Kitabı oku: «Natürlich waschen!», sayfa 4
III. SCHAUM
Am Anfang war das Unternehmen Dr. Bronner’s eine Art Kirche.
Der Übergang vom religiösen Non-Profit-Unternehmer zum Vollzeitverkäufer von Pfefferminz-Flüssigseife erfolgte so unmerklich, dass Emanuel »Dr.« Bronner völlig vergaß, die Steuerbefreiung aufheben zu lassen. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er im erbitterten Kampf mit dem US-Finanzamt um eine Million Dollar Steuerschulden, und bei seinem Tod war er fast pleite. Aber bis zum Schluss nahm er jeden Anruf für das Unternehmen persönlich entgegen oder rief zurück.
Das Aushängeschild von Dr. Bronner’s ist eine gelbliche Flüssigseife in einer durchsichtigen Plastikflasche, die Sie überall finden können – vom Bioladen über Walmart bis hin zu Instagram-Accounts berühmter Persönlichkeiten. Die symbolträchtigen, einst nur blauen Etiketten sind über und über mit winzigem, marktschreierischem Text bedruckt: »Ready to teach the whole Human race the Moral ABC of All-One-God-Faith! For we’re All-One or none! ALL-ONE! ALL-ONE! ALL-ONE!« (Lehren wir der gesamten Menschheit das moralische ABC des Alle-Ein-Gott-Glaubens! Wir sind Alle-Eins oder Nichts! Alle-Eins!) Und so weiter.
Das war Emanuel Bronners Gospelsong. Er war aus Deutschland vor dem Holocaust geflohen und reiste in den Fünfzigerjahren durch die USA, um die Botschaft von Frieden und Einheit zu verbreiten. Er stand an Straßenecken in Los Angeles auf einem Seifenkarton und verkündete den Passant*innen seine Botschaft. Die Seife verkaufte er, um seine Mission zu finanzieren. Die Leute wollten nicht wirklich hören, was er zu sagen hatte, aber die Seife schien ihnen zu gefallen. Also druckte Bronner seine Predigt auf die Seifenetiketten. Irgendwann sprach sich herum, dass dieser komische Mann Pfefferminzseife verkaufte, und die Nachfrage stieg – obwohl Bronner damit eigentlich nur seine Botschaft von Liebe und Einheit unter die Leute bringen wollte. Als seine Enkel das Unternehmen später wiederbelebten und die Seife zu dem allgegenwärtigen Produkt machten, das es heute ist, war es für sie wichtig, das Etikett möglichst so zu belassen, wie ihr Großvater es geschrieben hatte, trotz aller Herausforderungen für das Marketing.
In den letzten Jahren wurde aus dem Nischen- ein Mainstreamprodukt. Ein halbes Jahrhundert lang war Dr. Bronner’s nur in räucherstäbchengeschwängerten Hippie-Läden zu finden, jetzt stehen die Seifen neben teuren Beautyprodukten in großen Drogerie- und Supermärkten oder trendigen Hipsterläden. In den zwei Jahrzehnten, die David Bronner und sein Bruder Mike das Unternehmen nun führen, haben sich die Umsätze mehr als verdreißigfacht.
Als ich David Bronner treffe, bietet er mir als Erstes an, ein Schaumbad in einem Anhänger zu genießen – aber es hatte nichts Anrüchiges. Wir stehen im kalifornischen Vista, auf dem Parkplatz seines neuen Firmensitzes, die alten Räume sind zu klein geworden. Der Anhänger mit den Gemeinschaftsduschen wird von Bronner und seinem Team normalerweise bei Schlammrennen, beim »Burning Man« oder anderen Festivals aufgestellt. David, heute CEO (Cosmic Engagement Officer), ging schon zum »Burning Man«, bevor es cool wurde, und als er die Firma übernahm, befand er, es sei ein guter Ort, die Marke besser bekannt zu machen. Auf dem Festival ist Werbung verboten, ebenso wie Sponsering, aber Bronner’s installiert dort raffinierte Plakate und interaktive Ausstellungen, die das Unternehmensethos kommunizieren. So finanziert er einen »Safe Place« für Leute, die auf einem schlechten Trip sind, außerdem treten Performance-Künstler*innen aus dem Unternehmen auf. Die ich glücklicherweise kennenlernen durfte.
