Kitabı oku: «Natürlich waschen!», sayfa 2
Doch noch etwas hat sich verändert, und diese Veränderung wird wohl langlebiger sein. Bislang bin ich ganz gut ohne Gesichtsbehandlung durchs Leben gekommen. Sollte sie meine Gedanken überhaupt gestreift haben, tat ich sie schnell als maßlose Eitelkeit oder, da bin ich wohl ein echter Junge aus Indiana, als unmännlich ab. Und letztendlich war ich auch nicht bereit, dafür Geld oder Zeit zu opfern. Aber nachdem ich nun erlebt habe, dass ich völlig anders durch den Tag gehe, wenn mir jemand nur irgendetwas im Gesicht verreibt, halte ich eine solche Behandlung nicht mehr für sinnlos oder überflüssig. Ich merke, wie die Seren, Öle und Masken, wie so vieles, was sich erst extravagant anfühlt, plötzlich ihre luxuriöse Anmutung verlieren und zur Gewohnheit, gar zur Notwendigkeit werden könnten.
Viele Körperpflegegewohnheiten, die uns selbstverständlich erscheinen, sind eigentlich noch gar nicht alt. Erst in den letzten Jahrhunderten haben sich unsere gesellschaftlichen und individuellen Sauberkeitsnormen derart entwickelt, dass aus dem gelegentlichen Sprung in den Fluss die tägliche Dusche oder Badewanne wurde. Heute ist allein die Information, man dusche nicht täglich, wie man mir zu verstehen gab, »kein Thema fürs Abendessen«.
Hin- und hergerissen zwischen einer Welt der minimalen und der maximalen Körperpflege fragte ich mich, wie der goldene Mittelweg aussehen könnte. Ich hatte nicht vor, mir eine neue teure Angewohnheit zuzulegen (und brauchen die Schnecken ihren Schleim nicht eigentlich selbst?), wollte aber auch nichts von dem verpassen, was viele andere offensichtlich genossen und was das alltägliche Zusammenleben erheblich beeinflussen konnte. Wie sollte ich meine Haut pflegen? Wie viel von all dem, was die Leute taten, machten sie wirklich aus reiner Freude oder zumindest, damit sich die anderen nicht ekelten oder sie in deren Augen nicht nachlässig oder vergesslich wirkten? Wie viel brauchte ich tatsächlich für meine Gesundheit und mein Wohlbefinden?
Auf jeden Fall würde es schwer werden, wieder zum Nichtstun zurückzukehren.
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Niemals ist mir eine so ausgewogene Mischung aus Zuneigung, Ekel, Neugier und Zorn entgegengeschlagen wie 2016, als ich in einem kurzen Artikel für The Atlantic bekannte, nicht mehr zu duschen. Zu Hunderten brachten Leserinnen und Leser ihre Gefühle zum Ausdruck und ließen dabei keine emotionale Regung aus. Manche hatten das Nichtduschen schon längst für sich entdeckt, andere erklärten mich für vollkommen verrückt, und wieder andere erkundigten sich, ob ihre eigene Hygiene wohl medizinisch vertretbar sei.
Manche konnten es nicht fassen, wie ein Arzt so unverantwortlich sein konnte, Hygiene als überflüssig zu betrachten, obwohl es immer noch Cholerafälle gab und jedes Jahr Hunderttausende an Grippe starben. Andere waren wutentbrannt, weil ich nicht verdeutlicht hätte, dass nicht zu duschen das Privileg des weißen Mannes in einem wohlhabenden Land sei.
Andere fanden es geradezu selbstverständlich, nicht zu duschen. Aus Deutschland schrieb mir Patricia: »Sie haben mir aus der Seele gesprochen!« Sie hatte es sich zuerst gezwungenermaßen abgewöhnt.
Am Ostersonntag 2007 begab sie sich mit furchtbaren Rückenschmerzen ins Krankenhaus, und man teilte ihr mit, sie habe einen Schlaganfall erlitten. »Mit eineinhalb Händen ist Duschen echte Arbeit«, schrieb sie. »Ich bat alle Nachbarn und Freunde, mir Bescheid zu geben, falls ich stank!« Aber »alles war und ist in Ordnung. Außer meiner >Katzenwäsche< dusche ich nur noch einmal im Monat oder so.« Als ihre Füße nicht mehr rochen und Haut und Haare nicht mehr so viel Fett absonderten, habe sie die Abstände zwischen dem Waschen noch vergrößern können.
