Kitabı oku: «Kālī Kaula», sayfa 14

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Deshalb, o König, wisse dies, dass dieses ganze Universum unter der Kontrolle von der Yoga Māyā ist: Die Devas, Menschen, Vögel, was auch immer sonst, von Brahmā bis hinunter zu einem Grashalm, sind alle unter der Kontrolle von Yoga Māyā. Brahmā, Viṣṇu und Hara sind alle durch das Seil ihrer Māyā gebunden. So können sie durch Ihre Māyā leicht von Schoß zu Schoß wandeln wie eine Spinne. (DB 5,1)

Es gibt mehrere unterschiedliche Bewegungen unter den Śāktas, aber die meisten von ihnen erklären eine Göttin oder eine Gruppe von Göttinnen zum Tor zur Erfahrung des Brahman. Die extremeren Gruppen erklären sogar, dass Brahman ein Ausdruck von Śakti ist, und lehren, dass die Polarität von Śiva/Śakti in Wirklichkeit eine Einheit ist, welche Śakti ist. Man sollte meinen, dass solche Verehrer stets eine hohe Meinung von Frauen haben, aber das ist leider nicht immer der Fall. Es ist eine Sache, eine Göttin zu verehren, und eine andere, die kleine Hausfrau gut zu behandeln. Selbst das massivste Werk der Śākta-Ideologie, das DBh (1, 5), enthält eine böse kleine Episode, in der die Göttin Lakṣmī erklärt, dass die natürlichen Qualitäten der Frauen Falschheit, Unverschämtheit, Listigkeit, Dummheit, Ungeduld, übermäßige Gier, Unreinheit und Härte sind. Ganz im Gegensatz zu hunderten von Seiten, die die absolute Überlegenheit der Göttinnen feiern! Sexismus ist auch im allerletzten Kapitel des Werkes zu beobachten (DBh 12, 16), wo wir erfahren, dass zu Navarātrī (dem mehrtägigen Durgā-Fest) alle dieses Buch lesen können, egal welche Klasse oder welche Göttin man als persönliche Gottheit verehrt. Aber: Niemals soll eine Frau oder ein Śūdra dies selbst lesen, nicht einmal aus Unwissenheit, sondern sie sollen es aus dem Mund eines Brahmanen hören. Sehr bedenklich, vor allem, weil der Brahmane alles weglässt, was ihm nicht gefällt und für den Job bezahlt werden will. Ein Śākta zu sein, bedeutet also, dass eine Göttin verehrt wird, aber das impliziert nicht immer, dass Frauen wirklich Rechte haben. Die Existenz mächtiger Göttinnen sagt nichts über die Freiheit lebender Frauen. Denk nur an das antike Griechenland. Athena, die Göttin des Krieges, der Handwerke und der Weisheit (eine schwierige Mischung) wurde von vielen respektablen Männern verehrt. Die ganze Stadt Athen war ihr geweiht. Trotzdem hatten die Frauen von Athen kaum nennenswerte Rechte. Sie durften das Haus nicht ohne männliche Begleitung verlassen, sie mussten in der Öffentlichkeit dichte Schleier tragen, konnten kein Eigentum haben und wurden allgemein mit Geringschätzung behandelt. Die meisten von ihnen wuchsen ohne Bildung auf, und der einzige Respekt, den sie erhielten, war der für Fruchtbarkeit. Die einzigen Frauen, die in der klassischen griechischen Gesellschaft in Ehren gehalten wurden, waren die bessere Art von Prostituierten, die oft in den Künsten bewandert waren, gelehrt in Literatur und fähig zu gehobenen Gesprächen über Themen aller Art. Die respektable griechische Hausfrau hatte weniger Rechte als die meisten Frauen in der antiken Welt. Warum sind eigentlich so viele Menschen der Meinung, die Griechen hätten die Grundlagen der europäischen Kultur entwickelt? Germanische und keltische Frauen hatten es jedenfalls besser. Nur ein paar hundert Kilometer entfernt, im alten Rom dagegen, wo Athena als Minerva verehrt wurde, besaßen Frauen Eigentum, machten Geschäfte und übten Berufe aus, gingen, wohin sie wollten, verehrten jeden Gott ihrer Wahl, und konnten sich von ihren Männern scheiden lassen, wenn sie wollten. Manche reiche Frau machte sich einen Spaß daraus, jedes Jahr neu zu heiraten. Solche Gebräuche waren den frühen Christen zutiefst zuwider; ein Grund mehr, warum christliche Geschichtsschreiber die römische Gesellschaft als ‚dekadent‘ verdammten. Wenn wir also an die Śāktas denken, sollten wir im Sinne behalten, dass dies ein allgemeiner Begriff für einen großen Bereich von religiösen Ansichten ist, die im gesellschaftlichen Leben ausgesprochen unterschiedlich ausgelegt wurden. Einige von ihnen haben die Idee akzeptiert, dass Frauen eine Göttin verkörpern, und manche – ich hoffe viele – der Verehrer bemühen sich sicherlich darum, nach dieser Lehre zu leben. Eine Religion ist jedoch nicht dasselbe wie ein System der Selbstentwicklung. Viele Śāktas stellen sich einfach ihren Gott in weiblicher Form vor, ohne den Versuch zu machen, irgendetwas bezüglich der gesellschaftlichen Stellung der Frauen zu unternehmen. Aus Vater Gott wurde Mutter Gott, aber beide blieben meist distanzierte, überlegene Autoritätsfiguren.

