Kitabı oku: «Lesen in Antike und frühem Christentum», sayfa 21

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4.4 Zwischenfazit und die Frage nach der Repräsentation von Klang in der Schrift

Für antike LeserLeser war das Lesen von Texten in scriptio continuaSchriftscriptio continua nicht mit besonderen kognitivenkognitiv Schwierigkeiten verbunden. Eine vokalisierendeStimmeinsatzvokalisierend oder subvokalisierendeStimmeinsatzsubvokalisierend Realisierung des GeschriebenenSchriftGeschriebenes war keine notwendige Verstehensvoraussetzung. Das forschungsgeschichtlich vielfach postulierte Junktim der vokalisierenden Lektüre mit dem SchriftsystemSchrift-system basiert auf einem Zirkelschluss1 und lässt sich insbesondere nicht an den Quellen nachweisen. Scriptio continua ist kein Kennzeichen eines defizitären Schriftsystems, sondern eine kulturelle Konvention. Entscheidend ist, dass die Leser von Beginn an mit dem Schriftsystem sozialisiert worden sind.2 Kognitive Schwierigkeiten ergeben sich für Leser, die in einem Schriftsystem mit Wortzwischenräumen sozialisiert wurden und daher die kognitiven Mechanismen des Lesens von Texten in scriptio continua nicht habitualisiert haben. Es verbietet sich daher methodisch, unsere Schwierigkeiten beim Lesen von antiken Artefakten zurückzuprojizieren.

Daraus ist weiterführend zu schlussfolgern, dass die These, antike scriptio continuaSchriftscriptio continua sei lediglich die Repräsentation des gesprochenen Wortes, das im Leseprozess „re-oralisiert“ würde, bzw. die scriptio continua in Analogie zu notierter MusikMusik verstanden werden könne,3 äußerst problematisch ist und auf demselben Zirkelschluss basiert. Es ist methodisch verfehlt, eine solche generalisierende Sicht aus vereinzelten MetaphernMetapher (z.B. dass Seiten oder InschriftenInschriften sprechen oder die BuchstabenBuch-stabe lautLautstärkelaut sind)4 herzuleiten. Solche vereinzelten Metaphern sind, so lange man nicht ein umfassendes Konzept nachweisen kann, zunächst einmal als rhetorische und poetische Stilmittel zu verstehen. Und selbst bei einem metaphorischen Konzept wie z. B. dem von sprechenden Texten sind die methodischen Hürden für Rückschlüsse auf die LesepraxisLese-praxis hoch, wie Existenz dieses Konzepts z.B. in der modernen deutschen Sprache belegt.5

5 Publikation in der Antike und Verfügbarkeit von Literatur

VorabPublikation/Veröffentlichung ist darauf hinzuweisen, dass die in der Forschung breit bearbeitete spezielle Frage nach der Verfügbarkeit von Büchern über antike (öffentlicheÖffentlichkeitöffentlich) BibliothekenBibliothek sowie deren Benutzung und die Verbreitung von Privatbibliotheken hier ausgeblendet wird.1 Ob und ab welchem Zeitpunkt christliche Schriften in öffentlichen Bibliotheken zur Verfügung standen wissen wir nicht. Die Frage nach christlichen Privatbibliotheken2 lässt sich für die Frühzeit ebenfalls nicht anhand archäologischer Zeugnisse oder direkter Quellenevidenzen bearbeiten, sondern hängt maßgeblich an den im Folgenden zu diskutierenden Fragen. Es sei aber auf eine aufschlussreiche Stelle verwiesen, in der über die Beschaffung von Literatur über eine öffentliche Bibliothek berichtet wird. Und zwar sucht Aulus GelliusGellius, Aulus im 2. Jh. n. Chr. eine Schrift des LehrersLehrerLehrer von VarroVarro und CiceroCicero, Marcus Tullius, Lucius Aelius Stilo, der von der Mitte des 2. Jh. v. Chr. bis in die erste Hälfte des 1. Jh. v. Chr. gelebt hat. Diese Schrift, die zum Zeitpunkt der Suche grob um die 200 Jahre alt gewesen sein muss, macht Gellius in der Bibliothek des von Vespasian gebauten Friedenstempels ausfindig (Gell. 16,8,2). Hier ist die Bibliothek ganz klar Aufbewahrungs- und Zugangsort alter BücherBuch und nicht der aktuellsten Literatur.3

