Kitabı oku: «Köder Null», sayfa 4

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KAPITEL VIER

Maria Johansson zog ihre Schlüsselkarte durch den vertikalen Schlitz in der Wand eines weißen Gangs aus Betonstein in einem Untergeschoss des CIA-Hauptquartiers in Langley. Man hörte ein lautes Summen, dann schob sich ein schwerer, elektronischer Bolzen zurück und schließlich entriegelte sich die Stahltür mit einem schweren Klonk.

Dies war nur eines der vier Untergeschosse unter dem George-Bush-Center für Geheimdienst - vier von denen sie wusste, es gab wahrscheinlich andere, die sie nicht kannte. Selbst als eine ehemalige stellvertretende Direktorin wurde sie nicht in alle Geheimnisse der Agentur eingeweiht. Sie war auch nicht naiv genug, um zu glauben, dass das jemals geschähe.

Trotzdem grenzte es an ein kleines Wunder, dass ihre Schlüsselkarte noch funktionierte. Nachdem sie letzten November die chinesische Rebellengruppe und ihre Ultraschallwaffe aufgehalten hatte, war sie von ihrem Posten zurückgetreten und hatte wieder ihr Leben als Geheimagentin aufgenommen. Sie hatten aber noch nicht den Zugang auf Geheiminformationen widerrufen, den sie in ihrer damaligen Stellung gehabt hatte.

Und sie war sich ziemlich sicher, dass sie den Grund dafür kannte.

Maria drückte die Tür hinter sich zu und nickte dem Sicherheitswärter im grauen Anzug zu, der hinter einem beigen Schreibtisch saß und eine Sportzeitschrift las. „Guten Morgen, Ben.“

„Ms. Johansson.“ Der ehemalige Agent machte keine Anstalten, sich zu bewegen, geschweige denn ihren Ausweis zu überprüfen und ihre Schlüsselkarte zu scannen.

„Sollte ich mich anmelden…?“, fragte sie nach einem Moment peinlicher Stille.

Ben grinste. „Ich glaube, ich kann mich seit letztem Donnerstag noch daran erinnern, wie Sie aussehen.“ Er zeigte mit dem Kinn in Richtung Gang. „Gehen Sie einfach nach hinten.“

„Danke.“

Die Absätze ihrer Stiefel klackten gegen den gekachelten Boden und hallten aus leeren Zellen wider, während sie auf die letzte links in dem Gang zulief. Es gab keine anderen Gefangenen in diesem Untergeschoss, es sollte eigentlich ein vorübergehender Haftraum sein, in dem man normalerweise einheimische Terroristen, Kriegsverbrecher, Deserteure und den gelegentlichen verräterischen Spion verwahrte. Es war ein kurzer Halt auf dem Weg zu viel schlimmeren Orten, wie Hölle Sechs in Marokko - oder ein einfaches Loch in der Erde.

Sie hasste es, Null anzulügen. So nannte sie ihn dieser Tage, Null. Er hatte sie letzten Monat darum gebeten, ihn nicht mehr Kent zu nennen. Es nannte ihn sowieso niemand bei seinem ehemaligen CIA-Alias, er war einfach nicht mehr Kent Steele. Und fast niemand, mit dem er regelmäßig zu tun hatte, nannte ihn bei seinem wirklichen Namen, Reid Lawson. Er war einfach Agent Null. Verdammt, selbst der Präsident nannte ihn Null. Also tat Maria es auch.

Obwohl „Papierkram“ technisch gesehen keine Lüge ist, dachte sie still bei sich. Es war ihr Codewort für „es ist ein Geheimnis und ich würde es bevorzugen, wenn du mich nicht danach fragst.“ Gerade letzte Woche hatte er selbst den Mädchen erzählt, dass er nach Kalifornien ginge. Ihr hatte er gesagt, dass er sich um etwas „Papierkram“ kümmern müsste.

Also stellte sie keine Fragen. Nun ja, sie hatte ihn an diesem Morgen ganz schön gedrängt, doch es war nicht ernst gemeint. Außerdem: was sonst hätte sie ihm sagen sollen? Seit ein paar Monaten besuche ich einen CIA-Gefangenen und Mörder und es ist mir peinlich, es zuzugeben.

Natürlich nicht. Das klang fürchterlich.