»Hi, hast du Lust zu tanzen?«, fragt mich einer der bärtigen Männer. In meiner Erinnerung haben alle lange Bärte, vielleicht waren sie aber nur unrasiert. Es ist eine dieser Situationen, wo einem das Gedächtnis gern einen Streich spielt. Ich war früh auf, hatte kaum geschlafen und schon ein Glas aus ihrem Kombucha-Fässchen intus.
»Nein.«
Sie haben offensichtlich ein »Ja« erwartet. Jemand schaltet einen Gettoblaster ein, und sie stellen sich in zwei Reihen auf.
»Okay, kein Problem. Dann tanzen wir für dich.«
Mitten in einer Lagerhalle tanzen acht erwachsene Männer für mich. Sie schauen mich erwartungsvoll an, und ich weiß ihre Bemühungen wirklich zu schätzen, aber bin auch leicht genervt davon, so betanzt zu werden. Sie lächeln die ganze Zeit und am Ende klatschen sich alle ab, auch mich. Dann stehen sie im Kreis und fragen mich über das Hautmikrobiom aus. Manche berichten, sie duschen ebenfalls selten, und als ich von der Idee zu diesem Buch erzähle, verhalten sie sich, als sei angesichts dieses grandiosen Konzepts ihr Gehirn gerade implodiert. Es fühlt sich an, als sei ich der Mensch, der den Ninja Turtles ihre erste Pizza reicht.
Dass ein Seifenunternehmen Künstler*innen der Generation X beschäftigt, die nicht duschen, klingt zunächst paradox. Doch das Wachstum des Unternehmens beruht auf einem starken Markenimage, das hervorragend dazu passt. Dank diesem Image und einer generell egalitären Einstellung ist Dr. Bronner’s besonders bei kapitalismuskritischen Millennials beliebt. Obwohl das Produkt seit Jahrzehnten eine treue Kundschaft hat, wirft es erst seit Kurzem wirklich Gewinn ab.
Auf das öffentliche Bad in David Bronners Anhänger verzichte ich trotzdem: Nach einem Tough Mudder in der Gruppe mag es ein Riesenspaß sein, aber hier wäre ich allein, auf einem Parkplatz und umringt von lauter PR-Leuten, die unbedingt wollen, dass ich Fun habe. Also steige ich in David Bronners Minivan und lasse mir das Firmengelände zeigen. Bronner besitzt noch einen Mercedes, der mit Fett als alternativem Kraftstoff läuft, aber für die Arbeit nehme er lieber den größeren Van, er eigne sich, so erklärt er, besser für Fahrgemeinschaften.
David Bronners Gehalt ist höchstens fünfmal höher als das der Mitarbeitenden, die am wenigsten verdienen. Er ist groß, das Haar hinten lang und vorn ausgefallen, der Oberkörper immer ein wenig zurückgelehnt. Sein Lebensmotto heißt Party, aber mit Respekt für das Mutterschiff Erde. Man hat ihn mit Captain Jack Sparrow verglichen, aber seine Droge ist nicht der Alkohol. Er bevorzugt psychedelische Drogen. Er ist für Legalisierung und gegen Drogenbekämpfung. Das wundert keinen, der ihn sieht, außer man weiß, dass er Erbe und CEO eines der am schnellsten wachsenden Seifenunternehmen der Welt ist.
Als wir uns dem Haupteingang nähern, sehen wir einen Imbisswagen, der Tacos mit Fleisch verkauft. David rollt die Augen. Er ist enorm stolz darauf, dass sein Unternehmen allen Mitarbeitenden ein veganes, regionales Biomittagessen direkt vom Bauern bietet. Die Gerichte werden von einem ernst zu nehmenden Koch zubereitet; als ich die Küche besichtige, lässt er mich einen Löffel von seinem Farro-Kürbis-Salat kosten.
»Ich verstehe ja, dass das nichts für jeden ist«, sagt Bronner und schaut mit einer so reglosen Miene auf den Taco-Lieferanten, als übe er sich gerade in achtsamer Empathie. Er parkt den Minivan, und wir gehen in die Kantine, vorbei an einem riesigen Wandgemälde, das seinen Großvater zeigt, den ursprünglichen Doktor in »Dr. Bronner’s«, der allerdings nicht wirklich Doktor war und auch wissenschaftlichen Tatsachen nicht sonderlich verbunden. Als wir uns aus dem Kombucha-Fass bedienen, erklärt David mir seine Seife. Wie er offen zugebe, dusche er eher selten und wenn, dann seife er nur Achselhöhlen, Intimbereich und Füße ein. Es sei ihm nie wirklich um die Seife gegangen, sondern eigentlich um sein Umweltengagement.
