Kitabı oku: «Lesen in Antike und frühem Christentum», sayfa 10
3.1.6 Ἀναγνώστης
Zuletzt muss auch noch das ebenfalls zur gleichen Wortfamilie wie ἀναγιγνώσκωἀναγιγνώσκω gehörende Lexem ἀναγνώστηςἀναγνώστης untersucht werden. Der LSJ gibt als Hauptbedeutungen reader und slave trained to read mit Verweis auf vier Quellen und als Nebenbedeutung secretary mit Verweis auf einige InschriftenInschriften an. Das englische Lexem reader lässt freilich offen, ob ein VorleserVorleser oder allgemein der RezipientRezipient von Texten im Blick ist. Die erste Quelle, die im LSJ für die Hauptbedeutung angeführt wird, ist eine Notiz in einem BriefBrief von CiceroCicero, Marcus Tullius an Atticus, dem er berichtet, dass ihn der Tod eines SklavenSklave mit dem Namen Sositheus emotional belaste, dessen Funktion er mit dem griechischen Lehnwort anagnostes bezeichnet (Cic. Att. 12,4). Was der genaue Aufgabenbereich dieses Sklaven war, geht aus der Stelle selbst nicht hervor.1 Cornelius NeposNepos, Cornelius hebt hervor, dass unter den Sklaven des Atticus literarisch sehr gebildete Sklaven gewesen seien – und zwar anagnostae optimi et plurimi librarii (Corn. Nep. Att. 13,3). Diese Differenzierung könnte dahin gehend gedeutet werden, dass erstere eher für die Textrezeption,2 letztere für Produktion bzw. das Abschreiben von Texten zuständig gewesen sind. Eine ähnliche Differenzierung findet sich bei PlutarchPlutarch: Dieser (Crass. 2,6) führt unter den Haushaltssklaven (οἰκέτης) von Crassus neben Edelmetallprüfern für Silber (ἀργυρογνώμων), Schatzmeistern/Verwaltern (διοικητής) und Tischbediensteten (τραπεζοκόμος) auch ἀναγνῶσται und ὑπογραφαί auf. Mit ὑπογραφεύς ist hier aber vermutlich nicht nur ein Schreiber gemeint, vielmehr verweist die Vorsilbe auf eine spezielle Funktion – entweder auf jemanden der unter der Leitung eines anderen schreibt oder jemand der zur Unterschrift autorisiert ist.3
Keine dieser Stellen zwingt jedoch zu der Annahme, dass es sich bei den genannten Personen um nur für das VorlesenRezeptionkollektiv-indirekt ausgebildete Spezialisten handelt.4 Vielmehr deutet der Quellenbefund des Lexems insgesamt darauf hin, dass literarisch gebildete Spezialisten im Blick sind, in deren Aufgabenbereich auch das Vorlesen von Texten lag. Dafür spricht a) der Inschriftenbefund, der schon LSJ zur Formulierung der Nebenbedeutung secretary bewogen hat. Ein Epitaph von der Insel Cos bezeugt für das 2. Jh. die Funktion eines ἀναγνώστηςἀναγνώστης γερουσίας (I.Cos 238) also ein spezifisches SekretärsamtSekretär im Ältestenrat. Eine Ehreninschrift, die in der Nähe von Smyrna bei Bel Kave gefunden wurde und vermutlich auf die zweite Hälfte des 2. Jh. v. Chr. zu datieren ist, belegt die Ehrung eines Strategen und seiner Familie durch Umhängen goldener Kränze – unter den Bekränzten befindet sich auch ein ἀναγνώστης τοῦ δήμου (eine Art Stadtsekretär; I.Smyrn. 609,13f).5 Ein Ehrenbeschluss für einen Krates in Priene aus dem 1. Jh. listet unter den in sein Haus eingeladenen Amtsträgern auch einen ἀναγνώστης auf (I.Priene 56,190–194 [= I.Priene 111, ed. Hiller]). Ob sich das Attribut τῆς πόλεως, das eigentlich zum nachfolgend genannten κῆρυξ gehört, jedoch auch auf ἀναγνώστης zurückbezieht, wie LSJ meinen, muss offen bleiben. Interessant vor allem im Hinblick auf die Frage nach einem LektorenamtLektor in den späteren christlichen GemeindenGemeinde (s. u. 9.4) ist sodann die Nennung eines ἀναγνώστης in einer Vereinsinschrift aus Sparta aus dem 1. Jh. v. Chr. (IG V/I, 209,28). Darüber, ob es sich hierbei um eine Berufsbezeichnung, um ein öffentlichesÖffentlichkeitöffentlich Amt oder um einen Verweis auf die Funktion innerhalb des Vereins oder sogar beim Vereinsmahl handelt, gibt die InschriftInschriften allerdings keine Auskunft.6 In mindestens den ersten drei genannten Inschriften handelt es sich nicht um zum Vorlesen ausgebildete SklavenSklave, sondern um öffentliche Ämter, die mit Lese- und vielleicht auch mit Schreibaufgaben sowie einem gewissen sozialen Ansehen verbunden waren. Im Rahmen der antiken BuchproduktionBuch-produktion und -vervielfältigung wird ihnen zudem, wie K. Dziatzko im Hinblick auf die für Atticus und Crassus belegten ἀναγνῶσταιἀναγνώστης (s. o.) ausführt, die Funktion des KorrekturlesensKorrektur (s. auch Evaluation) (ἀκριβόω, διορθόω, emendo, relgorelego etc.) und Vergleichens der geschriebenen TexteLesenvergleichend mit der VorlageVorlage und mit älteren Textfassungen zugekommen sein.7