Die neunundachtzigjährige Claire aus Ontario schrieb mir, sie und ihr Mann (der mit sechsundneunzig starb) hätten nie geduscht. Das hielten sie einfach für gesund, und als Beweis schickte sie ein Foto mit, auf dem sie jünger wirkt, als sie ist. Mit weißer Schirmmütze und Shorts winkt sie in die Kamera: »Alle sind erstaunt, wie außergewöhnlich gesund ich bin. Vielleicht liegt es daran, dass ich Sport treibe und mich SEHR bedacht ernähre«, schrieb sie. »Gestern habe ich zweimal den Schnee von der Auffahrt geschippt und mich kein bisschen müde gefühlt.«
Ich antwortete ihr und fragte, wie sie auf die Idee gekommen seien, nicht zu duschen. »Tja, warum waschen wir uns überhaupt so oft?«, fragte sie zurück. »Wir haben doch eine wunderbare Haut, die sich beständig schuppt und selbst reinigt, durch Seife wird sie nur entfettet.« Das sei Teil einer Lebensphilosophie, die ja neuerdings sogar populär geworden sei. Sie empfahl mir, »wie ein Höhlenmensch« zu essen.
Ja, Claire war eine der ersten Verfechter*innen der Steinzeiternährung. Ihre »Höhlenmensch«-Vorstellung tauchte auch in vielen anderen Zuschriften auf, die ich erhielt. Das moderne Leben sei die Ursache der vielen chronischen Erkrankungen; wenn wir uns nur wie in der Steinzeit, also im Wesentlichen von Rindfleisch und Butter ernährten und auf Agrartechnologie verzichten würden, dann wäre alles gut. Nur leider wurden die Menschen in der Steinzeit längst nicht so alt wie heute. Und Kühe gab es auch nicht.
Aber unbestritten hatte die Steinzeit auch ihre Vorteile. Damals lebten die Menschen in derart dünn besiedelten Landschaften, kleinen Dörfern oder Höhlen, dass sie Flüsse und Bäche bedenkenlos als Toilette nutzen konnten. Sie konnten jagen und sammeln, ohne die Ressourcen aufzubrauchen. Die Menschen waren Sonne, Hitze und Kälte ausgesetzt und kamen mit der Erde und mit nach unseren heutigen Vorstellungen »unsauberen« Tieren und Menschen unmittelbar in Berührung.
Wenn man die Menschheitsgeschichte betrachtet, war diese Lebensweise eigentlich bis eben noch möglich. Noch um 1600 hatte London nur ungefähr 200.000 Einwohner. Im Zweiten Weltkrieg waren es dann schon 8,6 Millionen. Auch in New York City leben heute etwa so viele Menschen. Die Innenraumflächen von Manhattan sind insgesamt mittlerweile dreimal so groß wie die Insel selbst.
In diesen vertikal in den Himmel wachsenden Siedlungen werden, in einem radikalen Versuch am lebenden Objekt, Menschen und Ressourcen immer mehr verdichtet. Die weltweite durchschnittliche Lebenserwartung beträgt heute um die zweiundsiebzig Jahre. Und alle auf dieser Erde brauchen regelmäßig Strom, Transportmittel und Produkte aus der industrialisierten Landwirtschaft. Dazu holzen wir Bäume ab und verbrennen fossile Kraftstoffe, die Smog und Rußpartikel in die Luft entlassen. Diese gelangen tief in unsere Lunge und sind eine der häufigsten Ursachen für Krebs und Herzerkrankungen. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt die Zahl der Todesfälle durch Luftverschmutzung auf jährlich sieben Millionen.
In der Steinzeit gab es auch darum selten chronische Krankheiten, weil viele Menschen früh an Infektionen und Unfällen starben. In den vergangenen zweihundert Jahren ist die Wahrscheinlichkeit, an einer Infektionskrankheit zu sterben, rapide gesunken, die, an einer chronischen Erkrankung zu sterben, dagegen erheblich gestiegen. Letztere werden weltweit schon bald für drei von vier Todesfällen verantwortlich sein.
Trotz aller modernen Medizin und Technologie führt die heutige Lebensweise zu Krankheiten, die früher viel seltener waren. Autoimmunkrankheiten, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen nehmen einerseits zu, weil wir heute länger leben als die Generationen vor uns. Andererseits leiden aber auch viele Jüngere an chronischen Erkrankungen, es besteht also wohl ein Zusammenhang mit unserer Lebensweise und unserer Umwelt.
