Kitabı oku: «Djorgian», sayfa 4
»Sollen wir ein bißchen aufräumen?«, fragte sie und deutete auf das Durcheinander, das sich auf dem Tisch vor ihr erstreckte.
Dilh nickte. Zusammen räumten sie das schmutzige Geschirr, welches aus etlichen leeren Schalen, Töpfchen und Gläschen bestand, vom Tisch und trugen es in die Küche. Da es hier keine Spülen wie bei ihr zuhause gab, mußte sie alles mit einem kleinen Stofflappen in dem großen Eimer, aus dem sie vorhin Wasser geschöpft hatte, säubern. Dilh übernahm das Abtrocknen. Als sie fertig waren, ging er los, um frisches Wasser vom Brunnen zu holen. Jetzt war sie wieder allein. Es würde wohl noch eine Weile dauern, bis Diamara kam.
Um sich die Zeit ein wenig zu vertreiben, ging sie zu einem der vielen Schränke, der an der hinteren Wand stand. Bücher stapelten sich über- und nebeneinander, und dazwischen standen kleine, aus Holz geschnitzte Figuren. Judi nahm eine in die Hand. Sie war erstaunlich leicht. Vorsichtig stellte sie sie wieder an ihren Platz und betrachtete die Bücher. Die meisten sahen sehr alt aus und waren in einer ihr unbekannten Schrift geschrieben.
Dann fand sie eines, das über und über mit Verzierungen und Bildern bedeckt war. Eine silberne Schnalle mit einem Schloß daran machte Judi noch neugieriger. Es dauerte eine Weile, bis sie den Mechanismus, der das Buch öffnete, herausgefunden hatte. Judi schlug es wahllos in der Mitte auf. Ein Bild, welches die ganze Seite bedeckte, war zu sehen. Sie ging zum nun halbwegs abgeräumten Tisch hinüber und setzte sich. Das Bild zeigte eine kniende, aus weißem Stein gearbeitete Frau, die sich über eine kleine Schale mit Wasser beugte. Die Hände hatte sie in den Schoß gelegt. Hinter der Figur standen drei in strahlend weiße Gewänder gehüllte Männer. Jeder von ihnen hielt einen kleinen Stein in der Hand, den sie weit von sich, in Richtung der Figur, gestreckt hielten. Die andere Hand hielten sie gen Himmel.
Sie blätterte weiter. Da sie diese Schrift nicht lesen konnte, beschränkte sie sich auf das Betrachten der Bilder. Das nächste zeigte eine wunderschöne Stadt. Menschenmengen liefen die Straßen entlang und trugen bunte Blumen, die sie zu einem großen Tempel brachten, auf dem die drei heiligen Drachen zu sehen waren.
Auf der anderen Seite war die Stadt kaum wiederzuerkennen. Feuer schlug aus fast allen Häusern und dichter dunkler Rauch verdunkelte den Himmel. Der Tempel lag in Trümmern. Menschen waren kaum noch zu sehen. Die meisten kämpften gegen in dunkle Gewänder gehüllte Krieger oder gegen Gor.
»Das war Dohn, während er in unsere alte Stadt einfiel.«
Erschrocken zuckte Judi zusammen und drehte sich um. Diamara stand so hinter ihr, daß sie in das Buch sehen konnte. Verlegen senkte sie den Blick. »Es tut mir leid. Ich hätte nicht einfach das Buch nehmen dürfen.«
»Das ist nicht schlimm, solange es nur die Bücher sind. Ich finde es sogar gut, daß du dich für Bücher interessierst. Das da ist eines meiner Lieblingsbücher. Es beschreibt die ganze Geschichte unserer alten Stadt«, unterbrach sie Judi.
»Und was ist das?«, fragte sie Diamara, während sie zu der Stelle zurück blätterte, wo die steinerne Frau zu sehen war.
»Das ist das Orakel, welches nach dem Einfall Dohns befragt wurde, und einen Retter voraussagte. Die drei Steine, die sie in den Händen halten, hast du schon gesehen. Es waren die, die ich dir gezeigt hatte«, erklärte Diamara.
»Aber wie soll so etwas gehen? Ich meine das mit dem Orakel. Es kann ja nicht einfach anfangen zu sprechen.«
»Das tut es auch nicht. Aber wenn die Beschwörer des Orakels fertig sind, gehen sie zu der Schale, über die sich das Orakel beugt, und lesen daraus. Es steht dann auf dem Boden der Schale geschrieben. Wenn sie einen Text gelesen haben, verschwindet er und es bildet sich ein neuer usw. So steht es zumindest geschrieben. Niemand weiß, ob es stimmt, denn das Orakel wurde kurz nach unserer Stadt ebenfalls zerstört.«
»Oh«, machte Judi nur und blickte wieder auf das Bild herab. Wie gerne hätte sie die Schrift gelesen. »Wie alt ist das Buch?«, fragte sie dann.