Nur in den Bewegungen des linkshändigen Pfades, wie Kula, Kaula, Krama oder dem Yogīnī Kula sowie einigen kleineren Schulen des tantrischen Buddhismus versucht man etwas für die Rechte der Frauen zu tun. Einige wichtige Quellentexte bestehen ausdrücklich auf den Rechten der Frauen. Der KN erklärt, dass die Kaula-Anhänger niemals grob zu Mädchen oder Frauen reden sollen. Er rät auch dazu, Mädchen und Frauen so zu verehren, als seien sie Śakti. Dieselbe Einstellung ist in mehreren Kaula-Texten zu finden.

Man soll Ehrerbietung zeigen, wenn man eine junge Frau einer Kaula-Familie sieht. Man soll sich vor jeder Frau verbeugen, sei sie ein junges Mädchen oder von Jugend erfüllt oder sei sie alt, sei sie schön oder hässlich, gut oder boshaft. Man soll sie niemals gering schätzen, schlecht über sie reden oder einer Frau Schlechtes antun und man soll sie niemals schlagen. All solche Taten verhindern die Erlangung von Siddhi (magischer Kraft).

(Kaulāvali Tantra)

Der Mantra Mahodhadhiḥ besagt:

Der Anhänger von Kālī soll es unterlassen, Frauen zu töten oder zu schlagen oder sich ihnen gegenüber schlecht zu benehmen oder sich in unerfreuliche Dialoge mit ihnen einzulassen, wenn er sein Wohl begehrt.

Ebenso enthält das Mahānirvāṇa Tantra mehrere Kapitel, in denen Śiva die Könige über Gesetzesangelegenheiten berät. Diese juristischen Kapitel, die voll von dumpfster Mittelklasse-Moral sind, enthalten allerdings auch ganz klare Anweisungen über den Schutz der Frauen. Männer, die Inzest begehen oder eine Brahmanenfrau verführen, sind zu kastrieren, und ein Mann, der eine Frau vergewaltigt, selbst wenn sie die Frau eines Caṇḍāla (= tiefste soziale Klasse) ist, soll mit dem Tode bestraft und niemals begnadigt werden.

Śivas Gesetze über Ehebruch sind sehr streng und bestrafen den Mann generell härter als die Frau. Das mag daran liegen, dass im alten Indien eine Frau, die ihren Ruf verloren hatte, auch ihren Mann, ihr Zuhause, ihren Status, ihre Kinder und oft ihr Leben verlor. Was für ein Preis für ein bisschen Spaß! Unter den Kaulas war es ein großes Vergehen, eine Frau zu verletzen, und aus diesem Grund favorisieren manche Kaula Tantras eine monogame Lebensweise und verlangen, dass ihre Anhänger ausschließlich mit ihren Ehepartnern praktizieren sollen. Seitensprünge konnten einfach zu schlimme Folgen haben. Ich sollte hinzufügen, dass es im alten Indien mehrere Formen und Arten der Hochzeit gab, die vom sehr seriösen und traditionellen Ritual, an dem beide Familienclans teilnahmen, bis hin zu formellen Riten reichten, die von Verliebten durchgeführt wurden, die von ihren Familien weggelaufen waren (und wer könnte ihnen daraus einen Vorwurf machen?). Unter manchen Tantrikern gab es auch temporäre Hochzeiten, die solange gültig waren, bis die Partner sich trennen wollten, die Frau ihre Tage gehabt hat und sicher war, dass kein Kind unterwegs war.