In den letzten Jahren rückten unsere Ernährung und unser Bewegungsmangel als mögliche Faktoren für chronische Erkrankungen in den Fokus. Anderen Faktoren widmen wir hingegen erheblich weniger Aufmerksamkeit. Etwa dass der Mensch in vielen Weltregionen sein Leben überwiegend in klimatisierten Räumen verbringt, wo es keinen Dreck und kaum Tiere und Pflanzen gibt, wo die Fenster nur an strahlenden Tagen geöffnet werden. Die meisten Menschen kommen mit vielem, was früher einmal normal war, nicht mehr in Berührung.
Manchmal muss man sich auch abschotten. So sollten die Menschen 2019 im smogverhangenen Delhi tagelang nicht ins Freie gehen und körperlich anstrengende Tätigkeiten vermeiden. Solche Umweltereignisse oder auch Infektionskrankheiten, bei denen man sich abschotten muss, werden in Zukunft noch häufiger sein und in zunehmend mehr Regionen auftreten.
Bislang verstehen wir erst in Ansätzen, welche Folgen es für unser Immunsystem und unser wichtigstes Immunorgan, die Haut, hat, wenn wir, gezwungenermaßen oder freiwillig, in von der Außenwelt abgeschotteten Räumen leben. Die längste Zeit der Menschheitsgeschichte lernte unser Immunsystem durch beständigen Mikrobenbeschuss, wann und wie es reagieren muss. Doch heute ist es durch die evolutionär völlig neuen Umwelteinflüsse häufig verwirrt und weiß nicht mehr, wogegen es sich mit einem Hautausschlag wehren soll und wogegen nicht. Dies wird auch dadurch gefördert, dass wir uns gründlich, täglich oder sogar mehrmals täglich waschen, weil wir dies für gesund oder unabdingbar halten. Selbst wo die Gefahr von Infektionskrankheiten gering ist, sollen wir am besten alles tun, um ihnen vorzubeugen. Wenn wir nicht als heruntergekommen, faul, unattraktiv, primitiv, unhöflich, unprofessionell, kurzum als unsauber gelten wollen, darf an uns nirgends das geringste bisschen Schmutz, Schlamm oder Staub zu entdecken sein.
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Wenn Kanadas Luft im Oktober trockener wird, strömen besonders viele Männer in die Praxis von Sandy Skotnicki. Den Männern juckt die Haut.
Skotnicki verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz. Ehe sie Professorin für Dermatologie, Arbeitsmedizin und Umwelthygiene an der University of Toronto wurde, arbeitete sie als Mikrobiologin. In den zwanzig Jahren, die sie bereits in der Dermatologie tätig ist, hat sie die Folgen der Umwelt, auch der Mikroben, für unsere Hautgesundheit nie aus dem Blick verloren.
»Ich frage die Leute: >Wie duschen Sie?<«, sagt sie. Ihre Patienten, so Skotnicki, würden gern der Jahreszeit die Schuld geben, als könne die Haut nur im Sommer normal funktionieren. Doch dann erkundige sie sich nach den Waschgewohnheiten: »Die Männer schrubben den ganzen Körper mit irgendeinem >Männerduschgel<. Weil sie draußen arbeiten, duschen sie zweimal täglich. Aber wenn ich ihnen sage, dass sie damit aufhören sollen, und sie nur noch bestimmte Stellen waschen, geht es ihnen wieder gut.«
Ich frage nach den »bestimmten Stellen«.
»Achseln, Genitalbereich, Füße«, sagt sie. »Muss man sich, wenn man in der Dusche oder Wanne ist, hier«, sie zeigt auf den Unterarm, »auch waschen? Nein.«
Mit fast verzweifelter Stimme berichtet sie, wie oft sie den Männern erklären müsse, dass sie sich nicht vollständig mit Duschgel einschäumen sollen. Die Haut brauche Feuchtigkeit oft nur, weil sie schon zu lange zu häufig gewaschen wurde.
Und selbst Wasser allein habe Folgen für die Haut. Insbesondere warmes Wasser spüle die Fette ab, mit denen unsere Drüsen die Haut feucht halten. Alles, was die Haut trockener und poröser mache, erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf Reizstoffe und Allergene reagiere.