Auch Emanuel Bronner war ein überzeugter Minimalist. Auf dem berühmten Etikett steht »18 in 1«: Während alle anderen Seifenunternehmen ihren Kund*innen möglichst viele diversifizierte Produkte verkaufen wollten, konnte Dr. Bronner’s Seife von jedem für jede Körper- und Haushaltspflege verwendet werden, ob beim Baden, Wäschewaschen, Reinemachen oder Zähneputzen. Das Unternehmen hat seine Produktpalette erst vor Kurzem ein wenig erweitert, etwa um Zahnpasta. Das beißt sich mit David Bronners Unternehmensvision, der dem Menschen nichts verkaufen will, was er nicht braucht. »Die Leute wollten eben Zahnpasta«, erklärt er mir. Ich bin allerdings nicht der Einzige, der bestätigen kann, dass ein einziger Tropfen Pfefferminzseife genauso gut wirkt.
Doch die spirituellen Untertöne, aufgrund derer manche Dr. Bronner’s als typischen New-Age-Quatsch abtun, sind keineswegs neu. Eigentlich sind sie eine Rückkehr zu dem Einklang aus reinen Händen und reinem Herzen. Bei aller Exzentrik des Unternehmens steht das Ethos der Bronners den meisten historischen Sauberkeitsidealen näher, als es jedes strenge wissenschaftliche oder gesundheitliche Argument je könnte.
***
Seife wird vom Menschen schon von Beginn der geschichtlichen Aufzeichnung an und überall auf der Welt verwendet. Doch seit wann tun das Milliarden von Menschen mehrmals täglich, und zwar nicht, weil ihnen danach ist, sondern weil sie das für absolut notwendig halten?
Ich suche einen Seifenhistoriker auf, den man mir als »Seifenkönig« beschrieben hat. Nach mehreren Telefongesprächen lädt er mich in sein Zuhause in einem Vorort von Chicago ein. Ich steige aus dem Auto, klingele, eine dreieinhalb Meter hohe Haustür schwingt auf, und dahinter kommt eine kleine Frau mit weißen Haaren zum Vorschein: Fortuna Spitz. Lächelnd ruft sie: »Luis!«, woraufhin ihr Ehemann, der Seifenkönig, gemächlich aus dem Arbeitszimmer auf den Flur tritt und mir mit der Hand bedeutet, ihm ins Wohnzimmer zu folgen.
»Die beiden Menschen, die hier vor Ihnen sitzen, haben mehr für das klassische Seifenstück getan als jeder andere auf der Welt«, sagt Luis Spitz sehr ernst. Ich hätte nicht gedacht, dass jemand mit so etwas angeben würde, aber in den folgenden vier lehrreichen Stunden werden alle meine Zweifel ausgeräumt, während mich die beiden durch das umfangreiche Privatmuseum führen und mir die Geschichte der Seife erklären.
Luis, bei meinem Besuch dreiundachtzig Jahre alt, hatte Chemietechnik studiert und kam mit der Seifenindustrie erstmals als Sachbearbeiter bei The Dial Corporation in Kontakt. Er vertrat die italienischen Hersteller von Seifenverarbeitungsanlagen und -verpackungsmaschinen und war 1977 Vorsitzender der ersten Weltkonferenz für Seifen und Reinigungsmittel. Er hat Beiträge und Bücher verfasst oder herausgegeben, die von der Seifenindustrie veröffentlicht wurden, und arbeitet derzeit als unabhängiger Berater für die Herstellung und den Vertrieb von Seifen. Wenn ich seine heutige Tätigkeit genauer beschreiben sollte, würde ich sagen, er weiß alles, was es über Seife zu wissen gibt, und er macht in der Seifenindustrie Leute.
»Sie haben wohl nicht gedacht, dass Sie so viel Zeug zu sehen bekommen!«, sagt er, als ich den Blick über Seifenwerbungen und Devotionalien schweifen lasse, die jeden Zentimeter Wand- und Ablagefläche ausfüllen. Das Ehepaar Spitz hat sein Haus förmlich um die Seifensammlung herumgebaut. Als Fortuna Spitz mir ein Stück Apfelkuchen reicht, prangt auf dem Tischset ein Seifendekor.