Aufschlussreich ist zudem b) die Übersetzung des hebräischen Lexems סֹפֵר (Schreiber, SekretärSekretär [auch in hoher Stellung; vgl. z.B. 1Kön 2,111Kön 2,11]) in 1Esdr 8,8 f.19; 9,39.42.49 mit ἀναγνώστηςἀναγνώστης als exklusive Bezeichnung für die RolleRolle (scroll) von Esdras – dabei handelt es sich um die Übersetzung des Esrabuches, aus der JosephusJosephus, Flavius eben diese Informationen über Esdras rezipiert (vgl. Ios. ant. 11,123.127). Diese Übersetzung ist singulärFrequenzsingulär in der LXXAT/HB/LXX; hebr. סֹפֵר/aram. סָפַר wird üblicherweise mit γραμματεύς übersetzt (vgl. z.B. 2Kön 18,372Kön 18,37; 19,22Kön 19,2; Jer 8,8Jer 8,8; 52,25Jer 52,25). An anderen סֹפֵר/סָפַר-Stellen in 1Esdr wählt der Übersetzer eben dieses Lexem (Esr 4,8 fEsr 4,8 f.17Esr 4,17.13Esr 4,13 || 1Esdr 2,15 f.21.25);8 interessanterweise wird auch Esdras in 1Esdr 8,3 (סֹפֵר in Esr 7,6Esr 7,6) als γραμματεύς bezeichnet. In der Schwesterübersetzung des hebräischen Esrabuches findet sich die Bezeichnung ἀναγνώστης für Esdras überhaupt nicht, vielmehr wird סֹפֵר als Bezeichnung von Esdras durchgehend mit γραμματεύςγραμματεύς übersetzt (vgl. u. a. 2 Esdr 7,11 f.21). Da es unstrittig ist, dass dem Übersetzer an dieser Stelle der bekannte hebräische Text vorlag,9 handelt es sich also hierbei um eine bewusste Übersetzerentscheidung, die dadurch motiviert gewesen sein könnte, die Rolle von Esdras kontextuell bedingt besonders hervorzuheben, die u. a. in 1Esdr 8,3 (γραμματεὺς εὐφυὴς ὢν ἐν τῷ Μωυσέως νόμῳ) pointiert zusammengefasst und durch die Lehr- und Vorlesetätigkeit Esdras in 1Esdr 9,37b–54 narrativ entfaltet wird, und ihn damit insgesamt als politisch wirkmächtigen, literarisch gebildeten und torakundigenTora Mann mit Auftrag zur LehreLehre zu präsentieren.10 Eine analoge Verwendung findet sich in ParJer (4Bar) 5,17, wo Baruch als ἀναγνώστης bezeichnet wird,11 dessen Aufgabenumfang im AT eher demjenigen eines Sekretärs gleicht (vgl. v. a. Jer 36,4Jer 36,4.17 fJer 36,17 f.32Jer 36,3212 = 43,4Jer 43,4 LXX.17 fJer 43,17f LXX.32 LXXJer 43,32 LXX; 51,1Jer 51,1 = 51,31 LXXJer 51,31 LXX; vgl. ferner Bar 1,1Bar 1,1), den Josephus γραμματεύςγραμματεύς (Ios. ant. 10,6,2 [94f]) und Schüler (μαθητής) von Jeremia (Ios. ant. 10,9,1 [158]; 10,9.6 [178]) nennt und der sich in ParJer (4Bar) 6,16ff vor allem als Briefschreiber hervortut. Es ist ganz offensichtlich, dass seine Vorlesetätigkeit in Jer 36,6–11Jer 36,6–11.13–15Jer 36,13–15. (= 43,6–11Jer 43,6–11 LXX.13–15 LXXJer 43,13–15 LXX) nur einen Teil von Baruchs Aufgabenspektrum abdeckt und hier zu einer Erzählsequenz gehört, welche die Entstehung des Jeremiabuches selbstreferenziellselbstreferenziell kommentiert.
c) Es gibt außerdem eindeutige Belege dafür, dass ἀναγνώστης auch den individuellen LeserLeser meinen kann, der gerade nicht anderen vorliest. So wird Aristoteles in der Vita Aristotelis Marciana als ἀναγνώστης bezeichnet. „Häufig [sagte] Platon nämlich: ‚Lasst uns 〈weggehen〉 zum Haus des Lesers! (εἱς τὴν τοῦ ἀναγνώστου οἰκίαν)‘, und wenn er [d.h. der Leser] bei der Vorlesung abwesend war (ἀπόντος τῆς ἀκροάσεως), rief er [d. h. Platon] lautLautstärkelaut auf: ‚Der Verstand ist ab〈wesend〉 und 〈stumpf ist die HörerHörer〉s〈chaft〉!‘“ (Vit. Arist. Marc. 42–44).13 Vor allem durch die Gegenüberstellung zur Vorlesung (ἀκρόασις)14 wird deutlich, dass mit der Bezeichnung ἀναγνώστης, die man umgangssprachlich vielleicht mit „Leseratte“ wiedergeben könnte, seine kommende Gelehrsamkeit hervorgehoben werden soll, die vor allem darin zum Ausdruck kommt, dass er tugendhaft viel liest.
