Kitabı oku: «Die deutschen Auswanderer», sayfa 6

Yazı tipi:

Auf der wirtschaftlichen Ebene sind auch die Ursachen der Auswanderung der Mennoniten aus Westpreußen nach Russland in den Jahren 1788 und 1789 zu suchen. Diese waren schon im 17. Jahrhundert im westlichen Preußen angekommen. Zunächst mussten sie die Sumpfgebiete durch den Bau zahlreicher Dämme und Deiche austrocknen, diese brachen jedoch ständig ein, was zu einer Überschwemmung ihrer Felder und Wiesen führte. Die dadurch entstandenen Missernten und die Notwendigkeit, diese Verluste durch andere Finanzierungsquellen zu kompensieren, machten ihre enormen Anstrengungen und ihren Eifer häufig zunichte.

Die Bevölkerung der Mennoniten in Westpreußen wuchs genauso schnell an wie in Deutschland insgesamt. Allein von 1783 bis 1787 stieg ihre Anzahl von 10.490 auf 13.573 Menschen,5 was einem jährlichen Bevölkerungswachstum von 6,6% entspricht, und der dadurch ständig steigende Bedarf an landwirtschaftlichen Nutzflächen wurde zum nächsten entscheidenden ökonomischen Faktor, auf den die Gemütslage der Mennoniten, Preußen zu verlassen und nach Russland überzusiedeln, zurückzuführen war.

Dabei ist anzumerken, dass die Mennoniten im Wesentlichen landwirtschaftliche Güter produzierten und durchaus erfolgreich im Getreideanbau und der Viehzucht waren. Ihr Wissen, ihre Erfahrung und ihr Fleiß waren allseits bekannt und wurden in den Ländern Europas sehr geschätzt. Daher war es nicht von Zufall, dass 1786 Georg von Trappe, der Gesandte Katharinas II., in Danzig auftauchte – dieser war mit der Aufgabe betraut, die Mennoniten zur Emigration nach Russland zu bewegen. Doch auch die Mennoniten kannten ihren Preis. Bevor sie sich auf den Weg an unbekannte Orte begaben, entsendeten sie zwei ihrer Abgeordneten (Jakob Höppner und Johann Bartsch) nach Südrussland. Diese hatten den Auftrag, einen Ort und die Bedingungen einer möglichen Übersiedlung auszuhandeln. Die mennonitischen Abgeordneten aus Danzig hatten glücklicherweise die Möglichkeit, Katharina II. während ihrer großen Reise auf die Krim persönlich zu treffen. Sie konnten die Übersiedlungsbedingungen aushandeln und erhielten ein Garantieschreiben mit Auflistung der Privilegien, welches von Fürst Potemkin, dem Gouverneur der Krim, unterzeichnet wurde. Diese Privilegien wurden anschließend von Katharina II. bestätigt. Den Mennoniten wurden freie Religionsausübung, Befreiung vom Kriegsdienst und weitere wesentliche Privilegien zugesichert, die im Manifest des Jahres 1763 dargelegt sind. Dabei wurden jeder Familie schon 65 Deßjatinen (etwa 71 Hektar) Land zur Verfügung gestellt, was die Größe der den Kolonisten an der Wolga zugeteilten Ländereien um das Zweifache und die Größe ihrer vorhandenen Nutzflächen in Westpreußen um ein Vielfaches übertraf. Dort waren ihre Möglichkeiten, neue Ländereien zu erwerben, von Friedrich Wilhelm II. stark beschränkt worden.