»Ich weiß es nicht genau. Ich glaube, um die hundert Jahre.«
»Hundert Jahre?« Es sah aus als wäre es gestern erst geschrieben worden. Vorsichtig klappte sie es zu und gab es Diamara zurück. Diese stellte es wieder in den Schrank und setzte sich zu Judi.
Sie redeten noch eine Weile über die alte Stadt, die ebenfalls Djorgian geheißen hatte, aber auch über Judis Welt. Dabei stellte Diamara nicht viel weniger Fragen als Dilh zuvor.
Schließlich stand Diamara auf und wischte sich ihre Hände an ihrer weißen Schürze ab. »Ich glaube, wir machen besser erst einmal eine Pause. Wenn du Lust hast, kann ich uns etwas zu essen kochen«, schlug sie lächelnd vor.
Judi nickte, denn sie hatte wirklich großen Hunger. Sie wußte zwar nicht, wie lange sie geredet hatten, aber sie schätzte, daß es sicherlich etwas über eine Stunde gewesen sein mußte. Diamara verschwand in der Küche und im selben Moment öffnete Dilh die Tür. »Hier bringe ich das frische Wasser«, verkündete er keuchend. Er schleppte den großen Eimer so umständlich, daß Judi nur mit Mühe ein schadenfrohes Grinsen unterdrücken konnte, denn es sah aus, als hätte er einen Kaktus in der Unterwäsche.
»Na, da bin ich ja gerade noch mal rechtzeitig gekommen. Soll ich dir helfen?«, hörte Judi ihn in der Küche.
»Nein das hatten wir schon. Dich laß ich nicht noch mal an mein Essen ran, sonst kann ich es wieder an die Schweine verfüttern, und selbst die haben es letztes Mal nur mit Wiederwillen gefressen. Husch, raus hier!«, schimpfte Diamara.
Grinsend eilte Dilh aus der Küche. »Das bißchen zuviel Salz …«, murmelte er leise und setzte sich zu Judi. »Das war vielleicht eine Schlepperei! Ist Niam noch gar nicht da?«, fragte er und rieb sich demonstrativ den Rücken.
Sie schüttelte den Kopf. In der Küche polterte etwas lautstark zu Boden und Diamara fluchte ungehemmt. Dilh grinste schon wieder.
»Wieso warst du so lange weg? Oder ist es zum Brunnen so weit?«, fragte sie über Diamaras Gefluche hinweg.
»Nein, aber ich habe unterwegs noch ein paar Besorgungen gemacht. Hier, das ist für dich!« Dilh hielt ihr ein kleines Bündel entgegen.
Dankend nahm sie es in die Hand. Es war erstaunlich schwer. Neugierig wickelte sie es aus und zum Vorschein kam ein wunderschöner silberner Dolch. In seine kleine Klinge waren viele verschlungene Muster eingraviert. Bewundernd drehte Judi ihn im Licht.
»Gefällt er dir? Ich habe ihn gesehen und mußte irgendwie sofort an dich denken.«
»Natürlich gefällt er mir! Er ist wunderschön.«
»Du kannst ihn leicht unter deiner Kleidung tragen. Er ist extra so klein, damit er nicht auffällt. Viele in unserem Dorf tragen so etwas«, erklärte er stolz.
Vorsichtig wickelte sie ihn wieder in das Tuch und legte ihn neben sich auf den Tisch. »Danke noch mal«, sagte sie und lächelte ihn an.
Er grinste schon wieder.
»Sollen wir schon mal den Tisch decken?«, rief Dilh in die Küche.
»Wenn du … ah verdammt! Ja, komm und hol die Teller!«
»Mach dir keine Sorgen. Diamara ist ein herzensguter Mensch, aber sobald sie kocht, solltest du nicht in ihrer Nähe sein.«
»Das habe ich gehört! Noch so eine Bemerkung, und ich mische dir eine extra Portion Salz unters Essen!«
Grinsend ging Dilh in die Küche und kam kurz darauf mit einem Stapel Teller zurück. Als Judi ihm helfen wollte, schüttelte er den Kopf. »Mach ich schon«, sagte er nur und legte das Besteck hin.