Skotnicki ist überzeugt davon, dass zu häufiges Waschen die Haut schädigt und Menschen mit entsprechender genetischer Prädisposition dadurch häufiger Neurodermitis entwickeln. Doch Neurodermitis, die an sich schon nervenzehrend genug ist, kommt häufig nicht allein. Offenbar gehört sie zu einem Symptomkreis, der durch irrtümliche Immunreaktionen verursacht wird. Rund die Hälfte aller Kinder mit schwerer Neurodermitis entwickelt später, in einem sogenannten »Allergischen Marsch«, immunologische Überreaktionen wie allergischen Schnupfen oder Asthma.
Der Allergische Marsch mit den genannten Symptomen wurde von Allergolog*innen der Universitäten von Pennsylvania und Chicago erstmals 2003 beschrieben. Später wurde das Krankheitsbild noch erweitert. In neueren Studien wird sogar die immer häufigere Erdnussallergie dazugezählt. So zeigten sich Fachleute am King’s College London im Jahr 2010 »bestürzt« darüber, dass Babys mit Asthma eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, auch an einer Erdnussallergie zu leiden. Der Leiter des US-amerikanischen Nationalen Instituts für Allergie und Infektionskrankheiten, Anthony Fauci, riet Eltern 2019, »durch frühzeitigen Hautschutz Lebensmittelallergien bei ihren Kindern vorzubeugen«.
Wir wissen noch nicht genau, wieso eine gute Hautpflege vor Lebensmittelallergien schützt, doch laut neuerer Expertenempfehlungen kann ein früher Kontakt mit Erdnüssen, und nicht etwa das Vermeiden derselben, die Wahrscheinlichkeit verringern, eine schwere Erdnussallergie zu entwickeln. So wie das Immunsystem durch Impfungen lernt, Infektionskrankheiten zu bekämpfen, so könnte es durch kleine Erdnussmengen lernen, Erdnüsse zu tolerieren. Doch bis heute entscheidet man sich bei allergenen Hautreaktionen genau für die gegenteilige Strategie. Häufig werden sie mit Medikamenten behandelt, die die Immunreaktion unterdrücken, mit Antibiotika und natürlich mit regelmäßigen, aggressiven reinigenden und feuchtigkeitsspendenden Anwendungen.
Neurodermitis ist so weit verbreitet, dass sie gern als kleines Ärgernis betrachtet wird, was sie häufig auch ist. Doch manchen kann es dadurch richtig elend gehen. Eine Neurodermitis kann den Schlaf beeinträchtigen (nachts ist das Jucken am schlimmsten) und, wenn man sich stets kratzen muss, sogar die Existenz bedrohen. Hier kommt offenbar alles zusammen, was schlecht für die Haut ist: eine gestörte Schutzschicht, ein mikrobisches Ungleichgewicht und eine Vermehrung der Immunzellen. Wird die Schutzschicht der Haut durch Waschen oder Kratzen beeinträchtigt, kann sich die mikrobielle Besiedelung verändern und das Immunsystem dadurch hochgefahren werden. Den Hautzellen wird dann signalisiert, sich rasch zu vermehren und mit Entzündungseiweißen anzureichern. So entsteht ein sich selbst erhaltender Kreislauf aus Entzündung, Jucken, Zusammenbruch der Schutzschicht und mikrobiellem Ungleichgewicht. »Könnte es nicht sein«, spekuliert Skotnicki, »dass die Neurodermitis überhaupt erst durch das häufige Waschen in unserer Gesellschaft ausgelöst wird?«
Jedenfalls hat beides zur gleichen Zeit zugenommen, und es gibt Hinweise darauf, dass ein Zusammenhang besteht. Doch anstatt die Haut wieder mehr Umgebungsreizen auszusetzen, verleiten uns Allergien und Überempfindlichkeiten dazu, uns noch intensiver zu säubern und unsere Umgebung noch steriler zu halten. Patient*innen, die zu Skotnicki kommen, leiden häufig seit Wochen oder Monaten unter Ausschlag, und sie würden sich am liebsten noch mehr schrubben und einseifen. Sie hoffen auf ein neues Produkt, das die bisher verwendeten ungeschehen machen oder wenigstens ausgleichen kann. Etwas »Mildes, Natürliches«. Etwas, was, na ja, eigentlich eher nichts sein soll.