Allerdings wurden die ersten 228 in Russland angekommenen Familien (etwa 1.000 Mennoniten) nicht auf den ihnen versprochenen, fruchtbaren Schwarzerden Borislavs angesiedelt, sondern zu den sandigen Böden am Ufer des Dnjepr gesandt. Diese lagen auf der Insel Chortitz in der Wildnis, waren von Waldflächen überwuchert und von zahlreichen Bächen durchschnitten. Daher wurde die Entstehung der ersten mennonitischen Kolonie in Südrussland von Enttäuschungen und großen Schwierigkeiten begleitet. Daraufhin kamen 1797 weitere 118 mennonitische Familien in diesen Kolonien an und ließen sich dort nieder. Ihre Gesamtbevölkerungszahl begann schnell zu wachsen, 1819 lag sie bei 560 Familien oder 2.888 Menschen, um 1910 bereits bei 2.000 Familien oder 12.000 Menschen. Zunächst wurden den Mennoniten 33.000 Deßjatinen Land zugeteilt, auf denen 15 Siedlungen entstanden. Später führte die ständig wachsende Bevölkerung dazu, dass von der Regierung weitere etwa 40.000 Deßjatinen Neuland für Tochterkolonien zugeteilt werden mussten. Das Vermögen und der Wohlstand der mennonitischen Familien wuchsen rasch an und ermöglichten es ihnen schon bald, weitere etwa 39.960 Deßjatinen Land selbständig zu erwerben. Wurden die Flächen gepachteter Ländereien und privaten Gutsbesitzes nicht mitgerechnet, so betrug die Fläche der mennonitischen Ländereien in den Bezirken Chortizy zu jener Zeit ungefähr 150.000 Deßjatinen. Auch die folgende, größere Übersiedlung von Mennoniten nach Südrussland in den Jahren 1803 und 1804 ging auf ökonomische Ursachen zurück, die von den oben bereits erwähnten politischen Ursachen ergänzt wurden. Eine bedeutende Rolle bei der Übersiedlung der Mennoniten in diesem Zeitraum spielten dabei besondere Privilegien, die ihnen vom russischen Zaren Pavel I. gewährt wurden. Im Unterschied zur ersten Übersiedlung befand sich unter den damals mehr als 2.000 umziehenden Mennoniten eine nicht unbedeutende Anzahl wohlhabender und reicher Bauern, die ihr Vieh, landwirtschaftliche Gerätschaften und verfügbares Kapital mitführten. Den angekommenen Mennoniten wurden Ländereien zugeteilt, die in der Provinz Tavrida am linken Ufer des Flusses Molotschna lagen und auf denen die ersten zehn Kolonien gegründet wurden.

Der während der napoleonischen Kriege zum Stillstand gekommene Übersiedlungsprozess setzte sich in den Jahren 1819 und 1820 erneut fort, in dieser Zeit kamen weitere 254 Familien auf diesen Ländereien an. Insgesamt hatten sich bis zum Jahr 1835, in dem die Übersiedlung eingestellt wurde, im auf diesen Ländereien gegründeten mennonitischen Bezirk Molotschansk 1.200 Familien oder etwa 6.000 Mennoniten niedergelassen, die auf einer Fläche von etwa 120.000 Deßjatinen 57 ländliche Siedlungen gegründet hatten.6

In Preußen wollte man die eigenen Untergebenen nicht einfach so verlieren, und nach mehreren erfolglosen Versuchen, ihre Ausreise zu verbieten und einzuschränken, bot man den Mennoniten die Erschließung neuer Ländereien in den Gebieten Kalisch und Gnesen an, die infolge der zweiten polnischen Teilung an Preußen gefallen waren. Allerdings konnte dieser verspätete Vorschlag den bereits ins Rollen gekommenen Prozess der massenweisen Übersiedlung von Mennoniten nach Südrussland nicht mehr aufhalten.7

Auch die klimatischen Bedingungen hatten Auswirkungen auf die steigende Anzahl ökonomischer Ursachen für die massenweise Emigration der Bauern aus den europäischen und insbesondere aus den deutschen Ländern. So begann das zweite Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts in Deutschland mit ertragsschwachen Jahren, besonders schlimm in dieser Hinsicht waren die Jahre 1816 und 1817. Der Ausbruch des Vulkanes Tambora auf der Insel Sumatra in Indonesien führte dazu, dass 115 Millionen Tonnen Staub und Asche in einer Höhe von mehr als 50 Kilometern in die Atmosphäre geschleudert wurden, was eine Verdunklung der Sonne und Änderungen des weltweiten Klimas verursachte. Die Folgen dieses Vulkanausbruchs waren katastrophal. In Zentraleuropa stellten sich über einen längeren Zeitraum Wetteranomalien und demzufolge sinkende Temperaturen und endlose Regengüsse ein, viele Flüsse traten über die Ufer und überschwemmten die Ackerböden. Infolgedessen kam es in vielen Ländern Europas zu riesigen Ernteverlusten, wodurch der Weizenpreis erheblich anstieg. In den Jahren 1816 und 1817 stiegen die Preise im Vergleich zum Jahr 1815 in den folgenden Ländern jeweils folgendermaßen an: in England auf das 1,17- bzw. 1,46-fache; in Frankreich auf das 1,45- bzw. 1,85-fache; in den Niederlanden auf das 1,33- bzw. 2,21-fache und in der Schweiz auf das 1,62- bzw. 2,35-fache. Noch stärker stieg der Weizenpreis in manchen deutschen Ländern an, zum Beispiel in Bayern auf das 1,90- bzw. 3,01-fache, in Württemberg auf das 1,69- bzw. 2,39-fache, in Baden auf das 1,71- bzw. 2,68-fache und in Hamburg auf das 1,11- bzw. 1,67-fache.8