Manche Vaiṣṇava-Tantriker stimmen mit dieser Ansicht nicht überein. Da ihre Lieblingsinkarnation von Viṣṇu, der schwarze, Flöte spielende Gott Kṛṣṇa, seiner Gefährtin Rādhā nicht besonders treu ist und viel Zeit damit verbringt, mit den Rinderhirtinnen auf dem Land zu flirten und sie zu lieben, betrachten die Anhänger mancher Vaiṣṇava-Kulte Ehebruch als eine Form von Verehrung und versuchen ihre Gottheit zu imitieren, indem sie dasselbe taten. Auch die blendend schöne Rādhā hatte ihren Teil an diesem Spiel: immerhin ist sie eine Kuhhirtin, die ihren ungeliebten Ehemann täuschen musste, um sich am Waldrand mit Kṛṣṇa zu treffen. Unser göttliches Paar repräsentiert also eine Liebesbeziehung, die sich gegen die gesellschaftlichen Gebote wendet. Das ist eine für Vaiṣṇavas ausgesprochen unübliche Einstellung und wirft erstaunliche Fragen auf. Doch wie dem auch sei, die meisten Vaiṣṇava-Tantriker wandten sich ritualisiertem Ehebruch mit Entsetzen ab.

Das Thema des Ehebruchs ist eins der rätselhaftesten in der tantrischen Literatur. Viele Tantras erklären, dass der Verehrer Verkehr mit der Parāśakti haben soll. Nun hat ‘Parā’ zwei Bedeutungen. Es kann das Höchste, Extremste oder Ultimative bedeuten, wobei in diesem Fall die Parāśakti die absolute Göttin ist, die höchste Wirklichkeit, die Śiva (Bewusstsein) und Śakti (Form/Energie) sowie alles andere erzeugt. Diese höchste Śakti ist kein menschliches Wesen, auch wenn sie sich natürlich in uns und absolut allem manifestiert. Zunächst einmal kann die Vereinigung mit der Parāśakti eine komplett mentale, meditative Angelegenheit sein, bei der der Adept oder die Adeptin für sich allein weilt, das Denken und die Wahrnehmung nach Innen lenkt und dabei nach und nach alle Schleier von Form und Erfahrung ablegt, um den Urgrund jenseits von Form und Bewusstsein zu erreichen. Dieser Prozess wird auch als umgekehrte Vereinigung (Viparīta Maithuna) bezeichnet; Du wirst ihm später in der Hymne an Kālī wiederbegegnen. Wichtig hierbei ist, dass es sich um einen Prozess handelt, der immer weiter geht, und niemals ein Ende erreicht. Auf dieser Ebene hat die Parāśakti nichts mit Weiblichkeit zu tun; im Gegenteil, sowohl Śiva und Śakti, egal in welcher Form Du an sie denkst und wie Du sie erlebst, werden irgendwann transzendiert. Auf der wesentlich einfacheren Ebene der ‚heldenhaften‘ Verehrung haben wir es beim Thema Vereinigung oft mit Sex und/oder Besessenheit zu tun. Bei der Vorbereitung für das rituelle Liebesspiel kann die menschliche Partnerin mit der Paraśakti identifiziert werden; diese visionäre Identifikation wird in etlichen Tantras angedeutet, oder, wie im YT, auch detailliert beschrieben. Die Partnerin wird dabei als höchste Gottheit verehrt; das Bild der Gottheit überlagert den Körper der Partnerin und verschmilzt damit. Auch die Partnerin imaginiert sich in die Form und Bewusstheit der Parāśakti hinein: ganz offensichtlich wird für diese Transformation einiges an spiritueller Kompetenz, Hingabe und Übung vorausgesetzt. Für Anfänger sind solche Riten jedenfalls nicht gedacht. Wenn die höchste Śakti und die Partnerin zu einem werden, kommt es zu Besessenheit. Die andere Bedeutung von ‘Parā’ ist ‘des anderen’. Nach dieser Lesart ist die Parāśakti die Śakti (hier: Gattin, Partnerin oder Frau) eines anderen (Mannes). Ein Text, der erklärt, dass die Anhänger sich mit der höchsten Śakti vereinigen sollen, kann als ehebrecherische Vereinigung mit der Frau eines anderen Mannes gedeutet oder missverstanden werden. Die erste Interpretation wird oft von Adepten vertreten, die zweite ist in antitantrischer Propaganda üblich. Und jetzt wird es schwierig zu verallgemeinern. Es gibt Tāntriker, die alles symbolisch verstehen, während andere darauf bestehen, alles wörtlich zu nehmen. Daher kam es im Laufe der tantrischen Geschichte immer wieder dazu, dass Tantriker ganz gezielt nach Möglichkeiten zum rituellen Ehebruch suchten. Hierbei lag der Grund nicht darin, dass Frauen, die mit anderen verheiratet wären, besondere Vorzüge hätten. Es ging vielmehr um den Wunsch, soziale Gebote zu brechen. Einige etwas zwanghafte Kaula-Lehrer empfanden die Überschreitung jeglicher gesellschaftlichen Normen und Prinzipien als ein heiliges Gebot. Diese Leute waren einfach deshalb für Ehebruch, weil Zwangshochzeiten und unfreiwillige Treue eine überflüssige gesellschaftliche Norm darstellen, aber auch sie identifizierten die Partnerin mit der höchsten Śakti. Aber Ehebruch konnte auch andere Gründe haben. Schließlich sollten wir bedenken, dass viele Tantriker eine asketische Lebensweise ausübten, weite Reisen machten, und einen Teil ihres Lebens auf der Straße verbrachten. Manche von ihnen heirateten andere Asketen, aber andere waren arm, lebten hauptsächlich allein und hatten sehr wenig Gelegenheit, mit jemandem Liebe zu machen, außer mit verheirateten Frauen und Prostituierten. Einer der Gründe dafür, dass etliche Tantras Friseusen, Waschfrauen, Straßenreinigerinnen, Metzgerinnen, Fischhändlerinnen, Gerberinnen und Prostituierte lobpreisen, besteht darin, dass diese Unterklasse-Frauen leichter zu haben waren als Frauen der gehobenen Klassen.