Die Zelle war dreieinhalb auf dreieinhalb Meter groß. Der Boden und die Decke waren aus Zement und die Wände waren nicht vergittert, sondern bestanden aus vier Zentimeter dickem Sicherheitsglas. Ein Bereich mit Löchern mit einem Zentimeter Durchmesser an der Seite des Ganges ermöglichte das Gespräch mit dem Gefangenen darin. Es gab keine Fenster, doch noch viel schlimmer war es, dass man keine Tür erkennen konnte. Maria war sich nicht einmal sicher, wie man in die Zelle kam. Eine versteckte Platte in einer der Glaswände wahrscheinlich, doch es war absolut nicht erkennbar. Das war ein psychologischer Trick, um dem Gefangenen zu zeigen, dass es wirklich keine Flucht gab.

Marias Herz brach jedes Mal ein wenig, wenn sie diese Glaswand sah. Obwohl außer Ben, dem Wächter, sonst niemand da war - wahrscheinlich im ganzen Untergeschoss nicht - hatte man so keine Privatsphäre. In der Zelle stand eine kleine Pritsche mit Decke und Kopfkissen, ein winziger WC-Bereich mit einem Waschbecken, einer Toilette und einem Duschkopf - alles stand offen da - und ein einzelner Stahlstuhl, der in den Boden verschraubt war.

Doch heute saß die Bewohnerin der Zelle im Schneidersitz auf dem kalten Zementboden in der Mitte der Zelle. Dies war der offenste Teil ihres winzigen Lebensraumes. Maria nahm an, dass sie sich so ein Gefühl von Freiraum verschaffte.

„Guten Morgen“, sagte Maria. Sie musste ein wenig lauter als normal sprechen, damit das Mädchen sie durch die Löcher in der Glaswand hören könnte.

„Hallo.“ Zu Beginn drehte sich Mischa nicht, um sie anzusehen. Doch so war sie, so hatte sie sich benommen, seit Maria anfing, sie zu besuchen. Sie spielte die Unnahbare, zumindest für eine kleine Weile. Vielleicht stimmte das auch nicht, sondern sie gewöhnte sich an Maria.

Das Mädchen war zwölf, blond und hatte grüne Augen. Maria fand sie hübsch, doch die ausdruckslose Fassade, die sie für gewöhnlich trug, ließ ihre Gesichtszüge flach wirken. Sie trug einen einfachen blauen Polyester/Baumwoll-Krankenhauskittel, wie eine Schwester in der Notaufnahme. Er hatte keine Taschen oder Reißverschlüsse, nichts aus Metall.

Sie war barfuß. Normalerweise war ihre Laune missmutig, sie sprach wenig und konnte einen Mann, der drei Mal so groß wie sie war, ohne großen Aufwand töten. Das letzte Mal, als Maria sie ohne eine vier Zentimeter dicke Glaswand zwischen ihnen gesehen hatte, hatte sie tatsächlich versucht, sie und Null umzubringen.

„Ich habe dir was mitgebracht”, sagte Maria auf Russisch. Sie war sich nicht sicher, woher das Mädchen ursprünglich kam, doch sie sprach Englisch perfekt akzentfrei. Während vieler Besuche hatte Maria entdeckt, dass sie ebenso gut in Russisch, Ukrainisch und Chinesisch war.

Auf der Höhe von Marias Ellenbogen befand sich eine rechteckige Klappe in der Glaswand mit einer Schlinge als Griff. Sie zog sie auf und legte das Croissant hinein, das sie zuvor aus Nulls Wohnung mitgenommen hatte. Die Klappe auf der anderen Seite - auf Mischas Seite - war so eingestellt, dass sie nicht zur gleichen Zeit geöffnet werden konnte. Nicht, dass das etwas ausmachte. Das Mädchen nahm niemals etwas von dem Essen an, das sie mitbrachte, bis Maria wieder weg war.

„Das sollte noch warm sein“, fügte sie hinzu.

Spasiba,“ sagte Mischa, fast unmerklich. Danke.

„Bekommst du genug zu essen?“

Das Mädchen zuckte nur mit einer Schulter.

Maria schloss ihre Augen für einen Moment, um die Tränen herunterzuschlucken, die plötzlich aus ihr strömen wollten. Sie wusste nicht, warum sie bei jedem Besuch so rührselig wurde. Mindestens ein Mal bei jedem Besuch überkam sie eine Welle tiefster Traurigkeit darüber, dass ein so junges Mädchen in einer Haftzelle im Untergeschoss saß.

Mischa hatte der chinesischen Gruppe mit der Ultraschallwaffe angehört. Ihr Vormund war eine rothaarige Russin gewesen, eine ehemalige Geheimagentin namens Samara, die zu den Chinesen übergelaufen war, um einen Terroranschlag auf amerikanischem Boden zu planen, der wie ein Angriff der Russen aussehen sollte. Samara und ihre Kollegen waren jetzt tot. Nur Mischa hatte überlebt. Allerdings hatte sich kein Land der Welt wegen ihr gemeldet. Die ganze Welt stritt jede Kenntnis von ihr ab.