Im selben Moment wurde die Tür geöffnet und Niam kam herein. Er sah ziemlich blaß aus und ließ sich ohne ein weiteres Wort auf den Stuhl neben Dilh fallen.
»Und, hat es was gebracht? Wo warst du so lange? Diamara ist schon längst wieder zurück«, redete er auf ihn ein.
Niam hob abwehrend die Hände. »Nicht viel. Wir konnten es nur fünf Tage hinauszögern. Ich war noch bei Tjaro und habe ihn ein bißchen geritten. Ist Diamara am kochen?«, fragte er, als er sie zum zweiten Mal laut fluchen hörte. Dilh grinste wie immer zur Antwort.
»Sieh mal, was ich von Dilh bekommen habe! Hast du auch einen?«, fragte Judi und hielt Niam den eingewickelten Dolch entgegen.
Fragend blickte er Dilh an und packte den Dolch aus. Erstaunt drehte er ihn in seiner Hand.
»Er ist schön, nicht?«, fragte sie.
Er blickte abermals zu Dilh hinüber, und in seinem Blick war etwas … Eifersucht? Nein, das konnte nicht sein. Nicht bei Niam!
»Ja, er ist schön. Meiner liegt zu Hause. Er sieht fast gleich aus.« Niam gab ihr den Dolch zurück und hob leicht die Nase. »Das riecht aber gut. Ich glaube, wir können gleich essen«, meinte er und lehnte sich zurück. Der Stuhl knackte hörbar.
»Kann mir mal jemand helfen?«, ertönte es ein paar Minuten später aus der Küche.
Niam und Dilh standen beinahe gleichzeitig auf und verschwanden in der Küche. Niam kam als erster mit einer großen Schüssel zurück. Als er sie abgestellt hatte, setzte er sich und öffnete neugierig den Deckel. Weißer Dampf schlug ihm ins Gesicht und er wich hastig zurück.
»Das kommt davon, wenn man zu naseweis ist«, sagte Diamara amüsiert, lud eine große Schüssel Salat auf den Tisch und setzte sich zu Dilh, der ebenfalls einen Topf abgeladen hatte.
»Magst du Reis? Ich bekomme ihn immer aus einem Dorf in der Nähe. Nicht jeder hat so etwas. Er ist ziemlich schlecht zu bekommen«, sagte sie und nahm den Deckel ab.
Judi nickte und Diamara lud ihr gleich eine ordentliche Portion auf ihren Teller. Der zweite Topf beinhaltete frisches, gekochtes Gemüse.
Sie aßen schweigend und allmählich begann sich eine Spannung im Raum zu bilden die ihr gar nicht gefiel. Als sie fertig waren, legte Niam sein Besteck ebenfalls auf den Teller zurück und blickte Judi fragend an. »Hilfst du uns jetzt?«
Judi überlegte. Sie hatte befürchtet, daß diese Frage spätestens nach dem Essen kommen würde. Noch einmal konnte sie die Antwort bestimmt nicht hinauszögern. Konnte sie jetzt eigentlich noch nein sagen? Nach allem, was passiert war? Sie fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. Einen Scherz mit ihr machen wollte man ganz bestimmt nicht, da war sie sich jetzt sicher. »Ich weiß ja gar nicht, was ich machen muß …«
»Du mußt Dohn den Stein der Seelen abnehmen und ihn vernichten. Ich werde dir helfen!«, fiel ihr Niam ins Wort.
Nein, sie konnte nicht mehr ablehnen. Die Menschen im Dorf setzten alle Hoffnungen in sie, wenn das stimmte, was Niam ihr erzählt hatte. »Wenn ich … Ja. Ich werde euch helfen.«
Niam lächelte. Diamara neben ihr seufzte erleichtert. Niemand sagte ein Wort.
Nach dem Essen hatte Diamara ihr ein Zimmer bei sich gezeigt, in dem sie übernachten konnte. Sie hatte darauf bestanden, daß Judi es nahm, weil sie nicht wollte, daß sie ganz allein in einem Haus schlief und womöglich abermals von Gor überrascht werden würde. Ein Nachthemd hatte sie ihr auch geliehen, das allerdings ein paar Nummern zu groß war und sie aufpassen mußte, nicht ständig auf den Saum zu treten. Judi war fast augenblicklich eingeschlafen.
Am nächsten Morgen weckte sie der Duft von frischem Tee. Müde öffnete sie die Augen und schlug die Decke zurück. Nachdem sie sich ausgiebig gestreckt hatte, ging sie zum Fenster. Es konnte noch nicht sehr spät sein, denn die Sonne stand noch nicht sehr hoch. Judi glaubte, sich an Fetzen eines Traumes zu erinnern, in denen es schon wieder um einen dunklen Wald ging.