Besonders stark wurden die Regionen Elsass, die deutschsprachige Schweiz, Württemberg, Bayern und Vorarlberg in Westösterreich getroffen, wo die Preise an einzelnen Orten auf das 3- bis 4-fache anstiegen. Ein solch starker Einbruch der Kornerträge und der rasante Preisanstieg führten zu einer schweren Hungersnot, die breite Massen der Bevölkerung ergriff. Diese suchte und fand in der Emigration einen Ausweg aus ihrer Armut.

Dabei ist zu betonen, dass Zar Alexander I. der östlichen Schweiz zu jener Zeit humanitäre Hilfe leistete, indem er 100.000 Rubel für Weizenlieferungen aus Russland in die vom Hunger heimgesuchten Regionen bereitstellte. Genau zu jener Zeit, im Jahr 1817 nämlich, siedelten 3.000 Einwohner der Schweiz nach Nord- und Südamerika und teilweise nach Russland über. Der Höhepunkt der Auswanderungswelle aus der Schweiz fällt auf die Jahre 1882 und 1883, in denen 13.500 Einwohner dem Land den Rücken kehrten. Von diesen ließen sich 83% in den USA, 11% in Argentinien, 4% in Kanada und 2% in Brasilien nieder. Insgesamt wanderten von 1820 bis 1880 etwa 89.000 Menschen aus der Schweiz aus.9

4.3. Religiöse Ursachen

Die auf gesundem Menschenverstand und dem Kampf gegen Vorurteile basierenden Ideen der Aufklärung und die Weiterentwicklung der Bildung, der Wissenschaft, der bürgerlichen und persönlichen Menschenrechte und der religiösen Toleranz wurden im 18. Jahrhundert zunehmend aktiv in Europa verbreitet. Die Denker, die Literatur und die Kunst dieser Zeit, und ebenso die Revolutionen der Jahre 1776 in Amerika und 1789 in Frankreich sorgten für grundlegende Änderungen in der Politik der damaligen europäischen Machthaber. Schon der 1555 in Augsburg geschlossene „Augsburger Religionsfrieden“ erkannte das Luthertum als dem Katholizismus gleichgestellte, offizielle Religion des Heiligen Römischen Reiches an. Nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges und Abschluss des westfälischen Friedens im Jahre 1648 wurde auch der Calvinismus den offiziellen Religionen zugerechnet. Allerdings wurde die Möglichkeit einer freien Religionsausübung in der deutschen Praxis bei weitem nicht immer angewendet, vielmehr kam es häufig zu ökonomischen Einschränkungen, Verfolgung oder gar Vertreibung derjenigen, die einer anderen Religion angehörten als der Machtinhaber oder Herrscher eines bestimmten Landes.

Wie bereits zuvor erwähnt, nahm Preußen, welches über viele Jahrhunderte hinweg den Angehörigen der verschiedensten Religionen offenstand, bei der Entfaltung religiöser Toleranz auf deutschen Ländereien eine Sonderstellung ein. Als Staat, dessen Bevölkerung mehrheitlich protestantisch war, gestattete es Katholiken, Hugenotten und Juden, die nach dem 1812 verabschiedeten „Edikt betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden“ die preußische Staatsangehörigkeit erhielten, sich auf preußischem Territorium niederzulassen.

Dadurch unterschieden sich die Könige Preußens von den Habsburger Monarchen, welche die Übersiedlung von Protestanten und Juden auf ihre Ländereien einschränkten. In diesem Zusammenhang kam es zur Zeit des ersten und zweiten großen Schwabenzuges nach Österreich-Ungarn, die unter die Regierungszeit Karls VI. und Maria Theresias fielen, zur Diskriminierung der Übersiedler aus Religionsgründen. Erst später, in den Regierungsjahren Josephs II., war es Protestanten, Juden und Griechisch-Orthodoxen gestattet, sich im Königreich Österreich-Ungarn niederzulassen und dort einer Arbeit nachzugehen.