Der hauptsächliche Grund, warum sie weiterhin hier in Langley im Untergeschoss blieb, war sicherlich nicht, dass die CIA sie nicht ins marokkanische Geheimgefängnis gesteckt hätte. Nein, es lag daran, dass die Agentur einfach nicht beweisen konnte, dass sie wirklich ein Verbrechen begangen hatte. Niemand im Team - weder Null noch Strickland und ganz sicher nicht Maria - hatten gegen sie ausgesagt oder über ihre Handlungen gesprochen.

Sie wussten einfach nicht, was tun mit einem möglicherweise gefährlichen, hochtrainierten und definitiv tödlichen Kind, das man vermutlich einer Gehirnwäsche unterzogen hatte. Deshalb blieb sie hier.

Doch Maria konnte nichts davon sehen. Sie sah einfach nur ein Mädchen, das ihr während der letzten paar Monate gelegentlich eine Verletzlichkeit gezeigt hatte, die bewies, dass sie immer noch ein Mensch war.

„Was ist denn?“, fragte Mischa.

Maria bemerkte, dass ihre Augen immer noch geschlossen waren. Sie öffnete sie und lächelte, als sie sah, wie das Mädchen sie fragend anblickte. „Also … um ehrlich zu sein, bin ich traurig.“

„Warum.“ Es klang mehr wie eine Aussage als eine Frage.

„Ich bin traurig für dich“, erklärte Maria. „Dass du hier sein musst.“

„Ich war schon an schlimmeren Orten“, erwiderte das Mädchen.

„Das ist keine Entschuldigung dafür“, sagte Maria streng. „Du hast Besseres verdient. Du bist kein Tier. Vielleicht …“ Sie hielt inne. Vielleicht kann ich eine Zelle mit einem Fenster für dich aushandeln, wollte sie eigentlich sagen.

Aber es wäre immer noch eine Zelle.

Maria hatte begonnen, das Mädchen ein paar Tage nach ihrer Verhaftung zu besuchen. Seitdem kam sie zwei Mal wöchentlich. Während der ersten paar Besuche hatte Mischa sie nicht mal angesehen. An ein Gespräch war überhaupt nicht zu denken. Die nächsten paar Besuche danach hatte Maria damit verbracht, das Mädchen davon zu überzeugen, dass sie es nicht foltern oder quälen würde. Maria wollte keine Informationen. Sie wollte überhaupt nichts vom früheren Leben des Kindes wissen, das war die absolute Wahrheit. Die Zelle wurde sowohl durch Video- als auch Audioaufnahmen überwacht. Jegliche Erwähnung von Mischas Vergangenheit könnte Indiskretionen enthüllen, die ihr einen Flug ohne Rückfahrkarte zu einem viel schlimmeren Ort verschaffen könnten.

Maria hatte sieben Wochen gebraucht, um herauszufinden, dass die Lieblingsfarbe des Mädchens violett war, und dass sie Tootsie Rolls Süßigkeiten mochte - allerdings hatte sie auch den starken Verdacht, dass Mischa noch niemals eine andere Süßigkeit probiert hatte. Deshalb hatte sich Maria dazu entschlossen, ihr welche mitzubringen. So war es zu einem Ritual geworden, ihr ein Häppchen Essen mitzubringen und es ihr - mit der Erlaubnis des Wächters Ben - durch die kleine, rechteckige Tür in der Zelle zu schieben.

Maria wusste, dass sie beobachtet wurde, aber es war ihr egal. Sie war sich sogar ziemlich sicher, dass sie immer noch die Zugangsrechte einer stellvertretenden Direktorin hatte, weil sie das Mädchen besuchte. Solange sie dies in ihrer Freizeit tat, mussten alle anderen nur zuhören, aufpassen und hoffen, dass sich daraus Informationen ergaben.

Maria setzte sich im Schneidersitz auf den Boden direkt hinter der Glaswand, ihre Knie berührten sie fast. „Hast du Lust auf ein Spiel?“

Mischa blickte sie einen langen Moment aus ihrem Augenwinkel an. „Was denn für ein Spiel?“

„Es heißt: ,Ich habe noch nie.‘ Kennst du das?“

Das Mädchen schüttelte ein wenig den Kopf.