Es ist aufschlussreich, dass sich das Bedeutungsspektrum des lateinischen Lexems lectorLektor von der Verwendung von ἀναγνώστηςἀναγνώστης in den Quellen unterscheidet. An der Mehrzahl der Belegstellen ist der lectorlector gerade nicht ein VorleserVorleser,15 sondern der LeserLeser bzw. RezipientRezipient, der in der lateinischen Literatur im 1 Jh. zum anonymen Gegenüber des Autors wird:16
CiceroCicero, Marcus Tullius schreibt in einem BriefBrief an L. Lucceius, es gäbe nichts Besseres zur UnterhaltungUnterhaltung des LesersLeser (ad delectationem lectoris), als in Ereignissen und Schicksalen zu variieren (vgl. Cic. fam. 5,12,4).17 In den Tusculanae disputationes polemisiert Cicero gegen unbedacht geschriebeneSchriftGeschriebenes, lateinische BücherBuch der Epikureer, deren Rezipientenkreis aus diesem Grund begrenzt seien: „daß aber einer seine Gedanken niederschreibt und sie weder zu ordnen noch gut auszudrücken, noch den Leser durch irgendeine gefällige Form anzuziehen vermag (nec delectatione aliqua allicere lectorem), das beweist einen unerlaubten Mißbrauch der eigenen Freizeit und der Sprache. So werden denn auch ihre Bücher nur von ihnen selbst und ihren Anhängern gelesen, und keiner rührt sie an außer denen, die sich dieselbe Zügellosigkeit im SchreibenSchreiben gestatten möchten“ (Tusc. 1,6; Üb. GIGON). Auch wenn Cicero die rhetorische Frage stellt, welchen Leser er fürchten bräuchte (ego autem quem timeam lectorem …? fin. 1,8), hat er hier die RezipientenRezipient seines philosophischenPhilosophie Werkes De finibus bonorum et malorum im Blick. Cornelius NeposNepos, Cornelius nutzt das Lexem zur Ansprache seiner Rezipienten. Explizit als Vorbemerkung an den Leser markiert (de hoc priusquam scribimus), schreibt er z.B. am Anfang der Kurzbiographie über Epaminondas: „Bevor wir über ihn schreiben, scheint es ratsam, die Leser davor zu warnen (haec praecipienda videntur lectoribus), fremde Sitten nach ihren eigenen Maßstäben zu beurteilen“ (Corn. Nep. Epamin. 1,1; Üb. FÄRBER); die Auswahl nur eines Beispiels, das die Grausamkeit Lysanders zum Ausdruck bringen soll, begründet er damit, dass er den Leser nicht langweilen möchte: ne de eodem plura enumerando defatigemus lectores (Corn. Nep. Lys.Lysias 2,1). Vgl. außerdem Corn. Nep. Pelop. 1,1; Attic. 19,1. Interessant ist, wie Phaedrus gegen CatoCato der Ältere, Marcus Porcius polemisiert: Quid ergo possum facere tibi, lectorLektor Cato, Si nec fabellae te iuvant nec fabulae? Noli molestus esse omnino litteris, Maiorem exhibeant ne tibi molestiam (Phaidr. 4,7). Wenn Columella am Ende von Buch 8 seines Hauptwerkes das Ende der Ausführungen damit begründet, er wolle den Leser (lectorlector) nicht durch die Länge des Buches erschöpfen (Colum.Columella, Lucius Iunius Moderatus 8,17,16), hat er hier nicht einen VorleserVorleser, sondern den individuellen Leser im Blick. Diesen hat auch eindeutig HorazHoraz im Blick, wenn er Maecenas in einem Brief die Frage stellt: „Möchtest du wissen, warum mein Werkchen vom Leser zwar zu Hause geschätzt, auch gelobt (mea cur ingratus opuscula lectorlector laudet ametque domi), doch draußen geschmäht wird?“ (Hor. ep. 1,19,34f; Üb. angelehnt an HERMANN). Vgl. außerdem die Gegenüberstellung von Lesern und PublikumPublikum (s. auch Lesepublikum) in einem Brief an Augustus: Hor. ep. 2,1,214f; Martial führt das Gespräch mit seinen Lesern in vielen Fällen ebenfalls unter Verwendung des Lexems lectorlector (vgl. Mart.Martial1,1; 1,113; 2,8; 5,15f; 7,12; 9 praef.; 9,49; 10,1f u. ö.), wobei er verschiedene Lesertypen, angezeigt durch verschiedene qualifizierende Attribute, imaginiert: z.B. lectorlector studiosus als Bezeichnung eines Lesers mit „eifriger Gespanntheit und literarischer Begeisterung“18; delicate lectorlector (Mart. 4,55); lectore guloso (Mart. 10,59); lectorlector amicus (Mart. 5,16).19 Besonders seine Unterscheidung zwischen Lesern und HörernHörer in Mart. 9,81 macht deutlich, dass Martial unterschiedliche Rezeptionsmodi seiner Epigramme antizipiert und der lectorlector für den