Wie im Einleitungskapitel ausgeführt, findet sich insbesondere in der anglophonen Forschung zum NT und frühen ChristentumChristentum – vor allem bei denjenigen, die sich dem Ansatz des Biblical Performance CriticismBiblical Performance Criticism zuordnen, – die These, dass das Phänomen PublikationPublikation/Veröffentlichung in der Antike nichts anderes gewesen wäre, als der erste Akt der Veröffentlichung eines Werkes durch mündlichen Vortrag, der dann entweder von Zuhörern aufgeschrieben, weitergegeben und über privateÖffentlichkeitnicht-öffentlich/privat Netzwerke zirkulierte oder durch das ManuskriptHandschrift/Manuskript des Erstvortrages in Umlauf kam. Diese Sicht steht jedoch in einer Spannung zu zahlreichen Quellenzeugnissen, die sehr wohl auf antike Konzepte von Publikation hinweisen und die nahelegen, dass es einen (sogar kommerziell orientierten) BuchmarktBuch-handel und eine durchaus über die lokale Ebene hinausreichende Verbreitung von Literaturerzeugnissen gab (s. u.). Aber selbst wenn die deutlichen Hinweise auf die Publikations- und Veröffentlichungspraxis in der Antike sowie grundsätzliche Möglichkeit der Distribution von Büchern über den antiken Buchmarkt wahrgenommen werden, ist es für diese Forscherinnen und Forscher ausgeschlossen, dass das frühe Christentum an diesen Mechanismen partizipierte und BücherBuch im frühen Christentum stattdessen ausschließlich privat distribuiert wurden.4 Hinter dieser These steckt die Auffassung, das Christentum des 1./2. Jh. wäre vor allem ein „subkulturelles Phänomen“5 gewesen, das vor allem für Menschen aus unterprivilegierten Schichten attraktiv gewesen wäre. Dabei wird aber ein sozialromantisches Bild v. a. aus dem 1Kor1Kor und Thesen zum historischen JesusJesus abgeleitet und auf das des frühen Christentums als Gesamtphänomen übertragen. Dies ist methodisch problematisch.6 Vielmehr muss, wie im Folgenden herauszuarbeiten ist, die grundsätzliche Möglichkeit, dass neutestamentliche Texte auch jenseits „privater“ ZirkulationZirkulation über den antiken Buchhandel verfügbar waren, zumindest bedacht werden. Lässt sich letzteres nämlich plausibel machen, hätte dies gewichtige Implikationen für die Frage nach den anvisierten und auch den tatsächlichen Formen der Rezeption neutestamentlicher Texte.

Forschungsgeschichtlich ist das skizzierte Problem der kontrovers diskutierten Frage nach der Verbreitung und DistributionBuch-handel von Literaturerzeugnissen in der Antiken zuzuordnen. Ganz grob finden sich in der Forschung zwei Sichtweisen auf diese Frage, eine modernistische und eine (darauf reagierende) eher skeptische, primitivistischePrimitivismus,7 worin sich in einer weiteren Perspektive eine alte Debatte in der Forschung zur antiken Wirtschaftsgeschichte spiegelt.8 Die ältere, modernistisch ausgerichtete, Forschung zeichnet insbesondere in Anknüpfung an T. Birts monumentales Werk zum antiken Buchwesen9 das Bild eines umfassenden antiken Publikationswesens und BuchmarktesBuch-handel, das u. a. mit Stichworten wie kommerziell orientierten Verlegern, Massenproduktion (durch DiktatDiktat) und Fernhandel zu charakterisieren ist.10 Diese Sicht wurde insbesondere wegen der terminologischen (und damit auch konzeptuellen) Rückprojektion von Buchproduktions- und Distributionsmechanismen aus der Zeit des ausgehenden 19. und 20. Jhs. zurückgewiesen und stattdessen eine primitivistische Sichtweise etabliert, die verlegerische und ökonomisch orientierte Produktions- und Distributionsstrukturen für die Antike weitgehend negiert.11 Thesen zur nahezu ausschließlichen ZirkulationZirkulation von Büchern in privatenÖffentlichkeitnicht-öffentlich/privat Netzwerken,12 die auch für das frühe ChristentumChristentum stark gemacht worden sind,13 basieren maßgeblich auf dieser primitivistischen Sichtweise.