An diesem Nachmittag erfahre ich, dass der Verkauf von Seife eine Kunst ist, mehr noch als ihre Herstellung. Tatsächlich hat sich das Marketing für Seife zunächst der Kunst bedient. Auf der Weltausstellung 1893 in Chicago warb die Pears Soap Company mit einem Gemälde, auf dem unten ein nüchternes »Pears« aufgedruckt war. Die obere Etage im Haus der Eheleute Spitz ist eine Galerie mit Gemälden (Farbdrucken) aus dem 19. Jahrhundert, die heute niemand für Seifenwerbung halten würde. Auf dem berühmtesten und am häufigsten nachgedruckten Gemälde, »Bubbles« von John Everett Millais, sieht man einen kleinen Jungen mit Lockenkopf, der Seifenblasen macht.
Als Seife schließlich in Mode kam, war es mit der anspruchsvollen, zugleich unschuldigen Werbung natürlich vorbei. Ein hart umkämpfter Markt verlangte eine aggressivere Werbung, die das Produkt von anderen abhob, andere auch mal mit Dreck bewarf, Verbraucher*innen verunsicherte und Versprechungen machte, die keine Seife der Welt jemals einlösen konnte. All das war nötig, weil die meisten Seifen chemisch eigentlich mehr oder minder identisch sind. Es gibt per definitionem nicht viel Spielraum, das Produkt zu verändern, ansonsten ist es definitiv keine Seife mehr. Das Herstellungsverfahren für Seife ist Teil des Chemiegrundkurs I und schon seit Jahrhunderten bekannt.
Seife besteht aus Tensiden beziehungsweise »oberflächenaktiven Stoffen«, bei denen Fett mit einer wasserlöslichen Base, genauer gesagt mit Alkalien, kombiniert wird. Egal, ob es sich um tierische oder pflanzliche Fette wie Oliven- oder Kokosöl handelt, sie bestehen immer aus Triglyceriden. Wie der Name vermuten lässt, sind dies drei Fettsäuremoleküle und ein Glycerinmolekül. Wenn man Triglyceride mit Alkalien wie Kaliumhydroxid (Pottasche) oder Natriumhydroxid (Lauge) mischt und unter Druck erhitzt, spaltet sich die Fettsäure von dem Glycerin ab. Kalium oder Natrium können sich nun mit der Fettsäure verbinden. Und das ist dann Seife.
Tenside sind einfache Moleküle, deren eines Ende Wasser und deren anderes Fett binden kann – etwa Fette, die auf unserer Haut kleben und sich allein mit Wasser nicht entfernen lassen. Wenn Ihre Kleidung beispielsweise mit Erde verschmutzt ist, wird sie mit Wasser nicht sauber. Geben Sie aber eine tensidhaltige Seife ins Wasser, wird das fettliebende (lipophile) Ende von dem Fett der Erde und das wasserliebende (hyrophile) Ende vom Wasser angezogen. Durch die gegensätzlich wirkenden Kräfte lockert sich der Dreck und wird im Wasser aufgelöst. Jetzt müssen Sie ihn nur noch ausspülen.
Obwohl niemand genau weiß, so Spitz, wie und wann die Seife erfunden wurde, kursieren jede Menge Märchen darüber. Nach einer römischen Sage wurde die Seife am Berg Sapo entdeckt. Dort brachte man den Göttern Tieropfer dar, und Holzasche und Tierfette, die bei dem Ritual zurückblieben, wurden beim nächsten Regen vermischt, den Berg hinabgespült und landeten in einem Fluss, wo die Menschen gerade ihre Togen wuschen. Als sie bemerkten, dass die Togen viel sauberer wurden als sonst, schrien sie: »Was zum Teufel ist das? Verfluchtes Wasser?«, und rannten weg. (Falsch, sie gingen der Sache auf den Grund und stellten Seife her.)
Man kann sich jedenfalls gewiss sein, dass das simple Herstellungsverfahren an mehreren Orten »entdeckt« wurde. Die Herangehensweise hing dabei von den jeweils verfügbaren Materialien ab. Rund um das Mittelmeer sorgte Olivenöl für ein regelmäßig verwendbares Qualitätsprodukt. Das französische Marseille entwickelte sich zur wahren Hochburg der Seifenkunst. Im italienischen Savona und in Kastilien schossen die Seifenmanufakturen aus dem Boden, wahre Pilgerstätten, wo die Leute jahrhundertelang ihre Seife kauften. Obwohl die Seifenherstellung eher banal und die Ingredienzien mehr oder minder unveränderlich sind, zeigte sich eine klare Lernkurve, aus der sich Unterschiede zwischen handgemachter und industriell hergestellter Seife ergaben.