Rezeptionsmodus der individuellen Lektüre steht. Valerius Maximus, der seine Leser ebenfalls unter der Verwendung des Lexems lectorlector anspricht (vgl. Val. Max.Valerius Maximus 8,2), kündigt seinen Lesern an, ihnen einige Bilder vor AugenAugen zu stellen (… quasdam imagines non sine maxima ueneratione contemplandas lectoris oculis subiciam … Val. Max. 4,6), womit entweder die visuellevisuell Dimension des Lesens oder das innere Auge des Lesers im Blick ist. Plin. ep.Plinius der Jüngere 3,13,2 reflektiert über den Leser (lectorlector) von Redemanuskripten, der diese wegen der besonderen Qualität des Textes genau liest. Aus dem Kontext geht hervor, dass deutlich „zwischen Erstrezeption und eingehender Weiterbeschäftigung unterschieden“20 wird. Vgl. außerdem Plin. ep. 4,14,7; 4,26,3 (… tu lectorlector …); 5,4,4. VitruvVitruv reflektiert im Vorwort seines fünften Buches in rezeptionsorientierter Perspektive über die Unterschiede des SchreibensSchreiben über Architektur im Vergleich zur GeschichtsschreibungGeschichtsschreibung oder zur Poesie: historiae per se tenent lectores; habent enim novarum rerum varias expectationes. poematorum vero carminum metra et pedes ac verborum elegans dispositio et sententiarum inter personas distinctas versuum pronuntiatio prolectando sensus legentium legoperducit sine offensa ad summam scriptorum terminationem. (Vitr. 5 praef. 1). Apuleius stimmt seine Leser in seinem RomanRoman Metamorphoseon programmatisch am Beginn ein: lectorlector intende: laetaberis (Apul.Apuleius met. 1,1,6). Vgl. ferner Apul. met. 10,2,4; 11,23,5. Diese Liste ließe sich fortführen: Vgl. z.B. Phaedr. 2 prol.; Sen. de iraSeneca, Lucius Annaeus (d. J.) 2,2; Hor. ars. 344; Hor. sat. 1,10,74; Catull.Catull, Gaius Valerius 14b; Ov.Ovidius, P. Naso trist. 1,7,32; 1,11,35; 3,1,2.19; 4,1,1f (!); 4,10,132 u. ö.;21 Pont. 3,4,43 u. ö.22
Die aufgeführten Stellen belegen eindeutig, dass der (intendierte) RezipientRezipient eines Textes im Blick ist,23 da z.B. sein emotionales Empfinden oder sein Urteil adressiertAdressat bzw. er direkt als Rezipient angesprochen wird – und es sich dabei nicht um Vorlese- oder Regieanweisungen handelt. Diese Verwendungsweise von lectorLektor in lateinischen Quellen ist für das Lexem ἀναγνώστηςἀναγνώστης im Griechischen gerade nicht belegt; für analoge pragmatischePragmatik Zwecke werden in den griechischen Texten v. a. substantivierte Partizipien von ἀναγιγνώσκωἀναγιγνώσκω (s. o.) und ἐντυγχάνωἐντυγχάνω (s. u.) genutzt. Am nächsten an die besprochene Verwendungsweise des Lexems lectorlector kommt noch die diskutierte Stelle (Vit. Arist. Marc. 42–44), an der Aristoteles als Vielleser charakterisiert wird – hier unterscheidet sich jedoch der Kommunikationszusammenhang, da hier die Außenwahrnehmung auf Aristoteles dokumentiert ist, und nicht die Kommunikation zwischen AutorAutor/Verfasser/Text und LeserLeser.
3.2 Lesen als Hören
Auf das Phänomen „Lesen“ wird im Griechischen jedoch vielfach auch mit dem Lexem ἀκούωἀκούω (Grundbedeutung: hören) verwiesen.1 Als Terminus zur Rezeption von Geschriebenem wird das Verb zur Kennzeichnung der hörenden Rezeption eines vorgelesenen Textes2 oder einer RedeRede/eines Vortrages3 verwendet. Aber für zahlreiche Belegstellen kann die Rezeptionssituation (jemand liest jemandem vor) nicht a priori vorausgesetzt werden;4 genauso wenig kann daraus geschlossen werden, dass in der Antike grundsätzlich vokalisierendStimmeinsatzvokalisierend gelesen wurde,5 wie zu zeigen sein wird. So lässt Platon den Phaidros in seinem Dialog mit Sokrates abfällig über einen Menschen sprechen, der sich für einen ArztArzt hielte, „weil er aus irgendeinem BuchBuch hörte/in einem Buch las6 (ἐκ βιβλίου ποθὲν ἀκούσας)“ (Plat.Platon Phaidr. 268c). Hier ist es nicht eindeutig zu entscheiden, ob an eine Vorlesesituation oder an individuell-direkteLektüreindividuell-direkt Lektüre gedacht ist.7 Letzteres ist zumindest sehr gut vorstellbar angesichts der Quellenevidenz im Folgenden. Das gilt im Übrigen auch für die analoge Verwendung von audire im Lateinischen.8
