Lienzer Zeitung“ 1902: „Wir wissen nicht, welchem fiscalischen Gehirne der Gedanken entsprungen ist, von diesen mit Gefahr für Leben und Gesundheit und unter großen Anstrengungen sauer verdienten Kreuzern eine Abgabe für den Staat zu fordern.“ Die Führertätigkeit sei ein bäuerlicher Nebenerwerb, die Besteuerung eine „Blutsteuer“. K. u. k. Finanzminister Eugen von Böhm-Bawerk ließ sich jedoch nicht beirren. Es widerspreche, so der Minister, dem Prinzip einer gleichmäßigen Besteuerung, wenn man eine ganze Berufskategorie von der Steuerpflicht befreie. Dadurch würde „ein Privilegium geschaffen, dessen sich andere noch weniger steuerkräftige Erwerbtätige nicht erfreuen“. Der ganze Kampf gegen die Steuerpflicht war also einer gegen Windmühlen. Von nun an mussten die meisten Führer jährlich Erwerbsteuer zahlen, die sich allerdings in überschaubaren Grenzen hielt. Die meisten standen beim Fiskus mit zwei bis drei Kronen in der Kreide, die erfolgreichsten kamen auf eine „Steuerlast“ von fünf Kronen. In die Erwerbsteuer für ein ganzes Jahr floss demnach das Honorar für eine leichte Tagestour.
Der Luxus von Daumenschrauben
War man in den Anfangsjahren noch händeringend auf der Suche nach Kandidaten für den Bergführerberuf gewesen, hatte man im neuen Jahrhundert Bewerber zuhauf und damit die Chance, die Besten auszuwählen und schwarze Schafe von vornherein auszusortieren. So konnte sich der DuOeAV im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts erstmals den Luxus leisten, bei der Auswahl und Ausbildung von Bergführern die Daumenschrauben anzulegen. Die Generalversammlung von 1902 etwa hieß einen neuen Lehrplan für die Ausbildungskurse gut. Dieser umfasste:
● 22 Stunden Kartenlesen und „Geographie der weiteren Heimat der Führer“, 8 Stunden allgemeine Erdkunde, ● 4 Stunden kurzer Überblick über die geografischen Verhältnisse des Alpengebietes und Europas, ● 24 Stunden Hilfeleistung bei Notfällen, ● 2 Stunden Technik des Bergsteigens, Notsignal, ● 3 Stunden Führerordnung, Rechte und Pflichten der Führer, Führervereine, ● 2 Stunden Organisation und Zwecke des DuOeAV, Führerkasse und ● 2 Stunden Waldschonung, Lawinen, Wildbach.
Zugleich wurde beschlossen, die Kurse strenger zu gestalten. Teilnehmer, die „sich nicht als bildungsfähig erweisen“, sollten künftig endgültig abgelehnt werden, als bestanden galt der Kurs nur, wenn er mit sehr gutem Erfolg belegt wurde. Alle jene, die eine solche Note nicht erreichten, mussten den Kurs im Jahr darauf wiederholen.
Und auch von den Behörden wurden die Daumenschrauben angezogen. So konnten künftig nur noch Führer um die Autorisierung ansuchen, die das Zeugnis eines erfolgreich besuchten Ausbildungskurses sowie eine mindestens zweijährige Tätigkeit als legitimierte Träger vorweisen konnten. 1905 wurde zudem die Grenze zwischen Führern und Aspiranten schärfer gezogen. So untersagte der „Statthalterei-Normalerlaß“ vom 11. Mai 1905 Führeraspiranten ausdrücklich, sich als Führer anzubieten oder „qualifizierte Führerdienste – also insbesondere Hilfeleistung mit Seil und Pickel in leitender Stellung“ zu übernehmen. Zugleich wurden darin Aspiranten definiert als „jene legitimierten Träger, welche sich unter der Anleitung und Aufsicht eines alpinen Vereines zum Führerdienste ausbilden“. Aufsicht hieß dabei vor allem, als Träger an der Seite eines autorisierten Führers zu dienen.
Strenger geregelt wurden auch die jährlichen Führertage, zu denen die Bergführer unter Androhung des Entzugs ihres Führerzeichens und in voller Ausrüstung zu erscheinen hatten, damit diese kontrolliert werden konnte. „Mitzubringen sind somit: Führerzeichen, Hüttenschlüssel, Seil, Pickel, Verbandzeug, Steigeisen“, heißt es in der Einladung zum Führertag 1906 in Innichen. Vor allem die Seile wurden eingehend unter die Lupe genommen, ihre Reißfestigkeit mit Probebelastungen getestet.
Der Rahmen, innerhalb dessen Bergführer ihren Dienst versahen, wurde also immer detaillierter ausgestaltet, aus einem Nebenerwerb ohne jegliche Regeln war innerhalb von drei Jahrzehnten ein Beruf geworden. Einer mit genauen Vorgaben, einer klaren Hierarchie und (wohl auch deshalb) hohem Ansehen.
Der Weitgereiste
FRANZ KOSTNER
„Strapazierfähige Bergkleidung, einen Steireranzug für die Reise, sechsfache Leibwäsche, wollene Socken, Schärpen Handschuhe, neue Bergschuhe“: Die Einkaufsliste, die Franz Kostner aus Corvara 1902 schreibt, ist nicht spektakulär, das Vorhaben, für das sie gedacht ist, aber sehr wohl. Kostner begleitet den Münchner Geografen und Alpinisten Gottfried Merzbacher als Bergführer auf eine zweijährige Expedition in das weitgehend unerforschte Tienschan-Gebirge im damals russisch-chinesischen Grenzgebiet. Allein die Anreise dauert zwei Monate, danach machen Stürme, Kälteeinbrüche, Schnee, Lawinen und Spaltenstürze der Expedition zu schaffen. Eines ihrer Ziele ist der legendäre Khan Tengri, eine fast perfekte, knapp über 7.000 Meter hohe Pyramide. Eine Besteigung scheitert zwar, trotzdem liefert die Merzbacher-Expedition wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse.
Nach seiner Rückkehr aus dem Tienschan-Gebirge, das er 1907 als Begleiter von Prinz Arnulf von Bayern ein zweites Mal bereist, nutzt Kostner die geknüpften Beziehungen, um sein Bergführergeschäft auszubauen. Er macht sich dabei als ebenso findiger wie vielseitiger Führer einen Namen. So überschreitet er 1904 mit einem Gast das Matterhorn. „Wir hatten es dabei auf eine möglichst kurze Zeit abgesehen“, schreibt Kostner und liefert damit den Nachweis für die vielleicht erste Speedführung der Geschichte. Im Jänner 1904 erhält er zudem die Einladung, an einem Bergführerskikurs des DuOeAV in Igls teilzunehmen. Die neue Disziplin wird zu einem wichtigen Standbein Kostners. Für 1908 beschreibt er etwa eine geführte Skitour auf den Piz Boé samt Abfahrt durch das Mittagstal. Auch wenn sein Gast urteilt, „daß sich die Dolomiten für den Skilauf nicht besonders gut eignen“, wird Kostner zum Gadertaler Skipionier schlechthin und gründet Ende der 1920er-Jahre auch die Skischule Corvara.

Es mag eine Pose sein, aber der in die Ferne schweifende Blick von Franz Kostner steht auch sinnbildlich für seine Abenteuer- und Reiselust.

Reale Gefahr, makabres Motiv: Die Bergführer müssen, wie hier 1929 in Sexten, auch zu Rettungseinsätzen ausrücken.
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