„Es ist ganz einfach. Halte drei Finger hoch. So.“ Maria wusste, dass das Mädchen nicht offen sprechen würde, doch sie hoffte, dass sie die Kleine dazu bringen würde, sich ein wenig zu öffnen, indem sie ein paar Fragen als ein Spiel tarnte. „Ich fange an. Ich sage etwas, das ich noch nie getan habe, doch das ich gerne tun würde. Wenn du das schon gemacht hast, dann nimmst du einen Finger herunter. Dann sagst du etwas, das du noch nie getan hast. Wenn du alle Finger heruntergenommen hast, dann verlierst du.“

Mischa starrte eine Weile auf den Boden, lange genug, damit Maria dachte, dass ihre List vielleicht doch nicht so klug war, wie sie anfänglich gedacht hatte.

Dann hob das Mädchen langsam einen Arm hoch und streckte drei Finger aus.

„Gut. Ich fange an. Äh … ich war noch nie auf den Bahamas.“

Die drei Finger des Mädchens blieben oben.

„OK“, sagte Maria, „jetzt bist du dran.“

„Ich habe noch nie …“, murmelte Mischa, „Fußball gespielt.“

Maria bog langsam einen Finger herunter. „Hast du Lust darauf?“

Mischa nickte einmal.

„Hast du andere Kinder spielen gesehen? Oder im Fernsehen?“

„Im Fernsehen. Es sah aus, als würde es…“ Sie hielt einen Moment inne, als würde sie versuchen, sich an das richtige Wort zu erinnern. „Spaß machen.“

Maria verkniff sich ein Lächeln. Das war das größte Zugeständnis, das Mischa ihr bisher gemacht hatte. „In Ordnung. Ich bin dran. Ich habe noch nie Süßigkeiten gegessen, bis mir schlecht wurde.“

Das Mädchen runzelte seine Stirn. „Warum würdest du so etwas tun wollen?“

„Na ja, ich würde das nicht wollen, stimmt. Aber manchmal übertreiben es die Leute einfach ein wenig.“

Mischas hielt weiter ihre drei Finger in die Luft. „Ich hatte noch nie eine Freundschaft.“

Maria biss sich schnell auf die Lippe, um das Keuchen zu unterdrücken, das ihr fast entfloh. Sie hatte nicht mit so viel Aufrichtigkeit gerechnet. Das traf sie unvorbereitet und erdrückte ihr Herz wie ein Schraubstock.

„Das tut mir leid“, sagte sie sanft und nahm ihren zweiten Finger herunter. „Vielleicht sollten wir aufhören.“

„Aber ich gewinne.“

Da machte sich ein ungewolltes Lächeln auf Marias Lippen breit. „Du hast recht. Das stimmt. OK. Äh … ich habe noch nie einen Garten angelegt.“

Ihre drei kleinen Finger blieben oben und Maria hielt den Atem an, gespannt über das, was sie als nächstes sagen würde.

„Ich habe noch nie meine Mutter kennengelernt.“

Maria atmete langsam aus. Das war eine fürchterliche Aussage, doch sie überraschte sie nicht sehr. Sie hatte sich schon vorgestellt, dass Mischa vermutlich ausgesetzt worden war oder verwaist war, vielleicht sogar von den Chinesen oder Samara - oder von der Gruppe, die sie trainiert hatte - gekidnappt worden war. Sie nahm ihren letzten Finger herunter und legte ihre Hände in ihren Schoß.

„Du hast gewonnen“, sagte sie. Das Spiel war ein kompletter Fehlschlag gewesen. Davon abgesehen, dass sie Fußball spielen wollte, hatte Maria nur herausgefunden, dass das Leben des Mädchens so schrecklich war, wie sie zuvor angenommen hatte. Schön wär’s…

„Mischa“, sagte sie plötzlich. „Ich kann dir nicht versprechen, dass du jemals deine Mutter kennenlernen wirst. Aber ich kann dir andere Dinge versprechen. Ich kann dir versprechen, dass du nicht für immer hier bleiben musst.“ Sie sprach schnell, als ob sie Angst hätte, dass ihr die Worte ausgingen, falls sie ihren Redefluss unterbräche. „Du wirst Fußball spielen und Freunde haben … und … und … du kannst so viele Süßigkeiten essen, bis dir schlecht wird, wenn du magst. Du kannst all das haben.“ Maria blinzelte, weil ihr Tränen in den Augen standen. Sie war überrascht über die ganzen Versprechen, die sie gemacht hatte, und bereute es sofort. Sie würde es versuchen, aber sie konnte eigentlich gar nichts wirklich versprechen. „Du solltest all diese Dinge haben.“

„Wie kann ich dir glauben?“, fragte das Mädchen.

Maria schüttelte ihren Kopf. Sie wusste, dass sie nur noch alles schlimmer machen würde, falls sie versagen sollte. „Wir fangen klein an. Lass mich dir etwas mitbringen. Nicht nur Essen. Sag mir etwas, das du gerne hättest. Eine Beschäftigung? Ein … Spielzeug oder einen Ball … oder …?“ Sie hatte keine Ahnung, woran das Mädchen interessiert sein könnte.