Eine eindrückliche Belegstelle findet sich bei Herodot, an der eindeutig eine Szene individualisierten Lesens voraussetzt wird (Hdt.Herodot 1,48). Ob vokalisierendStimmeinsatzvokalisierend oder nicht-vokalisierendStimmeinsatznicht-vokalisierend kann aus dem Text heraus nicht eindeutig entschieden werden:9 Im Kontext einer Probe der griechischen Orakel durch den Lyderkönig Kroisos erhält dieser die schriftlich fixierten Orakelsprüche in Form von RollenRolle (scroll) (ἀναπτύσσωἀναπτύσσω), die er einzeln inspiziert (ἐποράω), wobei ihm bis auf einen keiner der Sprüche gefällt. „Aber als er die Antwort aus Delphi hörte (ὡς τὸ ἐκ Δελφῶν ἤκουσε), verehrte er sie unverzüglich und akzeptierte sie“ (Hdt. 1,48,1). Analog wird ἀκούωἀκούω auch in Hdt. 1,125,1 als LeseterminusLese-terminus verwendet. An dieser Stelle ist aus dem Kontext eindeutig zu erschließen, dass die BuchstabenBuch-stabe zum LeserLeser sprechen (τὰ δὲ γράμματαγράμματα ἔλεγε; Hdt. 1,124,1).10 Eine ebenfalls eindeutige individuell-direkteLektüreindividuell-direkt LeseszeneLese-szene, im Rahmen derer ἀκούω als Leseterminus gebraucht wird, findet sich in Heliodors Aithiopika: Der Ich-ErzählerErzähler Theagenes liest den äthiopischen Text auf einem Band (ταινία; vgl. Hld.Heliodoros 4,8,1), das der ausgesetzten Chariklea beigegeben worden war (vgl. Hld. 4,7), und hört den Namen ihrer Mutter Persina: Ἐπάγην, ὦ Κνήμων, ὡς τοῦ Περσίννης ὀνόματος ἤκουσα (Hld. 4,8,2). Aus dem Kontext kann man erschließen, dass der Ich-Erzähler die StimmeStimme des Textes hört; als Lesetermini werden Lexeme (ἐπέρχομαι, εὑρίσκωεὑρίσκω) verwendet, die eher darauf hindeuten, dass nicht-vokalisierende Lektüre zu imaginieren ist: „Beim Begehen fand ich die Schrift Folgendes erzählend … (καὶ ἐπερχόμενος τοιάδε ηὕρισκον τὸ γράμμαγράμμα διηγούμενον … Hld. 4,8,1). Bei Isokrates (or. 12,252) findet sich die Aussage, dass viele die von ihm aufgeschriebenen Taten und Schlachten lesen und durchgehen wollten (πολλοὺς ποθεῖν ἀναγνῶναι καὶ διελθεῖν αὐτάς), nicht weil sie die Taten an sich hören wollen (ἀκοῦσαι πράξεις), sondern weil sie lernenLernen (μανθάνωμανθάνω) wollten, wie Isokrates diese bewertet bzw. darstellt.11 Die Kombination aus ἀναγιγνώσκωἀναγιγνώσκω und διέρχομαιδιέρχομαι zeigt, dass hier keine Vortragssituation, sondern eine Form individuell-direkter und intensiver Lektüre im Blick ist. Es ist daher m. E. auch wahrscheinlicher, dass ἀκούω hier nicht das tatsächliche Hören des mit der eigenen Stimme vorgelesenen Textes meint, sondern die kognitivekognitiv Verarbeitung des Gelesenen benennt.
In Plutarchs Schrift De facie in orbe lunae formuliert Lamprias gerichtet an einen der Gesprächsteilnehmer, Theon:
„Weil du aber nun den Aristarch schätzt und bewunderst, gibst du dem Krates kein Gehör, wenn er liest (οὐκ ἀκούειςἀκούω Κράτητος ἀναγινώσκοντοςἀναγιγνώσκω): ‚Vater Okeanos, welcher den Ursprung Allem gegeben [Hom.Homer Il. 14,246], Menschen und Göttern, der weit sich ausstreckt über die Erde,‘“ (Plut.Plutarch de fac. 25 [mor. 938d]; Üb. OSIANDER/SCHWAB).
Es handelt sich bei dieser Schrift um ein Gespräch, das aus der Perspektive von Plutarchs Großvater, Lamprias, geschildert wird und dessen erzählte Zeit in die zweite Hälfte des 1. Jh. n. Chr. fällt. Die Formulierung von Lamprias verweist auf die konkurrierende Homer-Interpretation des stoischen Grammatikers Krates von Pergamon und dem Alexandriner Aristarch im 2. Jh. v. Chr. Daraus wird unmittelbar ersichtlich, dass Krates hier nicht selbst liest, sondern Lamprias sich auf den Homertext von Krates bezieht. Denn die erste Hälfte des Zitats ist ein ZitatZitat aus der Ilias, die zweite Hälfte stellt eine Emendation im Ilias-Text von Krates dar, die bei Aristarch fehlt.12 Das Verb ἀναγιγνώσκωἀναγιγνώσκω wird hier also im Sinne des modernen textkritischenTextkritik Lesebegriffes gebraucht,13 das Verb ἀκούωἀκούω bezieht sich darauf, dass Theon sich nicht mit der Interpretation bzw. dem Ilias-Text des Krates beschäftigt, also dessen Ilias-Text bzw. dessen Schriften nicht liest.