Doch für Ärzt*innen ist es schwer, nichts zu verschreiben. Häufig wünschen sich die Patient*innen eine Behandlung, wenn schon kein Rezept, so doch zumindest etwas, was sie regelmäßig tun können. Skotnicki hat einen Weg gefunden, aus dem Nichts etwas zu machen. Sie empfiehlt eine radikale Produkt-»Diät« oder -»Bereinigung«, das heißt, mit allem aufzuhören. Oder mit möglichst allem. Selbst wenn die Probleme nicht durch bestimmte Produkte ausgelöst wurden, vertreten Dermatolog*innen zunehmend diesen Ansatz.
Es kann psychologisch hilfreich sein, zu erkennen, wie wenig wir eigentlich brauchen, und erst dann behutsam nur noch das zu verwenden, was wir wirklich wollen. Denn im Grunde ist unsere Haut sehr widerstandsfähig. Wir können versuchen, sie mit den aktuellsten Produkten zu regulieren oder zu kaschieren, aber auf die beständigen inneren und äußeren Signale reagiert sie so, wie sie es in Jahrmillionen gelernt hat. Sie will ihr Gleichgewicht wahren.
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Die Haut ist das größte Organ des Menschen. Würde man sie ausbreiten, wäre sie fast zwei Quadratmeter groß. Sie ist in alle Richtungen beweglich, dehnbar und registriert selbst winzigste Temperatur-, Druck- und Feuchtigkeitsschwankungen. Die Signale werden von Nervenenden in der Haut an unser Gehirn weitergeleitet, dank derer wir alles zwischen furchtbaren Schmerzen und ekstatischen Freuden empfinden können. Die Haut verrät es auch der Welt, wenn wir krank, müde, ängstlich oder erregt sind. Wenn sie aufreißt, kann sie in wenigen Tagen wieder verheilen. Sie schützt uns vor tödlicher Überhitzung, indem sie sich selbst in Flüssigkeit badet und so dafür sorgt, dass wir die Wärme schneller an die Umgebungsluft abgeben. Die Haut ist so lebenswichtig wie unser Herz, Rückgrat oder Gehirn. Ohne sie würde alles Flüssige, aus dem wir bestehen, verdunsten, die Außenwelt in uns eindringen, uns infizieren, und schon bald wären wir tot.
Die Haut ist also extrem wichtig. Doch Hautpflege heißt weit mehr, als sich mit irgendetwas einzuschmieren.
Zieht man die Lehrbücher zurate, erfährt man – wie auch ich an der medizinischen Hochschule –, dass die Haut aus drei anatomischen Schichten besteht. Die untere Schicht, die Unterhaut, setzt sich hauptsächlich aus Fett und Bindegewebe zusammen. Die beiden anderen Schichten sind allerdings interessanter. Die obere heißt Epidermis oder Oberhaut. Mit einem Millimeter ist sie ungefähr so dick wie ein Blatt Papier, aber in diesem Millimeter passiert überraschend viel. Die wichtigste Epidermiszelle heißt Keratinozyt und produziert das Faserprotein Keratin, aus dem unsere Haut überwiegend besteht, unsere Fingernägel und Haare sogar vollständig. Dazwischen sind zudem Immunzellen, winzige Nervenfasern sowie die Melanin produzierenden Zellen eingelagert, die der Haut ihre Farbe geben. Alle Hautzellen reagieren hochsensibel auf die Umgebung und können sich daran anpassen.
Die Epidermis regeneriert sich fortlaufend und so häufig wie kaum ein anderer Teil unseres Körpers. Obwohl sie nur einen Millimeter dünn ist, besteht sie aus mehreren Zellschichten unterschiedlichen Alters. Die Basalzellschicht enthält die Stammzellen, die sich fortlaufend teilen und neue Zellen hervorbringen, besonders in der Jugend. Doch neue Zellen bilden sich ein Leben lang und schieben die älteren in Richtung Hautoberfläche. Dort angekommen, sind sie meist bereits verhornt, das heißt abgestorben, abgeplattet, ausgetrocknet und so miteinander verklebt, dass sie mit bloßem Auge zu erkennen sind. Von diesen älteren Zellen sollen die Peeling-Produkte unsere Haut befreien und frische Zellen zutage fördern. Doch eigentlich fallen die Zellen von ganz allein ab. Der gesamte Zyklus dauert ungefähr einen Monat, die Hautoberfläche bildet sich also laufend neu.
Unter der Epidermis liegt die Dermis oder Lederhaut, die hauptsächlich aus zwei Proteinen besteht: Kollagen und Elastin. Ineinander verwoben, machen sie die Haut elastisch und robust. Leder, daher Lederhaut, besteht ausschließlich aus Dermis. Die Menschheit jagt Tiere denn auch trotz enormer Kosten und ethischer Bedenken unverdrossen wegen ihrer Haut. Schon als die Werkzeuge noch nicht erfunden waren, schützten wir uns mit der einzigartigen, zugleich elastischen und widerstandsfähigen Tierhaut vor der Witterung, um zu überleben.