Mischa dachte einen Moment nach. „Ein Buch.“

„Ein Buch?“

„Dostojewski.“

Maria lachte überrascht auf. „Du willst, dass ich dir Dostojewski mitbringe -?“

Aufzeichnungen aus dem Untergrund.

„Wow. Na … OK. Ja. Das mache ich. Versprochen.“ Maria stand auf. „Ich komme in ein paar Tagen zurück und bringe dir das Buch.“

„Danke, Maria.“ Es war das erste Mal, dass das Mädchen sie bei ihrem Namen genannt hatte. Es fühlte sich gut an, das zu hören, aber gleichzeitig auch irgendwie fremd.

„Und Mischa? Du lagst bei einer Sache falsch. Du hast eine Freundin.“

Maria ging den Gang zurück, ihre Absätze klackten gegen den Boden und hallten vom Beton wider. Sie drehte sich nicht um, blickte nicht zurück, doch sie hörte das typische Klicken der Stahlklappe, wo das Croissant lag, und lächelte.

Sie hatte keine Ahnung, wie sie jemanden davon überzeugen konnte, Mischa freizulassen oder ihr zumindest ein wenig Privatsphäre und Raum zu geben, doch sie würde ihr Bestes geben, es zu versuchen. Das Mädchen hatte ihr die ersten deutlichen Anzeichen gegeben, dass sie nicht komplett indoktriniert, sondern immer noch einfach nur ein Kind war. Ein Mädchen, das Freunde und eine Familie wollte, das Fußball spielen wollte.

Maria würde das für sie arrangieren. Sie konnte die Versprechen, die sie so überstürzt gemacht hatte, nicht wieder zurücknehmen. Es gab keine andere Wahl: sie musste sie halten.

KAPITEL FÜNF

Null trug eine Sonnenbrille und eine schwarze Schädelmütze. Sein Jackenkragen war aufgeschlagen, als er die Tür zum Büro der Third Street Garage in Alexandria, Virginia, öffnete. Sein Outfit war womöglich übertrieben, doch seitdem er erfolgreich Bixby gefunden hatte, versuchte er, auf der Suche nach Informationen so unerkannt wie möglich zu bleiben. Die Agentur hatte ihn schon zuvor unerwartet beschattet, es war durchaus möglich, dass sie es weiterhin tat.

Das kleine Büro war leer, es stand dort nur ein Stahlschreibtisch mit einem alten Computer und zwei Stühlen für Gäste. Er hörte gedämpfte Musik aus der Garage und ging in ihre Richtung. Er zog die zweite Tür auf und seine Ohren wurden von dem Lied „Bad Moon Rising“ von Creedence Clearwater Revival angefallen. Es dröhnte aus einer Stereoanlage, die aussah, als wäre sie im Erscheinungsjahr des Liedes hergestellt worden.

Er drückte den Stopp-Knopf - war das wirklich ein Kassettenrekorder? - doch Alan gröhlte die nächsten Takte verstimmt weiter. Er lag unter einem kirschroten 1972er Buick Skylark.

„Das ist doch der beste Teil vom Lied“, brummte er, während er unter dem Buick auf einem quietschenden Rollbrett hervorkam. „Hilf mir mal hoch, bitte.“

Null ergriff Alans dicke Hand, zog den größeren Mann auf die Füße und stöhnte dabei. Auch Alan stöhnte, doch Null wusste, dass das reine Schauspielerei war. Alan hatte breite Schultern und ein paar Kilo extra um die Taille, doch darunter lagen Schichten von Muskeln, die er sich während seiner Karriere als CIA-Einsatzagent antrainiert hatte. Sein dichter, graumelierter Bart und die Fernfahrermütze verdunkelten seine Gesichtszüge. Sie halfen auch, seine Identität als einfacher Mechaniker zu untermauern, doch Alan Reidigger war viel, viel mehr als das - unter anderem auch Nulls bester Freund, seitdem er sich erinnern konnte.

„Du bist ein wenig früh dran“, bemerkte Alan.

„Willst du mir sagen, dass es noch nicht fertig ist?“ fragte Null und zeigte auf das Auto.

„Das ist soweit. Ich dachte nur, dass mir noch ein wenig Zeit bliebe, um das Lied zu üben. Komm schon, steig ein.“ Null setzte sich auf den Beifahrersitz und Alan hinter das Steuer. Er drehte den Schlüssel im Zündschloss um und der Motor erwachte zum Leben. Er brummte mächtig unter der Haube.