Exemplarisch sei auch noch auf OrigenesOrigenes verwiesen, der ἀκούωἀκούω in seiner Apologie gegen Celsus im Sinne von „lesen“/„rezipieren“ verwendet:
„Dennoch wünschte ich mir, dass jeder, der die dreiste Behauptung des Celsus gehört hat (ἀκούσαντα δεινολογοῦντος Κέλσου), ‚die Schrift über ChristusChristus mit dem TitelTitel ‚Streitgespräch zwischen Papiskos und Jason‘ verdiene nicht Gelächter, sondern Abscheu,‘ diese kleine Schrift zur Hand nimmt und die Geduld und Ausdauer aufbringt, ihren Inhalten Aufmerksamkeit zu schenken (λαβεῖν εἰς χεῖρας τὸ συγγραμμάτιονσυγγράμματα καὶ ὑπομεῖναι καὶ ἀνασχέσθαι ἀκοῦσαι τῶν ἐν αὐτῷ), um mit ihr Celsus zu verurteilen, weil er nichts in dem BuchBuch findet, was ‚Abscheu‘ verdient“ (Orig.Origenes Cels. 4,52; Üb. BARTHOLD).
Wenig später fordert OrigenesOrigenes den LeserLeser (… τὸν ἐντυγχάνοντα14 τῇ ἀπολογίᾳ ταύτῃ πρὸς τὴν Κέλσου …) unter Verwendung eines Derivats von ἀκούωἀκούω auf, er möge „unserer Schrift Aufmerksamkeit schenken“ (καὶ ἐπακοῦσαι τῶν συγγραμμάτωνσυγγράμματα ἡμῶν; Orig. Cels. 4,53).Aufmerksamkeitvertieft
Einen außergewöhnlichen Einblick in die antike Selbstwahrnehmung der kognitivenkognitiv Verarbeitung von Gelesenem, der die oben stehenden Quellenzeugnisse einzuordnen hilft, gewährt uns der AutorAutor/Verfasser der Schrift Περὶ ὕψους („Über das Erhabene“), die vermutlich ins 1. Jh. n. Chr. zu datieren ist.15 Im Kontext der Diskussion um die Qualität von Literatur (Ps.-Long.Pseudo-Longinos 7,1–3) verwendet er ἀκούωἀκούω als LeseterminusLese-terminus, und zwar für die Benennung von MehrfachlektüreLektüreMehrfach- (Ps.-Long.Longinos 7,3). Bei der beschriebenen Lektüre handelt es sich um eine prüfende, die mit dem Adjektiv visuellervisuell Wahrnehmung ἐπισκεπτέος sowie mit den Verben ἀναπτύσσωἀναπτύσσω und εὑρίσκωεὑρίσκω im Kontext (Ps.-Long 7,1) näher spezifiziert wird.16 Aufschlussreich ist nun, dass der an dieser Stelle vorgestellte LeserLeser nicht mit dem OhrOhr hört, sondern vielmehr die ψυχήψυχή explizit als Subjekt des Hörens gekennzeichnet wird (Ps.-Long. 7,2; impliziert auch in 7,3). Das Gelesene wird mit der διάνοιαδιάνοια weiterverarbeitet,17 wobei Literatur minderer Qualität dieser „nicht mehr zum Betrachten (ἀναθεωρέω) zurücklässt als den bloßen Wortlaut“ (Ps.-Long. 7,3; Üb. angelehnt an SCHÖNBERGER), qualitätsvolle Literatur demgegenüber zu ausgiebiger Reflexion (οὗ πολλὴ μὲν ἡ ἀναθεώρησις; Ps.-Long. 7,3) und damit auch zu erneuter analysierender und reflektierender Lektüre anregt, die durchaus auch mit Unterbrechungen für die kognitiven Weiterverarbeitungsprozesse zu denken ist.18
Das bisher Gesagte lässt vermuten, ἀκούωἀκούω werde in Lesezusammenhängen häufig nur noch usuell gebraucht.19 Diese Schlussfolgerung lässt sich weiter erhärten: Ein eindrückliches Indiz für einen solchen usuellen Gebrauch findet sich bei Diog. Laert.Diogenes Laertios 2,5,18, der mit einem verbum dicendiverba dicendi (im Sinne von „schriftlich mitteilen“) auf Plat.Platon Tht. 149a verweist: „Sokrates war der Sohn des Steinmetzes Sophroniskos und von der Hebamme Phaenarete, wie auch Platon [in Form der Dialogfigur Sokrates!] im Theaitetos sagt (ὡς καὶ Πλάτων ἐν Θεαιτήτῳ φησίν).“ Es ist hier völlig eindeutig, dass Platon eben nicht selber gesprochen hat, sondern Sokrates hat sprechen lassen.20 Auch wenn Demetrios von PhaleronDemetrios von Phaleron schreibt, ThukydidesThukydides erlaube durch die Form der KompositionKomposition weder sich noch dem RezipientenRezipient eine Pause (καὶ ἐκ τοῦ μόγις ἀναπαῦσαι αὐτόν τε καὶ τὸν ἀκούοντα; Demetr. eloc. 2,45), könnte hier gut der individuelle LeserLeser im Blick sein – ein Urteil, das auch der Übersetzter W. R. Roberts gefällt hat, der das PartizipPartizip mit reader wiedergibt.21 Galen zitiert in seiner 2005 wiederentdeckten Schrift „Über die Unverdrossenheit“ Euripides und leitet das ZitatZitat für seinen Leser folgendermaßen ein: „Was Euripides irgendwo dem Theseus in den Mund legt, ist vor allem wahr, wie du erkennen wirst, wenn Du die Worte hörst (ἀκούσας δὲ τῶν ἐπῶν εἴσει)… [Es folgt das Zitat: Eur.Euripides fr. 964 Nauck]“ (Gal.Galenos alyp. 52; Üb. angelehnt an BRODERSEN).