In den Lehren des linkshändigen Pfades sind Geschlechtsunterschiede nicht immer von Bedeutung. Um Vimalānanda zu zitieren (Kommentare zum Karpūrādi Stotra, 1837 in Woodroffe 2001):

Er, der Śiva ist, ist auch Śakti, und Sie, die Śakti ist, ist auch Śiva. Vaterschaft und Mutterschaft sind nur dem Namen nach Unterschiede. In Wirklichkeit stehen sie für ein und dasselbe. Das Tantra Śāstra wiederum sagt, dass Śakti, Maheśvara, Brahman alle dasselbe bezeichnen. Männlich, weiblich, sächlich sind verbale und keine wirklichen Unterschiede … Wir können über Mahādevī als männlich oder weiblich meditieren, denn diese Begriffe können für jeden groben Körper angewendet werden.

Eine ähnliche Einstellung kommt im DBh 9, 1 zum Ausdruck:

… jene, die die bedeutendsten und höchsten der Yogīs sind, erkennen keinen Unterschied zwischen einem Mann und einer Frau. Alles ist Brahman.

Dasselbe kommt im tantrischen Buddhismus gelegentlich vor. Einer der bedeutendsten Gründungsväter des tibetischen Buddhismus, Padmasaṁbhava, soll gesagt haben:

Die Grundbedingung für die Erleuchtung ist der menschliche Körper. Männlich oder weiblich macht keinen großen Unterschied. Aber wenn der Geist sich der Erleuchtung zuwendet, ist ein weiblicher Körper besser.

Es ist kein Zufall, dass Padmasaṁbhava von initiierten Frauen lernte (Shaw, 1994 : 193), viele Schülerinnen hatte, mit seiner berühmteste Schülerin, der Prinzessin Tsogyal zusammenlebte und praktizierte, und sich zu meditativen Zwecken gerne in die Göttin Siṁhamukha (Löwenkopf) verwandelte. Letztere ist eine Verwandte von Kālī, die sowohl im hinduistischen wie buddhistischen Tantra populär ist.

Oder nimm diese höchst revolutionäre Erklärung, die der Göttin Tārā zugeschrieben wird:

Da es so etwas wie einen Mann oder eine Frau nicht gibt, ist die Bindung an ‘männlich’ oder ‘weiblich’ hohl. (Trimondi 1999 : 381, 373)

Wenn es um erstaunliches göttliches Verhalten geht, begegnen wir Göttern, die imstande sind, ihr Geschlecht nach Belieben zu wechseln. Jede männliche Gottheit hat eine weibliche Form, und auch für viele Göttinnen ist eine Transformation in einen männlichen Körper möglich. Meditationen, in denen sich Deine Lieblingsgottheiten ins andere Geschlecht verwandeln, sind ausgesprochen nützlich, denn sie zerstören konventionelles, vorurteilsbehaftetes Denken und befreien uns davor, die Welt und das Göttliche in primitiven Geschlechtsrollen einzusperren. Im tantrischen Hinduismus ist die Śakti-Form die aktive und kraftvolle, während die männliche normalerweise als passiv und friedvoll erfahren wird. Im tantrischen Buddhismus ist es genau umgekehrt: hier sind die Götter aktiv tätig, während die Göttinnen als passive Weisheitsgefährtinnen dabei sind. Wenn Śiva also weiblich wird, wird aus ihm Śaivī. Sie sieht ihm ziemlich ähnlich, ist nackt, ascheverschmiert, schlangengeschmückt und hält einen Dreizack, wenn auch möglicherweise in etwas graziöserer Weise. In einem gewissen Sinne ist Śaivī die Śakti von Śiva, also sein Ausdruck als Śakti, aber wir begegnen auch einer Anzahl von Göttinnen wie Durgā, Kālī, Gaurī oder Pārvatī, die als unabhängige Wesenheiten auftreten, als Śivas Śakti. Das hat historische Gründe: die Anhänger verschiedener Kulte und Gegenden wollten ihre Lieblingsgöttin mit einem der wichtigsten Hochgötter vermählen. Wenn also Śiva viele Frauen hat, bedeutet dass nicht, dass er einen Harem unterhält. Wir sollten diese Göttinnen auch nicht einfach als Aspekte von einander oder von einer bestimmten Göttin wegerklären, denn immerhin hat jede ihren eigenen religiösen und ethnischen Hintergrund. Bei solchen Göttinnen ist es nicht der Fall, dass sie Śiva in weiblicher Form darstellen. Erinnern wir uns:

In den indischen Religionen sind Götter keine klar definierten voneinander getrennten Wesen, sondern neigen dazu, ihre Erscheinung zu verändern und ineinander überzugehen, wenn ihnen (oder ihren Anhängern) danach ist. In der Mythologie sind Fälle von Geschlechtswechsel nicht selten. Im Cidambara Māhātyma gehen die Götter Śiva und Viṣṇu in den Kiefernwald, um die Asketen in Versuchung zu führen. Śiva nimmt die Form eines ungewöhnlich gutaussehenden jungen Bettlers an, während Viṣṇu als seine schöne Frau erscheint. Sie verführen erfolgreich alle jungen Asketen und deren Frauen, scheitern aber an einigen älteren Weisen, die sie mit magischen Waffen zu vernichten versuchen, die aus dem Opferfeuer hervorgehen. Aus den lodernden Flammen erscheinen Tiger, Reh, Axt, Mantra und Zwerg und greifen die Gottheiten an. Śiva unterwirft sie und nimmt sie als seine Attribute an. Dann tanzt er zum ersten Mal den weltzerstörenden, befreienden Tāṇḍava-Tanz.

Śiva erscheint auch in weiblicher Form. Mookerjee (1988) gibt eine Episode aus den Purāṇas (keine genaue Quellenangabe, sorry) wieder:

… König Īla kam bei der Jagd zu einem Hain, in dem Śiva Sex mit Pārvatī hatte und die Form einer Frau angenommen hatte, um ihr zu gefallen. Alles in den Wäldern, selbst die Bäume, waren weiblich geworden, und als er sich näherte, wurde König Īla in eine Frau verwandelt. Śiva lachte und sagte ihm, er könne ‘um jeden Segen bitten außer Männlichkeit.’

Es ist nicht anzunehmen, dass die Erfindung solcher Śaktis lediglich ein philosophisches Mittel war, um eine weibliche Form eines normalerweise männlichen Gottes zu erzeugen. Manche Texte, wie das MNT (5, 56) schließen solche Śaktis in die tägliche Ritualroutine ein. Am Morgen meditiert unser/e Verehrer/in über Brahmī, die eine rötliche Jungfrau ist, gekleidet in ein schwarzes Antilopenfell, geschmückt mit einer kristallenen Mālā (Gebetskette), die eine Schale voll Weihwasser hält und auf einem Schwan reitet. Mittags meditiert der Anhänger über Vaiṣṇavī, die eine goldene Dame in einer Sonnenscheibe ist, die eine Girlande aus wilden Blumen trägt. Sie hat volle Brüste, ihre vier Hände halten Muschelschale, Stab, Diskus und Lotus, und sie reitet einen Garuḍa-Vogel. Die Abendmeditation ist für Śaivī, die als eine alte Frau erscheint, mit weißer Haut und in Weiß gekleidet, freundlich und großzügig; ihre Hände halten Dreizack, Schlinge, Speer und Schädel. Sie reitet auf einem Stier.

Hier begegnen wir Brahmā, Viṣṇu und Śiva in weiblicher Form. Die Śaktis sind jedoch mehr als nur Kopien der männlichen Götter. Sie entsprechen den drei Tageszeiten und Altersstufen, was mit ihren männlichen Formen nicht viel zu tun hat. Und wir erleben auch das Gegenteil: Manche männlichen Gottheiten wurden nach Göttinnen modelliert. Der schreckliche Mahākāla (Großer Verschlinger, d.h. die Zeit), schwarz, nackt, schlangenumwunden, mit hervorgewölbten Augen und schrecklichen Zähnen, ist nach Mahākālī gestaltet. Er ist Mahākālīs Gatte und offiziell eine Form von Śiva, aber bei näherer Betrachtung ist er ganz klar eine männliche Personifikation der dunklen Göttin selbst.