Alan hatte viele Eigenschaften, dazu gehörte auch ein wenig Verfolgungswahn. Er war davon überzeugt, dass seine Werkstatt von der CIA verwanzt war, egal wie oft er sie durchsuchte. Null hatte keine Ahnung, wem der Skylark gehörte, doch hinter seinen getönten Fenstern und mit dem brummenden Motor konnten keine Kameras oder Mikrophone sie sehen oder hören.

„Also… was hast du herausgefunden?“ fragte Null.

„Ich? Nichts.“ Alan zog ein schmutziges Taschentuch aus seiner Hemdjacke und wischte sich seine öligen Hände ab. „Aber vielleicht hat der Weihnachtsmann was im Handschuhfach für dich hinterlassen.“

Null öffnete es und zog den dicken Aktenordner heraus, der sich darin befand. Zwischen den Plastikdeckeln befanden sich mindestens hundertfünfzig Seiten. „Verdammt, Alan. Hast du dich in die Datenbank der CIA eingehackt?“

„Natürlich nicht“, sagte Reidigger empört. „Ich habe jemanden bezahlt, das für mich zu tun.“ Er grinste hinter seinem Bart hervor. „Vor dir liegen die bekannten Identitäten und derzeitigen Aufenthaltsorte aller Personen, die entweder mit Vor- oder Nachnamen Connor heißen, und in den letzten sechs Jahren mit der CIA zu tun hatten.“

„Beeindruckend.“ Null blätterte ein wenig in den Seiten, erhaschte nur einen Blick auf die Dutzende von Gesichtern - wahrscheinlich waren es Passfotos - mit den Textabschnitten voller persönlicher Informationen darunter. „Ich warte auf das ,aber‘.“

„Aber“, sagte Alan, „ich bin das schon alles durchgegangen und…“

„Keine Erwähnung vom Gedächtnishemmer.“ Null schüttelte seinen Kopf. „Das habe ich auch nicht erwartet. Ich suche nach jemandem, der spurlos verschwand. Jemand, der nicht zu dem passt, was in den Akten oder der Beschreibung seines Jobs angegeben wird.“

„Lass mich doch mal ausreden.“ Alan schniefte. „Danach habe ich auch schon gesucht. Schau mal, Null, wenn jemand verschwinden will, dann kann ich das ganz gut ermöglichen. Das meiste davon habe ich bei der Agentur gelernt. Unser Typ ist entweder tot oder nicht in dem Aktenordner. Es ist gut möglich, dass der nirgendwo existiert. Auf keinem Formular und in keinem Computer.“

„Der muss irgendwo sein“, murmelte Null. „Es muss doch wenigstens eine Nadel im Heuhaufen geben, die sie vergessen haben zu löschen. Ein geheimes Bankkonto, eine Mitgliedschaft bei einem Fitnessstudio, eine abgelaufene Garantie…“

„Und wie sollen wir das deiner Meinung nach finden?“

„Keine Ahnung.“ Er öffnete den Aktenordner auf einer zufälligen Seite und blickte darauf. „Ich meine, woher wissen wir, dass es nicht dieser Typ hier war? Er war ein Agent, der angeblich auf einem Einsatz im Libanon umkam. Das könnte eine Lüge sein.“

„Könnte es“, stimmte Alan zu, „aber das würde bedeuten, dass er tot ist. Das willst du schließlich auch nicht.“

„Nein, da hast du recht.” Denk nach, Null. Es muss da was geben, dass du verpasst hast. „Lass uns wenigstens darüber einig sein, dass er ein Agent gewesen sein muss. Die kann man am einfachsten verschwinden lassen. Die könnten sagen, dass er irgendwo hingeschickt wurde und niemals zurückkam…“

„Das sind reine Spekulationen“, warnte Alan. „Und falls jemand uns beobachtet, dann sieht das hier langsam ein wenig seltsam aus.“

„Stimmt“, murmelte er. Ihre kleinen Treffen im Auto konnten nicht zu lange anhalten, falls sie wirklich von jemandem beschattet wurden. „Du hast recht.“

Alan griff nach dem Zündschlüssel, doch Null machte noch keine Anstalten auszusteigen.

Was habe ich verpasst?

Bixbys Worte bei ihrem Treffen in Saskatchewan vor einer Woche gingen ihm durch den Kopf.