Als stärkste Evidenz für einen usuellen Gebrauch von ἀκούωἀκούω als LeseterminusLese-terminus ist auf die bei den antiken Schriftstellern verbreitete Praxis zu verweisen, ihre Quellen mit der Phrase ἤκουσα xy(Gen.) λέγοντος anzugeben bzw. ZitateZitat einzuleiten.22 Dabei sei am Rande auf das analoge Phänomen verwiesen, dass das Substantiv ἀκοή nicht nur das OhrOhr, sondern auch abstrakt die Information oder TraditionTradition bezeichnen kann.23 D. M. Schenkeveld hat eindrücklich gezeigt, dass die Wiedergabe einer LesefruchtLese-frucht mit „gehört haben, dass xy gesagt hat …“ ausgedrückt wird, während im Lateinischen die Phrase legere apud xy aliquid gängig ist.24 Für die auch im Griechischen erwartbare Phrase „in xy gelesen haben, dass …“, die mit dem Verb ἀναγιγνώσκωἀναγιγνώσκω gebildet wird, sei der Befund hingegen weitgehend, jedoch nicht gänzlich negativ.25 Seine Liste von Ausnahmen kann allerdings noch ergänzt werden:
Diod.Diodorus Siculus 14,47,2: „darin [in einem SchreibenSchreiben von Dionysios, Tyrann von Syrakus] war zu lesen, … (ἧς ἀναγνωσθείσης ἔν …)“; Plut.Plutarch symp. 3,7,2 [mor. 656a]; Plut. symp. 8,4,3 [mor. 724a]: „Und doch habe ich, wie ich mich zu erinnernErinnerung glaube, neulich in der attischen Geschichte gelesen [ἐν τοῖς Ἀττικοῖς ἀνεγνωκὼς], daß …“ (Üb. OSIANDER/SCHWAB); Plut. Alex. 4: … ἀνέγνωμεν ἐν ὑπομνήμασιν Ἀριστοξενείοις; Plut. Adv. col. 14 (mor. 1115d): ἡμεῖς γὰρ ἐν πᾶσιν ἀναγινώσκομεν …; Iust.Iunianus Iustinus Mart.Justin der Märtyrer dial. 11,2: Νυνὶ δὲ ἀνέγνων γάρ, ὦ Τρύφων, ὅτι … (ZitatmarkierungZitat-einleitung/-markierung); 11,3: Ἢ σὺ ταῦτα οὐκ ἀνέγνως ἅ φησιν Ἠσαίας … (Zitatmarkierung); 10,3: Ἢ οὐκ ἀνέγνως ὅτι … (Zitatmarkierung); TestDan 5,6: ἀνέγνων γὰρ ἐν βίβλῳ Ἑνώχ τοῦ δικαίου ὅτι …; TestNaph 4,1: … ἀνέγνων ἐν γραφῇ ἁγίᾳ Ἑνὼχ ὅτι …; TestAss 7,5: ἀνέγνων γὰρ ἐν ταῖς πλαξὶ τῶν οὐρανῶν ὅτι …; Gebet des Joseph Fr. B: ‘Ἀνέγνων γὰρ ἐν ταῖς πλαξὶ τοῦ οὐρανοῦ … (Eus.Eusebios von Caesarea pr. ev. 6,11,64); siehe zu diesem Text weiterführend (SIEGERT, 2016, hier 291–293.); Porph.Porphyrios vit. Plot.Plotin 15: … ἀνέγνω ὑπὲρ Ἀλκιβιάδου τοῦ ἐν τῷ «Συμποσίῳ» τοῦ Πλάτωνος …; Basil.Basilius der Große Caes.Caesar ep. 150,2: ἀνέγνων γάρ που ἐν Ψαλμοῖς, ὅτι …; Iul.Iulianus, Flavius Claudius (Kaiser) Afr. D 18: ἀνέγνων ἐν τοῖς Νεπτουνιανοῦ ‚Φυσικοῖς‘ ὅτι …; vgl. im NT auch Mt 19,4Mt 19,4; 21,16Mt 21,16; vgl. ferner auch die Formulierung τὴν δὲ Ἀφροδίτην ἀνέγνωμεν mit anschließender Paraphrase von Hom.Homer Il. 3,424f bei Clem. Al.Clemens von Alexandria prot. 2,35,2 sowie die häufige Kennzeichnung von Zitaten mit in seinem Werk mit ἀναγιγνώσκωἀναγιγνώσκω (z.B. aus der Ilias in Clem. Al. paid. 2,121,5 und eines Platonzitats in Clem. Al. paid. 2,89,2); zur Kennzeichnung von Zitaten oder Paraphrasen mit ἀναγιγνώσκω vgl. z. B. auch Orig.Origenes Cels. 1,26; 1,59; 4,28f; 4,72; 5,38; comm. in Ioh. 1,21,130; 1,29,203; 1,35,257 u. ö.