Seife aus dem Ladenregal war bis ins späte 19. Jahrhundert und in vielen Teilen der Welt noch wesentlich länger ein Luxusprodukt. Mein Großvater wuchs in einem ländlichen Städtchen in Indiana auf, und seinen Eltern und Nachbar*innen wäre es im Traum nicht eingefallen, Seife zu kaufen. Sie machten Seife, wenn sie ein Schwein geschlachtet hatten. Dazu nahmen sie die Schweinehaut, schnitten sie in Streifen, legten sie in den großen gusseisernen Kessel und setzten diesen aufs Feuer. Mein Großvater musste dafür sorgen, dass das Feuer nicht ausging. Das weiße Hautfett schmolz, und die übrig bleibenden Hautstreifen wurden in dem brodelnden Schmalz zu knusprigen Röllchen, den Grammeln, eine Delikatesse, an die sich mein Großvater stets mit Freuden erinnerte.
Das Schweineschmalz diente zum Kochen, Würzen, zur Wundbehandlung, als Rostschutz- und Schmiermittel. Wie mein Großvater erzählte, sammelte seine Mutter Regenwasser, mischte Holzasche und das Schmalz darunter und machte so Seife. »Ich hatte das Gefühl, als Junge wusste er gar nicht, dass man in einen Laden gehen und dort Seife kaufen konnte«, erinnert sich mein Vater. Sollte in dem Gemischtwarenladen des Städtchens tatsächlich Seife verkauft worden sein, hätte mein Großvater jedenfalls zu der ersten Generation gehört, die diese Möglichkeit hatte. Allerdings erlebte er auch die Weltwirtschaftskrise 1929, und es widerstrebte ihm ein Leben lang, Geld für etwas auszugeben, das man ebenso gut selbst herstellen konnte.
Den Borstenschaber, die Schlachthaken und den Kessel haben wir auf dem Bauernhof noch immer. Auf dem Gelände, wo mein Großvater einmal Pfeilspitzen fand, lebten vor nicht allzu langer Zeit noch amerikanische Ureinwohner. In vielen Stämmen gab es bekanntlich Schwitzhütten oder -zelte für Reinigungsrituale. Dort traf man sich und büßte und läuterte sich durch andächtiges Schwitzen. Doch die Zeremonie diente der spirituellen Reinigung, durch die Hitze, sanftes und manchmal auch tödliches Dehydrieren veränderte sich der Geist. Zum Baden ging man hingegen in Seen und Flüsse. Dass die indigenen Völker auch Seife herstellten, ist nicht belegt, aber mit Sicherheit hatten sie Zugang zu Seifenpflanzen wie Seifenkraut oder Seifenbaumgewächsen. Noch vor ihnen verwendeten die Azteken zwei pflanzliche Produkte als Seife, die Frucht des Copalxcotl (den die dreckigen spanischen Plünderer »Seifenbaum« nannten und wahrscheinlich kurz darauf zerstörten) und die Wurzel des später Saponaria americana genannten Seifenkrauts. Die Pflanzen erhielten ihre Namen nicht zufällig. Beide produzieren zur Selbstverteidigung Saponine, also Tenside, wie sie auch bei der Seifenherstellung entstehen. Wenn man sie oder auch eine Agave oder eine Yucca schält, pulverisiert und energisch mit Wasser verquirlt, entsteht Seifenlauge.
Heute gäbe es eine große Nachfrage nach solch milden »Seifen«. Die Lauge des Seifenbaums ähnelt eher den heute so beliebten Reinigungslotionen wie Cetaphil (das für »empfindliche Haut« beworben wird) als den frühen Seifen. Allerdings waren kommerzielle Seifen die längste Zeit ihrer Geschichte auch nicht fürs Gesicht bestimmt. Seife erfordert eine Base, und Kalilauge war oft am billigsten und verfügbarsten. Das Produkt war daher stark basisch und trocknete die Haut aus oder brannte sogar.
Aber die frühe Seife hatte wie jedes Hilfsmittel ihren eigenen Anwendungsbereich. Wenn man Ruß oder Schmiere an den Händen hatte, half Wasser wenig. Dann brauchte man Seife. Doch bis ins späte 19. Jahrhundert wurde Seife hauptsächlich für die Wäsche verwendet. Zwar gab es etwa in Jamestown schon im 17. Jahrhundert »Seifenhersteller«, aber die Siedler stellten die Seife aus überschüssigem Tierfett und Lauge lieber selbst her und verwendeten sie nur bei größtem Dreck. Regelmäßiges Waschen war nicht nur teuer, sondern griff auch Haut und Kleidung an.