In Deutschland selbst war der Faktor Religion in der Mitte des 18. Jahrhunderts vor allem für Protestanten und Anhänger verschiedener Sekten, die keiner offiziellen Kirche angehörten, maßgeblich für den massenweisen Auszug aus dem Land. Zu diesen gehörten insbesondere die Anhänger des Pietismus, der in Süddeutschland und besonders in Württemberg weit verbreitet war. Innerhalb des Protestantismus als religiöse Bewegung gegen den Dogmatismus der protestantischen Kirche entstanden, maß der Pietismus dem Wort Gottes in der Bibel, der Frömmigkeit und religiösen Erfahrungen besondere Bedeutung bei und predigte die Abkehr von Bräuchen und Dogmen. Die Prediger der „revolutionären Separatisten“, einer radikaleren Ausrichtung des Pietismus, waren erklärte Gegner des Staates und der offiziellen Kirche und lehnten Eid und Schwur und die Taufe in der Kindheit ab. Ab 1750 begann der Pietismus als Sektenbewegung innerhalb der protestantischen Kirche in Deutschland an Einfluss zu verlieren und gemeinsam mit den Emigranten nach Amerika und Russland umzuziehen.

Zum Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam es noch einmal zu einem Erstarken dieser Bewegung in Form apokalyptischer Weltuntergangserwartungen, Prophezeiungen der zweiten Ankunft Christi und seines tausendjährigen Reiches auf der Erde, die er gemeinsam mit denen, die ihm nachfolgen, bewohnen sollte. Die Anhänger dieser Lehre nannten sich Chiliasten uns sahen ihre Zukunft in der Auswanderung nach Amerika und Russland. Sie bemühten sich, zum Fuße des Berges Ararat und dem letzten Standort der Arche Noah zu gelangen, wo ihrem Glauben nach dem kommenden tausendjährigen Reich seinen Standort haben sollte. Die Auswanderung aus religiösen Motiven fand jedoch auch außerhalb von Württemberg in mehreren bayerischen Regionen und anderen Ländern Deutschlands statt.

Bei der Untersuchung der politischen Emigrationsursachen wurde bereits auf die Probleme der preußischen Mennoniten hingewiesen. Diese wurden durch die Einschränkungen ihrer Rechte beim Erwerb neuer Grundstücke verursacht, die Wilhelm II. 1789 eingeführt hatte. Diese politischen und ökonomischen Beeinträchtigungen der Mennoniten können auch als Strafe für ihre religiösen Überzeugungen angesehen werden, welche es ihnen verboten, Kriegsdienst und öffentliche Dienste zu leisten.

Zu den religiösen Ursachen zählt auch die Auswanderung der Katholiken infolge einer ganzen Reihe drastischer Maßnahmen, die Kanzler Bismarck während seines von 1871 bis 1878 dauernden Kulturkampfes gegen die katholische Kirche und das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit ergriffen hatte. Nach dessen Ende traf ein bestimmter Teil der Katholiken den Entschluss, Deutschland zum Zeichen des Protestes gegen die landesweiten Modernisierungsprozesse und die wachsende Bedeutung der protestantischen (lutherischen) Kirche den Rücken zu kehren.

Wie sich also sehen lässt, stellte die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession, die keinen offiziellen Status hatte und sich von den religiösen Überzeugungen der Landesherrscher unterschied, häufig die Ursache für politische und ökonomische Verfolgung ihrer Angehörigen dar. Diese sahen in solchen Fällen in der Auswanderung einen Ausweg aus dem Konflikt mit dem Staat.