Drei Temperamente

Indoeuropäer sind im Allgemeinen verrückt nach Dreiheiten. „Alle guten Dinge sind drei.“ Wenn irgendetwas in Dreiergruppen geordnet werden konnte, wurde das auch getan. Du findest dieses Faible unter den Kelten und Germanen genauso wie im griechischen Mythos und in der indischen Kosmologie. Eine der am besten bekannten und am wenigsten verstandenen Dreiheiten sind die Guṇas: sie sind eines der Fundamente der Saṁkhya-Lehre und wurden von vielen anderen Philosophien übernommen. Der Guṇa hat mehrere Bedeutungen; drei davon sind: 1. Faden, Seil, Schnur, 2. Qualität oder Eigenschaft, 3. Sorte, Art, Kategorie. Die drei Qualitäten sind eine der grundlegendsten Ideen in der hinduistischen Philosophie. Śakti als Prakṛti (Natur, Materie, Erscheinung) stellt man sich als aus drei Guṇas bestehend vor: Sattva, Rajas und Tamas. Tamas ist am leichtesten zu verstehen: Das Wort bedeutet ‘Dunkelheit’ und ist verwandt mit dem deutschen ‚dämmrig‘ und dem englischen ‘dim’ für Halbdunkel, Zwielicht, Düsternis. Es wird gebraucht zur Beschreibung von Schwere, Trägheit, Stabilität, Routine, Gewohnheitsverhalten und, im Bereich der menschlichen Empfindungen und Verhaltensformen, für Ignoranz, Faulheit, Bequemlichkeit, Eingleisigkeit, Weltlichkeit und Materialismus. Der oder das Rajas bedeutet in der Saṁkhya-Philosophie vor allem Leidenschaft; in der tantrischen Schattensprache kann es auch Menstruation bedeuten. Rajas ist heiß, energisch, aktiv, rastlos und der einzige veränderliche Guṇa. Im Bereich der menschlichen Erfahrung drückt sich Rajas als Entzücken, Begierde, Frustration, Leidenschaft, Gefühlsausbrüche, Besessenheit, Eifersucht, Triebe, Rastlosigkeit, Verwirrung, Hader, Zorn und Traurigkeit aus. Hierbei geht es stets um starke Gefühle, die sich auch immer wieder gegenseitig erzeugen. Wenn starke Begierde frustriert wird, kommt es z. B. zum Zorn. Dabei handelt es sich im Grunde um Babyverhalten: wenn das Baby nicht bekommt, was es will, brüllt es, bis die Mama die Welt wieder gut macht. Und was für’s Baby funktioniert hat, wird oft von Erwachsenen weiter betrieben. Denk daran, wenn Du das nächste Mal meinst, zornig werden zu müssen.

Sattva, der Saguṇa, wird ‘gut’ im Sinne von ‘Güte’ genannt. Das Wort bedeutet unter anderem Existenz, Realität, Wesen, Geist, Sein, wird aber im Saṁkhya-Denken vor allem als das Prinzip des Guten betrachtet. Das Sattva ist der heikelste der drei Guṇas. Es erscheint als verfeinert, abgehoben, ruhig, friedvoll, ausgeglichen und subtil, schwer zu definieren und nicht immer begreiflich.

Die drei Qualitäten werden oft mit Farben gleichgesetzt. Tamas ist dunkel, schwarz oder braun, Rajas ist rot und feurig, und Sattva ist von einem blassen, kühlen, mondähnlichen Weiß. Diese Farbcodes sind oft in der hinduistischen Literatur zu finden, wo sie manchmal zu einer tieferen Bedeutung führen und genauso oft Verwirrung erzeugen. Ein Beispiel: Für manche Leute folgt die populäre Trinität der Götter dem Muster von Schöpfer, Bewahrer und Zerstörer. Diese Funktionen erfüllen etliche Gottheiten, und nach dem Glauben vieler lautet die richtige Ordnung: Brahmā für die Schöpfung, Viṣṇu für die Bewahrung und Śiva oder Rudra für die Zerstörung. Dies ist eine populäre Vorstellung, die in Büchern einen guten Eindruck macht, aber wenig mit dem zu tun hat, was die Anhänger dieser Gottheiten glauben. Du hast hoffentlich gleich gemerkt, dass diese Trinität alles andere als ausgeglichen ist: zwei der Teilnehmer sind weltumfassende Hochgötter mit gewaltig vielen Anhängern, während Brahmā, bestenfalls ein Schöpfergott unter vielen, ständig auf die Hilfe der anderen zwei angewiesen ist. Wer die Bhagavad Gītā gelesen hat, weiß dass Viṣṇu nicht nur erhält, sondern auch schafft und alles verschlingt. Für die Anhänger Śivas ist dieser nicht nur für die Zerstörung zuständig, sondern für alle drei Funktionen. Derartige kosmische Götter auf simple und einseitige Funktionen zu reduzieren, ist bestenfalls in den Mythen nützlich, während es bei der direkten Gotteserfahrung einfach nur belastet. Śiva bildet oft ein Paar mit Kālī, die den Uninitiierten auch dunkel und zerstörerisch erscheint, und folglich glauben viele Leute, dass Śiva und Kālī von tamasischer Natur sind. Für die Anhänger dieser Götter sehen die Dinge ganz anders aus. Dunkelheit ist ja schön und gut, aber mit Trägheit, Materialismus und Ignoranz haben die beiden herzlich wenig zu tun. Von Kālīs alles verschlingendem Mund sagt man zum Beispiel, dass er alle drei Qualitäten enthalte: Die Lippen sind dunkel (Tamas), der Gaumen ist rot (Rajas) und die spitzen Zähne sind weiß (Sattva). Wenn die Göttin ihre Anhänger verschlingt, gehen diese durch alle drei Guṇas, bevor sie in der zentralen Leere ihre Befreiung finden.

Von den Guṇas geht eine dreifache Struktur aus, die grundlegend für das Verständnis des Tantra ist. Die Tantriker werden oft nach den Qualitäten klassifiziert, die ihren Charakter dominieren. Wir sprechen hier von den Qualitäten, nicht von den Menschen als solchen. Behalte im Sinn, dass dies ein sehr fließendes Modell der Welt ist und dass Menschen sich ständig ändern. Denk Dir einen Faden, der aus drei Fasern gesponnen ist, einer schwarzen, einer roten und einer weißen, und stell Dir das Gewebe der Welt vor. Jedes Lebewesen ist aus den drei Guṇas zusammengesetzt und alle drei sind nötig für Geburt, Dasein und Befreiung. Nur wenn ein Guṇa die anderen dominiert, neigen die Dinge zu Extremen.

Paśu. Zuerst kommen die Paśus – ein Wort, mit dem ein Laie gemeint sein kann, jemand ohne spirituelle Bildung, oder ein Haustier. Abhängig vom Ton des Tantras kann ein Paśu ein simpler und ignoranter Mitmensch sein, oder öfter, ein Lasttier, das mit den Ketten der Bindungen, der Beteiligung und der Sinnlichkeit gefesselt ist. Manche Texte stellen den Paśu als ein dummes Tier, eine grobe und unspirituelle Person dar. Dies stimmt nicht ganz. Der Paśu ist bereits ein Anhänger des Tantra. Das Wort ‘Paśu’ entwickelte sich aus ‘Paś’, was ‘binden’ bedeutet, und ‘Pāśa’ ist eine Schlinge. Das KT listet acht Grundformen der Bindung auf:

1 Mitleid,

2 Ignoranz und Wahn,

3 Furcht,

4 Scham,

5 Ekel,

6 Familie,

7 Brauch und

8 die Stellung in der Gesellschaft, der Klasse.

Jeder, der durch diese Stricke gebunden ist, ist technisch gesprochen immer noch im Reich des Paśu. Und das gilt, zumindest von Zeit zu Zeit, für uns alle. Paśus leiden unter drei Unreinheiten:

1 Kein oder falsches Wissen über das Selbst,

2 Glaube an separate Identitäten und

3 Bindung an Aktivität, Tun und deren Ergebnisse.

Davon frei zu sein, bedeutet Śiva zu sein. Im Paśu wirkt Rajas (Leidenschaft) auf Tamas (Trägheit) und dies neigt dazu, Weltlichkeit, Ignoranz und Faulheit zu erzeugen. Hierüber wurde eine Menge geschrieben, doch es sollte reichen zu sagen, dass der Paśu in einer dualistischen Realität lebt, in der er/sie von den Göttern getrennt ist, die Götter voneinander getrennt sind, die Gesellschaft feste Unterschiede hat und die Kulturen, Religionen und Länder über klare Grenzen verfügen. Der Paśu führt ein weltliches Leben und mag es. Er/ sie ist in einem gewissen Maße religiös, in der Praxis oder im Prinzip, aber es klafft oft eine große Kluft zwischen dem, was im Allgemeinen geglaubt und im Einzelnen getan wird. Die religiöse Praxis der Paśus hat ihre Zeit und ihren Ort, sie erstreckt sich üblicherweise nicht auf das tägliche Leben oder hält den Paśu auch nicht von einem guten Essen ab. Was die Gottheiten angeht, neigen Paśus oft dazu, sie in Elternrollen zu erleben. ‘Hey Vati, diese Jungs waren böse zu mir! Geh und bestraf sie! Hey Mami, bekomme ich Süßigkeiten?’ Wer so betet, ist im Land der Fesseln und der Ignoranz zuhause. In diesem Sinne entscheiden sich viele Anhänger, sich auf dem Schoß von Mutter Kālī zusammenzurollen; nicht weil Kālīs Mythologie besonders mütterlich wäre, sondern in der Hoffnung, dass sie nett zu ihrem kindlichen Anhänger sein wird. Was das tantrische Ritual angeht, ist es normalerweise Paśus nicht erlaubt, nächtliche Rituale durchzuführen; dies schließt sie von der persönlichen Kālī-Verehrung aus. Sie machen üblicherweise keinen Gebrauch von Yantra-Diagrammen noch praktizieren sie nächtliches Japa oder rezitieren spezielle Mantren. Stattdessen folgt die Art ihrer Verehrung oft vedischen Linien, einschließlich externer Opferungen, vielen rituellen Bädern und der Enthaltung vom Verzehr von Fleisch oder Fisch oder vom Geschlechtsverkehr, außer zum Zwecke der Fortpflanzung. Wenn ein Paśu die Pañcamakāras (Fünf M-Prinzipien) durchführen will, sind Fleisch, Wein, Fisch, trockenes Getreide und rituelles Liebesspiel verboten. Stattdessen wird eine Reihe symbolischer Alternativen genutzt. Es sollte hinzugefügt werden, dass ein Paśu wegen des Mangels an spiritueller Kompetenz ein solcher ist. Es gibt Rituale, die für Paśus verboten sind, weil diese sie einfach nicht begreifen können, geschweige denn an ihnen teilnehmen. Ein Paśu, der sich an den fünf Sakramenten in ihrer vīratischen (heldenhaften) Form zu erfreuen versucht, wird nicht viel Verehrung aufbringen können, weil er zu aufgeregt und unreif ist.


Bild 20

Fleckenkantschil.

Diese Hauer kennst Du!

Vīra. Ein Vīra ist wörtlich ein Held. Hier dominiert und agiert Rajas (Leidenschaft) in Sattva (Himmlische). Der Vīra zeigt ein ‘heroisches Temperament’. Sie/er neigt zu Aktivität (wenn nicht Überaktivität), Ambitionen, Zieldenken und ist selten mit einer Leistung zufrieden. Vīras sind erregbar, unruhig, unzufrieden und haben oft einen Sinn fürs Dramatische. Vīratische Verehrung kann Rituale bedeuten, bei denen Schädel, Knochen und sogar Leichen verwendet werden, sie können in Schlafzimmern, Dschungeln, Wüsten, auf nächtlichen Kreuzungen oder Verbrennungsstätten durchgeführt werden. Bei der Begegnung mit Göttinnen und Göttern steht ein/e Vīra aufrecht und integriert heroisch alle Ängste und Sehnsüchte. Vīratische Meditationen beziehen üblicherweise grimmige, schreckliche und widerwärtige Gottheiten mit ein. Für manche Vīras ist Religion so etwas wie eine permanente Mutprobe. Wenn es um die Vereinigung mit gefährlichen Göttern, Geistern, Dämonen oder ganz einfach den inneren Ängsten und Hemmungen geht, transzendiert der Vīra die Grenzen der menschlichen Persönlichkeit. Nicht viel anders ist es mit den Begierden: echte Vīras stehen zu ihren Lüsten und Trieben und suchen sie zu auszuleben, um sie zu transzendieren. Wenn ihr Temperament eher sattvisch ist, wählen sie den Pfad der Befreiung, aber wenn ihr Temperament starke tamasische Einflüsse zeigt, bevorzugt ein Vīra die Kultivierung der Siddhis (magische Kräfte, Fertigkeiten, Fähigkeiten, Erfolge), um etwas in der Welt zu erreichen. Es gibt auch Vīras, die ganz pragmatisch denken, dass Befreiung ja gut und schön sein mag, ein paar magische Fähigkeiten die Dinge aber leichter machen. Der klassische Ritus der Pañcamakāra wird in vīratischen Begriffen ausgedrückt. Das größte Problem der Vīras besteht darin, dass sie oft schneller handeln als sie denken, und wenig Abstand zu den Dingen haben. Da sie auf Drama, Krise und Aufregung aus sind, erzeugen sie von Natur aus jede Menge davon. In die Welt verstrickt und mit so viel Energie agierend, neigen sie dazu, eine Menge Fehler zu machen und darunter zu leiden. Ihre Umwelt und ihr Bekanntenkreis haben es auch nicht gerade leicht mit ihnen. Die indische Literatur assoziiert Traurigkeit und Sorge mit den Vīras, weil sie so oft auf die Nase fallen oder eine drauf bekommen.

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