Mit der Zeit wurde die Seife weiterentwickelt und besser verträglich. Als die Seifenmacher als Base erstmals Pottasche nahmen, wurde Seife allgemein fürs Baden beliebt. Das erste US-Patent überhaupt war ein Verarbeitungsverfahren für Pottasche. Das Dokument, nur ein einziger Absatz, wurde 1790 von Thomas Jefferson genehmigt und von George Washington unterschrieben. Es markiert den Beginn des Patentwesens, das für den Kapitalismus entscheidend werden sollte.
Das Recht am geistigen Eigentum war für das Wachstum der Seifenindustrie von zentraler Bedeutung. In Großbritannien etwa war Seife durch ein Monopol knapp und durch eine Seifensteuer zudem teuer. Als der britische Premierminister William Gladstone die Steuer 1853 schließlich abschaffte, war Seife plötzlich ein erschwingliches Gut. Von nun an arbeitete die Seifenindustrie unermüdlich daran, das Baden vom Image eines leicht sündhaften Luxus zu befreien. Es sei im Gegenteil grundlegender Bestandteil eines Minimums an Anstand. Mithilfe von Marketing und Werbung gelang es der Branche, Gesundheit, Schönheit und Sauberkeit neu zu definieren. Die noch immer vorhandenen europäischen Tabus rund ums tägliche Waschen wurden auf den Kopf gestellt. In nur wenigen Jahrzehnten war es plötzlich tabu, es nicht zu tun.
***
Ich fahre, hoch oben auf einem Feuerwehrauto, über das Firmengelände von Dr. Bronner’s. Da das Unternehmen gewachsen sei, sagt man mir, müsse ich mich aus Haftungsgründen jetzt festhalten.
Das Fahrzeug ist umgerüstet, aus den Schläuchen spritzt statt Wasser Seifenschaum. Wie den Dusch-Anhänger nimmt das Unternehmen es mit auf Festivals oder präsentiert es als Markenerlebnis auf dem Firmengelände. Die dröhnende Musik aus den Lautsprechern wirkt in dem Gewerbepark am Stadtrand irgendwie fehl am Platz. Die Presseabteilung trägt leuchtend rot-blaue Overalls, die an die Oompa Loompas erinnern. Als wir um die Ecke biegen, werden wir abrupt von der Realität eingeholt. An den Laderampen stehen Tanklaster, die Öl vor allem aus dem fernen Ghana anliefern.
Hinter den riesigen Rolltoren erstrecken sich makellose und hochindustrielle Produktionsanlagen, ein seltsamer Kontrast zu den groovenden Vibes im übrigen Unternehmen. Vor mir ragen riesige Edelstahltanks für die Hochdruckverseifung in die Höhe. In einer Halle stehen Duftstoffsilos, zehn Meter hoch und in allen Farben der Dr.-Bronner’s-Etiketten. Ein Kunststoffbehälter mit der Aufschrift »Citronensäure« (die als Konservierungsmittel beigemengt wird) ist größer als ich. Das Herzstück, der sogenannte Verseifungsreaktor, ist ein Sechstausend-Liter-Tank mit Deckel, der mit zwölf Bolzen und einem Schiffssteuerrad verschlossen wird. Der gigantische Kessel ist mit zwei weiteren genauso großen Kesseln verbunden, die heißes beziehungsweise kaltes Wasser enthalten. Über ein Notfallventil wird Druck an einen riesigen »Notfallauffangtank« abgeleitet. Die Temperaturen erreichen Tausende von Grad, offenbar herrscht erhebliche Explosionsgefahr. Ich klettere über ein Gerüst auf den Reaktor, und ein Techniker ermahnt mich lachend, nicht hineinzufallen. Vor meinem inneren Auge spielt sich eine furchtbare Todesszene ab.
Zusammensetzung und Wirkweise sind im Prinzip bei allen Seifen gleich. Abgesehen von Duftstoffen und Farben unterscheiden sich Seifen nur durch das verwendete Fett, dessen Eigenschaften davon abhängen, von welchen Pflanzen oder Tieren es stammt. Alle Fette bestehen aus Kohlenstoffmolekülketten. Doch während die gesättigten Fettsäuren vollständig mit Wasserstoff gesättigt sind, können die ungesättigten Fettsäuren noch Wasserstoff binden. Beide sind effektiv, und die meisten Seifen enthalten eine Mischung aus beiden. Seifen mit ungesättigten Fettsäuren reinigen im Allgemeinen besser, trocknen die Haut aber mehr aus. Seifen mit überwiegend gesättigten Fettsäuren schäumen meist besser.