Kristallisationspunkt der Debatte ist vor allem die Rolle von Atticus als „Verleger“ Ciceros.14 An dieser Debatte lässt sich in Kürze zeigen, inwiefern beide Sichtweisen mit Problemen behaftet sind. Während der ältere modernistische Ansatz Atticus tatsächlich zu stark als industriellen Verleger des 19. Jh. zeichnete und insbesondere die vorgestellten Größendimensionen der BuchproduktionBuch-produktion vermutlich deutlich überschätzt wurde, muss die primitivistischePrimitivismus Sichtweise Evidenzen in den Quellen, die zu dem modernistischen Ansatz geführt haben, in unzulässiger Weise marginalisieren. Da beide Positionen wissenschaftlich nicht befriedigend sind, muss die Frage nach dem antiken Publikations- und Distributionswesen von literarischen Erzeugnissen unter Vermeidung zu starker Projektionen aus dem modernen Buchwesen des 19./20. Jh. m. E. grundlegend neu untersucht werden. Erste Ansätze finden sich in der neueren Forschung, die aber bei weitem nicht den gesamten Quellenbestand berücksichtigt.15 Für eine grundlegende Neuuntersuchung müsste zunächst der gesamte Quellenbestand (nicht regional begrenzt auf Rom) hypothesenneutral gesammelt und systematisierend zusammengestellt werden. Dies kann hier freilich nicht geleistet werden. Im Folgenden sind lediglich wenige Grundzüge zu skizzieren.

Dass die meisten antiken AutorenAutor/Verfasser der hellenistischen Zeit und der Kaiserzeit ein Bewusstsein für die Herausgabe/PublikationPublikation/Veröffentlichung ihrer Werke hatten, ist den Quellen eindeutig zu entnehmen (und wird auch von vielen Vertretern der primitivistischenPrimitivismus Sichtweise nicht bestritten).16 Aus dem genannten Grund ist auch die These von E. Mroczek schwierig, BücherBuch wären in der Antike eher als Projekte denn als Produkte angesehen worden.17 Im Rahmen dieser Studie kann weder ihre These noch die These Larsens, das Markusevangelium sei ein unfertiges und nich-finalisiertes Werk, diskutiert werden.18 Dies wird der Vf. an anderer Stelle ausführlich nachholen. Das Konzept einer vom Verfasser autorisierten Fassung ist in der antiken Welt bekannt:

„In der Antike jedoch endet die Phase des ‚work in progress‘ in dem Augenblick, in dem das Werk jenen vom AutorAutor/Verfasser bestimmten, überschau- und beeinflußbaren LeserLeser- und Hörerkreis verläßt und der breiten ÖffentlichkeitÖffentlichkeit übergeben wird – dem Augenblick der für die Allgemeinheit bestimmten editio, der ἔκδοσις.“19

Aufschlussreich ist insbesondere die Institution der recitatiorecitatio (s. auch Publikation/Veröffentlichung). Diese war, wie die Quellen so gut wie ausnahmslos zeigen, an die Präsenz des Autors gebunden.20 Die recitatio nahm im Rahmen des Redaktionsprozesses von Texten eine Korrektivfunktion ein und stellte eine Art Probelauf vor ausgewähltem PublikumPublikum (s. auch Lesepublikum) dar, dessen Impulse für die redaktionelleRedaktion/redaktionell Überarbeitung genutzt wurden.21 Bei der recitatio handelt es sich allerdings, wie H. Krasser ausdrücklich betont, „nicht um das eigentliche Instrument der PublikationPublikation/Veröffentlichung und [auch nicht um] die vom AutorAutor/Verfasser letztlich intendierte Präsentationsform seines Werkes in der ÖffentlichkeitÖffentlichkeit.“22 Der soziale Rahmen einer recitatio ist gerade kein vollständigUmfangvollständig öffentlicherÖffentlichkeitöffentlich, sondern ein klar umgrenzter.23 Deutlich wird dies vor allem an Stellen, an denen explizit zwischen der recitatio und der eigentlichen Publikation und Rezeption (insb. auch im Hinblick auf Dramentexte) unterschieden wird.24 Auch in den wenigen Quellen aus dem klassischen Griechenland (und auch bei späteren griechischen Autoren) sind Rezitationen an die Präsenz des Autors gebunden.

Vgl. v. a. das VorlesenRezeptionkollektiv-indirekt der unpublizierten Werke von Zenon in einem Privathaus bei Plat.Platon Parm.Parmenides 127c; ferner Plat. Hipp.Hippolytos von Rom mai. 286a/b; Xen.Xenophon mem. 2,1,21; Cic.Cicero, Marcus Tullius Brut. 51,191 über eine recitatiorecitatio (s. auch Publikation/Veröffentlichung) des Dichters Antimachos, bei der das gesamte PublikumPublikum (s. auch Lesepublikum) während des Vorlesens bis auf Platon den Raum verlässt; u. Athen.Athenaios deipn. 13,1 (555a). Vgl. außerdem zu Isokrates MÜLKE, AutorAutor/Verfasser, 85. Inwiefern es sich bei den von Lukian.Lukian von Samosata Herod. 1–3 und in FD 3 3,124,2–7; SEG 28 534,4–9 (3. Jh. v. Chr.) beschriebenen Autorenlesungen um unpublizierte Texte handelt, ist unklar. Jedenfalls kann man aus den Quellen nicht schließen, dass die beschriebenen Lesungen die eigentliche Form der PublikationPublikation/Veröffentlichung darstellten.25 Die Formulierung ἀκροάσεις περὶ τούτων (SEG 28 534,6) kann m. E. sogar so verstanden werden, dass es sich um einen Vortrag über die genannten Schriften handelt und nicht um eine Verlesung der Schriften selbst. Lukian selbst hat seine Schriften wohl auch im Rahmen von recitationesrecitatio vorgelesen (vgl. Lukian. apol. 3). Zudem findet sich bei Lukian eine aufschlussreiche Unterscheidung. Auf der einen Seite stehen die gegenwärtigen ErstrezipientenRezipient von Geschichtswerken, die er mit dem PartizipPartizip von ἀκροάομαι (Lukian. hist. conscr. 5) oder ἀκούωἀκούω (Lukian. hist. conscr. 39), bezeichnet – mutmaßlich die HörerHörer von recitationes. Dafür spricht der Hinweis auf den Applaus (ἐπαινέω) in Lukian. hist. conscr. 5.26 Auf der anderen Seite stehen die Sekundärrezipienten, die Lesern, die er z.B. mit dem Partizip von ἀναγιγνώσκωἀναγιγνώσκω (Lukian. hist. concr. 9: τοῖς ὕστερον ἀναγνωσομένοις; Lukian. hist. concr. 17: Dass hier die Sekundärrezipienten gemeint sind, geht daraus hervor, dass sich Lukian auf ein Prooemium bezieht, das ja als Teil eines bereits publizierten BuchesBuch zu verstehen ist.) oder dem Partizip von σύνειμι (Lukian. hist. conscr. 39: τοὺς μετὰ ταῦτα συνεσομένους τοῖς συγγράμμασινσυγγράμματα)27 bezeichnet.

Zahlreiche Quellen lassen erkennen, dass PublikationPublikation/Veröffentlichung in der Antike durchaus ein wichtiger Weg war, schriftliche Erzeugnisse einem größeren, auch überregionalen PublikumPublikum (s. auch Lesepublikum) zur Verfügung zu stellen. Eine repräsentative Auswahl an Quellen sei im Folgenden angeführt.28

Als Alexander erfährt, dass einige der Lehren von Aristoteles, in die er durch diesen persönlich eingeführt wurde, „in Büchern an die ÖffentlichkeitÖffentlichkeit gegeben worden seien (ἐκδίδωμι)“ (Plut.Plutarch Alex. 7, Üb. ZIEGLER/WURHMANN), tadelt er Aristoteles in einem bei Plutarch und Aulus GelliusGellius, Aulus überlieferten BriefBrief: „Du hast nicht recht getan, daß du die fürs Hören bestimmten Lehren veröffentlichtPublikation/Veröffentlichung hast (οὐκ ὀρθῶς ἐποίησας ἐκδοὺς τοὺς ἀκροατικοὺς τῶν λόγων·)“ (Plut. Alex. 7, Üb. ZIEGLER/WURHMANN, leicht mod. JH). Dass Alexander stört, dass die RedenRede nun Allgemeingut wären und er nicht mehr zum exklusiven Kreis der erwählten AdressatenAdressat gehört,29 zeigt genauso wie die verlegene Reaktion von Aristoteles, Alexander solle die Schriften als „veröffentlicht und auch wieder nicht veröffentlicht“ (Plut. Alex. 7, Üb. ZIEGLER/WURHMANN)30 begreifen, da sie ja nur für Insider verständlich seien, dass ein durchaus großes LesepublikumLese-publikum vorauszusetzen ist. Ein Mensch, der im Maßstab Alexanders denkt, hätte sich wohl sonst kaum über eine Veröffentlichung beschwert. Zudem impliziert die Stelle, dass veröffentlichte Schriften nicht für das Hören, sondern für das Lesen bestimmt sind. HorazHoraz formuliert eindeutig: „Wer UnterhaltungUnterhaltung dem LeserLeser gewährt und mit ihr Belehrung./Solch ein BuchBuch trägt den Gebrüdern Sosius ein, über das Meer hin/Zieht es und meldet der Welt noch lange den Namen des Autors“ (Hor. ars. 343–346; Üb. KAYSER, leicht mod. JH).31 Plinius, der nicht für den kleinen Kreis der Rezitationszuhörer schreibt, sondern für alle (Plin. ep.Plinius der Jüngere 3,18,9), freut sich über die Nachricht, dass seine Bücher in einer Buchhandlung in Lugdunum verkauft werden (Plin. ep. 9,11,2). In einem Brief an Tranquillus schreibt er, dass dessen Werk perfekt sei und durch Überarbeitung nicht weiter poliert werden könne. Und dann fordert er: „Laß mich Deinen Namen auf dem Titelblatt sehenSehen, laß mich hören, daß die Bücher meines Tranquillus vervielfältigt, gelesen und verkauft werden“ (Plin. ep. 5,10,3; Üb. KASTEN). Zudem betont Plinius, dass er durch stilistische Vielfalt „verschiedene Leserkreise“ (diversa genera lectorum; Plin ep. 2,5,7) zu erreichen versuche.32 Weite Verbreitung seines Romans antizipiert auch Ov.Ovidius, P. Naso trist. 4,9,21; 4,10,128;33 Longos Daph. prooem. 3 (ed. HERCHER). Auch Martial beschreibt eine weite Verbreitung seiner Bücher (vgl. z.B. Mart.Martial1,1; 7,88; 8,3; 11,3). Hinzuweisen ist ferner auch auf die Erwartung der Rezeption durch spätere Generationen bei Catull.Catull, Gaius Valerius 1,10; 68,5f und Prop.Properz 1,7,13f, die sich im Falle von Properz nachweislich der Graffiti in Pompeji erfüllte.34 Im antiken JudentumJudentum findet sich das Konzept der Publikation im Sirachprolog (s. u. 7.1.4). JosephusJosephus, Flavius gibt in Ios. c. Ap. 1,50–52 an, er habe seine „Geschichte des jüdischen Krieges“ in Rom an einige Mitglieder der AristokratieElite verschenkt; außerdem „verkaufte ich sie einerseits vielen der Römer, die mit in dem Krieg gewesen waren, andererseits vielen unserer Männer, welche die griechische PhilosophiePhilosophie verstehenVerstehen (πολλοῖς μὲν Ῥωμαίων τοῖς συμπεπολεμηκόσι, πολλοῖς δὲ τῶν ἡμετέρων ἐπίπρασκον, ἀνδράσι καὶ τῆς Ἑλληνικῆς σοφίας μετεσχηκόσιν)“,35 unter denen Julius Archelaus, Herodes von Chalkis und KönigKönig Agrippa waren. Ob er das Werk selbst vermarktet hat,36 wie die Formulierung klingt, oder sich möglichweise die Strukturen des antiken Buchhandels zu Nutze gemacht hat, ist nicht eindeutig zu entscheiden. Die Produktion der vielen Kopien des doch recht umfangreichen Werkes, welche diese Aussage impliziert, war in jedem Fall mit einem großen Kapitaleinsatz verbunden und benötigte Strukturen. Üblicherweise wird P.Oxy. 3 405 (um 200 datiert) angeführt, um die schnelle und v. a. überregionale Verbreitung von Irenäus’ Schrift adv. haer zu belegen,37 angesichts der relativen Unsicherheiten paläographischer Datierung sollte man hier jedoch Vorsicht walten lassen.

Zusammen mit den, bei den Modernisten aufgearbeiteten, eindeutigen Zeugnissen für einen kommerziell orientierten BuchhandelBuch-handel (einige davon werden unten noch angeführt), sprechen diese Quellen dagegen, dass AutorenAutor/Verfasser nur auf zufällige Verbreitung in privatenÖffentlichkeitnicht-öffentlich/privat Netzwerken gesetzt haben. Dazu sei außerdem noch auf den Beginn von Galens Schrift über seine BücherBuch hingewiesen. Hier wird ganz deutlich, dass weder das VorlesenRezeptionkollektiv-indirekt eines Textes noch das Herausgeben einer Kopie an Freunde als PublikationPublikation/Veröffentlichung (ἔκδοσις) verstanden wurde. Viele von Galens Schriften

„wurden ohne TitelTitel an Freunde oder Studenten gegeben, weil sie überhaupt nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren (φίλοις γὰρ ἢ μαθηταῖς ἐδίδοτο χωρὶς ἐπιγραφῆς ὡς ἂν οὐδὲν πρὸς ἔκδοσιν), sondern ausschließlich für den Gebrauch derjenigen gemacht worden sind, um ihrer Bitte entsprechend ErinnerungenErinnerung an das, was sie gehört hatten, zu haben“ (Gal.Galenos lib. prop. ed. KÜHN 19, p. 10).38

Besonders aufschlussreich ist darüber hinaus, dass der kommerziell orientierte BuchhandelBuch-handel nicht durch die AristokratieElite selbst durchgeführt wurde, sondern in der Hand von handwerklichHandwerker orientierten Schichten und Händlern war.39 Vor diesem Hintergrund ist dann die Annahme plausibel, dass frühchristliche AutorenAutor/Verfasser die antiken Vertriebsstrukturen für die Verbreitung ihrer Schriften nutzten. Möglicherweise muss man sich den antiken Buchhandel aber auch weniger autorenzentriert vorstellen40 und davon ausgehen, dass Buchproduzenten und Händler orientiert an der Nachfrage (oder direkt auf Wunsch ihrer Kunden) BücherBuch beschafften oder herstellten.

Für die Fragestellung dieser Studie ist eine detaillierte und genaue Rekonstruktion der BuchhandelsstrukturenBuch-handel allerdings weniger wichtig als die Einsicht, dass AutorenAutor/Verfasser in der Antike mit der PublikationPublikation/Veröffentlichung ihrer Schriften rechneten. Somit muss auch von der grundsätzlichen Möglichkeit ausgegangen werden, dass BücherBuch für Leserinnen und LeserLeser verfügbar waren. Dies ist prinzipiell zunächst auch für das frühe ChristentumChristentum in Rechnung zu stellen. Auch wenn die Quellen spärlich sind,41 ist es nicht abwegig anzunehmen, dass christliche Schriften über den antiken BuchhandelBuch-handel beziehbar waren und das frühe Christentum am antiken Buchmarkt, den man sich sicher nicht als staatlich kontrollierten vorstellen sollte, partizipierte.42 Möglicherweise – das bleibt jedoch weitgehend spekulativ – war das Christentum angesichts der literarischen Schaffenskraft, die in den erhaltenen Schriftzeugnissen sichtbar wird, auch für im Buchwesen Tätige attraktiv. In diesem Zusammenhang sei auch nochmals auf Belege hinzuweisen, welche die Attraktivität staatlich verbotener Bücher zeigen (s. o. zu Tat.Tatian ann. 14,50 S. 155).

Ein weiteres Problem in Bezug auf die Verfügbarkeit ist jedoch die Frage nach dem PreisPreis. Hier sind viele Forscherinnen und Forscher in Bezug auf das frühe ChristentumChristentum pessimistisch und postulieren, dass BücherBuch zu teuer gewesen wären, als dass sie der Durchschnittschrist der ersten Jh. hätte kaufen und lesen können.43 Diese Argumentation geht m. E. jedoch von sozialgeschichtlichSozialgeschichte schwer verifizierbaren Grundannahmen aus. Ganz im Gegenteil sprechen sogar einige Daten44 dafür, dass Bücher nicht das LuxusproduktLuxusprodukt waren, für das sie in der Forschung zum Teil gehalten werden.45 Dazu sei zur Veranschaulichung auf das folgende Beispiel verwiesen, wobei zu betonen ist, dass die weiterführenden Berechnungen nur unter – für die althistorisch-wirtschaftsgeschichtlichen Preiskalkulationen typischen – Vorbehalten zu verstehen sind (insb. sind Preisschwankungen, regionale Unterschiede,46 Unterschiede zwischen Stadt und Land, Möglichkeit von Inflationsprozessen usw. in Rechnung zu stellen)47 und allenfalls Annäherungen darstellen.

Nicht übertragbar auf das 1./2. Jh. sind die Ausführungen von R. S. Bagnall zur Ökonomie der BuchproduktionBuch-produktion in Ägypten.48 Seine Kalkulationen, die im Einzelnen noch kritisch zu diskutieren wären, basieren sämtlich auf Daten ab dem frühen 4. Jh., also auf Daten, welche die wirtschaftliche Situation nach der Krise des 3. Jh. widerspiegeln. Diese Krise war vor allem auch eine wirtschaftliche Krise, von der sich die Wirtschaft des Römischen Reichs nicht mehr wirklich erholen konnte und die mit einer starken Inflation einherging, die sich am Feingehalt der Silbermünzen sowie v. a. an der Preisentwicklung ablesen lässt.49 Vorsicht ist vor allem in der Hinsicht geboten, Angaben aus dem sog. Höchstpreisedikt Diokletians (301 n. Chr.; ed. LAUFFER), das auf die Krise des 3. Jh. reagiert und dessen Auswertbarkeit im Hinblick auf die tatsächliche PreisPreisgestaltung höchst umstritten ist,50 generalisierend auf die Antike oder auf die Situation in der frühen Kaiserzeit zu beziehen, wie es zuweilen in der Forschung zum Bildungssystem, zu Buchpreisen51 oder eben auch zur Situation im frühen ChristentumChristentum des 1.–3. Jh. getan wird.52 Auf sichererem Grund bewegen wir uns, wenn die Kalkulationen auf tatsächlich für das 1./2. Jh. belegte Daten beruhen, wie im Folgenden auszuführen sein wird. Aber selbst wenn man Bagnalls Daten zugrunde legt, kann man in der Interpretation dieser Daten im Hinblick auf die Möglichkeit des BuchbesitzesBuch-besitz auch zu anderen Schlussfolgerungen kommen. So gibt er an, dass eine PapyrusPapyrus-Vollbibel(!) in der schlechtesten Schriftqualität 4,3 Solidi und in tabellio 6,4 Solidi gekostet hätte. Selbst eine Person mit einem niedrigen Amt in der KircheKirche mit einem Jahreseinkommen von 10–15 Solidi hätte sich theoretisch wohl einmal im Leben ein solches BuchBuch kaufen können, wäre es ihm wichtig gewesen, von einzelnen Teilsammlungen oder einzelnen Büchern einmal ganz abgesehen. Für einen BischofBischof wären es „nur“ 10 % des Jahreseinkommens gewesen.53 Stellt man die Probleme der Angaben im Höchst(!)preisedikt Diokletians zugrunde, kann man zudem theoretisch noch mit niedrigeren PreisenPreis rechnen.

Bei Martial finden wir in den 80er Jahren des 1. Jh. die Angabe, dass man seine Xenien in Rom für vier SesterzenSesterze erwerben könne bzw. dass der BuchhändlerBuch-händler (bybliopola) Tryphon auch Gewinn machte, wenn er sie für zwei Sesterzen verkaufte (Mart.Martial 13,3). Diese Angabe deckt sich mit Evidenzen in den Quellen für Preisschwankungen und der Möglichkeit, mit Händlern den PreisPreis zu verhandeln,54 und belegt die Existenz deutlicher Handelsspannen im BuchhandelBuch-handel. Bei den Xenien handelt es sich um ein relativ kleines BuchBuch mit knapp 2000 Wörtern. Überträgt man diese Angaben hypothetisch auf die Länge z.B. des Markusevangeliums, das etwa 11.000 Wörter umfasst, dann käme man für ein äquivalent gestaltetes Buch auf einen ungefähren Preis von 11–22 Sesterzen (4 Sesterzen entsprechen 1 DenarDenar) für den Erwerb eines Markusevangeliums in Rom.55 Für die Luxusversion des etwa 5100 BuchstabenBuch-stabe umfassenden ersten Buches seiner Epigrammata56 (mit Bimsstein geglättet und mit Purpur eingebunden) gibt Martial an, man bekäme es im Buchladen von Atrectus gegenüber vom Caesarforum zu einem Preis von fünf Denaren, den Martial selbst für hoch gegriffen hält (vgl. Mart. 1,117).57 Dass Martials Angaben getraut werden kann und sich in seinen satirischen Ausführungen eine reale Situation des römischen BuchmarktesBuch-handel widerspiegeln, geht im Übrigen daraus hervor, dass Epiktet bezeugt, eine Schrift von ChrysipposChrysippos von Soloi könne man für 5 Denare kaufen (Epikt.Epiktet diatr. 1,4,16).

Ein zu Martials erstem Buch seiner Epigrammata äquivalent ausgestattetes MkEvMk hätte etwas mehr als 10 DenareDenar (40 SesterzenSesterze), also etwa das Doppelte gekostet. Dabei ist auch im Hinblick auf die Möglichkeit privaterÖffentlichkeitnicht-öffentlich/privat AbschriftenAbschrift hervorzuheben, dass die MaterialMaterialität- und Fertigungskosten, um dem Händler einen Gewinn zu ermöglichen, unter den genannten Preisen gelegen haben müssen. Ferner ist zu betonen, dass Bücher durchaus einem Wertverlust unterlagen und Gebrauchtbücher recht günstig erworben werden konnten.58 (Umgekehrt sind aber Wertsteigerungen von seltenen alten Sammlerstücken belegt.59) Literarische Bücher konnten sogar einen völligen Wertverlust erleiden und wurden als „Altpapier“ zweitverwertet.60 Die Tatsache, dass biblische und christliche Bücher insgesamt sogar nachweislich auf den Müll geworfen wurden,61 lässt es plausibel erscheinen, dass sie potentiell auch als Gebrauchtbücher auch im antiken antiquarischen BuchhandelBuch-handelBuchantiquarisch zu haben gewesen sein könnten.

Zur Veranschaulichung seien diese Daten exemplarisch in Zusammenhang mit Wirtschaftsdaten zu Preisen und Löhnen im 1./2. Jh. gesetzt. Aus einem Edikt des Legaten Lucius Antistius Rusticus (92/93 n. Chr.) wissen wir, dass in Antiocheia in Pisidien ein modius (ca. 6,7 kg) Weizen maximal 1 DenarDenar, also 4 SesterzenSesterze kosten durfte, vor dem Winter aber vermutlich etwas mehr als die Hälfte kostete,62 womit exakt die Preisspanne angegeben ist, die Martial für seine Xenien angibt. Nimmt man bei beiden Preisen einen Mittelwert (3 Sesterzen für einen Modius Weizen), hätte ein den Xenien vom Martial äquivalent gestaltetes Markusevangelium (16,5 Sesterzen) also in etwa so viel wie knapp 37 kg Weizen gekostet.63 Oder so viel wie etwa 16 Gläser guter Wein in einer Taverne in Pompeji (CIL 4 1679); gut 5 kg mittelmäßiges Olivenöl (CIL 4 4000),64 eine Tunica jeweils in Pompeji (15 Sesterzen; CIL 4 9108); 65 wie die Miete einer oberen Etage in einem Stadthaus in Rom für drei Tage (Plut.Plutarch Sulla 1,4 gibt die Jahresmiete im Obergeschoss mit 2000 Sesterzen an) oder wie acht Dachziegel (CatoCato der Ältere, Marcus Porcius agr. 14,3). Im Hinblick auf das frühe ChristentumChristentum sei ferner auch noch auf die hohen Kosten von Reisetätigkeiten verwiesen, die ja im NT und in der frühchristlichen Literatur vielfach bezeugt sind66 und die ein Vielfaches von Büchern gekostet haben müssen.

Ios.Josephus, Flavius ant. 12,4,3 (168-170) gibt den Aufwand für eine ReiseReise von Samaria nach Alexandria in einfacher Ausstattung (der Reisende wird von den ebenfalls diese Strecke Reisenden von den hohen Beamten aus den Städten Syriens und Phöniziens für seine ArmutArmut verspottet!) mit 20.000 Drachmen an. Mit 10.000 Drachmen reist Hyrkanos zwar günstiger (Ios. ant. 12,4,7 [198]), es handelt sich aber immer noch um eine beträchtliche Summe, vergleicht man dies mit den 28 Drachmen, die Lond. inv. 2110 (SB 20 14599) als PreisPreis für das SchreibenSchreiben von 10.000 StichenStichen angibt. Was Reisen der OberschichtElite kosten konnten, veranschaulicht Ios. ant. 17,5,3 (96) bzw. bell. Iud. 1,32,2 (625), der angibt, Antipas, der Sohn des Herodes hätte 300 Talente (die unvorstellbar große Summe von 1,8 Mio Drachmen) für seine Reise nach Rom angewiesen bekommen.67

Setzt man diese Preiskalkulation zugrunde, wäre ein solches MkEvMk sogar theoretisch für einen ArbeiterArbeiter,68 aber z. B. auch für SoldatenSoldat69 – für Offiziersränge ohne Frage70 – potentiell erschwinglich gewesen (ob diesen Gruppen ein BuchBuch eine solche Investition wert gewesen wäre, ist eine andere Frage!), um so mehr für die gesellschaftliche Gruppen, die wahrscheinlicher als potentielle LeserLeser in Frage kämen: z.B. für BerufsrednerRedner,71 für LehrerLehrerLehrer,72 ÄrzteArzt und Juristen,73 erfolgreiche Händler,74 Künstler und Schauspieler.75 Diese Daten zeigen, Bücher waren keine, für die meisten gesellschaftlichen Schichten unerschwingliche LuxusprodukteLuxusprodukt, sondern Handwerksprodukte,76 die sich im Vergleich zu wirklichen Luxusprodukten77 potentiell nicht nur Mitglieder der obersten EliteElite leisten konnten. Dies wird auch in den Quellen selbst bestätigt. So besitzt der mittellose CordusArmut bei Juvenal neben einem BettBett und einigen Gefäßen immerhin eine Kiste mit griechischen Büchern (vgl. Iuv.Juvenal 3,200–211).78

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