4.4. Persönliche Ursachen

Bekanntlich galt die Auswanderung bei vielen deutschen Kolonisten als Möglichkeit, den Bund der Ehe einzugehen und eine eigene Familie zu gründen, was beim Bleiben in der alten Gemeinde ein schwieriges, ja bisweilen unmögliches Unterfangen darstellte. Ebenso ist bekannt, dass die Regierungen Russlands und anderer Länder bei ihren Einladungen Übersiedler mit Familie den Vorzug gaben. Aus diesem Grund wurden an den Sammelpunkten und deutschen Häfen unter den Übersiedlern aus Hessen, Württemberg, Baden und Rheinpfalz vor der Abreise Eheschließungen in großer Zahl vorgenommen. So wurden beispielsweise in der Stadt Büdingen, in der sich ein Sammelpunkt für die Übersiedler aus Hessen befand, von einem protestantischen Pastor vom 04. Februar bis zum 08. Juli 1766 375 Eheschließungen registriert. Bereits unterwegs, nachdem die Übersiedler Büdingen verlassen hatten, wurden in der lutherischen Kirche von Schlitz weitere 36 junge Männer und Frauen registriert, die sich der Kolonne späte angeschlossen hatten.10

Allerdings gelang es bei weitem nicht allen jungen Übersiedlern, vor der Abreise und auf dem Weg ins Land der Auswanderung einen Partner zu finden. Diejenigen, die in Russland angekommen waren, wurden zunächst an verschiedenen Orten in Sankt Petersburg und später in Oranienbaum untergebracht, wo ein vorübergehendes Quartier eingerichtet wurde. Dort wurden die Übersiedler registriert, leisteten den Treueschwur auf die russische Krone und erhielten zusätzliche Mittel für Kleidung und Schuhwerk für ihre Weiterreise an ihren ständigen Wohnsitz. Verheiratete Übersiedler erhielten jeweils sechs Rubel, Junggesellen und Unverheiratete jeweils vier Rubel und für jedes Kind wurden zwei Rubel zugeteilt. In Oranienbaum empfahl man den Junggesellen und unverheirateten Übersiedlern erneut, ihre letzte Chance zu nutzen und vor der Abreise in der örtlichen Kirche Ehe zu schließen, um schließlich vor Ort das im Manifest Katharinas versprochene Haus und Grundstück zugeteilt zu bekommen. Eine recht zuverlässige Antwort auf die Frage nach dem familiären und sozialen Status der Übersiedler, die auf das Manifest des Jahres 1763 reagierten und sich nach Russland aufmachten, bekommt man in den Verzeichnissen der Kolonisten:

 die im bereits erwähnten Buch Karl Stumpps „Die Auswanderung aus Deutschland nach Russland in den Jahren 1763 bis 1862“ veröffentlicht wurden.11

 die vom Titularrat Ivan Kulzberg, dem präsidialen Vertreter der Ausländerkanzlei in Oranienbaum, je nach Anzahl der auf Schiffen angekommenen Übersiedler erstellt wurden;

 die in den Berichten der Offiziere der russischen Armee, die die Übersiedler auf dem Weg von Oranienbaum nach Saratow begleiteten, angeführt werden;

 die im Zuge einer Revision der Kolonisten Siedlungen erstellt wurden, deren Durchführung die Vormundschaftskanzlei für Ausländer Ende 1767 angeordnet hatte.

Die zu zehn Kolonien erhaltenen Verzeichnisse wurden von Igor Pleve in der Monografie „Die deutschen Kolonien an der Wolga in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts“12 veröffentlicht, die zu den übrigen Kolonien in den vier Büchern „Einwanderung in das Wolgagebiet: 1764-1767“.13

Erhalten ist ein Bericht des Kapitäns Boris Paykul, der 1764 vom 3. Juli bis zum 20. September eine Kolonne deutscher Übersiedler aus Sankt Petersburg nach Saratow begleitete. Die gründliche Analyse des Dokuments ergab, dass sich in dieser Kolonne 319 Übersiedler befanden. Davon waren 134 Kinder, 82 Frauen und 103 erwachsene Männer, von denen wiederum 80 verheiratet waren, vier waren verwitwet und hatten Kinder und 19 waren Junggesellen, was 18,4% ihrer Gesamtzahl entspricht.14

An dieser Stelle soll betont werden, dass sich die Daten in Karl Stumpps Buch1 von diesen Archivmaterialien unterscheiden. In diesem wird auf den Seiten 82 und 83 die Zusammensetzung derselben Kolonne angeführt. Den Angaben zufolge befanden sich 237 Menschen in der Kolonne. Von diesen waren 103 Männer, 85 Frauen und 194 Kinder. Daraus geht hervor, dass sich insbesondere die Angaben zur Anzahl der Kinder und der Gesamtzahl der Übersiedler wesentlich unterscheiden. Darüber hinaus kam es offensichtlich zu einem Tippfehler bei der Herausgabe des Buches, da die Summe der Anzahl der Männer, Frauen und Kinder nicht der Gesamtzahl der Mitglieder der Kolonne entspricht.