Dr. Bronner’s wirbt damit, nur biologisch angebaute pflanzliche Öle zu verwenden. Alle Inhaltsstoffe, so steht es auf den Etiketten, stammen aus ethisch einwandfreien Lieferketten, sind fair gehandelt und enthalten keine gentechnisch veränderten Bestandteile. Bevor ich dieses Buch schrieb, hatte ich keine Ahnung, dass all das auch bei Seife eine Rolle spielen kann. Doch der Anbau von Palmöl, dem häufigsten Seifenfett, trägt erheblich zur Abholzung der Wälder in den äquatornahen Ländern bei. Umweltorganisationen wie Greenpeace weisen darum regelmäßig auf die Folgen der Verwendung von Palmöl in Konsumgütern hin. Amnesty International und andere Organisationen beschuldigen zudem Seifenhersteller, die Menschenrechte zu verletzen, etwa durch Kinderarbeit bei der Palmölbeschaffung. Amnesty hat Unilever, Colgate-Palmolive oder Procter and Gamble eindringlich aufgefordert, eine ethisch einwandfreie Palmölerzeugung sicherzustellen, und mahnt die Verbraucher*innen, nur Fair-Trade-Produkte zu kaufen. Manche Unternehmen haben mittlerweile Veränderungen angekündigt, die meisten Mainstream-Produkte werden den Anforderungen der NGOs aber nicht gerecht.
Für David Bronner hat das Thema höchste Priorität. Die zigtausend Liter Palmöl, die er jedes Jahr importiert, stammen von Fair-Trade-Plantagen, so behauptet er jedenfalls. Das Unternehmen investiert außerdem in nachhaltige Anbaumethoden, hauptsächlich in Ghana. Doch vom Ideal ist es noch weit entfernt. Das Fair-Trade-Palmöl wird von Ghana aus zur Raffinerie in Amsterdam geflogen, in Kalifornien zu Seife verarbeitet und dann in Plastikflaschen in alle Welt geliefert. Es gibt also, wie Michael Milam, Chief Operating Officer, sagt, einen »nicht zu übersehenden wunden Punkt« des Unternehmens: die CO2-Bilanz.
Beim Herstellungsprozess unterscheidet sich das Unternehmen nicht von anderen. Verseifung und Trocknung finden in einer riesigen Apparatur statt, dem Reaktor, und alles ist computergesteuert. Bei Dr. Bronner’s ist die gesamte Produktionsstraße auf einer schultafelgroßen LED-Anzeige zu sehen: ein Gitternetz mit Füllhöhe, Temperatur und Druck in jedem einzelnen Behälter. Als ich in den Reaktor spähe, sehe ich zylinderförmige Flaschen über ein Fließband schießen, vollautomatisch wird eine goldene Flüssigkeit eingefüllt, ein Verschluss aufgesetzt und ein Etikett aufgeklatscht. Die menschliche Arbeitskraft ist nur noch nötig, um beschädigte Flaschen auszusortieren und Staus zu beheben.
Die klassischen Seifenstücke machen einen deutlich kleineren Teil des Umsatzes von Dr. Bronner’s aus. Dazu wird auf der anderen Werksseite eine heiße, feste, schmierige Masse stranggepresst, in Stücke geschnitten und im »Finishing« mit Prägelogo versehen. Ich nehme ein heißes Stück aus der Maschine, es ist biegsam wie Gummi. Kleinere Firmen kaufen diese nudel- oder pelletförmigen »Rohlinge« häufig en gros ein und bestimmen nur noch Duftstoff, Farbe, Form und Verpackung. Die Gewinnmargen sind enorm.
Heute können sich Millionen Menschen den Luxus leisten, eine Seife zu kaufen, die garantiert nur ein bestimmtes Fett aus einer bestimmten Weltgegend verwendet. Dennoch denken wohl nur wenige über die Transportkosten oder die Herkunft der Inhaltsstoffe nach, obwohl diese beiden Faktoren Preis und Verfügbarkeit der Seife seit jeher bestimmten. Denn der Seifenboom des 19. Jahrhunderts wurde nicht nur durch medizinische und volksgesundheitliche Gebote befeuert, sondern auch von der Fleischverarbeitungsindustrie. Das Ehepaar Spitz lebt in Chicago, weil die Stadt das historische Zentrum des Seifenverkaufs war, »die Seifenhauptstadt der Welt«, wie sie sagen. Ich bin in der Region aufgewachsen, wusste aber nur, dass es an jeder Fabrik, an der wir vorbeikamen, so roch, als wenn einem ein Geist direkt in die Nase fliegt und an der Seele nagt.
Auf Chicagos Viehhöfen gab es im 19. Jahrhundert Unmengen überschüssigen Fetts, vieles davon musste weggeworfen werden. Das fiel jungen Menschen mit Unternehmergeist auf. Wo andere Berge verderbender Tierfette sahen, erblickten sie den amerikanischen Traum. Scharenweise kamen sie in die Stadt, um ins Seifengeschäft einzusteigen. So wie 1849 die Goldsucher nach Kalifornien gingen oder heute viele im Silicon Valley nach … was auch immer suchen.
Einer der ersten »Seifenleute« war William Wrigley Jr. Er kam 1891 nach Chicago, um dort die Seife zu verkaufen, die sein Vater in Philadelphia herstellte. Zur Verkaufsförderung verschenkte er zu jeder Seife Extras wie Backpulver oder Kaugummi. Letzteres war schließlich viel beliebter als die Seife. Um 1895 hatte sich Wrigley’s Markenzeichen von einem Mädchen mit Seifenstück in der Hand zu einer Illustration des Kaugummis »Juicy Fruit« gewandelt, auf der stand: »Manufacturers of Chewing Gum«. Ohne die Seife gäbe es weder das berühmte Wrigley-Gebäude noch das so lange verfluchte Baseballstadion Wrigley Field.
Was Seife anbelangt, war James Kirk erfolgreicher. In der Nähe der Mündung des Chicago River baute er eine fünfstöckige Fabrik mit hoch aufragenden Werbeplakaten für seine vier Seifen: Jap Rose, White Russian, Juvenile und American Family. Sie seien, erklärte Spitz, ein frühes Beispiel für die Zielgruppensegmentierung eines Produkts gewesen. Kirk verkaufte nicht nur eine, sondern vier Seifen, und jede bekam eine so eigenständige Vermarktung und Verpackung, als wäre sie für eine ganz spezielle Gruppe, für einen ganz speziellen Zweck. Der Chicagoer Seifenproduzent Nathaniel Kellogg Fairbank, der eine Fett- und Ölverarbeitungsanlage erworben hatte und Seife nur zur Abfallvermeidung herstellte, ging noch einen Schritt weiter und schuf nach dem Gießkannenprinzip Marken, die sich wie die blumigen Angebote eines Drogendealers anhören: Copco, Clarette, Chicago Family, Ivorette, Mascot, Santa Claus, Gold Dust, Fairy und Tom, Dick and Harry.
Diese Produktdifferenzierung war reines Marketing. Fairbank brachte Bilderbüchlein heraus, sogenannte »Fairy Tales« – Märchen -, mit Gedichten und harmlosen Wortspielen wie »People with common sense pay but five common cents for a soap with no common sents – that’s Fairy Soap« (Für Menschen mit gesundem Menschenverstand: nur fünf gewöhnliche Cents für eine Seife mit ungewöhnlichen Düften. Das ist Fairy Soap).
Pears gab das Magazin Pears’ Annual heraus, mit zeitgenössischer Literatur wie der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens. Das Unternehmen übernahm Druck und Vertrieb und streute hie und da Werbung für seine Seife ein. Beim Öffnen des Magazins fielen etwa postkartengroße Einleger heraus, ein frühes Beispiel für diese bis heute ärgerliche Werbemasche.
Schließlich verwischte sich bei den Botschaften der Unterschied zwischen Information und Werbung. So gab Procter and Gamble 1906 einen Ratgeber für Mütter heraus, How to Bring Up a Baby: A Hand Book for Mothers (Die richtige Säuglings- und Kinderpflege: Ein Handbuch für Mütter), der noch zwei Jahrzehnte später gefragt war. Neben den seriösen Ratschlägen einer Krankenschwester, die über Kinderpflege und -erziehung informierte, fanden sich Tipps zur richtigen Anwendung von Ivory Soap. Später wurde der »Sponsored Content« geradezu zum Kennzeichen der Seifenindustrie, die damit schon das heutige Monetarisierungsmodell von Influencer*innen und digitalen Medien vorwegnahm.
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