Nachdem der Gedächtnishemmer installiert war und er aus der Narkose aufwachte, nannte der Neurochirurg ihn Connor. Daran kann ich mich genau erinnern. Er sagte: ,Wissen Sie, wer Sie sind, Connor?‘

„Warte mal!“ Null griff schnell herüber und hielt Alan davon ab, den Motor abzuschalten. „Das ist es! Ich kann nicht glauben, dass ich es nicht bemerkt habe. Der Neurochirurg nannte ihn Connor!“

„Hä?“

„Das war es, was Bixby mir erzählte“, erklärte er schnell. „Ich habe mich so darauf konzentriert, diesen Connor zu finden, dass ich nicht mal daran gedacht habe, den Neurochirurgen aufzuspüren! Wie viele von denen könnten sich in den Akten der CIA der letzten fünf Jahre befinden? Ganz bestimmt viel weniger!“ Er schüttelte aufgeregt den Aktenordner. An Stelle von über hundert Möglichkeiten könnten sie es stark eingrenzen. Vielleicht wären es dann noch ein paar Dutzend, vielleicht auch weniger?

Alan seufzte. „Na gut. Du willst also, dass ich eine weitere…“

„Ja, ich will, dass du eine weitere Suche durchführst.“

„Ich hoffe, du weißt, dass mich der Aktenordner hier fünftausend Dollar gekostet hat.“

„Ich gebe dir einen Drink aus.“ Null grinste, doch wurde schnell wieder ernst. „Bitte.“

„Du weißt doch, dass ich alles für dich tun würde, mein Freund.“ Alan stellte den Motor ab. Dieses Mal gab es kein „aber“. Es war eine einfache Tatsache und Null wusste das. Alan hatte nicht nur sein Leben mehr als einmal gerettet, sondern auch die Leben seiner Töchter. Er hatte alles Menschenmögliche getan, um Null öfter, als er zählen konnte, aus Schwierigkeiten zu helfen. Alan hatte sogar seinen eigenen Tod gefälscht, sein Leben für ein paar Jahre aufgegeben und Null zuliebe auf der Flucht vor dem Gesetz gelebt.

Noch schlimmer war es, dass auch das Gegenteil stimmte. Er würde alles für Alan tun… doch Alan hatte ihn noch nie um etwas gebeten. Zumindest nichts so Bedeutendes, wie das, was er schon getan hatte und auch immer noch für Null tun würde. Der Motor verstummte, doch die darauffolgende Stille im Skylark war fast schon feierlich.

„Danke“, sagte Null leise. „Du weißt, dass ich ohne dich nicht sehr weit käme.“

„Ohne mich wärst du tot.“ Alan grinste, obwohl es die Wahrheit war. „Also finden wir jetzt den Neurochirurgen…“

„Finden alles heraus, was er über den Fall weiß…“

„Dann finden wir den Agenten…“

„Und hoffen, dass er nicht tot ist“, schloss Null ab.

„Nichts leichter als das“, lachte Alan zu sich selbst, doch wurde schnell wieder ernst. „Wir werden den Typen finden. Aber dann gibst du mir zwei Drinks aus.“

*

Das Gemeindezentrum roch aus irgendeinem Grund nach Holzspäne. Jeder Raum, selbst die Gänge, rochen wie ein Hamsterkäfig. Sara dachte, dass der Geruch möglicherweise von dem Spielplatz draußen stammte, doch es war Februar. Die Fenster waren geschlossen und der Boden gefroren. Warum roch es trotzdem nach Streu?

Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken, während sie den Pinsel in sanften Strichen bewegte. Es waren vierzehn im Unterricht, von ihrem Alter bis hin zu einem buckeligen, glatzköpfigen Mann, den sie für über sechzig hielt. Sie saßen auf Hockern an ihren Staffeleien, die im Kreis aufgestellt waren. Im Zentrum befand sich eine Schüssel Plastikobst auf einem Podest. Stillleben nannte man das.

Sara lachte fast laut. Stillleben. Bis vor ein paar Wochen war das noch eine ziemlich gute Metapher für ihre Gefühle.

Die Kunstlehrerin war eine zerbrechlich erscheinende, unkonventionell gekleidete Dame namens Ms. Guest, die Kaftans und eulenhafte Brillen trug. Sie zog sich Kopftücher über ihre krause, blonde Mähne. Sie ging langsam ihre Runden um den Kreis der Schüler. Hin und wieder hielt sie inne, um ein paar ermutigende Worte von sich zu geben, wie etwa „ja, gut“ und „wunderbare Perspektive, Mark“.

Sara spürte, wie ihr Rücken sich instinktiv - abwehrend- zusammenzog, als die Lehrerin hinter ihrer Staffelei Halt machte.