Die oben genannten Zahlen geben Grund zur Annahme, dass der Anteil junger und unverheirateter Menschen unter den ersten Übersiedlern höher war als unter späteren Kolonisten. Dabei ist jedoch anzumerken, dass diese Daten sich nur auf eine einzige Kolonne beziehen, weshalb man sich daraus noch kein endgültiges Urteil über alle Übersiedler aus der Anfangszeit bilden sollte. Bedauerlicherweise ist ein großer Teil der Verzeichnisse der Kolonisten, die bestimmten Kolonnen angehörten, welche sich von Sankt Petersburg nach Saratow aufmachten und von Offizieren der russischen Armee begleitet wurden, verloren gegangen.

Die Auswertung der Verzeichnisse Ivan Kulbergs, die im Buch „Die deutschen Kolonien an der Wolga in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts“15 veröffentlicht wurden, ergibt, dass unter den Übersiedlern, die im Mai, Juni und August 1766 auf dem Schiff „Anna Katharina“ ankamen, 463 Erwachsene und 507 Kinder waren. Unter den Erwachsenen waren 206 verheiratete Paare, 24 Junggesellen, zwei Witwer, drei Jungfrauen und 13 Witwen. Man sieht also, dass in diesen Kolonnen nur noch 9% der erwachsenen Übersiedler unverheiratet waren. Dies lässt sich dadurch erklären, dass den späteren Übersiedlern, die im Jahr 1766 ankamen, die Vorteile von Kolonisten, die mit ihrer Familie ankamen, bereits wohlbekannt waren.

An den Siedlungsorten ergibt sich schließlich ein etwas anderes Bild. So führt die Revision in zehn Kolonien an der Wolga, deren Verzeichnisse im zuvor bereits erwähnten Buch von Igor Pleve aufgeführt sind, insgesamt 603 erwachsene und einzeln registrierte Kolonisten an. Zu diesen gehörten 18 alleinstehende Männer, 21 verwitwete Männer (zehn davon mit Kindern) und 16 Witwen (11 davon mit Kindern). Man sieht also, dass beinahe jeder zehnte erwachsene Bewohner der Kolonien unverheiratet war und dass 21 der 37 verwitweten Männer oder Frauen Kinder hatten. Dies gibt Grund zur Annahme, dass sie ihren Partner möglicherweise auf der Reise oder in der Anfangszeit in den Kolonien verloren hatten. Berücksichtigt man zudem, dass 27 Familien Stiefkinder hatten und weitere 15 Stiefkinder und neun Vollwaise separat erfasst wurden und bei ihren Stiefeltern oder in fremden Familien lebten, so wird deutlich erkennbar, welch schweres Schicksal die Kolonisten unterwegs und in den ersten Jahren ihres Lebens an der Wolga zu tragen hatten.

Davon wussten die Übersiedler, die sich aus Deutschland aufgemacht hatten, jedoch noch nichts, keiner von ihnen rechnete mit dem Tod oder damit, seine Angehörigen und nahestehende Menschen zu verlieren. Voller schillernder Erwartungen machten sie sich in der Hoffnung, Freiheit, materiellen Wohlstand und ein geordnetes familiäres Leben zu finden, auf den Weg in ferne und unbekannte Gegenden. Die Hoffnung, ihr persönliches und familiäres Leben in geordnete Bahnen zu lenken, stellte auch zu späteren Zeiten einen wichtigen Auswanderungsgrund dar. So weiß man von Fällen, in denen Gemeinden aufgrund der nicht vorhandenen Bereitschaft, Fremden Ländereien zuzuteilen, Witwen ihr Einverständnis mit einer neuen Ehe verweigerten. Als Antwort auf solche Entscheidungen machten sie sich häufig mit ihren neuen Männern nach Amerika auf, um dort ihr familiäres Leben zu ordnen und ihr Glück zu suchen. Nicht selten war es der Fall, dass die vorbeiziehenden Kolonnen der Übersiedler den letzten Anstoß zur endgültigen Emigrationsentscheidung gaben. Viele Bewohner schlossen sich diesen impulsiv an und ließen ihre verödeten deutschen Siedlungen hinter sich.