Epidermis und Dermis sind von einem Nervennetz durchzogen, das geringste Umgebungsveränderungen wahrnimmt, etwa das Gewicht einer Mücke oder den Temperaturunterschied zwischen 20 und 22 Grad im Büro. Bei körperlicher Anstrengung oder Stress dehnen sich mit dem Netz verflochtene winzige Äderchen aus, um unseren Körper herunterzukühlen, lassen uns erröten und verraten unsere Emotionen.
Außerdem besitzt unsere Haut recht große Follikel, die Haar und Härchen wachsen lassen. Vormenschliche Arten konnten sich dank ihrer einst in klimatisch kältere Zonen begeben. Heute gibt es dank ihrer einen gigantischen Markt, der es ermöglicht, durch Haarentfernung, Schneiden, Frisuren und Färben gemäß wechselnden Normen zu zeigen, wo in der sozialen Hierarchie man steht oder stehen möchte.
In unserer Haut befinden sich zudem drei verschiedene Drüsen, die Sekrete absondern. Die ekkrinen Schweißdrüsen geben Wasser zur Kühlung des Körpers ab. Die Talgdrüsen schützen die Haut durch eine fettige Talgschicht vor Trockenheit und Rissen, das heißt vor Beschädigungen der Schutzschicht, die todbringende Mikroben von unserem Körper fernhält.
Der Sinn der apokrinen Schweiß- oder Duftdrüsen, die sich während der Pubertät vor allem in den Achseln und im Genitalbereich entwickeln, ist weniger offensichtlich. Dass sie zusätzliche fettige Sekrete absondern, empfinden viele als übertrieben oder geradezu unbarmherzig. Mit Deos wollen wir genau diesen Drüsen zu Leibe rücken, und manch einer verbringt in seinem Leben viel Zeit mit diesem Kampf. Aber die apokrinen Drüsen spielen, wie wir heute wissen, auch eine wichtige Rolle für den Teil unserer Haut, den man als ihre vierte Schicht bezeichnen könnte: die Billiarden von Mikroben in und auf uns. Die Bakterien, die vor allem Achseln und Genitalbereich besiedeln, ernähren sich von unseren Hautfetten und produzieren die chemischen Stoffe, die in Verbindung mit Luft für unseren Körpergeruch verantwortlich sind.
Die abgesonderten Hautfette und Stoffe wie Natrium, Harnstoff oder Laktat, die unser Körper beim Schwitzen abgibt, haben Einfluss auf die Mikrobenpopulationen. Wie man seit Kurzem weiß, enthält Schweiß unter anderem Peptide mit antimikrobiellen Eigenschaften wie Dermcidin, Cathelicidin oder Laktoferrin, die zum Erhalt und der Wiederherstellung des mikrobiellen Hautgleichgewichts beitragen. Wenn Ihnen also das Schwitzen einmal unangenehm ist, könnten Sie Ihren Mitmenschen ganz einfach erklären, dass Ihr Körper gerade einen raffinierten, rätselhaften biochemischen Tanz aufführt.
Dass auf unserer Haut überhaupt Mikroben leben, ist schon länger bekannt. Seit die Biologie Bakterienkulturen anlegt, weiß sie, dass sich aus menschlichen Hautpartikeln ein wunderbarer mikrobieller Garten züchten lässt. Doch erst im vergangenen Jahrzehnt hat man dank der DNA-Sequenzierungstechnologie erkannt, wie umfassend und vielfältig das mikrobielle Leben auf unserer Haut ist. Unsere Haut- und Darmmikroben zusammengenommen machen einige Kilo unseres Körpergewichts aus. In und auf unserem Körper gibt es mehr mikrobielle als menschliche Zellen.
Lange Zeit hat man die Haut als Barriere betrachtet, die uns von unserer Umgebung trennt, doch wie neuere Erkenntnisse zum Mikrobiom zeigen, ist sie wohl eher eine dynamische Schnittstelle. Im Grunde sind unsere Hautmikroben eine Erweiterung unserer selbst. Nur selten lösen sie, ebenso wenig wie unsere Darmmikroben, Krankheiten aus. Wenn überhaupt, dann beschützen sie uns vor ihnen. Aber alles, was wir mit unserer Haut anstellen, oder auch nicht, wirkt sich auf die Mikrobenpopulationen aus.