Sie gähnte und kroch wieder ins warme Bett. Wenn sie etwas haßte, dann war es früh aufzustehen. Sie schloß die Augen und versuchte wieder einzuschlafen, als es an der Tür klopfte. »Judi, bist du wach?«
Träge öffnete sie ein Auge. »Ja. Komme gleich«, murmelte sie und zog die Decke über den Kopf.
Noch ein paar Minuten … Nach kurzer Zeit klopfte es wieder an der Tür. »Judi? Wo bleibst du denn? Bist du schon fertig?«, klang Diamaras Stimme gedämpft durch die Tür.
»Ja, ja. Ich komme gleich!« Sie benahm sich ja schon fast so schlimm wie ihre Mutter. Mutter! Wie gern wäre sie jetzt wieder zu Hause bei ihren Eltern. Nur daß diese nach dem ersten Rufen sofort nach dem nassen Waschlappen griff. Das war das Zweite, was sie haßte, mit Wasser geweckt zu werden.
»Meine Güte, du bist ja fast so schlimm wie Niam! Der kommt morgens auch nie aus den Federn. Jetzt beeile dich aber, der Tee wird kalt«, meinte Diamara tadelnd und zog Judi die Decke weg. Widerwillig stand sie auf und griff nach ihren Kleidern.
»Hier ist eine Schüssel mit frischem Wasser, damit du dich erst einmal richtig wach waschen kannst.« Diamara lächelte und stellte die Schale ab. »Handtücher liegen da im Schrank«, sagte sie noch und schloß wieder die Tür.
Langsam schlurfte Judi zur Wasserschale und schöpfte sich eine Hand voll ins Gesicht. Es war eisig. Prustend griff sie in die Schublade und zog ein Handtuch heraus, mit dem sie sich hastig abtrocknete. Jetzt war sie wirklich wach! Nachdem sie fertig war und sich angezogen hatte, ging sie in die Küche.
»Da bist du ja endlich«, sagte Diamara und deutete auf den Stuhl neben sich. Judi setzte sich und griff nach den Brötchen. Zumindest sahen sie so aus und dufteten herrlich.
»Frisch gebacken. Greif ruhig zu«, sagte Diamara und lächelte.
»Wie lange bist du denn schon wach?«, fragte Judi verwundert, während sie sich das Brötchen mit Butter bestrich.
»Nicht lange. Ich stehe eigentlich immer mit der Sonne auf.«
»So früh?« Sie konnte sich das gar nicht vorstellen, daß jemand so etwas freiwillig tat, und das jeden Tag!
Während sie aß, plapperte Diamara fröhlich weiter über das Dorf, die Tiere und über ihre Liebe zu den Kräutern. Darüber erzählte sie besonders gern. Wie man sie zubereitete, kochte, Salben daraus machte und welche Kräuter gegen bestimmte Krankheiten oder Beschwerden halfen.
Kurz darauf kam Niam und sagte, daß alles für die Abreise gepackt werden müsse und sie ebenfalls ihre Sachen packen solle. Da sie aber außer ihrer Kleidung nichts anderes hatte, bestand Diamara darauf, daß sich Judi einige Kleidungsstücke von ihr mitnehmen sollte, die ihr selbst ohnehin zu klein waren. Dann packte sie noch einige Fläschchen in den Beutel, die gegen allerlei Krankheiten oder Verletzungen helfen würden. Da Judi sich die Bedeutungen schlecht alle merken konnte, beschriftete sie Diamara. Als sie fertig waren, verschnürte sie den Beutel sorgfältig und stellte ihn neben den Kamin.
»Setz dich doch noch, bis Niam wiederkommt«, meinte Diamara und deutete auf den Stuhl neben sich.
Eine Weile saß sie einfach nur da und starrte die Wand an. Hunderte von Gedanken gingen ihr durch den Kopf. War es wohl richtig gewesen, ja zu sagen? Was würde alles auf ihrer Reise passieren? Würde sie es schaffen?
»Hast du Angst?«, fragte Diamara sie leise.
»Ich weiß nicht«, gestand Judi.
»Du darfst niemandem während deiner Reise vertrauen! Es könnten Gesandte von Dohn sein oder sonstige Betrüger. Und meide unbedingt nebelige Gegenden, denn es könnte sein, daß Dohns Nebelwesen dort lauern! Nachts mußt du immer Feuer anzünden, und es darf nie ausgehen, während du schläfst! Gor mögen kein Feuer und …«
»Ich werde schon auf sie aufpassen«, unterbrach sie Niam lächelnd. Diamara seufzte.
»Es ist alles bereit. Hast du gepackt?«, fragte er und deutete auf den Beutel neben dem Kamin.
Judi nickte. Als sie immer noch keine Anstalten machte aufzustehen, fragte er: »Bereust du es, uns zu helfen? Du kannst immer noch nein sagen, und wir lassen dich gehen.«
»Nein! Ich bereue es nicht. Es ist nur …« Sie wußte nicht, wie sie es in Worte fassen sollte und schwieg schließlich ganz.
Niam lächelte und nahm ihren Beutel. »Keine Sorge. Ich werde auf dich aufpassen. Komm jetzt, wir müssen gehen, wenn wir noch vor Sonnenuntergang im Nebelwald ankommen wollen.«
»Nebelwald?«, fragte Judi erschrocken.
»Er heißt nur so. Du brauchst keine Angst zu haben, es gibt dort keine Nebel«, beruhigte sie Diamara.
Niam öffnete die Tür und trat hinaus. Judi folgte ihm mit gemischten Gefühlen. Vor der Tür standen zwei prächtige Pferde. Das eine war rabenschwarz und das andere hatte einen warmen Braunton. Als Niam sich dem schwarzem Pferd näherte, hob es leicht den Kopf und wieherte leise.
»Ist das Tjaro?«, fragte Judi.
Niam hatte am gestrigen Abend von einem Pferd mit diesem Namen geredet. Er nickte. »Und das ist Nuruna, dein Pferd«, erklärte er und verschnürte ihren Beutel auf dem Rücken des Pferdes.
Nuruna schnaubte leise, als Judi es am Kopf kraulte. Als Niam fertig war, half er ihr in den Sattel und stieg anschließend selber auf.
Diamara drückte ihr zum Abschied die Hand. »Paßt gut auf euch auf«, sagte sie besorgt.
Judi nickte, sie wußte nicht, was sie hätte sagen sollen.
»Bist du schon mal geritten?«, fragte Niam.
Judi verneinte. Sie hatte noch nie auf einem Pferd gesessen, geschweige denn eines geritten.
»Es ist ganz einfach. Halte dich einfach an den Zügeln fest und versuche, dich nicht zu verkrampfen!«, sagte er und ritt langsam voraus. Nuruna setzte sich ohne ihr Zutun in Bewegung und folgte Niam.
Als sich Judi noch einmal umdrehte, um zurück zu blicken, stand Diamara direkt auf dem Weg und winkte. Weiter hinter ihr standen noch einige Dorfbewohner und winkten ebenfalls. Dilh war auch unter ihnen.
Gegen Mittag legten sie die erste Pause ein. Sie hielten an einem halbwegs trockenen Platz unter einer Gruppe alter Eichen. Judis Rücken schmerzte, obwohl sie die ganze Zeit im langsamen Schritt geritten waren.
Sie sprang aus dem Sattel und streckte sich. Neben ihr machte sich Niam am Gepäck seines Pferdes zu schaffen und holte Brot und ein bißchen Käse heraus.
»Wie weit ist es noch bis zum Nebelwald?«, fragte sie, während sie es sich unter einem der Bäume im Gras bequem machte.
»Wir werden wohl noch bis zum Abend reiten müssen. Vielleicht können wir ja gleich etwas schneller reiten?« Niam reichte ihr einen Teil des Brotes und setzte sich neben sie.
»Vielleicht«, sagte sie und biß hinein. Sie hatte großen Hunger.
Plötzlich hielt Niam im essen inne und hob den Kopf. Als Judi ihn nach dem Grund fragen wollte, hob er die Hand und sie verstummte. Besorgt blickte sie sich um, aber es war weit und breit nichts zu sehen.
»Ich glaube, ich habe Schritte gehört«, flüsterte Niam.
Judi lauschte, konnte aber nichts außer dem Rascheln der Blätter im Wind und dem zaghaften Zwitschern eines Vogels hören. »Ich höre nichts«, sagte sie und blickte Niam an.
»Ich habe mich wohl geirrt.« Er hob die Schultern und aß weiter.
Als sie das schlichte Mittagessen beendet hatten, half er ihr beim Aufsteigen und sie ritten schweigend weiter.
»Halt dich fest!« rief er auf einmal und preschte los. Sofort galoppierte auch Nuruna hinterher, und Judi mußte all ihre Kraft aufbringen, sich im Sattel zu halten. Die Bäume rauschten an ihr vorbei und sie klammerte sich noch fester an den Hals des Pferdes. Sie mußte aufpassen, nicht von tief hängenden Ästen getroffen zu werden. Im Stillen verfluchte sie Niam. Schließlich zügelte er endlich sein Pferd, und auch Nuruna wurde wieder langsamer.
»Bist du verrückt geworden? Ich bin beinahe aus dem Sattel gefallen! Willst du mich umbringen?«, herrschte sie ihn an.
Er blickte ein wenig entschuldigend drein. »Es tut mir leid, aber ich habe das sichere Gefühl, wir werden verfolgt. Ich glaube, wir haben ihn erst einmal abgehängt.«
»Das nächste Mal warnst du mich bitte vorher!«, meinte sie böse.
Er grinste. »Du hast dich aber gut gehalten«, sagte er.
In Gedanken fügte sie seiner Liste an Minuspunkten noch eine gehörige Portion dazu.
Sie ritten weiter. Allmählich gewöhnte sie sich an das Schaukeln des Pferdes und wurde etwas sicherer im Sattel. Den ganzen Weg sprachen sie kein Wort mehr und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Mit der Zeit wurden aus den paar vereinzelten Baumgruppen am Wegrand immer mehr, bis sie schließlich durch einen dichten Wald ritten. Als sie Niam darauf ansprach, erklärte er ihr, daß es sich um den Nebelwald handelte.
Sie ritten noch weiter, bis es anfing zu dämmern. Sie bogen vom Weg ab, tiefer in den Wald hinein, um einen geschützten Platz zum Übernachten zu finden. Dann banden sie die Pferde an einem Baum fest, und Niam kümmerte sich um die Schlafplätze.
Da Judi nichts zu tun hatte, sah sie sich ein bißchen genauer im Wald um. Es handelte sich bei den Bäumen fast nur um Eichen. Durch ihre dichten Kronen, die weit in den Himmel ragten, war es hier schon dunkler. Vereinzelt lugten ein paar weiße Blumen, die schon begonnen hatten, sich zu schließen, aus dem Waldboden und von irgendwo war das Abendlied eines einzelnen Vogels zu hören. Als sie ein paar Meter weiterging, vernahm sie das Plätschern eines Baches. Sie folgte dem Geräusch und entdeckte bald eine kleine Quelle. Judi kniete sich hin, tauchte die Arme in das kühle Wasser und trank aus der hohlen Hand. Als sie wieder aufstand, fühlte sie sich beobachtet. Sie kniff die Augen zusammen um im immer dunkler werdenden Wald etwas zu erkennen, sah aber nichts. Schleunigst machte sie sich wieder auf den Weg zu ihrem Nachtlager.
Niam hatte schon die Schlafplätze fertig und machte sich daran, ein Feuer zu entzünden.
»Hier in der Nähe gibt es eine kleine Quelle«, berichtete sie ihm und setzte sich auf eines der Lager.
»Das ist gut. Dann können wir morgen früh gleich die Pferde tränken und unsere Wasservorräte wieder auffüllen. Kannst du mal bitte den Topf aus meinem Gepäck holen und den Lederbeutel? Er liegt hinter dir«, bat er sie und warf noch ein paar kleine Äste ins Feuer.
Judi reichte ihm die gewünschten Dinge und streckte sich auf ihrem Lager aus.
»Hast du deinen Dolch bei dir?«, fragte er sie und stellte den Topf auf das kleine Feuer.
Judi überlegte. »Ich glaube, ich habe ihn in meiner Tasche. Warum?«
»Es wäre besser, wenn du ihn immer bei dir tragen würdest. Am besten unter deiner Kleidung. Man kann nie wissen!«
Judi stand auf und suchte in ihrem Beutel. Sie dachte schon, sie hätte ihn vergessen, als sie ihn in einer kleinen Seitentasche fand. Sie wickelte ihn aus und band ihn um ihre Hüfte.
Niam beobachtete sie zufrieden und rührte im Topf herum. Allmählich begann es nach Hühnerfleisch zu duften, und Judis Magen meldete sich knurrend. Niam grinste, schöpfte ihr einen Löffel Hühnereintopf in eine Schale und reichte sie ihr. Gierig begann sie zu essen. Einen solchen Hunger hatte sie schon lange nicht mehr gehabt.
Niam füllte sich ebenfalls eine Schale und setzte sich auf sein eigenes Lager. »Morgen werden wir, wenn wir früh losreiten, wahrscheinlich das Ende des Nebelwaldes erreichen. Aber ich glaube es wäre besser, wenn wir morgen nicht am Waldrand unser Lager aufschlagen. Erst übermorgen werden wir dann nach Sonnenfeld weiterreiten. Das ist eine große Stadt, und wir können da in einer Herberge übernachten. Gor brauchen wir da nicht zu fürchten. Es gibt dort zu viele Menschen«, erklärte er kauend.
Judi nickte und kratzte ihre Schale aus. Sehnsüchtig blickte sie zum kleinen Topf hinüber, der jetzt neben dem Feuer stand.
Niam bemerkte ihren Blick und schüttelte den Kopf. »Wir müssen mit dem Essen sparen. Den Rest essen wir morgen zum Frühstück. Komm, hilf mit Feuerholz zu suchen. Geh aber nicht zu weit vom Lager weg!«
Sie standen auf und gingen in entgegen gesetzten Richtungen los. Judi fand reichlich große Äste auf dem Waldboden. Als sie schließlich so viel aufgehoben hatte, wie sie tragen konnte, ging sie zum Lager zurück.
Niam war noch nicht da. Judi lud ihren Stapel in der Nähe des Feuers ab und setzte sich wieder. Als es um sie herum völlig dunkel wurde, war Niam immer noch nicht zurück. Langsam machte sie sich Sorgen. Hoffentlich war ihm nichts passiert! Unruhig blickte sie sich um. Als sie aufstehen wollte, um ihn zu suchen, hörte sie Schritte. War das Niam?
Zögernd griff sie nach ihrem Dolch. Die Schritte näherten sich. Judi umfaßte die Waffe fester. Dann tauchte Niam im Licht des Feuers auf. Er hatte beide Arme voll mit Ästen beladen.
Erleichtert atmete sie auf und ließ den Dolch sinken. »Wo warst du so lange? Ich habe mir schon Sorgen gemacht!« Judi band sich die Waffe wieder um.
»Ich habe nach einer ganz bestimmten Holzart gesucht, die besonders lange brennt. Wenn wir genug auf das Feuer legen, brennt es bis zu drei Stunden«, erklärte er und lud seinen Stapel ebenfalls ab. »Wir müssen Nachtwache halten und aufpassen, daß das Feuer nicht ausgeht. Soll ich anfangen?« Niam blickte sie fragend an.
»Nein. Ich kann sowieso noch nicht schlafen. Leg du dich ruhig hin. Wenn ich zu müde bin, wecke ich dich«, erwiderte sie und wickelte sich ihre Decke um die Schultern.
Niam gähnte, schloß die Augen und streckte sich auf seinem Lager aus. Das rote Licht des Feuers färbte seine braunen, schulterlangen Haare golden. Schon nach kurzer Zeit hob und senkte sich seine Brust gleichmäßig. Er war eingeschlafen. Wie konnte er nur so ruhig bleiben? Es wurde kälter und Judi wickelte die Decke enger um sich.
Stunden saß sie so da und starrte in die Dunkelheit. Um sie herum war gelegentlich das Knacken eines Astes oder der Ruf einer Eule zu hören. Ansonsten blieb alles still. Manchmal glaubte Judi, wieder beobachtet zu werden, war sich dessen aber nie sicher. Als der Mond hoch am Himmel stand, wurde sie langsam müde. Der Ritt war anstrengend gewesen. Sie legte noch ein paar Äste ins Feuer und setzte sich dann erneut hin. Sie versuchte, noch eine Weile die Müdigkeit zu vertreiben, dann gab sie es schließlich auf und weckte Niam. Er blinzelte schlaftrunken und setzte sich auf. Als Judi sicher war, daß er auch wirklich wach war, legte sie sich auf ihr Lager und kuschelte sich in die Decke. Augenblicke später war sie eingeschlafen.
Judi wurde von wütendem Schimpfen geweckt. Müde öffnete sie die Augen und setzte sich auf. Es war immer noch kalt und sie fröstelte.
»Das wird dir noch leid tun! Laß mich sofort los, du elender Riesenstelzer!«, schimpfte eine heisere, dunkle Stimme.
Judi setzte sich ganz auf und wickelte ihre Decke um die Schultern. »Wer ist da? Niam?«, fragte sie.
»Bei meines Bruders Käsefüßen – das wird dir leid tun! Jetzt laß mich los, du Geizhals! Dir Grünschnabel sollte man gehörig eins hinter die Löffel geben!«
Judi runzelte die Stirn. Was war da los? Sie schlüpfte in ihre Schuhe und näherte sich der fluchenden Stimme. Als sie hinter einen Baum trat, klappte ihr Unterkiefer herunter. Das gab es doch nicht! Da stand Niam, grinste über das ganze Gesicht und hielt einen kleinen, zappelnden Mann am Kragen, der die Größe eines Zwerges hatte!
»Was machst du denn da? Was …«
»Dieser Dieb wollte unser Frühstück klauen. Und unsere gesamten Vorräte. Aber ich habe ihn gerade noch rechtzeitig erwischt.« Sein Grinsen wurde breiter.
»Das Grinsen wird dir schon noch vergehen! Laß mich los sonst …« Der Zwerg stockte.
»Was dann? Willst du mir vielleicht in den Hintern treten? Da mußt du aber noch ein gehöriges Stück wachsen!« Niam lachte schallend.
»Niam! Laß ihn runter!«
»Ja, höre auf sie, wenn du schlau bist! Ich kann ganz schön ungemütlich werden. Niemand legt sich mit Burbix dem Zwerg an!«, keifte der Zwerg.
»Das kommt gar nicht in Frage. Er wollte unser gesamtes Essen stehlen. So glimpflich kommt er mir nicht davon«, meinte Niam entschieden, und ging mit dem zappelnden Bündel zu seinem Lager zurück.
Judi folgte ihm schweigend. Sie konnte es immer noch nicht glauben. Sie hatte einen leibhaftigen Zwerg vor sich!
»Hol mir bitte ein Seil«, sagte Niam, aber Judi rührte sich nicht. Niam verdrehte die Augen. »Wie kann man nur Mitleid mit einem diebischen Zwerg haben?«, murmelte er, und kramte mit einer Hand ein Stück Seil aus seiner Tasche, während er mit der anderen immer noch das zappelnde Männchen am Kragen hielt. Dann band er ihm geschickt die Hände und Beine zusammen. Als wäre er ein kleines, störrisches Kind, setzte er ihn auf den Boden ab.
»Was hast du mit ihm vor? Wieso läßt du ihn nicht einfach laufen?« Ihr tat der kleine Zwerg leid.
»Wenn ich ihn jetzt laufen lasse, klaut er uns bei der nächsten Gelegenheit nicht nur unsere Vorräte. Diese Art von Zwergen sind bei uns berühmt fürs Stehlen. Bei uns zu Hause haben wir auch oft welche erwischt. Wenn man nicht aufpaßt, klauen sie einem die Sachen unter der Nase weg!«, erwiderte er ärgerlich.
Abermals sah sie zu Burbix hinüber. Er blickte auf seine Schuhspitzen und fluchte leise vor sich hin.
»Jetzt guck nicht so! Vielleicht ist er uns ja nützlich. Vielleicht kann er uns ja auf unserer äh … Mission helfen?«
Burbix hielt für einen Moment im Fluchen inne.
»Kann ich dir einen Vorschlag machen, ohne daß du gleich loskeifst?« Niam ging vor ihm in die Hocke, damit er mit seinem Gesicht auf gleicher Höhe war.
Trotzig blickte der Zwerg ihn an. »Was für einen Vorschlag willst du mir schon machen?«, grummelte er.
»Du willst doch sicherlich wieder frei sein?« Niam legte den Kopf schräg und grinste.
»Saublöde Frage!«, schimpfte Burbix.
»Ich mache dir ein Angebot. Wenn du uns hilfst, lasse ich dich laufen. Einverstanden?«
»Ich will erst wissen, wobei ich euch helfen soll!«
»Na gut. Wir sind auf dem Weg zu jemandem, der unser Dorf bedroht. Wenn du uns hilfst, in sein Schloß zu kommen, bist du frei.« Niam blickte ihn herausfordernd an.
»Und wer soll das sein, zu dem ihr wollt?«
Niam zögerte. Schließlich hob er die Schultern und sagte: »Dieser jemand ist Dohn.«
Burbix klappte nun ebenfalls der Unterkiefer herunter. »Seid ihr lebensmüde? Ihr wollt euch wohl unbedingt umbringen lassen? Das ist glatter Selbstmord! Lieber verrecke ich hier, als auch nur einen Fuß in sein Reich zu setzen!«
Niam seufzte. »Dann werden wir dich wohl hier allein lassen müssen.« Er stand auf und machte sich daran, seine Sachen zusammenzupacken. Judi tat es ihm gleich, warf aber immer verstohlene Blicke zu Burbix hinüber.
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