Eine große Bedeutung für die wachsende Emigrationsbereitschaft unter den Bewohnern deutscher Ländereien hatten Briefe von Verwandten, Nachbarn und Bekannten, was insbesondere für den Zeitraum der massenweisen Emigration nach Amerika gilt. In diesen Briefen beschrieben sie ihr neues, glückliches Leben in der Emigration in den schillerndsten Farben.

Daneben spielten auch die zahlreichen Broschüren, Reklameprospekte und Legenden eine wesentliche Rolle für die Auswanderungsentscheidung. Sie warben für das wunderbare Leben in verschiedenen fernen Ländern, berichteten über kostenlose, fruchtbare Ländereien, niedrige Preise für Häuser und Lebensmittel, hohe Gehälter und vieles mehr, was sich überaus positiv vom schweren Leben in der Heimat unterschied.

4.5. Globale Ursachen der Massenemigration

im 18. Jahrhundert

Fasst man die Ursachen der Massenemigration aus Deutschland und anderen europäischen Ländern zusammen, so sollte noch einmal Karl Stumpps Gedanke angeführt werden, die Emigration sei nie durch eine einzige Ursache hervorgerufen worden, sondern es habe stets eine bestimmte Kombination von Ursachen stattgefunden. Dabei hatte sie in verschiedenen Ländern und Gebieten unterschiedlichen Charakter.16 Dem bleibt hinzuzufügen, dass sich auch die wesentlichen Motive und Ursachen in Abhängigkeit von der Zeit und der Auswanderungsperiode änderten. Dabei sollte allerdings eine für viele vielleicht unerwartete Besonderheit der damaligen Zeit betont werden – die Tatsache nämlich, dass das Recht auf Emigration in Europa seit jeher eine der grundlegenden Freiheiten der bürgerlichen Gesellschaft darstellt, deren Wurzeln weit in die Vergangenheit zurückreichen.

Am Ende des 15. und zu Beginn des 16 Jahrhunderts waren die Vorstellungen, die die Menschen von der Freiheit und dem Recht auf Auswanderung hatten, stark von religiösen Ansichten beeinflusst, die im Zuge der mittelalterlichen Religionskriege und des Kampfes um den wahren Glauben besonders stark hervortraten. Im 1555 in Augsburg geschlossenen Vertrag über den Religionsfrieden wurde unter anderem auch das Recht auf freie Auswanderung verankert, welches sich in der Praxis allerdings bei weitem nicht immer frei umsetzen ließ. Häufig unterdrückten die Herrscher einzelner Staaten und Ländereien ihre Untergebenen nicht nur, sondern schränkten auch deren Rechte massiv ein, was besonders dann der Fall war, wenn sie sich von ihrer eigenen Religionspraxis unterschieden. Nicht zufällig war es auch Martin Luther, der das Recht eines Christenmenschen auf die Flucht und Auswanderung aus einem Staat verteidigte, dessen Herrscher ausschließlich seine eigene als wahre Religion anerkannte.

Mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges gehörten auch die religiösen Streitigkeiten und Religionskriege der Vergangenheit an, und in der Peuplierungspolitik Europas gewannen ökonomische Faktoren die Überhand über religiöse Vorstellungen, welche zunehmend den ökonomischen Interessen der Entwicklung einzelner Staaten untergeordnet wurden. Ein einzelner Staatsangehöriger wurde in diesem neuen Paradigma der Peuplierungspolitik bereits als Faktor der wirtschaftlichen Leistung und militärischen Stärke des Staates betrachtet. Dabei wurden die religiösen Interessen einzelner Bevölkerungsgruppen nicht zwingend unterdrückt, vielmehr ließen ihre Grundursachen und ihre Schärfe durch die Verwirklichung einer Politik der Toleranz gegenüber verschiedenen Glaubensrichtungen und religiösen Strömungen nach. Ein Beispiel solch einer toleranten Beziehung und Nachsicht gegenüber den religiösen Vorlieben verschiedener Religionsgruppen seiner Staatsangehörigen stellte wie bereits erwähnt Preußen dar.

Die neuen Vorstellungen hinsichtlich der positiven Rolle eines Staatsangehörigen für die Entwicklung des Staates führten dazu, dass man seine Rechte auf freie Ausreise zu beschränken begann, und als Mittel zur Begrenzung der Abwanderung der Bevölkerung wurde das Auswanderungsverbot verwendet. Dabei war es bei weitem nicht immer der Fall, dass die Auswanderungsverbote in allen Ländern Europas rechtzeitig verkündet wurden und zu den erwarteten Resultaten führten. Außerdem verfolgten bei weitem nicht alle Länder und Fürstentümer eine in dieser Hinsicht einheitliche Politik.