In diesen Befund passt auch die gängige Praxis antiker AutorenAutor/Verfasser, verba dicendiverba dicendi (also z.B. Formen von λέγωλέγω bzw. φημί im Griechischen bzw. dico im Lateinischen) zu verwenden, um in ihren Texten Querverweise im Sinne von „wie ich geschriebenSchriftGeschriebenes habe/schreibenSchreiben werde“ o. ä. einzufügen26 oder Querverweise auf andere Werke bzw. ZitateZitat mit verba dicendi zu markieren.
Vgl. exempl. Strab.Strabon 1,2,3 mit Verweis auf Erathostenes’ Geographika: „Er sagt (ἔφη), dass die Poeten …“; Quint.Quintilian inst. or. 2,21,5 mit Verweis auf Cic.Cicero, Marcus Tullius de orat.: „Auch Cicero nennt an einer Stelle als Stoff der RhetorikRhetorik die Gegenstände (Cicero quodam loco … vocat), die sich ihr darbieten …“ (Üb. RAHN); in Plut.Plutarch symp. 1,9,4 [mor. 627d], verweist Theon auf die ps.-aristot. Schrift Problemata Physica, in der Aristoteles sagte, nach dem Seebad werde man in der Sonne schneller trocken als nach einem Flussbad (Ἀριστοτέλης γὰρ ἐν ταὐτῷ βιβλίῳ φησὶ …), worauf der Ich-ErzählerErzähler versucht, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, wovon Homer sagt: ’ἀλλ᾽ ᾤμην σε μᾶλλον Ὁμήρῳ τἀναντία λέγοντι πιστεύσειν. Als Beleg folgen im Text zwei ZitateZitat aus der Odyssee; Plutarch zitiert Hermippos von Smyrna (3. Jh. v. Chr.), der sagt (d. h. schreibt), er habe in anonymen Memoiren gelesen, Demosthenes sei ein Schüler von Platon gewesen und habe von diesem Hilfe bei seinen rhetorischen Studien erhalten ( Ἕρμιππος δέ φησιν ἀδεσπότοις ὑπομνήμασιν ἐντυχεῖν ἐν οἷς ἐγέγραπτο τὸν Δημοσθένην συνεσχολακέναι Πλάτωνι καί πλεῖστον εἰς τοὺς λόγους ὠφελῆσθαι …).27 Arrian beginnt seine Geschichte über Alexander mit dem passivischen λέγεται (Wie gesagt/berichtet wird … [Arr.Arrian an. 1,1]), nachdem er im Vorwort seine schriftlichen Quellen erläutert hat. Unzählige Belegstellen könnten aus den Deipnosophistai von Athenaios angeführt werden. Besonders aufschlussreich im Hinblick auf die Fragestellung dieser Studie sind vor allem diejenigen Stellen, an denen der AutorAutor/Verfasser, der etwas „sagt“, eindeutig nicht mit den sprechenden Personen auf der Ebene der erzählten Welt übereinstimmt. Athen.Athenaios deipn. 16,62 (650a): καὶ Εὐριπίδης ἐν Κύκλωπί φησι … (es folgt ein Zitat aus Eur.Euripides Cycl. 394, auf der Ebene des Satyrspiels spricht Odysseus); Athen. deipn. 12,16 (518f) sogar mit exakter Angabe der RolleRolle (scroll) des Werkes, aus dem zitiert wird: … ὥς φησι Πτολεμαῖος ἐν ὀγδόῳ ῾Υπομνημάτων … (es folgt ein Spruch des mauretanischen KönigsKönig Massanassa). Bei Cicero findet sich hingegen der Beleg, dass durchaus zwischen Autor und Sprecher auf der Ebene der erzählten Welt unterschieden werden konnte. Vgl. die Phrase ut ait apud Xenophontem Socrates (Cic. nat. 2,18) zur Angabe eines Zitats aus Xen.Xenophon mem. 1,4,8. In lateinischen Texten verbreitet ist die ZitatmarkierungZitat-einleitung/-markierung ut ait + Autorname. Vgl. exemplarisch Plin. ep.Plinius der Jüngere 4,7,6; 4,18,1 (weitere Stellen bei Plinius verzeichnet SCHWERDTNER, 2015, 36, Anm. 41.); Cic. Att. 1,20,3; 2,7,4; 7,1,6; 9,17,4; 10,8,7; nat. 3,27.41; div. 1,24.74; 2,57.128; rep. 1,49 u. ö. Tert.Tertullianus, Quintus Septimius Florens Apol. 48,1. Vgl. außerdem Strab. 2,1,5; Plut. de stoic. rep. 10 (mor. 1036f–1037b); Plut. adv. Col. 30 [mor. 124d]; Plut. Art. 13,3; u. ö.; Diog. Laert.Diogenes Laertios 2,5,18 (s. o.); 3,1,66; Mak. apokr. 3,3,1; 3,18,1 u. ö. Pomponius Mela verweist rückblickend auf das bereits Geschriebene mit dem PartizipPartizip Perfekt Passiv dictum est … (Mel.Mela, Pomponius de chorogr. 1,25). Zitationsformeln mit verba dicendiverba dicendi finden sich ferner auch in hebräischen Texten.28