„Meine Güte“, hauchte Ms. Guest ihr ins Ohr. „Was für eine Vision, Sara. Es gibt hier keine falschen Antworten, aber bitte erkläre mir doch: was hat dich dazu inspiriert, die Banane rosa zu malen?“

Zuerst wollte sie die Frau auf den Arm nehmen, sie naiv ansehen und sagen: Was meinen Sie damit? Ist das nicht die richtige Farbe? So sieht sie für mich aus. Stattdessen biss sie sich auf die Lippe und überlegte sich eine Antwort, die eine Kunstlehrerin eines Gemeindezentrum für tiefgründig halten würde.

„Na ja“, sagte Sara mit einer dramatischen Pinselbewegung, „alle anderen sind gelb.“

Ms. Guest legte eine Hand auf ihr Herz. „Meine Liebe, du wirst noch große Dinge in dieser Welt verrichten.“

Sara hielt ein Lachen zurück, als die Lehrerin weiterging. Vielleicht war der Kunstunterricht ein Fehler. Doch sie hatte seit ziemlich langer Zeit nichts gemalt oder gezeichnet. Sie hasste zwar die Therapeutin in dieser lächerlichen Rehabilitationsanstalt, aber vielleicht hatte sie doch etwas Wahres gesagt, als sie vorgeschlagen hatte, dass Sara eine Leidenschaft finden sollte. Etwas, das sie liebte und an das sie sich während schlechter Zeiten wenden konnte. Malerei sollte es sein.

Es waren immer noch dunkle, schlechte Zeiten für sie. Der schlimmste Teil ihrer Abhängigkeit lag hinter ihr, selbst die Entzugserscheinungen waren jetzt geringer. Sie hatte seit Thanksgiving nicht mal eine Aspirin eingenommen. Doch sie fürchtete sich weiterhin vor der Dunkelheit in ihr. Die Möglichkeit, dass ihre Dämonen jederzeit wieder zurückkommen könnten, erschien ihr nur zu real. Sie befürchtete, dass die Dunkelheit in ihr sie eines Tages überrumpeln und überwältigen könnte, sie zurück in den tiefschwarzen, mentalen Abgrund stoßen würde, aus dem sie nicht mehr entkommen könnte.

Sie lachte fast schon wieder über sich selbst. Du bist wirklich eine gepeinigte Seele. Wenn Maya hier wäre, dann würde sie vermutlich vorschlagen, dass Sara sich ein wenig selbstkritischen Sarkasmus zulegen sollte, um mit der Situation umzugehen.

Doch Maya war nicht hier, weshalb Sara stattdessen rosa Plastikobst malte. An den Abenden lernte sie für ihren High School Abschluss. Normalerweise würde sie sich nicht so motiviert fühlen, doch die neue Einstellung ihres Vaters war einfach ein bisschen inspirierend. Das würde sie natürlich niemals offen zugeben! Sie machte sich zwar über ihn lustig, aber sie freute sich über die Veränderung.

Der war trotzdem echt komisch. Menschen verändern sich nicht einfach so. Es gab immer einen Grund, einen Auslöser. Bei ihr war es die Genesung von ihrer Drogenabhängigkeit. Ihr Vater behielt seine Motivation für sich, das wusste sie. Doch sie hatte ihre eigenen Probleme, und Maya auch, weshalb keine der beiden weitere Fragen stellte.

„Leider ist unsere Zeit heute vorbei“, verkündete Ms. Guest. „Ich muss jetzt zu meinem Keramikunterricht. Ihr könnte eure Gemälde hier trocknen lassen, aber bitte reinigt eure Pinsel, bevor ihr geht. Danke!“

Sara seufzte. Sie hatte ihren Apfel orange gemalt und dachte darüber nach, ihn einfach zu einem Kürbis zu machen, doch das müsste warten. Sie räumte pflichtbewusst ihren Arbeitsplatz auf, hob ihren Rucksack auf eine Schulter und ging den Gang hinunter, der immer noch nach Zedernsägespäne roch.

Sie ließ sich Zeit, schlurfte und hatte es gar nicht eilig, mit dem Rad durch die Kälte nach Hause zu fahren. Maya hatte ihr angeboten, sie abzuholen, aber Sara wollte sie nicht stören oder sich von jemandem abhängig machen. Außerdem weckte sie der kalte Wind, der ihr ins Gesicht peitschte, auf.

Auf dem Weg zum Ausgang spähte sie in verschiedene Räume des Gemeindezentrums. Es fand Kindergymnastikunterricht statt. Ein Haufen von Bengeln, die sich auf Matten rollten und versuchten, einen Handstand zu machen. Sie kam am Töpfereiunterricht vorbei, Englisch-als-Fremdsprache, ein Computersaal…

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Yaş sınırı:
18+
Litres'teki yayın tarihi:
04 ocak 2021
Hacim:
374 s. 7 illüstrasyon
ISBN:
9781094305011
İndirme biçimi:
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