Um sich die Lage der Dinge unter diesem Gesichtspunkt konkreter vorstellen zu können, sollen an dieser Stelle die Besonderheiten der Versuche, die Migration einzuschränken, untersucht werden, wobei noch einmal das Bistum Würzburg als Beispiel dienen soll. Dabei werden Materialien aus der Dissertation Robert Seligs verwendet, die in seinem Buch „Räudige Schafe und geizige Hirten-Studien zur Auswanderung aus dem Hochstift Würzburg im 18. Jahrhundert und ihre Ursachen“ präsentiert werden.17

Ab dem Jahr 1700 tauchten in Südwestdeutschland die ersten Werber aus Österreich auf und begannen damit, deutsche Kolonisten für die Übersiedlung nach Ungarn und die Erschließung von Ländereien anzuwerben, die vom Osmanischen Reich befreit worden waren. In den Jahren 1717 und 1718 schlossen sich Bewohner Frankens dem entstandenen Emigrantenstrom an, und ab 1722 setzte nach der Annahme des staatlichen Programms zur Besiedlung Ungarns das zielgerichtete und vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation geleitete Anwerben deutscher Staatsangehöriger ein. Im Herbst 1722 ging die Bitte des österreichischen Königs in Würzburg ein, man möge den 600 für die Übersiedlung nach Ungarn angeworbenen Familien doch bitte nicht nur keine Steine in den Weg legen, sondern ihre Ausreise unterstützen, woraufhin die Anzahl der Untergebenen des Fürstentums, die nach Ungarn übersiedeln wollten, schnell anstieg. 1724 begann auch der preußische König, Bewohner anzuwerben, und lud deutsche Bauern dazu ein, zu ihm überzusiedeln und die nach dem Dreißigjährigen Krieg entvölkerten Ländereien zu erschließen. Der wegen der wachsenden Dimension der Auswanderung in Sorge geratene, damals herrschende Bischof Johann Philipp von Schönborn forderte seine Regierung dazu auf, das Problem zu erforschen und diesbezügliche Empfehlungen abzugeben. Die Regierung Würzburgs befasste sich mit der entstandenen Situation, hielt es jedoch nicht für nötig, Maßnahmen jeglicher Art zur Einschränkung der Auswanderung zu ergreifen, womit damals auch der Bischof selbst einverstanden war. Dabei behielt er es sich vor, eine endgültige Entscheidung über die Ausreiseerlaubnis zu treffen und entzog den Bewohnern, die sich in Gebiete jenseits der Grenzen des Fürstentums aufmachten, das Recht auf Rückkehr.

Mit dem Treffen einer solchen Entscheidung wollten der Bischof und seine Regierung Staatsbürger loswerden, die ihrer Meinung nach unnütz waren. Anstatt radikale Reformen durchzusetzen, die eine Steigerung der landwirtschaftlichen und industriellen Produktionseffizienz ermöglicht und den verarmten Staatsangehörigen zu Arbeit und Wohnraum verholfen hätten, trennten sie ihre Staatsangehörigen in „nützliche“ (da vermögende) und „unnütze“ (da mittellose) Staatsangehörige, wobei sie Letztere für faule, lasterhafte und schlechte Untergebene hielten. Da deren Abreise das Bevölkerungswachstum verlangsamte, die in diesem Zusammenhang wachsende soziale Spannung löste und zudem die Lage der zurückbleibenden Staatsbürger verbesserte, trafen sie die Entscheidung, der Auswanderung des mittellosen Teils der Bevölkerung keine Steine in den Weg zu legen. Darüber hinaus gab es von ihrer Seite auch keinen offenen Widerstand gegen den Plan des Königs des Heiligen Römischen Reiches, Ungarn zu kolonisieren, vielmehr lag darin das zweite Ziel der von ihnen durchgeführten Politik, die in dieser Form nahezu unverändert die gesamte erste Hälfte des 18. Jahrhunderts Bestand hatte.

₺267,37

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
542 s. 5 illüstrasyon
ISBN:
9783754184851
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок