Kitabı oku: «Natürlich waschen!», sayfa 3

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Doch um das herauszufinden, müssen wir zunächst der Frage nachgehen, wie unsere heutigen Sauberkeitsvorstellungen überhaupt entstanden sind.

II. REINIGEN

Val Curtis hat Fremden gern Bilder von verfaulten Nahrungsmitteln, von Würmern, Körperflüssigkeiten und Ähnlichem gezeigt und ihre Reaktionen dann aufgezeichnet.

Das war ihr Job. Curtis war eine weltweit führende »Ekelogin«, ehe sie im Herbst 2020 starb. In ihrer langen Laufbahn als Professorin an der London School of Hygiene and Tropical Medicine ging sie zu Beginn der Frage nach, warum Menschen sich – häufig aus einem innersten Bedürfnis heraus und mit großer Leidenschaft – um Sauberkeit bemühen.

Die Reaktionen auf die gezeigten Bilder waren, so Curtis, fast identisch, quasi universell, also unabhängig von Wohnort, Alter, Geschlecht und anderen erfassten Variablen. Die allgemein verbreitete Reaktion auf »dreckige, klebrige, tropfende, wimmelnde Gegenstände« bezeichnete sie in ihren Studien als »starkes Ekelgefühl«.

Aber was verbarg sich dahinter? Um das herauszufinden, arbeitete Curtis mit dem sogenannten Laddering-Verfahren aus der Marktforschung. Mithilfe der »kognitiven Leiter« kommt man tieferliegenden Motiven auf die Spur. Eigentlich eine einfache Fragetechnik, wie sie Dreijährige in aller Welt beherrschen: Warum, warum, warum? Wenn man einen Restaurantgast beispielsweise fragt: »Warum haben Sie diesen Salat bestellt?«, wird er vielleicht antworten: »Er hat sich gut angehört.« Fragt man aber weiter nach dem Warum, stößt man möglicherweise auf das komplexe Verhältnis, das wir zu Nahrungsmitteln haben, zur Sterblichkeit und unserem Wunsch der Kontrolle darüber. Das Laddering-Verfahren eignet sich für erste Dates genauso wie für die Forschung. Die Antworten auf Curtis’ Fragen liefen irgendwann immer auf dasselbe hinaus: »Ekel«.

»Dreck ist einfach ekelhaft. Schmodder ist einfach ekelhaft. Verdorbene Nahrung ist ekelhaft«, sagte sie in unserem Gespräch. »Weiter kam ich nie.«

Also machte sie sich daran herauszufinden, was diese Dinge gemeinsam hatten.

Ihr Büro verwandelte sich in eine Bibliothek zu ihrem Forschungsgegenstand, eine »riesige, kunterbunte Sammlung von allem, was die Menschen auf der Welt ekelhaft finden«, wie sie sagte. Und auf der Suche nach dem gemeinsamen Muster »stieß ich jedes Mal auf Krankheit«.

Ein ausgefallenes Haar etwa könne Kopfhautflechte übertragen. Und darum reiche schon ein einziges verirrtes Haar auf dem Teller, um ein Restaurant in Grund und Boden zu verdammen, nie wieder einen Fuß dort hineinzusetzen und den Küchenchef samt Familie auf ewig zu verfluchen.

Genauso könne Erbrochenes, das überall als ekelhaft gelte, ungefähr dreißig verschiedene Krankheiten übertragen.

Dabei ekeln wir uns offenbar nicht vor dem Leid an sich. Wenn jemand an Krebs stirbt oder einen Herzinfarkt hat, eilen wir ohne Zögern an seine oder ihre Seite. Doch der Anblick von Blut, Erbrochenem oder Fäkalien, so Curtis, löst bei uns eine instinktive Abwehr aus, die uns vor ansteckenden Krankheiten schützt.

»In unserem Alltag ist der Kontakt mit anderen vermutlich das Gefährlichste«, erläuterte sie, »der andere trägt den Bazillus in sich, der uns krank machen kann.«

So gesehen ist Ekel sehr nützlich. Wenn wir bei einem bestimmten Verhalten oder Aussehen Ekel empfinden, schützt uns das vor den Krankheiten der anderen. Darum ekeln wir uns auch manchmal vor uns selbst, schämen uns für unser Aussehen oder sind peinlich davon berührt. Wir wollen keinen Ekel erregen, weil wir sonst Gefahr laufen, sozial ausgegrenzt oder aus der Gemeinschaft verstoßen zu werden. Wert auf unser Äußeres zu legen, gehört also zu unserer Evolutionsgeschichte.

»Wenn Sie mein Freund sein wollen, müssen Sie mir in die Augen blicken, mich anhören, mir die Hand geben und in gewissem Maße Körperflüssigkeiten mit mir austauschen können. Weil wir uns anatmen«, sagte Curtis. »Wäre ich verdreckt und ungepflegt, hätte überall Parasiten und Verletzungen und würde schlecht riechen, würden Sie sich schnell vor mir ekeln und meine Gesellschaft meiden.«

Und sie fügte hinzu: »Weil wir eine kollaborative Spezies sind und den anderen zum Überleben brauchen, fühlen wir uns bedroht.« Als Mensch leben wir in der ständigen Spannung zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und der Notwendigkeit, uns vor anderen zu schützen.

Aber auch das Tierreich kennt »Hygieneverhalten«, wie die Evolutionswissenschaft die Körperpflege nennt. Die Karibik-Languste meidet Artgenossen mit Virusinfektionen, die Ameise säubert sich von krankheitserregenden Pilzen und räumt tote Kameraden beiseite, die Bienen entfernen erkrankte Freunde aus dem Stock und lassen sie sterben. Das alles scheint grausam, aber ihre Kranken können ohne ausgefeilte, moderne Gesundheitssysteme wie die unsrigen nicht behandelt werden.

Sämtliche Wirbeltiere befolgen offenbar Hygieneregeln: Ochsenfroschkaulquappen gehen, so Curtis, Artgenossen mit Candida-Pilzbefall aus dem Weg. Renken können den Parasit Pseudomonas fluorescens erkennen und meiden. So wie fast alle Säugetiere und Vögel, putzen sich Fledermäuse, um sich von Parasiten zu befreien. Das Schimpfwort Nestbeschmutzer ist nicht nur eine Metapher. Kein Vogel beschmutzt sein Nest. Selbst an verführerisch kalten Tagen kackt er draußen, etwa im Überflug auf einen Menschenkopf. Auch Waschbären, Dachse oder Lemuren wissen, wie die Sache läuft, und haben bestimmte »Latrinenplätze«. Bei Schimpansen lässt sich nach dem Kopulieren manchmal sogar so etwas wie Penispflege beobachten. Als Idee zumindest nett, wenn sich auch nicht alle sexuell übertragbaren Krankheiten so vermeiden lassen.

Krankheitsvorbeugende Verhaltensweisen sind in der Natur genauso universell verbreitet wie Sex. Eigentlich sogar noch mehr. Selbst hirnlose Fadenwürmer, die Sex in jeder Form scheuen, können nachweislich krankheitserregende Bakterien erkennen und vermeiden. Das hat ihnen die leidenschaftslose Evolution gelehrt. Die Gene von Exemplaren, die sich nicht vor Krankheiten schützen konnten, sind ausgestorben. Wer dagegen eine gute Hygiene betrieb, überlebte, vermehrte sich und fraß seine toten Brüder. Nein, die wurden begraben.

In der Fachsprache meint Hygiene ein krankheitsverhütendes Verhalten. Beim Menschen bedeutet dies Händewaschen, die Hand oder die Ellenbeuge beim Husten und Niesen vor den Mund zu halten, offene Wunden abzudecken und den Stuhlgang vorschriftsmäßig zu erledigen. Solche gesundheitsfördernden Urinstinkte können aber zugleich zu Diskriminierung beitragen. Selbst heute noch, so Curtis, können etwa Humpeln, leichte Asymmetrien oder ungewöhnliche Größenmaße Abscheu hervorrufen, weil sie unseren evolutionsgeschichtlichen Selbstschutz vor Ansteckung aktivieren.

So konnten in früheren Zeiten Schwellungen bei Menschen etwa auf Filariose hinweisen, eine durch Mücken übertragbare Wurmerkrankung, die Körperteile anschwellen und die Haut verdicken ließ. Sie waren also ein Gefahrenhinweis. Bis heute können solche Instinkte in Abscheugefühlen zum Ausdruck kommen und so definieren, was als normal gilt. Während die evolutionsgeschichtlichen Hinweise meist bedeutungslos geworden sind, bekommen Menschen, die zu stark von der normalen Bandbreite abweichen, anders aussehen, riechen oder klingen, die gesellschaftlichen Folgen weiterhin zu spüren.

Obwohl bei den Todesursachen die Infektionskrankheiten längst von den chronischen Erkrankungen überholt wurden, fürchtet sich unser Gehirn noch immer unverhältnismäßig stark vor einer Ansteckung. Und wenn zu dem Ekel vor uns selbst und anderen noch Weiteres hinzukommt, das mit Krankheit nichts zu tun hat, können wir die echten Gefahren leicht aus dem Blick verlieren. Hinter manchen heutigen Hautpflegemethoden verbirgt sich wohl auch der Antrieb, keinen Ekel erregen zu wollen, selbst wenn sie auf weit mehr abzielen, als dass wir nicht blut- oder kotbeschmiert herumlaufen.

In den wohlhabenden Ländern, so Curtis, orientiert sich die große Mehrheit bei der Körperpflege an einer abstrakten Vorstellung von Reinheit. Doch »rein« habe, anders als Hygiene, nicht nur mit Krankheitsvorbeugung zu tun.

»Die meisten Leute kaufen Körperpflegeprodukte nicht aus vernünftigen Gesundheitsgründen«, sagte sie. »Sie wollen gut aussehen, Akne, Ekzeme und Falten loswerden und angenehm duften.«

Dass der Mensch nach Schönheit und Wohlgeruch strebt, hat natürlich sehr komplexe Gründe. Manche werden durch kulturelle Normen und Erwartungen zu Verhaltensweisen gedrängt, die sie im Grunde gern aufgeben würden. Es hängt von unserer beruflichen und sozialen Stellung ab, ob wir glauben, es uns leisten zu können, ästhetischen Normen nicht zu entsprechen. Besonders bei Frauen hat die Körperpflege nachweislich Auswirkungen auf das Gehalt sowie insgesamt auf das Körperselbstbild. Hinzu kommt, dass das Pflegeritual Spaß macht, weil man sich täglich ein wenig Zeit für sich nimmt.

Schönheit kann auch Selbstzweck sein. Eigentlich haben mir viele vertrauenswürdige Menschen aus dem Literaturbetrieb davon abgeraten, in diesem Buch Charles Darwin zu erwähnen, das sei ein peinliches Klischee. Also spreche ich wohl besser von einem nebulösen Finkenliebhaber des 19. Jahrhunderts. Obwohl der Mann tugendhaft und häuslich war und in einem Zeitalter der sexuellen Unterdrückung lebte, war seine Ästhetik der sexuellen Auslese radikal. Schönheit sei evolutionär bedingt, sie bereite dem Menschen Lust, und Lust sei ein Selbstzweck. Es gehe bei Schönheit nicht nur darum, Fortpflanzungspartner anzulocken. Wir Tiere würden nämlich alles lieben, was uns ein gutes Gefühl gebe, selbst wenn das unserem langfristigen Überleben entgegenstehe – wie etwa die Paarung mit schönen Tieren, die uns nicht guttun, sich als schlechte Versorger herausstellen oder selbst nicht überleben.

Der deutlich biederere Alfred Russel Wallace, »Mitentdecker« der Evolutionstheorie, widersprach Darwin in diesem Punkt: Schönheit sei das Ergebnis von Anpassung und diene dem Überleben der Art. Seine Ansicht setzte sich über Generationen in den Lehrbüchern durch. Viele Theorien zur natürlichen Selektion bezogen sich fast ausschließlich darauf, wie Männer eine paarungswillige Frau gewinnen und Frauen eine attraktive Partnerin sein können. Dass Frauen autonome Wesen mit eigenständiger sexueller Lust und Absicht sind, kam nicht einmal theoretisch als Möglichkeit vor.

Der Evolutionsornithologe Richard Prum von der Yale University widmet schon sein ganzes Berufsleben der Wiederbelebung der verschütteten Theorie von Schönheit als intrinsischem Gut. »Schönheit passiert«, so seine Theorie, und habe sich wie jeder andere evolutionäre Prozess zufällig entwickelt. Demnach setzten sich Farben, Gesänge, die Größe, Form oder Textur eines Körpers durch, weil sie Lust erzeugen und sich als soziale und genetische Präferenz verbreiten konnten. Männliche Tiere seien nicht größer und aggressiver als weibliche, weil sie paarungswillige Konkurrenten körperlich ausstechen müssten, sondern weil Weibchen größere, kräftigere Männchen bevorzugten. Einfach weil sie sie schöner fanden.

Prum zeigt am Beispiel des Orgasmus, dass die Fähigkeit, Lust zu schenken, auch beim Überleben von Vorteil sein kann: Weibchen, die mehr Spaß am Paarungsvorgang haben, bekommen vermutlich mehr Nachwuchs. Und Männchen, die ihnen diese Lust besser verschaffen können, wahrscheinlich öfter Gelegenheit dazu. Wissenschaftliche Zeitschriften lehnten Prums Artikel zunächst ab, doch langsam freundet sich die Wissenschaftswelt mit der Vorstellung an, dass Schönheit ein Wert an sich ist, auch wenn sie nicht unbedingt stärker, gesünder oder zeugungsfähiger macht.

Auch wenn die Biologie eine Weile gebraucht hat, bis sie damit warm wurde, die Schriftstellerin Toni Morrison hat es schon immer gewusst. In einem Interview von 1993 für den Paris Review sagte sie: »Man kann die Schönheit nicht ausblenden. Sie ist kein Privileg oder ein Luxus. Eigentlich muss man sich nicht einmal darum bemühen. Man kann sie fast mit dem menschlichen Streben nach Wissen vergleichen, der Mensch ist dafür gemacht.«

***

Die längste Zeit der Menschheitsgeschichte hatte Körperpflege eher mit Spiritualität und Ritus zu tun als mit heutigen Gesundheits- oder Schönheitsvorstellungen. So schlugen die Azteken im 15. Jahrhundert riesige Wasserbecken für Reinigungsriten in den Bergfels. Wenn die Babys von den Hebammen gewaschen wurden, riefen sie die Wassergottheit Chalchiuhtlicue an:

Komme zu deiner Mutter Chalchiuhtlicue … Möge sie dich empfangen! Möge sie dich waschen! Möge sie allen Schmutz, der von deiner Mutter, deinem Vater auf dich gekommen ist, von dir nehmen und fortwerfen! Möge sie dein Herz reinigen! Möge sie es edel und gut machen! Möge sie dein Verhalten edel und gut machen!

Bei den Azteken wurden selbst die Sklav*innen, die man zur Opferung vorbereitete, mit heiligem Wasser gereinigt. Im alten Ägypten kleidete man die Toten wie Gottheiten und wusch sie nach einem bestimmten Ritual, damit sie leichter ins Jenseits gelangten.

Für den griechischen Arzt Hippokrates, auf den die Ärzte und Ärztinnen noch heute ihren Eid ablegen, war das Bad schon eher eine gesundheitsfördernde Maßnahme. Aber nie hätte er daran gedacht, Bakterien abzuwaschen. Bei der Vorstellung wäre er wie vom Blitz getroffen umgefallen. Er dachte eher an einen Wechsel aus kalten und heißen Bädern, um die Stimmungen auszugleichen. Bei Erkrankungen wie Kopfschmerzen und Harnverhalt hielt man damals warme Bäder für hilfreich, bei Gelenkschmerzen verschrieb man lieber kalte. Bäder waren in erster Linie dazu da, sich den Elementen auszusetzen, nicht so sehr, um bestimmte Krankheitserreger auszumerzen.

Ihren Höhepunkt fanden solche Vorstellungen in den berühmten Bädern des antiken Rom. In den öffentlichen Thermen trafen sich Bürger*innen aller Klassen zum Baden und geselligen Zeitvertreib. Oft befanden sich dort Sportanlagen unter freiem Himmel, umgeben von Räumen mit heißen (caldarium), lauwarmen (tepidarium) und kalten Bädern (frigidarium). In manchen Thermen gab es zudem Spieleräume, Bibliotheken, Speisen- und Getränkeverkäufer*innen und Prostituierte.

Manchmal rieben sich die alten Römer*innen mit Öl ein oder schabten Schmutz und Dreck mit einer Art Sichel ab. Doch wenn die Bäder einen hygienischen Nutzen hatten, dann höchstens zufällig. Die Wasserbecken waren alles andere als keimfrei. Wie zeitgenössische Berichte vermuten lassen, kam das Wasser aus öffentlichen Tiertränken. Gesunde und Kranke badeten zudem dicht an dicht. So empfahl der Philosoph Celsus bei unzähligen Beschwerden, etwa Darmentzündungen, kleinen Pusteln oder Durchfall, ein Bad zu nehmen. Da es keine Chloranlagen oder Umwälzpumpen gab, muss man davon ausgehen, dass auf dem Wasser ein schaumiger Schlier aus Dreck, Schweiß und Fett trieb.

Die Kombination aus Müßiggang und Nacktheit machte die Thermen zur Zielscheibe damaliger Kulturkämpfe. Dass sich die dekadenten Anlagen in seiner Heimatstadt verbreiteten, hielt der Philosoph Seneca für ein Zeichen des moralischen Niedergangs. Die christliche Frühkirche riet ebenso vom Baden ab.

Im Gegensatz dazu unterstrich die jüdische Gesetzgebung um die Zeit Jesu die Bedeutung körperlicher Reinheit durch den Erlass von Ernährungs- und Hygienevorschriften. Gemäß der Vorschriften musste man sich vor und nach dem Essen die Hände und vor dem Betreten des Tempels Hände und Füße waschen. Das Sprichwort »Cleanliness is next to godliness« (Reinlichkeit kommt gleich nach Frömmigkeit) leitet sich angeblich von einem Rabbinerausspruch ab, nach dem körperliche Reinheit die Voraussetzung spiritueller Reinheit sei.

Doch die Frühchrist*innen wandten sich gegen eine Moral aus Vorschriften und Verboten und ließen von den strengen jüdischen Regeln zu Lebensmitteln, Beschneidung und Sabbatgebot ab. Ihr Messias war in puncto ritueller Reinigung eher ein Minimalist. Die Maler*innen befreiten Jesus später von Schmutz und Filz, er selbst aber machte sich wie viele, die eine treue Gefolgschaft haben, ausdrücklich keine Gedanken um seine Schönheit. Laut Matthäus schalt er, wem religiöse Rituale wichtiger waren als innere Reinheit. »Reinige zum Ersten, was inwendig im Becher ist, auf dass auch das Auswendige rein werde!« Und an anderer Stelle im Neuen Testament heißt es, die Pharisäer seien schockiert gewesen, weil Jesus und seine Jünger Brot aßen, ohne sich zuvor die Hände zu waschen. Im 4. Jahrhundert schrieb schließlich Hieronymus, wer in Christus gebadet sei, müsse sich nicht waschen.

Unter den Weltreligionen ist das Christentum, das außer der symbolischen Taufe keine Wasch- oder Körperpflegevorschriften kennt, eher ein Außenseiter. Der Islam schreibt fünfmal täglich rituelle Waschungen vor dem Gebet vor. Wegen des hohen Wasserbedarfs an den Moscheen entwickelten die arabischen Städte daher im Gegensatz zu Europa raffinierte Wasserversorgungssysteme. Ein Muslim, der in den 920er-Jahren die Wolga bereiste, schrieb über die Wikinger: »Es sind die verdrecktesten Geschöpfe Allahs, sie waschen sich nicht nach dem Kacken und Pinkeln, nicht nach dem Geschlechtsverkehr oder dem Essen. Sie verhalten sich wie ungeratene Affen.«

Der Hinduismus kennt ebenfalls verbindliche Körperpflegerituale. Schon Jahrhunderte vor der westlichen Keimtheorie mahnte er, nach dem Toilettengang die Hände zu waschen. Nur die linke Hand war dafür erlaubt, die rechte ausschließlich fürs Essen. Als der Italiener Marco Polo im 13. Jahrhundert Indien bereiste, war er überrascht, wie pingelig die Leute beim Trinken waren. Jeder habe seine eigene Wasserflasche, staunte er, »niemand würde aus einer fremden Flasche trinken. Auch setzt keiner die Flasche an die Lippen.« Und noch verwunderlicher: Die Inder*innen badeten regelmäßig.

Auch in China vermerkte Marco Polo fasziniert: »Jeder nimmt mindestens dreimal in der Woche ein heißes Bad, und wenn er kann, im Winter sogar täglich. Wer etwas gilt oder wohlhabend ist, hat ein eigenes Bad im Haus.« Nicht so er selbst in Venedig. Als das alte Rom von den Völkern, die man später Barbaren taufte, unterworfen worden war, waren viele Aquädukte und Thermen zerstört worden. Die fehlende Infrastruktur und die Skepsis des Christentums gegenüber der Körperpflege machten das Mittelalter, wie man später sagte, zu »eintausend Jahren ohne Bad«.

Mitte des 14. Jahrhunderts spitzte sich die Lage zu. Die Europäer*innen litten plötzlich an schwarzen, eiternden Beulen, die, wie Giovanni Boccaccio im Dekameron schreibt, groß waren wie Eier oder Äpfel. Drei Tage nach den ersten Beulen starb der oder die Betroffene. Als »der schwarze Tod« in Boccaccios Heimatstadt Florenz wütete, sah er, wie Mütter die eigenen Kinder aussetzten, dem Leichengeruch sei nicht zu entkommen. Trotz der Gebete und Prozessionen breitete sich die Krankheit unkontrolliert aus. Innerhalb von drei Jahren war ein Drittel der europäischen Bevölkerung tot.

Die Beulen waren geschwollene, von Immunzellen überschwemmte Lymphknoten. Durch die Pestbakterien lief die Immunabwehr aus dem Ruder. Doch das wusste man erst fünfhundert Jahre später. Die Christ*innen beschuldigten also die Juden und Jüdinnen, Gift in den Städten zu versprühen. Vor die Wahl gestellt, lebendig verbrannt oder christlich getauft zu werden, gestanden manche jüdischen Gefangenen ihre Schuld und wurden von ihren angeblichen Sünden freigesprochen. Manchen half selbst das nicht.

Eine etwas gelehrtere Erklärung sah den Stand der Gestirne als Ursache des Problems. Laut einem Bericht der medizinischen Fakultät der Pariser Universität von 1348 starben die Menschen, weil Saturn und Jupiter unglückseligerweise mit Mars, »einem bösen Planeten, der Zorn und Kriege begünstigt«, in einer Reihe standen. Da der Mars rückläufig gewesen sei, hätte »er viele Dämpfe von der Erde und den Meeren angezogen, die sich mit Luft vermischten und deren Substanz beschädigten«.

Die angeblich krank machenden Dämpfe nannte man Miasma, im Fall der Pest Pesthauch. Auch wenn das ähnlich klingt wie unsere moderne Vorstellung von einer Ansteckung über die Luft, ging es beim Pesthauch um eine spirituelle Ansteckung. Die Pariser Ärzte warnten, dass »heiße, feuchte Körper für die Pestilenz am anfälligsten« seien, ebenso wie Körper »voll schlechter Stimmungen, weil unverbrauchte Abfallprodukte nicht richtig ausgestoßen« würden, oder Menschen »mit einem schlechten Lebensstil, zu viel körperlicher Ertüchtigung, Sex und Baden«. Die Vermeidung der furchtbaren Sünden garantierte zwar keine Gesundheit, versetzte aber die Bevölkerung garantiert in Panik: »Wer einen trockenen Körper hat, von Abfallprodukten geläutert ist, umsichtig Maß hält, wird der Seuche langsamer erliegen.«

Die Furcht vor heißem Wasser verbesserte die ohnehin entsetzliche hygienische Situation nicht gerade. Als man in Avignon keinen Platz mehr fand, um die Toten zu begraben, erklärte der Priester den Fluss kurzum zur geheiligten Erde. Reinen Gewissens hievten die Familien ihre Toten in die Rhône, doch die Gewässer waren weniger rein. Alle Menschen hatten Flöhe, die die Pestbakterien übertrugen, und bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts trat die Krankheit fast jedes Jahr irgendwo in Europa wieder auf. Die Badeanstalten schloss man von offizieller Seite aus Sorge vor Krankheitsübertragung. Panik und das mangelnde Wissen über das Pestbakterium, so die Journalistin Katherine Ashenburg, machten das 16. und 17. Jahrhundert zu den wohl schmutzigsten in der europäischen Geschichte.

Die vielen Todesfälle in den Städten ließen das Leben dort wenig verlockend erscheinen. Auf dem Land war es sicherer, dort gab es auch mehr Arbeit. Das änderte sich erst mit der industriellen Revolution. Bis ins 19. Jahrhundert lebten in den Städten jeweils nur wenige Hunderttausend Menschen. Es gab keine Hochhäuser oder Fabriken und folglich auch keine beständige Dunstglocke wie heute über Los Angeles, Hongkong oder Delhi.

In London wohnten erstmals 1801 über eine Million Menschen. Im Jahr 1850 waren es schon zwei Millionen, und weil die Menschen überall in die Städte strömten, bald ebenso in Paris und New York. Die Infrastruktur hielt mit dem Bevölkerungszuwachs allerdings nicht Schritt. Plötzlich war die Umwelt sichtbar dreckig. Die noch unasphaltierten Straßen waren im Sommer staubig, das restliche Jahr über matschig, immer voller Pferdeäpfel, und die Kohleöfen verpesteten die Luft. Die Gassen glichen Jauchegruben, die Brunnen waren vermüllt. Die ansteckenden Krankheiten, die sich unter diesen Bedingungen ausbreiteten, veränderten die Welt und ließen das öffentliche Gesundheitssystem entstehen.

Als in den europäischen Arbeiterbehausungen der 1840er-Jahre die Typhusepidemien grassierten, fiel dem deutschen Arzt Rudolf Virchow der Zusammenhang zwischen Lebensbedingungen und Krankheit auf. Seine Arbeit, die noch immer von der Miasma-Theorie geprägt war, brachte den amerikanischen Ärzteverband dazu, die Bedingungen in den USA zu untersuchen und schließlich 1847 Toilettenbelüftungen zu fordern, damit sich krankheitserregende Dämpfe verflüchtigen könnten.

Die These von der schlechten Luft wurde erstmals infrage gestellt, als der Arzt John Snow 1854 einen Cholera-Ausbruch in London zu einem Brunnen zurückverfolgen konnte. Mithilfe detaillierter Karten und der Befragung von Erkrankten versuchte er, gemeinsamen Gewohnheiten oder Aufenthaltsorten auf die Spur zu kommen. Die Methode, die Sherlock Holmes vorwegnahm, erwies sich als so bedeutsam, dass daraus schließlich die moderne Epidemiologie entstand. Doch Snow erkannte nicht den genauen Zusammenhang zwischen dem Wasser und der Krankheit. Ernst genommen wurde er auch nicht.

Dass das Wasser durch Organismen aus der menschlichen Fäkaliengrube direkt neben dem Brunnen verseucht war, lief damals nicht nur den gängigen Überzeugungen zuwider, sondern hätte auch erhebliche politische Folgen gehabt. In der gesamten Stadt hätte man menschliche Abfallprodukte und Trinkwasser trennen müssen. Die Londoner Regierung hielt Snows Entdeckung für reinen Zufall, für einen Zusammenhang gebe es keine Beweise. Erst als der deutsche Arzt Robert Koch 1883 Cholerabakterien unter dem Mikroskop sah, wurde Snow rehabilitiert, zwei Jahrzehnte nach seinem Tod. Diese Entdeckung, die epidemiologischen Hinweise aus dem Londoner Brunnen und spätere Beobachtungen erhärteten für Koch die Vermutung, dass das verseuchte Wasser die Ursache war. Und wenn die »Keime« unbemerkt in unser Trinkwasser kriechen und uns töten konnten, konnten sie wohl genauso gut für viele andere Krankheiten, Leiden und Temperamente verantwortlich sein.

Während die Gefahr von Infektionskrankheiten durch Verstädterung und rasches Bevölkerungswachstum zunahm, drang die neue »Keimtheorie« langsam ins öffentliche Bewusstsein. Um die Jahrhundertwende gehörten die Bekämpfung und Vorbeugung von Infektionskrankheiten schließlich zur Städteplanung. Diese »Hygiene-Revolution« war im Grunde das Resultat ihres industriellen Vorläufers. Um die erforderlichen Sanitär- und Hygienemaßnahmen durchzusetzen, baute man in Europa und den USA ein öffentliches Gesundheitswesen auf. Statt wie bisher die Keimtheorie zu leugnen, ging die Politik nun schleunigst dazu über, in präventive Infrastrukturmaßnahmen zu investieren. Im Fokus standen keimfreies Trinkwasser, Abwasserkanäle und die Volkserziehung zum Händewaschen nach dem Toilettengang, so wie es die Menschen in der übrigen Welt seit Jahrtausenden taten. Man hatte es bislang einfach hingenommen, dass die Bevölkerung ganzer Stadtviertel oder Städte plötzlich dahinschwand. Die Erkenntnis, dass sich das verhindern ließ, war revolutionär.