Mit jedem Waschen greifen wir zumindest vorübergehend in die Populationen ein. Wir entfernen sie oder nehmen Einfluss auf ihre Ressourcen. Auch wenn wir keine ausdrücklich »antimikrobiellen« Körperpflegeprodukte verwenden, verändern die aufgetragenen chemischen Stoffe die Umgebung, in der die Mikroben gedeihen. Die Seifen und Gesichtswasser, die unsere Haut trockener und weniger fettig machen sollen, entfernen auch den Talg, von dem sich die Mikroben ernähren.
Da Wissenschaft und Medizin den Umfang und die Bedeutung der Mikroben erst seit Kurzem durch neue Technologien sichtbar machen konnten, wissen wir bislang nur wenig darüber, was sie wirklich auf unserer Haut tun. Doch je mehr der neue Forschungsbereich das Zusammenspiel von Mikroben und Haut erhellen kann, desto fraglicher werden lang gehegte Annahmen über das, was für die Haut gut oder schlecht ist.
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Die Milben in unserem Gesicht verdeutlichen vielleicht am eindrucksvollsten, wie das Wissen um die Hautmikroben unser Selbstverständnis verändert.
Als eine Forschungsgruppe 2014 einen Abstrich von der Gesichtshaut vierhundert Freiwilliger aus North Carolina nahm, entdeckte sie unter den Hautpartikeln Mikroben namens Demodex. Diese farblosen, einen halben Millimeter kleinen Milben, die normalerweise versteckt in den Hautporen leben, besitzen am vorderen Körperdrittel vier Beinpaare, mit denen sie den Rest ihres Körpers hinter sich herziehen. »Ein Anus fehlt«, vermerkte eine schweizerische dermatologische Zeitschrift bei der anatomischen Beschreibung, wohl um etwaigen Sorgen entgegenzuwirken, was die Milben in unserem Gesicht alles anstellen könnten. Anus hin oder her, meine erste Reaktion und die vieler anderer war: »Um Himmels willen, wie werde ich die bloß wieder los?« Seriösere Wissenschaftsjournalist*innen entschieden sich für Schlagzeilen wie die auf der Website vom amerikanischen Sender NPR: »Hey, in deinem Gesicht leben Milben. In meinem auch.«
Unter all unseren Mikroben sind, soweit wir das wissen, nur die Milben so groß, dass man sie mit der Lupe sehen kann. Dann folgen in puncto Größe die Pilze, die uns dank unserer Körpertemperatur allerdings nur selten besiedeln, die Bakterien, Archaeen, Protozoen und schließlich die viel kleineren Viren. Eigentlich ist es also schleierhaft, wieso wir nicht mehr über die Milben wissen. Entdeckt wurden sie schon vor Längerem: Ein deutscher Anatom fand sie 1841 auf einigen Leichnamen und später gelegentlich an Lebenden. Obwohl er seine Entdeckung dokumentierte und betonte, wie bedeutsam sie wohl sei, gerieten die winzigen Milben weitgehend in Vergessenheit.
Warum fanden die Milbenjäger aus North Carolina also gerade jetzt heraus, dass wir vor Demodex nur so wimmeln?
Erst die neue DNA-Sequenzierungstechnologie, mit der auch das restliche Mikrobiom entdeckt wurde, machte es möglich. Die Milben leben nämlich gut versteckt in den Hautporen und sind meist nur schwer zu finden. Wenn man aber auf der Haut nach Spuren ihrer DNA sucht, finden sich die Milben bei uns allen. Und das ist der Grund, warum wir über diese winzigen Gefährten, wie über so viele andere auch, noch so wenig wissen.
Auch wenn der Gedanke an Milben den meisten wohl kaum behagt, wäre es vermutlich weitaus schlimmer, gar keine zu haben. Und welches Merkmal könnte im Übrigen näher an die Definition von »normal« herankommen als eines, das auf 100 Prozent der Menschen zutrifft? Da muss es einen guten Grund für die Milben geben. Oder etwa nicht?
Michelle Trautwein, Professorin für Dipterologie (Fliegenkunde) an der California Academy of Sciences und Co-Autorin der genannten Studie, erkennt in den Milben die Schönheit des Lebens: »Sie sind ein universaler Bestandteil unseres Menschseins.« Insektenkundler*innen wie Trautwein gehen gemeinsam mit Dermatolog*innen und Ökolog*innen der Frage nach, warum wir Milben besitzen, und entdecken dabei neue Wahrheiten über uns. Zum einen: Der Mensch ist kein autarkes Lebewesen, er ist auf andere Organismen, die auf ihm und um ihn leben, angewiesen.
Die Milben, so Trautwein, ernähren sich vermutlich von unseren toten Hautzellen und wären damit die »natürlichste« Peelingmethode. Außerdem verringern sie wohl auch den Staub in unseren Wohnungen, der zum Teil aus Hautzellen besteht. Dennoch würde uns jedes Produkt im Drogeriemarkt oder auf Instagram verlockend erscheinen, das uns verspricht, uns von den Gesichtsmilben zu befreien.
Auch wenn wir alle Milben im Gesicht haben, kann ihre anormale Vermehrung oder eine anormale Reaktion auf ihre Vermehrung nachweislich zu Hautkrankheiten führen. So besteht etwa, wie eine kürzliche Auswertung von achtundvierzig Studien ergab, ein Zusammenhang zwischen Milbendichte und Rosazea. Wie bei anderen Erkrankungen mit Mikrobenbezug geht es dabei jedoch vor allem um Zahlenverhältnisse und den Kontext, nicht einfach um eine Invasion »böser« Lebewesen. Normalerweise ist die Milbe Demodex gutartig und offenbar sogar der Gesundheit förderlich. Doch wenn sich ihr Umfeld ändert, kann sie pathogen (krankheitsauslösend) werden. Ähnlich wie der Mensch selten mit der Neigung geboren wird, andere zu verletzen, aber im Krieg und mit einem Schießbefehl ohne Weiteres tötet.
Die Entdeckung der Milben und Billiarden anderer winziger Geschöpfe unseres Hautmikrobioms bedeutet das Ende der sogenannten »Keimtheorie«, der simplen Vorstellung also, wir müssten die Mikroben bekämpfen, um Krankheiten vorzubeugen. Das Bild ist bunter geworden. Die meisten Mikroben gelten inzwischen nicht nur als harmlos, sondern sogar als nützlich, wenn nicht gar überlebenswichtig. Das Ich und das Andere sind weniger eine Dichotomie als vielmehr ein Kontinuum.
Obwohl sich das menschliche Baby in einer sterilen Umgebung, der mikrobenfreien Gebärmutter, entwickelt, ist es nach Verlassen des Geburtskanals ein brüllender Bakterienschwamm, der sofort Mikroben aufliest, die seine Gesundheit und Überlebensfähigkeit fördern. Seine Haut wird von mütterlichen Bakterien besiedelt, von denen einige lebenslang in den Hautporen verbleiben und die Interaktion mit allen späteren Mikroben überwachen.
Ab diesem Zeitpunkt wird die Hautgesundheit vor allem zu einer Frage des Umfelds. Außenwelt und Haut beeinflussen die Mikroben, Mikroben und Körperfunktionen ihrerseits die Haut.
Die Forschungen zum Mikrobiom sind gerade im Begriff, unsere Grundannahmen der Hautpflege auf den Kopf zu stellen. Die Folgen sind alles andere als nebensächlich. Da ist etwa die kürzliche Studie des Dermatologen Richard Gallo von der University of California in San Diego. Sein Team bestrich eine Mäusegruppe mit dem Bakterium Staphylococcus epidermidis, das auch auf der menschlichen Haut vorkommt. Eine andere Gruppe säuberte man so gründlich, dass sie bakterienfrei war.
Dann verpasste man beiden eine schöne Bräune. Die Mäuse mit den Bakterien entwickelten seltener Hautkrebs. Laut Gallo erzeugt Staphylococcus epidermidis einen Stoff namens 6-N-Hydroxyaminopurin, der Krebszellen angreift und ihre Vermehrung verhindert.
Natürlich handelt es sich hier um eine erste Studie, und sie hat die Mikroben auch nur an Mäusen und nicht an Menschen erforscht. (Menschen UV-Licht auszusetzen, um zu sehen, ob sie Krebs entwickeln, wäre unethisch.) Doch ähnliche Studien werden derzeit offenbar im Wochentakt veröffentlicht. Zusammengenommen werfen sie zumindest die Frage auf, ob wir wirklich alle Hautbakterien so entschieden und willkürlich abwaschen sollten, wie man uns beigebracht hat.