Damit rückte auch die Körperpflege ins Zentrum des öffentlichen Bewusstseins. Wie sauber jemand war, sagte nun etwas über sein Gefahrenpotenzial. Wer ungepflegt war, konnte sich das Waschen offenbar nicht leisten und nutzte den Graben in der Gasse vor dem Mietshaus als Toilette. Womöglich übertrug er oder sie auch Krankheiten. Wer gepflegt war, sauber gekleidet, sorgfältig gekämmt und mit frisch gewaschenem Gesicht, signalisierte Sicherheit. Obwohl ein gepflegtes Äußeres kein Garant dafür war, dass jemand sich die Hände wusch und keine Flöhe hatte – die gefürchtetsten Krankheitsüberträger –, gingen äußeres Erscheinungsbild und Hygiene nun Hand in Hand.

Sauberkeit und Schmutz wurden nun konkret mit Gesundheit beziehungsweise Tod assoziiert, und die dazu passenden polarisierenden Konnotationen verbreiteten sich zusehends. Doch ein saubereres Erscheinungsbild erforderte Zeit und Geld. Sichtbare Körperpflege wurde zum Statussymbol, und mehr galt oft als besser. Es reichte nun nicht mehr, nicht ekelerregend auszusehen oder zu riechen, man musste duften. Ein sauberes Äußeres wurde zur Voraussetzung für bestimmte Berufe und soziale Kreise. Die Arbeiterklasse galt als ungewaschen, und der soziale Aufstieg konnte nur dann gelingen, wenn man sich trotz Latrine vorm Haus passend für eine Arbeit fern der Latrinen kleiden konnte.

Die Mittel- und Oberklasse in Manhattan begann Anfang des 20. Jahrhunderts, sich im eigenen Schlafzimmer zu waschen. Selbst in ärmlichen Mietshäusern stellten die Familien samstags den Badebottich in die Küche, füllten ihn mit Wasser und wuschen ihre Kinder. Eimerweise trugen sie das Wasser über endlose Treppen und Flure nach oben und erhitzten es auf dem Holzofen. Ein »sauberes« Aussehen war – und ist es für einige bis heute – diese Mühen wert.

Die neuen Hygienevorstellungen wurden explizit als Werkzeug gesellschaftlicher Reformen eingesetzt. Aus den ersten Anstrengungen, sexuell übertragbare Krankheiten einzudämmen, entwickelte sich die Bewegung der »Sozialhygiene«. Im Ersten Weltkrieg versuchte man so, mit öffentlichen Aufklärungskampagnen der Syphilis Einhalt zu gebieten. Später wurden daraus Programme zur Sexualaufklärung im Klassenzimmer. Nun konnte man im Namen der Hygiene und mit wissenschaftlicher Rechtfertigung Themen ansprechen, die vorher mit einem unüberbrückbaren Tabu belegt waren.

Doch die Hygiene rechtfertigte auf ähnliche Weise auch eine Katastrophe. Die neuen Wissenschaften der Genetik und Infektionskrankheiten verliehen den bereits länger eingeführten Begriffen der Ausrottung und Säuberung die legitimierende Patina. Als der deutsche Arzt Alfred Ploetz 1895 das Buch Rassenhygiene veröffentlichte, legte er damit den Grundstein für die Eugenik der nächsten Jahrzehnte und schließlich den Holocaust. Reinheit und Säuberung dienten als Schlachtruf für eine nationale Abschottung, die auf der Grundannahme beruhte, dass Homogenität gut, Diversität aber unnatürlich und gefährlich sei.

Die Angst vor der allgemein gering geschätzten Mikrobenwelt spielte dem destruktiven Gedankengut, vom expliziten Rassismus bis zu restriktiven Sexualnormen, in die Hände. Außerdem förderte sie den Seifenverkauf. Als fließendes Wasser und Badewanne im letzten Jahrhundert zum allgemeinen Standard der Arbeiterklasse wurden, etablierten sich die zahllosen Produkte, die heute ganze Drogeriemärkte füllen, langsam in unserem Alltag. Das Baden wurde Allgemeingut, und damit entwickelten sich ein riesiger Markt für Seife sowie ein regelrechter Rüstungswettlauf bei vielen anderen Reinigungsprodukten. Weil man arme Leute nun nicht mehr daran erkennen konnte, dass sie ungewaschen waren, mussten Wohlhabende jetzt noch sauberer sein. Nichts verkauft sich im Kapitalismus so gut wie Status. Und wenn wenig schon gut war, konnte mehr nur besser sein.

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